Nr. 88 - Herbst 2023

man mich kontaktiert, um meine
Weine bei einem Wettbewerb
einzureichen », haben wir oft gehört.
Ob per Mail, per Telefon oder direkt
durch einen Besuch auf dem Weingut:
In diesem Bereich hat sich ein regelrechtes
Gewerbe entwickelt. Die Verkaufstechniken
können dabei zum Teil erstaunen: Angebote, die
das Prinzip eines solchen Wettbewerbs aufgreifen,
ohne wirklich einer zu sein, zeugen vom grenzenlosen
Einfallsreichtum der Ausrichter. Beispielsweise
wenn der « Herausgeber eines berühmten Weinführers
» anbietet, den Wein eines Winzers als « einen der
besten verkosteten Weine » zu referenzieren. Selbstverständlich
obliegt es dann dem Winzer, auf seine Kosten
Musterflaschen einzusenden, möglicherweise Gebühren
zu zahlen und « wenn er es wünscht » (wozu er fraglos
ermuntert wird) mehrere Exemplare des Weinführers zu
kaufen, die er dann an seine Kunden verschenken kann,
um zu zeigen, dass sein Wein darin selektiert wurde.
Solche skrupellosen Praktiken haben selbstverständlich
nichts mit denen seriöser Restaurantführer zu tun, deren
Inspektoren die Restaurants inkognito testen.
(Fast) immer eine Auszeichnung!
Nachdem nun also feststeht, dass es solche Wettbewerbe
gibt und dass diese sich in den vergangenen
Jahren mehr und mehr häufen, stellt sich die Frage, wie
sie ablaufen. Und auch in diesem Punkt wird klar, dass
es nicht sehr viele Untersuchungen gibt. Es scheint so,
als gäbe es darüber nichts Besonderes zu sagen. Sogar
die französische Presse tut sich anscheinend mit diesem
Thema schwer. Ist das aber wirklich so erstaunlich, wenn
man bedenkt, dass die Weinbranche neben der Automobilbranche
einer der wichtigen Werbetreibenden in nationalen
Medien ist? Das Wochenmagazin Le Point ist in
dieser Beziehung eine Ausnahme, denn es prescht mutig
vor: Immer wieder werden darin Zweifel über den Sinn
dieser oder jener Medaille geäußert. 2020 veröffentlichte
die Zeitung unter anderem die Gedanken von Professor
Fabrizio Bucella, einem Weinspezialisten und Autor zahlreicher
Werke über Wein. Dieser war auf die Idee gekommen,
sich einmal die Erfolgsquoten der diversen Wettbewerbe
anzusehen. Im Rahmen seiner Studie hielt er zum
Beispiel fest, dass 2020 im Rahmen der International Wine
Challenge bei 11000 Teilnehmern, 6704 Plaketten vergeben
wurden, was einer Erfolgsquote von 60 % entspricht.
« Stellen Sie sich einen olympischen Wettkampf vor, bei
dem die Leistung der besten Athleten ausgezeichnet wird.
Es wäre seltsam, sechs von zehn Sportlern eine Medaille
zu verleihen. Wie meine Studenten sagen, liegt die wahre
Leistung darin, keine Medaille zu bekommen », ist das Fazit,
das der Professor nicht ohne eine Prise Humor zieht.
Um seine instruktiven Ausführungen dann fortzusetzen:
« Mit der Statistik für die IWC kann man berechnen,
wie viele verschiedene Weine man einreichen muss, um
mindestens eine Medaille zu erhalten. Diese Berechnung
stellt jeder seriöse Betrieb an, der sich an solchen Wettbewerben
beteiligt. Die Wahrscheinlichkeit ist eindeutig so,
dass Sie mit drei eingereichten Weinen eine Chance von
93,6 % haben, mindestens eine Auszeichnung zu erhalten.
Bei vier Weinen steigt dieser Prozentsatz auf 97,4 %. » Vor
diesem Hintergrund kann man den Wert dieser Medaillen
bereits eindeutig relativieren.
Frankreich erleben · Herbst 2023 · 73