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RSV-Festschrift

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Die häufigsten Fragen<br />

im Rand-Leistungssport<br />

Falls Sie als Leser dieses Artikels gerade noch zu der Gruppe<br />

gehören, die die Stirn runzeln und versuchen das kryptische<br />

Wort: „Kunstrad?“ zu entschlüsseln, dann keine Bange. Aber<br />

auch wenn Sie schon „Insider“ sind, die folgenden Absätze<br />

beantworten häufige Fragen, die einer/m Athletin/en im Kunstradsport<br />

begegnen. Und ganz gleich ob in einem Interview für<br />

einen Zeitungsartikel oder wenn Sie als Kunstradfahrer/in von<br />

einem verdutzten Taxifahrer gefragt werden, warum Sie nicht<br />

einfach mit dem Fahrrad nach Hause fahren anstatt es auseinandergeschraubt<br />

in den Kofferraum zu legen – selten ist Zeit<br />

unseren Sport wirklich ausführlich zu erklären. Diese <strong>Festschrift</strong><br />

bietet hierfür Gelegenheit.<br />

Also dann,<br />

Was ist das eigentlich?<br />

Da Sie vermutlich immer noch das Bild des Taxikofferaums im<br />

Kopf haben, fangen wir am Besten damit an zu erklären, was<br />

denn ein Kunstrad so besonders macht. Warum denn nun nicht<br />

auf der Straße zu ihrem auserkorenen Ziel rollen?<br />

Die Räder sind in der Tat anders als gewöhnliche Fahrräder.<br />

Und in erster Linie sind sie im öffentlichen Straßenverkehr illegal:<br />

keine Bremsen, kein Licht. Erschwerend hinzu kommt<br />

außerdem noch ein extremes Maß an Unpraktikabilität. Es gibt<br />

weder Gangschaltung noch Freilauf und die Reifen sind auf<br />

steinharte 14 Bar Luftdruck aufgepumpt. Für alle unter Ihnen,<br />

die ein Rennrad unbequem finden, hier sprechen wir über<br />

ganz andere Maßstäbe. Die speziell konstruierten Zweiräder<br />

mit dem steilen Lenkwinkel fahren sich zusätzlich auch noch<br />

instabil und wackelig. Insgesamt also keine Kurzbeschreibung,<br />

durch die der Drang entsteht, zum Telefon zu greifen und ein<br />

eigenes Exemplar bei einer der wenigen Fahrradmanufakturen<br />

zu ordern. Zumindest sofern man den einzigen Vorteil dieses<br />

Sportgeräts außer Acht lässt – die maximale Kontrolle über jede<br />

noch so kleine Bewegung.<br />

Und genau diese Kontrolle ist für das Kunstradfahren unerlässlich.<br />

Stellen Sie sich vor Sie stehen freihändig auf dem Sattel<br />

eines fahrenden Fahrrads. Ich weiß, das mag komisch klingen,<br />

aber ich bitte Sie dennoch zumindest um den Versuch. Sie<br />

fokussieren Ihren Lenker und sehen, dass eine kleine Veränderung<br />

des Drucks auf Ihren Zehenspitzen umgehend in einem<br />

Pendeln des Steuerkopfes resultiert. Ihre Oberschenkel und der<br />

Po sind maximal angespannt und die Knie gestreckt, während<br />

sie flach atmen. Langsam und gleichmäßig gehen Sie in die<br />

Knie und drücken sich dann mit einem kleinen Sprung nach<br />

vorne oben ab – Freiflug also über einem Fahrrad. Spätestens<br />

jetzt ist es absurd, aber hey. Parabelförmig kommt der Lenker<br />

näher. Fünf Zentimeter zu weit links oder rechts würde bedeuten<br />

(im besten Fall), dass sie ihren Flug unfreiwillig bis zum Boden<br />

fortsetzen. Plus minus drei Zentimeter und ihr Fuß rutscht<br />

bei Kontakt mit dem Lenker ins Leere ab. Oder Sie knicken um.<br />

Oder beides … aber lassen wir das hier.<br />

Plus minus ein Zentimeter und alles ist gut. Sie haben die Chance,<br />

mit einem Abfedern der Beine Ihre Fahrt auf dem Lenker<br />

fortzusetzen und werden mit einem Adrenalinschub belohnt.<br />

Falls Sie beobachtet wurden, vernehmen Sie eventuell noch<br />

ein Klatschen der Zuschauer. Die maximale Kontrolle über das<br />

Fahrrad hat sich ausgezahlt.<br />

Oftmals liest man über den Kunstradsport zusammenfassende<br />

Erklärungen wie: es handelt sich um eine Mischung aus Sport,<br />

Kunst und akrobatischen Elementen. Und während auf einer<br />

objektiven Ebene absolut nichts an dieser Beschreibung auszusetzen<br />

ist, wird sie der Sportlerperspektive nicht gerecht. Wenn<br />

Sie also in Zukunft in einem Interview eines/r Kunstradfahrers/<br />

so etwas lesen, wie, man benötige Kraft und Flexibilität, ästhetisches<br />

Gefühl und Mut, dann denken Sie an das eben durchgeführte<br />

Gedankenexperiment. Derartige Abläufe in Substantive<br />

zu verpacken, ist annähernd unmöglich.<br />

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