Nr. 88 - Herbst 2023

ART DE VIVRE Porträt
kann man nicht alles auf eine rein « technische »
Analyse des Weines reduzieren. Darüber hinaus
gibt es die « unbekannte » subjektive
Seite, den persönlichen Geschmack, die
persönlichen Erfahrungen, Vorstellungen
und Erwartungen jedes Testers, die
ebenfalls einen wichtigen Teil zu seiner
Qualitätsbestimmung beitragen.
Wer kann sich folglich im Rahmen
eines Wettbewerbs als « Experte »
in Sachen Geschmack betrachten?
Diskussionen darüber sind legitim.
Einige Organisatoren haben das
Problem verstanden und nehmen sowohl
Fachleute als auch « simple » Weinliebhaber
und -kenner in die Jury auf. Dennoch ist und
bleibt es schwierig, dabei ein Gleichgewicht
herzustellen, zumal auch in dieser Beziehung
die Auswahl einen sehr persönlichen Charakter
haben kann. Im Grunde genommen
muss man das Prinzip des « Wettbewerbs » als
solches infrage stellen …
Ein überholter
rechtlicher Rahmen
Zweifel am Prinzip des
Wettbewerbs
Im Verlauf unserer Recherchen sind wir auf einen
weiteren Punkt im Zusammenhang mit der Medaillenvergabe
für Weine gestoßen, der ziemlich undurchsichtig ist:
die Zusammensetzung der Jury und die Kriterien für deren
Selektion. Zwar kann man den renommiertesten unter
ihnen – IWC und Concours Général Agricole – eine gewisse
Seriosität zusprechen, doch selbst diese müssen sich
Kritik gefallen lassen. Jedermann weiß schließlich, dass
es keine objektive Methode gibt, um die Qualität eines
Weines eindeutig zu bestimmen. Aus önologischer Sicht
Was den rechtlichen Rahmen für die Medaillenvergabe
an Weine angeht, so gibt es in Frankreich – das Land
ist « Weltmeister » bei Regelungen aller Art – die Verordnung
vom 13. Februar 2013, deren Titel bereits von
einer gewissen Komplexität zeugt, da sie « die Aufnahmebedingungen
für französische Weinwettbewerbe in die
Liste der französischen Weinwettbewerbe, deren Medaillen
auf den Etiketten in Frankreich produzierter Weine
angebracht werden dürfen », festlegt. Dieser Gesetzestext
reglementiert derartige Wettbewerbe mit dem Ziel, die
Konsumenten vor einer zu werbewirksamen Nutzung
glänzender Sticker zu schützen, die prestigeträchtige
Auszeichnungen vorgaukeln. Angesichts der Häufung
von Wettbewerben mit einer teilweise sehr « dürftigen »,
wenngleich sehr « kommerziellen » Organisation, die weit
davon entfernt sind, die Arbeit des Winzers wirklich
hervorzuheben, erstaunt es nicht, dass offensichtlich die
Weinproduzenten selbst diese gesetzliche Regelung als
überholt einstufen. Zahlreiche Fachverbände der Weinbranche
und Konsumentenvereinigungen haben die Regierung
inzwischen bereits aufgefordert, den gesetzlichen
Rahmen für solche Auszeichnungen neu zu überdenken.
In der Zwischenzeit liegt es an uns, den Konsumenten,
uns nicht von glänzenden Aufklebern, die vielversprechende,
außergewöhnliche Weine vorgaukeln, blenden zu
lassen. Und nicht zu vergessen, dass es niemals das Etikett
ist, das die Qualität eines Weines ausmacht. Legen
wir also auch Flaschen ohne eine besondere Prämierung
in unseren Einkaufswagen, sei es auch nur, um ihnen
ebenfalls eine Chance zu geben!
74 · Frankreich erleben · Herbst 2023