Nr. 88 - Herbst 2023

Die Gebäude und der Garten werden heute von ehrenamtlichen Helfern instand gehalten.
wie die Steintreppe über die
sie und die anderen kleinen
Waisenkinder immer in den
Chor der Kirche hinabstiegen.
Ein Rest des Rätsels bleibt
Die Angelegenheit
scheint also klar: Die junge
Gabri elle, die im Alter von
12 Jahren ihre Mutter verloren
hatte, wurde von ihrem
Vater ins Waisenhaus nach
Au bazine gebracht, wo sie
sechs Jahre lebte. Das war
lange genug, um das Mädchen
zu prägen und ihr eine
erhebliche Anzahl an Inspirationen
für ihre späteren
Kreationen zu liefern. Diese
Geschichte wurde von allen
Biografen Coco Chanels
Aubazine oder Aubazines?
Die Mysterien der französischen
Rechtschreibung
Lassen Sie sich nicht davon verwirren,
wenn Sie Aubazine auf bestimmten
Verwaltungsdokumenten, Karten oder im
GPS mit einem « s » am Ende geschrieben
sehen. Seit etwa 15 Jahren lautet die
offizielle Schreibweise der Verwaltung in
der Tat « Aubazines ». Warum das so ist,
weiß niemand im Dorf so genau, man
spricht sogar mit einer Prise Humor davon,
dass « möglicherweise ein Schreibfehler »
dafür verantwortlich sei. Seitdem gibt es
beide Schreibweisen, und jeder kann die
wählen, die ihm besser gefällt. Im Grunde
genommen ist das jedoch nichts Neues
für das Dorf, das ursprünglich « Obazine »
hieß, was im Laufe der Jahrhunderte in
« Aubazine » geändert wurde. Man sagt, es
sei ein geschickter Schachzug gewesen, um
in den Listen der Verwaltung ganz oben zu
rangieren …
übernommen. Allerdings hat die Betroffene selbst sie zu
Lebzeiten niemals bestätigt. Aber auch nicht entkräftet.
Es gibt jedoch keine schriftlichen Dokumente, die den
Sachverhalt unterstützen. Schwierig also, Wahrheit und
Legende auseinanderzuhalten.
2016 widmete der versierte Genealoge
Henri Pochon diesem
Umstand ein fesselndes Buch
(L’enfance de Chanel, enquête et
découvertes, Éditions Bleu Autour,
208 Seiten, 16 €, ISBN 978-
2358480789). Darin widerlegt er
die offizielle Version und behauptet,
dass Gabrielle Chanel sich
niemals in Aubazine aufgehalten
habe. Laut einer Volkszählung aus
dem Jahr 1896 lebte die damals
13-Jährige als Kindermädchen bei
Verwandten, die in Thiers, einer
Arbeiterstadt im Departement
Puy-de-Dôme, eine Wäscherei
betrieben. Es ist nachvollziehbar,
dass Gabrielle Chanel, sollte diese
Version stimmen, es angesichts
ihres unglaublichen Lebensweges
vorzog, sich eine andere Kindheit
zu erfinden … Ein Rest des Rätsels
bleibt also. Aber im Grunde ist das gut so! Auch das trägt
zum Charme der Besichtigung der Abbaye d‘Aubazine
bei, wo das Vitrail Chanel in Zukunft weiterhin von sich
reden machen wird …
46 · Frankreich erleben · Herbst 2023