RSV-Festschrift

01.09.2023 Aufrufe

Die erste Ausfahrt des Radfahrvereins „Concordia“ Unteribental nach dem 2. Weltkrieg an Pfingsten 13. oder 14. Mai 1951 nach Haagen-Tumringen Im Dritten Reich wurden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ab 1933 nach und nach alle Vereine und Organisationen gleichgeschaltet und damit faktisch als selbständige Einheiten aufgelöst. Nach Kriegsende 1945 wurden von den Besatzungsmächten, in unserem Fall von den Franzosen, zunächst alle Vereine verboten. 1947 erfolgte dann der Befehl der Franzosen, dass in allen Gemeinden, in denen bisher noch keine Feuerwehr existierte, eine solche zu gründen war. Infolgedessen wurde dann auch das Vereinsrecht wieder gelockert. Und so entstand unter den früheren Mitgliedern des Radsportvereins der Wunsch auch diesen wieder neu zu gründen. Man erfuhr irgendwie, dass in Haagen-Tumringen (heute ein Stadtteil von Lörrach) ein Radsportfest stattfinden sollte. Die alten, eingefleischten Mitglieder, die den Verein gegründet und bis zu seiner Auflösung vorangebracht hatten, motivierten die Jugend dorthin zu fahren und am Korso-Festzug teilzunehmen. Wir jungen Burschen – Buebe und Maidli – fühlten uns verpflichtet, den Wünschen der Alten Folge zu leisten. In Erinnerung sind mir da besonders Friedrich Heizler (Jägerbur), Albert Willmann (Schni:derbur), Josef Willmann (Zähringersepp) und Peter Bartberger (Wickepeter). Sie ließen keine Ruhe, bis sich eine Gruppe von ungefähr 15 Personen zusammenfand, die das Wagnis auf sich nehmen wollten. Es waren sicher dabei: Karl Bartberger als Fahrwart, Willi Willmann (de klei Willi vum Kleiburehisli im Weberdobel) als Fähnrich, seine Schwester Erika Willmann, Klara Saier (später verh. Molz), Karl Molz (Schwärzle-Karle), Karl Willmann (Schlegelhof), Richard Saier (Haurihof) und als 15-jähriger Lehrling ich, Bernhard Ketterer (Raiweberhisli). Eventuell waren auch dabei Berta Kürner (später verh. Helmle, Leistmacherhof), Rita Saier (Haurihof). Ich bin mir nicht sicher, ob auch der Zähringersepp mitgefahren ist. Da aufgrund der Notzeit bedingt durch Krieg und Nachkriegszeit, niemand ein funktionierendes Fahrrad hatte, mussten aus vielen unbrauchbaren und alten Rädern erst einmal eine entsprechende Anzahl halbwegs funktionierender Räder zusammengeflickt werden. Einer, ich glaube es war der Schwärzle-Karle, hatte in einem 28er Rahmen ein 24er Hinterrad, weil halt kein anderes aufzutreiben war. Schutzbleche und so weiter wurden zum Teil mit Schnüren festgebunden. Eine Gangschaltung hatte niemand, die war uns völlig unbekannt. Und so machten wir uns an einem Sonntagmorgen zwischen 7.00 und 8.00 Uhr auf den Weg ins Wiesental nach Haagen-Tumringen, dort sollte am Nachmittag um 14.00 Uhr der Festzug stattfinden. Niemand der Teilnehmer konnte sich vorstellen, was das für eine abenteuerliche Fahrt werden sollte. Nicht nur das Material lies sehr zu wünschen übrig, auch die Straßen waren zum großen Teil in einem heute unvorstellbaren Zustand. Das ging ja bei uns im Ibental schon los, das Ibentalsträßle war damals noch ein besserer Feldweg und noch lange nicht asphaltiert. Die erste Etappe ging bis zum Gasthaus Steinwasen, dort wurde die erste Rast gemacht, um Wasser zu trinken. Kurz vor dem Notschrei, an der Hofsgrunder Säge, am steilsten Stück unseres Weges, blühten am Straßenrand sehr viele Maiglöckchen, damit schmückten unsere mitfahrenden Mädchen den Banner. Wilhelm Willmann hatte das Fahnentuch mithilfe einer Vorrichtung seitlich an seinem Fahrrad befestigt, die Fahnenstange hatte ein anderer an sein Fahrrad angebunden. 28

Weiter ging die Fahrt! Wir freuten uns darauf, dass wir es ja dann laufen lassen können, wenn wir erst einmal die Höhe des Notschreis erreicht hätten. Welch ein Trugschluss! Da ging das Abenteuer erst recht los. Die Straße wurde immer schlechter! Und wir hatten natürlich nur unzulängliche Bremsen. Die Rücktrittbremsen wurden bald heiss und mussten immer wieder gekühlt werden. Felgenbremsen gab es nur bei neuen Fahrrädern, die damals dann aufkamen, aber so einen Luxus hatten wir nicht. Und die alten Stempelbremsen, bei denen über ein Hebelgestänge von oben ein Gummiklotz auf den Vorderreifen gedrückt wurde, erwiesen sich für eine längere Bergabfahrt als völlig unbrauchbar. Die Bremsklötze flogen bald auf Nimmerwiedersehen davon! Somit kamen wir natürlich auch bergab nur recht langsam voran! Die nächste Pause machten wir dann in Aftersteg in der Kurve, wo es zum Todtnauer Wasserfall geht. Dort stand damals schon, wie auch heute noch ein Kiosk. Geld, um etwas zu kaufen, hatten wir aber natürlich auch keines. Wer etwas dabei hatte, packte dort sein Vesper aus, das wurde dann untereinander kameradschaftlich geteilt. Hauptsächlich kann ich mich an Brot und alte, verschrumpelte Äpfel vom Vorjahr erinnern, die wir genussvoll verzehrten. Dann ging es weiter hinunter ins Wiesental. Ab Todtnau war es ja dann Gottseidank nicht mehr so steil, so dass die Schwierigkeiten mit den Bremsen weniger wurden. Aber die Straße war unglaublich schlecht: mal Schotterpiste, mal Pflastersteine, dann wieder Schlaglöcher, die nur die geübten Radler schwungvoll umfahren konnten. Außerdem gab es im Wiesental auch noch nicht die Talstraße, die heute im Wesentlichen an der Wiese entlang schnurgerade talabwärts führt. Die Straße schwenkte damals ständig von der einen zur anderen Talseite, damit alle Ortschaften Straßenanbindung hatten. Somit war der Weg nach Haagen sicher noch um einiges weiter, als er es heute ist. (Heutzutage wird in Google Maps der Weg mit ca. 66 km und 4 Std. Fahrzeit für einen Radfahrer angegeben.) Als wir endlich im Festort ankamen ging auch schon der Festzug los, beinahe wären wir noch zu spät gekommen. Der Umzug dauerte wohl bis gegen 16.00 Uhr. Viel gastronomisches Angebot gab es sowieso nicht, höchstens ein Paar Wienerle und ein Bier. Deshalb machten wir uns unmittelbar nach der Preisverteilung auf den Heimweg. Welchen Preis wir erringen konnten, weiß ich heute nicht mehr. Heimwärts fuhren wir durchs Oberland und Markgräflerland über Müllheim und Bad Krozingen nach Freiburg. Dort gingen wir alle miteinander noch auf die Mess, die ja damals noch auf dem heutigen Alten Messplatz in der Wiehre stattgefunden hat. Das kann eigentlich nur die Frühjahrsmess gewesen sein. Also wird diese Fahrt wohl an Pfingsten 1951 (13. oder 14. Mai) stattgefunden haben. Um Mitternacht, oder gar noch später, sind wir dann alle wohlbehalten wieder im Ibental angekommen, und es war beschlossene Sache, dass wir unseren Radfahrverein „Concordia“ Unteribental wieder aufleben lassen wollten. Wenn ich heute im Fernsehen das Radrennen Paris – Roubaix, die sogenannte „Hölle des Nordens“ sehe, fühle ich mich immer wieder an unsere damalige Ausfahrt nach Haagen- Tumringen erinnert. Niedergeschrieben aus der Erinnerung im September 2021 von Bernhard Ketterer, Raiwäberhiisli (Rainweberhäusle) 29

Weiter ging die Fahrt! Wir freuten uns darauf, dass wir es ja<br />

dann laufen lassen können, wenn wir erst einmal die Höhe<br />

des Notschreis erreicht hätten.<br />

Welch ein Trugschluss! Da ging das Abenteuer erst recht los.<br />

Die Straße wurde immer schlechter! Und wir hatten natürlich<br />

nur unzulängliche Bremsen.<br />

Die Rücktrittbremsen wurden bald heiss und mussten immer<br />

wieder gekühlt werden. Felgenbremsen gab es nur bei neuen<br />

Fahrrädern, die damals dann aufkamen, aber so einen Luxus<br />

hatten wir nicht. Und die alten Stempelbremsen, bei denen<br />

über ein Hebelgestänge von oben ein Gummiklotz auf den<br />

Vorderreifen gedrückt wurde, erwiesen sich für eine längere<br />

Bergabfahrt als völlig unbrauchbar. Die Bremsklötze flogen bald<br />

auf Nimmerwiedersehen davon! Somit kamen wir natürlich<br />

auch bergab nur recht langsam voran!<br />

Die nächste Pause machten wir dann in Aftersteg in der Kurve,<br />

wo es zum Todtnauer Wasserfall geht. Dort stand damals<br />

schon, wie auch heute noch ein Kiosk. Geld, um etwas zu<br />

kaufen, hatten wir aber natürlich auch keines.<br />

Wer etwas dabei hatte, packte dort sein Vesper aus, das wurde<br />

dann untereinander kameradschaftlich geteilt. Hauptsächlich<br />

kann ich mich an Brot und alte, verschrumpelte Äpfel vom Vorjahr<br />

erinnern, die wir genussvoll verzehrten.<br />

Dann ging es weiter hinunter ins Wiesental. Ab Todtnau war<br />

es ja dann Gottseidank nicht mehr so steil, so dass die Schwierigkeiten<br />

mit den Bremsen weniger wurden. Aber die Straße<br />

war unglaublich schlecht: mal Schotterpiste, mal Pflastersteine,<br />

dann wieder Schlaglöcher, die nur die geübten Radler<br />

schwungvoll umfahren konnten. Außerdem gab es im Wiesental<br />

auch noch nicht die Talstraße, die heute im Wesentlichen an<br />

der Wiese entlang schnurgerade talabwärts führt. Die Straße<br />

schwenkte damals ständig von der einen zur anderen Talseite,<br />

damit alle Ortschaften Straßenanbindung hatten.<br />

Somit war der Weg nach Haagen sicher noch um einiges<br />

weiter, als er es heute ist. (Heutzutage wird in Google Maps<br />

der Weg mit ca. 66 km und 4 Std. Fahrzeit für einen Radfahrer<br />

angegeben.)<br />

Als wir endlich im Festort ankamen ging auch schon der Festzug<br />

los, beinahe wären wir noch zu spät gekommen. Der Umzug<br />

dauerte wohl bis gegen 16.00 Uhr. Viel gastronomisches<br />

Angebot gab es sowieso nicht, höchstens ein Paar Wienerle<br />

und ein Bier. Deshalb machten wir uns unmittelbar nach der<br />

Preisverteilung auf den Heimweg. Welchen Preis wir erringen<br />

konnten, weiß ich heute nicht mehr. Heimwärts fuhren wir<br />

durchs Oberland und Markgräflerland über Müllheim und Bad<br />

Krozingen nach Freiburg. Dort gingen wir alle miteinander<br />

noch auf die Mess, die ja damals noch auf dem heutigen Alten<br />

Messplatz in der Wiehre stattgefunden hat. Das kann eigentlich<br />

nur die Frühjahrsmess gewesen sein. Also wird diese Fahrt wohl<br />

an Pfingsten 1951 (13. oder 14. Mai) stattgefunden haben.<br />

Um Mitternacht, oder gar noch später, sind wir dann alle<br />

wohlbehalten wieder im Ibental angekommen, und es war beschlossene<br />

Sache, dass wir unseren Radfahrverein „Concordia“<br />

Unteribental wieder aufleben lassen wollten.<br />

Wenn ich heute im Fernsehen das Radrennen Paris – Roubaix,<br />

die sogenannte „Hölle des Nordens“ sehe, fühle ich mich<br />

immer wieder an unsere damalige Ausfahrt nach Haagen-<br />

Tumringen erinnert.<br />

Niedergeschrieben aus der Erinnerung im September 2021<br />

von Bernhard Ketterer, Raiwäberhiisli (Rainweberhäusle)<br />

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