Nr. 88 - Herbst 2023

Abgesehen von einem Besuch der Zisterzienserabtei aus dem 12. Jahrhundert
sind bei einem Besuch in Aubazine auch ein Bummel durch die malerischen
Gassen und ein Spaziergang am Canal des Moines lohnenswert.
An diesem frühen Nachmittag warten mehreren
Dutzend Besucher auf dem hübschen Dorfplatz
vor dem Eingang der Abbaye d‘Aubazine, doch
eine Frau sticht etwas heraus. Es ist eine elegante Frau.
Sehr elegant sogar. Vor wenigen Augenblicken sah man sie
aus einem vornehmen Auto mit Pariser Kennzeichen aussteigen.
Durch ihre Art zu gehen, fiel sie sofort auf. Als
sich die Eingangstür der Abtei öffnet, betritt sie wie alle
anderen das kühle Gebäude und begibt sich zur Kasse, um
ein Ticket für die nächste Führung zu kaufen. Ich stehe
neben ihr und bin gerade im Begriff mein eigenes Ticket
zu bezahlen, als ich sie beinahe schüchtern fragen höre:
« Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir sagen, ob man
während der Besichtigung das ‹Chanel-Fenster› sieht? » In
einer Zisterzienserabtei kann eine solche Frage – die im
Übrigen mit einem breiten Lächeln bejaht wurde – durchaus
seltsam erscheinen. Jedoch nicht in Aubazine. Lassen
Sie mich Ihnen erzählen, warum. Aber zunächst sehen wir
uns den Ursprung dieses bemerkenswerten Dorfes an.
Ein geschätzter Einsiedler namens Étienne
Alles begann Anfang des 12. Jahrhunderts, als ein
Priester namens Étienne beschloss, sich in dem riesigen,
undurchdringlichen Wald niederzulassen und ein Leben
als Einsiedler zu führen. Zu seinem Unglück (oder auch
nicht) wurde sein Wunsch nach einem einsamen Leben
bald durch den Ruf zunichtegemacht, den man Menschen
wie ihm damals zuschrieb: Wenn man im Mittelalter
nämlich das Glück hatte, in einem Wald auf einen Eremi-
Frankreich erleben · Herbst 2023 · 39