Baumeister 9/2023
nachhaltig höher bauen?
nachhaltig höher bauen?
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September 23<br />
120. JAHRGANG<br />
Das Architektur-<br />
Magazin<br />
MEISTER<br />
nachhaltig<br />
höher<br />
bauen<br />
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4 194673 017505<br />
09<br />
D 17,50 €<br />
A,L 19,95 €<br />
CH 2 4 , 9 0 S F R
Nachhaltig bauen:<br />
I B7 Material regional<br />
II B8 Sozial<br />
III B9 Besser vertikal?<br />
COVERFOTO: QUAY QUARTER TOWER IN SYDNEY/ADAM MØRK<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
gibt es denn so etwas wie nachhaltige<br />
Hochhäuser? Dass Hochhäuser gebraucht<br />
werden, dafür werden viele Gründe vorgebracht,<br />
angefangen von hohen Grundstückspreisen<br />
bis zu mehr Platz in den attraktiven<br />
Innenstadtlagen. Aber ist der Bau<br />
von Hochhäusern noch zeitgemäß? Gibt<br />
es „gute“ Hochhäuser, die Nachhaltigkeitskriterien<br />
zufriedenstellend berücksich tigen?<br />
Davon überzeugt sind zumindest die<br />
zahlreichen Bauherren, die ein Holzhochhaus<br />
in Auftrag gegeben haben. Vor allem<br />
bei Wohnhochhäusern sind zahlreiche Projekte<br />
mit einem hohen Anteil an Holz in<br />
Planung und im Bau. Holz hat einen wahren<br />
Hochhaus-Boom, sogar ein Rennen um<br />
Höhenrekorde ausgelöst – wir stellen ei nige<br />
Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum<br />
vor (ab Seite 18).<br />
Aber es schmücken sich nicht nur Bau herren<br />
mit einem „ökologischen“ Projekt, auch die<br />
Banken geben gern ihr Geld. Denn es geht<br />
nicht zuletzt auch um den wirtschaftlichen<br />
Aspekt: „Gebäude aus Holz lassen sich –<br />
sofern ein schlüssiges Konzept dahintersteckt<br />
– besser von Banken finanzieren und<br />
letztlich auch besser vermarkten“, kommentiert<br />
der Berliner Architekt Eike Becker<br />
sein Holzhochhauskonzept.<br />
Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt<br />
am Main vergibt seit 2003 alle zwei<br />
Jahre den „Internationalen Hochhauspreis“.<br />
Der leitende Direktor, Peter Cachola<br />
Schmal, sieht im Hochhausbau auch<br />
keinen Anachronismus. Im Gegenteil, er<br />
meint, „die Notwendigkeit zu Hochhäusern<br />
steigt jedes Jahr mehr“.<br />
Gar nicht einverstanden mit dieser Haltung<br />
ist Christine Lemaitre von der DGNB – sie<br />
glaubt nicht an das Gute in Hochhäusern,<br />
bestreitet, dass es nicht um überbordenden<br />
Geltungsdrang geht, und bittet doch zu beachten,<br />
dass Ressourcenverschwendung<br />
nie richtig sein kann (ab Seite 14).<br />
Um also auf die Frage anfangs zurückzukommen:<br />
Ja, es gibt ressourcenschonende<br />
Hochhäuser. Das sind die Umbauten des<br />
Bestands, wofür es inzwischen einige hervorragende<br />
Beispiele gibt. Vorbildlich agieren<br />
hier etwa die Architekten Lacaton & Vassal<br />
mit ihrer Initiative, staatlich geförderte<br />
Wohnungen in Blocks aus den Sechzigerjahren<br />
zu erweitern und aufzuwerten. Ein<br />
weiteres, richtungsweisendes Beispiel stellen<br />
wir auf Seite 46 vor, den „Quay Quarter<br />
Tower“ in Sydney, der dieses Jahr den DAM-<br />
Hochhauspreis bekommen hat.<br />
Sabine Schneider<br />
s.schneider@baumeister.de<br />
@baumeister_architekturmagazin
Ideen<br />
Fragen<br />
Lösungen<br />
5<br />
Einführung:<br />
8<br />
Kluge Hochhäuser<br />
fürs<br />
21. Jahrhundert<br />
14<br />
„Liebe Bauschaffende,<br />
bitte<br />
seid ehrlich<br />
zu uns und euch<br />
selbst“<br />
18<br />
Holzhybridhochhäuser<br />
–<br />
die Zukunft?<br />
46<br />
Hochhausumbau<br />
in Sydney<br />
60<br />
Kulturhochhaus<br />
aus Holz<br />
in Skellefteå<br />
74<br />
Wohnhochhaus<br />
aus Holz<br />
in Amsterdam<br />
84<br />
Was ist der Reiz<br />
an den Bleistifthochhäusern<br />
?<br />
88<br />
Der Stärke<br />
der Geometrie<br />
vertrauen<br />
?<br />
RUBRIKEN<br />
44<br />
KLEINE WERKE<br />
58<br />
SONDERFÜHRUNG<br />
72<br />
UNTERWEGS<br />
102<br />
REFERENZ<br />
109<br />
I M P R E S S U M +<br />
VORSCHAU<br />
110<br />
PORTFOLIO: FASSADE<br />
114<br />
KOLUMNE<br />
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I<br />
.<br />
W E B S<br />
M E H R<br />
U N S E R E R<br />
94<br />
Fenstertechnik<br />
& Glas<br />
104<br />
Software<br />
Z U M<br />
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BAU<br />
MEISTER.<br />
DE<br />
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L E S E N<br />
Welch große Rolle Nachhaltigkeit<br />
bei Wohnbauten – nicht nur bei<br />
Wohnhochhäusern – spielt, dazu<br />
finden Sie mehr Beispiele auf unserer<br />
Webseite.
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Je größer und technisch aufwendiger<br />
ein Bauprojekt,<br />
desto schwieriger ist es, den<br />
ökologischen Fußabdruck<br />
klein zu halten. Dennoch kann<br />
eine moderne Industriegesellschaft<br />
nicht ohne großmaßstäbliche<br />
Architektur<br />
auskommen. Heutige Großstädte<br />
benötigen nicht zuletzt<br />
immer mehr Wohnraum.<br />
Der Weg in die Höhe ist deshalb<br />
vielerorts unumgänglich.<br />
Im deutschsprachigen<br />
Raum entstehen derzeit eine<br />
Reihe Hochhäuser mit einem<br />
hohen Anteil an Holz. Ist<br />
ein Holzhybrid-Hochhaus<br />
tatsächlich die nachhaltigere<br />
Lösung?<br />
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Einführung<br />
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nach-<br />
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Einführung<br />
Kluge<br />
Hochhäuser<br />
fürs<br />
21. Jahrhundert<br />
Text:<br />
Florian Heilmeyer<br />
Eine Hochhausfantasie von Álvaro Siza.<br />
Das Aedes-Architekturforum in Berlin feierte kürzlich<br />
90 Jahre Álvaro Siza mit der Ausstellung<br />
„Two Towers“, darin viele Skizzen wie diese hier.<br />
( 1 )
9<br />
Natürlich sind Hochhäuser keine Erfindung des<br />
20. Jahrhunderts. Schon lange vorher hatte die<br />
Menschheit hoch gestapelt, bei den Geschlech tertürmen<br />
in der Toskana etwa, die San Gimig nano<br />
mit seinen 72 Steinriesen rückblickend den<br />
Titel „Manhattan des Mittelalters“ eintrugen, oder<br />
im Südjemen, wo noch einmal 1.000 Jahre früher<br />
schon Neungeschosser aus Holz und Lehm<br />
errichtet wurden. Dennoch hat Bruno Flierl recht,<br />
wenn er in seinem Buch „100 Jahre Hochhäuser“*<br />
das 20. zum „Jahrhundert der Hoch häuser“<br />
erklärt. Denn erst die Erfindungen der Industrialisierung,<br />
allen voran der Fahrstuhl und der Stahlskelettbau,<br />
haben die Hochhäuser global<br />
salonfähig gemacht. So verbreiteten sie sich von<br />
Chicago über New York und London nach Moskau,<br />
Mailand und kamen schließlich auch in den<br />
Megastädten Asiens, des Nahen Ostens und Australiens<br />
an. In den heutigen Skylines von Schanghai,<br />
Singapur oder Sydney sind 200 Meter hohe<br />
Wolkenkratzer schon lange keine Aufreger mehr.<br />
Das Wolkenkratzerproblem<br />
Die Gründe für immer mehr Hochhäuser sind so<br />
unterschiedlich wie deren Standorte und Bauherrschaften.<br />
Wiederkehrende Argumente sind jedoch<br />
– heute wie vor 100 Jahren übrigens – die<br />
astronomischen Bodenpreise in den Innenstädten<br />
und – erst neuerdings, seit zu den Büro- immer<br />
mehr Wohnhochhäuser treten – die Frage nach<br />
ausreichendem Wohnraum für eine weiter wachsende<br />
Weltbevölkerung. So beschreibt der<br />
Architekt David Greusel in seinem Essay „The<br />
Skyscraper Problem“ die Wolkenkratzer auch für<br />
das 21. Jahrhundert als „wohl unvermeidlich“.<br />
Im Grunde seien sie einfach „ein dreidimensionales<br />
Balkendiagramm der Immobilienwerte“:<br />
Auf steigende Bodenpreise folgen steigende Gebäudehöhen,<br />
so wie der Tag auf die Nacht folgt.<br />
Dank diesem balkendiagrammhaften „Manhattan-ismus“,<br />
so Greusel, könne man in jeder<br />
Stadt sofort eindeutig erkennen, wo das Zentrum<br />
liegt. Allerdings: Die wahnsinnigen 828 Meter<br />
des „Burj Khalifa“ in Dubai zum Beispiel sind<br />
weder relational aus den Bodenpreisen noch rational<br />
aus dem Bevölkerungswachstum heraus<br />
zu rechtfertigen. Sie speisen sich alleine aus dem<br />
Rekordfieber und der Großmannssucht, die den<br />
Hochhausbau seit seinen Anfängen begleitet<br />
haben. Schon im Hochmittelalter waren in mehreren<br />
toskanischen Metropolen die Geschlechtertürme<br />
kollabiert, weil man die Konkurrenz um<br />
ein paar Zentimeter übertrumpfen wollte. Zwar<br />
sind wir im 20. Jahrhundert von solchen Baukatastrophen<br />
weitgehend verschont geblieben. Die<br />
Rekordjagd aber geht munter weiter: Kaum hatte<br />
Prinz al-Waleed bin Talal in Saudi-Arabien angekündigt,<br />
mit seinem „Kingdom Tower“ den Burj<br />
Khalifa noch um einige hundert Meter übertreffen<br />
zu wollen (wie hoch genau, hatte er nicht<br />
angekündigt), da engagierte man in Dubai<br />
schon Santiago Calatrava, um mit dem „Dubai<br />
Creek Tower“ ein Hochhaus von 1,4 Kilometern<br />
Höhe zu präsentieren. Als allerdings 2018<br />
nach einer erfolgreichen Korruptionsklage<br />
gegen den saudischen Prinzen die Bauarbeiten<br />
am Kingdom Tower eingestellt wurden, da stellte<br />
man auch die Ar beiten in Dubai wieder ein.<br />
So bleiben von einem vorerst nur die Fundamente,<br />
vom anderen ragt lediglich ein 63-geschossiger<br />
Stumpf in die Höhe wie eine hypermoderne<br />
Version des Turmbaus zu Babel. Offiziell wurden<br />
beide Projekte aber nie beendet; sie gelten<br />
als „pausiert“. Man lauert. Wenn der Nachbar<br />
wieder anfängt, könnte man jederzeit nachlegen.<br />
Gute Hochhäuser, schlechte Hochhäuser<br />
Dass ein solches Hochhausverhalten nicht besonders<br />
vernünftig erscheint, muss umgekehrt nicht<br />
heißen, dass aller Hochhausbau per se unvernünftig<br />
ist. Das findet auch Peter Cachola Schmal,<br />
seit 2006 leitender Direktor des Deutschen Architekturmuseums<br />
in Frankfurt am Main. Seit 2003<br />
vergibt das Museum alle zwei Jahre den „Internationalen<br />
Hochhaus-Preis“. Schmal sieht im<br />
Hochhausbau auch keinen Anachronismus. Im<br />
Gegenteil: „Die Notwendigkeit zu Hochhäusern<br />
steigt jedes Jahr mehr.“ Was aber ist dann ein<br />
„gutes“ Hochhaus – oder sogar „das beste“?<br />
Schmal schildert, wie sich die Diskussionen in der<br />
immer neu besetzten, internationalen Jury<br />
über die Jahre verändert haben: Am Anfang sei<br />
der Blick stark auf die USA und Europa gegangen,<br />
aber schon seit Beginn der 2010er-Jahre kommt<br />
die Mehrzahl der Nominierten aus Asien und<br />
Australien. Auch hätten am Anfang formale und<br />
konstruktive Belange stärker im Vordergrund<br />
gestanden, sie seien inzwischen aber von sozialen<br />
und ökologischen Aspekten abgelöst worden.<br />
Insbesondere mit dem Aufkommen von mehr<br />
Wohn- und mischgenutzten Hochhäusern treten<br />
Fragen in den Vordergrund wie: Was tut das<br />
Hochhaus für die Stadt? Wird es ein „guter Nachbar“<br />
sein? In welchem Kontext steht es, wie<br />
verhält sich sein Sockel zur Umgebung, an welche<br />
Nutzer richtet es sich? Insofern spiegelten die<br />
Preisvergaben durch die Jury-Diskussionen auch<br />
den Zeitgeist und wie sich der allgemeine Blick<br />
auf Hochhäuser verändert hat: 2012 Ingenhovens<br />
„1 Bligh Street“ in Sydney, dann „The Met“ in Bangkok<br />
von WOHA 2010 und der „Bosco Verticale“<br />
von Stefano Boeri in Mailand 2014, beides intensiv<br />
WEITER
vertikal<br />
( A )<br />
( F )<br />
( A ) Projekt „Namu“ in Offenbach<br />
( B ) Projekt „Carl“ in Pforzheim<br />
( C ) Projekt „Hohes Haus“ in Tübingen<br />
( D ) Projekt „Roots“ in Hamburg<br />
( E ) Projekt „Zwhatt H1“ bei Zürich<br />
( F ) Projekt „UmweltBank“ in Nürnberg<br />
( G ) Projekt „WoHo“ in Berlin-Kreuzberg<br />
( H ) Projekt Holzhochhaus „Pi“ in Zug<br />
( B )<br />
( G )
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19Holz<br />
( D )<br />
( E )<br />
( C )<br />
( H )<br />
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in
20 Ideen<br />
B A U H E R R :<br />
Walker & Walker<br />
A R C H I T E K T E N :<br />
Eike Becker Architekten<br />
( A )<br />
T R A G W E R K S P L A N E R :<br />
Hartwich Bernhardt<br />
Ingenieure GmbH<br />
B A U W E I S E :<br />
Holzhybrid-Bauweise<br />
bzw. Holzhybrid-<br />
Skelettbauweise<br />
N U T Z U N G :<br />
vorwiegend Büronutzung,<br />
im Erdgeschoss auch Gewerbe<br />
und Gastronomie. In den<br />
unteren Geschossen wird es<br />
voraussichtlich auch Kinderbetreuung<br />
und eine Fitnesseinrichtung<br />
geben.<br />
Ein Highlight soll zudem die<br />
geplante Skybar werden,<br />
angeschlossen an eine öffentlich<br />
zugängliche Aussichtsterrasse<br />
mit Blick auf die Frankfurter<br />
Skyline<br />
A N Z A H L D E R S T O C K W E R K E :<br />
32 Geschosse oberirdisch,<br />
etwa 120 Meter<br />
V O R A U S S I C H T L I C H E<br />
FERTIGSTELLUNG:<br />
2027<br />
S T A N D O R T :<br />
Nordring 150,<br />
Offenbach am Main<br />
„Namu“<br />
in Offenbach
21<br />
BAUMEISTER: Warum haben Sie sich für eine Holzhybrid-Konstruktion<br />
entschieden?<br />
EIKE BECKER ARCHITEKTEN: Das übergeordnete<br />
Ziel von Namu ist die substanzielle Reduktion von<br />
CO2-Emissionen während der Produktion, des Baus<br />
und des Betriebs des Gebäudes. Mit dem Einsatz<br />
des Werkstoffs Holz gelingt, dass bereits vor Baubeginn<br />
viele Tonnen CO2 aus der Luft gefiltert und<br />
gespeichert werden. Damit reagieren wir auf die<br />
Erfordernisse unserer Zeit – Verdichtung trifft auf<br />
Nachhaltigkeit – und verbinden in der Hybrid-<br />
Konstruktion erprobte Herangehensweisen mit<br />
progressiven, innovativen Ideen. Das schafft (Planungs-)Sicherheit<br />
auf der einen Seite und statuiert<br />
auf der anderen ein Exempel: Wandel ist möglich!<br />
Gleichzeitig steckt auch ein wirtschaftlicher Gedanke<br />
dahinter, denn Gebäude aus Holz lassen<br />
sich – sofern ein schlüssiges Konzept dahintersteckt<br />
– besser von Banken finanzieren und letztlich<br />
auch besser vermarkten.<br />
B: Wie steht es um den Brand- und Lärmschutz?<br />
EBA: Der Brandschutz und auch der Schallschutz<br />
wurden bereits in den frühen Phasen der Planung<br />
intensiv diskutiert. Bei einem so großen Gebäude<br />
spielen genau diese Themen beim Holzhybrid-Bau<br />
eine entscheidende Rolle. Die Aufzugskerne, Treppenhäuser<br />
und Schächte werden wegen des<br />
Brandschutzes in Stahlbeton ausgeführt und die<br />
Geschossdecken wegen des Brandschutzes sowie<br />
des Schallschutzes als dünne Stahlbetondecken<br />
konstruiert.<br />
Im Vergleich zu einem üblichen Stahlbetongebäude<br />
können wir bis zu 30 Prozent Eigenlasten einsparen;<br />
dies führt zu einer Gesamteinsparung von<br />
50 Prozent CO2.<br />
B: Woher kommt das Holz?<br />
EBA: In der Regel aus einem Umkreis von etwa<br />
500 Kilometern, zum Beispiel aus Deutschland<br />
oder Österreich, und damit aus nachhaltiger Forstwirtschaft.<br />
Der Auftrag ist in diesem Fall aber noch<br />
nicht vergeben.<br />
B: Wird das Holz im Inneren sichtbar sein?<br />
EBA: Die Decken und Stützen aus Holz sind für die<br />
Nutzer sichtbar und sorgen dort für Behaglichkeit<br />
und das Gefühl einer natürlichen Umgebung. Statt<br />
Tapetenleim, Wandfarbe oder Putz, die allesamt<br />
oft mit der Abgabe von unnatürlichen und möglicherweise<br />
gesundheitsbedenklichen Dämpfen<br />
einhergehen, ist Holz für die Nutzer des Gebäudes<br />
absolut unbedenklich.<br />
Außerdem spannend: Außen wird das Holz nicht<br />
sichtbar sein. Die Funktionalität der Gebäudehülle<br />
wird in diesem Falle der Holz-Ästhetik vorangestellt.<br />
Mit der Fassade lässt sich Sonnenenergie<br />
einfangen, was die CO2-Neutralität des Gebäudes<br />
unterstützt. Zudem besteht die Fassade zu großen<br />
Teilen aus öffenbaren, vorgehängten Elementen,<br />
dank derer sich eine mechanische, natürliche Belüftung<br />
realisieren lässt.<br />
M 1:500<br />
Regelgrundriss 6. bis 12. Obergeschoss
vertikal<br />
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in Ams-Ideen<br />
Attraktive Lage am „Stadshaven“: Der Turm mit<br />
52 Wohnungen füllt den dreieckigen Grund direkt an der<br />
Amstel ganz aus.<br />
terdam<br />
75
Ideen<br />
Beton,<br />
S t a h l –<br />
und Holz<br />
Architekten:<br />
Team V Architecture<br />
Text:<br />
Klaus Englert<br />
Fotos:<br />
Jannes Linders<br />
32 Städte in der Metropolregion Amsterdam<br />
haben 2021 den „Green Deal Timber<br />
Construction“ unterzeichnet. Damit wurde das<br />
Ziel ausgegeben, künftig 20 Prozent aller<br />
Wohnungsneubauten in Holzbauweise<br />
auszuführen. Neuester Zugang direkt an der<br />
Amstel ist das Wohnhochhaus „Haut“<br />
von Team V.
77<br />
Als die Amsterdamer vor 25 Jahren in den östlichen<br />
Hafengebieten damit begannen, die Piere<br />
zu bebauen, künstliche Inseln und ganze Archipele<br />
in der Wasserstraße des Ij anzulegen, um neue<br />
Wohnräume auf dem Wasser zu erobern, sprach<br />
man von der „Neuerfindung der Waterstad“. Wenige<br />
Jahre später folgte dann die Besiedlung des<br />
westlich vom Hauptbahnhof gelegenen „Houthaven“<br />
und des „Silodam“ mit dem spektakulärfarbigen<br />
Wohncontainer von MVRDV. Der nächste<br />
Streich bestand dann im Abbau des industriellen<br />
Shell-Areals auf der gegenüberliegenden Seite<br />
des Ij-Kanals. Betroffen war das gesamte nördliche<br />
Ufer von der NDSM-Werft bis zum neuen EYE-<br />
Filmmuseum von Delugan Meissl (<strong>Baumeister</strong><br />
5/2012), das als Hingucker vor elf Jahren den städtebaulichen<br />
Transformationsprozess einleitete. Die<br />
Stadtverwaltung stellte sich die anspruchsvolle<br />
Aufgabe, das kontaminierte Shell-Areal in eine<br />
„Post oil city“ zu verwandeln.<br />
Auf diese Weise entstanden in den letzten Jahren<br />
einige wegweisende Projekte am Johan van<br />
Hasseltkanaal: zunächst die schwimmenden Häuser<br />
von Schoonschip, die das Team von Space &<br />
Matter zur nachhaltigsten Wohninsel Europas<br />
transformierte. Nur wenig später folgte hundert<br />
Meter westlich das zwölfgeschossige, mehrfach<br />
ausgezeichnete Wohnhochhaus „Stories“, ein<br />
Holzhybrid-Gebäude von Olaf Gipser Architects<br />
aus CLT-Brettsperrholz (<strong>Baumeister</strong> 8/2022). Im<br />
Oktober 2021 wurde in diesem gerade fertig<br />
gestellten Wohnturm der „Green Deal Timber Construction“<br />
unterzeichnet, der 32 Städte in der<br />
Metropolregion Amsterdam dazu motivieren soll,<br />
künftig 20 Prozent aller Wohnungsneubauten in<br />
Holzbauweise durchzuführen. Die Unterzeichner<br />
waren sich bewusst, dass durch Klimawandel, Rohstoffverknappung<br />
und Wohnraummangel der<br />
nachwachsende Baustoff Holz zusehends wichtiger<br />
wird, da er die immensen, durch den Bausektor<br />
produzierten Schadstoffemissionen auszugleichen<br />
hilft.<br />
Mit Olaf Gipsers Wohnblock konnte man vorab die<br />
ersten Erfolge begutachten: „Urban gardening“<br />
auf den Dachterrassen und begrünte Fassaden,<br />
die im Stadtraum ein vielversprechendes ökologisches<br />
Potenzial bieten. Die Holzbauweise ermöglichte<br />
modulare, einfach rückbaubare Konstruktionssysteme;<br />
es entstand ein „offenes Gebäude“,<br />
das nicht nur Bereiche mit gemischter Nutzung<br />
zulässt, sondern auch den Weg für programmatische<br />
Veränderungen frei macht. Deswegen stellt<br />
der Block das traditionelle Bild von reinen Wohnoder<br />
Bürogebäuden in Frage. Zahlreiche Gemeinschaftsbereiche<br />
mit Küche, Fitnessraum und Sauna,<br />
mit landwirtschaftlicher Eigenversorgung, Büroräume<br />
und Café unterstreichen diesen Anspruch.<br />
Hoch in Holz<br />
am Amstel-Ufer<br />
Nun ist ein überzeugendes Projekt des „Green Deal<br />
Timber Construction“ außerhalb der historischen<br />
Amsterdamer Innenstadt entstanden, in der die<br />
Errichtung von Hochbauten eigentlich untersagt<br />
ist. Den 45 Meter hohen Stories am nördlichen Ij-<br />
Kanal folgte jetzt „Haut“, ein 75 Meter hoher Wohnturm<br />
in Amsterdams Südosten, angrenzend ans<br />
traditionelle Amsteldorp. Er liegt direkt am Amstel-<br />
Ufer und lässt jeden Niederländer an das von den<br />
Architekten Team V und dem Projektentwickler<br />
Lingotto intendierte Wortspiel denken: Während<br />
das französische „haut“ auf den Hochbau und den<br />
qualitativen Anspruch anspielt, steht das niederländische<br />
„hout“ für Holz. Mit der manifesten und<br />
assoziierten Wortbedeutung orientiert sich der<br />
21-geschossige Wohnturm an den kommunalen<br />
Zielen, im Bausektor vermehrt auf Nachhaltigkeit<br />
und Qualität zu achten.<br />
Team V und seiner Direktorin Do Janne Vermeulen,<br />
die früher bei UNStudio und Meyer en Van Schooten<br />
gearbeitet hat, ist es gelungen, in einem architektonisch<br />
wenig bedeutsamen Stadtviertel, das von<br />
verkehrsreichen Straßen und Bahnlinien durchzogen<br />
wird, ein skulptural geformtes Ausrufezeichen<br />
hochzuziehen. Unmittelbar am kleinen<br />
Stadshaven errichteten sie den das gesamte Umfeld<br />
überragenden Wohnturm auf dreieckigem<br />
Grundriss, mit markanten Vor- und Rücksprüngen.<br />
Haut ist energetisch autark, beispielsweise durch<br />
intelligent in die Fassade integrierte Solarpaneele,<br />
und wurde durch BREEAM ausgezeichnet, das die<br />
Nachhaltigkeit von Gebäuden bewertet.<br />
Haut gibt seinem Namen alle Ehre, denn der Wohnturm<br />
überragt zwar im wörtlichen Sinne, anders als<br />
der von Olaf Gipser, sämtliche Nachbargebäude,<br />
dennoch sind die Anleihen beim Vorgängerbau<br />
kaum zu übersehen. Do Janne Vermeulen hebt<br />
zwar die Einzigartigkeit der Holzhybrid-Konstruktion<br />
hervor, dennoch bleibt Stories als Modell<br />
erkennbar – ebenso wie auch LaCols Holzhybrid<br />
„La Balma“, ein Baugenossenschaftsprojekt in<br />
Barcelona-Eixample, das ganz ähnliche Konstruktionsmerkmale<br />
aufweist.<br />
Olaf Gipser sagt zwar mittlerweile, dass er heute<br />
seinen Wohnturm in Amsterdam-Noord komplett<br />
aus Holz bauen würde. Dennoch liegt der Betonanteil<br />
bei der Tragkonstruktion bei 75 Prozent. Das<br />
ist bei dem Wohnhochhaus an der Amstel nicht viel<br />
anders. Die niederländischen Wetterverhältnisse<br />
lassen nämlich schwerlich einen reinen Holzbau<br />
zu. Auch der Betonanteil von Haut ist vergleichsweise<br />
hoch, denn Sockelgeschoss und Kern wurden<br />
selbstverständlich ganz traditionell in Beton<br />
ausgeführt. Es kommt hinzu, dass Hunderte Beton-<br />
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