FRANKREICH HEUTE Preis 76 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2023</strong>
Novellen-Preis der Armada de Rouen Im Rahmen des weltweit bedeutendsten Treffens großer Segelschiffe, der Armada de Rouen, schrieben die Veranstalter in diesem Jahr erstmals einen Novellen-Wettbewerb aus. Als Paten konnten sie mit Michel Bussi einen der bekanntesten französischen Schriftsteller unserer Zeit gewinnen. Dieser hatte die ersten Zeilen einer Novelle verfasst, die Teilnehmer waren aufgefordert, sich eine Fortsetzung auszudenken. Unter den 200 Texten, die in der Kategorie Libre – offen für alle Menschen ab 18 Jahren – eingereicht wurden, ging die Novelle von Jérôme Pin-Simonet mit dem Titel Je meurs de ma petite sœur (Ich sterbe vor Sehnsucht nach meiner kleinen Schwester) als Sieger hervor. Laut Michel Bussi handelt es sich dabei um einen « Krimi, bei dem sich Action und Emotionen schön abwechseln » und der die Jury beeindruckte. Wie wir Ihnen in unserem Artikel in der letzten Ausgabe (Armada de Rouen <strong>2023</strong>: Treffpunkt der größten Segelschiffe der Welt, Frankreich erleben <strong>Nr</strong>. 87) versprochen haben, präsentieren wir Ihnen die ungekürzte Gewinner-Novelle in der deutschen Übersetzung von Sabine Schmitt. Der von Michel Bussi verfasste Anfang der Geschichte: Ich hatte beschlossen, früh zu kommen, so früh wie möglich. In Rouen war noch alles ruhig. Nach dem Fest gestern Abend war es in der Stadt stiller als gewöhnlich: Es war der erste Tag der Armada gewesen! Als ich die Quais erreichte, waren gerade die ersten Sonnenstrahlen zu sehen. Der morgendliche Wind ließ die Segelschiffe sanft auf dem Wasser wiegen, die Seine glitzerte, die wie Soldaten aufgereihten beflaggten Masten schüchterten mich ein. Aber ich musste weiter. Schließlich hatte ich eine Verabredung. Eine Verabredung, die vielleicht mein Leben verändern würde. Ich war etwa 50 Meter weit auf dem verlassenen Quai in Richtung der Pont Flaubert gelaufen, als ich hinter mir eine menschliche Präsenz spürte. « Guten Tag … » Und die von Jérôme Pin-Simonet ausgedachte Fortsetzung: Ich drehte mich um. Erschrocken machte der Mann einen Schritt zurück, als habe er ein Phantom gesehen. « Entschuldigen Sie », stammelte er. « Ich war nicht darauf gefasst, dass Sie ihr so ähnlich sehen. Unglaublich! Als ich Sie gesehen habe, dachte ich, sie sei es. Pardon. » « Kein Problem, das bin ich gewöhnt. Nebenbei bemerkt, woher wissen Sie, ob ich nicht sie bin? », antwortete ich mit etwas zu schriller Stimme. Ich biss mir auf die Lippe und stieß dann das kleine Glucksen aus, wie üblich nach diesen kleinen Späßchen. Jahrelang hatte ich immer dann, wenn man mich mit meiner Zwillingsschwester verwechselte, diese Antwort parat gehabt. Doch nun musste ich sie vergessen. Ich musste sie tief in mir vergraben, zusammen mit allen Erinnerungen an meine verstorbene Schwester. Oft vergesse ich, dass Hermine tot ist. Jeden Morgen wache ich auf, füttere Biscuit, den Kater, den sie zurückgelassen hat, und während ich meinen Kaffee zubereite, frage ich mich, wo sie momentan ist. Ich beobachte die Wassertropfen, die nacheinander in die Kaffeekanne tropfen: Was macht sie jetzt, zu diesem Zeitpunkt? Über welches Meer segelt sie gerade? Schrubbt sie auf den Antillen in der Mittagssonne die Brücke des Segelschiffes? Oder schläft sie inmitten aller anderen Schiffsjungen, während das Licht des Vollmonds den Pazifischen Ozean zum Glitzern bringt? Und dann fällt mir alles wieder ein: der Unfall, der unverständliche Anruf von einem Satellitentelefon aus, der seltsame Bericht des Kapitäns. Seither durchfährt es mich jeden Morgen blitzartig: Meine Schwester ist tot. Für immer. Wenn alles aufgeklärt ist, wenn ich weiß, was passiert ist, werde ich mich nicht mehr beim Aufwachen fragen, was meine Zwillingsschwester gerade tut. Ich glaube, den Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2023</strong> · 77
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