Wohin der Weg uns führt

07.08.2023 Aufrufe

Wohin der Weg uns führt Der Autor Ich wurde 1953 in Zürich geboren. Mein Vater war ein Schweizer und meine Mutter eine Finnin - mein Vorname, der genau Hans bedeutet, weist darauf hin -, aber ich bin nach ihrer frühen Scheidung abseits von ihnen an verschiedenen Orten der Kantone Zürich und Appenzell aufgewachsen. Den Familiennamen Stump habe ich von einem nordbadischen Urgrossvater, der irgendwann zwischen 1870 und 1885 in die Schweiz eingewandert und in Zürich hängen geblieben ist. Bisher habe ich schon fast zwanzig Bücher veröffentlicht, vor allem Sprachlehrbücher. Zum Inhalt des Romans Hans Stettler, 32-jährig, hat eigentlich alles, was er braucht: Ein gutes Elternhaus, gute Geschwister und einen guten Arbeitsplatz, und zudem ist er ein angesehenes Mitglied in einem Fussballverein. Nur eines fehlt ihm noch: Eine liebe Frau, die gut zu ihm passt. Eines Tages lernt er durch Kontakte zu Leuten, die sich als gläubige Christen bezeichnen, eine solche Frau kennen, zu der er sich sofort hingezogen fühlt. Allerdings gehört auch sie zu diesen Christen - und um ihr Herz gewinnen zu können, müsste er sich zuerst bekehren. Wie soll das jedoch vor sich gehen, da er mit diesem Glauben, der nach seiner Meinung für die heutige Zeit veraltet und verstaubt ist, nichts anfangen kann? Zuerst muss er einmal sachte in diese neue geistige Welt eingeführt werden … Dieser Roman ist stark autobiografisch geprägt, einen Teil dieser Geschichte habe ich so selbst erlebt. Die Erstveröffentlichung dieses Buches war im Jahr 2007 im Asaro- Verlag in Sprakensehl bei Bremen. Da es diesen Verlag heute nicht mehr gibt, habe ich den Roman überarbeitet und auf den neusten Stand gebracht. 1

<strong>Wohin</strong> <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> <strong>uns</strong> <strong>führt</strong><br />

Der Autor<br />

Ich wurde 1953 in Zürich geboren. Mein Vater war ein Schweizer und<br />

meine Mutter eine Finnin - mein Vorname, <strong>der</strong> genau Hans bedeutet,<br />

weist darauf hin -, aber ich bin nach ihrer frühen Scheidung abseits von<br />

ihnen an verschiedenen Orten <strong>der</strong> Kantone Zürich und Appenzell<br />

aufgewachsen. Den Familiennamen Stump habe ich von einem<br />

nordbadischen Urgrossvater, <strong>der</strong> irgendwann zwischen 1870 und 1885<br />

in die Schweiz eingewan<strong>der</strong>t und in Zürich hängen geblieben ist.<br />

Bisher habe ich schon fast zwanzig Bücher veröffentlicht, vor allem<br />

Sprachlehrbücher.<br />

Zum Inhalt des Romans<br />

Hans Stettler, 32-jährig, hat eigentlich alles, was er braucht: Ein gutes<br />

Elternhaus, gute Geschwister und einen guten Arbeitsplatz, und zudem<br />

ist er ein angesehenes Mitglied in einem Fussballverein. Nur eines fehlt<br />

ihm noch: Eine liebe Frau, die gut zu ihm passt. Eines Tages lernt er<br />

durch Kontakte zu Leuten, die sich als gläubige Christen bezeichnen,<br />

eine solche Frau kennen, zu <strong>der</strong> er sich sofort hingezogen fühlt.<br />

Allerdings gehört auch sie zu diesen Christen - und um ihr Herz<br />

gewinnen zu können, müsste er sich zuerst bekehren. Wie soll das<br />

jedoch vor sich gehen, da er mit diesem Glauben, <strong>der</strong> nach seiner<br />

Meinung für die heutige Zeit veraltet und verstaubt ist, nichts anfangen<br />

kann?<br />

Zuerst muss er einmal sachte in diese neue geistige Welt einge<strong>führt</strong><br />

werden …<br />

Dieser Roman ist stark autobiografisch geprägt, einen Teil dieser<br />

Geschichte habe ich so selbst erlebt.<br />

Die Erstveröffentlichung dieses Buches war im Jahr 2007 im Asaro-<br />

Verlag in Sprakensehl bei Bremen. Da es diesen Verlag heute nicht<br />

mehr gibt, habe ich den Roman überarbeitet und auf den neusten Stand<br />

gebracht.<br />

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1<br />

Es ist schon sieben Uhr vorbei, als er sich endlich auf den Heimweg<br />

macht. So wie es seine Gewohnheit ist, hat er nach seinem Feierabend<br />

noch schnell einen Kaffee getrunken und verschiedene Zeitschriften<br />

gelesen, die er tagsüber sonst nicht zu sehen bekommt. Da heute<br />

Donnerstag ist und er somit einen trainingsfreien Tag hat, konnte er sich<br />

dafür Zeit nehmen, und so hat er das auch ausgenützt. Er genießt es<br />

zwar, in <strong>der</strong> Gesellschaft an<strong>der</strong>er Leute zu sein, und ist auch sonst kein<br />

Kind von Traurigkeit, doch ab und zu schätzt er es, auch einmal für sich<br />

allein zu sein, und da dies nicht immer zwischen den eigenen vier<br />

Wänden geschehen muss, geht er manchmal in ein Café o<strong>der</strong> gar in ein<br />

Kino, das letztere jedoch nur selten.<br />

Natürlich möchte er auf die Dauer nicht immer allein sein, aber da seine<br />

letzte Beziehung zu einer Frau vor ein paar Wochen in die Brüche<br />

gegangen ist und es auch bei ihm eine gewisse Zeit braucht, um einen<br />

solchen Tiefschlag zu überwinden, betrachtet er das gegenwärtige<br />

Alleinsein bloß als vorübergehend. Wenigstens kann er sich damit<br />

trösten, dass er damit nicht allein dasteht, dass auch noch<br />

Zehntausende von an<strong>der</strong>en mit einer solchen Enttäuschung fertigwerden<br />

müssen, und außerdem hat er noch seine Kollegen vom Fussballverein,<br />

die ihn davon ablenken können, zumal auch von ihnen einige sich mit<br />

den gleichen Problemen herumwälzen müssen.<br />

Da dieser Verein in einer <strong>der</strong> untersten Ligen beheimatet ist, die in ihre<br />

eigenen Regionen eingeteilt ist, müssen sie nicht so viel Zeit investieren,<br />

um an den Spieltagen bis in die entferntesten Winkel des Landes zu<br />

reisen, und somit müssen sie auch das Training nicht so übertrieben<br />

ernst nehmen wie in den oberen Ligen. Sie trainieren schon seriös und<br />

zielgerichtet, wenn sie zusammen sind, aber eben nicht zweimal am Tag<br />

und erst noch jeden Tag wie die Profis o<strong>der</strong> Halbprofis. Dass sie in <strong>der</strong><br />

Tabelle auf einem <strong>der</strong> mittleren Plätze liegen, stört zwar die meisten, die<br />

gern noch etwas höher hinaufgehen und am Ende <strong>der</strong> Saison auch um<br />

den Aufstieg spielen würden, aber im Grund sind sogar diese zufrieden.<br />

Schließlich sind sie immer noch Amateure und berufstätig, sofern sie<br />

einen Arbeitsplatz haben, und fast keiner von ihnen rechnet ernsthaft<br />

damit, einmal von einem einflussreichen Späher entdeckt und zu einem<br />

höher klassierten Verein geholt zu werden, wie das schon mit manchem<br />

an<strong>der</strong>en geschehen ist, <strong>der</strong> dann auch bekannt wurde - in diesem Verein<br />

allerdings noch nie.<br />

Jetzt befindet er sich also auf dem Heimweg und bevor er in die<br />

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Straßenbahn einzusteigen gedenkt, die ihn bis ans Ende <strong>der</strong> Stadt<br />

führen wird, wo er eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung für sich allein hat,<br />

schlen<strong>der</strong>t er noch ein wenig den Straßen entlang. Dabei tut er das dort,<br />

wo es immer wie<strong>der</strong> etwas Neues zu sehen gibt, an den verschiedenen<br />

Läden und Modeboutiquen vorbei, die regelmäßig den neuesten Schrei<br />

anbieten o<strong>der</strong> manchmal auch nur so tun. Obwohl er versucht, sich für<br />

alle Schaufenster Zeit zu nehmen, entdeckt er nach kurzer Zeit an sich<br />

selbst, dass ihn im Grund nichts interessiert, und auch die zahlreichen<br />

Menschen, die an ihm vorbeihasten und ihn dabei teilweise<br />

unbeabsichtigt stupfen, nimmt er kaum wahr. Es ist wie<strong>der</strong> einmal eine<br />

jener Stunden, in denen er eigentlich nicht so recht weiß, was er gerade<br />

tut o<strong>der</strong> noch tun soll, in denen er die Zeit zwar nicht direkt totschlagen<br />

will, aber auch nicht unglücklich ist, wenn sie schnell vorübergeht.<br />

Obwohl er immer wie<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>en Leuten auch außerhalb <strong>der</strong><br />

Fussballszene zusammen ist, muss er sich immer wie<strong>der</strong> dabei<br />

ertappen, wie er in solchen Momenten mit seinem Leben im Grund<br />

nichts Rechtes anzufangen weiß und in sich eine unerklärliche Leere<br />

spürt.<br />

Dies ist die Ausgangslage, in <strong>der</strong> er sich befindet, als er am<br />

Bellevueplatz, wo er in die nächste Strassenbahn einsteigen will,<br />

inmitten des Knäuels von vorbeihastenden, scherzenden, flirtenden,<br />

essenden und trinkenden Personen einen mittelgroßen, hageren Mann<br />

mit kurzen Haaren und ohne beson<strong>der</strong>en Gesichtsschmuck erblickt, <strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> einen Hand einen Bündel voller Papier und in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en eines<br />

dieser Papiere hält. Was mag das wohl sein?, fragt er sich, aber ohne<br />

wirkliches Interesse. Dann fällt es ihm wie<strong>der</strong> ein: Natürlich kann es nur<br />

etwas Politisches sein, denn wer auch nur ein wenig in den Zeitungen<br />

liest, die überall aufgehängten Plakate beachtet, einen <strong>der</strong> lokalen<br />

Radiosen<strong>der</strong> hört o<strong>der</strong> einen ebenso lokalen Fernsehkanal schaut, ist<br />

schnell darüber informiert, dass in wenigen Wochen Wahlen o<strong>der</strong><br />

genauer Lokalwahlen sein werden, bei denen die Regierung und das<br />

Parlament dieser Stadt neu bestellt werden, wie das bis anhin alle vier<br />

Jahre gewesen ist. Er interessiert sich zwar nicht beson<strong>der</strong>s für Politik,<br />

so wenig wie die meisten an<strong>der</strong>en es auch tun, aber ab und zu schnappt<br />

er doch etwas auf, und dann denkt er darüber nach und fragt jemanden<br />

vom Verein, wenn er etwas nicht o<strong>der</strong> falsch versteht.<br />

Ohne sich etwas dabei zu denken, nähert er sich langsam diesem Mann<br />

mit den Papieren, <strong>der</strong> inmitten all dieser Menschen eine seltsame Ruhe<br />

ausstrahlt. Als er nahe genug daran ist, erkennt er, dass es sich<br />

tatsächlich nur um politische Flugblätter handeln kann, die <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zu<br />

verteilen versucht. Es gelingt ihm, von <strong>der</strong> Seite her den Haupttitel des<br />

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Flugblatts zu lesen, ohne dass <strong>der</strong> Mann es bemerkt. Da steht deutlich<br />

genug und mit einem Ausrufezeichen versehen:<br />

Revolution - um jeden Preis!<br />

Was für eine Revolution ist da wohl gemeint?, fragt er sich und will sich<br />

schon überlegen, ob er den Mann darauf ansprechen soll, als dieser ihn<br />

bemerkt und sich ihm zuwendet.<br />

„Möchten Sie das lesen?“, fragt er ihn auffallend höflich und schaut ihn<br />

dabei lächelnd an.<br />

„Ich habe es schon gelesen“, antwortet er etwas verlegen, „das heißt,<br />

den Titel.“<br />

„Das ist wenigstens schon etwas“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e im gleichen<br />

Ton.<br />

„Was für eine Revolution wollen Sie denn bewirken?“, fragt er den<br />

an<strong>der</strong>en etwas belustigt und erinnert sich wie<strong>der</strong> daran, dass auch in<br />

diesem Land immer wie<strong>der</strong> von einer Revolution die Rede war und die<br />

Politikerinnen und Politiker in ihren Reden einan<strong>der</strong> Schimpfwörter an<br />

den Kopf warfen, über die er als Neutraler sich stets nur amüsieren<br />

konnte.<br />

„Eine geistliche Revolution“, antwortet <strong>der</strong> Mann erneut erstaunlich ruhig.<br />

„Eine was?“<br />

Es verschlägt ihm fast die Sprache, nicht nur weil er einen solchen<br />

Ausdruck noch nie zuvor gehört hat, son<strong>der</strong>n auch wegen <strong>der</strong> Art, wie<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e seine Antworten gibt. Er hat in seinen bisher 32 Jahren zwar<br />

schon viel gesehen und erlebt, aber so etwas noch nicht. Da steht<br />

plötzlich ein Wildfrem<strong>der</strong> vor ihm und macht Propaganda für eine ... was<br />

für eine Revolution war es denn schon wie<strong>der</strong>? Ach was, ist auch nicht<br />

so wichtig! Schon macht er Anstalten, wie<strong>der</strong> umzukehren und auf die<br />

Strassenbahn zu warten - umso mehr, als er auch schon eine<br />

heranfahren sieht -, als <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e die Antwort wie<strong>der</strong>holt: „Eine<br />

geistliche Revolution.“<br />

„Was zum Henker ist denn das?“, fragt er etwas verärgert, weil er ahnt,<br />

dass er seine Kutsche nach Hause verpassen wird.<br />

„Ich kann es Ihnen erklären, wenn Sie sich dafür ein bisschen Zeit<br />

nehmen“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e immer noch so ruhig wie zuvor.<br />

„Wer hat denn heute schon Zeit für irgendetwas?“, fragt er immer noch<br />

leicht verärgert und sieht dabei zu, wie seine Bahn anhält und die Leute<br />

hastig wie immer ein- und auszusteigen beginnen; jetzt ist es wohl klar,<br />

dass er diese abhaken muss.<br />

„Genau das ist das große Problem“, erklärt <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e in so festem und<br />

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entschlossenem Ton, dass er doch etwas stutzig und neugierig wird,<br />

„niemand hat Zeit, wenn es wirklich darauf ankommt, o<strong>der</strong> sagt es<br />

mindestens.“<br />

„Ja, da ist etwas Wahres dran“, gibt er ihm kopfnickend Recht und<br />

wendet sich ihm wie<strong>der</strong> zu, während die Straßenbahn abfährt.<br />

„Haben denn Sie Zeit?“, fragt ihn darauf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e keck, während er<br />

ihm direkt in die Augen schaut.<br />

„Zeit für was?“<br />

„Zum Beispiel etwas über diese Revolution zu erfahren.“<br />

„Sie gehen ganz schön zur Sache“, sagt er dann zu seinem Gegenüber,<br />

wobei er sich diesmal ein Lächeln nicht verkneifen kann.<br />

„Wie man’s nimmt“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e immer noch ruhig, „wenn Sie<br />

sich dafür die Zeit nehmen, dann nehme ich mir auch Zeit für Sie.“<br />

„Das tönt ja erstaunlich höflich, das sieht man heute nicht mehr so<br />

häufig.“<br />

„Ich versuche immer, zu allen höflich zu sein, sonst könnte ich diese<br />

Arbeit hier nicht tun.“<br />

„Arbeit, sagen Sie?“<br />

„Eben - diese Traktate verteilen und mit den Leuten reden.“<br />

„Ah, über diese beson<strong>der</strong>e Revolution?“<br />

„Genau.“<br />

Er kann es sich selbst nicht erklären, aber irgendetwas fasziniert ihn an<br />

diesem Mann, so bestechend sicher und spontan gibt er seine<br />

Antworten.<br />

„Was genau ist denn diese Revolution? Jetzt habe ich das Wort schon<br />

wie<strong>der</strong> vergessen.“<br />

„Eine Revolution, die durch den Glauben geschieht.“<br />

„Was für ein Glaube? Wir glauben doch alle an irgendetwas.“<br />

„Genau, aber dieser Glaube ist etwas ganz Beson<strong>der</strong>es.“<br />

„Das sagen doch alle.“<br />

„Sicher, aber er ist trotzdem etwas Beson<strong>der</strong>es. Wenn Sie mehr darüber<br />

wissen wollen, können Sie mit mir an einen speziellen Ort gehen, wo wir<br />

<strong>uns</strong> dafür Zeit nehmen können und wo es vor allem auch ruhiger ist als<br />

hier.“<br />

Oh Schreck, jetzt auch das noch!, sagt er zu sich verlegen und will schon<br />

wie gewohnt auf seine Uhr schauen, doch dann überlegt er sich, dass<br />

auch das eine <strong>der</strong> typischen Erscheinungen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zivilisation ist<br />

und er nicht immer alles mitmachen muss, und so lässt er es bleiben.<br />

„Sie müssen ja nicht, wenn Sie nicht wollen“, entgegnet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

weiter ruhig und höflich, „aber ich würde mir extra für Sie Zeit nehmen.“<br />

Das sind wirklich unerhörte Worte, die er zu hören bekommt: Jemand,<br />

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<strong>der</strong> sich extra für ihn Zeit nimmt, und dazu noch einer, den er erst vor<br />

wenigen Minuten kennen gelernt hat. Nicht einmal sein Trainer hat sich<br />

bis heute die Mühe genommen, ihm ein solches Angebot zu<br />

unterbreiten, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß; dazu ist das<br />

Fussballgeschäft auch in den unteren Ligen viel zu hektisch und <strong>der</strong><br />

Erfolgsdruck viel zu groß geworden. Aber auch sein direkter<br />

Vorgesetzter an seinem Arbeitsplatz strahlte nicht diese Ruhe aus, als er<br />

ihn einmal zu einem Gespräch in seinem Büro einlud, und sprach nur<br />

knappe fünf Minuten mit ihm, um ihm mitzuteilen, dass er eine kleine<br />

Lohnerhöhung bekommen würde.<br />

„Wo soll es denn hingehen?“, fragt er dann fast wie nebenbei und erneut<br />

ohne wirkliches Interesse - man kann ja immer kurz fragen.<br />

„Nicht weit von hier“, antwortet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, „es gibt dort übrigens auch<br />

Kuchen und etwas zum Trinken - Kaffee o<strong>der</strong> Tee, was Sie wollen.“<br />

„Aha, damit wollen Sie mich wohl kö<strong>der</strong>n?“<br />

„Sicher nicht, aber das gehört einfach dazu, wenn man jemanden einlädt<br />

- erst recht bei <strong>uns</strong>erer Arbeit da draußen.“<br />

Da nun seine Straßenbahn schon abgefahren ist und er wirklich noch<br />

etwas Zeit hat, gibt er sich einen Ruck und schickt sich jetzt tatsächlich<br />

an, dem an<strong>der</strong>en zu folgen. Zwar hat er morgen einen arbeitsfreien Tag,<br />

aber am späteren Vormittag sein nächstes Training. Trotzdem glaubt er,<br />

für ein kurzes Gespräch mit diesem geheimnisvollen Unbekannten, von<br />

dem er bisher noch nicht einmal den Namen weiß, noch etwas Zeit<br />

aufbringen zu können.<br />

„Okay, dann lasse ich mich überraschen“, hört er sich plötzlich selbst<br />

sagen, worauf er bemerkt, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e noch ein wenig mehr strahlt.<br />

Und das alles nur wegen ihm?<br />

Schon überqueren sie die Straße, welche die Verkehrsinsel von den<br />

Häuserblocks trennt, und ehe er es sich versieht, befinden sie sich auf<br />

dem <strong>Weg</strong> zu jenem geheimnisvollen Ort, wo es Kuchen und Getränke<br />

geben soll. Er beachtet wie zuvor die Leute nicht, die an ihm<br />

vorbeihasten, und wie von einer <strong>uns</strong>ichtbaren, unerklärlichen Macht<br />

getrieben versucht er, dem Mann zu folgen, <strong>der</strong> für seine Körpergröße<br />

einen erstaunlich schnellen Schritt hat.<br />

Sobald sie ein wenig aus dem ganzen Menschenknäuel heraus sind und<br />

neben einer weniger befahrenen Straße gehen, überwindet er sich<br />

endlich dazu, den an<strong>der</strong>en direkt zu fragen: „Glaubt ihr denn an einen<br />

Gott?“<br />

Schließlich muss er ja wissen, mit was für Leuten er es zu tun haben<br />

wird, bevor sie irgendwo abtauchen.<br />

„Ja, genau“, antwortet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e so kurz und entschlossen, dass er fast<br />

stehen bleibt.<br />

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„Was für eine Sekte seid ihr denn? Damit will ich nichts zu tun haben.“<br />

Natürlich ist auch er ein Kind dieser Zeit; so kommt auch er sofort mit<br />

diesem anrüchig gewordenen Wort, das schon seit vielen Jahren jedes<br />

Mal in den Mund genommen wird, wenn in den Medien von einer<br />

Glaubensgemeinschaft außerhalb <strong>der</strong> noch erlaubten Staatskirchen die<br />

Rede ist.<br />

„Ich kann Sie beruhigen“, antwortet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e selbst nach dieser Frage<br />

so ruhig wie zuvor, „wir sind keine Sekte, son<strong>der</strong>n Christen.“<br />

„Christen? Das ist es ja gerade, was ich meine.“<br />

„Sie müssen nicht alles glauben, was erzählt und geschrieben wird.<br />

Hören Sie sich doch einfach alles in Ruhe an und schauen Sie sich um!<br />

Dann werden Sie selber sehen, was da so dran ist.“<br />

Trotz dieser beruhigenden Worte bleibt er jetzt stehen, weil er plötzlich<br />

keine Lust mehr hat, mit dem an<strong>der</strong>en weiterzugehen.<br />

„Wenn ihr eine Sekte seid, will ich mit euch nichts zu tun haben“, sagt er<br />

dann energisch, indem er dem an<strong>der</strong>en scharf in die Augen schaut,<br />

„dabei ist es mir gleich, ob ihr Christen seid o<strong>der</strong> nicht. Man hat schon zu<br />

viel gehört und gelesen, was so alles passiert ist.“<br />

„Mit <strong>uns</strong> aber sicher nicht, da kann ich Sie beruhigen.“<br />

„Bestimmt?“, fragt er und schaut ihn mit strengem Blick an.<br />

„Das können Sie mir glauben. Kommen Sie doch einfach mit und bilden<br />

Sie sich selber eine Meinung! Wenn es Ihnen dann nicht mehr gefällt,<br />

können Sie je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> gehen. Die Tür ist immer offen und<br />

irgendwann gehen auch wir wie<strong>der</strong> nach Hause.“<br />

Dieser versteckte Humor gefällt ihm; so überwindet er sich doch noch<br />

dazu, dem an<strong>der</strong>en erneut zu folgen und sich seinem Schicksal zu<br />

ergeben, wie er das sieht - gleich umbringen wird man ihn ja wohl nicht.<br />

Als sie den geheimnisvollen Ort erreichen, von dem <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

gesprochen hat, ist schon an den Schaufenstern neben <strong>der</strong> Eingangstür<br />

deutlich zu erkennen, dass dieses Haus, in das sie hineingehen werden,<br />

eine Art Kirche ist. Von außen her sieht es zwar nicht danach aus, doch<br />

die aufgeklebten Papiere in C 4-Format an <strong>der</strong> Tür selbst verraten, dass<br />

es sich um eine solche handeln muss. Da sind verschiedene Programme<br />

und Einladungen aufgedruckt, und obwohl er nicht näher herantritt, um<br />

etwas zu lesen, kann er wie eine halbe Stunde zuvor auf <strong>der</strong> Straße, als<br />

er den Mann getroffen hat, einen weiteren Titel erkennen, <strong>der</strong> in noch<br />

größeren Buchstaben geschrieben steht:<br />

Willkommen!<br />

Als sie schließlich die Treppe zu einem Raum hinuntergehen, in dem<br />

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sich die Leute anscheinend zu versammeln pflegen, kommt es ihm recht<br />

ungemütlich vor, ja, es fehlte wenig und er würde am liebsten wie<strong>der</strong><br />

umkehren, <strong>der</strong>art falsch am Platz fühlt er sich jetzt. Dennoch bleibt er<br />

drinnen, als würde ihn irgendeine <strong>uns</strong>ichtbare Macht gefangen halten. Es<br />

ist aber auch eine eigenartige Atmosphäre, die ihn geradezu fasziniert<br />

und die er auf diese Weise in seinem ganzen Leben noch nie erlebt hat,<br />

jedenfalls soweit er sich zurückerinnern kann. Alles kommt ihm so ruhig<br />

und friedlich vor, wie er es an seinem Arbeitsplatz, an dem alle mit ihren<br />

Ellbogen buchstäblich ums Überleben kämpfen müssen, und erst recht<br />

auf den Fussballplätzen nie kennen gelernt hat.<br />

Am meisten fällt ihm auf, wie freundlich die Leute miteinan<strong>der</strong> umgehen<br />

und einan<strong>der</strong> meistens mit dem Vornamen begrüßen, wenn sie sich<br />

kennen. Die mit Blumen und Kerzen gedeckten Tische sowie <strong>der</strong> nur<br />

halbhell erleuchtete Raum verleihen <strong>der</strong> ganzen Atmosphäre da unten<br />

noch einen zusätzlichen romantischen Rahmen. Ja, er muss sich<br />

eingestehen, dass er sich hier drinnen fürs Erste zumindest nicht unwohl<br />

fühlt, dass er hier tatsächlich eine Weile bleiben und das Folgende, das<br />

über ihn hereinbrechen wird, ruhig über sich ergehen lassen könnte.<br />

„Wir können <strong>uns</strong> hierhersetzen, wenn Sie wollen“, sagt ihm <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e,<br />

nachdem sie sich ein wenig umgeschaut haben, und zeigt auf einen<br />

kleinen Tisch, <strong>der</strong> sich höchstens vier Meter von einer Art Rednerpult<br />

entfernt befindet.<br />

„Ja, da ist es ideal“, antwortet er überraschend sicher, und als sie es sich<br />

bequem eingerichtet haben, schaut er sich nochmals ein wenig um.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Raum recht gut besucht ist, sind nicht alle Plätze an den<br />

Tischen besetzt; es könnten also immer noch welche hereinkommen.<br />

Da sie jetzt bequem sitzen, hält es <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e für angebracht, endlich<br />

das zu tun, was sie schon auf <strong>der</strong> Straße hätten tun können, doch bevor<br />

er nicht sicher war, ob sie am Ende ihres <strong>Weg</strong>es tatsächlich bis hierher<br />

gelangen würden, wollte er sich noch zurückhalten.<br />

„Übrigens habe ich mich noch gar nicht vorgestellt“, kommt er also<br />

gleich zur Sache, „ich heiße Erwin Gisler.“<br />

„Und ich Hans Stettler“, entgegnet sein Gegenüber spontan, da er von<br />

seiner Arbeitsstelle her solche Begegnungen gewohnt ist. Dann fügt er<br />

lächelnd hinzu: „Wir können <strong>uns</strong> ruhig duzen, schließlich sind wir noch<br />

beide jung.“<br />

Dabei streckt er dem an<strong>der</strong>en die Hand hin, worauf dieser sie ohne<br />

Zögern ergreift und drückt und sagt: „Abgemacht, dann sagen wir <strong>uns</strong><br />

von jetzt an du.“<br />

„Okay, Erwin.“<br />

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Noch ehe sie ein tieferes Gespräch beginnen können, bittet jemand, <strong>der</strong><br />

offensichtlich ein Mitglied dieser Vereinigung ist, ums Wort. Sofort wird<br />

es still und darauf erzählt <strong>der</strong> betreffende junge Mann kurz etwas aus<br />

seinem Leben, was Hans Stettler auf diese Art noch nie zuvor gehört<br />

hat. Dann kommt ein Mädchen an die Reihe, das sicher noch ein<br />

Teenager ist - o<strong>der</strong> ein „Teenie“, wie <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Ausdruck lautet -, und<br />

mit einer erstaunlich schönen und sanften Stimme etwas singt; dabei<br />

wird sie von einem Burschen begleitet, <strong>der</strong> auf einer Gitarre spielt.<br />

Schließlich tritt wie<strong>der</strong> ein Mann auf, <strong>der</strong> eine längere Rede von etwa<br />

dreißig Minuten hält und dazu ebenfalls ein Stück aus seinem Leben<br />

erzählt.<br />

Obwohl Stettler wenig bis nichts von dem begreift, was da erzählt und<br />

gesungen wird, scheint ihm dies klar zu sein: Alle sprechen von einem<br />

Jesus, <strong>der</strong> offensichtlich hier drinnen im Mittelpunkt steht, weil er das<br />

Leben dieser drei Personen verän<strong>der</strong>t und ihnen einen wirklichen Sinn<br />

gegeben habe. Natürlich weiß er, welcher Jesus gemeint ist; es kann<br />

sich ja nur um den handeln, von dem immer wie<strong>der</strong> in den verstaubten<br />

Kirchenbüchern die Rede ist, <strong>der</strong> irgendwann einmal vor etwa 2'000<br />

Jahren vielleicht gelebt hat, und er erinnert sich noch daran, dass er<br />

immer wie<strong>der</strong> die spöttischen Ausdrücke „Jesus-People“ und „Jesus-<br />

Freaks“ gehört hat, wenn jemand diese son<strong>der</strong>baren Leute erwähnte, die<br />

vorgaben, an diesen Jesus zu glauben. Das alles kennt man ja gut<br />

genug; so ist es für ihn nicht unbedingt eine Überraschung, dass er da<br />

unten wie<strong>der</strong> davon hört - allerdings zum ersten Mal direkt auf diese<br />

Weise und zudem in einem Kellerraum, <strong>der</strong> ihm aufgrund <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>en Atmosphäre und <strong>der</strong> außergewöhnlichen Aussagen über<br />

diesen Jesus schon jetzt wie eine Art Katakombe vorkommt.<br />

Als <strong>der</strong> Redner endlich abtritt, indem er sagt, jetzt hätten alle etwas Zeit,<br />

um sich über das Gehörte zu unterhalten, fragt Erwin Gisler ihn<br />

vorsichtig: „Hat es dir gefallen?“<br />

„Gefallen schon“, antwortet Stettler etwas verlegen, „aber wenn ich<br />

ehrlich bin, habe ich von all dem nur ‚Bahnhof’ verstanden.“<br />

Jetzt wird Gisler etwas <strong>uns</strong>icher, weil er nicht sofort weiß, auf welche<br />

Weise er das geplante Gespräch, für das er schließlich auf die Straße<br />

gegangen ist und sie hierhergekommen sind, am besten beginnen soll -<br />

er ahnt bereits, dass Stettler kein leichter Brocken ist.<br />

„Also, Hans“, findet er dann doch zu Worten, „was diese Leute, die du<br />

vorher gehört hast, erzählt haben, das habe ich selber auch so erlebt.“<br />

„Wie meinst du das?“<br />

„Auch ich habe an mir selber erfahren, dass Jesus wirklich auferstanden<br />

ist und noch heute lebt.“<br />

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„Aber Erwin! Das ist doch nur ein altes Kin<strong>der</strong>märchen“, entgegnet<br />

Stettler lächelnd, „so etwas ist doch völlig unmöglich.“<br />

„Nein, Hans, es ist die Wahrheit“, sagt Gisler darauf in sicherem Ton,<br />

weil er jetzt endlich den Faden zum Gespräch gefunden hat, „Jesus<br />

Christus ist wirklich von den Toten auferstanden, wie das in <strong>der</strong> Bibel<br />

geschrieben steht, und kann <strong>uns</strong> allen ein neues Leben schenken und<br />

<strong>uns</strong> noch heute erlösen.“<br />

„Erlösen? Von was denn?“<br />

„Von <strong>der</strong> Sünde.“<br />

„Sünde - was ist denn das?“<br />

„Das ist die Trennung von Gott.“<br />

„Trennung? Das sagt mir alles nichts, ich verstehe kein Wort davon.“<br />

„Hast du überhaupt schon einmal davon gehört?“<br />

„Soviel ich weiß, noch nicht, jedenfalls erinnere ich mich im Moment<br />

nicht daran.“<br />

Dann halten sie kurz inne und als sie sich nochmals Kaffee eingeschenkt<br />

haben, zieht Gisler plötzlich ein dünnes Büchlein, das wie eine<br />

Broschüre in Miniaturform aussieht, aus einer Jackentasche. Da Stettler<br />

heute schon zweimal erfahren hat, dass ein Titel bei diesen Jesus-<br />

Leuten anscheinend viel aussagt, konzentriert er sich darauf, die auf<br />

dem Deckel geschriebenen Worte zu lesen, und es gelingt ihm<br />

tatsächlich, noch bevor <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zu sprechen beginnt, dies zu<br />

erkennen:<br />

Kennen Sie schon die vier geistlichen Gesetze?<br />

Was soll jetzt das schon wie<strong>der</strong> heissen?, fragt er sich etwas verärgert,<br />

weil er sich durch solche Worte veralbert fühlt, und schon kommt ihm<br />

wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gedanke, dass es vielleicht doch besser ist, wenn er sich<br />

verzieht; allmählich kommt ihm das Ganze doch zu son<strong>der</strong>bar vor und<br />

wächst ihm immer mehr über den Kopf.<br />

„Siehst du, das sind sie vier geistlichen Gesetze, die ganz deutlich den<br />

Plan zeigen, den Gott für <strong>uns</strong> alle hat“, beginnt Gisler denn sogleich<br />

zielstrebig auf ihn einzureden, und obwohl Stettler sich ehrlich bemüht,<br />

das zu verstehen, was sein Gesprächspartner Punkt für Punkt mit ihm<br />

durchgeht, hat er am Schluss im Grund nichts verstanden. Da ist die<br />

Rede davon, dass Gott einen bestimmten Plan für alle hat, dass <strong>der</strong><br />

Mensch von Geburt auf sündig und von Gott getrennt ist, dass Jesus<br />

Christus Gottes einziger Ausweg aus <strong>der</strong> Sünde und für alle<br />

stellvertretend am Kreuz gestorben und danach auferstanden ist, und<br />

dass alle Menschen diesen Jesus durch eine persönliche Einladung als<br />

Erlöser aufnehmen müssen. Wahrhaftig, all dies ist für ihn, dessen<br />

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Lebensinhalt bisher fast nur die Bank, in <strong>der</strong> er arbeitet, <strong>der</strong> Fussball und<br />

ab und zu eine Frau gewesen ist, zu viel auf einmal. Er braucht erst<br />

einmal Zeit, um darüber nachzudenken und es zu verarbeiten, sofern er<br />

sich morgen noch dafür interessiert, denn das ist noch längst nicht<br />

sicher.<br />

Als Gisler ihm schließlich diese vier Gesetze, <strong>der</strong>en Benennung als<br />

solche Stettler schon völlig daneben findet, Punkt für Punkt erklärt und er<br />

ihm zu seinem eigenen Erstaunen bis zum Schluss zugehört hat, stellen<br />

sie fest, dass es bereits ziemlich spät geworden ist und nicht wenige<br />

Leute inzwischen nach Hause gegangen sind.<br />

„Ich weiß, dass du vielleicht nicht alles verstanden hast, das ich dir<br />

erklärt habe“, schließt Gisler das Gespräch darauf ab, „es ist ja auch das<br />

erste Mal, dass du davon gehört hast. Trotzdem ist dieses Büchlein für<br />

den Anfang eine gute Grundlage.“<br />

„Ja, für euch.“<br />

„Nein, auch für dich, Hans, ganz bestimmt.“<br />

„Das weiß ich nicht so recht, es kommt mir alles schon ein bisschen<br />

komisch vor.“<br />

„So ist es bei mir auch einmal gewesen und bei vielen an<strong>der</strong>en ebenfalls.<br />

Es braucht wirklich Zeit, bis man das richtig verstehen kann. Willst du<br />

wenigstens darüber nachdenken?“<br />

„Hm, ich kann es ja versuchen.“<br />

„Das wäre schön und würde mich wirklich freuen. Du kannst übrigens<br />

‚Die vier geistlichen Gesetze’ mit nach Hause nehmen, wenn du<br />

möchtest; dann kannst du dort alles in Ruhe noch einmal durchlesen.“<br />

Dabei drückt er ihm das Büchlein in die Hand, worauf Stettler ein kurzes<br />

„Danke“ murmelt, ohne dass er sich beson<strong>der</strong>s darüber freut. Schon will<br />

er sich von Gisler verabschieden, als dieser ihm noch eine kleine Bibel<br />

zeigt und sagt: „Ich gebe dir auch das mit nach Hause.“<br />

„Wie viel kostet das Buch?“, fragt Stettler aus lauter Gewohnheit, weil<br />

schließlich fast nichts auf <strong>der</strong> Welt gratis ist und auch dieser Verein hier<br />

Geld brauchen kann.<br />

„Du kannst diese Bibel umsonst haben“, antwortet Gisler lächelnd, „sie<br />

ist schließlich Gottes Wort.“<br />

„Bist du da so sicher?“<br />

„Absolut sicher.<br />

„Hm, ich kann sie ja mal mitnehmen, vielleicht blättere ich mal drin<br />

herum. Zum Glück habe ich scharfe Augen, so dass ich diese kleinen<br />

Buchstaben auch ohne Lesebrille reinziehen kann.»<br />

Er merkt allmählich, dass er immer zynischer wird und es deshalb besser<br />

ist, wenn sie sich jetzt voneinan<strong>der</strong> trennen.<br />

11


„Also, dann gehe ich wie<strong>der</strong>“, sagt er dann deutlich genug und streckt<br />

Gisler die rechte Hand zum Abschied hin.<br />

„Ich muss auch gehen“, entgegnet dieser, „es ist ja wirklich spät<br />

geworden.“<br />

Als sie sich die Hände geben, fragt Gisler: „Kommst du bald wie<strong>der</strong> mal<br />

vorbei?“<br />

„Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht.“<br />

„Es würde mich sehr freuen.“<br />

„Diese Floskel benützen alle.“<br />

„Ja, aber ich meine es ehrlich.“<br />

„Ich muss es mir noch überlegen; zuerst brauche ich mal genug Zeit, um<br />

über das alles nachzudenken, aber auch dann, wenn ich das getan<br />

habe, kann ich dir nicht garantieren, dass ich wie<strong>der</strong> vorbeikomme.“<br />

„Das werden wir ja sehen. Auf jeden Fall wünsche ich dir Gottes Segen,<br />

Hans.“<br />

„Und ich dir Gesundheit.“<br />

„Die brauchen wir alle, aber noch viel mehr als das.“<br />

„Ja, ich weiß, was du meinst.“<br />

„Ich werde für dich beten.“<br />

So trennen sich ihre <strong>Weg</strong>e wie<strong>der</strong>. Als Hans Stettler mehr als drei<br />

Stunden später als vorgesehen doch noch in <strong>der</strong> Straßenbahn sitzt und<br />

nach Hause fährt, versucht er noch einmal, über alles, was er in den<br />

letzten paar Stunden so plötzlich wie aus heiterem Himmel erlebt hat,<br />

gründlich nachzudenken. In was bin ich da nur hineingeraten?, fragt er<br />

sich verwirrt. Wie können diese Leute bloß an einen Gott glauben, da es<br />

ja gar nicht bewiesen ist, dass es überhaupt einen Gott o<strong>der</strong> so etwas<br />

Ähnliches gibt? Am meisten Mühe von allem, was er gehört hat, bereitet<br />

ihm aber <strong>der</strong> Begriff „Sünde“. Dass alle Menschen von Geburt an Sün<strong>der</strong><br />

sein sollen, kann er ja noch schlucken; schließlich trifft es offensichtlich<br />

zu, dass diese Welt nicht so ist, wie sie sein sollte, dass die meisten roh,<br />

ja, brutal miteinan<strong>der</strong> umgehen und sich teilweise auch gegenseitig<br />

umbringen o<strong>der</strong> sonstwie das Leben schwer machen. Das Sprichwort<br />

vom „sündigen“, wenn jemand zu viel isst, kursiert nicht umsonst überall,<br />

doch auf diese Weise hat er es bisher noch nie gehört.<br />

Was ihm noch mehr Mühe bereitet, ist jedoch die Aussage, dass alle<br />

Menschen vor Gott schuldig sein sollen und deshalb in Jesus Christus<br />

die Vergebung brauchen. Warum soll er sich vor einem Gott, den er<br />

noch nie gesehen, geschweige denn jemals persönlich erfahren hat,<br />

überhaupt schuldig fühlen? Ist es denn seine persönliche Schuld, dass<br />

er von seinen Eltern gezeugt und in diese Welt gesetzt worden ist? Das<br />

kann er nicht begreifen, das übersteigt sein Fassungsvermögen - ein<br />

12


solcher Glaube ist für ihn schlicht absurd und gegen jeden gesunden<br />

Menschenverstand.<br />

Schließlich wird ihm das Grübeln zu viel und er sagt sich, dass es<br />

vorläufig wohl am besten ist, wenn er nicht allzu intensiv darüber<br />

nachdenkt und den Dingen ihren freien Lauf lässt. Da trifft es sich<br />

wahrhaftig gut, dass er morgen wie<strong>der</strong> auf dem Fussballplatz mit seinen<br />

Kollegen trainieren und am Sonntag das nächste Spiel bestreiten kann.<br />

Bei ihnen braucht er zu seinem Glück nicht fromm zu sein; da genügt es,<br />

sich so zu geben, wie je<strong>der</strong> Einzelne ist, und natürlich auch möglichst gut<br />

zu spielen. Die Hauptsache ist, dass er auf dem Fussballplatz und nur<br />

dort über sich hinauswächst - nur das zählt letztlich für ihn, aber auch für<br />

seine Kollegen und nicht zuletzt auch für den Trainer.<br />

2<br />

Eine Woche und ein Tag sind seit <strong>der</strong> Begegnung mit Erwin Gisler<br />

vergangen, und Hans Stettler steht erneut <strong>uns</strong>chlüssig und unruhig in<br />

<strong>der</strong> Nähe des gleichen Bellevueplatzes herum, wo er diesen<br />

son<strong>der</strong>baren Mann kennen gelernt hat. Warum er innerlich so unruhig<br />

ist, kann er sich selbst auch nicht erklären. Dabei hat er eine gelungene<br />

Woche hinter sich gebracht: Zuerst gewann seine Mannschaft am<br />

letzten Sonntag zwar knapp, aber letztlich ohne Probleme, wobei er als<br />

wie gewohnt sicherer Verteidiger auch seinen Teil dazu beisteuerte.<br />

Darauf folgte ein großes Fest, das vom Verein und seinen Gönnern<br />

irgendwo im Grünen organisiert wurde und auch durchge<strong>führt</strong> worden<br />

wäre, wenn sie nur unentschieden gespielt o<strong>der</strong> gar das Spiel verloren<br />

hätten. Auch unter <strong>der</strong> Woche lief alles wie geschmiert; es gab für einmal<br />

keinen einzigen schweren administrativen Fall zu lösen und keine<br />

Reklamationen von Kunden entgegenzunehmen, und sogar die<br />

Vorgesetzten verhielten sich zumindest ihm gegenüber stets freundlich<br />

und korrekt. Das Einzige, das ihm in diesen Tagen fehlte, war eine<br />

Freundin, mit <strong>der</strong> er wenigstens einmal ausgehen und über<br />

Verschiedenes plau<strong>der</strong>n konnte. Er gehört nicht zu denen, die sofort ein<br />

Bettabenteuer suchen, aber unverbindlich mit einer lieben und guten<br />

Frau zusammen zu sein wäre halt schon etwas, das er sich wünscht. Mit<br />

Männern muss er solche Bekanntschaften sicher nicht pflegen; da kennt<br />

er schon im Verein mehrere, mit denen er oft genug zusammen ist, so<br />

auch wie<strong>der</strong> am letzten Sonntagsfest.<br />

Alles in allem geht es ihm also gut und er fühlt sich auch gut - aber eben,<br />

diese seltsame innere Unruhe lässt ihn nicht los. Hat die Begegnung mit<br />

13


diesen Leuten, die sich Christen nennen - ein Begriff, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> heutigen<br />

Zeit fast nur noch als verschwommen bekannt ist, ja, gar etwas<br />

Anrüchiges an sich hat -, in ihm vielleicht doch tiefere Spuren<br />

hinterlassen, als er es sich selbst eingestehen will? Dabei hat er im<br />

Büchlein, in dem von diesen seltsamen vier geistlichen Gesetzen die<br />

Rede ist, nicht einmal mehr als eine Seite gelesen, geschweige denn<br />

etwas aus <strong>der</strong> Taschenbibel, die Gisler ihm geschenkt hat. Er hat zwar<br />

wie angekündigt ein wenig herumgeblättert, aber das war auch schon<br />

alles; schließlich kann er sich damit herausreden, dass ihm die nötige<br />

Konzentration gefehlt hat, denn die Arbeit und <strong>der</strong> Sport zusammen<br />

machen nun einmal viel aus.<br />

Warum er jetzt wie<strong>der</strong> am Bellevueplatz steht, kann er sich also nicht<br />

selbst klar beantworten - er steht halt einfach da, schließlich arbeitet er<br />

auch in <strong>der</strong> Nähe. Ob er wohl insgeheim damit rechnet, dass er diesen<br />

Erwin Gisler noch einmal hier treffen wird, ja, sogar irgendwie darauf<br />

hofft? Fragen an ihn hätte er ja noch wahrhaftig genug zu stellen, sogar<br />

mehr als ihm lieb ist. Vor allem mit dieser sogenannten Schuld<br />

gegenüber Gott weiß er nichts anzufangen - und erst recht nichts mit <strong>der</strong><br />

Geschichte vom Sündenfall, die ja wirklich nur ein Märchen sein kann,<br />

über die in <strong>der</strong> heutigen Zeit die meisten Leute zu Recht lachen, wenn<br />

sie diese hören, und auch er ist schließlich ein mo<strong>der</strong>ner,<br />

aufgeschlossener Mensch o<strong>der</strong> hält sich zumindest für einen solchen.<br />

Wozu soll er sich also nochmals mit diesen Frömmlern abgeben, die im<br />

Volksmund nicht umsonst mit unverhohlener Verachtung als Stündeler<br />

abqualifiziert werden?<br />

Schon überlegt er sich, ob er nicht doch jetzt nach Hause gehen soll, als<br />

er unvermutet mitten in <strong>der</strong> Menschenmenge, die sich jetzt, am späteren<br />

Samstagnachmittag, allerdings immer mehr lichtet, doch noch diesen<br />

Erwin Gisler erblickt, <strong>der</strong> für ihn so etwas wie eine Schlüsselfigur<br />

geworden ist; schließlich kennt er ihn von den Frommen auch als<br />

Einzigen. Zuerst zögert er noch, doch dann gibt er sich einen Ruck und<br />

schlen<strong>der</strong>t langsam dorthin, wo <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e erneut am Traktatverteilen<br />

ist. Diesmal ist es ein an<strong>der</strong>es, denn <strong>der</strong> elektrisierende Titel, <strong>der</strong> ihn vor<br />

einer Woche so fasziniert und mit Gisler letztlich bekannt gemacht hat,<br />

ist nicht zu sehen; das kann er schon bald erkennen.<br />

Schließlich ist er nahe genug bei ihm und als dieser ihn erblickt, geht er<br />

sogleich freudestrahlend auf ihn zu.<br />

„Schön, dass du wie<strong>der</strong> gekommen bist!“, sagt er aufrichtig und streckt<br />

ihm die rechte Hand entgegen, die Stettler fast automatisch drückt.<br />

„Du bist ja auch wie<strong>der</strong> hier“, entgegnet er darauf und schaut dem<br />

14


an<strong>der</strong>en mit einem schwachen Lächeln in die Augen.<br />

„Natürlich, das ist schließlich mein Auftrag“, sagt Gisler zu seiner<br />

Überraschung.<br />

„Dein Auftrag? Das tönt aber recht militärisch. Bist du am Ende noch bei<br />

<strong>der</strong> Heilsarmee?“<br />

„Nein, das nicht, aber ich vertrete das Gleiche wie sie.“<br />

„Aber diesmal mit einem an<strong>der</strong>en Titel.“<br />

„Was meinst du damit? Ah, du meinst den von <strong>der</strong> Revolution?“<br />

„Ja, genau den.“<br />

„Der hat dir wohl gefallen? Schließlich haben wir <strong>uns</strong> ja auch durch ihn<br />

kennen gelernt. Heute verteile ich an<strong>der</strong>e Traktate, die vom letzten Mal<br />

verteilt jemand an<strong>der</strong>s.“<br />

Dabei schaut er zu einem an<strong>der</strong>en jungen Mann hin, <strong>der</strong> etwa zehn<br />

Meter von ihm entfernt ebenfalls einen Stapel in den Armen hält und<br />

versucht, das Gedruckte unter die Leute zu bringen, von denen die<br />

meisten so wie immer vorbeischlen<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> -hasten, ohne sich auch<br />

nur einen kurzen Moment zu gönnen, um einen Blick auf diesen<br />

geradezu ominösen Titel zu werfen, <strong>der</strong> immerhin auch Stettler zum<br />

Lesen bewegt hat.<br />

„Ihr wechselt also ab?“, fragt er Gisler ehrlich interessiert.<br />

„Ja, aber nicht nach einem bestimmten Plan - es ergibt sich einfach so.“<br />

Nun halten sie eine Weile inne und Stettler überlegt sich bereits, ob er<br />

sich nicht doch endlich verziehen soll, als Gisler ihn direkt fragt: „Kommst<br />

du heute wie<strong>der</strong> in die Teestube?“<br />

„Ich weiß nicht so recht“, antwortet Stettler zögernd und muss sich dabei<br />

eingestehen, dass seine Worte nicht glaubwürdig klingen. Wozu ist er<br />

schließlich hergekommen? Wenn er absolut kein Interesse hätte, würde<br />

er jetzt wohl kaum hier stehen - o<strong>der</strong> doch?<br />

„Heute würde es sich bestimmt lohnen, wenn du kommen würdest“, hakt<br />

Gisler wie<strong>der</strong> ein, <strong>der</strong> seine Unschlüssigkeit geradezu riecht.<br />

„Warum meinst du das?“<br />

„Es predigt nämlich ein In<strong>der</strong>, <strong>der</strong> früher ein Hindu war und heute<br />

ebenfalls an Jesus Christus glaubt.“<br />

„Na und? Es gibt doch auch Christen, die sich zum Hinduismus<br />

bekehren, und sogar ziemlich viele - sicher mehr, als es euch recht ist.“<br />

„Ja, das stimmt, aber nicht solche, die Jesus persönlich in ihrem Leben<br />

erfahren haben. Das ist etwas ganz an<strong>der</strong>es als das, was die meisten<br />

Menschen sich vorstellen, aber das hast du das letzte Mal ja schon<br />

gehört.“<br />

„Trotzdem habe ich damals wenig bis nichts verstanden, auch wenn du<br />

dir Zeit für mich genommen hast.“<br />

„Gerade darum wäre es gut, wenn du diesen Mann sehen und hören<br />

15


würdest. Übrigens war er früher nicht nur ein einfacher Hindu, son<strong>der</strong>n<br />

ein Brahmane; er gehörte also einer <strong>der</strong> höchsten Kasten an und wurde<br />

als ein Guru sogar fast angebetet, aber auch solche bekehren sich zu<br />

Jesus Christus.“<br />

„Ja, das kann einen wirklich neugierig machen.“<br />

„Also kommst du?“<br />

„Wenn ich dir damit eine Freude machen kann ...“<br />

„Nicht nur mir, son<strong>der</strong>n vor allem auch dir selber und allen an<strong>der</strong>en.“<br />

„Welchen an<strong>der</strong>en?“<br />

„Die du beim letzten Mal in <strong>der</strong> Teestube gesehen hast.“<br />

„Was, auch diesen?“<br />

„Natürlich, wir würden <strong>uns</strong> alle wirklich freuen, wenn du wie<strong>der</strong> kommen<br />

würdest.“<br />

„Was willst du damit sagen - wir alle?“<br />

„Wir haben schon einmal in <strong>der</strong> Gruppe für dich gebetet, das heißt ein<br />

Teil von <strong>uns</strong>. Obwohl nur ich mit dir geredet habe, wissen alle bereits,<br />

wer du bist.“<br />

„Was, du hast den an<strong>der</strong>en schon von <strong>uns</strong>erem Gespräch erzählt? Das<br />

finde ich aber nicht fair, dass du mir von dieser Gesundbeterei nichts<br />

gesagt hast.“<br />

„Aber es war doch gut gemeint, Hans“, wirft Gisler ein, ohne auf diesen<br />

versteckten Angriff einzugehen, „wir freuen <strong>uns</strong> wirklich für alle, die zu<br />

<strong>uns</strong> Kontakt aufgenommen haben, und so ist es auch natürlich, dass wir<br />

als Gruppe zusammen für euch beten.“<br />

Ist wohl das <strong>der</strong> Grund dafür, dass er heute einen so unerklärlichen<br />

Drang gespürt hat, noch einmal hier vorbeizuschauen und vielleicht<br />

diesen Erwin Gisler zu treffen? Ach was, das redet er sich doch nur ein!<br />

Im Leben geschehen eben solche Dinge, ohne dass sie mit Schicksal<br />

o<strong>der</strong> Gott o<strong>der</strong> was auch immer zu tun haben müssen.<br />

„Also schön, wenn es euch freut, gehen wir halt“, entgegnet er<br />

schließlich fast verärgert, „ich hoffe nur, das mit <strong>der</strong> Freude stimmt<br />

auch.“<br />

„Ganz bestimmt, Hans“, sagt Gisler echt erfreut, dass er doch wie<strong>der</strong> in<br />

die Teestube zu kommen gedenkt, „das kannst du mir glauben.“<br />

Schon schickt sich Stettler an, zu gehen, doch bevor sie zusammen<br />

aufbrechen, begibt sich Gisler noch zum Kollegen, <strong>der</strong> bisher weiter<br />

seine Traktate verteilt hat. Da er diesmal nicht allein ist wie vor einer<br />

Woche - zumindest nicht auf diesem Platz, denn auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

<strong>der</strong> Straße hat damals noch jemand verteilt, den Stettler nicht gesehen<br />

hat -, hält er es für notwendig und richtig, den an<strong>der</strong>en wenigstens in<br />

Kenntnis zu setzen, dass er jetzt mit Stettler weggeht. Als er bei ihm<br />

ankommt, hält <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sofort mit dem Verteilen inne, und da Stettler<br />

16


dem an<strong>der</strong>en fast automatisch bis hierher gefolgt ist, können sie auch<br />

gleich einan<strong>der</strong> vorgestellt werden.<br />

„Das ist Bruno“, sagt Gisler sofort zu Stettler, und sogleich streckt dieser<br />

ihm strahlend die rechte Hand hin, da er die Traktate im linken Arm hält.<br />

„Hoi, freut mich, dich kennen zu lernen“, begrüßt er ihn forsch.<br />

„Und das ist Hans“, setzt Gisler die Zeremonie fort.<br />

„Sali“, sagt Stettler bloß und leicht verlegen und drückt darauf Brunos<br />

Hand.<br />

„Er kommt heute auch zu <strong>uns</strong> in die Teestube“, klärt Gisler den an<strong>der</strong>en<br />

auf, „wir haben <strong>uns</strong> schon vor einer Woche kennen gelernt.“<br />

„Das ist wun<strong>der</strong>bar“, entgegnet dieser Bruno erfreut - und anscheinend<br />

meint er es auch ehrlich.<br />

Das alles ver<strong>uns</strong>ichert Stettler schon ein wenig; schließlich ist er sich<br />

solche Herzlichkeit, die er bei den beiden wirklich zu spüren glaubt,<br />

überhaupt nicht gewöhnt. An seinem Arbeitsplatz wird Höflichkeit zwar<br />

auch großgeschrieben und in Form von Anzügen und Krawatten auch<br />

äußerlich gezeigt, aber diese Höflichkeit kam ihm selbst, <strong>der</strong> sie täglich<br />

anwendet, immer nur gekünstelt und hochgeschraubt vor und lässt sich<br />

nicht mit dieser hier vergleichen. Trotzdem kann er es sich immer noch<br />

nicht so recht vorstellen, dass all diese Freundlichkeit und Herzlichkeit<br />

ausgerechnet ihm gelten soll, <strong>der</strong> in seinem Leben zwar auch viel<br />

Schönes und sogar Liebe erfahren hat, aber immer nur in kurzen<br />

Schüben und nie wirklich tief, so dass nie ein Stück übrigblieb, von dem<br />

er nachher zehren konnte. Gerade bei ihm zeigt es sich allzu klar, dass<br />

ein einzelner Mensch oft einsam ist und sich auch so fühlen kann,<br />

obwohl er o<strong>der</strong> sie täglich mit vielen Leuten zusammen ist. Vielleicht ist<br />

es gerade dieses innere seelische Loch, das ihn jetzt dazu bewegt,<br />

etwas Neues im Leben kennen zu lernen, obwohl er noch nicht weiß, ob<br />

dies das Wahre ist, nach dem er im Grund immer gesucht hat - und<br />

manchmal auch, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.<br />

Da Bruno sieht, dass die beiden an<strong>der</strong>en aufbrechen wollen, hört auch<br />

er mit dem Traktatverteilen auf, und zudem ist es sowieso bald Zeit, um<br />

in die Teestube zu gehen. Wenn er daran denkt, dass die meisten Leute<br />

achtlos an ihm vorbeigehastet sind und nur ganz wenige eines<br />

entgegengenommen haben, beobachtet er es schon als einen Erfolg,<br />

dass überhaupt einer mit ihnen kommen will, auch wenn es für diesen<br />

einen nicht das erste Mal ist. Führt er sich jedoch vor Augen, dass er<br />

schon Tage erlebt hat, an denen er anscheinend <strong>der</strong>art strahlte, dass<br />

verschiedene Leute ihn geradezu darum baten, ein Traktat bekommen<br />

zu dürfen, befällt ihn tatsächlich so etwas wie leise Wehmut.<br />

17


Erneut gehen sie mit schnellen Schritten voran, ohne viel zu sprechen -<br />

dafür haben sie später ja noch genügend Zeit. Als sie die gleiche Treppe<br />

wie dazumal hinuntersteigen und den unterirdischen Raum betreten,<br />

fühlt sich Stettler wie<strong>der</strong> in jene katakombenähnliche Stimmung mit<br />

Kerzenlicht versetzt, die er schon vor einer Woche erlebt hat. Im<br />

Vergleich zum letzten Mal sind heute bedeutend mehr Leute gekommen,<br />

einerseits weil es Samstagabend ist und deshalb viel mehr von ihnen<br />

morgen frei haben, und an<strong>der</strong>erseits wohl auch wegen dieses indischen<br />

Predigers, <strong>der</strong> für heute angekündigt worden ist.<br />

Vorerst fällt ihm aber nichts Beson<strong>der</strong>es auf, es scheint alles gleich zu<br />

sein wie beim ersten Mal - abgesehen davon, dass es enger geworden<br />

ist. Trotzdem sitzt er jetzt mit Erwin Gisler fast genau am gleichen Tisch,<br />

nur einen davon entfernt, aber auch so hat er eine ausgezeichnete Sicht<br />

zum Pult, von dem aus die Reden gehalten und die Lie<strong>der</strong> vorgetragen<br />

werden. Da <strong>der</strong> Prediger noch nicht erscheint, wird diese Zeit erneut mit<br />

an<strong>der</strong>en Leuten überbrückt, und zwar genau gleich wie beim ersten Mal,<br />

also mit einem Vorredner, <strong>der</strong> ein kurzes Glaubenszeugnis ablegt, und<br />

danach mit einem Mädchen, das allerdings nicht mehr das gleiche ist wie<br />

vor einer Woche und zudem nicht allein singt, son<strong>der</strong>n mit einem<br />

Burschen, <strong>der</strong> auch wie<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>er ist, aber mit seinem Vorgänger<br />

gemeinsam hat, dass auch er auf einer Gitarre spielt. Stettler muss sich<br />

eingestehen, dass dieses Programm mit dem Duo, das so schön singt,<br />

wirklich gut gelungen ist, auch wenn es ihm immer noch son<strong>der</strong>bar<br />

vorkommt, dass wie<strong>der</strong> nur von diesem Jesus die Rede ist. Immerhin ist<br />

das für einen wie er, <strong>der</strong> sein ganzes Leben lang alle möglichen Arten<br />

von musikalischen Stilrichtungen sowie alle möglichen und unmöglichen<br />

Botschaften gehört hat, etwas völlig Neues und Ungewohntes. Wohl<br />

auch aus diesem Grund musste er ein zweites Mal hierherkommen, um<br />

sich zu vergewissern, ob er das nicht alles nur geträumt hat, <strong>der</strong>art fremd<br />

ist es ihm immer noch.<br />

Als schließlich nach etwa zwanzig Minuten doch noch <strong>der</strong> indische<br />

Prediger angekündigt wird und dieser durch eine Seitentür hereinkommt,<br />

geht ein solches Raunen durch den Saal, dass sich Stettler sagt, es<br />

fehlen zu seinem Einzug nur noch die Pauken und Trompeten. Offenbar<br />

ist <strong>der</strong> Mann unter diesen Christen ziemlich bekannt, sonst würden sie<br />

ihm nicht diesen geradezu überwältigenden Empfang bereiten - aber<br />

immerhin wird nicht geklatscht, was Stettler gewaltig übertrieben finden<br />

würde. Noch bevor <strong>der</strong> Prediger, <strong>der</strong> zuerst noch allen mit einem<br />

freundlichen Lächeln zuwinkt, das Podium betritt, hat Stettler ein paar<br />

Sekunden Zeit, um ihn zu mustern. Allzu groß ist er nicht, wie es die<br />

wenigsten In<strong>der</strong> sind, aber immer noch jung, und dass er ein In<strong>der</strong> ist,<br />

18


kann man an seinem Gesicht sofort erkennen. Außerdem fällt ihm auf,<br />

dass er einen ziemlich entschlossenen Eindruck vermittelt; also wird er<br />

wohl genau wissen, was er erzählen will.<br />

Das zeigt sich denn auch, sobald er zusammen mit einem Übersetzer<br />

ans Rednerpult tritt, das ebenso wie vieles an<strong>der</strong>e hier unten aus reinem<br />

Holz hergerichtet worden ist und einen rustikalen Eindruck erweckt. Da<br />

<strong>der</strong> Prediger nicht allzu groß ist, hat er wenigstens den Vorteil, dass er<br />

sich nicht allzu tief zum Brett hinunterbeugen muss, das wie eine Art<br />

Sekretär befestigt worden ist.<br />

Nach einem kurzen Räuspern und einem weiten Blick in die ganze<br />

Runde spricht er schließlich auf Englisch und ohne jede Unsicherheit:<br />

„Ich danke euch, dass ich für heute Abend hierher eingeladen worden<br />

bin, um euch von <strong>uns</strong>erem Herrn Jesus Christus erzählen zu können.<br />

Manche von euch kennen mich bereits, an<strong>der</strong>e sind heute vielleicht zum<br />

ersten Mal hier, und wer mich kennt, hat sicher auch schon davon<br />

gehört, wie sehr <strong>der</strong> Herr mich verän<strong>der</strong>t und mir ein neues Leben<br />

geschenkt hat. Darum möchte ich meine heutige Predigt mit diesem Vers<br />

beginnen, <strong>der</strong> im zweiten Korintherbrief steht, Kapitel fünf, Vers<br />

siebzehn, wo <strong>der</strong> Apostel Paulus geschrieben hat: ‚Darum, ist jemand in<br />

Christus, so ist er eine neue Kreatur. Siehe, das Alte ist vergangen, es<br />

ist alles neu geworden.’ Ja, diese wun<strong>der</strong>baren Worte treffen auch auf<br />

mich zu wie auf so viele an<strong>der</strong>e. Wie einige von euch vielleicht schon<br />

wissen, war ich früher ein Hindu und stammte aus einer <strong>der</strong> höchsten<br />

Kasten, in <strong>der</strong> die alten religiösen Bräuche hochgehalten wurden. So<br />

lernte ich von klein auf alle hinduistischen Riten auswendig und war auf<br />

dem besten <strong>Weg</strong>, in <strong>der</strong> religiösen Hierarchie aufzusteigen und einer <strong>der</strong><br />

ranghöchsten und angesehensten Gurus zu werden ...“<br />

Während <strong>der</strong> Prediger in einem erstaunlich frischen Stil aus seinem<br />

Leben erzählt und immer wie<strong>der</strong> eine kleine Pause einlegt, damit <strong>der</strong><br />

ebenso junge Übersetzer seine Worte ins Deutsche übertragen kann,<br />

spürt Stettler, wie angespannt die Stimmung im Raum ist. Offensichtlich<br />

gilt dieser Mann etwas, sonst würden ihm die Leute nicht mit einer<br />

solchen Konzentration zuhören, ja, sie würden ihm nicht buchstäblich an<br />

den Lippen hängen. Als einer <strong>der</strong> ganz wenigen, wenn nicht gar als<br />

Einziger wagt er es, vom Prediger wegzublicken und seine Blicke<br />

verstohlen im Raum herumschweifen zu lassen, weil er sich in aller Ruhe<br />

ein Bild davon verschaffen will, wie voll <strong>der</strong> Saal ist und was für Typen<br />

von Leuten da unten versammelt sind.<br />

Wie er so aufs Geratewohl umherschaut und allerhand Sorten von<br />

Menschen erkennt, fällt ihm plötzlich, wie aus heiterem Himmel, eine<br />

Frau auf, die er bisher noch gar nicht wahrgenommen hat. Vielleicht ist<br />

19


sie gerade dann hereingekommen und hat sich gesetzt, als er seine<br />

Aufmerksamkeit dem Pult zuwandte, ja, möglicherweise erst nachdem<br />

<strong>der</strong> Prediger bereits mit seiner Rede begonnen hat. Warum gerade sie<br />

ihm inmitten so vieler Menschen auffällt, kann er sich nicht erklären - er<br />

fühlt sich sogar geradezu magisch zu ihr hingezogen. Da sie keine zehn<br />

Meter von ihm entfernt sitzt und ihren Blick ebenfalls nach vorn zum<br />

Prediger gerichtet hält, hat er genügend Zeit, um sie ein wenig zu<br />

betrachten, ohne dass sie es bemerkt und ohne dass auch die an<strong>der</strong>en<br />

es sehen.<br />

Er schätzt sie zwischen 25 und 30 Jahre, und ihre Gesichtszüge strahlen<br />

eine Anmut aus, wie er es bei Frauen bisher nur selten gesehen hat,<br />

wohl gerade deshalb, weil sie keine <strong>der</strong> sogenannten Schönheiten ist,<br />

die sich bei Miss-Wettbewerben o<strong>der</strong> auf dem Laufsteg messen - sie<br />

wirkt außerordentlich natürlich. Ab und zu glaubt er ein schwaches<br />

Lächeln zu erkennen, wenn <strong>der</strong> Prediger etwas Bestimmtes sagt und ihr<br />

das gefällt. Allein ihre dunkelbraunen Haare, die hinten zu einem<br />

Pferdeschwanz zusammengebunden sind, gefallen ihm sehr, und als sie<br />

diese einmal mit einer Hand, die auf den ersten Blick mittelgross zu sein<br />

scheint, nach hinten streicht, tut sie das mit einer so graziösen<br />

Bewegung, dass er sich erst recht zu ihr hingezogen fühlt. Ob sie wohl<br />

auch zu diesen frommen Leuten gehört?, fragt er sich und ertappt sich<br />

bereits dabei, dass ihm das fast Sorgen bereiten würde. Vor ihr liegt auf<br />

dem Tischchen ein Buch, das vom Umfang her eine Bibel sein könnte;<br />

also ist daraus zu schließen, dass sie wohl dazugehört. Vielleicht ist es<br />

aber auch die Bibel einer an<strong>der</strong>en Person? Ach was, ob sie nun zu<br />

diesen Frommen gehört o<strong>der</strong> nicht, das hat ja mit ihrer Qualität als<br />

attraktiver Frau, wie er sie empfindet, nichts o<strong>der</strong> nur wenig zu tun!<br />

Erst jetzt bemerkt er, dass er den Worten des Predigers schon seit<br />

einiger Zeit nicht mehr mit voller Konzentration zuhört, son<strong>der</strong>n diese an<br />

sich vorüberstreichen ließ. So gibt er sich innerlich einen Ruck und<br />

richtet seinen Blick wie<strong>der</strong> nach vorn: „... dass die meisten Menschen tief<br />

in ihrem Innersten wissen, dass es einen Gott gibt, und darum nach ihm<br />

suchen, und oft ist ihnen das nicht einmal bewusst. Die einen versuchen<br />

es mit einer östlichen Religion wie etwa dem Hinduismus o<strong>der</strong><br />

Buddhismus, die an<strong>der</strong>en mit Philosophie o<strong>der</strong> mit Drogen, wie<strong>der</strong>um<br />

an<strong>der</strong>e mit einem Okkultismus, <strong>der</strong> im Gegensatz zum Hinduismus nicht<br />

so versteckt wirkt, und an<strong>der</strong>e mit guten Werken. An<strong>der</strong>e verehren<br />

Politker o<strong>der</strong> sogenannte Stars aus dem Showbusiness o<strong>der</strong> Sportler -<br />

interessanterweise fast nur Männer und fast keine Frauen - und beten<br />

sie fast an, und wie<strong>der</strong>um an<strong>der</strong>e kümmern sich überhaupt um gar nichts<br />

und schauen nur für sich. Über all diese Menschen spricht die Bibel,<br />

20


dass sie in <strong>der</strong> Finsternis wandeln und das Licht nicht sehen können. Sie<br />

sehen zwar mit ihren Augen, aber sie sind trotzdem blind, weil sie dieses<br />

Licht, das Jesus Christus in diese Welt gebracht hat, nicht erkennen,<br />

wie es in einem <strong>der</strong> ersten Verse im Johannes-Evangelium geschrieben<br />

steht: ‚Und das Licht leuchtet in <strong>der</strong> Finsternis und die Finsternis hat es<br />

nicht begriffen’...“<br />

Je länger Stettler diesen Worten zuhört, desto mehr muss er sich sagen,<br />

dass er wie<strong>der</strong>um wenig bis nichts versteht. Sünde, Trennung von Gott,<br />

Licht, Finsternis, Wie<strong>der</strong>geburt, Rettung - all dies kommt ihm wie ein<br />

Herunterplappern von Wörtern vor, ja, fast wie eine Fremdsprache. Und<br />

ausgerechnet dieser Jesus soll die Lösung für all diese Probleme sein?<br />

Das geht ihm nicht in den Kopf; ohne dass er es an sich selbst merkt,<br />

schüttelt er ihn während <strong>der</strong> Predigt mehr als einmal, wenn auch nur<br />

ganz schwach - aber doch so deutlich, dass Erwin Gisler, <strong>der</strong> ihm direkt<br />

gegenübersitzt, und dessen Nachbar, eben dieser Bruno, den er auf dem<br />

Bellevueplatz kennen gelernt hat, es wahrnehmen.<br />

Schließlich nähert sich <strong>der</strong> Prediger allmählich doch noch dem Ende<br />

seiner Rede; das ist daran zu erkennen, wie er seinen Ton ein wenig<br />

senkt, als wolle er zu etwas Neuem ausholen, und seinen Wortfluss<br />

bremst. Kurz nachdem er damit begonnen hat, sagt er denn auch: „Also<br />

lasst euch noch einmal dies sagen: Jesus Christus ist wahrhaftig von<br />

den Toten auferstanden und lebt auch heute mitten unter <strong>uns</strong>, wenn<br />

auch noch <strong>uns</strong>ichtbar. Er wartet darauf, dass wir ihm <strong>uns</strong>ere Sünden vor<br />

Gott bekennen, dass wir darüber Buße tun und <strong>uns</strong> zu ihm bekehren,<br />

damit er <strong>uns</strong> vor dem ewigen Ver<strong>der</strong>ben erretten und <strong>uns</strong> mit dem Vater<br />

im Himmel versöhnen kann. Dafür und wirklich nur dafür ist er auf diese<br />

Welt gekommen, um am Kreuz von Golgatha dieses Versöhnungswerk<br />

zu vollbringen. Darum geht alle, die ihr ihn noch nicht persönlich kennt,<br />

zu ihm hin, kniet vor ihm nie<strong>der</strong> und übergebt ihm euer Leben, und ihr<br />

werdet erkennen, dass er wirklich auch heute noch lebt und <strong>uns</strong> ein<br />

neues, sinnerfülltes Leben schenken kann! - Amen.“<br />

Darauf stimmen viele an<strong>der</strong>e in dieses „Amen“ mit ein und Stettler<br />

kommt sich wie<strong>der</strong> wie in einer <strong>der</strong> Kirchen vor, von denen er zum<br />

letzten Mal vor einigen Jahren eine von innen gesehen hat, zumindest in<br />

diesem Land, in dem er nie als Tourist unterwegs war wie an<strong>der</strong>swo -<br />

und auch damals nur deshalb, weil er zu einer kirchlichen Hochzeit<br />

eingeladen war. Schon denkt er, die Versammlung sei nun fertig, doch<br />

da nimmt <strong>der</strong> Prediger eine Gitarre, welche die ganze Zeit in <strong>der</strong> Nähe<br />

gestanden und auf <strong>der</strong> vor etwa einer Stunde <strong>der</strong> Bursche gespielt hat,<br />

als das vorge<strong>führt</strong> wurde, was die Christen hier als Vorprogramm<br />

21


ezeichnen. Zu Stettlers nicht geringer Überraschung - aber nicht für<br />

jene, die diesen Prediger schon kennen - hält dieser das Instrument nicht<br />

nur hoch und beginnt zu spielen, son<strong>der</strong>n singt dabei auch noch, und<br />

das erst noch mit einer so kräftigen und schönen Stimme, dass auch<br />

Stettler beeindruckt wird und sich sagt, dass dieser Mann musikalisch<br />

tatsächlich etwas drauf hat. Während er singt, klatschen die meisten<br />

an<strong>der</strong>en rhythmisch mit, sobald er einen Refrain anstimmt, <strong>der</strong> mit den<br />

Worten „I know He’s living ...“ beginnt. Die meisten klatschen mit einem<br />

Strahlen im Gesicht mit, nur Stettler nicht, <strong>der</strong> das ganze Schauspiel<br />

we<strong>der</strong> zum Klatschen noch zum Strahlen findet; dafür haben ihn die<br />

Worte und Aussagen des Predigers viel zu sehr geärgert. In ein paar<br />

Dingen gibt er ihm ja Recht - aber musste er gleich so hart dreinfahren<br />

und mit einer Hölle drohen, die es in dieser Form vielleicht gar nie geben<br />

wird, weil man diese eigentlich schon hier auf Erden hat?<br />

Während <strong>der</strong> Prediger singt und die meisten an<strong>der</strong>en fast wie in Trance<br />

mitklatschen, wie Stettler das empfindet, entdeckt er nicht ohne Freude,<br />

dass die Frau, die er zuvor so lange beobachtet hat, zu den ganz<br />

wenigen gehört, die diesem allgemeinen Begeisterungstaumel nicht<br />

erliegen, son<strong>der</strong>n einfach still dasitzt und höchstens schwach mitklatscht,<br />

was er aber nicht richtig sehen kann, da sich ihre Hände gerade<br />

unterhalb <strong>der</strong> Tischkante befinden - dabei wendet sie allerdings den<br />

Blick nach vorn immer noch nicht ab. Vielleicht genießt sie das ganze<br />

Schauspiel trotzdem, nur scheint es nicht ihre Art zu sein, wie die<br />

meisten an<strong>der</strong>en so übertrieben aus sich herauszugehen, und gerade<br />

das gefällt ihm so sehr an ihr.<br />

Schließlich gelangt <strong>der</strong> Prediger mit seinem Lied zum letzten Teil, <strong>der</strong> mit<br />

dem Satz „Christ is living in my heart“ endet und sich ziemlich lange<br />

hinzieht, und als er dann wirklich fertig gesungen hat, glaubt Stettler<br />

erneut, dass die verschiedenen Vorführungen jetzt tatsächlich am Ende<br />

sind, doch er hat sich noch einmal getäuscht: Kaum hat er sich eine<br />

weitere Tasse Kaffee eingeschenkt und will an einem Keks knabbern, da<br />

wird es plötzlich auffallend still, als ginge es an eine Beisetzung, und<br />

dann sagt <strong>der</strong> Prediger mit leiser, aber bestimmter Stimme: „Wer unter<br />

euch den Herrn Jesus Christus noch nicht kennt und ihn heute Abend als<br />

persönlichen Erlöser kennen lernen möchte, kann dies tun. Es eilt nicht,<br />

ihr könnt euch Zeit nehmen, denn auch wir nehmen <strong>uns</strong> Zeit, um für<br />

euch zu beten. Wenn ihr euch dann für ihn entscheiden könnt, braucht<br />

ihr das nur durch Handaufheben zu bezeugen. Niemand stört euch dabei<br />

und niemand wird zuschauen.“<br />

Wie auf ein Kommando senken darauf fast alle ihr Haupt und versinken<br />

22


in Gebetspose, darunter auch die Frau, an <strong>der</strong> Stettler einen solchen<br />

Gefallen gefunden hat. Während jetzt die meisten mit geschlossenen<br />

Augen still für sich beten, stimmt <strong>der</strong> Prediger ein weiteres Lied an, das<br />

er aber eher summt als singt, um damit wohl die nötige Stimmung zu<br />

erzeugen, die seinen soeben gesprochenen Worten entspricht. Da<br />

Stettler angesichts <strong>der</strong> klaren Gebetshaltung so vieler Leute mit einem<br />

leichten Schrecken erkennen muss, dass er einer winzigen Min<strong>der</strong>heit<br />

angehört, ja, dass er fast <strong>der</strong> einzige nichtfromme Fremdling ist, kommt<br />

es ihm recht unbehaglich vor, noch mehr als vorher.<br />

Wenn nun <strong>der</strong> Prediger versprochen hat, es würde niemand hinschauen,<br />

wenn jemand durch Handaufheben bezeugt, dass er o<strong>der</strong> sie sich zu<br />

Christus bekehren will, hat er sich gründlich getäuscht, denn zumindest<br />

er, Hans Stettler persönlich, lässt es sich nicht nehmen, sich dieses<br />

Schauspiel zu Gemüte zu führen. Allerdings tut er das mit halbwegs<br />

gesenktem Kopf, so dass er den Raum zwar nicht völlig, aber doch für<br />

ihn genügend überblicken kann, wobei er bei diesem Tun nicht einmal<br />

bemerkt wird, nicht einmal von Erwin und Bruno, die ihm<br />

gegenübersitzen. Trotzdem kann er nicht deutlich erkennen, wer die<br />

Hände hochhält, aber da <strong>der</strong> Prediger gleich dreimal kurz „Danke“ sagt -<br />

und diesmal auf Deutsch -, ist anzunehmen, dass es drei Personen sind,<br />

welche die Bekehrung heute wagen wollen.<br />

Schließlich kommt die ganze Versammlung doch noch zu einem Ende<br />

und als es endlich wie<strong>der</strong> erlaubt ist, die Köpfe zu erheben und einan<strong>der</strong><br />

anzuschauen, glaubt Stettler zu erkennen, dass es zwei Frauen und ein<br />

Mann sind, die sich zur Bekehrung entschlossen haben. Es sieht danach<br />

aus, denn sie treten diskret so weit vor, dass sie in die Nähe des<br />

Predigers gelangen, wo sie von zwei Männern und einer Frau, die alle im<br />

mittleren Lebensalter stehen, buchstäblich in Empfang genommen<br />

werden. Weiter beobachtet er sie nicht, auch deshalb nicht, weil Erwin<br />

und Bruno, den er heute auf dem Bellevueplatz kennen gelernt hat und<br />

von dem er den Familiennamen immer noch nicht kennt, sich gleich auf<br />

eine Art ihm zuwenden, die <strong>uns</strong>chwer darauf schließen lässt, dass sie<br />

möglichst bald mit ihm über alles Gesehene und Gehörte sprechen<br />

wollen.<br />

3<br />

„Hat es dir gefallen?“, fragt Gisler wie<strong>der</strong> wie beim ersten Mal, während<br />

Stettler sich jetzt endlich den Kaffee genehmigt, den er sich vorher<br />

eingeschenkt hat.<br />

„Ja, es war schön“, bestätigt er kurz und schaut nach vorn zum Prediger,<br />

23


<strong>der</strong> gerade mit den drei Bekehrungskandidaten und den Assistenten ein<br />

paar Worte wechselt und dann mit ihnen in einem Nebenraum<br />

verschwindet.<br />

„Sag mir mal aber eines“, setzt er dann fort, als <strong>der</strong> Prediger mit den<br />

an<strong>der</strong>en verschwunden ist, und schaut Gisler direkt in die Augen, „dieser<br />

Mann kommt doch nicht aus Indien? Sein Englisch ist ganz an<strong>der</strong>s.“<br />

„Wie kommst du darauf?“, fragt darauf Bruno.<br />

„Ich arbeite in einer Großbank im Stadtzentrum und habe darum<br />

natürlich auch mit Kunden aus <strong>der</strong> ganzen Welt zu tun, so auch mit<br />

In<strong>der</strong>n. Diese sind meistens viel schwerer zu verstehen als er.“<br />

„Du hast Recht, Hans“, bestätigt Gisler, „er redet wirklich an<strong>der</strong>s; er ist<br />

eben nicht in Indien selber aufgewachsen, son<strong>der</strong>n außerhalb.“<br />

„Ah, in <strong>der</strong> indischen Diaspora, wenn wir dem so sagen können?“<br />

„Ja, genau, und zwar in Trinidad. Darum kann er auch so gut Englisch,<br />

weil das dort die Landessprache ist, aber nur das, also nicht auch noch<br />

Hindi o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e indische Sprache.“<br />

„Du kennst ihn also schon ziemlich gut, wenn du über ihn so viel weißt.“<br />

„Natürlich, ich bin mit ihm schon viele Male zusammen gewesen, auch<br />

bei Straßeneinsätzen.“<br />

„Was für Einsätze?“<br />

„Bei Evangelisationen, um es genauer zu sagen.“<br />

„Was ist denn das schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Eben das, was wir gemacht haben, als du <strong>uns</strong> getroffen hast.“<br />

„Ah, das meinst du! Ich muss schon sagen, ihr habt ein son<strong>der</strong>bares<br />

Vokabular, wie in einer Geheimsprache.“<br />

„Mit <strong>der</strong> Zeit gewöhnt man sich daran“, meldet sich jetzt wie<strong>der</strong> Bruno zu<br />

Wort, „aber natürlich bedeuten diese Wörter für <strong>uns</strong> etwas an<strong>der</strong>es als<br />

für dich, schließlich hast du sie heute vielleicht zum ersten Mal gehört.“<br />

„Ja, das stimmt. Übrigens fällt mir da gerade ein, dass <strong>der</strong> Name dieses<br />

indischen Predigers mir wie<strong>der</strong> entfallen ist. Wie heißt er schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Rabi Mavendran.“<br />

„Ah, jetzt erinnere ich mich wie<strong>der</strong>; er ist ja auch so angekündigt worden.<br />

Aber warum heißt er gerade Rabi? Warum hat er einen solchen<br />

jüdischen Titel?“<br />

„Das hat damit nichts zu tun, <strong>der</strong> Name ist bloß die Abkürzung des<br />

längeren Namens Rabindranath.“<br />

„Ja, das tönt jetzt wirklich indisch; schließlich habe ich auf <strong>der</strong> Bank<br />

diesen Namen auch schon gesehen. Aber sagt mir mal, wie ist es dazu<br />

gekommen, dass einer wie dieser indische Prediger, <strong>der</strong> früher ein Hindu<br />

24


war und es sogar zu einem Guru gebracht hat, heute so ein Christ sein<br />

kann wie ihr zwei? So ein Exote, wie er es ist!“<br />

„Das zeigt eben gerade, dass Jesus Christus wirklich für alle da ist, die<br />

zu ihm kommen wollen“, antwortet Gisler, „und dass <strong>der</strong> Glaube an ihn<br />

nichts mit den Staatskirchen zu tun hat, wie viele Leute das immer noch<br />

meinen. Jesus ist auf <strong>der</strong> ganzen Welt am Wirken.“<br />

„Dieser Jesus muss schon ein beson<strong>der</strong>er Typ sein, wenn ihr ständig nur<br />

von ihm redet, als ob er leben würde.“<br />

„Und ob er lebt, Hans! Er lebt wirklich auch noch heute und mitten unter<br />

<strong>uns</strong>, sonst könnten wir jetzt nicht hier sitzen und dir davon erzählen.“<br />

„Es ist ja schön, dass ihr an etwas glaubt, das euch einen Halt im Leben<br />

gibt, und es ist auch alles schön, was ich heute Abend gehört habe, aber<br />

ich selber kann damit nichts anfangen. Es ist mir alles viel zu fremd, es<br />

sagt mir einfach nichts.“<br />

„Aber es ist die Wahrheit, was du gehört hast“, wendet wie<strong>der</strong> Bruno ein.<br />

„Die Wahrheit? Was ist denn das schon? Von je<strong>der</strong> Religion heißt es,<br />

sie sei die Wahrheit, und von den vielen Sekten müssen wir schon gar<br />

nicht reden. Alle behaupten mit dem gleichen Fanatismus, sie hätten<br />

Recht.“<br />

„Ja, das stimmt“, ergreift wie<strong>der</strong> Erwin das Wort, „aber Jesus Christus ist<br />

keine Religion, son<strong>der</strong>n eine Person und erst noch eine, die von den<br />

Toten auferstanden ist und noch heute lebt. Übrigens kann ich dir bei<br />

dieser Gelegenheit erklären, was eine Sekte ist und was nicht. Das<br />

typische Kennzeichen einer Sekte ist, dass bei ihr nicht Jesus Christus<br />

und die Rettungsbotschaft vom Kreuz im Mittelpunkt stehen, son<strong>der</strong>n<br />

irgendetwas an<strong>der</strong>es und vor allem irgendeiner, <strong>der</strong> den Leuten das<br />

Geld aus <strong>der</strong> Tasche zieht und ständig mit Einschüchterungen und<br />

Drohungen vorgeht - und wenn doch einmal etwas Christliches dabei ist,<br />

dann ist es bei ihnen nicht so wie bei denen, für die nur Christus und das<br />

Kreuz das Heil bedeuten.“<br />

25


„Also wie bei euch, willst du damit sagen.“<br />

„Genau, wie bei <strong>uns</strong> auch“, bestätigt Erwin so entschieden, dass Hans<br />

doch wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher wird.<br />

Noch ehe er darauf etwas entgegnen kann, ereignet sich etwas völlig<br />

Unerwartetes, das ihn fast aus <strong>der</strong> Fassung bringt: Plötzlich steht die<br />

Frau, zu <strong>der</strong> er sich vorher so stark hingezogen gefühlt hat, auf und<br />

wendet sich langsam dem Ausgang zu, nachdem sie ein paar Minuten<br />

lang noch mit zwei Personen geplau<strong>der</strong>t hat, die mit ihr am gleichen<br />

Tisch saßen; dabei zeigte sie erneut ihr zurückhaltendes, aber<br />

bezauberndes Lächeln, das ihn zuvor so fasziniert hatte. So wie er sie<br />

jetzt in Leibesgröße sieht, ist sie recht groß gewachsen, fast so groß wie<br />

er, und er misst immerhin knapp über 180 Zentimeter. Das gilt für einen<br />

Fussballer ja als ideales Maß, weil man damit für Kopfbälle nicht zu<br />

klein, aber auch für die Wendigkeit des Körpers nicht zu groß ist,<br />

zumindest als Abwehrspieler nicht.<br />

Zuerst weiß er nicht so recht, wie er darauf reagieren soll, dass sie<br />

plötzlich weggeht, ohne dass er die Möglichkeit bekommen hat, sie ein<br />

wenig kennen zu lernen, ja, von <strong>der</strong> er noch nicht einmal den Namen<br />

weiß und die ihn nicht einmal bemerkt, geschweige denn angeschaut<br />

hat. Verstohlen schaut er zwischen Erwin und Bruno nach vorn zum<br />

Ausgang, während er bei sich selbst zu seiner eigenen Überraschung<br />

entdeckt, dass er über ihr plötzliches <strong>Weg</strong>gehen so etwas wie Trauer<br />

empfindet. Warum muss sie nur so früh gehen? Ach was, sie hat ja das<br />

Recht dazu!, redet er sich dann ein. Sie kennt mich ja nicht - und wer<br />

weiß, vielleicht sehe ich sie bald einmal wie<strong>der</strong>, wenn nötig sogar da<br />

unten.<br />

Als diese geheimnisvolle Frau schließlich nach draußen verschwunden<br />

ist, wendet er sich wie<strong>der</strong> seinen Gesprächspartnern zu, allerdings<br />

immer noch leicht verärgert darüber, dass er sie nicht kennen lernen<br />

konnte.<br />

„Also, wo sind wir stehen geblieben?“, nimmt er dann selbst den Faden<br />

wie<strong>der</strong> auf, „ach so, du hast gesagt, dass euer Jesus also eine Person<br />

ist, die angeblich noch heute lebt.“<br />

„Ja, das stimmt“, hakt Erwin wie<strong>der</strong> ein, „und er ist auch für dich von den<br />

Toten auferstanden.“<br />

„Ach so? Das habe ich aber nicht gewusst, niemand hat es mir bis heute<br />

gesagt.“<br />

„So sagen wir es dir heute“, wirft wie<strong>der</strong> Bruno ein, „das gehört eben<br />

auch zur heutigen Zeit, dass nicht mehr alle davon hören, nicht einmal<br />

mehr in den Kirchen, obwohl die meisten europäischen Län<strong>der</strong> sich noch<br />

als christlich bezeichnen.“<br />

26


„Ich kann es aber trotzdem nicht glauben“, entgegnet Hans, „es ist doch<br />

gegen jede Vernunft, dass jemand vom Totenreich zurückgekehrt ist und<br />

noch heute lebt. Habt ihr etwa vergessen, in welchem Jahrhun<strong>der</strong>t wir<br />

heute leben? Früher hat man an solche Hirngespinste noch geglaubt,<br />

aber heute sicher nicht mehr - nicht mehr in dieser mo<strong>der</strong>nen,<br />

aufgeklärten Zeit.“<br />

„Hast du vorher aber in diesem Raum nicht bemerkt, wie sehr <strong>der</strong> Herr<br />

<strong>uns</strong> verän<strong>der</strong>t hat und wie glücklich wir <strong>uns</strong> fühlen, das heißt alle, die ihn<br />

persönlich in sich aufgenommen haben?“, fragt darauf Erwin forsch und<br />

schaut ihn ebenso an.<br />

„Was ist denn das schon wie<strong>der</strong>, dieses ‚in sich aufnehmen’?“<br />

„Das heißt eben, sich zu ihm bekehren, ihm <strong>uns</strong>ere Sünden bekennen<br />

und ihn als <strong>uns</strong>eren Herrn und Erlöser annehmen.“<br />

„Was für Sünden?“<br />

„Die Sünden, die wir täglich verschulden, aber auch die Sünde ganz<br />

allgemein, das heißt die Trennung von Gott.“<br />

„Was für eine Trennung? Du redest in Rätseln.“<br />

„Da hast du Recht, Hans. Für jemanden, <strong>der</strong> Jesus Christus noch nicht<br />

persönlich kennt, tönt das alles tatsächlich komisch und verwirrend; wer<br />

ihn aber kennt, kann diese Worte verstehen.“<br />

„Ah, die von den Sünden und <strong>der</strong> Trennung?“<br />

„Ja, genau diese, aber noch viel mehr“, meldet sich wie<strong>der</strong> Bruno zu<br />

Wort.<br />

„Was denn zum Beispiel?“<br />

„Ich halte es für besser, wenn wir zuerst bei dem bleiben, was wir vorher<br />

angedeutet haben“, antwortet wie<strong>der</strong> Erwin, <strong>der</strong> schon befürchtet, das<br />

Gespräch könnte heute allzu viele Gebiete streifen und damit den Faden<br />

verlieren.<br />

„Bei was denn?“, fragt Hans nach.<br />

„Eben bei dieser Trennung, das heißt die Trennung von Gott, die durch<br />

den Sündenfall entstanden ist.“<br />

Da muss Hans fast in Gelächter ausbrechen und er fragt sofort: „Ihr<br />

glaubt also wirklich an diese Geschichte mit dem Apfel?“<br />

„Ja, wir glauben daran, weil wir persönlich erfahren haben, dass sie<br />

stimmt“, kontert Erwin sicher und ohne Zögern, „übrigens steht in <strong>der</strong><br />

Bibel nicht geschrieben, dass es ein Apfel war, son<strong>der</strong>n es ist nur von<br />

einer Frucht die Rede. Dass die Version vom Apfel sich eingebürgert hat,<br />

ist auf frühere Übersetzungsarbeiten zurückzuführen, weil im Latein die<br />

Wörter für einen Apfel und für das Übel fast identisch sind, aber ob es<br />

ein Apfel war o<strong>der</strong> nicht, kommt am Ende aufs Gleiche heraus.“<br />

„Dann haben Adam und Eva also vielleicht keinen Apfel vertilgt?“, fragt<br />

Hans immer noch belustigt.<br />

27


„Vielleicht nicht, aber es ist eine Tatsache, dass seitdem die Sünde diese<br />

Welt regiert und wir alle unter dem Fluch dieser Erbsünde stehen.“<br />

„Jetzt macht aber mal einen Punkt! Ihr könnt doch nicht ernsthaft<br />

glauben, dass alles nur von diesem Apfel abhängig gemacht werden<br />

kann - o<strong>der</strong> von einer Frucht o<strong>der</strong> was auch immer. Das ist doch ein<br />

völliger Blödsinn, das passt wirklich nicht mehr in <strong>uns</strong>ere Zeit.“<br />

„Es ist aber lei<strong>der</strong> so, Hans. Wir werden alle mit einem sündigen Körper<br />

geboren und kennen Gott nicht mehr persönlich, seitdem Adam und Eva<br />

vom Paradies vertrieben worden sind. Gerade darum ist Jesus Christus<br />

als <strong>der</strong> Erlöser, <strong>der</strong> vorher jahrhun<strong>der</strong>telang in vielen Einzelheiten<br />

angekündigt worden ist, auf diese Welt gekommen, um am Kreuz das<br />

Erlösungswerk zu vollbringen und <strong>uns</strong> durch sein Sühnopfer wie<strong>der</strong> mit<br />

Gott zu versöhnen. Wer also an ihn als Erlöser glaubt, kehrt damit auch<br />

zu Gott zurück und lernt ihn durch den Heiligen Geist kennen, <strong>der</strong> dann<br />

in jeden Menschen einzieht, <strong>der</strong> den Herrn Jesus als Retter in sich<br />

aufgenommen hat. Das ist dann eben diese Wie<strong>der</strong>geburt, von <strong>der</strong> Rabi<br />

gesprochen hat.“<br />

„Moment mal, das ist ein bisschen viel auf einmal! Ihr glaubt also<br />

tatsächlich an das, was als Erbsünde bezeichnet wird? Warum soll ich<br />

denn schuldig sein? Ich habe doch niemandem etwas getan, als ich auf<br />

die Welt kam, ja, es war ja nicht meine Schuld, dass ich von meinen<br />

Eltern in diese Welt gesetzt wurde. Wie reimt sich das alles nach eurer<br />

Theorie zusammen?“<br />

„Dass wir alle sündig und damit unvollkommen sind, zeigt sich doch<br />

schon von klein auf“, setzt Erwin fort, „in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Psychologie<br />

heißt es zwar, dass <strong>der</strong> Mensch von Grund auf eigentlich gut ist und nur<br />

durch äußere Einflüsse aggressiv wird, aber die Wirklichkeit ist immer<br />

noch ganz an<strong>der</strong>s. Das zeigt sich doch schon bei den kleinen Kin<strong>der</strong>n:<br />

Du kannst ihnen noch so viel Liebe und Geborgenheit schenken, eines<br />

Tages bricht die angeborene Aggressivität trotzdem durch und sie<br />

beginnen, aufeinan<strong>der</strong> einzuschlagen, und werden auch gegenüber den<br />

Eltern aggressiv. Das ist eben auch eine Folge dieser angeborenen<br />

Erbsünde. Ich habe selber zwar keine Kin<strong>der</strong>, aber ich weiß das von<br />

an<strong>der</strong>en Eltern, darunter auch von einem gläubigen Ehepaar, das eigene<br />

Kin<strong>der</strong> hat und mit dem ich befreundet bin. Dass wir später mit <strong>der</strong> Zeit<br />

alle aggressiv werden und dass all dieser Ha<strong>der</strong> und Neid und Hass und<br />

alles Mögliche bis zu einem Krieg <strong>uns</strong>er Zusammenleben so gewaltig<br />

erschweren und zeitweise sogar zu einer irdischen Hölle machen, muss<br />

ich dir sicher nicht mehr näher erklären; das weißt du ja selber gut<br />

genug.“<br />

„Ja, in dieser Beziehung muss ich dir Recht geben. Ich sehe diese<br />

Aggressivität auch jeden Tag an meinem Arbeitsplatz, aber noch mehr<br />

an jedem Wochenende.“<br />

„Warum ausgerechnet dann?“<br />

28


„Ich spiele eben Fussball in einem Verein, <strong>der</strong> jeden Samstag o<strong>der</strong><br />

Sonntag ein Spiel hat. Da geht man meistens auch so knüppeldick zur<br />

Sache, dass es einem Angst und bange werden kann. Dabei darf ich gar<br />

nie so weit denken, son<strong>der</strong>n muss mich jedes Mal so stark auf das Spiel<br />

konzentrieren, dass solche Gedanken von vornherein nicht aufkommen<br />

können.“<br />

„Siehst du, als Sportler kannst du ja erst recht bestätigen, dass wir von<br />

Natur aus untereinan<strong>der</strong> so aggressiv sind, auch wenn wir das viele<br />

Male gar nicht sein wollen. Das ist eben auch eine <strong>der</strong> Früchte <strong>der</strong><br />

Sünde, die <strong>uns</strong> seit Adam und Eva angeboren ist.“<br />

Dann hält Erwin kurz inne und fragt ihn darauf: „Übrigens, auf welcher<br />

Position spielst du?“<br />

Da Hans nicht sofort antwortet, sagt er nach kurzem Zögern weiter:<br />

„Weißt du, ich habe früher auch Fußball gespielt, aber nicht so ernsthaft<br />

wie du, son<strong>der</strong>n nur aus Plausch und in Grümpelturnieren. Sogar dort ist<br />

es mir mit <strong>der</strong> Zeit auch zu hart geworden - und ist ist sicher kein Zufall,<br />

warum schon seit vielen Jahren davon geredet und geschrieben wird,<br />

dass die Verletzungsgefahr bei solchen Turnieren sogar noch viel größer<br />

ist als bei den bestandenen Fussballern, weil viel zu viele schlecht<br />

trainierte Amateure am Werk sind ... Siehst du, auch ich verstehe etwas<br />

von Fussball und kann damit auch dich ein bisschen verstehen.“<br />

„Wenn du es genau wissen willst“, entgegnet Hans, „ich spiele meistens<br />

als einer <strong>der</strong> hintersten Verteidiger in einer mittleren Position, manchmal<br />

aber auch rechts außen o<strong>der</strong> links außen, je nachdem, wo <strong>der</strong> Trainer<br />

mich einsetzt, weil ich mit beiden Füßen fast gleich gut bin - mit dem<br />

rechten aber ein bisschen besser.“<br />

„Dann musst du als Verteidiger ja noch härter spielen als ein<br />

Mittelfeldspieler o<strong>der</strong> Stürmer, weil ein Verteidiger keinen durchgehen<br />

lassen darf.“<br />

„Ja, aber ich bin trotzdem bis heute kein einziges Mal vom Platz gestellt<br />

worden, verwarnt aber schon viele Male. Das bringt eben das Spiel mit<br />

sich; manchmal foulst du einen an<strong>der</strong>en, ohne dass du es willst, und es<br />

kommt auch vor, dass sogar einer, <strong>der</strong> einen an<strong>der</strong>en so brutal foult,<br />

dass er vom Platz fliegt, das im Grund gar nicht will.“<br />

„Genau, das ist es, Hans, und darum habe ich mit dem Fußball<br />

aufgehört, nachdem ich mich zu Jesus Christus bekehrt habe. Ich konnte<br />

es einfach nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, von einer<br />

Nächstenliebe zu reden und zugleich diesen aggressiven Sport zu<br />

betreiben.“<br />

„Das kann ich gut verstehen, Erwin. Auch ich habe mich schon oft<br />

gefragt, ob sich <strong>der</strong> ganze Aufwand überhaupt lohnt, vor allem auch<br />

darum, weil ich in einer unteren Liga spiele und nicht einmal Geld<br />

29


verdiene, ja, im Gegenteil, die Fahrten zu den Auswärtsspielen muss<br />

je<strong>der</strong> aus dem eigenen Sack bezahlen; die Klubkasse ist dafür zu knapp.<br />

Dazu kommt eben auch noch diese Aggressivität, die du erwähnt hast,<br />

aber nicht nur unter den Spielern, son<strong>der</strong>n auch gegen die<br />

Schiedsrichter und Linienrichter. Was diese sich manchmal an<br />

Schimpfwörtern gefallen lassen müssen, aber auch das, was unter den<br />

Zuschauern gerufen wird, geht unter keine Kuhhaut. Ich kann dir aber<br />

versichern, dass ich selber in den letzten paar Jahren viel ruhiger<br />

geworden bin und alles gelassener als früher hinnehme; ich bin eben<br />

auch schon 32-jährig, da wird man sogar als Fussballer ein bisschen<br />

weiser.“<br />

„Wenn du das alles so deutlich siehst, wun<strong>der</strong>t es mich schon ein<br />

bisschen, dass du diesen Sport noch weiter ausübst, als ob dir das<br />

nichts ausmachen würde“, wirft da wie<strong>der</strong> Bruno ein.<br />

„Ich habe mich halt immer für Sport interessiert und vor allem natürlich<br />

für Fussball, darum habe ich das auch bis heute gespielt. Es ist aber<br />

nicht nur das Spielen allein, son<strong>der</strong>n du hast auch die Möglichkeit, mit<br />

Kollegen und an<strong>der</strong>en Leuten zusammen zu sein und manchmal mit<br />

ihnen ein Fest zu feiern; da geht immer etwas ab. Das kann vor allem<br />

auch all denen einen Halt geben, die zum Beispiel wie gerade ich in<br />

keiner festen Beziehung leben. Lange kann ich das sowieso nicht mehr<br />

mitmachen; schließlich bin ich jetzt auch schon 32-jährig, also für<br />

fussballerische Verhältnisse schon bald ein Großvater.“<br />

Erwin merkt jetzt, dass Hans in Fahrt gekommen, ja, richtiggehend<br />

aufgeblüht ist, als sie vom Fussball zu sprechen begannen. So fragt er<br />

ihn denn auch in ernsthaftem Ton: „Sag mir mal ehrlich, Hans: Hast du<br />

dir schon mal überlegt, ob <strong>der</strong> Sport dir wirklich alles bedeutet, ob er dein<br />

Leben völlig ausfüllt? Diese Frage stellt sich ja erst recht, weil du mit ihm<br />

nicht einmal etwas verdienst, wie du gerade gesagt hast.“<br />

„Oh ja, ich glaube schon, dass <strong>der</strong> Fussball mich ausfüllt, jedenfalls<br />

solange ich noch spielen kann.“<br />

„Das ist es eben! Der Sport hat heute im Leben vieler Leute eine so<br />

übertrieben große Bedeutung bekommen, dass sie keine Zeit mehr<br />

haben, in einer Kirche einen Gottesdienst zu besuchen, weil am<br />

Sonntagmorgen fast überall ein Spiel stattfindet. Um diese Zeit sind<br />

sogar viel mehr Leute auf den Sportplätzen anzutreffen als in den<br />

Kirchen.“<br />

„Was soll ich denn machen, wenn die Spiele am Sonntag genau in<br />

diesen Stunden angepfiffen werden? So ist es eben, Erwin, und<br />

abgesehen davon habe ich ja das Recht, mein Leben so zu gestalten,<br />

wie ich selber es will.“<br />

„Das will ich gar nicht abstreiten, aber du musst trotzdem zugeben, dass<br />

30


es komisch ist, wenn wir an frühere Zeiten denken, als die meisten Leute<br />

noch einen Gottesdienst besuchten, während heute die meisten sich auf<br />

Sportplätzen o<strong>der</strong> irgendwo an<strong>der</strong>s aufhalten; dabei würde es gar nicht<br />

viel Zeit kosten, für eine Stunde auch einmal zu hören, was Gott <strong>uns</strong><br />

noch zu sagen hat. Gerade das ist eines <strong>der</strong> Grundprobleme des<br />

heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeitalters. Für alles Mögliche haben die Leute Zeit,<br />

aber nicht dafür, um mit dem Herrgott in Kontakt zu treten; dabei wäre<br />

das so einfach.“<br />

„Ach was, erzähl mir nichts von den Versammlungen in den Kirchen! Da<br />

gehen sicher viele nur hin, um zu sehen und gesehen zu werden, damit<br />

man wie<strong>der</strong> etwas zum Quatschen und Intrigieren hat. Da könnt ihr mir<br />

nichts vormachen, das habe ich früher ja auch so erlebt.“<br />

„Zum Teil muss ich dir darin Recht geben, aber es muss auch einmal<br />

gesagt sein, dass solche Aussagen vielen Leuten auch nur als eine<br />

billige Ausrede dienen, um sich selber nicht mit Gott<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Auch diese gleichgültige Haltung ihm gegenüber<br />

gehört zur Erbsünde.“<br />

„Ihr könnt doch niemanden zwingen, sich für einen so komischen<br />

Glauben zu interessieren, <strong>der</strong> gegen jede Vernunft ist.“<br />

„Natürlich nicht. Das bestätigt ja auch die Bibel, wo davon die Rede ist,<br />

dass das Wort vom Kreuz denen, die verloren gehen, eine Torheit ist.“<br />

„Was heißt denn das schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Verloren sein heißt für ewig von Gott getrennt sein, aber solange wir<br />

noch leben, haben wir die Möglichkeit, <strong>uns</strong> zu ihm zu bekehren. Der <strong>Weg</strong><br />

dazu ist ganz einfach, einfacher als je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Glaube: Es genügt,<br />

Jesus Christus seine Sünden zu bekennen und ihn als Herrn über das<br />

eigene Leben in sich aufzunehmen, und schon bist du ein Kind Gottes.<br />

Es braucht also keine guten Werke, wie so viele das glauben und<br />

predigen. Diese allein nützen am Ende nichts, genauso wenig wie man<br />

zu allen immer gut und freundlich gewesen ist, weil das Hauptproblem,<br />

die persönliche Schuld vor Gott, ja immer noch geblieben ist. Wir<br />

müssen <strong>uns</strong> auch nicht bis zum Verrücktwerden kasteien o<strong>der</strong> auf den<br />

Knien Dutzende von Kilometern zu einem Wallfahrtsort kriechen. Es<br />

genügt allein <strong>der</strong> Glaube an Christus, unabhängig davon, in welcher<br />

Position wir alle <strong>uns</strong> befinden, ob Mann o<strong>der</strong> Frau, ob arm o<strong>der</strong> reich, ob<br />

weiß o<strong>der</strong> schwarz, weil vor Gott alle Menschen gleich sind. So schenkt<br />

er auch allen die gleiche Gnade, um gerettet zu werden, solange wir<br />

noch leben.“<br />

„Das ist doch alles nur Theorie! Das redet ihr euch alle nur ein, ihr rennt<br />

Hirngespinsten nach und bildet euch etwas ein, weil ihr unbedingt daran<br />

glauben wollt. Habt ihr noch nie davon gehört, wie viel in <strong>der</strong> heutigen<br />

Zeit durch Massensuggestion bewirkt werden kann? Die mo<strong>der</strong>ne<br />

Psychologie hat schon längst aufgedeckt, wie viel Schwindel mit den<br />

31


Religionen getrieben worden ist. Und von <strong>der</strong> Evolutionstheorie habt ihr<br />

anscheinend auch noch nie etwas gehört; die hat doch schon längst<br />

bewiesen, dass die Welt und alle Lebewesen sich von selbst erschaffen<br />

und entwickelt haben, also ohne die Einwirkung eines göttlichen<br />

Schöpfers. Ich kann einfach nicht daran glauben, dass es einen Gott<br />

gibt, und diese Geschichte von <strong>der</strong> Auferstehung erst recht nicht. Es ist<br />

wirklich so, wie es Karl Marx treffend ausgedrückt hat, dass Religion<br />

Opium für das Volk ist, das benützt wird, damit die oberen Klassen sich<br />

auf Kosten <strong>der</strong> unteren immer mehr bereichern können. Die ganze<br />

Menschheitsgeschichte hat das bis heute doch klar bewiesen.“<br />

„Halt dich fest, Hans!“, wirft Erwin erneut ein, „ein Stück weit gebe ich dir<br />

sogar Recht. Religion ist wirklich Opium für das Volk, aber jetzt kann ich<br />

dir auch etwas Bestimmtes sagen, das jemand einmal so formuliert hat:<br />

Religion ist Opium, aber Christus ist das Dynamit, das alle religiösen<br />

Fesseln sprengt, weil er wie schon gesagt keine Einbildung ist, son<strong>der</strong>n<br />

eine real existierende Person, die also noch heute lebt und <strong>uns</strong>er Leben<br />

positiv verän<strong>der</strong>n kann. Was Bruno und ich dir hier erzählen und was<br />

Rabi vorher verkündigt hat, kann auch darum keine Einbildung sein, weil<br />

viele Millionen in <strong>der</strong> ganzen Welt und in allen Kontinenten das Gleiche<br />

erzählen - und so viele Millionen auf einmal können sich bestimmt nicht<br />

irren.»<br />

„Sag mir mal eines“, hakt dann auch noch Bruno ein, „wenn du schon<br />

meinst, dass wir <strong>uns</strong> das alles nur einbilden, dass es also keinen Gott<br />

gibt und Jesus Christus nicht von den Toten auferstanden ist - warum<br />

bist du denn noch einmal hierhergekommen, um mit <strong>uns</strong> darüber zu<br />

reden, ja, warum hast du dich am gleichen Ort überhaupt noch einmal<br />

blicken lassen und zu Erwin Kontakt aufgenommen? Du hast doch schon<br />

vor einer Woche gehört, an was und an wen wir glauben.“<br />

Nach diesen deutlichen Worten schweigt Hans eine Weile; es ist ihm fast<br />

peinlich, dass er <strong>der</strong>art aus sich herausgefahren und nachher dennoch<br />

auf einfache Weise geradezu übertölpelt worden ist. Ja, er muss diesem<br />

Bruno tatsächlich Recht geben: Wozu ist er denn hier, wenn er von<br />

vornherein nichts mit dem zu tun haben will, was die an<strong>der</strong>en glauben?<br />

Vielleicht wegen seines Alleinseins, obwohl er doch seine Kollegen vom<br />

Fussballverein hat? Die Frau, die ihm so gefallen hat, kann auch nicht<br />

<strong>der</strong> Grund für sein Kommen gewesen sein, denn er hat vorher nichts von<br />

ihr gewusst und sie erst heute zum ersten Mal gesehen.<br />

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht“, antwortet er schließlich nach einigem<br />

Zögern, „es hat mich einfach interessiert, einmal mit neuen Leuten über<br />

etwas Neues zu plau<strong>der</strong>n, mehr aber nicht.“<br />

„Wirklich nicht?“, wirft wie<strong>der</strong> Erwin ein, „ist es vielleicht nicht so, weil<br />

Gott dich heute zu sich ruft?“<br />

32


„Was meinst du denn damit schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Damit will ich sagen, dass <strong>uns</strong>ere Begegnung vor einer Woche, als <strong>der</strong><br />

Titel des Traktats dich so elektrisiert hat, kein Zufall gewesen ist,<br />

son<strong>der</strong>n dass Gott das geplant hat, und auch das heutige Treffen ist<br />

sicher kein Zufall. Wenn Gott etwas plant, gibt es keine Zufälle; dann<br />

geschieht alles so, wie er es will.“<br />

„So fatalistisch sehe ich das nicht. Aber sogar wenn das alles stimmt,<br />

wenn es diesen Gott also wirklich gibt und auch das Märchen von eurem<br />

Jesus und seiner Auferstehung stimmt - warum soll er mich denn zu sich<br />

rufen, wie du meinst? Ich habe ihn ja nicht bestellt.“<br />

„Er ruft dich zu sich, weil die Zeit dafür reif geworden ist, auch wenn du<br />

selber das nicht gewusst hast“, antwortet Erwin entschieden und schaut<br />

ihn auch wie<strong>der</strong> so an, „Gott will eben, dass auch du das Evangelium<br />

klar hörst und zur Erkenntnis <strong>der</strong> Wahrheit kommst.“<br />

„Welche Wahrheit? Ah, diese, von <strong>der</strong> ihr die ganze Zeit geredet habt?“<br />

„Ja, genau diese.“<br />

„Ich muss zugeben, das schmeichelt mir schon ein bisschen, dass dieser<br />

Gott anscheinend etwas für mich übrighat und von mir etwas will.<br />

Schließlich habe ich ihn bis heute an keinem einzigen Tag gesucht, ja,<br />

ich habe mich mit ihm nie beson<strong>der</strong>s befasst.“<br />

„Gott befasst sich aber mit dir, Hans. Er ruft dich, weil er auch dich liebt<br />

und mit dir Gemeinschaft haben möchte.“<br />

„Gemeinschaft?“<br />

„Das heißt einen unmittelbaren persönlichen Kontakt mit dir, den du<br />

durch Beten erreichen kannst.“<br />

„Durch Beten?“, fragt Hans mit einem fast verächtlichen schiefen<br />

Lächeln, „warum durch Beten? Ich weiß nicht einmal, was das ist. Soweit<br />

ich zurückdenken kann, habe ich bis heute noch nie gebetet; ich bin ja<br />

auch nie beson<strong>der</strong>s christlich erzogen worden - eben so wie fast alle<br />

an<strong>der</strong>en.“<br />

„Auch das passt in die heutige antichristliche Zeit, dass die meisten<br />

Leute nicht mehr richtig vom Evangelium hören, weil in den Schulen und<br />

erst recht in den höheren Lehranstalten nicht mehr deutlich davon<br />

geredet werden darf. Im Namen einer falsch verstandenen Toleranz<br />

gegegenüber ein paar möchte-gern-mo<strong>der</strong>nen Elternpaaren, die<br />

dagegen reklamiert haben, und auch aus Rücksicht vor allem gegenüber<br />

den Moslems, vor denen die Behörden schon viel zu viele Bücklinge<br />

gemacht haben, gibt es heute außerhalb <strong>der</strong> Kirchen keinen christlichen<br />

Religionsunterricht mehr. Es hängt alles nur noch davon ab, ob die<br />

Kin<strong>der</strong> einen Lehrer o<strong>der</strong> eine Lehrerin bekommen, die noch gläubig sind<br />

o<strong>der</strong> nicht - es ist also eine reine Lotterie, aber nicht einmal dann, wenn<br />

eine Lehrkraft gläubig ist, hast du gewonnen, weil diese sofort die<br />

größten Probleme bekommt, wenn er o<strong>der</strong> sie in <strong>der</strong> Schule etwas vom<br />

33


Evangelium erzählt. So ist es schon ein paar Mal vorgekommen, dass<br />

jemand seine Lehrstelle verlor, wobei jedes Mal an<strong>der</strong>e verlogene<br />

Gründe vorgeschoben wurden. Ich selber hatte damals das Glück, dass<br />

ich einen gläubigen Lehrer hatte und die Schule gegenüber dem<br />

Evangelium noch mehr o<strong>der</strong> weniger tolerant war.“<br />

„Dazu gehört aber auch, dass wir heute keine Freiversammlungen mehr<br />

abhalten dürfen wie früher“, wirft jetzt wie<strong>der</strong> Bruno ein, „wir dürfen nur<br />

noch Traktate verteilen, weil das Singen auf öffentlichen Plätzen<br />

angeblich die Ruhe und Ordnung stört. Dabei ist das total verlogen,<br />

wenn wir daran denken, dass die weltlichen Gruppen, also solche, die<br />

keine christlichen Lie<strong>der</strong> singen, auch jetzt noch auftreten dürfen,<br />

solange niemand reklamiert, und es ist ja naheliegend, dass gegen diese<br />

weniger reklamiert wird. Auch das ist typisch für diese Welt: Wenn<br />

jemand von Jesus Christus erzählt und von ihm singt, steht fast niemand<br />

mehr still und hört zu, aber wenn jemand von irgendetwas an<strong>der</strong>em<br />

erzählt o<strong>der</strong> sonstwie etwas Weltliches tut, das den Leuten Zerstreuung<br />

bringt - zum Beispiel alle möglichen verrückten Künstler -, bilden sich<br />

ganze Scharen von Leuten.“<br />

Als Hans darauf nichts entgegnet und sowohl Erwin als auch Bruno<br />

merken, dass das heutige Gespräch sich allmählich erschöpft hat und<br />

sie eine Fortsetzung besser vertagen sollten, schlägt Erwin vor: „Wenn<br />

du einmal erleben möchtest, wie es bei <strong>uns</strong> in einem Gottesdienst<br />

aussieht, kannst du ruhig bei <strong>uns</strong> vorbeikommen.“<br />

„Aber ich habe morgen doch ein Spiel um diese Zeit!“, erwi<strong>der</strong>t Hans<br />

sofort.<br />

„Das weiß ich, aber wir halten auch an jedem zweiten Sonntagabend<br />

einen Gottesdienst für solche ab, die am Morgen aus irgendeinem Grund<br />

verhin<strong>der</strong>t sind; schließlich gibt es auch bei <strong>uns</strong> Leute, die<br />

unregelmäßige Arbeitszeiten haben. Morgen ist es wie<strong>der</strong> so weit; so<br />

wäre es auch für dich möglich, und zwar um sieben Uhr. Es ist ganz<br />

unverbindlich, aber es würde <strong>uns</strong> natürlich freuen, wenn du morgen<br />

Abend kommen würdest.“<br />

„Ich muss mir das noch überlegen. Es ist ein bisschen viel auf einmal,<br />

das ich heute gesehen und gehört habe; das muss ich zuerst einmal<br />

verarbeiten. So kann ich euch jetzt noch für nichts garantieren. Kommt<br />

ihr denn überhaupt auch? Ich meine, um diese Zeit ...“<br />

„Wenn es geht, kommen wir bestimmt“, antwortet Erwin, „aber auch ich<br />

komme nicht an jedem Sonntagabend, weil ich an diesem Tag immer<br />

viel unterwegs bin. Am Morgen bin ich aber mit Sicherheit immer hier,<br />

wenn ich nicht gerade krank bin o<strong>der</strong> aus einem an<strong>der</strong>en Grund nicht<br />

dabei sein kann.“<br />

„Ich auch, wenn es geht, das heißt, wenn ich dann nicht arbeiten muss,<br />

34


aber gerade morgen Abend nicht“, ergänzt dann noch Bruno.<br />

Auch Hans spürt allmählich, dass es Zeit geworden ist, sich vorläufig<br />

voneinan<strong>der</strong> zu verabschieden; sie können sich ja bald wie<strong>der</strong> einmal<br />

sehen. So fragt er Bruno auch nicht mehr, welchen Beruf er ausübt,<br />

wenn er schon davon gesprochen hat, dass er manchmal auch an<br />

einem Sonntag arbeitet. Wie es auch an seinem Arbeitsplatz seine<br />

Gewohnheit ist, ab und zu auf die Armbanduhr zu schauen, tut er das<br />

auch jetzt wie<strong>der</strong>, und er stellt mit Schrecken fest, dass elf Uhr schon<br />

vorbei ist.<br />

„Himmel noch mal!“, ruft er dann aus, „es ist schon sehr spät geworden.<br />

Jetzt muss ich aber wirklich gehen, damit ich noch rechtzeitig ins Bett<br />

komme; ich muss doch morgen für das Spiel wie<strong>der</strong> fit sein und darum<br />

genug Stunden ausruhen. Wir versammeln <strong>uns</strong> ja schon um neun Uhr,<br />

weil wir ein Auswärtsspiel haben.“<br />

„Wir haben ja auch wirklich viel miteinan<strong>der</strong> besprochen“, erwi<strong>der</strong>t Erwin,<br />

worauf alle drei wie auf ein Kommando gleichzeitig aufstehen, aber<br />

wenigstens nicht schnell.<br />

„Wie gesagt, wir würden <strong>uns</strong> ehrlich freuen, wenn du morgen Abend<br />

kommen könntest“, ergänzt auch noch Bruno und streckt Hans zuerst die<br />

Hand hin. Dieser ergreift sie, indem er wie<strong>der</strong> leiser sagt: „Gebt mir noch<br />

ein bisschen Zeit, um alles zu verarbeiten! Das ist nicht so einfach; da<br />

gibt es immer noch viel zu viel, über das ich gründlich nachdenken<br />

muss.“<br />

„Das können wir verstehen“, entgegnet Erwin und streckt auch ihm die<br />

rechte Hand hin. Während die beiden sich dann noch über Belangloses<br />

wie die Straßenbahnverbindungen unterhalten, hört Hans, wie nebenan<br />

ein älterer Mann sich von Erwin und Bruno mit den Worten „Gott<br />

befohlen, Herr Gisler und Herr <strong>Weg</strong>mann!“ verabschiedet; also weiß er<br />

jetzt, dass Bruno auch noch <strong>Weg</strong>mann heißt.<br />

Wenige Augenblicke später, als Hans sich schon zum Ausgang begeben<br />

will, während Erwin und Bruno noch kurz zurückbleiben, ereignet sich<br />

etwas völlig Unerwartetes, mit dem er und mancher an<strong>der</strong>e in diesem<br />

Raum überhaupt nicht gerechnet haben, ja, das alles bisher Vorgefallene<br />

buchstäblich kippen lässt: Plötzlich öffnet sich die Nebentür, durch die<br />

vor mehr als einer Stunde die drei Bekehrungskandidaten zusammen mit<br />

dem indischen Prediger und zwei Männern sowie einer Frau<br />

verschwunden sind, und es stürzt im wahrsten Sinn des Wortes eine<br />

Gruppe von sichtlich bewegten Personen heraus. Ange<strong>führt</strong> werden sie<br />

von <strong>der</strong> weiblichen Begleitperson des Predigers, <strong>der</strong> selbst jedoch nicht<br />

erscheint, und freudestrahlend ruft diese in die Runde: „Wir haben eine<br />

neue Schwester im Herrn!“<br />

35


Nach diesen Worten steht <strong>der</strong> ganze Raum buchstäblich Kopf. Das<br />

freudige Strahlen dieser Frau überträgt sich auf fast alle an<strong>der</strong>en, und<br />

während die einen „Halleluja!“ und die an<strong>der</strong>en „Preist den Herrn!“ rufen<br />

- was ja das Gleiche bedeutet, ohne dass alle das wissen -, stürzt sich<br />

die Betroffene, die als neue Schwester bezeichnet worden ist, in die<br />

Arme jener Frau, mit <strong>der</strong> sie während <strong>der</strong> Predigt noch<br />

zusammengesessen hat, die sie offensichtlich hierher gebracht hat. Mit<br />

Tränen in den Augen fragt die an<strong>der</strong>e sie: „Hast du es getan, Claudia?“<br />

„Ja, Iris!“, ruft diese überglücklich und ebenfalls in Tränen aufgelöst, „ich<br />

habe Jesus mein Leben übergeben!“<br />

„Wie herrlich!“, ruft diese zurück, „oh Danke, Herr!“<br />

„Wie fühle ich mich jetzt befreit!“, setzt die Neubekehrte fort, „du hast<br />

Recht gehabt. Es ist wirklich wun<strong>der</strong>bar zu wissen, dass er lebt und mir<br />

meine Sünden für immer vergeben hat.“<br />

Während sie weiter dahinreden und alle Umstehenden sich mit<br />

strahlenden Gesichtern und glänzenden Augen mit ihnen freuen, steht<br />

jetzt auch Hans völlig Kopf, und es dreht sich alles in ihm: Was ist denn<br />

hier nur los? Sind alle plötzlich verrückt geworden? Entwe<strong>der</strong> spinnen<br />

die alle o<strong>der</strong> dann spinne ich, das ist ja nicht mehr auszuhalten!<br />

Da für den Moment niemand mehr sich um ihn kümmert und selbst Erwin<br />

und Bruno ihre volle Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Neubekehrten schenken,<br />

benützt er die Gelegenheit, um durch den Ausgang zu verschwinden. Er<br />

hat nicht mehr die Nerven, um noch länger hier drinnen zu bleiben und<br />

abzuwarten, ob und wann eventuell auch noch die an<strong>der</strong>en<br />

Bekehrungskandidaten den gleichen Schritt tun, und er hat jetzt auch<br />

völlig vergessen, dass er eigentlich noch Lust hatte, mit dem indischen<br />

Prediger ganz ungezwungen ein wenig zu plau<strong>der</strong>n; schließlich trifft man<br />

nicht alle Tage solche Exoten aus an<strong>der</strong>en Kontinenten, die sich<br />

Christen nennen. Nur möglichst schnell weg von hier, bevor ich auch<br />

noch durchdrehe!, lautet jetzt sein Vorsatz, und während er mit schnellen<br />

Schritten dem Bellevueplatz zustrebt, hämmert es rasend in ihm. Immer<br />

wie<strong>der</strong> redet er sich ein: Das ist nicht normal, das kann nur Sektenzeug<br />

sein, etwas an<strong>der</strong>es ist gar nicht möglich! Muss man denn gleich so<br />

überschnappen, wenn man sich zu einem solchen Glauben bekehrt?<br />

O<strong>der</strong> ist am Ende doch etwas Wahres dran? Ach was, das ist völlig<br />

unmöglich, dieser Glaube ist gegen jede menschliche Vernunft und<br />

bringt einen noch um den letzten Rest von Verstand! Ich kann einfach<br />

nicht daran glauben, dass dieser Jesus wirklich lebt, ich kann es nicht ...<br />

36


4<br />

Es kommt, wie es kommen musste, wenn jemand innerhalb von wenigen<br />

Stunden so viel hört, das einem alle bisherigen Weltanschauungen bis<br />

auf den Grund in Frage stellt, und so viel sieht, das bisher völlig<br />

unvorstellbar gewesen ist: Es gelingt Hans nicht, frühzeitig einzuschlafen<br />

und damit im Hinblick auf das Sonntagsspiel genügend auszuruhen.<br />

Obwohl er sich noch in <strong>der</strong> Straßenbahn eingeredet hat, dass er alles,<br />

was er im Versammlungsraum <strong>der</strong> Christen gehört und gesehen hat,<br />

nicht allzu ernst nehmen müsse, dass dieser Glaube an Jesus ganz<br />

unmöglich das einzig Wahre sein könne, wie <strong>der</strong> indische Prediger und<br />

alle an<strong>der</strong>en das meinten, ist er jetzt, zwischen den eigenen vier<br />

Wänden, trotzdem viel zu aufgewühlt, als dass er innerlich einfach<br />

abschalten könnte. Das Gehörte und Gesehene beschäftigt ihn mehr, als<br />

er sich vorher vorstellen konnte und ihm jetzt lieb ist. Immer wie<strong>der</strong> stellt<br />

er sich die gleichen Fragen: Ist am Glauben dieser Leute vielleicht doch<br />

etwas Wahres dran? Was ist, wenn sie tatsächlich Recht haben, wenn<br />

es am Ende doch einen Gott gibt und die Geschichte von <strong>der</strong><br />

Auferstehung dieses Jesus stimmt? Aber das ist doch absurd, so etwas<br />

ist völlig unmöglich! Warum zeigt er sich denn nicht, wenn er wirklich<br />

lebt?<br />

An<strong>der</strong>erseits muss er sich eines eingestehen, so unangenehm das ihm<br />

selbst auch ist: Kann er, Hans Stettler höchstpersönlich, wirklich einfach<br />

so von sich behaupten, dass auch seine eigene Weltanschauung das<br />

Wahre ist? Kann nicht auch er sich bis heute geirrt haben? Lässt sein<br />

eigener Stolz es am Ende zu, um sich sagen zu können, er habe in<br />

seinem Leben die wirkliche Erfüllung gefunden? Wenn er eine Bilanz<br />

über seine bisherigen 32 Jahre zieht und dabei sich selbst gegenüber<br />

ehrlich ist, muss er bekennen, dass auch bei ihm sich nicht alles so<br />

erfüllte, wie er es früher geplant und teilweise auch erhofft hat. Dabei<br />

sieht die persönliche Buchhaltung auf den ersten Blick durchaus positiv<br />

aus: Er ist in Verhältnissen aufgewachsen, die man als geordnet zu<br />

bezeichnen pflegt, und er hat zu seinen Eltern sowie zu seinem Bru<strong>der</strong><br />

und zu seiner Schwester, die alle noch leben, bis heute noch einen<br />

guten Kontakt aufrechterhalten. Er hat auch eine gute Stellung bei einer<br />

Großbank und konnte diese selbst nach einer riesigen<br />

Fusionierungswelle in den letzten paar Jahren nicht nur behalten,<br />

son<strong>der</strong>n seine Position sogar noch verbessern, und gehört heute dem<br />

an, was in an<strong>der</strong>en Branchen als mittleres Ka<strong>der</strong> bezeichnet wird. Er<br />

schreibt und spricht neben Deutsch ausgezeichnet Englisch und<br />

Französisch, daneben auch leidlich gut Italienisch und Spanisch und<br />

versteht außerdem viel Portugiesisch, wenn er dieses auch nicht<br />

37


sprechen kann. Wie so viele an<strong>der</strong>e aus seiner Generation ist er in <strong>der</strong><br />

Welt ein wenig herumgereist und konnte das zweimal sogar mit seinem<br />

Beruf verbinden, als er sowohl in New York als auch in London, also in<br />

zwei <strong>der</strong> wichtigsten Finanzzentren <strong>der</strong> Welt, ein paar Monate, in denen<br />

er natürlich seine Laufbahn als Fussballer vorübergehend unterbrechen<br />

musste, in den Zweignie<strong>der</strong>lassungen seiner Bank arbeiten durfte. Er<br />

hatte immer viele Kollegen und manchmal sogar echte Freunde und<br />

immer wie<strong>der</strong> auch eine Freundin, war mit einer von ihnen sogar für<br />

kurze Zeit verlobt und hatte alles in allem viel Glück, auch wenn es jedes<br />

Mal wie<strong>der</strong> eine schmerzliche Trennung gab und er deshalb noch heute<br />

ledig ist. Nicht zuletzt spielt er auch in einem guten Fußballverein mit,<br />

was ihm selbst in diesem Alter, da er sehr wohl weiß, dass seine<br />

Laufbahn bald zu Ende gehen wird, immer noch viel Freude bereitet,<br />

auch deshalb, weil er diesen Sport nur als Hobby betreibt und schon in<br />

jungen Jahren erkannte, dass er es nicht zu einem <strong>der</strong> ganz großen<br />

Starfussballer bringen würde, und sich so von Anfang an auf seinen<br />

Beruf konzentrierte. Das war auch ein entscheiden<strong>der</strong> Grund dafür, dass<br />

er damals, als er vor <strong>der</strong> Entscheidung stand, die Stellenangebote in<br />

Amerika und England anzunehmen o<strong>der</strong> nicht, sich dafür entschieden<br />

hat.<br />

Wenn er jedoch all dies, das scheinbar so positiv ist, mit dem abwägt,<br />

was in <strong>der</strong> nächsten Zukunft auf ihn zukommen könnte, wird er ziemlich<br />

<strong>uns</strong>icher, und er muss sich eingestehen, dass alle positiven<br />

Erfahrungen, die er bisher gesammelt hat, sich im schlimmsten Fall als<br />

geradezu nichtig und unbedeutend herausstellen könnten. Dass er<br />

seinen Sport nicht mehr viele Jahre lang so intensiv mit dreimaligem<br />

Training und einem Spiel an fast jedem Wochenende wird ausüben<br />

können, ist ihm schon aufgrund seines Alters klar, und wenn er daran<br />

denkt, dass es ihm im Gegensatz zu Hun<strong>der</strong>ten, ja, zu Tausenden von<br />

an<strong>der</strong>en Fußballern in aller Welt nicht gelungen ist, genügend Geld zu<br />

verdienen und darauf etwas Neues und Sicheres aufzubauen, muss er<br />

bereits den ersten Negativposten verzeichnen.<br />

Wie lange er seinen Arbeitsplatz noch behalten kann, ist ebenfalls völlig<br />

<strong>uns</strong>icher, auch wenn es vorläufig noch danach aussieht, als könne er<br />

bleiben. Wenn er jedoch bedenkt, wie viele Tausende von Bankiers, die<br />

zum Teil in noch höheren und besseren Positionen tätig waren als er,<br />

ihre Stellen weltweit verloren haben und manchmal sogar von einem Tag<br />

auf den an<strong>der</strong>en auf die Straße gestellt wurden, kann auch er sich nie<br />

allzu sicher fühlen - also schon <strong>der</strong> zweite Negativposten. Dass er bis<br />

heute noch keine Frau gefunden hat, mit <strong>der</strong> er eine Familie gründen<br />

könnte, findet er gegenwärtig weniger tragisch; schließlich hat er ab und<br />

38


zu gern auch individualistisch gelebt und ist ja immer noch jung genug.<br />

Angesichts <strong>der</strong> vielen scheinbar glücklichen und größtenteils jungen<br />

Familien wurmt es ihn manchmal aber schon, dass er an den Abenden<br />

regelmäßig allein ist, wenn er nicht ausgeht, und so fühlt er sich in letzter<br />

Zeit tatsächlich immer öfter in seinem Innersten einsam, sogar wenn er<br />

mit Kollegen zusammen ist - <strong>der</strong> dritte Negativposten.<br />

Selbst wenn aber alles an<strong>der</strong>s wäre, wenn er mit dem Fußball sehr viel<br />

Geld verdient hätte, wenn er einen hun<strong>der</strong>tprozentig sicheren<br />

Arbeitsplatz bis zu seiner Pensionierung und eine Familie hätte, mit <strong>der</strong><br />

er glücklich wäre, würde einmal doch <strong>der</strong> Tag kommen, an dem auch er<br />

sich von dieser Welt verabschieden muss - und was wäre dann? Wäre<br />

alles vorbei o<strong>der</strong> gibt es doch noch ein Leben nach dem Tod, wie es<br />

diese Christen erzählen, denen er begegnet ist? Es ist ihm klar, dass er<br />

sich bis heute über dieses Thema viel zu wenig Gedanken gemacht hat,<br />

dass auch er das so wie fast alle an<strong>der</strong>en in dieser mo<strong>der</strong>nen<br />

Gesellschaft, in <strong>der</strong> fast nur noch Jugend und Schönheit und möglichst<br />

viel Erfolg alles zählen und <strong>der</strong> Tod dabei völlig verdrängt wird,<br />

weitgehend aus dem Bewusstsein verdrängt hat.<br />

Allerdings kann er sich immer noch nicht so recht vorstellen, dass es<br />

vielleicht doch einen Gott gibt, <strong>der</strong> das ganze Weltall, sämtliche<br />

Lebewesen und damit auch die ersten Menschen Adam und Eva<br />

erschaffen hat, wenn dieser Planet Erde schon seit Hun<strong>der</strong>ten von<br />

Millionen Jahren existiert, wie es überall immer wie<strong>der</strong> so heißt und er<br />

das auch in den Schulen so gelernt hat - und etwas an<strong>der</strong>es hat er nun<br />

einmal nie zu hören bekommen. Wie steht es zum Beispiel mit den<br />

Dinosauriern? Wo kann man diese unterbringen, wenn am<br />

Wahrheitsgehalt <strong>der</strong> Bibel tatsächlich etwas dran ist? Gerade die<br />

Beschäftigung mit diesem beson<strong>der</strong>en Thema zeigt ihm deutlich, dass er<br />

noch so viele Fragen hätte, die ihm niemand von denen, die er<br />

regelmäßig sieht, beantworten kann. Wäre es vielleicht doch besser,<br />

noch einmal bei diesen Frommen vorbeizuschauen? Vielleicht gibt es<br />

auch unter ihnen jemanden, <strong>der</strong> auf seine vielen Fragen die<br />

entsprechenden Antworten zu geben vermag. Dann erinnert er sich aber<br />

wie<strong>der</strong> an die letzten Minuten, die er in ihrem Keller verbracht hat, an<br />

das geradezu schockierende Erlebnis mit dieser sogenannten<br />

Bekehrung, und allein <strong>der</strong> Gedanke daran, dass ihm noch einmal so<br />

etwas wi<strong>der</strong>fahren könnte, schreckt ihn wie<strong>der</strong> ab.<br />

Da fällt ihm plötzlich inmitten dieses Grübelns wie<strong>der</strong> diese<br />

geheimnisvolle Frau ein, die ihn so tief beeindruckt hat, ohne dass er<br />

sich das erklären kann. Warum hat sie mir auf Anhieb so gut gefallen?,<br />

39


fragt er sich auch jetzt erneut. Natürlich ist sie für seinen Geschmack<br />

hübsch, aber nicht so übertrieben und aufgedonnert, dass sie um jeden<br />

Preis an einem <strong>der</strong> sogenannten Schönheitswettbewerbe auftreten<br />

müsste. Ihr Aussehen kann nicht allein ausschlagebend sein, son<strong>der</strong>n es<br />

muss noch mehr dahinterstecken; schließlich hat er schon viele Frauen<br />

und Mädchen kennen gelernt, die man als hübsch zu bezeichnen pflegt,<br />

ohne dass er gleich daran denken musste, die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e könnte<br />

für ihn in Frage kommen. Es muss wohl auch an ihrer beson<strong>der</strong>en<br />

Ausstrahlung von innen her liegen, die sie im Versammlungsraum <strong>der</strong><br />

Christen gezeigt hat, ja, höchstwahrscheinlich ist es gerade das, was ihn<br />

an ihr so fasziniert hat.<br />

Ob es sich wohl lohnen würde, nur wegen ihr nochmals an die<br />

Feldeggstraße zu gehen, wo sich <strong>der</strong> Versammlungsraum befindet?<br />

Vielleicht ist sie aber ausgerechnet dann nicht dort - und zudem gibt es<br />

da noch ein entscheidendes Problem: Allem Anschein nach ist sie auch<br />

eine von denen, also eine fromme Christin, und er ist es nicht und fühlt<br />

sich auch nicht dazu imstande, es jemals zu werden. Könnte das gut<br />

gehen, selbst bei aller gegenseitigen Toleranz? Schon ertappt er sich<br />

dabei, dass er sich über diese Frau Gedanken macht, als müssten sie<br />

bald irgendwie zueinan<strong>der</strong> finden, ja, als wäre es ihnen geradezu<br />

vorbestimmt. Dabei kennt er sie nicht einmal und sie weiß nicht einmal,<br />

dass es ihn überhaupt gibt, da sie ihn kein einziges Mal angeschaut hat.<br />

Aber er ist halt in einem Alter, in dem fast alle Männer und Frauen<br />

bewusst und unbewusst ständig auf <strong>der</strong> Suche sind und nach allen<br />

möglichen und auch unmöglichen Lebenspartnerinnen und -partnern<br />

Ausschau halten, und darin ist auch er keine Ausnahme. Kann es denn<br />

wirklich so etwas wie eine Vorbestimmung geben, auch wenn man sich<br />

noch gar nicht persönlich kennt?<br />

Als er endlich Schlaf findet, ist es schon halb zwei Uhr nachts, und als<br />

sein Wecker um sieben Uhr rasselt, mag er zuerst fast nicht aufstehen,<br />

<strong>der</strong>art schlecht fühlt er sich, vor allem moralisch schlecht. Die Ereignisse<br />

des Vorabends haben ihm halt doch viel mehr zugesetzt, als er das<br />

vorher für möglich gehalten hätte. Soll er nicht lieber den Trainer anrufen<br />

und ihm mitteilen, er könne heute nicht spielen, weil er schlecht drauf<br />

sei? Doch dann erinnert er sich daran, dass <strong>der</strong> Verein immer noch eine<br />

kleine Chance hat, sich für die Aufstiegsrunde zu qualifizieren, und dass<br />

dabei je<strong>der</strong> Mann gebraucht wird, weil gerade in diesen Tagen drei<br />

Spieler krank sind und zwei noch in den Ferien weilen. Ja, das kommt in<br />

den unteren Ligen vor, dass ein Verein auf den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Spieler zeitweise verzichten muss, weil die Herren ferienhalber<br />

unabkömmlich sind. In dieser Beziehung haben es die Profis in <strong>der</strong><br />

40


obersten Liga besser; sie müssen zwar eine Saison lang durchspielen,<br />

doch danach sind ihnen mindestens drei Wochen sicher, und selbst über<br />

die Weihnachts- und Neujahrstage liegt eine Ruhepause drin, sofern<br />

nicht irgendwo ein Hallenturnier stattfindet und die Sponsoren, die in <strong>der</strong><br />

heutigen Zeit letztlich bestimmen, wo und wie es langgeht, es für nötig<br />

finden, dass <strong>der</strong> Verein daran teilnimmt.<br />

So rappelt er sich also auf und zieht sich an, so schnell es geht, wobei<br />

ihm <strong>der</strong> Kopf immer noch ein wenig brummt. Zum Glück ist heute nicht er<br />

an <strong>der</strong> Reihe, um den Wagen zu lenken, son<strong>der</strong>n ein Kollege. Auch das<br />

ist ein Kennzeichen <strong>der</strong> untersten Ligen: Da nicht je<strong>der</strong> Verein über<br />

einen eigenen Bus o<strong>der</strong> Car verfügt, mit dem die Spieler und darüber<br />

hinaus noch die Spielerfrauen und Freundinnen sowie Fangruppen zu<br />

jedem Auswärtsspiel gefahren werden können, behilft man sich auch in<br />

Stettlers Verein damit, dass je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> einen Wagen hat, diesen auch zur<br />

Verfügung stellt. Er selbst hat zwar auch einen - sogar einen Audi, <strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Branche immer noch als etwas Beson<strong>der</strong>es gilt -, doch er benützt ihn<br />

nicht an jedem Wochenende, son<strong>der</strong>n wechselt sich mit einem Kollegen<br />

ab, dem es ebenfalls recht ist, seinen eigenen Wagen nur an jedem<br />

zweiten Samstag o<strong>der</strong> Sonntag zu steuern. Auch zur Bank fährt Stettler,<br />

<strong>der</strong> in seinem Außenbezirk immer noch verkehrstechnisch günstig<br />

wohnt, während <strong>der</strong> Woche immer mit <strong>der</strong> Straßenbahn, obwohl eine<br />

betriebseigene Garage vorhanden ist. Der Verkehr ist ihm tagsüber und<br />

erst recht in den Stoßzeiten viel zu dicht, als dass er diese Mühe auf sich<br />

nehmen wollte, sich noch mehr Stress als nötig zuzumuten - die Arbeit<br />

allein ist ja oft zermürbend genug.<br />

Als er den Vereinskollegen namens Markus Huggler vor dem Haus trifft,<br />

in dem er wohnt und vor dem <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e bereits auf ihn wartet, geben<br />

sie sich wie üblich kurz die Hand, sagen sich schnell „Hoi, wie geht’s?“<br />

und „Danke, es geht - und dir?“, so wie dieser Wortwechsel noch<br />

Tausende Male unter Leuten stattfindet, die sich schon gut kennen, und<br />

steigen in den Wagen, eine an<strong>der</strong>e Marke. Erst jetzt fühlt sich Hans<br />

wie<strong>der</strong> etwas besser, doch sobald die beiden nach einer Fahrt von fast<br />

zwanzig Kilometern die an<strong>der</strong>en vom Verein sehen, kippt seine<br />

Stimmung wie<strong>der</strong> um.<br />

Während <strong>der</strong> letzten kurzen Besprechung <strong>der</strong> ganzen Mannschaft vor<br />

dem Einlaufen verhält er sich auffallend still, was sonst nicht seine Art<br />

ist. Er ist zwar nicht <strong>der</strong> Kapitän - das ist ein an<strong>der</strong>er, <strong>der</strong> sogar noch<br />

etwas älter ist als er und im Mittelfeld spielt, was in vielen Vereinen ja<br />

fast eine Voraussetzung für dieses Amt ist -, aber immerhin <strong>der</strong><br />

Ersatzmann und als einer <strong>der</strong> ältesten Spieler aufgrund seiner Erfahrung<br />

nicht ohne Bedeutung für den viel zitierten Teamgeist.<br />

41


Schließlich scheint <strong>der</strong> Trainer doch allmählich zu merken, dass er sich<br />

heute etwas son<strong>der</strong>bar verhält. So wartet er ab, bis alle an<strong>der</strong>en den<br />

Umklei<strong>der</strong>aum <strong>der</strong> Turnhalle, neben dem das Spiel stattfindet, verlassen<br />

haben, und fragt ihn dann echt besorgt: „Geht es dir gut, Hans?“<br />

Dabei beugt er sich über ihn, da er seine Schuhe gerade fester schnürt,<br />

aber auffallend langsam.<br />

„Ja, mehr o<strong>der</strong> weniger“, antwortet er leise.<br />

„Was hast du denn heute?“<br />

„Ich habe schlecht geschlafen, aber es wird schon wie<strong>der</strong> werden.“<br />

„Ich hoffe es, Hans. Vergiss nicht, dass wir jetzt ein Län<strong>der</strong>spiel haben!<br />

Da müssen wir <strong>uns</strong> erst recht anstrengen und den an<strong>der</strong>en zeigen, dass<br />

auch wir Schweizer gut Fußball spielen können; schließlich stimmt es ja,<br />

was immer wie<strong>der</strong> gesagt wird - dass die Auslän<strong>der</strong> insgesamt die<br />

besseren Fußballer sind.“<br />

Wenn Hans diesen Spezialausdruck „Län<strong>der</strong>spiel“ hört, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Fußballszene schon seit vielen Jahren im Umlauf ist, muss er immer<br />

wie<strong>der</strong> schmunzeln. Natürlich meint <strong>der</strong> Trainer auch jetzt ein Spiel<br />

gegen eine Mannschaft, die sich fast ausschließlich aus hier ansäßigen<br />

Auslän<strong>der</strong>n zusammensetzt, die in den unteren Ligen zahlreiche<br />

Mannschaften stellen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese solche sind,<br />

die hier im Land aufgewachsen o<strong>der</strong> erst später eingewan<strong>der</strong>t sind. Was<br />

nun diesen Verein betrifft, trifft <strong>der</strong> Ausdruck aber nicht ganz zu, denn je<br />

zwei <strong>der</strong> Spieler sind Italiener und Spanier, die allerdings hier<br />

aufgewachsen und so fest verwurzelt sind, dass sie schon fast nicht<br />

mehr als Auslän<strong>der</strong> wahrgenommen werden; zwei von ihnen haben sich<br />

sogar einbürgern lassen. Diese vier profitieren auch davon, dass ihre<br />

Eltern schon vor ein paar Jahrzehnten, als es fast nur solche aus diesen<br />

beiden Län<strong>der</strong>n gab, gewissermaßen Vorarbeit geleistet haben, so dass<br />

sie im Gegensatz zu solchen aus an<strong>der</strong>en Mittelmeerstaaten und erst<br />

recht aus an<strong>der</strong>en Kulturkreisen als voll integriert gelten.<br />

„Ich weiß, Willi“, entgegnet Hans, „du kannst dich aber beruhigen, es<br />

geht mir wie<strong>der</strong> ein bisschen besser.“<br />

Gerade das stimmt aber nicht, denn als sie auflaufen, merkt er allzu klar,<br />

dass heute nicht sein Tag ist, und er weiß, dass es nicht nur am<br />

fehlenden Schlaf liegen kann. Schon oft hatte er solche Tage, viele Male<br />

hat er schon schlecht geschlafen und mit Ausnahme <strong>der</strong> ersten paar<br />

Wochen nach <strong>der</strong> Auflösung seiner Verlobung konnte er das jedes Mal<br />

locker wegstecken. Heute ist es jedoch an<strong>der</strong>s; er fühlt, dass<br />

irgendetwas ihn in seinem Innersten blockiert und nicht frei und<br />

ungezwungen spielen lässt. Er bemüht sich zwar redlich darum, mit<br />

voller Konzentration zu spielen, und begeht auch keinen<br />

42


spielentscheidenden Fehler, doch es fehlt ihm <strong>der</strong> Biss, die nötige<br />

Aggressivität, die in diesem Sport nun einmal gefor<strong>der</strong>t wird, wenn man<br />

nicht schnell weg vom Fenster sein will, selbst wenn man gesund und<br />

bei Kräften ist. Offensichtlich sind es immer noch die gestrigen<br />

Ereignisse, die ihn innerlich mehr blockieren, als es ihm lieb ist und er<br />

sich eingestehen will.<br />

Dass seine Mannschaft heute nicht gewinnt und sich von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

mit einem 1:1 trennt, liegt wenigstens nicht an ihm; schließlich ist es<br />

nicht seine Aufgabe, Tore zu schießen, son<strong>der</strong>n bloß zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Auch <strong>der</strong> Ausgleichstreffer, den die an<strong>der</strong>en wenige Minuten vor Schluss<br />

noch erzielt haben, geht nicht auf seine Kappe, denn <strong>der</strong> Gegenangriff,<br />

<strong>der</strong> zum Erfolg <strong>führt</strong>e, wurde vom rechten Flügelstürmer vorbereitet und<br />

von einem aufgerückten Mittelfeldspieler mit einem Kopfball erfolgreich<br />

abgeschlossen, während er selbst auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite damit<br />

beschäftigt war, den linken Flügelstürmer abzudecken, wie es seiner<br />

Aufgabe entsprach.<br />

Trotzdem war es während des ganzen Spiels offensichtlich, dass er nicht<br />

ganz bei <strong>der</strong> Sache war und zeitweise gar neben den Schuhen stand,<br />

wie das im Fußballjargon so treffend heißt. So etwas merken die<br />

Mitspieler natürlich bald; sie sehen einan<strong>der</strong> ja an fast jedem<br />

Wochenende und auch an den Trainingsabenden unter <strong>der</strong> Woche und<br />

lernen sich auch auf diese Weise ein gutes Stück kennen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

merkt so etwas aber auch ein guter Trainer, <strong>der</strong> mit seinen Spielern<br />

intensiv arbeitet und die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen kennt<br />

o<strong>der</strong> kennen sollte. Da dieser schon fast zwei Jahre lang in diesem<br />

Verein tätig ist und immerhin schon ein paar Mannschaften in <strong>der</strong><br />

zweithöchsten, wenn auch nicht in <strong>der</strong> höchsten trainiert hat, verfügt er<br />

natürlich über genügend Erfahrung, um Stettlers heutige Mängel zu<br />

erkennen. Das tat er denn auch während des Spiels, aber da er trotz<br />

allem keinen spielentscheidenden Fehler beging, wechselte er ihn nicht<br />

aus, wie er es sich schon überlegt hatte, und ließ ihn bis zum Schluss<br />

durchspielen.<br />

Als die Spieler geduscht haben und sich im Umklei<strong>der</strong>aum wie<strong>der</strong><br />

umziehen, verlieren sie nicht allzu viele Worte. Je<strong>der</strong> weiß selbst gut<br />

genug, was schiefgelaufen ist und wer wann welche Fehler begangen<br />

hat. Keiner spielt jemals fehlerlos, also braucht auch niemand einem<br />

an<strong>der</strong>en etwas vorzuwerfen, und schließlich ist ein Unentschieden immer<br />

noch besser als eine Nie<strong>der</strong>lage, auch wenn sie angesichts <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass sie meistens feldüberlegen spielten und damit dem Sieg<br />

und den zwei weiteren nötigen Punkten weitaus näherstanden als die<br />

43


an<strong>der</strong>en, nicht zufrieden sein können.<br />

Da für heute kein vereinsinternes Fest vorgesehen ist, gehen die Spieler<br />

bald wie<strong>der</strong> auseinan<strong>der</strong>, natürlich zuerst jene, die zu Hause eine<br />

Familie haben, und ein paar wenige trinken noch zusammen ein Bier.<br />

Nur Hans hat heute keine Lust, an irgendetwas teilzunehmen; er<br />

wünscht sich nichts sehnlicher als Ruhe, die er am besten zwischen<br />

seinen eigenen vier Wänden bekommen wird. Er spürt jedoch, dass <strong>der</strong><br />

Trainer, den er als einer <strong>der</strong> Ersten duzen durfte - in <strong>der</strong> Zwischenzeit<br />

tun es natürlich alle -, ihm noch etwas sagen will, dass er ihm sicher<br />

genau das mitteilen will, was mancher seiner Mitspieler wohl gedacht,<br />

aber nicht ausgesprochen hat; dafür ist schließlich <strong>der</strong> Trainer zuständig.<br />

Noch bevor sie einan<strong>der</strong> die Hand zum Abschied geben, fragt dieser<br />

Hans denn auch direkt ins Gesicht, wie es seine Art ist: „Geht es dir<br />

heute nicht so gut?“<br />

Da Hans nicht sofort antwortet, setzt Willi Bodenmann, wie <strong>der</strong> Trainer<br />

offiziell heißt, sofort nach: „Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir, das hat<br />

man dir deutlich angemerkt.“<br />

Er meint es mit seiner Anteilnahme ehrlich, denn er mag Hans wirklich<br />

gern, nicht nur weil er bis heute immer solid und zuverlässig gespielt hat,<br />

son<strong>der</strong>n auch als Menschen an sich, weil er außerhalb <strong>der</strong> Spielfel<strong>der</strong><br />

immer so ruhig und besonnen ist, nicht zu viel spricht und vor allem auch<br />

ihn als Chef akzeptiert, was ja nicht in jedem Verein bei allen Spielern<br />

<strong>der</strong> Fall ist; darin hat er schon genügend Erfahrungen gesammelt, auch<br />

deshalb hat er den Verein schon mehrmals gewechselt.<br />

„Ja, du hast Recht“, antwortet Hans schließlich, „ich bin heute wirklich<br />

nicht gut drauf gewesen.“<br />

„Was fehlt dir denn?“<br />

„Wie ich es dir schon gesagt habe: Ich habe schlecht geschlafen.“<br />

Mit dieser Begründung gibt sich <strong>der</strong> Trainer aber nicht zufrieden: „Mach<br />

mir doch nichts vor, Hans! Dafür kenne ich dich schon viel zu gut! Es ist<br />

sicher nicht nur das.“<br />

„Vielleicht hast du Recht“, entgegnet Hans leise.<br />

„Ist es etwa wie<strong>der</strong> eine Frau?“, fragt Willi denn auch sofort.<br />

Diese Worte treffen ihn stark, einerseits wegen seiner Beziehung, die vor<br />

wenigen Wochen in die Brüche gegangen ist - und an<strong>der</strong>erseits vielleicht<br />

auch wegen <strong>der</strong> geheimnisvollen und faszinierenden Frau von gestern<br />

Abend? Da er jedoch weiß, dass <strong>der</strong> Trainer diese Frage nicht bös<br />

meint, son<strong>der</strong>n ihm im Gegenteil immer helfen will, wenn es darauf<br />

ankommt, und auch nach jener Trennung, die ihn doch etwas hart traf,<br />

44


echte Anteilnahme bewiesen hat, nimmt er sie ihm nicht übel. Schließlich<br />

ist er keine zehn Jahre älter als er, also gehören sie praktisch <strong>der</strong><br />

gleichen Generation an und können einan<strong>der</strong> in vielem besser<br />

verstehen, als wenn <strong>der</strong> Altersunterschied größer wäre wie etwa<br />

zwischen dem Trainer und den jüngsten Spielern.<br />

„Nein, es ist keine Frau“, antwortet er zögernd und lügt dabei nicht<br />

einmal.<br />

Auch wenn ihm die von gestern nicht aus dem Sinn kommt, ist er sicher,<br />

dass sein jetziger Zustand nicht nur an ihr liegen kann; dafür hat er auch<br />

noch zu viel an<strong>der</strong>es gehört und gesehen.<br />

„Was ist es denn?“, bohrt <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e weiter, „du kannst es mir ruhig<br />

sagen, wenn dich etwas bedrückt; das weißt du ja.“<br />

So antwortet Hans nach kurzem Zögern leise: „Es ist etwas Privates, das<br />

ich vorläufig noch niemandem anvertrauen kann. Aber es hat mit<br />

<strong>uns</strong>erem Klub nichts zu tun, ich kann trotzdem weiter voll spielen.“<br />

„Wenn du meinst - dann will ich nicht weiter in dich eindringen. Da kann<br />

ich nur noch hoffen, dass es dir beim nächsten Spiel wirklich wie<strong>der</strong><br />

besser geht. Vergiss nicht, dass wir immer noch um den Aufstieg spielen<br />

können, auch wenn wir heute in <strong>der</strong> Tabelle wie<strong>der</strong> ein bisschen<br />

zurückgebunden worden sind! Aber es liegt nicht an dir, dass wir nicht<br />

gewonnen haben, dass wir auf so ärgerliche Art zwei wichtige Punkte<br />

verschenkt haben. Es lag eindeutig an <strong>der</strong> Kaltblütigkeit, die vorn im<br />

Abschluss gefehlt hat; darum sind auch ein paar dicke Chancen versiebt<br />

worden - das hat <strong>uns</strong> den Sieg gekostet.“<br />

Nach diesen klärenden Worten gehen sie auseinan<strong>der</strong> und darauf tut<br />

Hans das, was er sich schon kurz nach dem Spiel vorgenommen hat: Er<br />

lässt sich von Markus, <strong>der</strong> draußen getreulich im Auto gewartet hat,<br />

wie<strong>der</strong> nach Hause fahren, bedankt sich dort vor <strong>der</strong> Haustür bei ihm,<br />

begibt sich in seine Wohnung und legt sich gleich auf das Bett, das<br />

immerhin so breit ist, dass es allenfalls auch für eine Frau noch Platz<br />

hätte, und das er eine Zeit lang auch mit seiner ehemaligen Verlobten<br />

geteilt hat. Zum Glück hat er am an<strong>der</strong>en Ort schon geduscht, so dass er<br />

nicht nochmals aufstehen muss, son<strong>der</strong>n direkt liegen bleiben kann. Als<br />

Erstes entspannt er sich, indem er versucht, an gar nichts mehr zu<br />

denken, und schon schläft er nach wenigen Minuten ein und kann damit<br />

den Schlaf nachholen, den er in <strong>der</strong> vergangenen aufwühlenden Nacht<br />

verpasst hat.<br />

45


5<br />

Als er wie<strong>der</strong> aufwacht, ist es schon fast sechs Uhr abends. Obwohl die<br />

Sonne schon fast untergegangen ist, laden die spätwinterlichen<br />

Temperaturen zu einem erfrischenden Spaziergang selbst für einen<br />

Alleinstehenden geradezu ein, doch er spürt keine Lust. Irgendetwas hält<br />

ihn in seinen eigenen vier Wänden fest und scheint ihm zu sagen, dass<br />

er hier drinnen bleiben soll. Was soll er aber tun? Er öffnet den<br />

Kühlschrank, <strong>der</strong> in die Wohnung eingebaut ist, zieht eine Cola-Dose<br />

heraus, öffnet diese und genehmigt sich einen ersten Schluck. Dann<br />

begibt er sich zum Sofa, lässt sich dort fast hineinplumpsen und schaltet<br />

fast wie automatisch das Fernsehgerät an, wie er das immer in solchen<br />

Momenten getan hat. Da um diese Zeit wie üblich auf jedem zweiten<br />

Kanal eine Sportsendung läuft, wäre es nahe liegend, dass er, <strong>der</strong> ja<br />

selbst aktiv Sport treibt, sich eine von ihnen zu Gemüte führen würde -<br />

doch wie<strong>der</strong> spürt er dazu keine Lust, ausgerechnet er, <strong>der</strong> als Fußballer<br />

bisher fast keinen Bericht ausgelassen hat, <strong>der</strong> seinen Sport zum Inhalt<br />

hatte, diesen Sport, dem er genauso wie viele Zehntausende in diesem<br />

Land und Millionen auf <strong>der</strong> ganzen Welt mit einer solchen Leidenschaft<br />

verfallen ist, die auch er sich nicht erklären kann.<br />

Plötzlich kommt ihm eine außergewöhnliche Idee: Wenn er schon keine<br />

Lust hat, Fernsehen zu schauen, und sich nicht einmal mehr für ein<br />

Fußballspiel interessiert, könnte er doch für einmal irgendetwas lesen -<br />

aber was denn? Da fällt ihm die Bibel ein, die Erwin ihm am letzten<br />

Wochende nach seinem ersten Besuch an <strong>der</strong> Feldeggstraße geschenkt<br />

hat. Was, in <strong>der</strong> Bibel soll er lesen, er, <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>n gesinnte Hans<br />

Stettler, <strong>der</strong> sprachgewandte, viel gereiste und für alles Neue und<br />

Mo<strong>der</strong>ne offene Bankier? Das Einzige, das er von diesem komischen<br />

Buch weiß, ist <strong>der</strong> Schöpfungsbericht, <strong>der</strong> inzwischen durch die<br />

Evolutionstheorie ja schon längst wi<strong>der</strong>legt worden ist, sowie die<br />

Einteilung in ein Altes und ein Neues Testament, wobei das Alte ein paar<br />

Moses-Bücher und das Neue ein paar Evangelien enthalten; zudem<br />

erinnert er sich daran, dass es Psalmen gibt und ein gewisser Paulus für<br />

die Christen eine bedeutende Rolle spielt. Mehr weiß er aber nicht, denn<br />

was er einst in <strong>der</strong> Schule bruchstückweise hörte, hat er natürlich schon<br />

vor Jahren wie<strong>der</strong> vergessen, und es versteht sich von selbst, dass er<br />

bis heute noch keine einzige Zeile darin gelesen hat, obwohl er dafür<br />

sicher genügend Zeit gehabt hätte. Das Buch war also nicht einmal ein<br />

solches mit sieben Siegeln - diesen aus <strong>der</strong> Bibel entlehnten Begriff hat<br />

er immerhin schon einmal gehört und seitdem nicht mehr vergessen -,<br />

son<strong>der</strong>n es hat ihn schlicht nie interessiert.<br />

46


So nimmt er es also in die Hand, blättert wahllos darin herum und<br />

überlegt sich dabei, wo er denn nun beginnen soll. Da fällt ihm wie<strong>der</strong><br />

ein, dass ein Mann bei seinem ersten Besuch an <strong>der</strong> Feldeggstraße ihm<br />

fast wie nebenbei gesagt hat, er solle zuerst das Johannes-Evangelium<br />

lesen, weil dieses die Göttlichkeit Jesu am klarsten zeige. Er erinnert<br />

sich aber auch noch daran, dass ein an<strong>der</strong>er meinte, eines <strong>der</strong> drei<br />

an<strong>der</strong>en Evangelien wäre für einen Einstieg etwas geeigneter, weil sie<br />

leichter zu verstehen seien; dabei erwähnte er beson<strong>der</strong>s das Markus-<br />

Evangelium, weil dieses das kürzeste sei.<br />

Wofür soll er sich also entscheiden? Hans Stettler wäre aber nicht mehr<br />

Hans Stettler, wenn er sich nicht sofort an das Schwierigste heranwagen<br />

würde, und so schaut er im Inhaltsverzeichnis nach, wo das Johannes-<br />

Evangelium zu finden ist. Dann schlägt er die erste Seite auf und beginnt<br />

langsam und lautlos zu lesen:<br />

„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war<br />

Gott; dieses war im Anfang bei Gott.“<br />

Was bedeuten nur diese rätselhaften Worte? Gott ist welches Wort und<br />

in welchem Anfang? Doch weiter: „Alles ist durch dasselbe entstanden<br />

und ohne dasselbe ist auch nicht eines entstanden, was entstanden ist.“<br />

Nehmen diese Worte am Ende auf die Schöpfung Bezug? Wenn sie<br />

stimmen, hat also das Wort, eben dieser Gott, alles erschaffen. Weiter:<br />

„In ihm war Leben und das Leben war das Licht <strong>der</strong> Menschen. Und das<br />

Licht leuchtet in <strong>der</strong> Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen.“<br />

Welches Licht und welche Finsternis sind da gemeint? Er erinnert sich<br />

wie<strong>der</strong> daran, dass <strong>der</strong> indische Prediger gestern Abend auch davon<br />

gesprochen hat. Weiter:<br />

„Es wurde ein Mensch von Gott gesandt, <strong>der</strong> hieß Johannes. Dieser kam<br />

zum Zeugnis, um zu zeugen von dem Licht, damit alle durch ihn<br />

glaubten. Nicht er war das Licht, son<strong>der</strong>n er sollte zeugen von dem<br />

Licht.“<br />

Ach ja, er erinnert sich daran, dass immer wie<strong>der</strong> auch von einem<br />

Johannes die Rede war, wenn man in den Kirchen von diesem Jesus<br />

sprach - ein komischer Vogel von einem Propheten, <strong>der</strong> Leute ins<br />

Wasser tauchte und sagte, dass er sie dadurch taufte.<br />

Weiter: „Das wahrhaftige Licht, welches jeden Menschen erleuchtet,<br />

sollte in die Welt kommen. Es war in <strong>der</strong> Welt und die Welt ist durch ihn<br />

geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum und<br />

die Seinen nahmen ihn nicht auf.“<br />

Das ist ziemlich viel auf einmal. Wenn er den ganzen Text bis hierher<br />

richtig verstanden hat, ist also wohl Jesus dieses Licht, auf das<br />

Johannes hingewiesen hat, und er kam in die Welt, die anscheinend<br />

auch er erschaffen hat, und wurde nicht als das Licht anerkannt. Jetzt<br />

erinnert er sich wie<strong>der</strong> daran, dass immer wie<strong>der</strong> von einer göttlichen<br />

47


Dreieinigkeit die Rede ist - ein Begriff, mit dem die meisten Leute große<br />

Mühe haben, was er aber durchaus verstehen kann; schließlich gehört<br />

auch er zu ihnen. Ist also demzufolge Jesus nicht nur das Licht, son<strong>der</strong>n<br />

auch Gott und damit auch das Wort?<br />

Weiter: „All denen aber, die ihn aufnahmen, gab er Vollmacht, Gottes<br />

Kin<strong>der</strong> zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, welche nicht<br />

aus dem Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem<br />

Willen des Mannes, son<strong>der</strong>n aus Gott geboren sind.“<br />

Das Einzige, was er in diesen Versen versteht, sind die Worte, dass alle,<br />

die an ihn - also offenbar an Jesus - glauben, Gottes Kin<strong>der</strong> werden.<br />

Weiter: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter <strong>uns</strong>, und wir<br />

sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom<br />

Vater, voller Gnade und Wahrheit.“<br />

Demnach wurde also das Wort, eben Gott, zu Fleisch, also offensichtlich<br />

zu einem Menschen, und wohnte auf dieser Erde - eben die Jahre, in<br />

denen Jesus gelebt hat.<br />

Weiter: „Johannes zeugte von ihm, rief und sprach: ‚Dieser war es, von<br />

dem ich sagte: Der nach mir kommt, ist vor mir gewesen, denn er war<br />

eher als ich. Und aus seiner Fülle haben wir empfangen Gnade um<br />

Gnade.“<br />

Was soll denn das wie<strong>der</strong> heißen, dass er, also offenbar Jesus, eher als<br />

Johannes war? Nehmen diese Worte etwa wie<strong>der</strong> auf die Schöpfung<br />

Bezug, falls Jesus das Licht sowie Gott und das Wort ist?<br />

Weiter: „Denn das Gesetz wurde durch Moses gegeben, die Gnade und<br />

die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je<br />

gesehen; <strong>der</strong> eingeborene Sohn, <strong>der</strong> im Schoß des Vaters ist, hat <strong>uns</strong><br />

Aufschluss über ihn gegeben.“<br />

Auch das ist ziemlich viel auf einmal, doch er versteht insofern so viel,<br />

als offensichtlich Jesus <strong>der</strong> Sohn Gottes ist, wie er das auch schon<br />

früher manchmal gehört hat und auch diese Christen, die er kennen<br />

gelernt hat, das so sagen, und dass dieser praktisch das Verständnis für<br />

den <strong>Weg</strong> zu Gott geöffnet hat und damit eben auch die Wahrheit ist.<br />

Jetzt hält er inne, um eine größere Pause einzulegen und<br />

nachzudenken, schlägt aber die Bibel nicht zu. Potztausend, das sind<br />

wirklich starke Worte!, redet er sich dann ein. Da steht allerhand drin,<br />

allein in diesen achtzehn Versen, die er bis jetzt gelesen hat. Die Frage<br />

ist allerdings, ob all diese starken und schönen Worte auch stimmen, ob<br />

sie vielleicht nicht mehr als Aussagen eines Mannes sind, <strong>der</strong><br />

zugegebenermaßen eine gute A<strong>der</strong> zum Dichten hatte. Jesus soll also<br />

wirklich <strong>der</strong> Sohn Gottes sein? Was bedeutet denn überhaupt „Sohn<br />

Gottes“ an sich? Er überlegt sich ernsthaft, wie all diese Bibelverse, die<br />

er soeben gelesen hat, verstanden werden können. Ist es vielleicht nicht<br />

48


esser, wie<strong>der</strong> bei diesen Christen vorbeizuschauen und sie zu fragen,<br />

was all dies bedeutet? Und was ist, wenn auch unter ihnen niemand das<br />

richtig deuten kann?<br />

Er erinnert sich wie<strong>der</strong> daran, dass Erwin ihm gestern gesagt hat, es<br />

würde auch heute Abend einen Gottesdienst geben; also könnte er doch<br />

hingehen. Bis er aber dort ankommt, hat dieser schon begonnen, und er<br />

gehört nicht zu denen, die gern zu spät kommen. Außerdem fühlt er sich<br />

immer noch etwas müde, schließlich hat er das harte Spiel trotz seines<br />

Schläfchens am Nachmittag immer noch in den Knochen. So hält er es<br />

für besser, bis zum nächsten Samstag zu warten, aber dann will er<br />

bestimmt hingehen. Er hatte schon vorher Fragen - und jetzt, nach<br />

dieser Lektüre, natürlich noch mehr. Auch wenn er sich jedes Mal dazu<br />

überwinden muss, zu diesen Frommen hinzugehen, muss er einfach<br />

wissen, was mit all diesen Worten gemeint ist - das lässt ihm keine Ruhe<br />

mehr.<br />

Es kommt ihm seltsam vor, aber nachdem er diese Bibelverse gelesen<br />

hat, fühlt er sich auf irgendeine Weise erleichtert, ja, er spürt geradezu<br />

ein unerklärliches Glück. Können denn solche Bibelverse wirklich eine<br />

solche Wirkung ausüben, wie Erwin und auch <strong>der</strong> indische Prediger das<br />

so ausgedrückt haben? Er kann das zwar nicht glauben, aber es kann<br />

nicht schaden, es zu versuchen. So nimmt er die Bibel erneut in die<br />

Hand, liest jedoch nicht von dort aus weiter, wo er vorher aufgehört hat,<br />

o<strong>der</strong> irgendein an<strong>der</strong>es Kapitel, son<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>holt die ersten achtzehn<br />

Verse aus dem Johannes-Evangelium, weil diese ihm schon ein erstes<br />

Fundament geben können.<br />

Wirklich interessant, sagt er sich, als er wie<strong>der</strong> durch ist, aber ich kann<br />

damit nichts anfangen; es sagt mir einfach nichts. Dann legt er das Buch<br />

zur Seite, schliesslich hat er für heute nach seiner Meinung schon genug<br />

gelesen. Da er sich jetzt tatsächlich wie<strong>der</strong> besser und entspannter fühlt,<br />

stellt er doch noch das Fernsehgerät an, schaut jedoch erneut nicht<br />

Sport, son<strong>der</strong>n die Tagesschau und anschließend einen Kriminalfilm. Für<br />

einmal will er völlig abschalten, nicht nur vom Fußball, son<strong>der</strong>n auch von<br />

allen frommen Dingen. So lässt er die letzten Stunden dieses Tages<br />

ausklingen, bis er wie<strong>der</strong> müde genug ist, um Schlaf zu finden.<br />

6<br />

Im Gegensatz zum vergangenen Wochenende fühlt sich Hans die ganze<br />

nächste Woche hindurch erstaunlich gut, ohne dass er sich das erklären<br />

49


kann, ja, es, läuft ihm alles <strong>der</strong>art gut, dass er an seinem Arbeitsplatz<br />

und während <strong>der</strong> Trainings zum Erstaunen des Trainers und seiner<br />

Mitspieler richtiggehend aufgestellt ist, wie es schon lange nicht mehr<br />

vorgekommen ist. Zu dieser gehobenen Stimmung trägt auch bei, dass<br />

er sich nicht daran erinnern kann, wann er das letzte Mal so innig auf ein<br />

Wochenende gewartet und sich geradezu darauf gefreut hat. Das tat er<br />

zwar auch früher, eigentlich vor jedem Spiel und ohnehin dann, wenn<br />

auch noch irgendein Fest im Programm aufge<strong>führt</strong> war, doch diesmal ist<br />

es an<strong>der</strong>s, irgendwie noch intensiver.<br />

Ist es wohl die Vorfreude auf das Treffen mit diesen Christen o<strong>der</strong> nicht?,<br />

fragt er sich selbst mehr als einmal. Bin ich tatsächlich schon so weit,<br />

dass ich mich darauf freue, sie wie<strong>der</strong> zu sehen, obwohl ich gar nicht zu<br />

ihnen gehöre, o<strong>der</strong> ist es etwas an<strong>der</strong>es? Wir werden ja sehen, wenn ich<br />

wie<strong>der</strong> dort bin. Tatsächlich hat er fest vor, sich bei ihnen wie<strong>der</strong> blicken<br />

zu lassen, nicht nur wegen seiner Fragen, die laufend auftauchen,<br />

son<strong>der</strong>n auch aus dem einfachen Grund, weil er ja immer noch ohne<br />

feste Freundin ist und nicht gerade den ganzen Samstag völlig allein<br />

verbringen will. Da kann es sicher nicht schaden, auch bei ihnen kurz<br />

vorbeizuschauen; schließlich werden sie ihn wohl kaum zu einer<br />

Bekehrung zwingen - und abgesehen davon könnten sie das sowieso<br />

nicht.<br />

Als er sich am Samstagabend, nur zwei Wochen nach seinem ersten<br />

Treffen mit Erwin auf dem Bellevueplatz, tatsächlich dazu überwindet,<br />

ein drittes Mal an die Feldeggstraße zu gehen und seinen Fuß in die<br />

Räumlichkeiten <strong>der</strong> Frommen zu setzen, muss er gleich bei seinem<br />

Eintreten mit einer kleinen Enttäuschung fertigwerden: Er kann keine<br />

einzige Person erkennen, die ihm bekannt vorkommt. Den einen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en hat er vielleicht schon gesehen, doch er erinnert sich nicht so<br />

genau. Mit Sicherheit ist aber keiner von denen hier, mit denen er schon<br />

persönlich gesprochen hat, we<strong>der</strong> Erwin Gisler noch Bruno <strong>Weg</strong>mann<br />

noch jene zwei, die ihm sagten, er solle zuerst mit <strong>der</strong> Lektüre des<br />

Johannes- o<strong>der</strong> des Markus-Evangeliums beginnen. Allerdings ist es<br />

auch noch etwas früh - kurz nach sieben Uhr -, so dass anzunehmen ist,<br />

dass noch viele an<strong>der</strong>e kommen werden, darunter vielleicht auch Erwin<br />

und Bruno, ja, er hofft sogar darauf.<br />

Da vorerst niemand ihn zur Kenntnis zu nehmen scheint und kein<br />

Einziger ihn direkt begrüßt, wird er schon wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher, und er<br />

fragt sich, ob es nicht besser wäre, möglichst schnell wie<strong>der</strong> zu<br />

verschwinden. Doch da entdeckt er einen Tisch, auf dem allerlei<br />

Lesematerial gestapelt ist, neben ein paar Bibeln auch Flugblätter,<br />

50


darunter jenes mit dem Titel „Revolution - um jeden Preis!“, das er vor<br />

zwei Wochen als Erstes gesehen und das den Kontakt mit diesen Leuten<br />

hier erst ermöglicht hat. So schnappt er sich zwei dieser Blätter, und als<br />

wolle er den an<strong>der</strong>en zeigen, dass er sehr beschäftigt ist und gerade<br />

nicht gestört werden will, setzt er sich an das erstbeste Tischchen und<br />

beginnt zu lesen.<br />

Während er in seine Lektüre vertieft ist, bemerkt er fast nicht, wie <strong>der</strong><br />

Raum sich in erstaunlich kurzer Zeit immer mehr füllt, so dass bald nur<br />

noch wenige Plätze übrigbleiben. Vielleicht ist für heute wie<strong>der</strong> ein<br />

bekannter Prediger angekündigt, sagt sich Hans, als er einmal von<br />

seinen beiden Flugblättern aufblickt, da es aufgrund des Geplau<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />

Leute und des Stühleklapperns unüberhörbar geworden ist, dass immer<br />

mehr kommen. Doch er kann nach wie vor niemanden erblicken, den er<br />

schon kennt, und wegen seiner Lektüre, in die er sich scheinbar vertieft<br />

hat, überwindet sich auch niemand dazu, ihn persönlich zu begrüßen<br />

und ihm gar die Hand zu geben. Er nimmt es ihnen aber nicht übel,<br />

einerseits weil ihm das so recht ist und an<strong>der</strong>erseits auch deshalb, weil<br />

die meisten noch ziemlich jung sind und wohl noch über zu wenig<br />

Fingerspitzengefühl verfügen, um alle gleich so nehmen zu können, wie<br />

sie sind. Zu diesen schwierigen Fällen scheint auch er zu gehören, denn<br />

obwohl er keinen Anzug und keine Krawatte trägt, wie er das auf <strong>der</strong><br />

Bank tut, kann er nicht ohne weiteres aus seiner wohlerzogenen<br />

Bankiershaut schlüpfen. Auch in einfacher Kleidung wirkt er auf viele<br />

immer noch wie ein eleganter Herr, ob er es nun will o<strong>der</strong> nicht.<br />

Wie er sich wie<strong>der</strong> einmal aufs Geratewohl umschaut, trifft ihn fast <strong>der</strong><br />

Schlag: Plötzlich tritt jene geheimnisvolle Frau ein, die ihm am letzten<br />

Samstag so gefallen und an die er die ganze Woche so oft gedacht hat,<br />

und da ausgerechnet an seinem Tisch noch zwei Plätze frei sind, schickt<br />

sie sich tatsächlich an, sich direkt ihm gegenüber hinzusetzen. Sie ist<br />

allerdings nicht allein, son<strong>der</strong>n in Begleitung einer an<strong>der</strong>en Frau, die<br />

etwas jünger als sie zu sein scheint. Bevor sie sich mit dieser hinsetzt,<br />

fragt sie Hans das Übliche, das schon fast zum Anstandsinventar gehört:<br />

„Ist hier noch frei?“<br />

Dabei sagt sie diese Worte mit einer so angenehmen, weichen<br />

Mezzosopran-Stimme, also we<strong>der</strong> zu hoch noch zu tief, dass er wie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> gleichen Faszination erliegt wie am letzten Samstag. Der<br />

Aussprache nach zu schließen ist sie mit Sicherheit keine Einheimische,<br />

zumal sie auch in <strong>der</strong> Hochsprache gesprochen hat, aber um<br />

herauszuhören, woher sie stammt, müsste er noch einmal die<br />

Gelegenheit bekommen, sie zu hören.<br />

„Sicher ist da noch frei“, antwortet er nur kurz und im Dialekt, wobei er es<br />

schon jetzt wagt, sie direkt anzulächeln.<br />

51


Darauf setzt sie sich zusammen mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Frau, aber ohne sein<br />

Lächeln zu erwi<strong>der</strong>n. Offensichtlich hat sie für ihn nicht das geringste<br />

Interesse; es ist ja auch das erste Mal, dass sie ihn sieht, und schließlich<br />

hat sie eine an<strong>der</strong>e Frau mitgebracht, mit <strong>der</strong> sie sich logischerweise<br />

unterhalten wird; sonst hätte sie ja allein kommen können.<br />

Ihm ist das allerdings auch so recht, denn selbst bei einem Interesse<br />

wüsste er nicht, wie er sogleich reagieren sollte. So begnügt er sich<br />

vorerst ein paar Minuten lang damit, die beiden Frauen und natürlich vor<br />

allem sie verstohlen von <strong>der</strong> Seite zu betrachten, wobei er immer noch<br />

so tut, als wäre er in seine Lektüre vertieft. Dass sie diesmal die Haare<br />

offen trägt, also nicht mehr zu einem Pferdeschwanz<br />

zusammengebunden hat wie beim letzten Mal, ist ihm schon vorher<br />

aufgefallen. Dieser Frisurenwechsel überrascht ihn aber nicht<br />

beson<strong>der</strong>s; das hat er auch bei seinen früheren Freundinnen und seiner<br />

ehemaligen Verlobten miterlebt, und er findet es sogar nicht ohne Reiz.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Schwanz ihr gut stand, strahlt sie jetzt, mit den offenen<br />

Haaren und dem Lächeln, das während des Gesprächs mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Frau ab und zu über ihr Gesicht huscht, eine noch tiefere Anmut aus als<br />

am letzten Samstag. Die an<strong>der</strong>e hingegen beachtet er angesichts dieser<br />

Ausstrahlung <strong>der</strong> ersteren kaum; sie ist zwar auf ihre eigene Art auch<br />

hübsch, fasziniert ihn jedoch nicht so stark wie diese.<br />

Als die beiden eine kurze Pause einzulegen scheinen, sagt er sich, dass<br />

es langsam Zeit wird, irgendwie zu einem Gespräch zu kommen, wenn<br />

ein möglicher zukünftiger Kontakt nicht schon von vornherein versanden<br />

soll. Es würde ihm, dem bestandenen, bewährten, weltgewandten und<br />

sprachbegabten Bankier Hans Stettler, ja schlecht anstehen, wenn er<br />

auch dieses Problem nicht entschlossen angehen könnte. Da die zwei<br />

Frauen ihr Gespräch immer noch nicht fortsetzen, benützt er diese<br />

Gelegenheit, um sich einen Ruck zu geben und den beiden, die nur<br />

einen Meter von ihm entfernt sitzen, keck ins Gesicht zu sagen: „Darf ich<br />

mich übrigens vorstellen? Ich heiße Hans - Hans Stettler.“<br />

Dabei streckt er ebenso keck seine rechte Hand zur Begrüßung hin.<br />

Wenn er jetzt geglaubt hat, die beiden und vor allem diese eine, die ihm<br />

so gut gefällt, würden überrascht reagieren, hat er sich getäuscht. Zwar<br />

zögert sie noch etwas, doch dann streckt auch sie ihm die rechte Hand<br />

hin, indem sie erwi<strong>der</strong>t: „Und ich heiße Ulrike.“<br />

Jetzt, da er ihre Stimme zum zweiten Mal gehört hat, kann er deutlich<br />

heraushören, dass sie wohl aus dem norddeutschen Raum stammen<br />

muss. Was bei vielen Leuten in diesem Land bei einer ersten<br />

Konfrontation mit solchen nördlich des Rheins und erst recht des Mains<br />

auch noch heute Berührungsängste bewirkt, trifft bei ihm nicht zu. Im<br />

52


Gegenteil, er fühlt sich durch ihre Aussprache sogar noch mehr zu ihr<br />

hingezogen, und zudem spricht er in seiner Berufstätigkeit so viel Hocho<strong>der</strong><br />

genauer Standarddeutsch, wie es heute in den Fachkreisen mehr<br />

genannt wird, dass ihm das nicht so holperig über die Zunge geht wie bei<br />

den meisten an<strong>der</strong>en in diesem Land. Dabei stört es ihn nicht, dass auch<br />

er mit seinem Akzent nicht ganz verbergen kann, woher er stammt, weil<br />

das fast allen an<strong>der</strong>en auch so ergeht.<br />

Als ihre mittelgrosse Hand, die sich weich anfühlt, in <strong>der</strong> seinen liegt,<br />

durchzuckt es ihn keineswegs, wie er das in verschiedenen Filmen<br />

schon so gesehen hat, wenn ein Mann und eine Frau, die anscheinend<br />

füreinan<strong>der</strong> bestimmt waren, sich zum ersten Mal die Hand gaben und<br />

dabei eine Art elektrisches Zucken spürten, wobei natürlich auch<br />

Montage mit im Spiel war. Wäre er abergläubisch, müsste er jetzt also<br />

annehmen, sie seien doch nicht füreinan<strong>der</strong> bestimmt, aber ihre Hand<br />

fühlt sich trotzdem so angenehm an, dass er fast nicht zur Kenntnis<br />

nimmt, dass ihre Begleiterin sich mit dem Namen Liesbeth vorstellt und<br />

ihm ebenfalls die Hand gibt, die sich natürlich nicht gleich anfühlt, als er<br />

sich dazu überwindet, sie ebenfalls gebührend zu begrüßen.<br />

Mit dieser kurzen Begrüßung muss er es aber für heute bewenden<br />

lassen, denn er spürt, dass sie, eben diese Ulrike, kein weiteres<br />

Gespräch mit ihm wünscht, son<strong>der</strong>n sich nur noch mit dieser Liesbeth<br />

unterhalten will. Das ist für sie umso wichtiger, als sie schon mehrere<br />

Wochen benötigt hat, in denen sie ihre Kollegin immer wie<strong>der</strong><br />

ermunterte, doch einmal mit ihr in die Teestube zu kommen, bis diese<br />

sich endlich dazu überwinden konnte, und das ist eben gerade heute <strong>der</strong><br />

Fall. So will sie diese Chance dazu benützen, um ihr einmal in <strong>der</strong><br />

Freizeit und außerhalb ihres Arbeitsbereiches vom Evangelium zu<br />

erzählen. Dass diese Ulrike offensichtlich auch zu den Frommen gehört<br />

und er das am letzten Samstag also richtig vermutet hat, erkennt Hans<br />

daran, dass sie vor sich eine Bibel hingelegt hat, welche die gleiche zu<br />

sein scheint wie beim letzten Mal; jedenfalls sieht sie für ihn so aus.<br />

Da Ulrike jetzt also in dieser Bibel blättert und gleich darauf das<br />

Gespräch mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Frau fortsetzt, als wäre er nur noch Luft für<br />

sie, hat er ein wenig Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen, doch er<br />

muss sich sagen, dass es ja ihr gutes Recht ist, sich in erster Linie mit<br />

ihrer Begleiterin abzugeben, die sie hierhergebracht hat, und schließlich<br />

kennt sie ihn überhaupt nicht und weiß von ihm bisher nichts an<strong>der</strong>es als<br />

gerade den ersten Namen und den Familiennamen. Einen Vorteil hat<br />

das Ganze aber dennoch: Er kann in aller Ruhe ihrer angenehmen<br />

Stimme zuhören und bekommt erst noch etwas aus <strong>der</strong> Bibel mit, auch<br />

53


wenn ihm das gerade dadurch, dass er sich auf sie allein konzentriert,<br />

nicht so recht bewusst ist und er vom Sinn ihrer Worte sowieso nur<br />

wenig versteht.<br />

Plötzlich wird er in dieser Muße gestört, denn es spricht ihn jemand mit<br />

einer Stimme an, die ihm sehr bekannt vorkommt: „Hoi Hans!“<br />

Als er leicht erschrocken aufblickt, erkennt er zu seiner Überraschung<br />

Erwin, <strong>der</strong> heute etwas später gekommen ist und den er bei seinem<br />

Eintreten gar nicht gesehen hat, <strong>der</strong>art intensiv kümmerte er sich um<br />

diese Ulrike. Nachdem Erwin auch sie, die er offenbar schon kennt, und<br />

die an<strong>der</strong>e begrüßt hat, erkennt er, dass genau neben Hans immer noch<br />

ein Stuhl frei ist, und so fragt er ihn höflich: „Ich darf mich doch zu dir<br />

setzen?“<br />

„Aber sicher“, antwortet er sofort, „schließlich sind wir schon alte<br />

Bekannte.“<br />

„Es ist schön, dass du heute Abend wie<strong>der</strong> gekommen bist“, beginnt<br />

Erwin sogleich wie<strong>der</strong> ein Gespräch, als er sich gesetzt hat, „übrigens<br />

habe ich dich am letzten Sonntag vermisst.“<br />

„Wirklich?“<br />

«Sicher, das kannst du mir glauben. Ich konnte doch noch kommen. Es<br />

war ein sehr schönes Wochenende, das wir zusammen verbringen<br />

durften - sogar eines <strong>der</strong> schönsten, die ich je hatte.»<br />

„Oh la la! Das freut mich für dich, aber du weißt ja, dass ich am Morgen<br />

ein Spiel hatte, und am Abend war ich einfach viel zu müde, um noch<br />

auszugehen.“<br />

„Das kann ich verstehen, aber es ist trotzdem schade. Du hättest<br />

vielleicht nicht nur mit dem indischen Prediger ein bisschen reden<br />

können, son<strong>der</strong>n hättest auch die Gelegenheit gehabt, die drei Personen<br />

kennen zu lernen, die sich am letzten Samstag nach seiner Predigt<br />

bekehrt haben.“<br />

„So haben sich also alle drei zu eurem Glauben bekehrt? Ich erinnere<br />

mich daran, dass die drei in einen Nebenraum gegangen sind.“<br />

„Ja, alle zusammen - war das eine Freude! Schade, dass du auch das<br />

nicht mitbekommen hast! Ich habe dich nachher noch gesucht, aber du<br />

warst lei<strong>der</strong> schon nicht mehr da.“<br />

„Eine Bekehrung habe ich noch miterlebt, aber <strong>der</strong> Rummel nachher war<br />

mir viel zu groß. Darum bin ich sofort verreist, sonst wäre mir noch die<br />

Decke auf den Kopf gefallen.“<br />

Dann hält Hans kurz inne und fragt dann spontan: „Übrigens, kommt<br />

dieser Prediger schon wie<strong>der</strong>?“<br />

„Meinst du Rabi, den vom letzten Samstag? Nein, heute nicht. Er ist<br />

eben ständig unterwegs, aber hier ist er wenigstens häufiger als an<br />

54


vielen an<strong>der</strong>en Orten, weil diese Gemeinde für ihn eine Art Heimat ist.“<br />

„Gemeinde? Warum dieser politische Ausdruck?“<br />

„Das ist nur die Übersetzung o<strong>der</strong> genauer Übertragung des<br />

griechischen Wortes ‚ekklesia’. Wie du vielleicht auch weißt, ist das<br />

Neue Testament ursprünglich auf Griechisch geschrieben worden. Auch<br />

das Wort ‚Kirche’ wäre richtig, aber die Freikirchen, also die<br />

nichtstaatlichen Kirchen, verwenden mehr ‚Gemeinde’.“<br />

„Da kann man tatsächlich durcheinan<strong>der</strong>kommen. Für mich ist eine<br />

Kirche bisher immer nur eine Kirche gewesen und sonst nichts weiter.“<br />

Darauf hält er wie<strong>der</strong> kurz inne und setzt nochmals durch einen<br />

spontanen Einfall fort: „Übrigens kann ich dir etwas mitteilen, das dich<br />

vielleicht freuen wird.“<br />

„Was denn, Hans?“<br />

„Ich bin am letzten Sonntagabend zwar nicht gekommen, weil ich zu<br />

müde war und mich flach hingelegt habe - aber stell dir vor, was ich dann<br />

tat, als ich wie<strong>der</strong> aufgewacht war! Es war direkt etwas Historisches: Ich<br />

habe zum ersten Mal in meinem Leben in <strong>der</strong> Bibel gelesen.“<br />

„Wirklich? Das ist aber eine erfreuliche Überraschung! So hat sich dein<br />

Besuch vor einer Woche erst recht noch gelohnt. Was hast du denn<br />

gelesen, wenn ich dich das fragen darf? Vielleicht kann ich dir eine<br />

Einstiegshilfe geben, wenn du noch Fragen hast.“<br />

„Es war nur <strong>der</strong> Anfang des Johannes-Evangeliums, aber schon das war<br />

schwer genug, um alles zu verstehen.“<br />

„Da hast du dir aber einen <strong>der</strong> besten Brocken <strong>der</strong> Bibel ausgesucht.<br />

Sicher, alle Teile sind gut, aber dieses erste Kapitel ist ein beson<strong>der</strong>er<br />

Abschnitt, weil er das ganze Evangelium in wenigen Worten verkündet,<br />

und zwar schon von <strong>der</strong> Schöpfung an.“<br />

„Ja, das ist mir auch so vorgekommen.“<br />

„Dann hast du aber schon viel mehr verstanden, als du glaubst, wenn du<br />

das so gesehen hast. Sogar viele Gläubige haben mit diesem<br />

Evangelium ein bisschen Mühe, weil es viel mehr in die Tiefe geht als die<br />

drei an<strong>der</strong>en Evangelien.“<br />

„In welche Tiefe?“<br />

„In die Tiefe des Wortes Gottes und seiner ewigen Weisheiten.“<br />

„Ach ja, ich habe schon fast vergessen, dass ihr ein eigenartiges<br />

Vokabular habt, das Außenstehende fast nicht verstehen können.“<br />

„Wenn du das schon so betonst, kann ich dir auch sagen, wie wir das<br />

bezeichnen.“<br />

„Wie denn?“<br />

„Wir sagen dem ‚kanaanitische Sprache’.“<br />

„Die kana was?“<br />

„Die kanaanitische Sprache, also die Sprache Kanaans.“<br />

55


«Was ist denn damit wie<strong>der</strong> gemeint? Etwa Kanada?»<br />

„Nein, nicht Kanada - Kanaan ist in <strong>der</strong> Bibel das verheißene Land, wo<br />

das Volk Israel nach einer langen Wüstenwan<strong>der</strong>ung sesshaft geworden<br />

ist, wie <strong>der</strong> Herr es versprochen hatte, nachdem es die Sklaverei in<br />

Ägypten hinter sich gelassen hatte. Ich kann wohl annehmen, dass auch<br />

du schon von dieser Geschichte gehört hast - sie ist schließlich in <strong>der</strong><br />

ganzen Welt bekannt.“<br />

„Ja, sicher, man hat ja immer wie<strong>der</strong> darüber viel geschrieben, ob sie<br />

jetzt wahr ist o<strong>der</strong> nicht.“<br />

„Für <strong>uns</strong> hat sich das alles aber wirklich so ereignet, wie es in <strong>der</strong> Bibel<br />

geschrieben steht. Was dabei für die Israeliten das Land Kanaan war,<br />

das ist für <strong>uns</strong> die Person Jesus Christus, den wir nach einer langen<br />

Suche, das heißt nach einer Wüstenwan<strong>der</strong>ung in <strong>uns</strong>erem Leben, als<br />

<strong>uns</strong>eren Erlöser gefunden haben. Die Bibel ist voll von solchen Bil<strong>der</strong>n<br />

und Vergleichen, und dabei kommen natürlich auch viele Wörter und<br />

Ausdrücke vor, die nur ein Mensch, <strong>der</strong> sich zu ihm bekehrt hat, richtig<br />

verstehen kann.“<br />

„Dann bin ich selbst also einer von draußen, ein völliger Ignorant?“, fragt<br />

Hans jetzt etwas verärgert.<br />

„So will ich das nicht bezeichnen, aber es ist halt schon so, dass du<br />

dieses Land Kanaan noch nicht sehen kannst, solange du den Herrn<br />

noch nicht persönlich kennst.“<br />

„Und du selber hast also dieses Land gesehen, genauso wie die meisten<br />

da drinnen?“<br />

„Ja, wir haben es nicht nur gesehen, son<strong>der</strong>n leben sogar mittendrin.<br />

Auch du kannst dabei sein, wenn du nur willst.“<br />

„Ja, ich weiß, es fehlt nur die Bekehrung zu eurem Jesus - zu einem<br />

Phantom, das man nicht sieht. Ich muss schon sagen, so wie du redest,<br />

tönt es ziemlich überheblich, aber in einem muss ich dir sogar Recht<br />

geben: Ich bin wirklich einer von draußen, <strong>der</strong> eure son<strong>der</strong>bare Welt<br />

nicht kennt.“<br />

Vor lauter Erregung hat er nicht bemerkt, dass er gegen das Ende des<br />

Gesprächs mit Erwin immer lauter geworden und auch sein Ton immer<br />

aggressiver geworden ist, ohne dass er es eigentlich wollte. Dadurch<br />

sind nicht nur an<strong>der</strong>e Leute im Raum auf ihn aufmerksam geworden,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem auch Ulrike, die ihr eigenes Gespräch mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Frau kurz zuvor auch wegen seiner Lautstärke beendet und ihm und<br />

Erwin ein wenig zugehört hat. Erst jetzt ist sie richtig auf ihn aufmerksam<br />

geworden, wie er das im Grund von Anfang an so wollte, aber zu einem<br />

günstigeren Zeitpunkt.<br />

Da gerade in diesen Minuten Stille eingekehrt ist und ein junger Mann<br />

56


auf das kleine Podium tritt, um das Vorprogramm vorzutragen, wie <strong>der</strong><br />

Teil vor <strong>der</strong> eigentlichen Predigt bezeichnet wird, hat sie jetzt genügend<br />

Zeit, um ihn etwas zu beobachten. Dabei tut sie das auf die gleiche<br />

Weise, wie er es vorher getan hat, aber mit dem Unterschied, dass er<br />

das sehr wohl spürt. Er lässt es sich jedoch nicht anmerken, son<strong>der</strong>n tut<br />

so, als hätte er am Vortrag des jungen Mannes vorn echtes Interesse,<br />

und schaut unbewegt nach vorn.<br />

Auch sie betrachtet zuerst das Gesicht und dann die Gesichtszüge, die<br />

bei allen gewissermaßen den Spiegel desselben bilden, und findet ihn<br />

auf den ersten Blick eigentlich sympathisch. Er ist zwar kein<br />

muskelbepackter Adonis und verfügt auch nicht über jene James-Bond-<br />

Ausstrahlung, die Millionen von Frauen und Mädchen immer noch die<br />

Herzen höherschlagen und aus dem Häuschen geraten lässt, darunter<br />

auch solche, die sich ansonsten sehr mo<strong>der</strong>n und selbstbewusst geben.<br />

Trotzdem hat er ein angenehmes Äußeres und es ist ihm anzumerken,<br />

dass er anscheinend von einem sogenannten guten Haus stammt. Nicht<br />

nur sein Gesicht und seine Nase, son<strong>der</strong>n auch seine Ohren und vor<br />

allem Hände zeigen, dass er sich gut zu pflegen weiß und<br />

wahrscheinlich einer Arbeit nachgeht, die direkt mit <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

verbunden ist. Auch sein Lächeln, das er ab und zu zeigt, gefällt ihr sehr<br />

und bestärkt sie in ihrem ersten Eindruck, den sie von ihm bekommen<br />

hat.<br />

In einem unterscheidet sie sich aber deutlich von ihm: Im Gegensatz zu<br />

ihm kommt ihr nicht einmal entfernt <strong>der</strong> Gedanke, dass er vielleicht ein<br />

Mann für sie sein könnte, auch wenn sie rein äußerlich auf den ersten<br />

Blick gut zusammenpassen. In ihren Augen wiegt es viel zu schwer,<br />

dass er offensichtlich nicht an Jesus Christus glaubt, was sie selbst<br />

schon seit bald zwanzig Jahren tut, dass er also ein Ungläubiger ist. Ja,<br />

diese leicht bös wirkende Bezeichnung ist nicht nur unter den Moslems<br />

für all jene üblich, die nicht an ihre Religion glauben, son<strong>der</strong>n auch unter<br />

den evangelikalen Christen. Obwohl auch sie diesen Ausdruck etwas zu<br />

hart findet, ertappt sie sich selbst immer wie<strong>der</strong> dabei, dass sie ihn<br />

genauso verwendet wie praktisch alle an<strong>der</strong>en, die als Gläubige<br />

bezeichnet werden. Wenn man immer wie<strong>der</strong> mit Gleichgesinnten<br />

zusammen ist, ergibt sich nun einmal mit <strong>der</strong> Zeit, dass alle einan<strong>der</strong><br />

gegenseitig beeinflussen, auch wenn die einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en das nicht<br />

einmal merken.<br />

Dass dieser Mann, <strong>der</strong> sich ihr als Hans Stettler vorgestellt hat, nicht zu<br />

ihnen gehört, ist offensichtlich; sonst hätte er nicht auf diese Weise mit<br />

Erwin, den sie als sehr besonnen kennt, gesprochen und sich dabei<br />

57


erregt. Wenn er nun also nicht gläubig ist, heißt das nicht, dass es auch<br />

so bleiben muss. Ja, das wäre etwas, wenn auch er sich bekehren<br />

würde! Dann könnte auch sie sich über ihn mehr Gedanken in dieser<br />

Richtung machen. Ach, was rede ich mir da nur ein!, sagt sie schließlich<br />

im Stillen zu sich selber, als sie sich bei diesen Überlegungen ertappt.<br />

Das Einzige, das ich tun kann, ist für diesen Mann beten, damit auch er<br />

bald zum Herrn findet.<br />

Als ob Hans ahnte, was sie gerade denkt, wagt er es noch während des<br />

Vorprogramms, zu ihr einmal kurz hinüberzuschauen, und während ihre<br />

Blicke sich treffen, glaubt er auf ihrem Gesicht ein schwaches Lächeln zu<br />

erkennen. Er kann sich allerdings auch täuschen, doch das ist für ihn<br />

immerhin ein Anfang, weil sie seinem Blick nicht ausweicht. Das ist also<br />

diese Frau, an die ich die ganze Woche gedacht habe, redet er sich ein;<br />

das ist sie also, nun sitzt sie so nahe bei mir, und ich habe mich<br />

tatsächlich nicht in sie getäuscht. Vielleicht gefalle ich ihr ja nicht, aber<br />

wenigstens gefällt sie mir, und das ist auch etwas. Wenn ich nur ein<br />

bisschen mehr über diese Ulrike erfahren könnte! Doch jetzt kann ich<br />

nicht mehr mit ihr sprechen - und nach <strong>der</strong> Predigt geht sie vielleicht<br />

wie<strong>der</strong> so schnell weg wie beim letzten Mal.<br />

Dann versucht er, nicht mehr an sie zu denken und sich auf das<br />

Dargebotene zu konzentrieren, aber so sehr er sich auch bemüht, es<br />

gelingt ihm nicht. We<strong>der</strong> das Vorprogramm, das aus zwei Zeugnissen<br />

o<strong>der</strong> genauer Berichten von persönlichen Bekehrungen und einem Lied<br />

besteht, das von zwei Mädchen zweistimmig und für einmal ohne<br />

Gitarrenbegleitung vorgetragen wird, noch die Hauptpredigt, die diesmal<br />

jemand hält, den er noch nie gesehen hat, dringen so richtig in ihn ein.<br />

Selbst in jenen Momenten, in denen er nicht an Ulrike denkt, spürt er vor<br />

seinem Kopf immer noch ein Brett, das er auch dann nicht wegnehmen<br />

könnte, wenn er es von ganzem Herzen wollte. Das Ganze ist ihm nach<br />

wie vor zu fremd und auch zu unglaubwürdig. Gott wird zu einem<br />

Menschen beziehungsweise zu Gottes Sohn und stirbt am Kreuz für alle<br />

Sünden <strong>der</strong> Welt, und dazu kommt noch diese Geschichte von <strong>der</strong><br />

Auferstehung - welcher auch nur halbwegs vernünftige Mensch kann in<br />

<strong>der</strong> heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeit an so etwas glauben? Bei allen Sympathien,<br />

die er für diese Leute da unten empfindet, die diese Botschaft offenbar<br />

mit vollem Ernst nehmen, er selbst kann nun einmal nichts damit<br />

anfangen. Sein Verstand, den er immer noch für gesund hält, sträubt<br />

sich dagegen, und auch wenn er an Erwin denkt, <strong>der</strong> ihm am letzten<br />

Samstagabend gesagt hat, dass das Wort vom Kreuz <strong>der</strong> Welt eine<br />

Torheit sei, kann er nicht umdenken … und er will das auch nicht.<br />

58


Als <strong>der</strong> Prediger seinen Vortrag nach einer unendlich lang<br />

erscheinenden Zeit endlich beendet hat, fühlt sich Hans gewaltig<br />

erleichtert, <strong>der</strong>art schwer ist es ihm gefallen, sich auf diese Rede zu<br />

konzentrieren. Bevor die zu erwartenden Gespräche beginnen, schaut er<br />

noch einmal kurz zu Ulrike hinüber, doch sie tut so, als nähme sie das<br />

nicht wahr - da hilft selbst ein mühsam herausgequältes Lächeln nicht<br />

weiter. Sie ist wirklich ein harter Brocken, sagt er sich, doch an<strong>der</strong>erseits<br />

gefällt ihm das auch. Schließlich findet er es gut, wenn eine solche Frau<br />

wie sie nicht gleich jedem Erstbesten Hoffnungen macht, den sie nicht<br />

einmal näher kennt.<br />

Noch bevor er wie<strong>der</strong> ein paar Worte mit ihr wechseln kann, wendet sie<br />

sich jedoch ihrer Kollegin zu, und selbst wenn sie das nicht täte, könnte<br />

er nicht mit ihr sprechen, denn jetzt kümmert sich wie<strong>der</strong> Erwin um ihn.<br />

Er merkt jedoch schnell, dass Hans aus irgendeinem Grund für ein<br />

Gespräch, das in die Tiefe geht, nicht mehr empfänglich ist, bis ihm<br />

plötzlich eine glänzende Idee kommt: „Weißt du was, Hans? Ich glaube<br />

zwar, dass du im Grund genommen wirklich ein suchen<strong>der</strong> Mensch bist,<br />

dass du insgeheim sogar Interesse für das hast, was wir hier verkünden,<br />

auch wenn du das jetzt vielleicht nicht zugibst. Wenn das nicht <strong>der</strong> Fall<br />

wäre, würdest du ja nicht hierherkommen.“<br />

Wenn er wüsste, aus welchem Grund ich auch noch gekommen bin!,<br />

sagt er sich bei diesen Worten. Dabei schaut er wie<strong>der</strong> kurz zu Ulrike<br />

hinüber - dass gerade sie auch ein Grund war, weiß er jetzt genau. Da<br />

sie aber <strong>der</strong>art tief ins Gespräch mit Liesbeth vertieft ist, nimmt sie<br />

diesmal nicht wahr, dass er wie<strong>der</strong> zu ihr herüberschaut.<br />

Weiter fährt Erwin fort: „Ich glaube, du brauchst nicht nur jemanden wie<br />

mich o<strong>der</strong> einen an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> dir vom Evangelium erzählt, son<strong>der</strong>n auch<br />

noch Gläubige, die naturwissenschaftlich gebildet sind und dir auf<br />

diesem Niveau die Bibel und damit auch die Schöpfungsgeschichte<br />

näherbringen können. Jedenfalls machst du auf mich einen gebildeten<br />

Eindruck, ich selber bin halt nur ein einfacher kaufmännischer<br />

Angestellter und kann dir darum nicht alles so gut erklären wie diese<br />

Leute. Zum Glück kenne ich aber einer von ihnen persönlich, und dieser<br />

kommt zufälligerweise gerade morgen hierher und hält einen großen<br />

Vortrag mit vielen Lichtbil<strong>der</strong>n; <strong>der</strong> kann dir bestimmt in einigen Punkten<br />

weiterhelfen.“<br />

„Aber ich habe doch morgen ein Spiel und erst noch ein wichtiges! Wir<br />

können immer noch die Aufstiegsrunde schaffen, da darf ich nicht<br />

fehlen.“<br />

„Ich weiß ja, dass du am Morgen nicht kommen kannst, aber das macht<br />

nichts, denn <strong>der</strong> Mann kommt erst am Abend.“<br />

59


„Soviel ich weiß, hast du mir aber gesagt, dass ihr nur an jedem zweiten<br />

Sonntagabend einen Gottesdienst habt. O<strong>der</strong> macht ihr morgen eine<br />

Ausnahme?“<br />

„Nein, wir haben wirklich keinen Abendgottesdienst, aber <strong>der</strong> Vortrag ist<br />

ja nicht hier bei <strong>uns</strong>, son<strong>der</strong>n im Kaufleutesaal, weil es dort natürlich viel<br />

mehr Platz hat. Es ist also für alle offen und erst noch gratis.“<br />

„Was soll ich denn dort tun?“<br />

„Einfach nur dem zuhören, was <strong>der</strong> Mann sagt. Er ist ein<br />

Naturwissenschaftler aus Holland, <strong>der</strong> durch seine Studien zum<br />

lebendigen Glauben an Gott und an Jesus Christus gekommen ist und<br />

genauso wie Rabi Mavendran überall herumreist und Vorträge hält, aber<br />

im Gegensatz zu Rabi redet er in erster Linie über die Schöpfung und die<br />

Sintflut und alle an<strong>der</strong>en wichtigen Ereignisse <strong>der</strong> Frühzeit. Das wäre für<br />

dich sicher interessant.“<br />

„Da habt ihr euch also auch noch einen Hochkarätigen geangelt. Wäre<br />

es aber auch noch möglich, mit ihm selber zu reden, wie ich das jetzt mit<br />

dir kann? So etwas wäre für mich viel interessanter und würde mir auch<br />

mehr bringen.“<br />

„Ich kann versuchen, das zu arrangieren. Zum Glück kennen wir <strong>uns</strong><br />

persönlich, und ich habe erfahren, dass er mindestens eine Woche und<br />

vielleicht sogar zwei hierbleiben wird, bevor er wie<strong>der</strong> weiterzieht. In<br />

dieser Beziehung geht es ihm genau gleich wie Rabi: Zürich ist für ihn<br />

eine Art Heimatplatz, darum kommt auch er immer wie<strong>der</strong> hierher.“<br />

„Das wäre wirklich nicht schlecht, da wäre ich voll dabei.“<br />

„Damit habe ich gerechnet, ich meine mit deinem Interesse.“<br />

Kaum hat Erwin diese Worte ausgesprochen, wird Hans erneut<br />

unangenehm überrascht: Auf einmal erhebt sich Ulrike genauso wie am<br />

letzten Samstagabend und mit ihr auch noch Liesbeth; es ist<br />

offensichtlich, dass die beiden aufbrechen wollen. Noch bevor er richtig<br />

darauf reagieren kann, sagt sie bereits, indem sie jedoch nicht auf ihn<br />

schaut, son<strong>der</strong>n auf Erwin: „Ich muss jetzt lei<strong>der</strong> gehen, es ist schon spät<br />

geworden.“<br />

„Du gehst schon jetzt, Ulrike?“, fragt Erwin ebenfalls überrascht und<br />

erhebt sich dann genauso wie sie zuvor, und da schon er sich erhebt, tut<br />

es Hans ihm nach.<br />

„Ja, Erwin“, antwortet sie kurz und streckt erst ihm und dann auch Hans<br />

die Hand hin.<br />

„Sehen wir <strong>uns</strong> bald wie<strong>der</strong>, vielleicht morgen?“, fragt er sie leise und auf<br />

Hochdeutsch, während er ihr die Hand drückt und noch einmal das<br />

gleiche angenehme Gefühl genießt wie beim ersten Mal, als sie sich<br />

kennen gelernt haben.<br />

60


Ja, diese Ulrike hat es ihm wirklich angetan, und jetzt erst recht, da er ihr<br />

zum ersten Mal leibhaftig gegenübersteht. In <strong>der</strong> kurzen Zeit, die ihm<br />

noch verbleibt, bevor sie geht, genießt er es, sie ausführlich im<br />

Gesamten zu betrachten. Der erste Eindruck von jenem Abend, als er<br />

sie zum ersten Mal sah, hat ihn nicht getäuscht. Sie ist tatsächlich eine<br />

stattliche Erscheinung, fast so groß wie er und eine Mischung zwischen<br />

einer gut gebauten, durchtrainierten Athletin und einem eleganten Model.<br />

Dazu kommen noch ihre Gesichtszüge mit einer ebenso feinen, wenn<br />

auch etwas groß geratenen Nase sowie gut gepflegte mittelgrosse und<br />

lange Hände, die ihm schon am Tisch aufgefallen sind, als sie ihm direkt<br />

gegenüber saß - immerhin fast so lang wie die seinen, aber etwas<br />

schmaler, eben typische Frauenhände. Alles in allem ist sie also eine<br />

Frau, die auf den ersten Blick tatsächlich gut zu ihm zu passen scheint,<br />

und so fühlt er sich natürlich noch mehr zu ihr hingezogen - dies umso<br />

mehr, als ihre dunkelbraunen Augen, welche die gleiche Farbe wie die<br />

seinen haben, in all diesen Sekunden buchstäblich auf ihm ruhen, dass<br />

sie also seinem direkten Blick erneut nicht ausweicht.<br />

„Nein, morgen kann ich nicht kommen“, antwortet sie zu seiner<br />

Enttäuschung und erst noch mit einem hart wirkenden Ton - und schon<br />

ist er wie<strong>der</strong> auf den Boden <strong>der</strong> Wirklichkeit zurückgeholt worden.<br />

„Musst du denn arbeiten?“, fragt er sofort.<br />

„Ja, ich bin eine Krankenpflegerin, nur einmal im Monat habe ich einen<br />

freien Sonntag. Ich kann schon froh sein, wenn ich wenigstens ab und zu<br />

einen freien Samstag bekomme wie gerade heute.“<br />

„Das ist aber recht hart.“<br />

„So ist eben dieser Beruf, ich habe mich schließlich für diesen<br />

entschieden.“<br />

„Schade, aber ich verstehe das. Dann sehen wir <strong>uns</strong> vielleicht wie<strong>der</strong> ein<br />

an<strong>der</strong>es Mal.“<br />

Will er am Ende etwas von mir, dass er so darauf Wert legt?, fragt sie<br />

sich darauf, aber sie beachtet das vorerst nicht weiter.<br />

Nachdem sie und Liesbeth sich von Erwin und Hans und noch von ein<br />

paar an<strong>der</strong>en verabschiedet haben und nach draußen gegangen sind,<br />

bleiben auch die beiden Männer nicht mehr lange. Selbst wenn es noch<br />

nicht so spät wäre, würden sie finden, dass es für heute besser ist, ihr<br />

Gespräch etwas früher zu beenden. Schließlich braucht auch Hans eine<br />

gewisse Zeit, um alle neuen Eindrücke zu verarbeiten. Erwin tröstet sich<br />

jedoch damit, dass er zugesagt hat, er würde schauen, dass er zu<br />

diesem Vortrag kommen könne, und so wie er ihn bereits kennt, rechnet<br />

er fest damit.<br />

Auch wenn Hans heute etwas gereizt gewesen ist, fühlt Erwin in sich<br />

61


dennoch eine Freude aufkommen, weil ja er ihn als Erster auf <strong>der</strong><br />

Strasse getroffen hat und dieser jetzt schon zum dritten Mal in die<br />

Teestube gekommen ist. So bittet er zu Hause Gott darum, dass er seine<br />

Hände weiter über ihn halten möge, damit ihm nichts geschieht und er<br />

tatsächlich zu diesem Vortrag gehen kann.<br />

7<br />

Natürlich fühlt sich Hans an diesem Sonntag nach allem, was er gestern<br />

erlebt hat, bedeutend besser als zuvor. Was ihn am meisten freut, ist<br />

nicht etwa die Aussicht auf einen interessanten Vortrag dieses<br />

Naturwissenschaftlers am Abend, son<strong>der</strong>n die Tatsache, dass es ihm<br />

gelungen ist, diese Ulrike ein wenig kennen zu lernen, an die er die<br />

ganze vorherige Woche so intensiv gedacht hat. Es kommt ihm fast so<br />

vor, als wäre es mehr als nur ein Zufall gewesen, dass sie sich<br />

ausgerechnet an den Tisch gesetzt hat, an dem er selbst schon saß.<br />

Wenn es wirklich stimmt, was Erwin gesagt hat - dass es keine Zufälle<br />

gibt, son<strong>der</strong>n dass alles, was zum Guten dient, durch Gottes Führung<br />

geschieht -, dann hatte dieser geheimnisvolle und unbekannte Gott, den<br />

er nicht kennt, anscheinend auch für ihn etwas übrig; sonst hätte er wohl<br />

kaum die Gelegenheit bekommen, diese Frau ein wenig kennen zu<br />

lernen.<br />

Auch wenn er damit rechnen muss, dass er Ulrike, zu <strong>der</strong> er sich aus<br />

Gründen, die ihm immer noch nicht klar sind, so stark hingezogen fühlt,<br />

heute nicht sehen kann, ist er noch fröhlich genug, um in gehobener<br />

Stimmung mit seinen Mannschaftskollegen aufzulaufen, als es am<br />

Morgen ans nächste Spiel geht. Schon beim Umziehen ist ihnen und erst<br />

recht dem Trainer aufgefallen, dass er heute aufgestellt ist, und auch<br />

während des Spiels, das sie so wie alle zwei Wochen zu Hause<br />

austragen können, geht er wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> gleichen zuverlässigen<br />

Konzentration wie in alten Zeiten zur Sache. Dass seine Mannschaft das<br />

Spiel schließlich wie<strong>der</strong> so knapp, aber genauso verdient gewinnt wie<br />

vor zwei Wochen und damit drei weitere wichtige Punkte einfährt, geht<br />

zu einem guten Teil auch auf sein Konto, vor allem auch deshalb, weil er<br />

einmal in einer gefährlichen Lage als Letzter den Ball noch vor <strong>der</strong><br />

Torlinie wegschlagen kann, als <strong>der</strong> Tormann schon geschlagen ist. Der<br />

einzige Gegentreffer, den die Verteidigung hinnehmen muss, geschieht<br />

wie vor einer Woche erneut auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, die er nicht abdecken<br />

muss. Auf seiner eigenen lässt er keinen einzigen Stürmer vorbeiziehen<br />

und trotzdem schafft er es, die ganze Zeit zwar hart, aber fair zu spielen.<br />

62


Dass nach diesem Sieg die Stimmung in <strong>der</strong> Mannschaft gehoben ist,<br />

versteht sich natürlich von selbst, und so gehen die meisten von ihnen<br />

o<strong>der</strong> genauer jene, auf die keine Ehefrau o<strong>der</strong> gar noch Kin<strong>der</strong> zu Hause<br />

warten, nicht nur auf ein Bier, son<strong>der</strong>n gar zusammen essen, darunter<br />

auch Hans Stettler; allerdings bezahlt immer noch je<strong>der</strong> für sich selbst.<br />

Nach etwa zwei Stunden trennen sich ihre <strong>Weg</strong>e wie<strong>der</strong> und man nimmt<br />

sich fest vor, weiter ernsthaft zu trainieren, denn trotz <strong>der</strong> sieben Punkte,<br />

die sie in den letzten drei Spielen gewonnen haben, steht es immer noch<br />

nicht fest, dass sie die Aufstiegsrunde geschafft haben. Die Konkurrenz<br />

schläft eben nicht, und so haben auch die drei an<strong>der</strong>en Vereine, die das<br />

gleiche Ziel erreichen wollen und dafür auch die gleichen Chancen<br />

besitzen, an den vergangenen drei Sonntagen fast so viele Punkte<br />

erspielt.<br />

Nachdem die Kollegen und <strong>der</strong> Trainer auseinan<strong>der</strong>gegangen sind und<br />

Hans wie<strong>der</strong> in seine Wohnung zurückgekehrt ist, fühlt er eine solche<br />

Vorfreude auf den Abend, die ihm unerklärlich ist, da er ja weiß o<strong>der</strong><br />

wegen ihrer gestrigen Aussage, dass sie heute arbeitet, zumindest damit<br />

rechnen muss, dass er Ulrike diesmal nicht sehen kann, und selbst wenn<br />

sie doch käme, könnte es immer noch geschehen, dass sie nicht mit ihm<br />

spricht. Das müsste er wohl in Kauf nehmen, weil zu vermuten wäre,<br />

dass sie dann wie<strong>der</strong> eine Person mitbringt, mit <strong>der</strong> sie sich über den<br />

Glauben an Jesus unterhalten will, und schließlich gehört er selbst ja<br />

nicht zu den Frommen, also wäre <strong>der</strong> Fall klar.<br />

Trotzdem zieht es ihn zu diesem Kaufleutesaal hin, wo <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaftler seinen Auftritt haben wird, und da Neugierde<br />

diesmal nicht schaden kann, macht er sich tatsächlich auf, um kurz vor<br />

sieben Uhr dort zu sein. Er muss ja auch um diese Zeit dort ankommen,<br />

denn erstens beginnt <strong>der</strong> Vortrag schon um Viertel nach sieben und<br />

zweitens hat er mit Erwin abgemacht, dass sie sich etwa eine halbe<br />

Stunde vorher beim Haupteingang treffen. Allerdings war es keine<br />

verbindliche Abmachung, weil er für sich immer noch eine Hintertür offen<br />

halten wollte. Jetzt aber, da er sich tatsächlich dazu überwunden hat,<br />

hierher zu kommen, ist er froh, dass er Erwin bald sieht, sonst würde er<br />

möglicherweise doch noch umkehren, <strong>der</strong>art viele Leute strömen hinein<br />

und ver<strong>uns</strong>ichern ihn ein wenig.<br />

Der Saal ist schon fast gerammelt voll, als die beiden eintreten; kein<br />

einziger Stuhl bleibt unbesetzt, ja, nicht wenige müssen sogar mit einem<br />

Stehplatz ganz hinten und teilweise auch auf <strong>der</strong> Seite Vorlieb nehmen.<br />

Da ist Hans direkt erleichtert, dass Erwin bei ihm ist; bei so vielen<br />

Leuten, von denen er außer jenen, die er in <strong>der</strong> Teestube an <strong>der</strong><br />

63


Feldeggstraße gesehen hat, niemanden kennt, ist es immer gut, eine<br />

Bezugsperson bei sich zu haben - erst recht auch deshalb, weil sie dank<br />

Erwins Pfiffigkeit beide noch rechtzeitig einen Sitzplatz ergattern können.<br />

Offensichtlich genießt dieser Naturwissenschaftler, <strong>der</strong> von einer Art<br />

Vorredner als Doktor Jan Hoveneel vorgestellt wird und aufgrund seiner<br />

Erscheinung noch größer als Hans ist, einen sehr guten Ruf, sonst<br />

wären sicher nicht so viele gekommen. Am Verhalten <strong>der</strong> Leute<br />

untereinan<strong>der</strong> und an <strong>der</strong> erstaunlich frohgemuten Stimmung, die sich<br />

durch zwei Chorlie<strong>der</strong>, die vor und nach dem kurzen Auftritt des<br />

Vorredners vorgetragen werden, noch zusätzlich steigert, glaubt Hans zu<br />

erkennen, dass die meisten von ihnen wohl Christen sind; irgendwie ist<br />

das einfach zu spüren. Da bin ich ja direkt in einem Meer von Frommen<br />

gelandet, sagt er zu sich selbst, doch diesmal hat er sich vorgenommen,<br />

eisern auszuharren und bis zum Ende des Vortrags auf dem Stuhl<br />

buchstäblich kleben zu bleiben, was auch immer er zu hören bekommen<br />

wird.<br />

Warum dieser Hoveneel als <strong>der</strong>art kompetent gilt und deshalb das Volk<br />

in Strömen herbeikommt, wenn er seine Vorträge hält, wird Hans<br />

sogleich klar, als dieser die Bühne betritt - zwar ohne Applaus, aber doch<br />

mit einer solchen Spannung, die innert kürzester Zeit den ganzen Saal<br />

erfüllt. Kaum ist <strong>der</strong> Naturwissenschaftler drinnen, verliert er nicht viel<br />

Zeit und lässt nach einer kurzen Begrüßung den Saal verdunkeln, um<br />

seinen Vortrag mit Lichtbil<strong>der</strong>n zu beginnen, wobei er zu jedem<br />

einzelnen Bild einen ausführlichen Kommentar gibt. Was die Leute zu<br />

hören bekommen, ist zum Teil hochinteressant, denn er erzählt vom<br />

Weltraum und den Sternen, von den Planeten und ihren Monden sowie<br />

natürlich auch von <strong>der</strong> Erde und ihrem Mond. Dann kommt er zu den<br />

verschiedenen Zeitepochen, die sich unter an<strong>der</strong>em auch an den<br />

Gesteinsschichten zeigen, von <strong>der</strong> Tierwelt und schließlich auch von <strong>der</strong><br />

Sintflut, die in <strong>der</strong> Welt bei den meisten immer noch als ein Märchen gilt,<br />

auf eine Art, wie sie nicht nur Hans, son<strong>der</strong>n auch viele an<strong>der</strong>e sicher<br />

noch nie zu hören bekommen haben.<br />

Als eigentlichen Höhepunkt schafft er es, die bibilische Geschichte<br />

überdie Schöpfung <strong>der</strong> Evolutionstheorie so gegenüberzustellen, dass<br />

die letztere, die in allen Schulen und Universitäten schon seit vielen<br />

Jahrzehnten ohne jede Kritik und ohne jedes Hinterfragen gelehrt und<br />

dementsprechend von allzu vielen Leuten fast wie selbstverständlich<br />

geglaubt wird, tatsächlich als unglaubwürdig scheinen muss - nicht nur<br />

für die gläubigen Christen, die ohnehin an eine göttliche Schöpfung<br />

glauben, son<strong>der</strong>n auch für die sogenannten Ungläubigen, von denen es<br />

64


im Saal auch welche hat, ohne dass Hans das mit Sicherheit weiß.<br />

Dass Hoveneel außerdem sehr gut Deutsch kann, zeigt sich auch darin,<br />

dass er kein einziges <strong>der</strong> mehr als 200 „schweren“ Wörter verwendet,<br />

mit denen in <strong>der</strong> Sprachwissenschaft solche Wörter bezeichnet werden,<br />

die im Nie<strong>der</strong>ländischen ähnlich o<strong>der</strong> sogar genau gleich klingen wie im<br />

Deutschen, aber etwas völlig an<strong>der</strong>es bedeuten, vor allem die beiden<br />

geradezu klassischen Wörter „Meer“ und „See“, die entgegengesetzt<br />

genau das jeweilige Gegenteil bedeuten. Was vielen Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong>n und<br />

nie<strong>der</strong>ländischsprachigen Belgiern - aber auch den Deutschsprachigen,<br />

die sich die Mühe genommen haben, diese nahe verwandte<br />

Schwestersprache zu erlernen - im schnellen Gespräch immer wie<strong>der</strong><br />

passiert und geradezu ein Gradmesser dafür ist, wie gut die an<strong>der</strong>e<br />

Sprache beherrscht wird, kommt bei ihm überhaupt nicht vor. Nur ein<br />

einziges Mal stolpert ihm „Natürliche Geschichte“ anstelle von<br />

„Naturgeschichte“ über die Lippen, was das Auditorium angesichts<br />

seines interessanten Vortrags aber kaum wahrnimmt. Natürlich kommt<br />

es ihm zugute, dass er schon seit vielen Jahren mit einer Deutschen<br />

verheiratet ist und sich damit im Lauf <strong>der</strong> Zeit fast automatisch in ihre<br />

Muttersprache eingelebt hat, aber das weiß von den Leuten, die ihm<br />

gespannt zuhören, fast niemand und braucht es auch nicht zu wissen.<br />

Am Schluss seines Vortrags tut er fast wie aus heiterem Himmel etwas,<br />

mit dem wohl nicht einmal alle Gläubigen gerechnet haben: Plötzlich<br />

erzählt auch er von <strong>der</strong> Sünde, welche die Welt seit Adams und Evas<br />

Fall beherrscht, und zwar auf eine Weise, die vielen nach seinem recht<br />

netten Vortrag hart vorkommen muss. Immerhin erwähnt auch er, dass<br />

alle in Jesus Christus die Vergebung erlangen und ins Reich Gottes<br />

zurückkehren können, das durch den Sündenfall verloren gegangen ist.<br />

Als er seinen Vortrag mit dem anschließenden Aufruf zur Buße kurz<br />

nach neun Uhr beendet hat, gibt es erneut keinen Applaus, doch es ist<br />

den Äußerungen vieler Leute anzumerken, dass sie das, was er<br />

vorgebracht hat, ausgezeichnet finden. Allerdings sind auch ein paar<br />

wenige darunter, die ihren Ärger über den Schlussteil nicht verhehlen<br />

und den Saal schnell verlassen. Offensichtlich sind das keine gläubigen<br />

Christen, aber sie sind so wenige, dass sie inmitten <strong>der</strong> Masse kaum<br />

auffallen - nicht einmal Hans, <strong>der</strong> sonst ein gutes Auge für solche<br />

Außenseiter hat.<br />

Erwin ist als einer <strong>der</strong> ersten aufgestanden, aber natürlich nicht deshalb,<br />

weil auch er den Saal schnell verlassen will. Da er Hans ja versprochen<br />

hat, er würde versuchen, mit diesem Naturwissenschaftler ein Treffen zu<br />

65


arrangieren, muss er bald vorn beim Podium sein. Bei einem so<br />

hochkarätigen und bekannten Mann ist es klar, dass möglichst viele<br />

Leute noch ein paar Worte mit ihm wechseln wollen, bevor er sich<br />

zurückzieht. Dabei ist natürlich jemand, <strong>der</strong> schon die Möglichkeit hatte,<br />

ihn bei einer an<strong>der</strong>en Gelegenheit etwas näher kennen zu lernen, viel<br />

besser dran als solche, die er noch nicht kennt.<br />

Mit <strong>der</strong> gleichen Pfiffigkeit, die ihm schon beim Aussuchen <strong>der</strong> Sitzplätze<br />

geholfen hat, gelingt es Erwin auch diesmal, bald so nahe zu Hoveneel<br />

vorzudringen und sich dabei in eine solche Position<br />

hineinzumanövrieren, dass dieser ihn nicht mehr übersehen kann. Kaum<br />

hat er einen kurzen Wortwechsel mit einem an<strong>der</strong>en, etwas älteren<br />

Mann beendet, kommt er auch schon strahlend auf Erwin zu und sagt zu<br />

ihm, während er ihm fest die Hand drückt: „Guten Abend, Erwin! Es freut<br />

mich, dass ich dich wie<strong>der</strong> mal sehen kann.“<br />

Dabei ist sein nie<strong>der</strong>ländischer Akzent, <strong>der</strong> in diesem Land jedoch als<br />

fast so charmant empfunden wird wie <strong>der</strong> französische, sogar noch<br />

deutlicher zu hören als während des Vortrags.<br />

„Es freut mich auch, dass ich dich hier wie<strong>der</strong> treffe“, antwortet Erwin<br />

ebenso erfreut, „seit dem letzten Mal sind ja schon wie<strong>der</strong> ein paar<br />

Monate vergangen. Dein Vortrag war wirklich sehr gut und hat sicher<br />

vielen geholfen.“<br />

Dabei nehmen es beide kaum wahr, dass Erwin mit ihm<br />

Schweizerdeutsch spricht, weil er weiß, dass dieser es gut versteht.<br />

„Danke, das hoffe ich“, entgegnet Hoveneel strahlend, „sonst wäre ja<br />

meine ganze Arbeit umsonst.“<br />

Dann kommt Erwin sogleich zu seinem Anliegen: „Ich möchte dir<br />

übrigens jemanden vorstellen, <strong>der</strong> daran interessiert ist, dich kennen zu<br />

lernen, weil er noch ein paar fachspezifische Fragen hat, die nur du ihm<br />

beantworten kannst.“<br />

Erst nach diesen Worten zeigt er auf Hans, <strong>der</strong> dicht hinter ihm<br />

geblieben ist und bei diesem Menschengewühl trotz seines athletischen<br />

Körperbaus viel Mühe hat, seine gute Position zu halten.<br />

„Ah, ich verstehe schon, wenn du das meinst, was ich meine“, entgegnet<br />

Hoveneel mit einem unübersehbaren Schmunzeln.<br />

„Genau, Jan, darum ist es wichtig, dass er mit dir reden kann.“<br />

„Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen“, sagt Hoveneel darauf resolut<br />

und streckt Hans zu dessen nicht geringer Überraschung plötzlich die<br />

rechte Hand hin, „meinen Namen muss ich wohl nicht mehr nennen.“<br />

„Aber ich“, entgegnet Hans ebenso auf Schweizerdeutsch, „ich heiße<br />

Hans - Hans Stettler.“<br />

Dabei drückt auch er die Hand des an<strong>der</strong>en. Obwohl es auch diesmal<br />

66


kein elektrisches Zucken gibt wie gestern, als er es geschafft hat, Ulrike<br />

kennen zu lernen und ihr gleich zweimal die Hand zu geben, spürt er,<br />

dass dies eine wichtige, wenn nicht gar eine historische Begegnung in<br />

seinem Leben werden könnte. Ein hochgebildeter Naturwissenschaftler,<br />

<strong>der</strong> nicht an die Evolutionstheorie glaubt, son<strong>der</strong>n an die<br />

Schöpfungsgeschichte <strong>der</strong> Bibel - wann hat es das schon jemals<br />

gegeben? Er jedenfalls hat noch nie davon gehört. So ist er Erwin im<br />

Stillen dafür dankbar, dass er ihm dieses Treffen ermöglicht hat, aber<br />

noch ist es nicht so weit, dass irgendetwas Festes abgemacht worden<br />

ist.<br />

Als ob Erwin ahnte, was er jetzt gerade denkt, hakt er sogleich ein und<br />

fragt Hoveneel direkt: „Ist es dir möglich, einmal mit ihm zu reden - ich<br />

meine in aller Ruhe und nicht gerade hier?“<br />

Darauf überlegt Hoveneel ein paar Sekunden, indem er die rechte Hand<br />

an die Stirn hält, und antwortet zögernd, was gar nicht seiner ansonsten<br />

zackigen Art entspricht: „Wie du dir vorstellen kannst, ist es nicht leicht<br />

für mich, einfach so plötzlich ein Treffen dazwischenzuschieben. Mein<br />

Terminkalen<strong>der</strong> ist voll, fast an jedem Abend halte ich einen Vortrag.<br />

Aber wenn es wirklich so wichtig ist ... Moment mal, ach ja, an einem<br />

einzigen Abend wäre ich frei. Zum Glück habe ich da noch nichts<br />

abgemacht, ich bin ja auch erst seit gestern wie<strong>der</strong> hier. Es wäre <strong>der</strong><br />

Mittwochabend, etwa um sieben Uhr. Wäre es dann möglich?“<br />

Dabei schaut er Hans direkt ins Gesicht, noch direkter als bei ihrer<br />

Begrüßung.<br />

„Ausgerechnet am Mittwoch, da muss ich doch ins Training“, antwortet<br />

dieser enttäuscht, „<strong>der</strong> Dienstag o<strong>der</strong> Donnerstag wäre viel besser, dann<br />

hätte ich am Abend frei. Aber wenn es nicht an<strong>der</strong>s geht ...“<br />

„Ah, Sie treiben also Sport in einem Verein?“, fragt Hoveneel echt<br />

interessiert.<br />

«Ja, ich spiele Fußball, aber in einer unteren Liga, also nichts<br />

Hochkarätiges. Trotzdem haben wir auch so dreimal in <strong>der</strong> Woche<br />

Training - am Montag, Mittwoch und Freitag.»<br />

„Es spielt keine Rolle, wo man spielt“, erwi<strong>der</strong>t Hoveneel zu seiner<br />

Überraschung „das Wichtigste ist doch die körperliche Betätigung und<br />

vor allem eine gute Kameradschaft, mehr aber nicht.“<br />

„Was meinen Sie damit?“, wagt Hans darauf zu antworten, da er in<br />

diesen Worten eine nur schlecht verdeckte Andeutung zu erkennen<br />

glaubt.<br />

„Was ich damit meine? Es nimmt einem einfach zu viel Zeit weg und<br />

lenkt vor allem allzu sehr von Gott ab. Sie sehen ja selber, wie sehr ich<br />

zum Beispiel heute beschäftigt bin. Ich habe früher auch mal einen Sport<br />

betrieben; darum weiß ich, wie das ist.“<br />

67


„Interessant - was denn, wenn ich fragen darf?“<br />

„Nicht Fußball wie Sie, son<strong>der</strong>n etwas, das zu meiner Größe besser<br />

gepasst hat, und zwar Eisschnellaufen.“<br />

„Ja, ich weiß, dass sehr viele Leute in Ihrem Land diesen Sport betreiben<br />

und dass er dort so populär ist, dass bei jedem Wettkampf regelrechte<br />

Volksfeste veranstaltet werden.“<br />

„Richtig, aber ich selber hatte damit nicht viel Erfolg, ich habe es mehr<br />

aus Freude als aus Ehrgeiz betrieben. Mit <strong>der</strong> Zeit sah ich ein, dass es<br />

mir zu viel vom Leben wegnahm. Ich musste mich eben auf mein<br />

Studium konzentrieren und darum Prioritäten setzen. Man muss klar<br />

erkennen, was im Leben wirklich wichtig ist und was nicht, und so habe<br />

ich den wettkampfmäßigen Sport aufgegeben.“<br />

„Ah, ich verstehe - auch wegen Ihres Glaubens.“<br />

„Genau, vor allem auch deswegen. Nun, Sie kommen also am Mittwoch?<br />

Es geht lei<strong>der</strong> nur dann.“<br />

„Ja, ich glaube, es wird sich einrichten lassen. Ich muss halt dem Trainer<br />

eine Geschichte erzählen. Aber wo ist es und wer zeigt mir, wo Sie zu<br />

finden sind?“<br />

„Keine Sorge! Erwin weiß, wo es ist, denn ich bin jedes Mal am gleichen<br />

Ort zu erreichen.“<br />

„Dann haben Sie heute also nicht zum ersten Mal einen Vortrag hier<br />

gehalten.“<br />

„Nein, sicher nicht“, entgegnet Hoveneel etwas hastig und streckt ihm<br />

denn auch gleich wie<strong>der</strong> die Hand hin, indem er hinzufügt: „Also dann,<br />

Herr Stettler! Ich hoffe, es klappt am Mittwochabend.“<br />

Sie haben gerade noch Zeit, sich noch einmal die Hand zu geben, und<br />

schon wendet sich Hoveneel einem weiteren Kandidaten zu, <strong>der</strong> schon<br />

lange auf ein kurzes Gespräch mit ihm gewartet hat.<br />

Da das Wichtigste jetzt geschafft ist, hält es Erwin für besser, dass auch<br />

sie sich langsam zum Ausgang begeben. Bevor sie diesen erreicht<br />

haben, nickt er da und dort noch den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Bekannten zu<br />

und hält mit zwei von ihnen sogar noch einen Begrüßungsschwatz von<br />

wenigen Sekunden. Da die an<strong>der</strong>en jedoch erkennen, dass er sich um<br />

Hans kümmert, also um einen möglichen neuen Bekehrungskandidaten,<br />

wollen sie ihn nicht lange aufhalten, und so sind die beiden bald einmal<br />

draußen.<br />

„Ein interessanter Typ, dieser Hoveneel“, beginnt Hans schließlich<br />

wie<strong>der</strong> das zu erwartende Gespräch, während sie gemütlich gegen den<br />

Paradeplatz zuschlen<strong>der</strong>n, einem an<strong>der</strong>en wichtigen<br />

Verkehrsknotenpunkt dieser Stadt.<br />

„Ja, das kann man sicher sagen“, bestätigt Erwin sofort, „er ist sogar<br />

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einer <strong>uns</strong>erer Besten, ich meine vom Wissensstand her.“<br />

„Warum redest du in <strong>der</strong> Wir-Form? Das tönt ja recht familiär.“<br />

„Das sind wir auch, sozusagen die weltweite Familie Gottes o<strong>der</strong> die<br />

Gemeinde Jesu, wie wir das bezeichnen.“<br />

„Oh la la, das ist ja allerhand! Und ich gehöre natürlich nicht dazu.“<br />

„Du könntest aber auch bald dazugehören“, entgegnet Erwin, indem er<br />

ihm direkt in die Augen schaut, „den <strong>Weg</strong> dazu kennst du bereits.“<br />

„Ja, ich weiß, aber ich bin dafür noch ein bisschen zu wenig fromm -<br />

vorläufig wenigstens. Übrigens fällt mir jetzt wie<strong>der</strong> ein, dass ich dich<br />

vorher noch fragen wollte, wie ihr zwei euch überhaupt kennen gelernt<br />

habt, dass ihr euch sogar duzt.“<br />

„Ganz einfach - in einem Lager.“<br />

„Lager? Ach ja, ich weiß, das ist sicher auch wie<strong>der</strong> eines eurer<br />

Spezialwörter. Nun, solange es wenigstens kein Gefangenenlager ist ...“<br />

„Sicher nicht, Hans. Unter einem Lager verstehen wir ein Wochenende<br />

und manchmal auch eine Woche, die wir zusammen verbringen.“<br />

„So - und was treibt ihr dann?“<br />

„Du weißt doch auch, was ein Skilager ist. Dort fahren sie Ski und haben<br />

es sonst schön zusammen - ich hoffe es jedenfalls -, aber wenn wir<br />

Gläubigen ein Lager durchführen, tun wir das, was <strong>uns</strong> erfüllt.“<br />

„Was heißt das? Etwa die Bibel lesen?“<br />

„Ja, zusammen Ausschnitte aus <strong>der</strong> Bibel studieren und allgemeine<br />

persönliche Erfahrungen austauschen, aber nicht nur das. Wir singen<br />

und beten auch zusammen, und manchmal treiben wir auch noch ein<br />

bisschen Sport, um die Muskeln zu lockern.“<br />

„Auch zusammen beten, wie du sagst? Wie funktioniert denn das mit so<br />

vielen Leuten? Ich kann wohl annehmen, dass ihr dann nicht wenige<br />

seid.“<br />

„Ganz einfach, wir teilen <strong>uns</strong> in Gruppen auf, und dann betet jedes<br />

Gruppenmitglied vor den an<strong>der</strong>en um ein bestimmtes Anliegen.<br />

Manchmal betet sogar jedes speziell für jemand an<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Gruppe -<br />

das bringt ebenfalls großen Segen.“<br />

„Bräuche habt ihr, muss ich schon sagen - und das bringt euch wirklich<br />

so viel?“<br />

„Sicher ja, sonst wäre ich nie hingegangen und hätte dann auch Jan nie<br />

persönlich kennen gelernt.“<br />

„Wie hast du das denn geschafft?“<br />

„Eben, in einer dieser Gebetsgruppen. Das war in einem Jahr, als er<br />

noch nicht so bekannt war wie heute und darum noch nicht so viel<br />

herumgereist ist. Da saßen wir zusammen und beteten zusammen zu<br />

Gott, und wenn man einmal so weit ist, ergibt es sich bald von selbst,<br />

dass man sich das Du anbietet. Es kommt aber auch darauf an, mit wem<br />

man zusammen ist. Das Eis schmilzt nicht bei allen gleich schnell; vor<br />

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allem viele ältere Leute haben immer noch ein bisschen Mühe, sich in<br />

dieser Beziehung umzustellen, sogar unter den Gläubigen. Meistens<br />

nehmen aber fast nur Junge an solchen Lagern teil, also lösen sich diese<br />

Probleme von selber.“<br />

„Und so ist es also passiert, dass du mit diesem Hoveneel in <strong>der</strong><br />

gleichen Gruppe gelandet bist? Wenn das kein Zufall ist!“<br />

„Es gibt keine Zufälle, wenn Gott einen bestimmten Plan hat. Erinnerst<br />

du dich noch? Ich habe dir das schon einmal gesagt. Siehst du, wenn ich<br />

Jan in dieser Gebetsgruppe nicht persönlich kennen gelernt hätte, dann<br />

hätte ich heute auch nicht dieses Treffen mit ihm arrangieren können. Du<br />

wirst schon noch sehen, was für ein flotter Kerl er ist. Ein an<strong>der</strong>er wäre<br />

sicher nicht so schnell bereit gewesen, seinen einzigen freien Abend für<br />

jemanden zu opfern, den er nicht einmal kennt. Er tut es aber, nicht nur<br />

weil er mich persönlich kennt, son<strong>der</strong>n auch aus einem an<strong>der</strong>en Grund.“<br />

„Aus welchem, wenn ich fragen darf?“<br />

„Ich glaube, weil auch er spürt, dass du auf dem <strong>Weg</strong> bist.“<br />

„Auf welchem <strong>Weg</strong>?“<br />

„Auf dem, <strong>der</strong> am Ende zu Gott hin<strong>führt</strong>.“<br />

„Jetzt mach aber einen Punkt, Erwin! Ich habe nie gesagt, dass ich Gott<br />

kennen lernen will. Ich weiß ja nicht einmal mit Sicherheit, ob es<br />

überhaupt einen gibt.“<br />

„Aber ich weiß es, weil ich ihn persönlich in meinem Leben erfahren<br />

habe, und darum weiß ich, dass er auch an dir interessiert ist. Dabei<br />

spielt es keine Rolle, ob du das willst o<strong>der</strong> nicht. Er möchte trotzdem,<br />

dass auch du ihn findest und gerettet wirst.“<br />

„Ja, ich weiß, das hast du mir auch schon ein paar Mal gesagt. Aber ich<br />

lasse dir diesen Glauben, ich möchte ihn dir nicht streitig machen.“<br />

Da Erwin allmählich erkennt, dass sie wie<strong>der</strong> einmal an einem toten<br />

Punkt angelangt sind, da Hans nur noch versteckten Spott übrighat, <strong>der</strong><br />

jedoch leicht zu durchschauen ist, hält er es jetzt für besser, dass sie<br />

sich für heute voneinan<strong>der</strong> trennen - das Hauptziel, die Begegnung mit<br />

Jan Hoveneel, hat er ja erreicht.<br />

So sagt er zu ihm, als sie den Paradeplatz erreicht haben, indem er ihm<br />

die Hand zum Abschied reicht: „Ich glaube, für heute haben wir genug<br />

gehört. Es freut mich, dass du gekommen bist und dass alles geklappt<br />

hat - ich meine die Begegnung mit Jan. Wir sehen <strong>uns</strong> also am<br />

Mittwochabend?“<br />

„Ja, ich will es einrichten. Aber wann genau und wo?“<br />

„Genau hier - um halb sieben. Das sollte zeitlich ausreichen. Also<br />

abgemacht, Hans?“<br />

„Okay, Erwin, dann komme ich“, antwortet dieser überraschend resolut,<br />

und dann geben sie sich noch einmal die Hand, bevor ihre <strong>Weg</strong>e sich<br />

wie<strong>der</strong> trennen.<br />

70


8<br />

So wie fast immer ist Hans, <strong>der</strong> sich wie angekündigt für das heutige<br />

Training dispensieren ließ, wobei er natürlich ein wenig lügen musste,<br />

auch diesmal pünktlich, und da Erwin schon am Paradeplatz wartet, als<br />

er mit <strong>der</strong> Straßenbahn ankommt, verlieren sie keine Zeit mehr und<br />

machen sich gleich auf den <strong>Weg</strong> zum Hotel, in dem Hoveneel<br />

gegenwärtig logiert. Es hätte für ihn wohl genügend Angebote von<br />

privater Seite gegeben, in <strong>der</strong> Woche seines hiesigen Aufenthalts bei<br />

irgendjemandem zu wohnen. Schließlich ist es auch für Christen eine<br />

beson<strong>der</strong>e Ehre, einen so bekannten und zugleich beliebten Mann eine<br />

Zeit lang beherbergen und anschließend sagen zu können, er habe bei<br />

ihnen gewohnt.<br />

Er hat es jedoch vorgezogen, niemandem zur Last zu fallen, auch wenn<br />

wohl kaum jemand das als eine Last empfunden hätte, und logiert somit<br />

im genau gleichen Hotel im Stadtzentrum wie bei seinen früheren<br />

Besuchen. Es ist we<strong>der</strong> ein Vier- noch ein Fünfsternehotel, aber immer<br />

noch recht gediegen und erst noch mit einem Fenster, das sich zu einem<br />

erstaunlich ruhigen Hinterhof öffnen lässt, so dass vom Verkehrslärm<br />

und selbst von den nicht weit durchge<strong>führt</strong>en Bauarbeiten tagsüber nicht<br />

viel zu hören ist. Als einzigen Luxus gönnt er sich ein zweites Zimmer,<br />

weil er sich auf seine fortlaufenden Studien besser konzentrieren kann,<br />

wenn er dafür noch ein Zimmer zur Verfügung hat und nicht jedes Mal<br />

seine Materialien auf dem Tisch zurechtlegen muss.<br />

Da Erwin den Zettel mit <strong>der</strong> aufgeschriebenen Zimmernummer, den<br />

Hoveneel ihm am Sonntagabend noch gab, irgendwohin verlegt und<br />

dann nicht mehr gefunden hat, muss er sich erst noch bei <strong>der</strong> Reception<br />

nach ihm erkundigen. Sobald er dann an die Tür geklopft hat, öffnet<br />

Hoveneel ohne Zögern, sagt höflich und erstaunlich leise „Guten Abend“,<br />

gibt beiden kurz die Hand und setzt dann „Treten Sie ein!“ hinzu.<br />

Als sie drinnen sind, bestaunt nicht nur Hans, son<strong>der</strong>n auch Erwin die<br />

gelungene Einrichtung dieser provisorischen Zwei-Zimmer-Wohnung, die<br />

beweist, dass Hoveneel auch in dieser Beziehung einen gewissen Stil<br />

hat.<br />

„Sie können sich hierhersetzen“, sagt er weiter und zeigt auf ein Sofa,<br />

das sich im improvisierten Studierzimmer befindet, und dann räumt er<br />

noch ein paar Bücher und Schreibutensilien weg, die er auf dem Tisch<br />

hat liegen lassen.<br />

„Sie müssen entschuldigen, dass ich noch nicht ganz so weit bin“, sagt<br />

er lächelnd, „aber ich halte morgen einen längeren Vortrag an <strong>der</strong><br />

Universität. So habe ich jede freie Minute ausgenützt und mich noch ein<br />

wenig vorbereitet.“<br />

71


„Das macht doch nichts“, beruhigt ihn Erwin, „wir können ja schon froh<br />

sein, dass wir überhaupt zu dir kommen dürfen.“<br />

Auch jetzt spricht er mit Hoveneel wie<strong>der</strong> Schweizerdeutsch, was für<br />

Hans eine Einladung ist, das Gleiche zu tun.<br />

„So, jetzt bin ich fertig“, sagt Hoveneel kurz darauf, nachdem er den<br />

Tisch frei gemacht hat, und setzt sich zwischen Hans und Erwin, die<br />

schon vorher einen kleinen Raum zwischen sich offengelassen haben,<br />

als hätten sie gewusst, dass er sich genau hierhersetzen würde.<br />

„Es ist schön, dass es mit dem Treffen geklappt hat und Sie kommen<br />

konnten“, beginnt sogleich wie<strong>der</strong> Hoveneel das Gespräch. Schließlich<br />

ist ja er <strong>der</strong> Gastgeber und muss somit aus seiner Sicht die Initiative<br />

ergreifen.<br />

„Wir haben Ihnen noch mehr zu danken“, entgegnet Hans, „dass Sie sich<br />

die Mühe nehmen, mit mir über verschiedene Punkte Ihres Vortrags vom<br />

letzten Sonntag zu reden. Das ist nicht selbstverständlich, darum kann<br />

ich Ihnen wirklich nur dafür danken.“<br />

Obwohl er den Glauben <strong>der</strong> beiden an<strong>der</strong>en im Raum nicht teilt, zeigt<br />

sich auch jetzt wie<strong>der</strong> Hans Stettlers gute Stube, denn gelernt ist immer<br />

noch gelernt. Überhaupt zeigt sich auch jetzt zwischen ihm und Jan<br />

Hoveneel wie<strong>der</strong> deutlich diese merkwürdige Affinität zwischen den<br />

Schweizern - o<strong>der</strong> genauer Deutschschweizern - und den Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong>n,<br />

die nicht erst seit ein paar Jahrzehnten, son<strong>der</strong>n noch weitaus länger<br />

immer wie<strong>der</strong> beobachtet werden kann, wenn Angehörige aus diesen<br />

beiden Nationen miteinan<strong>der</strong> zu tun haben. Die gegenseitigen<br />

Sympathien reichen zeitweise sogar <strong>der</strong>art tief, dass es fast scheint, als<br />

hätte <strong>der</strong> Westfälische Friedensvertrag von 1648, bei dem kurz nach<br />

dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs anläßlich <strong>der</strong> allerersten<br />

gesamteuropäischen Friedenskonferenz in <strong>der</strong> Geschichte die<br />

Unabhängigkeit dieser beiden Län<strong>der</strong> international anerkannt wurde,<br />

über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg eine geradezu ominöse Bedeutung erlangt.<br />

Allerdings reichen die Sympathien heute Abend zwischen Hans Stettler<br />

und Jan Hoveneel doch nicht so weit, dass sie einan<strong>der</strong> gleich das Du<br />

anbieten - vielleicht auch deshalb, weil beide aus einem sogenannten<br />

guten Haus stammen und beiden eingeprägt worden ist, dass es nicht<br />

schaden kann, zumindest am Anfang eines neuen Kontaktes noch eine<br />

gewisse Distanz zu bewahren.<br />

Bevor das eigentliche Gespräch beginnt, neigen Erwin und Hoveneel<br />

noch ihre Köpfe, und während <strong>der</strong> letztere ein kurzes Gebet spricht, fühlt<br />

sich Hans dabei peinlich berührt. Noch bis vor wenigen Wochen war er<br />

felsenfest davon überzeugt, dass <strong>der</strong> Glaube an einen Gott und erst<br />

72


echt an die leibliche Auferstehung von Jesus Christus nur etwas für<br />

wenig gebildete Schwachköpfe sein konnte, und jetzt muss er<br />

miterleben, dass sogar ein hochgebildeter Naturwissenschaftler, <strong>der</strong><br />

auch an Universitäten Vorträge hält, sich genauso im Gebet demütigt wie<br />

jene, die er bisher kennen gelernt und insgeheim immer etwas verachtet<br />

hat. Wenigstens hält er Hoveneel noch zugute, dass sein Gebet teilweise<br />

auch ihm gewidmet ist, weil er Gott darum bittet, dass er, Hans Stettler<br />

höchstpersönlich, auch aufgrund des Gesprächs von heute Abend die<br />

Wahrheit erkennen möge. Aber welche Wahrheit?, fragt er sich.<br />

Nach dem Gebet warten Hoveneel und Erwin noch ein paar Momente,<br />

und erst dann wendet sich <strong>der</strong> erstere Hans zu und sagt, indem er ihm<br />

Kaffee einschenkt, den er vorher extra noch zubereitet hat: „So, jetzt bin<br />

ich bereit, Ihre Fragen zu beantworten, soweit es mir möglich ist.<br />

Vergessen Sie aber nicht, dass ich nicht so wie am letzten Sonntag in<br />

alle Einzelheiten gehen kann, weil ich heute keine Leinwand zur<br />

Verfügung habe und Ihnen somit auch keine Lichtbil<strong>der</strong> zeigen kann!“<br />

„Keine Angst, Herr Hoveneel! Ich werde möglichst einfache Fragen<br />

stellen und will auch versuchen, mich kurz zu fassen. Von den Urzeiten<br />

weiß ich selbst ja auch nicht allzu viel; ich weiß nur, dass es für die<br />

verschiedenen Zeitabschnitte Namen gibt wie Kreide o<strong>der</strong> Jura, vor<br />

allem im Zusammenhang mit den Dinosauriern. Seitdem <strong>der</strong> Film<br />

‚Jurassic Park’ im Kino gezeigt worden ist, hat es sich den Leuten<br />

eingeprägt, dass diese Tiere in <strong>der</strong> Jura-Epoche gelebt haben, und weil<br />

diese Frage in verschiedenen Quiz-Sendungen im Fernsehen immer<br />

wie<strong>der</strong> gestellt worden ist, habe ich behalten können, dass diese Jura-<br />

Epoche ein Unterzeitabschnitt des Mesozoicums war. Damit hat es sich<br />

aber bereits; so müssen Sie mir nicht einmal sagen, wie lange jede<br />

Einzelne dieser Epochen gedauert hat. Ich arbeite zwar auf einer Bank,<br />

aber bei diesem Thema kann ich mit Zahlen nicht viel anfangen. Da wir<br />

schon dabei sind, vom Alter dieses Planeten zu reden, habe ich auch<br />

schon die erste Frage an Sie: Glauben Sie wirklich, dass Gott das ganze<br />

Weltall, die Milliarden von Sternen, die Sonne und Planeten mit ihren<br />

Monden und damit auch die Erde mitsamt allen Lebwesen in nur sechs<br />

Tagen erschaffen hat, wie das in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht? Wenn ich<br />

mich richtig erinnere, haben Sie das an Ihrem Vortrag zwar nicht direkt<br />

so gesagt, aber es hat sich fast so angehört, als ob Sie selbst auch<br />

daran glauben würden.“<br />

Hoveneel überlegt eine Weile, dann antwortet er langsam und in<br />

bedächtigem Ton: „Auf diese spezielle Frage kann ich Ihnen auch diese<br />

spezielle Antwort geben, Herr Stettler: Wenn es wirklich einen<br />

allmächtigen und damit auch allwissenden Gott gibt, wie das in <strong>der</strong> Bibel<br />

73


geschrieben steht und immer wie<strong>der</strong> betont wird und wie wir Christen,<br />

die seine Existenz persönlich erfahren haben, fest daran glauben ...<br />

wenn es also wirklich einen solchen Gott gibt, dann ist kein Moment<br />

daran zu zweifeln, dass er all dies auch tatsächlich in sechs Tagen<br />

erschaffen hat. Natürlich ist es mir klar, dass eine solche Antwort Sie in<br />

Ihrer Situation nicht zufriedenstellen kann; darum will ich versuchen,<br />

etwas weiter auszuholen. Dabei will ich als Erstes gleich einen Bibelvers<br />

zitieren, und zwar aus dem zweiten Petrusbrief, Kapitel drei, Vers acht,<br />

in dem geschrieben steht, dass tausend Jahre für Gott wie ein Tag sind.<br />

Wenn wir <strong>uns</strong> jetzt ein wenig in die göttlichen Denkdimensionen<br />

versetzen, soweit <strong>uns</strong> das möglich ist, dann könnte in diesem Bibelvers<br />

genauso gut stehen, dass 10’000 o<strong>der</strong> 100’000 o<strong>der</strong> gar eine Million<br />

o<strong>der</strong> noch mehr Jahre für Gott wie ein Tag sind, da er ja wie schon<br />

gesagt allmächtig und allwissend ist und schon vor <strong>der</strong> Grundlegung <strong>der</strong><br />

Welt da war und sowohl <strong>der</strong> Erste als auch <strong>der</strong> Letzte sein wird. Darum<br />

steht auch an einer an<strong>der</strong>en Bibelstelle, dass er das A und das O ist, das<br />

heißt das Alpha und das Omega, vom ersten bis zum letzten Buchstaben<br />

des griechischen Alphabets, also jener Sprache, in <strong>der</strong> das Neue<br />

Testament geschrieben wurde; damit wird auch ausgedrückt, dass kein<br />

an<strong>der</strong>er als er selbst sowohl <strong>der</strong> Anfang als auch das Ende von allem ist.<br />

- Haben Sie bis hierher verstanden, was ich damit sagen will?“<br />

„Ja, ich denke schon, schließlich weiß ich auch schon einiges über euren<br />

Glauben.“<br />

„Sie brauchen es mir nur zu sagen, wenn Ihnen etwas nicht klar ist; dafür<br />

bin ich jetzt ja für Sie da. Was ich bis hierher ausdrücken wollte, ist also<br />

dies: Gott als <strong>der</strong> Allmächtige und Allwissende hatte die Macht, selber zu<br />

bestimmen, wie viel Zeit er für die Erschaffung des Weltalls, <strong>der</strong><br />

Planeten und Monde, <strong>der</strong> Erde und aller Lebewesen benötigte. Wichtig<br />

ist dabei nicht die Länge <strong>der</strong> Zeitdauer, son<strong>der</strong>n die schlichte und<br />

unumstößliche Tatsache, dass niemand an<strong>der</strong>s als er selbst <strong>der</strong><br />

Schöpfer von allem ist. Gerade aufgrund dieses Bibelverses, den ich<br />

vorher zitiert habe, gibt es aber auch unter den Kreationisten - das heißt<br />

unter denen, die an eine göttliche Schöpfung glauben - nicht wenige, die<br />

es für möglich halten, dass mit den sechs Tagen in Wirklichkeit<br />

verschiedene Zeitperioden über Millionen von Jahren gemeint sind, dass<br />

also die Evolutionisten teilweise Recht haben, auch wenn diese die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Erde und <strong>der</strong> Lebewesen bekanntlich in weitaus mehr<br />

als sechs Zeitperioden einteilen. Bevor wir darauf eine Antwort geben<br />

können, ob nun sechs Tage o<strong>der</strong> sechs verschiedene Zeitperioden über<br />

Millionen von Jahren gemeint sind, müssen wir zuerst untersuchen, was<br />

genau an jedem Tag erschaffen worden ist. Sie können in <strong>der</strong> Bibel<br />

selber nachschauen, wenn Sie wollen, aber wir werden aus Zeitgründen<br />

nicht alles lesen, son<strong>der</strong>n nur überfliegen.<br />

74


Wir lesen also im ersten Buch Mose, dass Gott am ersten Tag den<br />

Himmel, die Erde und das Licht erschuf und dieses von <strong>der</strong> Finsternis<br />

trennte. Schon das zeigt <strong>uns</strong> deutlich seine Allmacht, die vollständig über<br />

<strong>uns</strong>eren menschlichen Denkdimensionen steht: Einerseits hat es ihm<br />

gefallen, <strong>uns</strong>eren Planeten noch vor allen an<strong>der</strong>en und allen Sternen zu<br />

erschaffen und <strong>uns</strong> damit zu zeigen, welche Bedeutung die Erde im<br />

Vergleich zu allen an<strong>der</strong>en Himmelsgeschöpfen hat - gerade auch im<br />

Hinblick zu diesen Meinungen, es könnte auch noch auf an<strong>der</strong>en<br />

Gestirnen Lebwesen geben, doch das wollen wir jetzt beiseitelassen.<br />

An<strong>der</strong>erseits hat es ihm auch gefallen, das Licht zu erschaffen, noch<br />

bevor es die Sonne gab, ohne die bekanntlich kein Lebewesen auf<br />

<strong>uns</strong>erem Planeten existieren könnte. Gerade dieser Vers spricht doch<br />

dafür, dass die Erschaffung nicht in sechs langen Zeitperioden<br />

geschehen sein konnte, son<strong>der</strong>n tatsächlich in sechs Kalen<strong>der</strong>tagen,<br />

weil es auch nach <strong>der</strong> Erschaffung des Lichts die Sonne noch nicht gab<br />

und es nur wegen ihr und dem Lauf <strong>der</strong> Erde um sie <strong>uns</strong>ere Tage und<br />

Nächte gibt. Weiter lesen wir, dass Gott am zweiten Tag die<br />

Himmelsfeste erschuf, am dritten die Pflanzen und Bäume, am vierten<br />

die Sonne und die Sterne und damit wohl auch die an<strong>der</strong>en Planeten<br />

und Monde, obwohl an dieser Stelle nichts Direktes über sie geschrieben<br />

steht, am fünften die Meerestiere und Vögel und erst am sechsten die<br />

Landtiere und Menschen, und am siebten Tag ruhte er schließlich von<br />

allen seinen Werken.<br />

Wenn wir diese Verse ein wenig näher anschauen, fallen zwei Dinge<br />

sofort auf: Erstens wurden die Pflanzen und Bäume am dritten Tag<br />

erschaffen, also einen Tag vor <strong>der</strong> Sonne. Wie wäre es nun möglich<br />

gewesen, dass diese über eine ganze Zeitperiode von vielen Millionen<br />

Jahren hätten gedeihen können, ohne dass sie das Sonnenlicht hatten,<br />

obwohl wir wie gesagt nicht ausschließen dürfen, dass Gott das durch<br />

seine Allmacht ohne weiteres hätte geschehen lassen können?<br />

Ansonsten bestätigen aber sämtliche naturwissenschaftlichen<br />

Untersuchungen, dass es ohne die Sonne auf <strong>uns</strong>erem Planeten kein<br />

Leben für eine längere Zeit geben kann - für einen Tag o<strong>der</strong> allenfalls ein<br />

paar wenige Tage schon, aber sicher nicht für so lange Zeitperioden, wie<br />

sie die Anhänger <strong>der</strong> Evolutionstheorie vorbringen.<br />

Als Zweites fällt <strong>uns</strong> auch <strong>der</strong> Vers auf, dass Gott am siebten Tag von<br />

allen seinen Werken ruhte. Da es ausdrücklich sein Wille war, dass <strong>der</strong><br />

Ruhetag, <strong>der</strong> ja von ihm selber mit den zehn Geboten einge<strong>führt</strong> wurde,<br />

genauso lange dauern sollte wie <strong>der</strong> seinige, könnte doch auch<br />

geschrieben stehen, dass wir anstelle eines Tages auch eine Woche,<br />

einen Monat o<strong>der</strong> gar ein Jahr o<strong>der</strong> noch länger ausruhen sollen, wenn<br />

er selbst tatsächlich so lange ausgeruht hätte. Irgendwann stoßen wir<br />

aber an die Grenzen <strong>der</strong> Vernunft - und schon <strong>der</strong> gesunde<br />

75


Menschenverstand sagt allen, die sich mit diesem Thema ohne die<br />

üblichen Vorurteile beschäftigen, dass wirklich nur ein Tag in <strong>uns</strong>erem<br />

Sinn, also einer mit 24 Stunden, und nichts an<strong>der</strong>es gemeint sein kann.<br />

Es würde auch <strong>der</strong> menschlichen Logik wi<strong>der</strong>sprechen, innerhalb eines<br />

gleichen Buchabschnitts - eben den über die ganze Schöpfung - etwa<br />

zehnmal einen Zeitbegriff, also das Wort „Tag“ zu verwenden, wobei<br />

ausgerechnet beim letzten Mal etwas an<strong>der</strong>es als ein Tag ausgedrückt<br />

werden soll. Dieser Schöpfungsvorgang wird im zweiten Buch Mose,<br />

Kapitel zwanzig, Vers elf, in dem <strong>der</strong> Ruhetag, also <strong>der</strong> israelitische<br />

Sabbat einge<strong>führt</strong> wurde, ausdrücklich noch einmal bestätigt: Da steht<br />

geschrieben, dass Gott all dies in sechs Tagen erschaffen hat. Somit ist<br />

es auch nicht möglich, schon nach dem allerersten Vers in <strong>der</strong> Bibel zu<br />

schließen, es wären Dutzende o<strong>der</strong> gar Hun<strong>der</strong>te von Millionen Jahren<br />

verstrichen, bis er nach dem Himmel und <strong>der</strong> Erde auch den ganzen<br />

Rest erschaffen hat. Diese Lehre wird wie gesagt zum Teil auch von<br />

Kreationisten vertreten, doch wer konsequent gläubig ist, kann sich ihr<br />

nicht anschließen.<br />

Damit kann ich auch Ihre Frage endgültig beantworten: Da ich nicht den<br />

geringsten Zweifel daran habe, dass Gott fähig war, alles in nur sechs<br />

Tagen zu erschaffen - und zwar in Tagen von 24 Stunden -, glaube ich<br />

auch daran, und wenn es auch aufgrund <strong>der</strong> Ähnlichkeit zwischen den<br />

Kontinenten, die sich bekanntlich fast wie ein Puzzle zusammensetzen<br />

lassen, so aussieht, als ob die Schöpfung nicht in sechs Tagen<br />

geschehen wäre, halte ich trotzdem daran fest. Für Gott war es sicher<br />

kein Problem, die einzelnen Kontinente innerhalb des gleichen Tages<br />

auseinan<strong>der</strong>zureißen, ja, die Ähnlichkeiten zwischen den Küsten, vor<br />

allem zwischen Südamerika und Afrika, sprechen viel mehr für eine<br />

kurze Zeitperiode als für eine solche von Hun<strong>der</strong>ten von Millionen<br />

Jahren; allein die natürlichen Gesetze <strong>der</strong> Erosion, also <strong>der</strong><br />

gleichmäßigen Aushöhlung eines Gesteins, sprechen gegen eine solche<br />

Entwicklung. Falls wir noch dazu kommen, <strong>uns</strong> etwas näher mit <strong>der</strong><br />

Sintflut zu befassen, werde ich intensiver darauf eingehen - erinnern Sie<br />

mich aber daran, falls ich das vergesse!<br />

Verstehen Sie also, was ich mit diesen Worten meine? So wie es Gott in<br />

seiner Allmacht und Allwissenheit möglich war, alles in sechs Tagen zu<br />

erschaffen, so war ihm auch alles an<strong>der</strong>e möglich, das in <strong>der</strong> Bibel<br />

beschrieben ist: Einen Menschen in einer Jungfrau heranwachsen zu<br />

lassen o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gestalt Jesu Wasser in Wein zu verwandeln; Blinde,<br />

Lahme und Aussätzige sofort zu heilen, zu Fuß auf dem See Genezareth<br />

zu gehen, einen Sturm auf dem gleichen See innerhalb einer Sekunde<br />

zum Schweigen zu bringen und sogar Tote wie den bekannten Lazarus<br />

wie<strong>der</strong> ins Leben zurückzuholen. Erst wenn wir auch diese Geschichten<br />

gelesen haben, wird <strong>uns</strong> seine Allmacht so richtig bewusst - aber eben,<br />

wir müssen auch daran glauben.“<br />

76


Nach diesen klaren Worten kann sich Hans ein leicht spöttisches<br />

Lächeln nicht verkneifen und fast unbewusst schüttelt er den Kopf so<br />

deutlich, dass Hoveneel und Erwin, <strong>der</strong> die ganze Zeit still daneben<br />

gesessen hat, es nicht übersehen können. Sie lassen es sich jedoch<br />

nicht anmerken und schon bald versucht Hans sein Glück auf an<strong>der</strong>e<br />

Weise: „Wenn Sie also glauben, dass Gott tatsächlich alles in nur sechs<br />

Tagen erschaffen hat ... wie alt ist denn <strong>uns</strong>er Planet nach Ihrer<br />

Meinung? Es ist doch schon längst bewiesen worden, dass die Erde<br />

Hun<strong>der</strong>te von Millionen Jahre alt ist. Da passt diese Geschichte mit den<br />

sechs Tagen wirklich nicht gut hinein.“<br />

„Da muss ich Ihnen aber klar wi<strong>der</strong>sprechen, Herr Stettler. Bewiesen ist<br />

bis heute überhaupt nichts, ganz im Gegenteil, sämtliche Altersangaben<br />

beruhen nur auf Spekulationen und zum Teil sogar auf <strong>uns</strong>eriösen<br />

Berechnungen. Dabei wird mit den Zahlen allzu großzügig umgegangen<br />

und manchmal wird sogar geschwindelt, nur um nicht zugeben zu<br />

müssen, dass es vielleicht doch einen göttlichen Schöpfer gibt. Ein klarer<br />

Hinweis darauf, dass mit den Altersangaben bös danebengegriffen wird,<br />

ist zum Beispiel die sogenannte C-14-Datierungsmethode, von <strong>der</strong> Sie<br />

vielleicht auch schon einmal gehört haben.“<br />

„Ja, gehört schon, aber ich weiß nicht genau, was damit gemeint ist -<br />

dafür verstehe ich viel zu wenig von Chemie.“<br />

„Dann will ich versuchen, Ihnen das in groben Zügen zu erklären, soweit<br />

das möglich ist: Es wurde schon vor einiger Zeit entdeckt, dass die Luft<br />

in <strong>der</strong> Stratosphäre - also noch über dem, was wir als Atmosphäre<br />

bezeichnen - von Sonnenstrahlen buchstäblich bombardiert wird, und<br />

dass diese zugleich radioaktiven Kohlenstoff bilden, eben dieses C14,<br />

und mit Stickstoff aus <strong>der</strong> Atmosphäre reagieren, <strong>der</strong> als N14 bezeichnet<br />

wird. Vielleicht erinnern Sie sich noch von den Unterrichtsstunden her,<br />

dass das, was die Menschen und Tiere ausatmen, Stickstoff ist, während<br />

das, was wir einatmen, Sauerstoff o<strong>der</strong> CO2 ist, ohne das wir<br />

bekanntlich nicht leben könnten. Dieser Vergleich kann <strong>uns</strong> helfen, diese<br />

chemischen Vorgänge etwas besser zu verstehen. Nun enthält alles,<br />

was auf <strong>der</strong> Erde lebt, Kohlenstoff, und dazu zählen nicht nur die<br />

Menschen und Tiere, son<strong>der</strong>n auch die Pflanzen und Bäume und sogar<br />

die Gesteinsschichten. Dabei gibt es zwei verschiedene Arten von<br />

Kohlenstoff: Die eine ist das C12, das sich nicht zersetzt, und die an<strong>der</strong>e<br />

das C14, das durch die Bildung von Radioaktivität mit <strong>der</strong> Zeit zerfällt -<br />

genauer die Lebewesen, die dieses C14 einatmen, und die<br />

Gesteinsschichten, die mit ihm in Berührung kommen. Auf die Menschen<br />

und Tiere übertragen heißt dies, dass auf diese Weise ein ständiger<br />

Stoffwechsel stattfindet, solange sie leben, und dass dieses C14 ganz<br />

entscheidend dazu beiträgt, dass <strong>uns</strong>ere Körper altern und<br />

gewissermaßen mit <strong>der</strong> Zeit zerfallen. Interessant ist aber, dass die<br />

77


Zersetzung des C-14-Gehalts auch im toten Gewebe weitergeht, wobei<br />

die Radioaktivität ständig abnimmt, weil ja durch den Tod des Körpers<br />

<strong>der</strong> vorherige Stoffwechsel nicht mehr stattfindet. Haben Sie das alles<br />

bis hierher gut verstanden?“<br />

„Ja, mehr o<strong>der</strong> weniger. Machen Sie ruhig weiter! Ich höre zu.“<br />

„Also gut. Natürlich zerfallen die menschlichen und tierischen Körper<br />

nach dem Tod jedes Einzelnen ziemlich schnell, aber nicht die<br />

organischen Stoffe, zu denen neben Holzstücken eben auch die<br />

Gesteinsschichten gehören. Da entdeckt worden ist, dass <strong>der</strong> Zerfall des<br />

C-14-Gehalts so schnell o<strong>der</strong> auch langsam ist, dass nach ungefähr<br />

5’000 Jahren die Hälfte zersetzt ist, kann das Alter einer Gesteinsschicht<br />

bis zu 10'000 Jahre zurück ziemlich genau bestimmt werden. Der einzige<br />

Haken an dieser Datierungsmethode besteht darin, dass wir nicht mit<br />

absoluter Sicherheit wissen, ob diese kosmische Bestrahlung o<strong>der</strong> eben<br />

Bombardierung immer gleichgeblieben ist, aber die Wahrscheinlichkeit<br />

spricht eher dafür als dagegen. Der zweite wunde Punkt an dieser<br />

Geschichte ist <strong>der</strong>, dass wir ebenfalls nicht genau wissen, ob auch die<br />

Gesteinsschichten, die noch weiter unten liegen, genauso lang dieser<br />

Bestrahlung ausgesetzt waren o<strong>der</strong> nicht. Es gibt jedoch immer<br />

deutlichere Hinweise darauf, dass dies <strong>der</strong> Fall gewesen ist. Genauer<br />

kann ich Ihnen das aber erst erklären, wenn wir auf die Sintflut zu<br />

sprechen kommen.“<br />

«Wollen Sie also damit sagen, dass die Erde am Ende höchstens 10'000<br />

Jahre o<strong>der</strong> vielleicht nur ein bisschen älter ist?»<br />

„Es gibt Kreationisten, die tatsächlich diese Meinung vertreten, weil diese<br />

Altersangaben mit <strong>der</strong> Bibel mehr o<strong>der</strong> weniger übereinstimmen. Gerade<br />

aufgrund <strong>der</strong> hebräischen Denkweise, in <strong>der</strong> ein Nachkomme selbst<br />

dann noch als Sohn bezeichnet wurde, wenn mehrere Generationen<br />

übersprungen wurden, wissen wir heute mit Sicherheit, dass die<br />

biblischen Geschlechtsregister aus <strong>der</strong> Urzeit <strong>der</strong> Menschheit nicht<br />

vollständig überliefert sind, dass die Welt also nicht erst seit ungefähr<br />

6’000 Jahren besteht, wie durch diese Angaben berechnet werden<br />

könnte, son<strong>der</strong>n noch ein paar Tausend Jahre länger. Ich selbst bin<br />

jedoch <strong>der</strong> Ansicht, dass wir diese 10’000 Jahre nicht einfach als<br />

Tatsache hinstellen können, solange keine hieb- und stichfesten<br />

Beweise vorliegen. Allerdings muss ich Ihnen an dieser Stelle eines<br />

deutlich sagen: Es ist zwar nicht eindeutig bewiesen, doch die an<strong>der</strong>en<br />

Altersangaben, die wir in den Schulen und Universitäten hören, sind es<br />

genauso wenig.<br />

Übrigens gibt es in dieser Beziehung noch einen interessanten Hinweis<br />

darauf: Als die ersten Astronauten auf dem Mond gelandet und<br />

ausgestiegen waren, stellten sie übereinstimmend fest, dass die<br />

Staubschicht recht dünn war, wenn man davon ausging, dass auch <strong>der</strong><br />

78


Erdtrabant Hun<strong>der</strong>te von Millionen Jahre alt sein sollte. Auch wenn es ab<br />

und zu gestürmt hätte, wie das einige Naturwissenschaftler behaupten,<br />

hätte es trotzdem nicht so wenig Staub hinterlassen können, und zudem<br />

wäre die Wahrscheinlichkeit, dass die Astronauten dort, wo sie gelandet<br />

waren, irgendwo auch auf eine dicke Schicht hätten treffen müssen, sehr<br />

groß gewesen. Heute sind wir aber inzwischen so weit, dass wir mit fast<br />

absoluter Sicherheit wissen, dass es auf dem Mond dadurch, dass er<br />

keine Wolkenschicht und auch sonst keine eigentliche Atmosphäre hat,<br />

immer windstill gewesen ist. Dazu passt auch besser, dass er sich nicht<br />

wie die Erde auch noch um die eigene Achse dreht, son<strong>der</strong>n unbewegt<br />

seinen Rundlauf um die Erde macht, so dass wir dort, wo wir gerade<br />

sind, immer die gleiche Vor<strong>der</strong>seite sehen.“<br />

Wie<strong>der</strong> legen sie eine kleine Pause ein, die Hoveneel dazu benützt,<br />

Erwin und Hans noch etwas Kaffee nachzuschenken. Der letztere<br />

überlegt sich in dieser Zeit fast krampfhaft, was er auf diese<br />

schlagkräftigen Argumente, die er so noch nie gehört hat, antworten soll.<br />

Schließlich kommt ihm doch wie<strong>der</strong> ein Einfall: „So wie es aussieht,<br />

glauben Sie also anscheinend auch daran, dass <strong>uns</strong>er Planet höchstens<br />

10’000 Jahre alt o<strong>der</strong> vielleicht noch ein bisschen älter ist, auch wenn<br />

Sie das nicht direkt so sagen, weil Sie vorgebracht haben, dass ein<br />

eindeutiger Beweis dafür noch fehlt. Jetzt habe ich aber eine weitere<br />

Frage zu diesem Thema: Wie passt denn das alles zu den Funden <strong>der</strong><br />

Dinosaurier-Knochen, von denen es ebenfalls heißt, sie seien schon<br />

Dutzende von Millionen Jahre alt?“<br />

„Auch das ist ein beson<strong>der</strong>es Kapitel für sich - und es ist gut, dass Sie<br />

jetzt auch mit diesem kommen. Dazu muss ich Ihnen aber deutlich<br />

sagen: Was von den Medien immer wie<strong>der</strong> als eine Riesensensation<br />

verkauft wird, wenn man durch einen glücklichen Zufall wie<strong>der</strong> einmal ein<br />

neues Skelett entdeckt hat, ist in Wirklichkeit nie so heiß, wie es gekocht<br />

wird. Das genaue Gegenteil ist <strong>der</strong> Fall, ja, ich muss sogar betonen,<br />

dass nicht wenigen Kolleginnen und Kollegen von meinem Fach immer<br />

wie<strong>der</strong> die Fantasie durchgeht, wenn sie mit ihren Altersangaben<br />

kommen. Erstens hat es nie so viele Dinosaurier gegeben, wie immer<br />

behauptet wird, und zweitens wurden viele Dinosaurier-Arten sogar<br />

aufgrund unvollständiger Skelette nur mit viel Fantasie und mit Hilfe von<br />

Computern zusammengestellt, von denen die Öffentlichkeit nie weiß, wie<br />

sie programmiert wurden. Drittens ist auch schon bewiesen worden, wird<br />

aber weiter systematisch unterschlagen, dass fast überall dort, wo<br />

Dinosaurier-Knochen gefunden worden sind, vor Tausenden von Jahren<br />

noch keine Menschen gelebt haben. Das ist vor allem darum wichtig zu<br />

wissen, weil zum Beispiel gegen den fünfzehn Meter hohen<br />

Tyrannosaurus Rex, dem gefürchtetsten Fleischfresser, aber auch<br />

79


gegen seine etwas kleineren Verwandten selbst eine ganze Armee von<br />

Menschen kaum eine Chance gehabt hätte, wenn wir daran denken, wie<br />

schwach sie im Vergleich zu den heutigen Waffen ausgerüstet waren.<br />

Selbst da zeigt sich aber Gottes Liebe zu den Menschen, für mich ist das<br />

sogar ein deutlicher Beweis dafür: So wie er nach dem Sündenfall zwei<br />

Tiere tötete und als letzten Akt <strong>der</strong> Gnade Adam und Eva mit ihren<br />

Fellen bekleidete, damit sie außerhalb des Paradieses nicht erfroren, so<br />

sorgte er höchstpersönlich auch dafür, dass die Menschen nie mit den<br />

schlimmsten Fleischfressern in Berührung kamen.<br />

Was übrigens diese Monster betrifft, sind diese wohl <strong>der</strong> deutlichste<br />

Hinweis dafür, dass nach dem Sündenfall nicht nur Adam und Eva ihr<br />

Paradies verloren, son<strong>der</strong>n dass auch die Tierwelt völlig aus den Fugen<br />

geraten ist, und zwar gleichzeitig in <strong>der</strong> ganzen Welt, denn es steht in<br />

<strong>der</strong> Bibel nicht geschrieben, dass sämtliche Tiere nur innerhalb des<br />

Gartens Eden gelebt haben. Außerdem haben wir heute deutliche<br />

geologische Hinweise darauf, dass die Kontinente vor <strong>der</strong> Sintflut noch<br />

eine einzige Erdmasse darstellten und sich noch schneller als das, was<br />

wir in den Schulen und Universitäten zu hören bekommen, voneinan<strong>der</strong><br />

entfernt haben. Das stimmt auch mit den Angaben im Schöpfungsbericht<br />

überein, wo davon die Rede ist, dass Gott zwischen den Wassern eine<br />

einzige große Landfeste schuf, die eine Scheidewand bildete, aber nicht<br />

von einem Zerfall dieser Landmasse in verschiedene Teile. Aber auch<br />

auf dies möchte ich erst dann etwas näher zu sprechen kommen, wenn<br />

ich mit Ihnen die Sintflut behandle, und ich kann Ihnen schon jetzt<br />

garantieren, dass Sie noch über manche neuen Erkenntnisse staunen<br />

werden.<br />

Um wie<strong>der</strong> auf die Tierwelt zurückzukommen: Wenn es also nicht<br />

geschehen wäre, dass diese nach dem Sündenfall ebenfalls aus den<br />

Fugen geriet, würde wohl kaum im 65. Kapitel des Propheten Jesaja<br />

geschrieben stehen, dass in einem zukünftigen Reich unter Gottes<br />

direkter Führung <strong>der</strong> Wolf und das Lamm einträchtig weiden werden,<br />

dass <strong>der</strong> Löwe wie das Rind Stroh fressen wird und dass selbst die<br />

Schlange sich mit Staub begnügen wird, und dann würde auch nicht an<br />

einer an<strong>der</strong>en Bibelstelle stehen, dass ein Kleinkind mit einer Otter<br />

spielen wird. Wenn wir nochmals zum Schöpfungsbericht zurückgehen,<br />

lesen wir im ersten Buch Mose, in den Versen 29 und 30 des ersten<br />

Kapitels, dass ursprünglich alle Tiere Vegetarier waren, weil sie nur von<br />

den Früchten, Pflanzen und Bäumen fraßen, die Gott erschaffen hatte,<br />

und das Gleiche galt natürlich auch für Adam und Eva.<br />

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass in diesen gleichen<br />

Versen auch davon die Rede ist, dass selbst die Tiere eine lebendige<br />

Seele hatten, also auch in dieser Beziehung sehr stark mit dem ersten<br />

Menschenpaar verbunden waren. Als dann <strong>der</strong> Sündenfall geschah, riss<br />

80


nicht nur die enge Verbindung zwischen Gott und den zwei ersten<br />

Menschen und nicht nur die zwischen Adam und Eva und den Tieren,<br />

son<strong>der</strong>n auch die untereinan<strong>der</strong>, da sie ja als solche, die lebendige<br />

Seelen hatten, genauso mitbetroffen waren. Wir können das ungefähr<br />

mit einem Königreich vergleichen: Wenn ein König o<strong>der</strong> eine Königin<br />

stirbt, sind alle Bewohner des Reiches davon betroffen, auch jene, die<br />

ihn o<strong>der</strong> sie nicht persönlich kannten und auch nie mit ihnen zu tun<br />

hatten. Genauso verhielt es sich mit Adam und Eva: Sie waren von Gott<br />

dazu ausersehen worden, über die Erde und das Tierreich zu regieren,<br />

aber sie versagten in ihrem Ungehorsam und zogen damit auch ihre<br />

Untertanen ins Elend, und so wie später die Nachkommen des ersten<br />

Menschenpaares übereinan<strong>der</strong> herfielen und sich gegenseitig quälten<br />

und umbrachten, so fielen auch die Tiere übereinan<strong>der</strong> her und töteten<br />

sich gegenseitig, und so begann dieser Kreislauf des Fressens und<br />

Gefressen-Werdens.<br />

Ein deutlicher Hinweis darauf, dass offensichtlich bei verschiedenen<br />

Tieren eine schnelle Metamorphose stattgefunden haben muss, zeigt<br />

sich ausgerechnet bei <strong>der</strong> Schlange, die Eva ver<strong>führt</strong> hat, auch wenn sie<br />

vom Satan, <strong>der</strong> sich in sie versetzte, dafür benützt wurde. Vor dem<br />

Sündenfall war sie noch ein Tier, das nicht nur auf dem Bauch und<br />

allenfalls auch noch auf Bäumen kriecht wie heute, son<strong>der</strong>n auch noch<br />

an<strong>der</strong>s gestaltet war, aber wie genau, wissen wir nicht mit Sicherheit.<br />

Genauso wie also die Schlange als Strafe Gottes sich verän<strong>der</strong>te und<br />

zum Beispiel <strong>der</strong> Löwe zu einem Raubtier mit einem scharfen Gebiss<br />

mutierte, muss das wohl auch mit den Dinosauriern geschehen sein, die<br />

dann zu Fleischfressern wurden.“<br />

Da erhebt Hans eine Hand, um Hoveneel anzuzeigen, dass er etwas<br />

dazwischenfragen will, und sogleich hält dieser inne.<br />

„Sie haben vorhin gesagt, dass die Menschen ziemlich sicher nie mit<br />

diesen Fleischfressern in Berührung gekommen sind, weil Sie meinen,<br />

dass wohl Gott selbst dafür gesorgt hat. Wie steht es nun aber mit den<br />

an<strong>der</strong>en Dinosauriern, die nur Pflanzen und die Blätter von Bäumen<br />

fraßen, zum Beispiel jene, die in den bekannten Little-Foot-Filmen als<br />

‚Langhälse’ bezeichnet werden? Hatten die ersten Menschen o<strong>der</strong><br />

genauer die Nachkommen von Adam und Eva nach Ihrer Meinung auch<br />

keinen direkten Kontakt mit ihnen?“<br />

„Genau darauf wollte ich jetzt auch noch zu sprechen kommen, Herr<br />

Stettler. Was früher in <strong>der</strong> beliebten Comic-Serie ‚Familie Feuerstein’<br />

und in verschiedenen Spielfilmen mit entsprechenden Trickszenen<br />

gezeigt wurde - nämlich Menschen, die mit Waffen aus <strong>der</strong> Steinzeit mit<br />

Dinosaurieren zu tun hatten und teilweise sogar gegen sie kämpften -, ist<br />

nicht nur reine Fantasie, son<strong>der</strong>n entspricht teilweise dem Leben, wie es<br />

81


tatsächlich war, und ohne, dass die betreffenden Regisseure und<br />

Filmproduzenten davon wussten. Einen Beweis dafür hat man schon vor<br />

etwa einem halben Jahrhun<strong>der</strong>t im ausgetrockneten Paluxy-Flussbett in<br />

Texas gefunden, aber natürlich wird auch dieser Fund von den<br />

antigöttlich ausgerichteten Medien bewusst unterschlagen. Da wurden<br />

auf <strong>der</strong> gleichen Gesteinsschicht deutliche Fußspuren eines Menschen<br />

und eines Brontosauriers entdeckt, also eines <strong>der</strong> größten<br />

Pfanzenfresser, <strong>der</strong> immerhin eine Länge von ungefähr dreißig Metern<br />

hatte. Das lässt nur diese Schlussfolgerung zu: Da die letzten<br />

Dinosaurier angeblich vor etwa siebzig Millionen Jahren ausgestorben<br />

sind, die Menschen selbst in ihren primitivsten Vorstufen nach <strong>der</strong><br />

Meinung sämtlicher Evolutionisten in dieser Zeitperiode aber noch nicht<br />

existiert haben, kann dieser Fund nur bedeuten, dass zumindest ein Teil<br />

<strong>der</strong> Dinosaurier tatsächlich in <strong>der</strong> Frühzeit <strong>der</strong> Menschen noch gelebt<br />

hat.<br />

Für diese Theorie, die sich lei<strong>der</strong> nicht zu hun<strong>der</strong>t Prozent beweisen<br />

lässt, sprechen mehrere einleuchtende Tatsachen: Erstens braucht es<br />

enorm viel Fantasie, um ernsthaft daran zu glauben, dass die Fußspuren<br />

von Tieren sich über mehr als siebzig Millionen Jahre hinweg so gut<br />

erhalten konnten, ohne die natürlichen Gesetze <strong>der</strong> Erosion zu<br />

berücksichtigen, die ja auch ohne Wasser wirkt, sogar wenn diese<br />

Spuren während eines großen Teils dieser Zeit von an<strong>der</strong>en<br />

Gesteinsschichten bedeckt waren. Das scheint sogar noch<br />

unglaubwürdiger, wenn wir daran denken, dass nach dem Aussterben<br />

<strong>der</strong> Dinosaurier noch eine Eiszeit dazwischengekommen sein soll.<br />

Zweitens ist zu erwähnen, dass im ersten Buch Mose die Lage des<br />

Gartens Eden zwar genau angegeben ist, dass aber nirgendwo<br />

geschrieben steht, dass gleich alle Tiere <strong>der</strong> Welt dort drinnen gelebt<br />

haben, wie ich Ihnen das schon gesagt habe. Wir können daraus<br />

schließen, dass <strong>der</strong> Sündenfall nicht nur auf die nahöstliche Region<br />

seine Auswirkungen hatte, son<strong>der</strong>n auf die ganze Welt, und das stimmt<br />

wie<strong>der</strong> mit dem überein, was ich vorhin erwähnt habe - dass die<br />

Kontinente vor <strong>der</strong> Sintflut offensichtlich noch eine einzige Landmasse<br />

waren und erst nachher auseinan<strong>der</strong>drifteten.<br />

Das heißt also, dass auch in Amerika, das heute vom Nahen Osten so<br />

weit entfernt liegt, in jener Zeitepoche ohne weiteres Menschen und<br />

friedliebende Dinosaurier, die nur Pflanzen und Blätter von den Bäumen<br />

fraßen, nicht allzu weit vom ehemaligen Garten Eden entfernt<br />

zusammenleben konnten und die Menschen sie teilweise auch jagten,<br />

um sich vom Fleisch dieser Tiere zu ernähren. Ob sie auch Dinosaurier<br />

als Haustiere hielten - wie zum Beispiel <strong>der</strong> bekannte Dino aus <strong>der</strong><br />

Familie Feuerstein, die ich vorhin erwähnt habe -, wissen wir als<br />

Einziges nicht mit Sicherheit, aber wir können es nicht völlig<br />

82


ausschließen. Dass diese Fußspuren eines Menschen und eines<br />

Brontosauriers auf dem gleichen Gestein in Texas gefunden wurden,<br />

erkläre ich damit, dass dieses Gestein im Verlauf <strong>der</strong> Sintflut o<strong>der</strong><br />

vielleicht auch nachher für Jahrtausende bedeckt wurde und erst vor<br />

kurzem wie<strong>der</strong> zum Vorschein gekommen ist - lange nachdem <strong>der</strong><br />

amerikanische Kontinent sich dorthin verschoben hatte.“<br />

„Wenn ich Sie also richtig verstehe“, wirft Hans wie<strong>der</strong> mit einem<br />

schiefen Lächeln ein, „wollen Sie mit diesen Worten sagen, dass außer<br />

dem legendären Noah und seiner Familie und den Tieren, die mit ihm in<br />

<strong>der</strong> Arche waren, neben allen an<strong>der</strong>en auch Tausende von Dinosauriern<br />

in <strong>der</strong> Sintflut umgekommen sind?“<br />

„Genau, Sie sagen es, Herr Stettler!“, antwortet Hoveneel zu seiner<br />

großen Überraschung prompt und setzt dann gleich wie<strong>der</strong> ein: „Nach<br />

allem, was bis heute entdeckt worden ist, kann es nur auf diese Weise<br />

geschehen sein. Klare Beweise gibt es für diese Vermutung lei<strong>der</strong> nicht,<br />

jedenfalls nicht bei den Dinosauriern, aber wenigstens deutliche<br />

Hinweise. Ein bekanntes Beispiel dafür sind ein paar Mammuts, die in<br />

Sibirien gefunden worden sind. Auch diese Tiere haben nach <strong>der</strong><br />

Meinung <strong>der</strong> Evolutionisten vor Dutzenden von Millionen Jahren gelebt<br />

und waren bereits ausgestorben, als <strong>der</strong> heutige sogenannte Homo<br />

sapiens - <strong>der</strong> aus den primitiven, affenähnlichen Vorfahren entwickelte<br />

mo<strong>der</strong>ne Mensch - die Szene betrat. Bei diesen Mammuts hat man aber<br />

im Maul noch Reste von Grasbüscheln gefunden, die von Kühen <strong>der</strong><br />

heutigen Zeit noch hätten gefressen werden können, die sich also über<br />

eine so lange Zeitperiode unmöglich so gut hätten erhalten können. Das<br />

lässt darauf schließen, dass diese Tiere von einer plötzlichen Kältewelle<br />

überrascht wurden und nicht von einer Eiszeit, denn in einem solchen<br />

Fall wären sie auf den Tod vorbereitet gewesen und kaum mit frischen<br />

Grasbüscheln im Maul gestorben.“<br />

„Sie glauben also wirklich im Ernst daran, dass diese Sintflut sich<br />

ereignet hat?“, fragt Hans wie<strong>der</strong> dazwischen, „woher kam denn <strong>der</strong><br />

ganze Regen, um die Erde überall zu bedecken und damit auch die<br />

höchsten Berggipfel, die immerhin mehr als 8'000 Meter hoch sind?“<br />

„Das ist eine gute Frage, Herr Stettler, aber auch darauf kann ich Ihnen<br />

eine Antwort geben: Wenn wir nochmals zur Schöpfungsgeschichte<br />

zurückgehen und die Verse sechs bis acht des ersten Kapitels lesen,<br />

können wir sehen, dass Gott am zweiten Tag eine Feste zwischen den<br />

Gewässern machte, die eine Scheidewand zwischen den Gewässern<br />

nach oben und nach unten bildete, und dass er diese Feste als Himmel<br />

bezeichnete. Dabei bedeckten die unter dem Himmel liegenden<br />

Gewässer den Planeten noch vollständig, weil das trockene Land, also<br />

die noch einzige Landmasse, erst am dritten Tag erschaffen wurde, als<br />

83


Gott diese Gewässer an einem einzigen Ort sammelte, damit diese<br />

Landmasse sichtbar wurde. Wenn wir nun im siebten Kapitel, das von<br />

<strong>der</strong> Sintflut berichtet, den elften Vers anschauen, können wir lesen, dass<br />

alle Quellen <strong>der</strong> großen Tiefe aufbrachen und die Fenster des Himmels<br />

sich öffneten. Das kann nur so geschehen sein, weil offensichtlich über<br />

dem, was seit jeher als Himmel bezeichnet wird, rund um die ganze<br />

Erdkugel eine Art riesige Wasserglocke hing, <strong>der</strong>en Inhalt sich in <strong>der</strong><br />

Sintflut mit den Gewässern <strong>der</strong> großen Ozeane vereinigt hat. Dazu<br />

kommt noch, dass mit dem Aufbrechen <strong>der</strong> Quellen <strong>der</strong> großen Tiefe<br />

offensichtlich gemeint ist, dass durch einen enormen Druck von unten<br />

auch die noch intakte Landmasse auseinan<strong>der</strong>brach und erst während<br />

und nach <strong>der</strong> Flut die Kontinente sich allmählich bildeten. Das heißt aber<br />

auch, dass durch diese Erdbeben nicht nur die Menschen, Landtiere und<br />

Vögel starben, die sich nicht in <strong>der</strong> Arche befanden, son<strong>der</strong>n auch viele<br />

Fische, die ja schwimmen konnten, aber durch diese Beben unter<br />

Wasser ebenfalls völlig überrascht wurden und zu Millionen mit Erde und<br />

Gestein bedeckt wurden, und tatsächlich hat man nicht nur Fossilien von<br />

Menschen und Dinosauriern gefunden, die das gleiche Alter haben,<br />

son<strong>der</strong>n auch solche von Fischen.<br />

Was die mehr als 8'000 Meter hohen Berge betrifft, die Sie vorhin<br />

erwähnt haben, so gibt es heute deutliche geologische Hinweise darauf,<br />

dass die Berge vor <strong>der</strong> Sintflut höchstens zwischen 2’000 und 3'000<br />

Meter hoch waren, also viel leichter vom Regen bedeckt werden<br />

konnten, und dass diese sich erst danach mit <strong>der</strong> Zeit zu solchen Höhen<br />

entwickelten. Das ist auch eine Erklärung dafür, dass es zum Beispiel für<br />

die Inkas möglich war, ihre berühmte Festung Macchu Picchu im<br />

peruanischen Dschungel zu bauen. Falls Sie schon einmal dort waren<br />

wie ich und vom engen Tal unten, wo es neben einer schmalen Straße<br />

nur noch für einen Zug Platz hat, nach oben schauen und erkennen,<br />

dass diese Festung gar nicht gesehen werden kann und gerade deshalb<br />

jahrhun<strong>der</strong>telang unentdeckt geblieben ist, müssen auch Sie sich<br />

ernsthaft fragen, mit welcher Technik all diese zentimetergenau<br />

geschnittenen Steine nach oben transportiert wurden. Halten Sie es also<br />

nicht auch für möglich, dass dieses Bauwerk genauso wie die Pyramiden<br />

in Ägypten und die paar Maya-Monumente in Mexiko im Flachland unten<br />

errichtet wurde, als dieser Bergkamm erst noch am Entstehen o<strong>der</strong><br />

mindestens noch nicht so hoch war?<br />

Einen deutlichen Hinweis darauf, wie es wohl geschehen ist, haben wir<br />

im Vulkan St.Helen’s, <strong>der</strong> in den Rocky Mountains liegt und zu Beginn<br />

<strong>der</strong> achtziger Jahre des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts plötzlich ausbrach und die<br />

umlegende Landschaft innerhalb von wenigen Stunden zu dem<br />

umpflügte, was sich nach <strong>der</strong> immer noch unbewiesenen Meinung <strong>der</strong><br />

Evolutionisten im Verlauf von Hun<strong>der</strong>ten von Millionen Jahren in <strong>der</strong><br />

84


ganzen Welt entwickelt hat. Stellen Sie sich vor, Herr Stettler: Innerhalb<br />

von nur wenigen Stunden durch einen einzigen Vulkanausbruch und ein<br />

Erdbeben, das diesem folgte - als hätte Gott selbst einen deutlichen<br />

Fingerzeig geben wollen! Dabei sind tragischerweise, aber so wie bei<br />

allen bisherigen Katastrophen, auch Menschen umgekommen, die<br />

genauso begraben wurden wie viele während <strong>der</strong> Erdbeben im Verlauf<br />

<strong>der</strong> Sintflut und nie mehr gefunden worden sind. Doch wir können<br />

immerhin sagen, dass man vorher vom unmittelbar bevorstehenden<br />

Vulkanausbruch wusste und all diese Menschen noch rechtzeitig<br />

gewarnt wurden, dass diese es aber vorzogen, statt zu flüchten zu<br />

Hause zu bleiben.<br />

Was nun diese riesige Wasserglocke betrifft, die ich vorher noch erwähnt<br />

habe, geben <strong>uns</strong> zum Beispiel die Altersangaben aus jenen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten einen deutlichen Hinweis darauf. Dadurch, dass die Erde<br />

vor <strong>der</strong> Sintflut durch diese Wasserglocke besser vor den radioaktiven<br />

Strahlen, die direkt von <strong>der</strong> Sonne kommen, geschützt war als danach,<br />

war es nach <strong>der</strong> C-14-Datierungsmethode auch möglich, viel älter zu<br />

werden als heute. Wenn wir die Zahlen miteinan<strong>der</strong> vergleichen, fällt das<br />

sofort auf: So starb Adam erst mit 930, sein dritter Sohn Seth mit 912<br />

und Methusalah mit 969 Jahren, so dass dieser Mann unter dem Namen<br />

‚Methusalem’ für ein sehr hohes Alter schon sprichwörtlich geworden ist.<br />

Auch Noah zählte bereits 600 Jahre, als die Sintflut kam, und brachte es<br />

noch auf 950 Jahre, und seine Söhne Sem, Ham und Japhet hatten zu<br />

Beginn des Baus <strong>der</strong> Arche, <strong>der</strong> übrigens nicht weniger als 120 Jahre<br />

lang dauerte, auch schon 100 Jahre auf dem Buckel, waren also<br />

offensichtlich Drillinge, und waren immer noch ohne Kin<strong>der</strong>. Sie halten<br />

das für übertrieben hohe Altersangaben? Wer das glaubt, kennt nicht die<br />

außerbiblischen Schriften an<strong>der</strong>er Völker, in denen sogar von noch<br />

höheren Altersangaben die Rede ist; so wird von einem König<br />

behauptet, er sei mehrere Tausend Jahre alt geworden.<br />

Nach <strong>der</strong> Sintflut fällt es aber auf, wie das Alter <strong>der</strong> Menschen sich im<br />

Verlauf <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te immehr mehr verringert hat. So wurden von<br />

den bekannten Männern aus <strong>der</strong> Bibel Abraham noch 175 Jahre alt,<br />

Isaak 180, Jakob 147 und Josef schon weniger, gerade noch 110, und<br />

so wie es in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht, starb er als erster von allen<br />

Söhnen Jakobs. Da aufgrund <strong>der</strong> Schrift herauszulesen ist, dass Ruben,<br />

<strong>der</strong> Erstgeborene, kaum mehr als dreissig Jahre älter war als Josef,<br />

heißt dies, dass mit Ausnahme Benjamins, des Jüngsten, alle an<strong>der</strong>en<br />

Brü<strong>der</strong> zwischen 110 und 140 Jahre zählten, als Josef starb, und dass<br />

<strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e wohl noch mehr als 130 Jahre alt wurde. Einen<br />

deutlichen Hinweis darauf gibt <strong>uns</strong> eine Stelle im zweiten Buch Mose, in<br />

<strong>der</strong> geschrieben steht, dass Levi, also <strong>der</strong> dritte Sohn Jakobs,<br />

mindestens 137-jährig wurde. Wenn wir annehmen, dass er etwas mehr<br />

85


als zwanzig Jahre älter war als Josef, hat er nach dem Tod des elften<br />

Bru<strong>der</strong>s also noch mindestens zehn Jahre gelebt; das stimmt ungefähr<br />

mit dem überein, was ich vorhin gesagt habe.<br />

Übrigens ist in diesem Zusammenhang interessant, dass nur von Josef<br />

und Levi deutlich gesagt wird, wie alt sie wurden - von Josef, weil er in<br />

den letzten Kapiteln des ersten Buches Mose eindeutig die Hauptfigur<br />

ist, und von Levi, weil Moses, Aaron und Mirjam direkt von ihm<br />

abstammten und Moses, <strong>der</strong> es schließlich wissen musste, bei <strong>der</strong><br />

Angabe des Stammbaums als eine nützliche Zusatzinformation auch<br />

dessen Alter angegeben hat. Von Ruben, dem Erstgeborenen, ist also<br />

nicht die Rede, aber auch nicht von Juda, von dem immerhin Jesus<br />

abstammte. Auch ein paar Jahrhun<strong>der</strong>te später, als Jakobs<br />

Nachkommen in Ägypten bekanntlich zu einem großen Volk<br />

heranwuchsen, wurden viele Menschen noch älter als heute. So brachte<br />

es Moses, <strong>der</strong> bekannteste Israelit dieser Epoche, immer noch auf 120<br />

und sein Nachfolger Josua auf 110 Jahre, aber von da an ging es schnell<br />

abwärts, bis es sich ungefähr zu <strong>uns</strong>erem heutigen Stand eingependelt<br />

hat - so starb David schon im Alter von siebzig Jahren, also selbst für die<br />

heutige Zeit fast etwas zu früh.“<br />

„Das tönt ja alles gut und recht“, wirft Hans wie<strong>der</strong> ein, als Hoveneel kurz<br />

innehält, „aber ist das Ganze nicht ein bisschen zu viel Spekulation?<br />

Soviel ich weiß, gibt es bis heute nicht den geringsten Beweis dafür,<br />

dass diese weltweite Sintflut wirklich stattgefunden hat, und<br />

Naturwissenschaftler wie Sie arbeiten doch nur mit Beweisen.“<br />

„Direkt bewiesen wie nach einer mathematischen Formel kann es wohl<br />

nicht werden, da muss ich Ihnen recht geben. Es gibt aber deutliche<br />

Hinweise darauf, vor allem das berühmte Gilgamesch-Epos, von dem<br />

Sie vielleicht auch schon gehört haben. Dieses hat mit <strong>der</strong> Bibel<br />

überhaupt nichts zu tun, vor allem wegen seiner Vielgötterei nicht, aber<br />

im Bereich <strong>der</strong> Sintflut stimmt es erstaunlicherweise fast völlig mit dem<br />

biblischen Bericht überein. Zudem gibt es rund um den Planeten<br />

verstreut Geschichten von einer großen Flut, welche die ganze Erde<br />

vollständig bedeckt hat, und die jahrtausendelang bis heute überliefert<br />

worden sind, zum Beispiel in den baltischen Län<strong>der</strong>n, in Afrika, in<br />

Polynesien und auch in Amerika; so waren die Spanier ganz erstaunt,<br />

als sie bei <strong>der</strong> Eroberung Mittelamerikas hörten, dass auch die Mayas<br />

von <strong>der</strong> Sintflut wussten. Umsonst kann sich diese Geschichte nicht um<br />

die ganze Welt verbreitet haben, so viele Zufälle auf einmal kann es<br />

nicht geben - das sagt <strong>uns</strong> schon allein <strong>der</strong> gesunde<br />

Menschenverstand.“<br />

„Okay, nehmen wir mal an, diese Sintflut habe tatsächlich stattgefunden<br />

- aber wie steht es denn mit den Tieren, die angeblich mit Noah und<br />

86


seiner Familie in <strong>der</strong> Arche waren? Hatte es da wirklich genug Platz?<br />

Und wie war es möglich, so viele völlig verschiedene Tierarten, die sich<br />

ja gegenseitig jagten und fraßen, wie Sie selber gesagt haben, unter<br />

dem gleichen Dach unterzubringen?“<br />

„Was den Platz betrifft, müssen wir zuerst einmal schauen, was in <strong>der</strong><br />

Bibel geschrieben steht: Da lesen wir, dass die Arche 300 Ellen lang, 50<br />

Ellen breit und 30 Ellen hoch war. Wenn wir davon ausgehen, dass eine<br />

Elle, also vom Ellbogen bis zum Ende des Mittelfingers, des längsten<br />

Fingers, bei einem durchschnittlich großen Mann ungefähr 45 Zentimeter<br />

misst, war die Arche ungefähr 135 Meter lang, 22,5 Meter breit und 13,5<br />

Meter hoch. Diese Masse kann ich Ihnen deshalb so schnell bringen,<br />

weil ich sie durch meine vielen Vorträge schon im Kopf habe, also nicht,<br />

weil ich ein beson<strong>der</strong>s guter Mathematiker bin. Selbst für die heutige Zeit<br />

war die Arche also ein großes Schiff, vor allem, was die Länge betrifft,<br />

und für die damalige Epoche erst recht. Es war bis zu diesem Zeitpunkt<br />

mit Sicherheit das größte, das es jemals zuvor gegeben hatte, wenn<br />

nicht gar das allererste überhaupt; es ist ja auch nichts von Schiffen in<br />

<strong>der</strong> Urzeit überliefert.<br />

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie denn diese Arche gebaut wurde und<br />

wie lange <strong>der</strong> Bau gedauert hat. Wie Sie vielleicht wissen, bestand<br />

Noahs Familie vor <strong>der</strong> Sintflut nur aus acht Personen, aus je vier<br />

Männern und Frauen. Da nicht anzunehmen ist, dass Noah und seine<br />

Söhne von den an<strong>der</strong>en, die sie ständig vor einer zukünftigen großen<br />

Flut warnten, Hilfe bekamen, mussten sie also zu viert das Werk<br />

vollbringen. Wenn wir <strong>uns</strong> vor Augen führen, mit welchen Hilfsmitteln sie<br />

arbeiteten, dauerte es sicher nicht nur ein paar Jahre, son<strong>der</strong>n ein paar<br />

Jahrzehnte, bis sie damit fertig waren. Sie hatten aber auch alle Zeit <strong>der</strong><br />

Welt, denn es steht in <strong>der</strong> Bibel noch vor Noah geschrieben, dass Gott<br />

<strong>der</strong> Menschheit eine Frist von 120 Jahren setzte. Stellen Sie sich vor,<br />

Herr Stettler! So viel Zeit hatte die damalige Menschheit, um noch zu<br />

Gott umzukehren, aber sie tat es nicht. Allein <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> Arche hat also<br />

mit Sicherheit ein paar Jahrzehnte gedauert, und dass die Männer durch<br />

diese Arbeit nicht wesentlich älter wurden, haben wir ja vorher bei den<br />

Altersangaben gesehen; es war halt noch eine ganz an<strong>der</strong>e Welt, die wir<br />

<strong>uns</strong> heute fast nicht mehr vorstellen können.<br />

Jetzt kommen wir aber noch auf die Platzverhältnisse in <strong>der</strong> Arche zu<br />

sprechen, schließlich wollen Sie ja auch darauf eine klare Antwort.<br />

Meinen Sie wirklich, es habe nicht genügend Platz für alle Tiere gehabt?<br />

Es steht doch klar geschrieben, dass Noah von den Landtieren und den<br />

Vögeln von je<strong>der</strong> Art nur je ein Paar mitnehmen sollte, also ein<br />

Männchen und ein Weibchen, damit ihre Art erhalten blieb. Steht aber<br />

geschrieben, dass es ausgewachsene Tiere waren, so dass es mit den<br />

Elefanten o<strong>der</strong> den Kamelen, Löwen und Tigern und so weiter<br />

87


tatsächlich hätte eng werden können? Nein, gerade dies steht nicht<br />

geschrieben; also können wir es zwar nicht beweisen, aber doch<br />

annehmen, dass mindestens die Landtiere noch nicht ausgewachsen<br />

waren.<br />

Dazu haben Sie mich noch gefragt, wie es möglich war, so viele<br />

verschiedene Tierarten, die sonst verfeindet waren und sich gegenseitig<br />

jagten und fraßen, in <strong>der</strong> Arche unterzubringen. Auch auf diese Frage<br />

kann ich Ihnen eine Antwort geben, aber ich muss dazu ein wenig<br />

ausholen: Es hat sich immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass Tiere ihre Feindschaft<br />

untereinan<strong>der</strong> vergessen, wenn sie spüren, dass eine Gefahr, wenn<br />

nicht gar eine Katastrophe aufkommt, die sie alle gleichermaßen<br />

bedroht. Dass sie dafür einen sechsten Sinn haben, zum Beispiel vor<br />

einer Überschwemmung o<strong>der</strong> einem Erdbeben, wissen Sie sicher<br />

ebenfalls. Zu diesem Thema kann ich Ihnen gleich ein Beispiel aus<br />

meinem eigenen Leben erzählen: Im Verlauf meines Studiums und<br />

meiner späteren Forschungsarbeiten ergab es sich von selbst, dass ich<br />

immer wie<strong>der</strong> in den Nahen Osten und damit auch in die Wüstengebiete<br />

reiste. Dort fiel mir jedes Mal auf, dass die Hunde und Katzen, die ich<br />

traf, zu den Menschen viel zutraulicher waren als jene, die außerhalb <strong>der</strong><br />

Wüste lebten, und sich sogar ohne weiteres streicheln ließen. Warum<br />

war das wohl so? Da zeigte sich <strong>der</strong> uralte Trieb des Beschütztwerdens<br />

<strong>der</strong> Haustiere, die in <strong>der</strong> Wüste ohne die Menschen nicht leben können,<br />

da sie auf sie angewiesen sind und nur vom Futter leben können, das<br />

diese ihnen geben. So ergibt sich schon fast von selbst ein vertraulicher<br />

Kontakt, auch wenn wir davon ausgehen können, dass die meisten<br />

Reisenden in <strong>der</strong> Wüste keine Abneigung gegen Tiere empfinden, vor<br />

allem auch deshalb nicht, weil sie ja oft auf Kamele und Dromedare<br />

angewiesen sind; diese Einstellung spüren eben auch die Hunde und<br />

Katzen, mit denen sie zu tun haben.<br />

Um jetzt wie<strong>der</strong> auf die Arche und die Sintflut zurückzukommen:<br />

Glauben Sie mir, Herr Stettler! Als es so weit war, hatten auch diese<br />

Tiere keine Angst vor Noah und seiner Familie, zumal sie von ihnen<br />

sicher gut behandelt wurden. Die Angst vor <strong>der</strong> kommenden<br />

Katastrophe, <strong>der</strong> ersten und auch größten in <strong>der</strong> ganzen<br />

Menschheitsgeschichte, ließ sie zudem jede bisherige Feindschaft<br />

untereinan<strong>der</strong> vergessen, und Gott selbst hat sicher auch noch seinen<br />

Anteil dazu beigetragen, dass das Unternehmen Arche gut verlief - das<br />

heißt für jene, die drinnen waren. Da fällt mir in diesem Zusammenhang<br />

noch etwas ein: Wissen Sie, woher <strong>der</strong> Regenbogen kommt, und wann<br />

er zum ersten Mal erschienen ist?“<br />

«Nein, natürlich nicht», antwortet Hans leicht verlegen.<br />

„Das ist es gerade! Es ist schon erstaunlich, dass die meisten Leute<br />

behaupten, die Sintflut sei nur ein Märchen, ohne sich auch nur ein<br />

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einziges Mal die Mühe zu nehmen, diese Geschichte genau zu lesen.<br />

Wenn sie das täten, würden sie sehen, woher <strong>der</strong> Regenbogen kommt.<br />

Keine einzige naturwissenschaftliche Analyse konnte das bis heute<br />

beweisen, aber in <strong>der</strong> Bibel steht es geschrieben: Er ist das Zeichen des<br />

neuen Bundes, den Gott mit <strong>der</strong> Menschheit geschlossen hat - mit dem<br />

Versprechen, dass es nie mehr eine Sintflut von diesem Ausmaß geben<br />

wird, und sei die Menschheit noch so verdorben, und bis heute hat er<br />

sich an dieses Versprechen gehalten.“<br />

„Okay, gehen wir also davon aus, dass diese Sintflut sich tatsächlich<br />

so ereignet hat, wie Sie glauben. Warum hat man aber die Arche bis<br />

heute nie gefunden? Wenn sie zuoberst auf einem hohen Berg<br />

gestrandet ist, wie es immer geheißen hat, kann sie doch nicht von<br />

Geröll o<strong>der</strong> einem Gletscher vollständig zugedeckt worden sein, sogar<br />

nach so vielen Jahrtausenden nicht.“<br />

„Doch, Herr Stettler, wenn wir das berücksichtigen, was ich vorher in<br />

Bezug auf die Berge gesagt habe: Dass sie vor <strong>der</strong> Sintflut noch nicht so<br />

hoch waren wie heute und erst danach im Verlauf <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te so<br />

weit aufstiegen. Ein deutlicher Hinweis darauf ist zum Beispiel die<br />

berühmte Inka-Stadt auf Machupicchu, von <strong>der</strong> wir heute wissen, dass<br />

sie ursprünglich nicht auf dieser Höhe errichtet wurde, son<strong>der</strong>n viel<br />

weiter unten, wie ich Ihnen das schon gesagt habe; so müssen wir das<br />

Gleiche auch bei <strong>der</strong> Arche annehmen.<br />

Trotzdem werden Sie jetzt überrascht sein, von mir zu hören, dass sie<br />

bereits entdeckt worden ist, und zwar zu Beginn des letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts. Warum die Welt bis heute fast nichts davon weiß, hängt<br />

mit einer unglücklichen Verkettung von historischen Ereignissen<br />

zusammen, aber natürlich auch damit, dass die antigöttlichen und<br />

antichristlichen Medien seitdem alles unternommen haben, um die<br />

Existenz <strong>der</strong> Arche und ihre Entdeckung zu unterschlagen, und lei<strong>der</strong> ist<br />

ihnen das auch gelungen. - Also, dann erzähle ich Ihnen jetzt in einer<br />

kurzen Zusammenfassung die Geschichte ihrer Entdeckung: Es war<br />

noch während des Ersten Weltkriegs, als eine Einheit von russischen<br />

Militärpiloten ungefähr vierzig Kilometer vom Berg Ararat, auf dem die<br />

Arche nach den biblischen Angaben gestrandet ist, auf armenischem<br />

Gebiet stationiert war, das damals auch noch zu Russland gehörte.<br />

Eines Tages bekamen zwei von ihnen den Auftrag, ein Flugzeug mit<br />

einem neuen Spezialinstrument an Bord zu testen, also einen Probeflug<br />

zu machen. Das war zu jener Zeit noch jedes Mal etwas völlig Neues,<br />

denn die Fliegerei steckte immer noch in den Kin<strong>der</strong>schuhen, auch wenn<br />

schon im Ersten Weltkrieg Luftkämpfe ausgetragen wurden; diese waren<br />

aber vom militärstrategischen Standpunkt aus gesehen völlig sinnlos,<br />

weil auch die sogenannten Spionageflüge zum Auskundschaften <strong>der</strong><br />

feindlichen Stellungen fast nichts einbrachten. Es war viel mehr Bluff und<br />

89


Macho-Angeberei sowie ein noch nicht ausgestorbenes Denken von<br />

Heldentum <strong>der</strong> Piloten, die sie solche Kämpfe austragen ließen, und<br />

dazu gehörte auch, dass bei ihnen nicht einmal <strong>der</strong> Gedanke aufkam,<br />

einen Fallschirm mit sich zu führen; wer getroffen wurde, <strong>der</strong> wurde halt<br />

getroffen und hatte gefälligst abzustürzen.<br />

Da an jenem Tag sehr schönes Wetter herrschte und <strong>der</strong> Berg Ararat in<br />

verlocken<strong>der</strong> Nähe lag, kam dem Piloten plötzlich die Idee, diesen direkt<br />

anzufliegen. Nachdem er ihn erreicht und ein paar Mal umflogen hatte,<br />

entdeckten die beiden auf einmal in einem See etwas, das an ein Schiff<br />

erinnerte und noch erstaunlich gut erhalten war. Sofort kehrten sie<br />

zurück und erzählten ihren Kameraden vom Fund; diese lachten sie<br />

zuerst aus, bis ein Hauptmann, <strong>der</strong> Kommandant <strong>der</strong> Fliegerstaffel, die<br />

beiden dazu auffor<strong>der</strong>te, ihm die Stelle zu zeigen. Also flogen sie noch<br />

einmal hin und nachdem auch <strong>der</strong> Hauptmann das Schiff gesehen hatte,<br />

erklärte er ihnen nach <strong>der</strong> Rückkehr, dass sie mit Sicherheit die Arche<br />

Noah entdeckt hatten. Ob er ein gläubiger Christ war o<strong>der</strong> nicht, wissen<br />

wir nicht, doch mit seiner Aussage trug er entscheidend dazu bei, dass<br />

die beiden Piloten ernsthaft über die Sintflut und damit auch über Gott<br />

nachzudenken begannen und sich später zu Jesus Christus bekehrten;<br />

das wissen wir, weil <strong>der</strong> betreffende Pilot diese Geschichte später erzählt<br />

hat.<br />

Erst jetzt wurde wie<strong>der</strong> daran erinnert, dass die Armenier, die im späten<br />

Altertum noch eine Regionalmacht gewesen waren und auch nach dem<br />

Verlust dieser Stellung noch viele Jahrhun<strong>der</strong>te lang rund um den Berg<br />

Ararat gewohnt hatten, sehr wohl wussten, dass ganz oben etwas lag,<br />

das wie ein Schiff aussah. Da dieser Berg für sie aber heilig war - also<br />

ähnlich wie <strong>der</strong> Uluru für die Aborigines in Australien - und <strong>der</strong><br />

Alpinismus noch nicht Mode war, stieg niemand auf diesen Berg, <strong>der</strong><br />

immerhin auch mehr als 5'000 Meter hoch liegt. So verschwand im<br />

Verlauf <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te immer mehr von <strong>der</strong> Arche, aber ein Teil davon<br />

konnte immer noch gesehen werden - allerdings offensichtlich nicht von<br />

denen, die diesen Berg schon um das Jahr 1820 zum ersten Mal<br />

besiegen hatten.<br />

Nachdem also <strong>der</strong> Hauptmann seine Untergebenen darüber aufgeklärt<br />

hatte, was sie entdeckt hatten, schickte er einen Bericht an die<br />

Regierung und an den Zaren, <strong>der</strong> nominell sein ranghöchster<br />

militärischer Vorgesetzter und immer noch an <strong>der</strong> Macht war. Dieser<br />

zeigte sich sehr interessiert und ordnete an, dass eine Expedition von<br />

Soldaten ausgerüstet werden sollte, die den Berg ersteigen sollte, um<br />

sich das Schiff näher anzuschauen und Fotografien zu machen. Wie wir<br />

heute wissen, war Nikolaus <strong>der</strong> Zweite zwar ein schwacher Zar, <strong>der</strong><br />

mehrere dumme Fehler machte - vor allem <strong>der</strong> Befehl an seine Truppen,<br />

den Serben beizustehen, was zum Ersten Weltkrieg und später zu<br />

90


seinem Sturz und zur Ermordung <strong>der</strong> ganzen Zarenfamilie <strong>führt</strong>e -, aber<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Fotografie, die damals genauso wie die Fliegerei<br />

noch in den Kin<strong>der</strong>schuhen steckte, gehörte er zu den fortschrittlichsten<br />

Pionieren. Gerade aus diesem Grund sind so viele Aufnahmen und auch<br />

Filme mit seinen Familienangehörigen entstanden, und die meisten sind<br />

noch bis heute erhalten geblieben.<br />

So stiegen also ungefähr 150 Mann von zwei Seiten auf und nach einem<br />

Monat erreichten sie tatsächlich die Arche. Sofort machten sie sich<br />

daran, Messungen vorzunehmen, Zeichnungen anzufertigen und<br />

Fotografien zu machen. In <strong>der</strong> Arche selber, die nur etwa zu einem<br />

Viertel unter Wasser stand, entdeckten die Männer Hun<strong>der</strong>te von<br />

verschieden großen Räumen, in denen also ohne weiteres viele Tiere<br />

untergebracht werden konnten, und sie erkannten zudem, dass das<br />

verwendete Holz ein ganz spezielles war, das dem natürlichen Zerfall<br />

noch sehr lange wi<strong>der</strong>stehen konnte. So hat dieses Holz zusammen mit<br />

dem wachsähnlichen Material, das darübergestrichen wurde, und<br />

natürlich mit <strong>der</strong> Kälte dort oben wesentlich dazu beigetragen, dass die<br />

Arche bis zu diesem Zeitpunkt gut erhalten geblieben war. All diese<br />

Erkenntnisse wurden dem Zaren gemeldet, indem das ganze Material<br />

mitsamt den Negativen geschickt wurde, doch bevor dieser dazu kam,<br />

es richtig auswerten zu lassen, wurde er von seinem Thron gestürzt,<br />

allerdings noch nicht von den Bolschewisten, aber auch die Leute unter<br />

Kerenski waren gegen ihn. Das war <strong>der</strong> zweite böse Fehler von Kerenski<br />

- neben dem noch schwerwiegen<strong>der</strong>en, dass er den Krieg gegen<br />

Deutschland und Österreich-Ungarn nicht rechtzeitig beendete, son<strong>der</strong>n<br />

weiter<strong>führt</strong>e und damit <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong>bande um Lenin, Trotzi und Stalin<br />

noch zusätzliche Schützenhilfe für den nächsten Sturz lieferte, bei dem<br />

auch er selber am Ende die Macht verlor.<br />

Ein halbes Jahr später kamen also die Bolschewisten an die Macht, und<br />

da diese bekanntlich aggressive Atheisten waren und das auch damit<br />

bewiesen, dass sie in kurzer Zeit Zehntausende von Christen und auch<br />

Moslems erschossen, unternahmen sie alles, um jedes Beweismaterial<br />

zu diesen Funden zu vernichten. So sind <strong>uns</strong> nur noch die mündlichen<br />

Berichte <strong>der</strong> Piloten geblieben, denen nach <strong>der</strong> Russischen Revolution<br />

die Flucht in den Westen geglückt ist - natürlich mit Flugzeugen. Warum<br />

seitdem keine Versuche mehr unternommen wurden, dieser Sache noch<br />

einmal genauer nachzugehen, kann ich auch nicht sagen. Von <strong>der</strong><br />

Türkei aus, die damals von Atatürk und seinen engsten Getreuen und<br />

damit auch von antireligiösen und sogar antiislamischen Kräften regiert<br />

wurde, wäre es schließlich noch möglich gewesen, doch aus<br />

irgendeinem Grund, den die an<strong>der</strong>e, also die satanische Seite, benützt<br />

hat, um die Wahrheit des biblischen Berichts um jeden Preis zu<br />

unterdrücken, hat man es dabei bewenden lassen. Als dann in den<br />

91


Sechziger- und Siebzigerjahren endlich wie<strong>der</strong> Versuche unternommen<br />

wurden, die Arche zu finden, gelang das nicht mehr. Wahrscheinlich<br />

wurde sie nachträglich doch noch im Wasser o<strong>der</strong> noch tiefer begraben,<br />

doch wir wissen das nicht mit Sicherheit. Es kann aber auch sein, dass<br />

die Bolschewisten nachträglich die Zerstörung befohlen und dafür<br />

gesorgt haben, dass sämtliche militärischen Dokumente darüber<br />

verbrannt wurden. Denen konnte ja wirklich alles zugetraut werden,<br />

wenn wir daran denken, wie viele Kirchen, Kapellen und Klöster zerstört<br />

und wie viele Christen massakriert wurden - aber keineswegs nur von<br />

den Kommunisten.<br />

Wie Sie sicher auch wissen, wurden damals im gleichen Jahrzehnt auch<br />

mehr als eine Million Armenier von den sogenannten Jungtürken<br />

abgeschlachtet, zu denen auch Atatürk gehörte. Es passt zum<br />

islamischen Denken, dass die offizielle Türkei sich noch bis heute<br />

weigert, diesen Völkermord anzuerkennen, und allen westlichen Staaten,<br />

die darauf drängen, damit das Land <strong>der</strong> EU beitreten kann, mit<br />

wirtschaftlichen Sanktionen drohen, und lei<strong>der</strong> sind die Türken bis zu<br />

einem Grad dazu fähig; so könnten sie das ganze Schwarze Meer für<br />

den internationalen Schiffsverkehr sperren, und dann könnten nicht<br />

einmal Russland und die Ukraine, die das natürlich als eine<br />

Kriegserklärung auffassen müssten, viel daran än<strong>der</strong>n.<br />

Was aber immer noch zu wenig bekannt wurde, ist die Tatsache, dass<br />

nicht nur mehr als eine Million Armenier, son<strong>der</strong>n auch noch mehrere<br />

100'000 christliche Assyrer, <strong>der</strong>en paar Tausend Nachkommen noch<br />

heute Aramäisch, also die Muttersprache des Herrn sprechen, auf die<br />

gleiche Weise abgeschlachtet wurden. Doch im Gegensatz zu den<br />

Armeniern, die im bekannten Sänger Charles Aznavour noch einen<br />

Vetreter hatten, <strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong> auf diesen Völkermord hinwies -<br />

schließlich waren seine Eltern echte Armenier -, hatte dieses Volk nie<br />

eine so bekannte Persönlichkeit, und das hat sich noch bis heute<br />

insofern als verhängnisvoll erwiesen, als in <strong>der</strong> ganzen Welt offiziell noch<br />

nie auch von diesem zweiten massiven Völkermord im gleichen<br />

Jahrzehnt geredet wurde. Stellen Sie sich vor, in welche bedrängte Lage<br />

die Türkei erst recht käme, wenn auch nur einer <strong>der</strong> Politikerinnen und<br />

Politiker, die in <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Reihe stehen, endlich einmal den Mut<br />

aufbringen würde, auch darüber zu sprechen! Es wäre wirklich tragisch,<br />

würde aber auch gut zum anpasserischen und feigen Geist dieser Welt<br />

passen, wenn es nochmals ein paar Jahrzehnte dauern würde, bis<br />

endlich auch von den Assyrern gesprochen wird, wenn wir daran<br />

denken, dass es bei den Armeniern und dazu auch bei den Tibetern, die<br />

bekanntlich von einem an<strong>der</strong>en mächtigen Staat unterdrückt wurden, so<br />

lange gedauert hat.<br />

Ich spreche darum von Anpassertum und Feigheit, weil von den<br />

92


Armeniern und Tibetern offiziell nie die Rede sein durfte, solange die<br />

Türkei während des sogenannten Kalten Kriegs ein strategisch wichtiger<br />

NATO-Partner war und solange die Kommunisten und Sozialisten einen<br />

auffallend großen Teil <strong>der</strong> westlichen Presse kontrollierten und China als<br />

ein rotes Vorzeige-Paradies galt. Erst als im Jahr 1989 das<br />

Friedensnobelpreis-Komitee in Oslo ausnahmsweise die<br />

opportunistische Fahne nicht in den Wind hängte wie so viele Male<br />

vorher und auch nachher und diesen Preis dem Dalai Lama zusprach,<br />

<strong>der</strong> bekanntlich immer für einen gewaltlosen Kampf eingetreten war,<br />

wurde dieses Land auch für die linke Szene salonfähig, und dazu hat<br />

sicher auch beigetragen, dass innerhalb von nur wenigen Wochen zuerst<br />

die Mauer in Berlin fiel und kurz darauf eine kommunistische Regierung<br />

nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en in Osteuropa gestürzt wurde - Gott sei Dank, können<br />

wir da nur sagen, und ich bin sicher, dass <strong>der</strong> Allmächtige damals noch<br />

höchstpersönlich mitgeholfen hat.<br />

Was jetzt dieses doppelte Abschlachten <strong>der</strong> Armenier und Assyrer und<br />

teilweise auch noch <strong>der</strong> Griechen betrifft, die in Kleinasien lebten,<br />

müssen wir wissen, dass es nicht nur Türken waren, denn es haben sich<br />

auch auffallend viele Kurden daran beteiligt. Das scheint heute seltsam,<br />

wenn wir daran denken, dass diese beiden Völker schon seit<br />

Jahrzehnten verfeindet sind und dass in <strong>der</strong> Region, die als ‚Kurdistan’<br />

bezeichnet wird - also von <strong>der</strong> Türkei über Syrien, Nordirak und Westiran<br />

-, noch heute kein Friede herrscht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass<br />

die meisten Kurden genauso wie die Türken Moslems sind, und so<br />

rechneten sich ihre Anführer aus, dass das Beseitigen <strong>der</strong> Armenier und<br />

Assyrer ihnen mehr Lebensraum verschaffen würde, und sie bekamen<br />

damit tatsächlich Recht. Die Kurden waren und sind also nicht nur Opfer,<br />

wie das seit Jahrzehnten in <strong>der</strong> ganzen Welt verbreitet wird, son<strong>der</strong>n es<br />

hat sich ein Teil von ihnen auch schuldig gegenüber zwei an<strong>der</strong>en<br />

Völkern gemacht.»<br />

Dann legt er eine kurze Verschnaufpause ein, setzt aber sogleich wie<strong>der</strong><br />

ein: «Jetzt bin ich etwas ausgeschweift, aber ich denke, dass ich es<br />

diesen beiden christlichen Völkern, die sich neben den Georgiern als<br />

Erste zum Christentum bekehrt haben, ganz einfach schuldig bin, diesen<br />

Völkermord bei je<strong>der</strong> sich bietenden Gelegenheit zu erwähnen. Ich wollte<br />

aber auch noch diese Geschichte vom Fund <strong>der</strong> Arche zu Ende<br />

erzählen, und wenn ich mich richtig erinnere, bin ich bei diesen Piloten<br />

und den übrigen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fliegerstaffel und <strong>der</strong> Expedition stehen<br />

geblieben. Wir können davon ausgehen, dass fast allen zwar noch die<br />

Flucht gelungen ist, dass sie aber wahrscheinlich aus Angst<br />

jahrzehntelang geschwiegen haben, und wenn sie doch versucht hätten,<br />

darüber zu berichten, wären sie wohl totgeschwiegen o<strong>der</strong> gar<br />

93


umgebracht worden. Sie wissen ja sicher auch, dass früher die<br />

kommunistischen Geheimdienste genauso wie heute die Islamisten in<br />

<strong>der</strong> ganzen Welt gewirkt und viele noch im Exil ermordet haben, so auch<br />

Trotzki, dem es nichts genützt hat, dass er sich in Mexiko versteckte.<br />

Immerhin können wir von diesem sagen, dass er im Gegensatz zu Lenin,<br />

Stalin und Mao, die einen natürlichen Tod erleben konnten, nachträglich<br />

doch noch seine Strafe bekommen hat, wenn wir daran denken, wie<br />

viele Morde allein auf sein Konto gehen. So wissen wir, dass er <strong>der</strong><br />

eigentliche Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Roten Armee war, und da diese zu Beginn zu<br />

wenige gut ausgebildete Offiziere hatte, zwang er Tausende, die nach<br />

dem Ersten Weltkrieg noch unversehrt in die Heimat zurückgekehrt<br />

waren, zum Eintritt. Wer sich weigerte, wurde natürlich sofort und<br />

mitsamt seinen Angehörigen und oft auch Verwandten bis zu allen<br />

Kleinkin<strong>der</strong>n und Babys erschossen, und wenn es herauskam, dass <strong>der</strong><br />

eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sich den sogenannten Weißen angeschlossen hatte,<br />

die gegen die Bolschewisten kämpften, mussten ihre Angehörigen und<br />

Verwandten den gleichen Preis bezahlen. Trotzki war also keineswegs<br />

dieser gutmütige Bartträger, <strong>der</strong> gegen den bösen Stalin kämpfte und<br />

dabei den Machtkampf verlor und zur Flucht ins Exil getrieben wurde,<br />

wie er seit Jahrzehnten noch heute von den meisten Linken und auch<br />

bürgerlich gesinnten Leuten dargestellt wird. Das Gleiche betrifft auch<br />

Leute wie Fidel Castro, Che Guevara und HoTschi Minh, die eine ähnlich<br />

gute Presse haben, aber es würde zu weit führen, wenn ich jetzt auch<br />

noch auf diese Massenmör<strong>der</strong> näher eingehen würde.<br />

Was jetzt dieses entdeckte Schiff betrifft, sind das alles natürlich nur<br />

Spekulationen, die <strong>uns</strong> nicht weiterbringen und <strong>uns</strong> im Gegenteil umso<br />

deutlicher vor Augen führen, dass damals eine einmalige historische<br />

Chance verpasst worden ist. Für einmal war es ein fataler Fehler, dass<br />

das ganze Material sofort <strong>der</strong> Regierung geschickt wurde, ohne daran zu<br />

denken, dass diese gestürzt werden könnte. Trotzdem zweifle ich nicht<br />

daran, dass auch die Geschichte von <strong>der</strong> Sintflut und <strong>der</strong> Arche sich<br />

wirklich so ereignet hat, wie sie in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht, und dass<br />

seitdem für die ganze Menschheit ein neuer Abschnitt begonnen hat.“<br />

Nach diesen Worten schweigen sie wie<strong>der</strong> eine kleine Weile, bis Hans<br />

einsetzt: „Okay, Herr Hoveneel, da Sie jetzt gerade dabei waren, von <strong>der</strong><br />

Menschheit als Ganzes zu sprechen, können wir jetzt auch zu dem<br />

Thema kommen, das wir noch nicht behandelt haben, obwohl es im<br />

Grunde genommen das ist, was die Leute am meisten interessiert.“<br />

„Ja, ich weiß“, hakt Hoveneel sofort wie<strong>der</strong> ein, „Sie wollen von mir<br />

endlich auch einmal wissen, ob die Menschen von den Affen abstammen<br />

o<strong>der</strong> nicht o<strong>der</strong> ob wir tatsächlich von einem Gott erschaffen worden sind<br />

- mit an<strong>der</strong>en Worten, ob die Evolutionstheorie überhaupt stimmt. Dazu<br />

94


muss ich aber ein wenig ausholen: Erinnern Sie sich noch daran, was ich<br />

gerade vorhin gesagt habe, als Noah von Gott den Auftrag bekam, von<br />

allen Landtieren und Vögeln je ein Paar nach seiner Art mit in die Arche<br />

zu nehmen? Ich betone ‚nach seiner Art’, wie das im Schöpfungsbericht<br />

so geschrieben steht. Wenn es also schon von Anfang an verschiedene<br />

Tiere nach ihrer eigenen Art gab, ohne dass von einer Evolution die<br />

Rede ist, muss das logischerweise auch noch heute so sein.<br />

Wer sich ernsthaft und ohne Vorurteile damit auseinan<strong>der</strong>setzt, erkennt<br />

schon bald, dass es unmöglich eine Evolution gegeben haben kann. Bis<br />

heute gibt es keinen einzigen klaren Beweis für diese sogenannten<br />

‚missing links’, also Zwischenstufen, die eine Evolution untermauern. So<br />

hat es sich auch beim ausgestorbenen sogenannten Archäopterix, von<br />

dem Sie wahrscheinlich auch schon gehört haben, deutlich gezeigt, dass<br />

er überhaupt kein Bindeglied zwischen einem Reptil und einem Vogel<br />

sein konnte, son<strong>der</strong>n tatsächlich ein Vogel war, weil die Flügel schon voll<br />

ausgebildet und die Knochen so dünn wie bei Vögeln waren, also einer<br />

Evolution völlig wi<strong>der</strong>sprechen. So gibt es bis heute auch keinen<br />

einzigen klaren Beweis dafür, dass die Amphibien wie etwa die Frösche<br />

sich aus den Fischen entwickelt haben, dass die Elefanten direkt von<br />

den Mammuts abstammen o<strong>der</strong> dass die Löwen und Tiger an<strong>der</strong>e<br />

Vorfahren hatten. Das zeigt sich auch darin, dass es fast nie gelingt, eine<br />

Tierart mit einer an<strong>der</strong>en zu kreuzen, um Junge hervorzubringen, und<br />

wenn es durch einen reinen Zufall doch gelingt, sind diese Zwitter nicht<br />

fortpflanzungsfähig. Gott lässt sich eben nicht in sein Handwerk<br />

pfuschen und wenn es noch einen Beweis dafür braucht, dann den, dass<br />

auch die geklonten Tiere sich nicht weiter fortpflanzen können und viele<br />

von ihnen missgebildet zur Welt kommen o<strong>der</strong> sogar vor <strong>der</strong> Geburt im<br />

Mutterleib sterben; nur wird das von den Medien fleißig verschwiegen -<br />

und wir wissen auch warum.<br />

Dass ein solcher Zwitter nicht fortpflanzungsfähig ist, hat man vor Jahren<br />

übrigens auch beim sogenannten ‚Liger’ gesehen, <strong>der</strong> als eine Mischung<br />

zwischen einem Löwen und einem Tiger entstanden ist, aber auch beim<br />

sogenannten ‚Kama’, einer Mischung zwischen einem Kamel und einem<br />

Lama. Selbst diese paar wenigen Kreuzungen waren aber nur deshalb<br />

möglich, weil die Löwen und Tiger als Raubtiere verwandte Gene<br />

aufweisen, genauso wie die Kamele und Lamas, die immerhin<br />

gemeinsam haben, dass sie den Menschen als nützliche Lasttiere<br />

dienen. Ansonsten sind bis heute keine Kreuzungen außerhalb einer<br />

eigenen Art möglich, aber außerhalb einer Tierrasse, die nicht mit einer<br />

Art verwechselt werden darf, alles Mögliche, zum Beispiel unter den<br />

verschiedenen Hunden- und Katzenrassen. Diese strenge Trennung<br />

nach den Arten zeigt sich aber nicht nur bei den Landtieren, son<strong>der</strong>n<br />

auch bei den Vögeln, obwohl diese untereinan<strong>der</strong> noch mehr verwandte<br />

95


Gene aufweisen, und sogar bei den Fischen; jedenfalls hat man bis<br />

heute noch nie feststellen können, dass solche Kreuzungen möglich sind<br />

und deshalb auch vorkommen. Das wäre aber eine klare Bedingung, um<br />

eine Evolution zu belegen, weil alle Meerestiere die gleichen o<strong>der</strong><br />

mindestens ähnliche Gene haben müssten, wenn tatsächlich alle sich<br />

aus dem gleichen Urtier entwickelt hätten.<br />

Das Gleiche gilt übrigens auch für die Dinosaurier, von denen die<br />

Wissenschaft in <strong>der</strong> heutigen Zeit angeblich schon fast alles weiß. Dass<br />

die Pflanzen fressenden Brontosauriere sich mit den Fleisch fressenden<br />

Tyrannosaurus nicht kreuzen konnten, liegt auf <strong>der</strong> Hand, aber es fehlt<br />

bis heute eine Erklärung dafür, warum sie sich zum Beispiel nie mit den<br />

Stegosaurieren gekreuzt haben, die ja ebenfalls Pfanzenfresser waren<br />

und als Markenzeichen ein großes Einhorn hatten und eine Art Kamm<br />

auf dem Kopf trugen. Wenn schon all diese Tiere sich durch eine<br />

Evolution entwickelt haben, hätten solche Kreuzungen doch ohne<br />

weiteres möglich sein müssen, weil gerade diese ja artenverwandt<br />

waren. Es gibt aber keinen einzigen Hinweis darauf, dass so etwas<br />

geschehen ist, im Gegenteil, es ist nichts weiter als dies bekannt, dass<br />

die Saurier genauso wie die heute noch lebenden Tiere immer nur in<br />

ihrer eigenen Art unter sich geblieben sind.<br />

Da ich schon dabei bin, von den Bewohnern <strong>der</strong> Ozeane und Meere zu<br />

sprechen, muss ich auch dies klarstellen: Natürlich haben all jene<br />

überlebt, die von den Geröllmassen, von denen ich vorhin erzählt habe,<br />

nicht bedeckt wurden - damit aber auch sehr viele Dinosaurier, die nur in<br />

den Gewässern lebten. Wenn ich vorhin gesagt habe, dass die Landtiere<br />

mit Ausnahme <strong>der</strong>er, die in <strong>der</strong> Arche waren, umgekommen sind, gilt das<br />

natürlich auch für die Dinosaurier, aber eben nur für jene, die auf dem<br />

Land lebten, und für die Flugtiere - den Namen ‚Vogel’ verwende ich jetzt<br />

bewusst nicht. Dass die Dinosaurier nicht endgültig ausgestorben sind,<br />

zeigen <strong>uns</strong> neben den Riesenechsen, die es auf den Galapagos-Inseln<br />

immer noch gibt, die aber nur als entfernte Verwandte gelten, die sich<br />

weiterentwickelt haben, immer wie<strong>der</strong> neue Entdeckungen von scheinbar<br />

außergewöhnlichen Monstren. Dabei brauchen wir nicht jedes Mal an die<br />

legendäre Nessie vom schottischen Loch Ness zu denken, die vielleicht<br />

doch existiert. Ich kann an dieser Stelle nur bestätigen, was ein<br />

bekannter Naturwissenschaftler schon vor vielen Jahren gesagt hat: Wir<br />

wissen noch längst nicht über alles Bescheid, was sich in den Tiefen <strong>der</strong><br />

Ozeane aufhält. Damit hatte er auch insofern Recht, als <strong>der</strong> Marianenund<br />

<strong>der</strong> Tongagraben, die beiden tiefsten <strong>der</strong> Welt, noch bis heute nur<br />

schwach erforscht worden sind.“<br />

Erneut legt er eine kleine Verschnaufpause ein, bis er fortfährt: „Was nun<br />

eine mögliche Evolution betrifft, muss ich betonen, dass bei <strong>der</strong><br />

96


Datierung von Tieren und damit auch <strong>der</strong> Menschen zum Teil<br />

haarsträubend fahrlässig umgegangen worden ist. Da kam es zum<br />

Beispiel vor, dass ein Insekt, das in einem angeblich Millionen Jahre<br />

alten Gestein gefunden wurde, als ausgestorben galt - dabei lebt es<br />

noch heute. Ebenfalls ist es vor nicht allzu langer Zeit vorgekommen,<br />

dass es bei einem an<strong>der</strong>en Insekt hieß, die an<strong>der</strong>e Farbe als die eines<br />

seiner Vorgänger in <strong>der</strong> Evolution sei ein klarer Beweis für eine<br />

allmähliche Mutation - dabei wurde übersehen, dass es dort, wo es lebte,<br />

allein wegen <strong>der</strong> Luftverschmutzung die an<strong>der</strong>e Farbe bekommen hatte.<br />

Die gleichen haarsträubenden Fehler, die aber oft auch bewusst<br />

gemacht wurden, um eine Evolution um jeden Preis herbeizureden,<br />

haben sich auch bei den Affen und den Menschen wie<strong>der</strong>holt. So wurde<br />

aus den Knochen eines alten Mannes, <strong>der</strong> vor ein paar Jahrzehnten an<br />

Gicht gestorben war, ohne weiteres Diskutieren <strong>der</strong> Nean<strong>der</strong>taler<br />

konstruiert, und in einem an<strong>der</strong>en Fall kam es sogar vor, dass <strong>der</strong> Zahn<br />

einer ausgestorbenen Schweineart als fehlendes Beweisstück<br />

vorgebracht wurde.<br />

Ich will jetzt aber nicht näher auf diese pseudowissenschaftlichen<br />

Schmierenkomödien eingehen, weil das auch Ihnen nichts bringen<br />

würde und weil ich es auch zu blöd finde. Das gilt auch für die Aussage<br />

von Evolutionisten, die als eine kleine Kompromisslösung vorgeschlagen<br />

haben, dass man die Geschichte von Adam und Eva zwar als Ergänzung<br />

noch akzeptieren könne, dass es jedoch schon vorher eine<br />

präadamitische Rasse gab, die sich aus den Affen entwickelt hatte, und<br />

dass Kain mit einer dieser Frauen Nachkommen gezeugt hat. Auch<br />

diese Aussage kann aus zwei Gründen nicht stimmen: Erstens gibt es<br />

keine Beweise dafür, dass in den letzten 10'000 Jahren neben dem<br />

heutigen sogenannten Homo sapiens noch eine an<strong>der</strong>e Menschenart<br />

existiert hat, und zweitens steht im ersten Buch Mose, Kapitel drei, Vers<br />

zwanzig, ebenfalls deutlich, dass Eva die Mutter aller Lebendigen ist.<br />

Damit sind die Menschen gemeint - und wie wir heute sehen können,<br />

hatte Gott seinen ganz bestimmten Grund, warum er diesen Satz von<br />

Moses nie<strong>der</strong>schreiben ließ. So liegt es nahe, dass Kains Frau nur eine<br />

seiner Schwestern sein konnte, die schon damals lebte, als er die<br />

Familie nach dem Mord an seinem Bru<strong>der</strong> Abel verlassen musste, denn<br />

es steht ebenfalls geschrieben, dass Adam und Eva über Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

hinweg Söhne und Töchter gezeugt haben, also noch vor diesem<br />

Ereignis. Damals war es noch möglich, mit einer Schwester Kin<strong>der</strong> in die<br />

Welt zu stellen, weil Gott die Inzucht noch nicht verboten hatte - das kam<br />

erst zur Zeit des Mose -, und weil vor <strong>der</strong> Sintflut wie gesagt noch ganz<br />

an<strong>der</strong>e Verhältnisse geherrscht haben ... nicht nur klimatologisch,<br />

son<strong>der</strong>n auch im soziologischen Bereich.<br />

Was ich Ihnen aber noch sagen wollte, ist dies: Es gibt einen klaren<br />

97


Beweis dafür, dass die Menschen unmöglich von den Affen abstammen<br />

o<strong>der</strong> wenigstens die gleichen o<strong>der</strong> ähnlichen Vorfahren haben können,<br />

wie das ab und zu auch noch geheißen hat, auch wenn diese im<br />

Gegensatz zu den meisten Landtieren und Vögel, die bekanntlich vier<br />

Zehen haben, genauso wie wir fünf Finger haben und eine ähnliche<br />

soziologische Hierarchie kennen. Ausgerechnet bei den Tierversuchen,<br />

die auch nur deshalb durchge<strong>führt</strong> werden, weil es aus lauter Glauben<br />

an die Evolution an Gottesfurcht und an Respekt vor seiner Schöpfung<br />

und damit auch den Tieren gegenüber fehlt, hat es sich deutlich<br />

erwiesen, dass die Affen auf sämtliche Forschungsmittel völlig an<strong>der</strong>s<br />

reagieren, als man aufgrund ihrer angeblichen Verwandtschaft mit den<br />

Menschen hätte erwarten können. Der deutlichste Beweis dafür, dass<br />

die Menschen nicht von den Affen abstammen können, liegt aber in <strong>der</strong><br />

Verschiedenheit <strong>der</strong> Blutgruppen. Wie Sie sicher auch wissen, haben wir<br />

Menschen vier verschiedene Blutgruppen - A, B, AB und O -, und dazu<br />

haben die einen noch einen Rhesusfaktor, werden also als solche<br />

bezeichnet, die einen positiven Rhesusfaktor haben, und die an<strong>der</strong>en<br />

haben keinen und gelten damit als solche, die einen negativen<br />

Rhesusfaktor haben.<br />

Diese Verschiedenheiten sind so krass, dass gruppenübergreifende<br />

Bluttransfusionen nicht möglich sind, ja, oft nicht einmal dann, wenn die<br />

Blutgruppen zwischen zwei Menschen zwar identisch sind, die aber zwei<br />

verschiedene Rhesusfaktoren haben - jedenfalls <strong>führt</strong> das so gut wie<br />

immer zu schweren Komplikationen. Wie steht es aber mit den Affen?<br />

Heute wissen wir, dass auch diese verschiedene Blutgruppen haben,<br />

aber ganz an<strong>der</strong>s verteilt als bei den Menschen, und zudem haben sie<br />

nicht zwei verschiedene Rhesusfaktoren. Es wäre theoretisch vielleicht<br />

möglich, das Blut zum Beispiel eines Schimpansen auf einen Gorilla<br />

o<strong>der</strong> das Blut eines Gorillas auf einen Orang-Utan o<strong>der</strong> Pavian zu<br />

übertragen, aber man hat das noch bis heute nie versucht, soviel ich<br />

weiss. Wenn es jedoch tatsächlich möglich wäre, das Blut von Affen auf<br />

Menschen zu übertragen, hätte man das sicher schon längst in alle Welt<br />

hinausposaunt, weil gerade dies nach <strong>der</strong> Meinung <strong>der</strong> Evolutionisten<br />

<strong>der</strong> deutlichste Beweis dafür wäre, dass die Menschen von den Affen<br />

abstammen o<strong>der</strong> mindestens die gleichen Vorfahren haben. Man tut das<br />

aber nicht, weil die zuständigen Leute schon längst entdeckt haben,<br />

dass das ganz einfach nicht möglich ist, dass gerade in diesem Bereich<br />

den menschlichen Fähigkeiten Grenzen gesetzt sind.<br />

Ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass keine Evolution von Affen<br />

auf Menschen stattgefunden haben kann, zeigt sich auch bei <strong>der</strong><br />

Radioaktivität, von <strong>der</strong> ich vorher schon einmal gesprochen habe. Was in<br />

den Jahren 1945, 1986 und 2011 in Hiroshima, Nagasaki, Tschernobil<br />

und Fukushima geschehen ist, wissen Sie sicher auch, aber es ist in <strong>der</strong><br />

98


Welt fast nicht bekannt und wird von den Medien auch bewusst<br />

verschwiegen, dass die Menschen durch die radioaktiven Strahlen<br />

nachträglich Krebs bekommen, an dem sie noch zu Zehntausenden<br />

sterben, während die Affen schon immer dagegen immun waren. Das<br />

Gleiche gilt auch für Krankheiten wie Grippe, Masern, Röteln und so<br />

weiter, was die Affen nie bekommen, soweit wir bis heute wissen,<br />

während die Krankheiten, welche die Affen bekommen, an den<br />

Menschen abprallen.<br />

Noch ein Hinweis auf eine göttliche Schöpfung ist die Tatsache, dass bei<br />

den Indianern keine Bärte wachsen, und zwar bei allen Hun<strong>der</strong>ten von<br />

verschiedenen Stämmen von Kanada bis Chile, und noch bis heute kann<br />

das wissenschaftlich nicht erklärt werden. Zudem bekam auch das kleine<br />

Volk <strong>der</strong> Ainu, das im Norden Japans lebt, keine Bärte, solange sie sich<br />

mit den echten Japanern im Süden nicht vermischten. Wenn die<br />

Menschen tatsächlich von den Affen abstammen würden, müssten doch<br />

auch bei den Indianern Bärte wachsen, denn es wäre sogar für die<br />

Evolutionisten zu viel Spekulation dabei, wenn sie annehmen müssten,<br />

dass die einen sich zu solchen entwickelt haben, denen Bärte wachsen,<br />

und die an<strong>der</strong>en nicht. Glauben Sie nicht auch, dass Gott die<br />

Verschiedenheit <strong>der</strong> Blutgruppen und auch <strong>der</strong> menschlichen Rassen in<br />

Bezug auf die Bärte bewusst so zugelassen hat, weil er sehr wohl<br />

wusste, dass am Ende <strong>der</strong> Zeiten, in denen wir <strong>uns</strong> heute befinden, ein<br />

ganzes Heer von Spöttern seine einzigartige Schöpfung in Frage stellen<br />

würde?<br />

All diese Tatsachen werden aber aus naheliegenden Gründen von den<br />

Medien systematisch unterschlagen, weil man um keinen Preis zugeben<br />

will, dass es keine Evolution gegeben haben kann, und erst recht nicht<br />

eingestehen, dass bis heute kein einziger Tierversuch auch nur zu einer<br />

einzigen Heilung einer unheilbaren Krankheit ge<strong>führt</strong> hat - wie etwa Aids,<br />

Leukämie, Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose und die<br />

verschiedenen Arten von Krebs. Im Gegenteil, gerade durch die<br />

Aussage, dass zum Beispiel Aids angeblich von Schimpansen auf die<br />

Menschen übertragen worden ist, wi<strong>der</strong>sprechen sich die Evolutionisten<br />

selber, denn bei den gleichen o<strong>der</strong> mindestens verwandten Genen, die<br />

wir bei einer Evolution zweifellos haben müssten, hätten doch auch<br />

diese Tiere Aids bekommen müssen, aber gerade das ist nie geschehen.<br />

Lei<strong>der</strong> muss zu diesem Thema auch gesagt werden, dass diese<br />

gottlosen Kriminellen, welche die Tierversuche durchführen - einen<br />

an<strong>der</strong>en Ausdruck gibt es dafür wirklich nicht -, auch dafür verantwortlich<br />

sind, dass damals die Contergan-Katastrophe, von <strong>der</strong> Sie sicher auch<br />

schon gehört haben, dazu <strong>führt</strong>e, dass Zehntausende von Kin<strong>der</strong>n ohne<br />

Arme o<strong>der</strong> nur mit Armstümpen versehen auf die Welt kamen, und das<br />

nur aufgrund von Tierversuchen - unter an<strong>der</strong>em auch an Affen -, die<br />

99


lindwütig auf die Menschen übertragen worden sind. Interessant ist<br />

dabei zu erwähnen, dass seinerzeit in <strong>der</strong> Türkei einer <strong>der</strong> ranghöchsten<br />

Ärzte, <strong>der</strong> noch gottesfürchtig war und zum Glück gute Beziehungen zur<br />

Regierung hatte, seinen Einfluss so weit geltend machen konnte, dass<br />

das Contergan-Mittel in diesem Land nicht einge<strong>führt</strong> wurde.<br />

Und noch etwas möchte ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, Herr<br />

Stettler: Glauben Sie wirklich im Ernst daran, dass die Zehntausenden<br />

von Tierarten, die es noch heute auf <strong>der</strong> ganzen Welt gibt, und erst recht<br />

die Menschen mit ihrer Fähigkeit zum logischen und analytischen<br />

Denken, das sie vom reinen Instinktdenken <strong>der</strong> Tiere deutlich<br />

unterscheidet, mit allen organischen Einzelheiten innerhalb des Körpers<br />

sich durch eine bloße Evolution gebildet haben können? Nur wenn wir<br />

daran denken, wie verschieden die Menschen sind, wie je<strong>der</strong> einzelne<br />

Mensch seinen ganz eigenen charakteristischen Gesichtsausdruck hat -<br />

wenn wir von den eineiigen Zwillingen einmal absehen -, und dass die<br />

Kin<strong>der</strong> ihren Eltern ohne Ausnahme sehr stark gleichen, müssen wir <strong>uns</strong><br />

in <strong>uns</strong>erem Innersten selbst eingestehen, dass ganz klar göttliche<br />

Schöpferhände dahinterstecken müssen. Wie ich es schon gesagt habe:<br />

Wer sich ernsthaft und ohne Vorurteile mit diesem Thema<br />

auseinan<strong>der</strong>setzt, erkennt sehr bald, dass die Evolution nichts an<strong>der</strong>es<br />

als ein mo<strong>der</strong>nes Hirngespinst sein kann, das ausgedacht wurde, um die<br />

Existenz Gottes mit pseudowissenschaftlichen Mitteln zu verleugnen.“<br />

Wie<strong>der</strong> legen sie eine kleine Pause ein, die Hoveneel dazu benützt, um<br />

kurz zu verschnaufen, und zugleich genehmigen sich alle drei einen<br />

weiteren Schluck Kaffee, <strong>der</strong> während ihres intensiven Gesprächs fast<br />

vergessen ging. Obwohl Hans interessiert zugehört und versucht hat,<br />

alles Gesagte auf sich einwirken zu lassen, gibt er sich noch immer nicht<br />

geschlagen. Auch er mag es noch nicht wahrhaben, dass er sein ganzes<br />

bisheriges Laben lang möglicherweise an etwas Falsches geglaubt hat,<br />

von dem nicht einmal ein Stück bewiesen ist. Gerade was die Beweise<br />

betrifft, findet er als mo<strong>der</strong>n eingestellter, rational denken<strong>der</strong> Mensch<br />

immer noch keine Ruhe.<br />

Er muss einfach noch mehr wissen, also fragt er Hoveneel direkt: „Was<br />

Sie mir bis jetzt erzählt haben, ist sicher hochinteressant und müsste in<br />

den Medien noch viel mehr bekannt werden. Aber trotz allem fehlt mir<br />

immer noch ein klarer und unumstößlicher Beweis dafür, dass es Gott<br />

wirklich gibt. O<strong>der</strong> können Sie mir einen liefern? Ich bin gespannt auf<br />

Ihre Antwort.“<br />

Da erlebt Hans eine große Überraschung: Ohne zu zögern greift<br />

Hoveneel nach seinem Handy, das bisher unbeachtet auf seinem<br />

Schreibtisch und in dessen Griffweite gelegen hat, hält es ihm vor die<br />

Nase und sagt lächelnd: „Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, was<br />

das ist.“<br />

100


„Ein Handy?“, fragt Hans ungläubig, „was wollen Sie mir damit<br />

beweisen?“<br />

„Genau das, was Sie mich vorher gefragt haben. Was meinen Sie, womit<br />

wir alle rund um die Welt telefonieren, ob mit o<strong>der</strong> ohne Draht?“<br />

„Soviel ich weiß, über <strong>uns</strong>ichtbare Wellen.“<br />

„Genau, Herr Stettler, Sie haben richtig geantwortet. Und jetzt habe ich<br />

eine weitere Frage an Sie: Halten Sie es für möglich, dass eine sichtbare<br />

Materie sich von selbst zu einer <strong>uns</strong>ichtbaren entwickeln kann?“<br />

Da Hans darauf etwas zögert, setzt Hoveneel nach: „Natürlich kann ein<br />

normal denken<strong>der</strong> Mensch so etwas nicht glauben - und wir gehen ja<br />

davon aus, dass wir solche Menschen sind. Wenn es aber wirklich einen<br />

Urknall gegeben hat, wie in <strong>der</strong> Evolutionstheorie gelehrt wird, würde das<br />

bedeuten, dass von Anfang an jegliche Materie sichtbar war. Auch wenn<br />

es unter den Evolutionisten verschiedenartige Theorien gibt, sind sie sich<br />

dennoch darin einig, dass aus einer sichtbaren Materie - etwa einem<br />

Vorfahren <strong>der</strong> Dinosaurier, aber auch aus Gesteinen - immer<br />

verschiedene Formen an<strong>der</strong>er sichtbarer Materie sich entwickelt haben,<br />

aber nie solche aus einer <strong>uns</strong>ichtbaren. Warum können wir trotzdem<br />

miteinan<strong>der</strong> telefonieren o<strong>der</strong> einan<strong>der</strong> Briefe, Dokumente und<br />

Fotografien zufaxen o<strong>der</strong> zumailen, wo auch immer wir <strong>uns</strong> befinden?<br />

Glauben Sie wirklich daran, dass diese Milliarden von Radiowellen, die<br />

diesen <strong>uns</strong>ichtbaren Kontakt ermöglichen, sich von selbst entwickelt<br />

haben?“<br />

Hans überlegt eine Weile, dann antwortet er leise, ohne zu Hoveneel<br />

aufzuschauen: „Wenn ich mir das recht überlege, tönt das alles recht<br />

überzeugend.“<br />

Doch er gibt sich immer noch nicht geschlagen - und so fragt er direkt,<br />

indem er ihm wie<strong>der</strong> in die Augen schaut: „Gibt es sonst noch weitere<br />

Beweise - das heißt Beweise, die von Ihnen aus gesehen als solche<br />

bezeichnet werden können?“<br />

Hoveneel überlegt nur kurz und sagt dann recht entschlossen: „Wenn<br />

Sie also noch mehr wissen wollen, kann ich Ihnen zwei Beispiele geben,<br />

die deutliche naturwissenschaftliche Beweise für die Existenz Gottes<br />

sind und die gerade deshalb von den Medien systematisch<br />

unterschlagen werden. Bevor ich sie vorbringe, möchte ich Sie aber<br />

noch auf zwei weitere naturwissenschaftliche Phänomene hinweisen,<br />

<strong>der</strong>en Ursprung und Entstehung bis heute niemand aus dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaften erklären konnte - es sei denn, er o<strong>der</strong> sie glaube<br />

an eine göttliche Schöpfung. Wie Sie sich wahrscheinlich noch erinnern,<br />

habe ich bei <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> C-14-Datierungsmethode erwähnt, dass<br />

das, was wir einatmen, Sauerstoff ist, ohne den wir nicht leben könnten,<br />

und dass das, was wir ausatmen, Stickstoff ist, <strong>der</strong> allein <strong>uns</strong> alle töten<br />

101


würde. Das Gleiche gilt ausnahmslos auch für alle Tiere, die auf <strong>der</strong><br />

Erde und in <strong>der</strong> Luft leben, und auch ein Teil <strong>der</strong> schwimmenden Tiere<br />

wie zum Beispiel die Delfine muss regelmäßig an die Wasseroberfläche<br />

auftauchen, um frische Luft zu schnappen - auch das zeigt noch einen<br />

Teil <strong>der</strong> Seelenverwandtschaft, die das erste Menschenpaar mit den<br />

Tieren vor dem Sündenfall verbunden hat.<br />

Nun ist es aber erstaunlich, dass es sich bei den Pflanzen und Bäumen<br />

genau umgekehrt verhält, dass also diese zum Überleben auf das<br />

angewiesen sind, was die Menschen und Tiere ausatmen, also auf den<br />

Stickstoff beziehungsweise das Kohlendioxyd, wie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Name<br />

dafür lautet, und dass diese im Gegenzug gewissermaßen den<br />

Sauerstoff ausatmen, den wir für <strong>uns</strong>er Überleben benötigen. Dieser<br />

gegenseitige Stoffwechselaustausch, für den es wie gesagt keine<br />

einleuchtende Erklärung gibt, wird in <strong>der</strong> Fachsprache als Fotosynthese<br />

bezeichnet - vielleicht haben Sie diesen Ausdruck auch schon einmal<br />

gehört - und zeigt sich sogar dort, wo auf den ersten Blick keine Tiere<br />

und erst recht keine Menschen leben können, zum Beispiel in den<br />

Wüstengebieten wie <strong>der</strong> Sahara- o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kalahariwüste. Wie Sie aber<br />

sicher wissen, leben selbst dort noch Menschen, wenn auch nur wenige,<br />

so die Berber und Tuareg in <strong>der</strong> Sahara und im Süden die Hottentotten<br />

und Buschmänner, und erst recht viele Tiere, vor allem Skorpione,<br />

Schlangen und Käfer, aber auch Eidechsen und sogar Vögel. Obwohl es<br />

auf den ersten Blick nicht danach aussieht, tragen aber selbst diese<br />

wenigen Menschen und Tiere mit dazu bei, dass die wenigen Pflanzen<br />

und Bäume, die in den Wüstengebieten wachsen, gut gedeihen können,<br />

und dort, wo es wie<strong>der</strong> üppig und fruchtbar ist wie etwa in den Oasen,<br />

aber auch in den Dschungeln, leben logischerweise wie<strong>der</strong> mehr<br />

Menschen und vor allem Tiere. Glauben Sie wirklich im Ernst, dass<br />

dieser phänomenale Stoffwechselaustausch durch eine Evolution<br />

entstanden sein kann?“<br />

Da Hans darauf keine Antwort gibt und tatsächlich auch keine weiß, setzt<br />

Hoveneel fort: „Natürlich ist diese Fotosynthese nicht direkt ein Beweis<br />

für die Existenz Gottes, aber dennoch ein deutlicher Hinweis. Ich habe<br />

sie auch deshalb erwähnt, weil ich Sie gewissermaßen auf die beiden<br />

klaren naturwissenschaftlichen Beweise für seine Existenz vorbereiten<br />

wollte und sie von mir aus gesehen dazu beiträgt. Was übrigens noch<br />

den zweiten klaren Hinweis auf göttliche Schöpferhände betrifft, brauche<br />

ich keine lange Erklärung abzugeben, denn es genügt diese eine Frage:<br />

Können Sie wirklich im Ernst daran glauben, dass das Gesetz <strong>der</strong><br />

Schwerkraft, das bekanntlich alles zu Boden fallen lässt, o<strong>der</strong> das des<br />

Auftriebs, das es den Flugzeugen überhaupt ermöglicht, sich in <strong>der</strong> Luft<br />

oben zu halten, sich ebenfalls von selbst entwickelt haben? Ich könnte<br />

102


da noch mehr hinzufügen, aber ich glaube, dass Sie mit dem bisher<br />

Vorgebrachten schon gut bedient sind und wir <strong>uns</strong> auch so schon gut<br />

genug verstanden haben.<br />

Und jetzt kann ich endlich zu den beiden Beweisen kommen: Der erste<br />

Beweis betrifft die Position <strong>der</strong> Erde und aller an<strong>der</strong>en Planeten <strong>uns</strong>eres<br />

Sonnensystems mitsamt ihren Monden sowie aller Sterne und nicht<br />

zuletzt auch <strong>der</strong> Sonne selbst. Obwohl ich von <strong>der</strong> heutigen<br />

Raumforschung nicht allzu viel halte, solange dafür so viel Geld und Zeit<br />

verschleu<strong>der</strong>t wird und zugleich die materielle und nicht zuletzt auch die<br />

geistliche Not auf <strong>der</strong> Erde immer schlimmer wird, hat sie wenigstens in<br />

einem etwas Positives bewirkt. Sie haben sicher auch schon gesehen,<br />

wie die Astronauten und Kosmonauten im Inneren <strong>der</strong> Raumkapseln und<br />

erst recht draußen herumschweben, weil außerhalb <strong>der</strong> Atmosphäre und<br />

<strong>der</strong> Stratosphäre, die <strong>uns</strong>eren Planeten umgeben, das Gesetz <strong>der</strong><br />

Schwerkraft, das alles zu Boden fallen lässt, nicht mehr wirkt. Wenn aber<br />

diese Menschen außerhalb <strong>der</strong> Raumkapseln ohne eine Leine o<strong>der</strong><br />

einen Motor, <strong>der</strong> freie Bewegungen ermöglicht, durch diesen<br />

schwerelosen Zustand ins Endlose hinunterfallen würden und auch die<br />

Raumkapseln und Satelliten selber sich nur durch ihre ständige<br />

Fortbewegung auf ihren Umlaufbahnen halten können, müsste doch das<br />

gleiche Gesetz auch für die Erde, den Mond und alle an<strong>der</strong>en Planeten,<br />

Monde und Sterne mitsamt <strong>der</strong> Sonne gelten - es ist ja <strong>der</strong> gleiche<br />

Weltraum. Aber warum fallen sie denn nicht ins Endlose hinunter,<br />

obwohl alle physikalischen Gesetze das verlangen würden? Wissen Sie<br />

darauf eine Antwort, Herr Stettler?“<br />

„Nein, sicher nicht, ich bin ja kein Naturwissenschaftler.“<br />

„Ich kann Ihnen aber eine Antwort geben - und ich könnte es auch dann,<br />

wenn ich kein Naturwissenschaftler wäre. Sie steht im<br />

Schöpfungsbericht, in den Versen vierzehn bis achtzehn des ersten<br />

Kapitels, wo von <strong>der</strong> Erschaffung <strong>der</strong> Sonne und aller an<strong>der</strong>en Sterne<br />

die Rede ist, und zu den Sternen werden darin auch die Planeten und<br />

Monde gerechnet. Da heißt es unter an<strong>der</strong>em: ‚Und Gott setzte sie an<br />

die Himmelsfeste, damit sie die Erde beleuchteten und den Tag und die<br />

Nacht beherrschten und Licht und Finsternis unterschieden.’ Haben Sie<br />

gehört? Gott setzte sie, also sind sie bis heute an ihren angestammten<br />

Plätzen o<strong>der</strong> genauer auf ihren angestammten Umlaufbahnen geblieben.<br />

Die gleiche Aussage wird übrigens noch im Buch Hiob bestätigt, von<br />

dem Sie wahrscheinlich auch schon einmal gehört haben.<br />

Zudem ist noch etwas Wichtiges zu beachten, was <strong>uns</strong>eren Planeten<br />

betrifft: Man hat durch Berechnungen herausgefunden, dass die Erde<br />

sowohl in ihrer Position als auch in ihrer Umlaufbahn genau so<br />

angebracht ist, dass es nicht zu heiß wird wie auf dem Merkur und auch<br />

nicht zu kalt wie auf dem Mars und auf den an<strong>der</strong>en äußeren Planeten<br />

103


<strong>uns</strong>eres Sonnensystems, und dass durch ihre schräg angebrachte<br />

Achse sowohl die Nord- als auch die Südhälfte im gleichen Maß je zur<br />

Hälfte mehr von <strong>der</strong> Sonne beleuchtet werden als die an<strong>der</strong>e und damit<br />

die heißen und kalten Jahreszeiten mit Ausnahme <strong>der</strong> Regionen in <strong>der</strong><br />

Nähe des Äquators genau gleich verteilt sind. Glauben Sie wirklich, dass<br />

all dies sich durch einen Zufall einfach so aus dem Nichts durch den<br />

legendären Urknall entwickelt hat? Und abgesehen davon ist die genaue<br />

Position dieses Urknalls bis heute noch von niemandem genau bestimmt<br />

worden, doch das müsste sicher möglich sein, wenn schon seit<br />

Jahrzehnten in aller Welt hinausposaunt wird, dass ein solcher<br />

stattgefunden hat. Ich kann es nur nochmals wie<strong>der</strong>holen: Wer sich das<br />

alles vor Augen <strong>führt</strong> und sich selbst gegenüber ehrlich ist, muss bald<br />

einmal bekennen, dass dies schlicht unmöglich war.“<br />

„Recht beeindruckend“, wirft Hans leise dazwischen, „das ist mir bisher<br />

noch nie aufgefallen, obwohl es eigentlich klar vor <strong>uns</strong>eren Augen liegt.<br />

Also schön, da muss ich Ihnen recht geben, dass über das alles viel zu<br />

wenig nachgedacht wird. Was ist aber nach Ihrer Meinung <strong>der</strong> zweite<br />

deutliche naturwissenschaftliche Beweis für die Existenz Gottes?“<br />

„Das sind die Atome, die <strong>uns</strong>eren Planeten zu Milliarden umkreisen“,<br />

antwortet Hoveneel ohne zu zögern, „man hat schon vor langer Zeit<br />

entdeckt, dass ihre Kerne aus Protonen und Neutronen bestehen.<br />

Verstehen Sie? Nur aus Protonen und Neutronen, also nicht auch aus<br />

Elektronen; diese gibt es in den Atomen zwar auch, aber eben nicht in<br />

den Kernen, son<strong>der</strong>n sie umkreisen sie bloß. Vielleicht erinnern Sie sich<br />

noch aus dem Physik-Unterricht, dass es diese drei verschiedenen<br />

Partikel gibt. Ausgerechnet in den Atomkernen fehlen aber die<br />

Elektronen. Was bedeutet das nun konkret? Da die Neutronen<br />

bekanntlich nicht geladen und damit neutral sind, kommt alles auf die<br />

Protonen an, die positiv geladen sind - im Gegensatz zu den Elektronen,<br />

die negativ geladen sind, aber gerade wie gesagt in den Atomkernen<br />

nicht vorkommen. Nun wissen wir aus <strong>der</strong> Physik, dass die Protonen und<br />

Elektronen sich gegenseitig neutralisieren und dass zwei gleiche<br />

Ladungen sich abstoßen und sogar eine Explosion bewirken. Warum<br />

gibt es denn in den Atomkernen keine Explosion, solange diese nicht<br />

künstlich, also von Menschenhand, erzeugt wird, obwohl nach<br />

sämtlichen physikalischen Gesetzen eine solche schon längst hätte<br />

stattfinden müssen, so dass <strong>der</strong> ganze Planet Erde schon vor<br />

Jahrtausenden explodiert wäre? Wissen Sie warum?“<br />

„Sicher nicht. Sagen Sie es mir!“<br />

„Auch auf diese Frage gibt es eine klare Antwort, die in <strong>der</strong> Bibel<br />

geschrieben steht, und zwar im Brief des Apostels Paulus an die<br />

Kolosser, im Kapitel eins, Verse sechzehn und siebzehn: ‚Denn in ihm ist<br />

alles erschaffen worden, was im Himmel und auf Erden ist, das<br />

104


Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne o<strong>der</strong> Herrschaften o<strong>der</strong><br />

Fürstentümer o<strong>der</strong> Gewalten. Alles ist durch ihn und für ihn geschaffen,<br />

und er ist vor allem und alles besteht in ihm.’ Verstehen Sie, was mit<br />

diesen Worten ausgedrückt wird?“<br />

„Ehrlich gesagt nicht ganz, Herr Hoveneel.“<br />

„Dann will ich es Ihnen erklären: Wenn Gott etwas so erschaffen hat, wie<br />

er allein es wollte, dann bleibt es auch so; da können auch physikalische<br />

Gesetze nichts daran än<strong>der</strong>n. Die Welt hat eben viel mehr göttliche<br />

Wun<strong>der</strong> vorzuweisen, als Sie ahnen, Herr Stettler. Spätestens seit <strong>der</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong> Relativitätstheorie, von <strong>der</strong> Sie sicher auch schon gehört<br />

haben, also seit <strong>der</strong> Entwicklung des speziellen Verhältnisses zwischen<br />

Raum und Zeit durch Albert Einstein, sollte es eigentlich klar sein, dass<br />

dieses rationale Weltbild, das <strong>uns</strong> seit mehr als zweihun<strong>der</strong>t Jahren,<br />

genauer seit dem Zeitalter <strong>der</strong> sogenannten Aufklärung, in den Schulen<br />

und Universitäten gelehrt wird, so nicht stimmen kann. Eigentlich müsste<br />

die Aufklärung nicht als solche bezeichnet werden, son<strong>der</strong>n viel mehr als<br />

Verfinsterung, denn die sogenannten Denker des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts, die<br />

diese Epoche prägten und zu denen auch etliche berühmte Dichter<br />

gehörten - vor allem Lessing und erst recht Goethe, von dem wir heute<br />

wissen, dass er ein Spiritist war und oft von spiritistischen Sitzungen<br />

inspiriert wurde -, haben wesentlich dazu beigetragen, dass allmählich<br />

<strong>der</strong> Abfall vom Glauben an Gott und an Christus und damit auch vom<br />

Weltbild des Zeitalters <strong>der</strong> frommen Barockdichter eingesetzt hat. Als<br />

schließlich ein Jahrhun<strong>der</strong>t später die Evolutionstheorie entwickelt<br />

wurde, fiel diese bereits auf einen so fruchtbaren Boden, dass ihr<br />

Siegeszug nicht mehr aufzuhalten war. Allein diese Bezeichnung<br />

‚Aufklärung’ zeigt <strong>uns</strong> deutlich, wie verkehrt diese Welt in Wirklichkeit ist,<br />

dass also das, was eigentlich normal ist - eben <strong>der</strong> Glaube an Gott und<br />

an Jesus Christus -, als völlig verkehrt gilt, während das, was im<br />

biblischen Sinn nicht normal ist - eben <strong>der</strong> Unglaube und die<br />

Verleugnung des einen wahren Gottes -, als völlig normal gilt.“<br />

Dann hält Hoveneel wie<strong>der</strong> kurz inne und fragt Hans kurz darauf in<br />

einem fast feierlichen Ton: „Glauben Sie nach all dem, was Sie heute<br />

Abend bis jetzt gehört haben, immer noch daran, dass alles durch eine<br />

Evolution entstanden ist und mit einem Urknall begonnen hat?“<br />

„Was Sie da erzählt haben, ist wirklich sehr beeindruckend“, antwortet<br />

Hans nach kurzem Zögern, „so habe ich das alles noch nie gehört, und<br />

da Sie ja ein Naturwissenschaftler sind und ich nicht, kann ich wohl nicht<br />

behaupten, es stimme nicht. Aber erlauben Sie mir noch eine weitere<br />

Frage, eine sehr fundamentale, ja, sogar die wichtigste überhaupt:<br />

Selbst wenn das alles, was Sie mir erzählt haben, tatsächlich stimmt und<br />

es einen Gott gibt, <strong>der</strong> das alles erschaffen hat, bleibt immer noch die<br />

105


Frage offen, ob es auch für die Auferstehung eures Jesus einen klaren<br />

und unumstößlichen Beweis gibt - ich meine einen wissenschaftlichen.“<br />

„Ja, Herr Stettler, diesen Beweis gibt es“, antwortet Hoveneel<br />

schlagartig, „halten Sie sich aber gut fest! Der deutlichste Beweis für<br />

seine Auferstehung sind wir selbst und das neue Leben, das er <strong>uns</strong><br />

geschenkt hat. Wenn es ihn nicht gäbe, wäre es überhaupt nicht<br />

möglich, dass wir heute sagen können, er habe <strong>uns</strong>er Leben völlig<br />

verän<strong>der</strong>t. Er allein ist es, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> einen neuen Geist des Friedens und<br />

<strong>der</strong> Versöhnung gegeben hat, so dass wir einan<strong>der</strong> achten und sogar<br />

lieben können. So werden durch ihn aus traurigen und verbitterten<br />

Menschen fröhliche, aus kaltherzigen werden warmherzige, aus Feinden<br />

werden Freunde und aus rücksichtlosen Egoisten werden Leute, die<br />

gern an<strong>der</strong>en Menschen helfen und dabei erleben, wie herrlich und<br />

glücksbringend es für einen selbst sein kann, an<strong>der</strong>en helfen zu können<br />

- ein Gefühl, das heute immer weniger bekannt ist. Dieser gleiche Geist<br />

Gottes hat bewirkt, dass auch ich heute Abend mir die Zeit nehmen<br />

konnte und wollte, um mit Ihnen über das alles zu reden, und ich habe<br />

es sogar gern getan. Aber ich weiß, dass Ihnen das vielleicht nicht<br />

genügt, weil Sie von klaren und unumstößlichen Beweisen gesprochen<br />

haben.<br />

Doch ich kann Ihnen auch diese liefern - und zwar nicht nur solche, die<br />

in <strong>der</strong> Bibel geschrieben stehen, son<strong>der</strong>n auch außerbiblische, also<br />

weltliche Quellen. Es ist erstaunlich, aber eben auch typisch für diese<br />

Welt, dass es über die biblischen Berichte zwar viel mehr Dokumente<br />

gibt als etwa über die römischen, griechischen und auch altägyptischen,<br />

dass diese jedoch nicht angezweifelt werden und dafür die Bibel immer<br />

wie<strong>der</strong> als ein Märchenbuch hingestellt wird. Wollen Sie nun wissen, wer<br />

über die Auferstehung des Herrn geschrieben hat? Neben einem Teil <strong>der</strong><br />

Männer, die das Neue Testament verfasst haben, waren es auch recht<br />

berühmte Leute, vor allem Flavius Josephus, von dem Sie vielleicht auch<br />

schon gehört haben und <strong>der</strong> für seinen nüchternen Stil bekannt war, also<br />

alles an<strong>der</strong>e als ein verblendeter Schwärmer war und dennoch von <strong>der</strong><br />

Auferstehung geschrieben hat, als wäre das die natürlichste Sache <strong>der</strong><br />

Welt gewesen. Ein weiterer war <strong>der</strong> Grieche Hormisios, <strong>der</strong> damals, als<br />

diese Ereignisse sich abspielten, als Biograf <strong>der</strong> römischen Statthalter<br />

und damit auch des Pontius Pilatus tätig war. Dennoch hat auch er von<br />

<strong>der</strong> Auferstehung so geschrieben, dass keine Zweifel aufkommen<br />

können, vor allem auch deshalb nicht, weil er bezeugt hat, dass er das<br />

leere Grab mit eigenen Augen gesehen hat. Dieses war übrigens schwer<br />

bewacht, so dass es gar nicht möglich war, den Leichnam Jesu zu<br />

stehlen, wie das immer wie<strong>der</strong> behauptet worden ist, was auch im<br />

Matthäus-Evangelium so geschrieben steht. Wenn die römischen<br />

Soldaten dort eingeschlafen wären, hätte das für sie die sichere<br />

106


Todesstrafe bedeutet, und wenn jüdische Wachtleute dort gestanden<br />

wären - was aber aufgrund <strong>der</strong> biblischen Berichte nicht <strong>der</strong> Fall war -,<br />

hätten sie bestimmt auch eine sehr hohe Strafe bekommen, wenn auch<br />

nicht gleich eine solche wie bei den Römern. Was meinen Sie, warum<br />

nach <strong>der</strong> Auferstehung sowohl von den Römern als auch von den Juden<br />

alles versucht worden ist, um diese Geschichte zu verwischen und für<br />

den Lauf <strong>der</strong> nächsten paar Jahre gewissermaßen leerlaufen zu lassen?<br />

Eine Antwort darauf erübrigt sich; jedenfalls fällt es deutlich auf, dass in<br />

den ersten paar Jahren nach <strong>der</strong> Auferstehung nur wenige Dokumente<br />

darüber geschrieben wurden und gerade von dieser Zeit fast nichts<br />

erhalten geblieben ist.“<br />

Wie<strong>der</strong> legt Hoveneel eine kurze Verschnaufpause ein, doch dann setzt<br />

er fort: „Glauben Sie mir, Herr Stettler! Es gibt wirklich einen Gott - und<br />

ebenso sehr ist es wahr, dass Jesus Christus von den Toten<br />

auferstanden ist und noch heute lebt. Unsere Welt besteht aus viel mehr<br />

Wun<strong>der</strong>n, als die rational eingestellten mo<strong>der</strong>nen Menschen es<br />

wahrhaben wollen. So wie es wahr ist, dass Gott alles erschaffen hat, so<br />

ist es auch wahr, dass Christus und nur er allein <strong>uns</strong>er Retter ist und<br />

<strong>uns</strong>er Leben völlig neu- und umgestalten kann.“<br />

Nach diesen Worten machen sie eine weitere Pause - und diesmal fast<br />

eine Minute lang, die sie erneut dazu benützen, um sich mehrere<br />

Schlücke Kaffee zu genehmigen, und obwohl die Zeit inzwischen schon<br />

recht vorgerückt ist, will keiner so unhöflich sein, um als Erster auf die<br />

Uhr zu schauen.<br />

Hans erkennt allmählich, dass sämtliche Argumente, die er gegen den<br />

christlichen Glauben vorgebracht hat, an Hoveneels überzeugenden<br />

Worten abgeprallt sind, und will sich schon fast geschlagen geben, als<br />

sein Gesprächspartner plötzlich wie<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>es Thema anschneidet:<br />

„Ich weiß, dass es für jemanden wie Sie sicher schwer ist, sich neu zu<br />

orientieren. Das ist aber auch nicht erstaunlich, wenn wir <strong>uns</strong> vor Augen<br />

führen, dass wir heute schon in einem nachchristlichen Zeitalter leben,<br />

und damit auch Sie von den Medien so beeinflusst worden sind.“<br />

Da wird Hans sofort wie<strong>der</strong> hellwach; er sah seine Felle schon<br />

davonschwimmen - und jetzt bekommt er völlig unerwartet wie<strong>der</strong> eine<br />

Chance, um mit einem neuen Argument aufzufahren: „Was haben Sie da<br />

gesagt? Dass wir in einem nachchristlichen Zeitalter leben? Mit Verlaub,<br />

Herr Hoveneel, aber da muss ich Ihnen klar wi<strong>der</strong>sprechen. Glauben Sie<br />

etwa im Ernst, es sei früher christlicher zugegangen als heute? Dabei<br />

muss man nicht nur an die Kreuzzüge denken, bei denen im Namen des<br />

Christentums Zehntausende abgeschlachtet wurden, und zwar nicht nur<br />

Moslems, son<strong>der</strong>n auch Christen selber. Auch die Kolonisationsfeldzüge<br />

107


<strong>der</strong> Europäer, bei denen Millionen von Indianern und Schwarzen<br />

massakriert o<strong>der</strong> als Sklaven verschleppt wurden, können nicht gerade<br />

als christlich bezeichnet werden, genauso wenig die Verbrennungen von<br />

Millionen sogenannter Hexen und Ketzer, die unzähligen Folterungen an<br />

Unschuldigen und erst recht die brutale Unterdrückung <strong>der</strong> unteren<br />

Bevölkerungsschichten bis aufs Blut - und das alles im Namen des<br />

Christentums. Als Letztes muss ich auch noch die vielen Kriege allein in<br />

Europa erwähnen, bei denen man sich auf allen Seiten immer wie<strong>der</strong> auf<br />

den Herrgott berufen hat, sogar noch vor und während dem Ersten<br />

Weltkrieg, als im ganzen Kontinent eine Kriegsbegeisterung herrschte,<br />

wie sie die Welt nie zuvor und nachher nie wie<strong>der</strong> so erlebt hat. Kein<br />

Wun<strong>der</strong>, dass heute immer weniger Leute mit dem Christentum noch<br />

etwas zu tun haben wollen, wenn sie nur schon davon hören!“<br />

„Jetzt muss ich Ihnen aber auch wi<strong>der</strong>sprechen, Herr Stettler“, wirft<br />

Hoveneel wie<strong>der</strong> ein, „mit dem Begriff ‚Nachchristliches Zeitalter’ will ich<br />

nicht ausdrücken, dass es in den früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten christlicher zuund<br />

hergegangen ist als heute. Vielleicht erstaunt es Sie, wenn ich Ihnen<br />

sogar sage, dass die wirklichen Christen, also jene, die sich von ganzem<br />

Herzen zum Herrn Jesus bekehrt haben und nicht bloß dem Namen<br />

nach Christen waren, weil sie einmal getauft wurden, in allen Zeiten<br />

verfolgt und teilweise auch gefoltert und brutal ermordet wurden, vor<br />

allem in den katholischen Län<strong>der</strong>n, die unter <strong>der</strong> Fuchtel des Vatikans<br />

standen und immer noch stehen, aber zum Teil auch in den<br />

protestantischen Län<strong>der</strong>n. Man braucht da nur an die sogenannten<br />

Wie<strong>der</strong>täufer zu denken, aber selbst <strong>der</strong> Heilsarmee wurden nach ihrer<br />

Gründung viele Hin<strong>der</strong>nisse in den <strong>Weg</strong> gelegt, weil sie als Konkurrenz<br />

zur offiziellen Kirche betrachtet wurden, unter an<strong>der</strong>em auch hier in<br />

Zürich, wie ich einmal gelesen habe.<br />

Ja, das ist klar: All jene, die für diese <strong>uns</strong>eligen Kreuzzüge und auch für<br />

die Sklaverei und alle an<strong>der</strong>en Verbrechen verantwortlich sind, waren<br />

keine wirklichen Christen, son<strong>der</strong>n missbrauchten diesen Namen für ihre<br />

eigenen machtpolitischen und klerikalen Ziele. Ein Mann o<strong>der</strong> eine Frau,<br />

die Jesus Christus persönlich in ihrem Leben erfahren haben, können<br />

unmöglich solche Verbrechen begehen, denn das erste Gebot des Herrn<br />

ist nach <strong>der</strong> Liebe zu Gott die Liebe zum Nächsten, und daran haben<br />

sich die vielen Tausenden von aufrichtigen Männern und Frauen<br />

gehalten, die sich und ihr ganzes Leben buchstäblich geopfert haben,<br />

um in <strong>der</strong> Welt draußen zu missionieren - zum Beispiel David<br />

Livingstone, von dem Sie wahrscheinlich auch schon gehört haben, <strong>der</strong><br />

mitten im afrikanischen Busch gearbeitet hat, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> weniger bekannte<br />

Hudson Taylor, <strong>der</strong> seine Lebensaufgabe in China gesehen und erfüllt<br />

hat.<br />

Dazu kommt aber noch etwas Wichtiges, das genau zu dem passt, was<br />

108


ich vorhin gesagt habe: Es ist in <strong>der</strong> Welt viel zu wenig bekannt, dass die<br />

meisten von denen, die von Anfang an gegen die Sklaverei kämpften,<br />

gläubige Christen waren, wie ich sie beschrieben habe, also nicht nur<br />

Namenschristen, die einmal getauft worden sind und das praktisch als<br />

einen Freibrief ausgelegt haben. Darunter gehörten zum Beispiel die<br />

Quäker in den USA, die schon vor <strong>der</strong> offiziellen Abschaffung <strong>der</strong><br />

Sklaverei jahrzehntelang dieses Ziel verfolgt haben, aber auch in<br />

Brasilien, das die Sklaverei sogar noch später und überhaupt als eines<br />

<strong>der</strong> letzten Län<strong>der</strong> offiziell abgeschafft hat, waren es solche Christen, die<br />

an <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Front dafür gekämpft haben. Wie Sie sehen, verhält es<br />

sich doch nicht ganz so, wie die meisten Leute das heute sehen wollen.<br />

Was ich mit dem nachchristlichen Zeitalter in erster Linie meine, ist die<br />

allgemeine Gesinnung, die sich im Verlauf <strong>der</strong> letzten paar Jahrzehnte in<br />

auffälliger Weise gewandelt hat. So gibt es heute verschiedene typische<br />

nachchristliche Kennzeichen, die wir genauso gut auch als antichristlich<br />

bezeichnen können. Wollen Sie diese noch hören, bevor wir wie<strong>der</strong><br />

auseinan<strong>der</strong>gehen?»<br />

«Warum nicht?»<br />

«Also, dann beginne ich mal: Das erste nachchristliche Kennzeichen ist<br />

die massive Bibelkritik, vor allem in den theologischen Kreisen, die es<br />

eigentlich viel besser wissen müssten, da sie ja mehr Zeit und mehr<br />

Möglichkeiten als alle an<strong>der</strong>en haben, dieses einmalige Buch <strong>der</strong><br />

Weltgeschichte gründlich zu studieren und darin Gott zu erkennen. Das<br />

hat aber entscheidend dazu beigetragen, dass gerade die<br />

protestantischen Kirchen, in denen am lautesten gegen das Evangelium<br />

gewettert wird, immer leerer geworden sind, während interessanterweise<br />

ausgerechnet jene Säle, in denen das Wort Gottes noch klar verkündigt<br />

wird, fast jedes Mal gerammelt voll sind. Allein dies zeigt, dass die<br />

Sehnsucht und <strong>der</strong> W<strong>uns</strong>ch unter vielen Menschen, an einen Gott<br />

glauben zu können, weitaus tiefer verwurzelt ist, als es gewissen Leuten<br />

lieb ist. Trotzdem hat das Gift, das durch diese Bibelkritiker ausgestreut<br />

worden ist, über die Medien schon eine so weite Verbreitung gefunden,<br />

dass sich das immer mehr bei <strong>der</strong> Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu Hause und<br />

auch in den Schulen zeigt, vor allem unter denen, die an die Esoterik<br />

glauben. Das hat schon so weit ge<strong>führt</strong>, dass solche Lehrkräfte, die den<br />

Kin<strong>der</strong>n noch vom Evangelium erzählen wollen, größte Schwierigkeiten<br />

bekommen und teilweise sogar vom Unterricht dispensiert worden sind,<br />

vor allem dort, wo auffallend viele Kin<strong>der</strong> von moslemischen Eltern zur<br />

Schule gehen. Heute genügt in fast allen europäischen Staaten und<br />

teilweise sogar in den USA, die eines <strong>der</strong> wenigen Län<strong>der</strong> sind, in denen<br />

man sich offiziell noch auf Gott beruft, dass jemand eine Anzeige wegen<br />

eines Kruzifixes im Schulzimmer o<strong>der</strong> wegen christlichen<br />

Religionsunterrichts macht, und schon bekommen diese Leute von allzu<br />

109


vielen feigen Richterinnen und Richtern Recht - natürlich von<br />

ungläubigen, das versteht sich schon fast von selbst.<br />

Das zweite nachchristliche Kennzeichen sind die millionenfachen<br />

Abtreibungen. Früher galt das noch klar als Mord, unabhängig von <strong>der</strong><br />

jeweiligen delikaten Lage je<strong>der</strong> einzelnen Frau o<strong>der</strong> jedes einzelnen<br />

Mädchens, doch in <strong>der</strong> heutigen Zeit wird das von den meisten als völlig<br />

normal angesehen, und auch die Medien wirken darin mit Hilfe <strong>der</strong><br />

meisten Leute, die in <strong>der</strong> Politik tätig sind, kräftig mit. Das Perfide daran<br />

ist vor allem die Behauptung, dass ein Fötus noch keine Seele haben<br />

kann und damit auch kein Mensch ist, aber handkehrum sind es dann<br />

die gleichen Leute, die vorbringen, die Tiere und in erster Linie die Affen<br />

hätten von Anfang an die gleichen Seelen wie die Menschen. Noch<br />

unglaubwürdiger ist die Behauptung, dass ein Baby im Mutterleib auch<br />

deshalb nicht als Mensch angesehen werden kann, weil es ja nicht<br />

selbständig leben könne - aber ist etwa ein Neugeborenes, das dann<br />

offiziell als Mensch gilt, dazu fähig? Merken Sie, worauf das Ganze<br />

hinausläuft? Im krampfhaften Bemühen, für alles eine Erklärung zu<br />

finden, sind diese Leute nicht einmal fähig zu erkennen, dass sie sich in<br />

ihren eigenen Aussagen ständig wi<strong>der</strong>sprechen.<br />

Das dritte nachchristliche Kennzeichen ist die Homosexualität. Ich weiß,<br />

dass dies ein heißes Eisen ist, vor allem in <strong>der</strong> heutigen Zeit, in <strong>der</strong> fast<br />

alles als normal gilt, was früher als nicht normal angesehen wurde, und<br />

umgekehrt. Was einst undenkbar war, ist heute aber die nackte Realität:<br />

Fast überall treten diese Leute immer aggressiver auf, so dass sie schon<br />

in aller Öffentlichkeit zu einem Hauptgeprächsthema geworden sind, und<br />

wenn diese Entwicklung so weitergeht, werden diese am Ende sogar<br />

noch mehr Rechte als die an<strong>der</strong>en haben. Man kann es jedoch drehen<br />

und wenden, wie man will: In den Augen Gottes bleibt das eine <strong>der</strong><br />

schlimmsten Sünden, auch wenn solche Leute in den Kirchen mit dem<br />

Segen von Pfarrern unter dem Etikett einer falsch verstandenen<br />

Toleranz und Nächstenliebe heiraten dürfen. Wenn das nicht so<br />

schwerwiegend wäre, würde das in <strong>der</strong> Bibel nicht so viele Male<br />

geschrieben stehen. Schließlich hat Gott das erste Menschenpaar als<br />

Mann und Frau füreinan<strong>der</strong> geschaffen und nicht als Mann und Mann<br />

o<strong>der</strong> als Frau und Frau. Es ist sicher kein Zufall, dass die Aggressivität<br />

gegenüber dem Evangelium, also <strong>der</strong> Botschaft vom Kreuz, gerade in<br />

diesen Kreisen beson<strong>der</strong>s ausgeprägt ist, auch wenn diese das immer<br />

wie<strong>der</strong> bestreiten. Sie sprechen zwar viel von Liebe und Toleranz - aber<br />

wehe, wenn Sie versuchen, sie darauf aufmerksam zu machen, was in<br />

<strong>der</strong> Bibel über ihr Tun geschrieben steht! Erst dann lernen sie diese<br />

Leute so kennen, wie sie wirklich sind. Dass die Homosexualität<br />

keineswegs von Natur aus angeboren ist, wie das von denen, aber auch<br />

von vielen an<strong>der</strong>en immer wie<strong>der</strong> als faule Ausrede behauptet wird, dass<br />

110


es also möglich ist, davon loszukommen, bestätigen <strong>uns</strong> ausgerechnet<br />

jene, die das früher betrieben haben und dann zum lebendigen Glauben<br />

an Jesus Christus gekommen sind.<br />

Das vierte nachchristliche Kennzeichen ist die allzu lockere Moral, die<br />

alle hergebrachten Normen über Bord geworfen hat, vor allem die<br />

Institution <strong>der</strong> Ehe. Es wird zwar immer noch viel geheiratet, aber bei<br />

den meisten nur noch mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass man sich<br />

ja schnell wie<strong>der</strong> scheiden lassen kann, wenn es nicht klappen sollte. So<br />

ist das Ende vieler Ehen von vornherein vorprogrammiert, doch das ist<br />

nicht das, was Gott für <strong>uns</strong> geplant hat; für ihn selbst bedeutet es noch<br />

etwas, wenn ein Mann und eine Frau sich ein Leben lang lieben und so<br />

zusammenleben. Vom außerehelichen Geschlechtsverkehr, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Bibel Dutzende Male als Unzucht bezeichnet wird, müssen wir dabei gar<br />

nicht erst reden, denn das ist schon immer praktiziert worden, doch<br />

heute noch weitaus mehr. Es hängt sehr eng mit <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Ehemoral zusammen, bei <strong>der</strong> die Leute in den meisten Fällen nicht mehr<br />

bereit sind, für eine Ehe auch zu kämpfen, wenn es sein muss, vor allem<br />

auf Seiten <strong>der</strong> Frauen, denn es ist erwiesen, dass diese im Durchschnitt<br />

viel mehr die Scheidung einreichen, wenn es nicht mehr so läuft, wie sie<br />

es wollen. Dabei sind die Ehemänner in vielen Fällen völlig <strong>uns</strong>chuldig,<br />

doch bei den heutigen Ehe- und Scheidungsgesetzen, welche die<br />

Frauen in krasser Weise bevorteilen, können es sich diese sogar leisten,<br />

mit einem Liebhaber zusammenzuleben, und dennoch vom Ex-Mann so<br />

hohe Alimente zu verlangen, dass die meisten von denen in den<br />

finanziellen Ruin getrieben werden. Dass dabei auch Millionen von<br />

Kin<strong>der</strong>n zu leiden haben, ergibt sich fast von selbst, doch das ist<br />

meistens nur noch ein Nebenthema - die Hauptsache ist, die<br />

betreffenden Ehebrecherinnen können sich selbst verwirklichen, wie<br />

einer dieser mo<strong>der</strong>nen Sprüche lautet.“<br />

„Entschuldigen Sie, Herr Hoveneel, wenn ich Sie an dieser Stelle rasch<br />

unterbreche!“, wirft jetzt Hans dazwischen, „ich würde nur gern wissen,<br />

ob Sie selbst auch verheiratet sind.“<br />

„Aber sicher, Herr Stettler“, antwortet dieser ohne Zögern, „ich bin<br />

verheiratet und habe drei Kin<strong>der</strong>.“<br />

„Das habe ich mir gedacht. So ist es für Sie leicht, so zu reden, vor<br />

allem, was die sogenannte Unzucht betrifft, die Sie so hervorheben. Ich<br />

kann für Sie nur hoffen, dass Sie mit Ihrer Frau glücklich bleiben und nie<br />

in die Lage von all denen geraten, die in eine Scheidung verwickelt sind.<br />

Dabei war ich selber noch gut dran: Ich war nur verlobt - und das liegt<br />

schon etliche Jahre zurück. Heute weiß ich nicht einmal, wo diese Frau<br />

jetzt wohnt und was aus ihr geworden ist, ja, es ist mir nicht einmal<br />

bekannt, ob sie überhaupt noch lebt. Ich kenne aber genug an<strong>der</strong>e<br />

Beispiele von Kolleginnen und vor allem von Kollegen, die wegen einer<br />

111


Scheidung fast zugrunde gegangen sind, wie Sie das ja auch erwähnt<br />

haben - nicht nur finanziell, son<strong>der</strong>n auch seelisch. Es ist leicht, von<br />

Ehebruch, Unzucht und Hurerei und ähnlichem zu reden, wenn man<br />

selber glücklich verheiratet ist und so die Probleme, die viele an<strong>der</strong>e<br />

haben, nicht wirklich sehen kann.“<br />

„Man muss aber auch auf Gottes Führung vertrauen, wenn man schon<br />

einen Partner o<strong>der</strong> eine Partnerin fürs Leben sucht“, wendet dann<br />

Hoveneel ein, „und wenn dann das an<strong>der</strong>e Ich gefunden worden ist,<br />

muss man ein Leben lang für sein Glück kämpfen, beson<strong>der</strong>s die<br />

gläubigen Christen, die viel mehr Anfechtungen und Anfeindungen<br />

ausgesetzt werden als die an<strong>der</strong>en.“<br />

„Sicher, wenn man an einen Gott glauben kann, ist das naheliegend.<br />

Aber wie steht es, wenn man diesen Glauben nicht hat und aus<br />

verschiedenen Gründen auch nicht haben kann? Ihr Christen sagt doch<br />

selber, dass je<strong>der</strong> Mensch seinen eigenen Willen haben darf, dass man<br />

also nicht gezwungen ist, an euren Gott zu glauben. Sind alle an<strong>der</strong>en<br />

aber Unzüchtler, solange sie nicht verheiratet sind? Gilt denn eine Liebe,<br />

die im Herzen praktiziert wird und auch ohne Heiratsdokumente echt<br />

sein kann, überhaupt nichts? Dann bin ich selber auch ein Unzüchtler.<br />

Ich habe gegenwärtig zwar keine Frau, aber wenn ich mal eine hatte, bin<br />

ich noch mit je<strong>der</strong> früher o<strong>der</strong> später ins Bett gegangen, ohne dass ich<br />

mir dabei etwas Schlimmes gedacht habe - ganz im Gegenteil, ich habe<br />

es sogar genossen, und es hat mir niemand gesagt, dass daran etwas<br />

nicht recht sein soll.“<br />

„In Gottes Wort steht aber klar geschrieben, dass dies Sünde ist.“<br />

„Jaja, Gottes Wort, wie ihr Christen das nennt - mit all diesen<br />

Gewaltszenen, die in diesem Buch vorkommen, das für euch so heilig<br />

ist. Aber ich will mich mit Ihnen nicht über dieses Thema streiten, dafür<br />

hätten wir auch keine Zeit mehr ... Was wollten Sie mir denn sonst noch<br />

sagen?“<br />

„Gut, Herr Stettler, wenn Sie mich das so direkt fragen. Als weiteres<br />

nachchristliches Kennzeichen muss ich noch eines erwähnen, das von<br />

den vorhin erwähnten direkt abstammt: Es ist die hemmungslose<br />

Vergnügungssucht in einer Art kollektivem Egoismus, und das<br />

eigentliche Tragische ist, dass diese von früh auf schon den Kin<strong>der</strong>n<br />

eingeimpft wird. Die meisten Leute schauen nur noch für sich, stürzen<br />

sich in alle möglichen Feste o<strong>der</strong> lassen irgendwo in <strong>der</strong> Welt draußen<br />

an einem Strand ihre Körper braten, ohne sich weitere Gedanken zu<br />

machen.<br />

Was ich aber das Bedenklichste finde und was vor allem die Konzerte<br />

mit sogenannten Stars und erst recht diese Techno- und Love-Paraden<br />

mit ihrer übertrieben lauten Musik zeigen, ist die Tatsache, dass die<br />

meisten jungen Leute, die daran teilnehmen, sich genauso willig<br />

112


verführen und manipulieren lassen wie ihre Vorgänger in den<br />

Dreißigerjahren bei den nationalsozialistischen Massenveranstaltungen.<br />

Dieser Vergleich scheint auf den ersten Blick wohl übertrieben zu sein,<br />

aber es lässt sich nicht bestreiten, dass <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Verführung und<br />

Manipulation <strong>der</strong> genau gleiche ist. Das lässt für die weitere Zukunft<br />

nichts Gutes ahnen, vor allem im Hinblick auf das Auftreten des<br />

Antichristen, von dem Sie sicher auch schon gehört haben und <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Bibel auch deutlich für die letzten Zeiten angekündigt wird. Dabei ist das<br />

Ganze umso tragischer, als diese Menschen in <strong>der</strong> heutigen Zeit im<br />

Vergleich zu denen in den Dreißigerjahren eigentlich genug aufgeklärt<br />

sein müssten, um diesen ganzen Mechanismus zu durchschauen, doch<br />

das genaue Gegenteil ist <strong>der</strong> Fall - und trotzdem reden sie ständig<br />

davon, frei und unabhängig zu sein.<br />

Dazu kommt auch noch dies: War in früheren Zeiten <strong>der</strong> Sonntagmorgen<br />

bei den meisten Leuten für einen Gottesdienst reserviert, auch wenn<br />

sicher viele nur hingingen, um zu sehen und gesehen zu werden und<br />

nicht ins Gespräch zu kommen, so tummeln sich in <strong>der</strong> heutigen Zeit die<br />

meisten auf den Sportplätzen herum o<strong>der</strong> halten sich sonstwie draußen<br />

auf, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an den Herrgott zu<br />

verschwenden, <strong>der</strong> sie schließlich aus lauter Gnade noch leben lässt. Ich<br />

weiß, dass Sie das vielleicht nicht gern hören, weil auch Sie ein Sportler<br />

sind, <strong>der</strong> an jedem Wochenende beschäftigt ist, aber es ist nun einmal<br />

eine Tatsache, dass <strong>der</strong> Sport in <strong>der</strong> heutigen Zeit eine übertrieben<br />

große Bedeutung hat. Es vergeht kein Wochenende, an dem nicht<br />

Hun<strong>der</strong>te von großen Sportveranstaltungen zugleich über die Bühne<br />

gehen, und oft läuft das auch noch unter <strong>der</strong> Woche so, vor allem beim<br />

Fußball.<br />

Natürlich ist dabei auch sehr viel Geld im Spiel, das sich die<br />

Bestverdienenden nicht entgehen lassen wollen - schließlich ist auch die<br />

Wirtschaft mit Milliardeninvestitionen dabei -, aber es geht um noch viel<br />

mehr, nämlich um die Ersetzung <strong>der</strong> alten Werte, zu denen eben auch<br />

die Gottesdienste gehört haben, durch alle möglichen<br />

Ablenkungsmanöver, die ganz klar von unten, das heißt von den<br />

teuflischen Mächten gesteuert werden, um möglichst viele Menschen<br />

vom Glauben an Gott und an Jesus Christus abzubringen. Dazu gehört<br />

vor allem auch <strong>der</strong> Sport - und <strong>der</strong> alte Kreislauf des römischen Spruchs<br />

von ‚panem et circenses’, also ‚Brot und Spiele’, mit dem das Volk billig<br />

unterhalten und von den wirklichen Bedürfnissen abgelenkt werden<br />

konnte, schließt sich immer wie<strong>der</strong>.<br />

Es ist sicher kein Zufall, dass die Sportbewegung etwa in <strong>der</strong> Mitte des<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>ts aufkam, also in <strong>der</strong> gleichen Epoche, als auch <strong>der</strong><br />

allmähliche Abfall vom christlichen Glauben einsetzte und die<br />

Evolutionstheorie immer mehr verbreitet wurde, und nur wer das<br />

113


ewusst nicht erkennen will, übersieht die Tatsache, dass die<br />

Olympischen Spiele, die kurz darauf neu einge<strong>führt</strong> wurden und heute<br />

praktisch mit religiösen Zeremonien als die wichtigsten Ereignisse in <strong>der</strong><br />

ganzen Welt gefeiert werden, eindeutig einen heidnischen und<br />

antigöttlichen und damit auch antichristlichen Ursprung haben. Gerade<br />

die Aussage, dass diese Spiele im antiken Griechenland, die vor mehr<br />

als hun<strong>der</strong>t Jahren im gleichen Geist wie<strong>der</strong>belebt wurden, den Göttern<br />

geweiht waren, beweist eindeutig, dass finstere Mächte dahinterstehen,<br />

denn hinter je<strong>der</strong> einzelnen Kultur, in <strong>der</strong> mehr als ein Gott verehrt<br />

wurde, stand seit jeher ein Götzen- und damit auch Dämonenkult, und<br />

das gilt auch in <strong>der</strong> heutigen Zeit, denn die Welt, aber auch Gott haben<br />

sich seitdem nicht verän<strong>der</strong>t. Jetzt verstehen Sie wahrscheinlich auch,<br />

warum ich seinerzeit die Eisschnelllaufschuhe an den Nagel gehängt<br />

habe, als ich diese Zusammenhänge erkannte.<br />

Dazu kommt auch noch die unglaubliche Aggressivität, die immer wie<strong>der</strong><br />

durchbricht, ganz gleich in welcher Sportart, und die immer feineren<br />

Methoden des Drogenmissbrauchs mit Hilfe sehr vieler Ärztinnen und<br />

Ärzte, um noch bessere Leistungen zu erzielen, bis bald auch noch die<br />

letzten Reste von Anstand über Bord geworfen werden - und jedes Mal,<br />

wenn jemand dabei erwischt wird, häufen sich die verlogenen und<br />

unglaubwürdigen Unschuldsbeteuerungen. Sicher ist gegen eine<br />

regelmäßige körperliche Betätigung nichts einzuwenden und ich möchte<br />

Ihnen selbst auch nicht sagen, dass Sie jetzt Ihre Laufbahn als Fußballer<br />

sofort beenden müssen, aber Sie können nicht bestreiten, dass <strong>der</strong><br />

Sport auch Sie im Grund gefangen hält, weil Sie fast an jedem<br />

Wochenende ein Spiel haben - und meistens gerade dann, wenn Sie an<br />

seiner Stelle einem Gottesdienst beiwohnen könnten -, und dass Sie<br />

auch unter <strong>der</strong> Woche viel Freizeit für das Training opfern müssen. O<strong>der</strong><br />

haben Sie noch nie den Eindruck bekommen, Sie könnten wegen Ihres<br />

Sports nie so richtig frei sein?“<br />

„Doch, manchmal schon, da muss ich Ihnen Recht geben“, antwortet<br />

Hans nach kurzem Zögern, „aber solange es mir noch Spaß gemacht<br />

hat, ist mir nie <strong>der</strong> Gedanke gekommen, dass ich besser damit aufhören<br />

sollte. Da ich aber schon 32-jährig bin, kann ich das sowieso nicht mehr<br />

lange betreiben, im besten Fall noch drei o<strong>der</strong> vier Jahre.“<br />

„Sehen Sie, Herr Stettler! Das ist es, was ich Ihnen sagen wollte.<br />

Vielleicht verstehen Sie jetzt, was ich gemeint habe, als ich vom<br />

nachchristlichen Zeitalter sprach. - Da fällt mir noch etwas ein, das ich<br />

Ihnen zu diesem Thema sagen wollte und das mit dem heutigen Sport<br />

eng zusammenhängt: Das ist die hemmungslose Gier nach viel Geld um<br />

jeden Preis, wobei auch noch <strong>der</strong> letzte Funken Menschlichkeit und<br />

Anstand auf <strong>der</strong> Strecke bleibt. Ich habe selbst ja auch einmal Sport<br />

getrieben und weiß, dass es für einen guten und erfolgreichen<br />

114


Wettkampf immer auch viel Training braucht. Sie werden mir aber<br />

zustimmen, dass es in <strong>der</strong> heutigen Zeit ein Verhältnisblödsinn<br />

son<strong>der</strong>gleichen ist, dass viele Sportlerinnen und Sportler, die ansonsten<br />

nichts leisten und in den meisten Fällen auch nicht beson<strong>der</strong>s intelligent<br />

sind, Millionen scheffeln können, nur weil sie zufälligerweise gut Fußball<br />

o<strong>der</strong> Tennis o<strong>der</strong> was auch immer spielen, und dass diese Leute<br />

bekannter sind als die meisten, die in <strong>der</strong> Politik tätig sind, und fast wie<br />

Nationalhelden gefeiert werden. Was haben sie aber effektiv geleistet,<br />

wenn wir davon absehen, dass ein kleiner Teil von ihnen mit Stiftungen<br />

hilft, für die sie aber nicht wenig von den Steuern absetzen können? Ich<br />

habe noch nie davon gehört o<strong>der</strong> gelesen, dass auch nur einer dieser<br />

Helden zum Beispiel im geistigen Bereich etwas zustande gebracht hat,<br />

dass auch nur eine Sportlerin o<strong>der</strong> ein Sportler fähig war, ohne die Hilfe<br />

von Journalisten ein Buch über das eigene Leben zu schreiben.<br />

Diese Gier zeigt sich jedoch nicht nur im Sport, son<strong>der</strong>n noch mehr in<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft, die bekanntlich schon so stark mit dem Sport verflochten<br />

ist, dass gerade aus diesem Grund diese antigöttlichen und<br />

antichristlichen Olympischen Spiele, bei denen nicht umsonst bisher die<br />

meisten Dopingfälle aufgedeckt worden sind, nicht mehr abgeschafft<br />

werden wie damals zur Zeit des christlichen Kaisers Theodosius, <strong>der</strong><br />

diesen Hintergrund erkannt und sie deshalb verboten hat. Was in den<br />

letzten paar Jahrzehnten in <strong>der</strong> Weltwirtschaft mit dem ungehemmten<br />

Drogen- und Waffenhandel und dem gewaltigen Druck <strong>der</strong> Konzerne auf<br />

die kleinen Unternehmen sowie mit den zahlreichen Fusionen von<br />

Banken und vor allem mit <strong>der</strong> weltweiten Korruption geschehen ist, lässt<br />

für die weitere Zukunft nur noch Schlimmes ahnen. Es ist heute zwar<br />

bekannt, dass die internationale Hochfinanz im letzten und vorletzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t viele Kriege geschürt hat - darunter auch die beiden<br />

Weltkriege -, aber wenn die ganze Entwicklung so weitergeht, kann es<br />

früher o<strong>der</strong> später zu einem weiteren Knall kommen, ohne dass dabei<br />

ein atomares Inferno sich ereignen muss - es kann auch nur ein<br />

wirtschaftliches sein.<br />

Allein die primitivsten soziologischen Gesetzmäßigkeiten, mit denen man<br />

gruppenweise aufeinan<strong>der</strong> angewiesen ist, was in den früheren Zeiten<br />

selbst über alle Schichten hinweg noch funktioniert hat, sagen <strong>uns</strong><br />

deutlich, dass es nicht gut enden wird, wenn eine dünne Oberschicht<br />

immer reicher wird, während die großen Massen unten gerade wegen<br />

dieser Machtgier immer mehr verarmen und immer mehr zu leiden<br />

haben - von <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit von Millionen, die damit eng<br />

zusammenhängt, müssen wir da schon gar nicht mehr sprechen. Zwar<br />

hat es auch in den früheren Jahrhun<strong>der</strong>ten immer Reiche und Arme<br />

gegeben, aber noch nie in einem so krassen Missverhältnis wie heute.<br />

All dies zeigt <strong>uns</strong> deutlich, dass wir immer mehr in Richtung einer<br />

115


Welteinheitsbank mit einer Welteinheitswährung zustreben, welche die<br />

ganze Weltwirtschaft kontrolliert, und dass damit auch ohne Rücksicht<br />

auf Verluste das Feld für den zukünftigen Antichristen vorbereitet wird,<br />

von dem in <strong>der</strong> Bibel oft genug die Rede ist.“<br />

Dann hält er wie<strong>der</strong> kurz inne, um einmal durchzuatmen, doch bald<br />

darauf setzt er fort, da Hans nichts einwendet: „Ein weiteres<br />

nachchristliches Kennzeichen <strong>der</strong> heutigen Zeit ist etwas, das ich vorher<br />

schon angedeutet habe: Der immer krassere Missbrauch von Drogen, an<br />

denen schon Millionen von Menschen zugrunde gegangen sind und<br />

noch heute leiden und <strong>der</strong> weite Teile <strong>der</strong> Welt vergiftet hat - von <strong>der</strong><br />

Mafia und an<strong>der</strong>en finsteren Kreisen, die damit ihre Macht noch<br />

zusätzlich ausgebaut haben, müssen wir da auch nicht mehr reden, das<br />

versteht sich schon fast von selbst. Doch die wirklich Schuldigen sind<br />

immer noch jene, die es konsumieren und damit zu dieser weltweiten<br />

Verbreitung beigetragen haben. So gibt es in <strong>der</strong> heutigen Zeit fast keine<br />

private Party mehr, bei <strong>der</strong> nicht alle möglichen Drogen gebraucht und<br />

gemischt werden - o<strong>der</strong> gemixt, wie es so schön mo<strong>der</strong>n heißt -, und es<br />

ist auch kein Zufall, dass gerade überwiegend Leute aus den<br />

sogenannten besseren Gesellschaftskreisen sehr stark vertreten sind,<br />

und keineswegs nur bekannte. Das Gleiche gilt auch für viele, die im<br />

Showbusiness und im sogenannten Jet-Set vertreten sind, denen das<br />

genau gleiche Etikett angehängt werden kann wie vielen aus <strong>der</strong><br />

Sportszene: Viel Geld und wenig Hirn.<br />

Auch wenn heute nicht mehr so stark für den Gebrauch von Drogen<br />

geworben wird, wie das seinerzeit die Beatles, die Rolling Stones und<br />

unzählige an<strong>der</strong>e Musikgruppen getan haben, bleibt es eine Tatsache,<br />

dass das Showbusiness immer noch stark von Drogen infiltriert ist, vor<br />

allem bei denen, die harte Musik spielen wie etwa Rock. Es ist sicher<br />

kein Zufall, dass all diese Gruppen neben dem Gebrauch von Drogen<br />

auch noch eine überlaute Musik spielen - falls das überhaupt noch als<br />

Musik bezeichnet werden kann -, die direkt das Gehör und damit letztlich<br />

auch einen Teil des vernünftigen menschlichen Denkens verletzt. Dass<br />

dabei das Fragen und die Suche nach einem Gott auf <strong>der</strong> Strecke<br />

bleiben, versteht sich da ebenfalls von selbst, aber das ist ja auch das<br />

Ziel dieser Leute, die alles an<strong>der</strong>e als Christen waren o<strong>der</strong> sind. Dazu<br />

gehört auch, dass es noch nie bekannt geworden ist, dass einer dieser<br />

sogenannten Stars auf irgendeine Weise etwas für wohltätige Zwecke<br />

gespendet hat - und wenn doch, waren es fast immer nur mickrige<br />

Beträge, die gemessen an ihrem Vermögen nur ein Butterbrot wert<br />

waren. In dieser Beziehung glichen sie immer stark den etablierten<br />

Leuten, die sie in ihren Lie<strong>der</strong>n zum Teil heftig kritisiert haben. Das<br />

Gleiche gilt auch für viele sogenannte Stars aus dem Filmgeschäft, die<br />

116


für Filme, über <strong>der</strong>en wirklichen Wert diskutiert werden kann und die sich<br />

sicher nicht mit vielen aus <strong>der</strong> Vergangenheit messen können, Millionen<br />

scheffeln und ebenfalls fast alles nur für sich selbst behalten.“<br />

Wie<strong>der</strong> hält er kurz inne, dann fragt er Hans lächelnd: „Mögen Sie noch<br />

weiter zuhören?“<br />

„Ich schon“, antwortet dieser sofort und ebenfalls lächelnd, „aber<br />

vielleicht mögen Sie nicht mehr, eigentlich müssten Sie schon müde<br />

o<strong>der</strong> wenigstens heiser sein.“<br />

„Aber nein, Herr Stettler! Wenn es um den Glauben an Gott und an<br />

Jesus Christus geht, kenne ich keine Müdigkeit mehr; dann kann ich<br />

sogar eine ganze Nacht lang sprechen, wenn es sein muss. Zudem bin<br />

ich es gewohnt, stundenlang zu reden, und zum Glück hat <strong>der</strong> Herr mir<br />

auch eine kräftige Stimme geschenkt, so dass diese eine gute Kondition<br />

hat. Ein weiteres Glück ist, dass ich morgen früh ausnahmsweise etwas<br />

länger schlafen kann, weil ich meinen ersten Vortrag erst am Nachmittag<br />

habe … Also, dann fahren wir fort: Ein weiteres typisches<br />

nachchristliches Kennzeichen <strong>der</strong> heutigen Zeit, das mit den Drogen<br />

ebenfalls eng zusammenhängt, ist die zunehmende Beschäftigung mit<br />

dem Okkultismus. Zwar gab es das auch schon früher in bestimmten<br />

Kreisen, aber nie so wie heute, vor allem nie so öffentlich, jedenfalls<br />

nicht in <strong>uns</strong>erem sogenannten christlichen Kulturkreis. So gibt es heute<br />

fast keine Illustrierte mehr, in denen keine Horoskope vorkommen, und<br />

auch immer mehr Zeitungen machen davon Gebrauch. Es ist bekannt<br />

und wird nicht einmal mehr bestritten, dass zahlreiche Politiker und<br />

Wirtschaftsgeneräle ihre Entscheidungen allein aufgrund von<br />

Horoskopen und an<strong>der</strong>en okkulten Voraussagemethoden treffen, anstatt<br />

direkt den lebendigen Gott um Rat zu fragen, und auch die meisten<br />

Angehörigen des Showbusiness und <strong>der</strong> Filmwelt, ja, des ganzen<br />

sogenannten Jet-Sets sind darin verwickelt, also überwiegend reiche<br />

Leute, was für die Zukunft auch nichts Gutes erahnen lässt. Das<br />

eigentliche Tragische besteht jedoch darin, dass immer mehr<br />

Kirchenführer sich verblenden lassen o<strong>der</strong> aus Furcht und Feigheit<br />

schweigen, statt all dieses Teufelswerk als das zu bezeichnen, was es<br />

effektiv auch ist, und in ihren Kirchen zum Teil sogar Yoga-Kurse<br />

anbieten, die ebenfalls im Okkultismus verstrickt sind, auch wenn das<br />

immer wie<strong>der</strong> bestritten worden ist; dabei wäre das gar nicht mehr nötig,<br />

seitdem das Okkulte in <strong>der</strong> Öffentlichkeit immer mehr salonfähig<br />

geworden ist.“<br />

„Ist Yoga also auch teuflisch?“, fragt Hans dazwischen, „was halten Sie<br />

denn von den östlichen Heilmethoden wie Akupunktur und Akupressur?<br />

Die sollen ja sehr erfolgreich sein und viele geheilt haben.“<br />

„Ja, aber für wie lange? Das wird nirgendwo beantwortet. Dass diese<br />

117


eiden Methoden schon zu Erfolgen ge<strong>führt</strong> haben, wird ja von<br />

niemandem ernsthaft bestritten, aber es bleibt eine Tatsache, dass vor<br />

allem die Akupunktur keinen göttlichen Ursprung hat. Selbst ihre<br />

Benützer betonen immer wie<strong>der</strong>, dass bei ihnen auch magische Kräfte<br />

im Spiel sind - jedenfalls haben sie das nie direkt bestritten, wenn sie<br />

darauf angesprochen wurden. Ob Sie das jetzt glauben wollen o<strong>der</strong><br />

nicht, Herr Stettler: Auch die satanische Seite ist fähig, medizinische<br />

Heilerfolge zu erzielen, mit denen sie die Welt verblenden und von Gott<br />

ablenken kann. Dabei gäbe es auch noch einen an<strong>der</strong>en <strong>Weg</strong>, denn es<br />

steht in einem Bibelvers klar geschrieben, dass Gott selbst sich auch als<br />

Arzt und Helfer offenbart. So ist es schon viele Male vorgekommen,<br />

dass Personen, die sich auf diesen Vers beriefen und den Herrn auf<br />

diese Weise um Heilung baten, auch tatsächlich geheilt wurden o<strong>der</strong> die<br />

Heilung an<strong>der</strong>er Leute unmittelbar miterlebt haben. Es wäre also viel<br />

einfacher als das, was in <strong>der</strong> Welt angeboten wird; es würde genügen,<br />

etwa die Worte aus dem Psalm 50, Vers 15, anzuwenden, <strong>der</strong> unter den<br />

Christen im Scherz als Telefonnummer <strong>der</strong> Bibel bezeichnet wird, und<br />

Gott direkt anzurufen. Die meisten ziehen es jedoch vor, auf den<br />

komplizierten okkulten <strong>Weg</strong>en zu wandeln und sich immer mehr darin zu<br />

verstricken, und wenn sie einmal tief drinnen sind, kommen sie<br />

höchstens noch durch ein göttliches Wun<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> heraus - falls sie das<br />

überhaupt wollen, aber das ist immerhin schon etliche Male<br />

vorgekommen.“<br />

Nun legen sie eine weitere kleine Pause ein, die sie zum Nachschenken<br />

von Kaffee benützen. Dann fragt Hoveneel nochmals lächelnd: „Wollen<br />

Sie noch mehr hören, Herr Stettler?“<br />

„Aber natürlich, fahren Sie ruhig fort, wenn Sie noch Zeit haben!“<br />

antwortet dieser ebenso lächelnd, wobei er sich fast dazu hätte hinreißen<br />

lassen, auf die Uhr zu schauen.<br />

„Diese Zeit habe ich schon noch, also gehen wir noch ein wenig weiter ...<br />

Ein weiteres nachchristliches Kennzeichen <strong>der</strong> heutigen Zeit ist das<br />

Auftreten vieler Sekten, die Irrlehren verbreiten, und vieler falscher<br />

Propheten, die sich als Retter bezeichnen o<strong>der</strong> sich noch so gern von<br />

an<strong>der</strong>en so bezeichnen lassen, und wenn sie sich christlich geben,<br />

verbreiten sie ein ganz an<strong>der</strong>es Evangelium, aber nicht das, was<br />

tatsächlich in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht. Vor all denen müssen Sie sich<br />

in acht nehmen, denn Sie wissen ja selbst, wie oft wir immer wie<strong>der</strong><br />

damit konfrontiert werden.“<br />

„Ja, ich erinnere mich, wie Erwin mir einmal gesagt hat, dass das<br />

Kennzeichen einer Sekte darin besteht, dass Jesus und das Kreuz nicht<br />

allein im Mittelpunkt stehen.“<br />

„Wenn Sie sich das gemerkt haben, ist Ihnen aber schon einiges klar -<br />

118


erfreulich vieles, muss ich sagen. Dann könnten Sie auch schon fähig<br />

sein, einen falschen Propheten als solchen zu durchschauen. Jesus<br />

Christus hat ja selbst noch vorausgesagt, dass nach ihm viele falsche<br />

Propheten auftreten werden, die als Engel des Lichts erscheinen, um die<br />

Menschen zu verführen. Dabei ist eines klar festzuhalten: Wenn wir<br />

Christen wirklich daran glauben, dass <strong>der</strong> Herr durch seinen Opfertod<br />

am Kreuz und seine Auferstehung das göttliche Erlösungswerk<br />

vollbracht hat - und daran glauben wir ja -, dann kann es nur logisch<br />

sein, dass es nach ihm keine weiteren Propheten mehr brauchte, dass<br />

also kein Geringerer als er selbst <strong>der</strong> letzte Gesandte Gottes war und ist<br />

und dass damit auch <strong>der</strong> letzte echte Apostel Gottes, <strong>der</strong> von ihm selbst<br />

berufen wurde, <strong>der</strong> Evangelist Johannes war, <strong>der</strong> neben dem<br />

Evangelium, das nach ihm benannt ist, auch noch die Apokalypse, das<br />

letzte Buch <strong>der</strong> Bibel, geschrieben hat und vom Herrn buchstäblich zu<br />

diesem Zweck jahrzehntelang beschützt wurde, damit er nicht auch den<br />

Märtyrertod erlitt wie fast alle an<strong>der</strong>en Apostel vor ihm.<br />

Zudem gibt es noch etwas zu beachten, das sogar unter den Christen<br />

viel zu wenig bekannt ist: Wer auch immer von den Personen, die in <strong>der</strong><br />

Bibel auftreten, prophetische Aussagen machte, die von Gott kamen,<br />

war ein Mann o<strong>der</strong> manchmal auch eine Frau aus dem Volk Israel, und<br />

das Gleiche gilt auch für die ersten Apostel, die mit Jesus zusammen<br />

waren. So kann zum Beispiel nicht einmal Lukas, <strong>der</strong> eines <strong>der</strong><br />

Evangelien und dazu die Apostelgeschichte geschrieben hat, wie Sie<br />

vielleicht wissen, als ein Apostel, geschweige denn als ein Prophet<br />

bezeichnet werden, erstens weil er nicht zu den ersten zwölf Jüngern<br />

des Herrn gehörte und zweitens weil er kein Jude war wie die an<strong>der</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n ein Grieche; das beweist auch seine hervorragende und<br />

gehobene Sprache im Neuen Testament - jedenfalls für all jene, welche<br />

die Ursprache gut beherrschen, so auch ich zum Teil.<br />

Da nun also je<strong>der</strong> Prophet Gottes ein Israelit und in späteren<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten, als es nur noch jene gab, die wir noch heute als Juden<br />

bezeichnen, nur ein Jude sein konnte, ist es klar, dass auch ein<br />

Mohammed nicht von Gott geschickt sein konnte. Das war auch <strong>der</strong><br />

Hauptgrund dafür, dass er von den Juden, die auf <strong>der</strong> Arabischen<br />

Halbinsel lebten, nicht als Prophet anerkannt wurde, und wie Recht sie<br />

hatten, zeigte er gerade in den zehn Jahren, die er nach seiner Flucht<br />

aus Mekka in Medina verbracht hat. Das war keineswegs eine so<br />

ruhmvolle Zeit, wie es in den islamischen Geschichtsbüchern<br />

geschrieben steht, son<strong>der</strong>n eine reine Terrorherrschaft. Wer es wagte,<br />

ihn nicht als Propheten Gottes anzuerkennen, wurde enthauptet, und<br />

genau so geschah das auch in aller Öffentlichkeit mit mehr als<br />

sechshun<strong>der</strong>t Juden - es war also ein regelrechtes Massaker.<br />

Zu diesem Geist, <strong>der</strong> nur von unten sein konnte, gehörte auch, dass die<br />

119


islamischen Heere ihren Glauben in den nächsten paar Jahrzehnten und<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten mit einer auffallenden Aggressivität in die Welt verbreitet<br />

haben - noch viel aggressiver, als das zu Unrecht den Christen<br />

vorgeworfen wird. Kann so einer, <strong>der</strong> diesen Feldzug mit dem Schwert<br />

begonnen hat, obwohl Jesus davon gesprochen hatte, dass kein<br />

Schwert benötigt würde, um an Gott zu glauben, ein Prophet des einen<br />

wahrhaften Gottes sein? Sicher nicht - und erst recht nicht deshalb, weil<br />

es deutliche Hinweise dafür gibt, dass er wahrscheinlich epileptisch<br />

veranlagt war; jedenfalls mutet die Geschichte von <strong>der</strong> Erscheinung des<br />

Engels Gabriel in einer Höhle, die ihn in Verzückungen fallen ließ, allzu<br />

komisch an.<br />

Also, Herr Stettler, merken Sie sich das gut: Wenn Ihnen über Propheten<br />

und Apostel etwas an<strong>der</strong>es gepredigt wird als das, was ich Ihnen jetzt<br />

gesagt habe, ist das eine klare Irrlehre - nicht wegen mir selbst, son<strong>der</strong>n<br />

weil es in <strong>der</strong> Bibel so geschrieben steht, und es wird in <strong>der</strong> Apokalypse,<br />

dem letzten Buch <strong>der</strong> Bibel, auch deutlich davor gewarnt, zu diesen<br />

Worten noch etwas hinzuzufügen o<strong>der</strong> etwas davon wegzunehmen. Die<br />

frühesten Kirchenväter, die im zweiten Jahrhun<strong>der</strong>t nach Christus - o<strong>der</strong><br />

nach <strong>der</strong> heutigen Zeitrechnung, wie das von den mo<strong>der</strong>nen,<br />

atheistischen Kreisen so bezeichnet wird - den Kanon, also die<br />

sogenannten 66 Bücher <strong>der</strong> Bibel, zusammengestellt haben, waren noch<br />

gottesfürchtige Männer, die sich nach vielen Gebeten vom Heiligen Geist<br />

leiten ließen und damit sehr wohl wussten, was von Gott inspiriert war<br />

und was nicht. Sein Wort steht also fest, obwohl immer wie<strong>der</strong> von<br />

verschiedenen Seiten das Gegenteil behauptet wird, so auch von <strong>der</strong><br />

römisch-katholischen Kirche, die bekanntlich auch noch an<strong>der</strong>e Schriften<br />

wie etwa die Apokryphen als göttlich inspiriert anerkennt. Das ist aber<br />

auch nicht erstaunlich, denn sonst könnte sie das Fegefeuer, von dem<br />

im zweiten Makkabäerbrief die Rede ist und <strong>der</strong> übrigens vom<br />

unbekannten Verfasser selbst als ein reines Menschenwerk bezeichnet<br />

wird, nicht als eine ihrer Hauptlehren vorbringen.<br />

Wir können also getrost auf diese Worte vertrauen: Wenn Jesus<br />

verheißt, dass er seine Kirche beziehungsweise Gemeinde bauen wird<br />

und auch die Hölle sie nicht überwältigt, können wir fest damit rechnen,<br />

dass ihm das auch gelingen wird. Nach ihm brauchte es also keine<br />

weiteren Propheten und Apostel mehr, also keinen Mohammed und<br />

keine Stammapostel wie bei den Neuapostolen und den Mormonen,<br />

damit also auch keinen Joseph Smith, den selbst ernannten Propheten<br />

<strong>der</strong> Mormonen und Erneuerer <strong>der</strong> einen wahren Kirche, und auch alles<br />

an<strong>der</strong>e, was von einer Erlösung ohne Jesus Christus allein redet, ist ein<br />

falscher <strong>Weg</strong>, <strong>der</strong> ins Ver<strong>der</strong>ben <strong>führt</strong> - nur Jesus ist die alleinige<br />

Wahrheit.“<br />

„Wie könnt ihr beiden aber so sicher sein, dass Jesus die alleinige<br />

120


Wahrheit ist?“, fragt Hans jetzt dazwischen und setzt dann nach einer<br />

kurzen Pause nach: „Die Moslems und Mormonen, die Sie jetzt erwähnt<br />

haben, und alle an<strong>der</strong>en reden doch auch von Gott, und es ist nicht<br />

anzunehmen, dass sie einen an<strong>der</strong>en meinen.“<br />

„So, das glauben Sie? Die Antwort darauf ist sehr einfach: Jesus ist<br />

tatsächlich die eine und einzige Wahrheit, weil er eben von den Toten<br />

auferstanden ist und <strong>uns</strong>ichtbar noch heute mitten unter <strong>uns</strong> lebt. Alles<br />

an<strong>der</strong>e, was über diesen erwähnten Kanon hinausgeht, ist nur<br />

menschliches Stückwerk o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, also von unten<br />

inspiriert. Schauen wir <strong>uns</strong> zum Beispiel den Koran an! Während in <strong>der</strong><br />

Bibel von Anfang bis zum Schluss, also vom ersten Buch Mose bis zur<br />

Apokalypse, eine klare Linie zu erkennen ist - eben die Heilslinie Gottes<br />

bis zum irdischen Auftreten des Herrn -, sind die 114 sogenannten Suren<br />

ohne ein bestimmtes Schema so durcheinan<strong>der</strong>gewühlt, dass kein klares<br />

Konzept zu erkennen ist.<br />

Da wird einerseits zum Beispiel die Jungfrauengeburt betont, doch<br />

an<strong>der</strong>erseits wird einfach behauptet, Jesus sei nicht gekreuzigt worden,<br />

obwohl mehrere weltliche Quellen das deutlich belegen, son<strong>der</strong>n ein<br />

an<strong>der</strong>er, <strong>der</strong> sein Gesicht hatte, sei an seiner Stelle gehangen, während<br />

<strong>der</strong> wirkliche Jesus, <strong>der</strong> immerhin noch als ein großer Prophet verehrt<br />

wird, von Gott in den Himmel entrückt worden sei. Zudem heißt es im<br />

Koran stets, dass es nur einen Gott gäbe, und an<strong>der</strong>erseits kommt<br />

Dutzende Male die Wir-Form vor, zum Beispiel in Sätzen wie: ‚Wir haben<br />

ihnen die Schrift gegeben’ o<strong>der</strong> ‚Wir haben Moses gesandt’ o<strong>der</strong> ‚Wir<br />

haben für euch das Meer geteilt und euch errettet’ o<strong>der</strong> ‚Wir haben mit<br />

euch den Bund geschlossen’. Wer ist denn wohl mit diesem ‚wir’<br />

gemeint? Das kann doch nichts an<strong>der</strong>es als ein versteckter Hinweis auf<br />

die göttliche Dreieinigkeit sein, die von den Moslems ja immer so heftig<br />

bestritten wird, manchmal sogar noch heftiger als von den orthodoxen<br />

Juden. Entwe<strong>der</strong> ist es dem, <strong>der</strong> dem Propheten dieses Buch angeblich<br />

von oben eingegeben hat, nicht ganz gelungen, dieses göttliche<br />

Geheimnis zu verschleiern, o<strong>der</strong> sonst weiß offenbar <strong>der</strong> linke Teil nicht,<br />

was <strong>der</strong> rechte tut.<br />

Der Hauptzweck dieses sogenannten heiligen Buches kann von denen,<br />

welche die Auferstehung des Herrn Jesus persönlich erfahren haben,<br />

schon bald durchschaut werden: Es soll um jeden Preis verhin<strong>der</strong>t<br />

werden, dass die Botschaft vom Kreuz verbreitet wird, und wenn wir<br />

daran denken, dass im siebten Jahrhun<strong>der</strong>t, als dieser angebliche<br />

Prophet lebte, das Christentum gerade auf <strong>der</strong> Arabischen Halbinsel<br />

immer mehr Erfolg hatte, ist dieser raffinierte Plan von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

erst recht zu erkennen. Dazu passen auch die Aussagen im Koran<br />

selbst, in denen Allah, also <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> Moslems, als arglistig, ja, sogar<br />

als <strong>der</strong> größte Listenschmied bezeichnet wird. Da ist offensichtlich von<br />

121


einem an<strong>der</strong>en Gott die Rede, denn <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> Bibel, auf den sich<br />

dieses Buch auch bezieht, bezeichnet sich an keiner einzigen Stelle als<br />

arglistig und damit hinterhältig.<br />

Ebenso wenig findet <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> Bibel, dass all jene, die den Glauben<br />

an ihn verlassen, umgebracht werden sollen o<strong>der</strong> dass ihnen eine o<strong>der</strong><br />

gar beide Hände abgehackt werden sollen, wie das im Koran deutlich so<br />

geschrieben steht. Diese fanatische Intoleranz hat dieser selbst ernannte<br />

Prophet, <strong>der</strong> es offensichtlich nie ganz überwinden konnte, dass er, ein<br />

Sohn aus einer einfachen Familie, <strong>der</strong> es nur dank <strong>der</strong> Heirat mit einer<br />

reichen Witwe nach oben schaffte, nicht von allen als <strong>der</strong> Eine und<br />

Einzige anerkannt wurde, in Medina mit dem Massenmord an den mehr<br />

als sechshun<strong>der</strong>t Juden, den ich vorhin erwähnt habe, auch deutlich<br />

genug bewiesen.<br />

Ob Sie das nun glauben o<strong>der</strong> nicht, dieses systematische Töten und<br />

Abhacken <strong>der</strong> Hände ist in <strong>der</strong> Vergangenheit unzählige Male<br />

vorgekommen, wenn ein Mann o<strong>der</strong> eine Frau, für die es aus den<br />

bekannten Gründen noch viel schwieriger war, sich zu Christus bekehrt<br />

hat, und selbst heute geschieht das noch ab und zu. Auf meinen Reisen<br />

in den Nahen Osten habe ich persönlich einen arabischen und einen<br />

pakistanischen Bru<strong>der</strong> kennen gelernt, denen nicht nur eine Hand<br />

abgehackt wurde, son<strong>der</strong>n gleich beide. All dies zeigt, dass <strong>der</strong> Geist,<br />

<strong>der</strong> aus diesem Buch spricht, nicht von <strong>uns</strong>erem Gott stammt, son<strong>der</strong>n<br />

vom Teufel selbst, dem größten Menschenfeind, direkt inspiriert ist, und<br />

das eigentliche Tragische dabei ist, dass sehr viele Moslems im Grund<br />

gutgläubig und rechtschaffen sind und alles tun, um Gott zu gefallen, und<br />

nicht merken, dass sie sozusagen den Falschen erwischt haben. Das<br />

wird auch dadurch unterstrichen, dass bekannt ist, dass die Kaaba, also<br />

<strong>der</strong> große schwarze Stein in Mekka, <strong>der</strong> für die Moslems eine so enorme<br />

Bedeutung hat, schon vor dem Auftreten Mohammeds wie ein Götze<br />

verehrt wurde. Erkennen Sie die Parallelen, Herr Stettler? Aber wie Sie<br />

ja selbst wissen, dürfen wir all diese Tatsachen nicht laut und in aller<br />

Öffentlichkeit sagen o<strong>der</strong> schreiben, wenn wir <strong>uns</strong>er eigenes Leben und<br />

das <strong>uns</strong>erer Familien nicht gefährden wollen.<br />

Ins gleiche Kapitel gehört auch dies: Einerseits werfen die fanatischen<br />

Moslems den Christen, die an die göttliche Dreieinigkeit glauben, immer<br />

wie<strong>der</strong> Vielgötterei und wegen <strong>der</strong> Heiligenbil<strong>der</strong> auch noch<br />

Götzendienst vor, und handkehrum betreiben sie den gleichen<br />

Reliquienkult und verehren ihren heiligen Propheten <strong>der</strong>art, dass von<br />

ihm, <strong>der</strong> von sich selbst gesagt hat, er sei auch nur ein Mensch, kein<br />

einziges Bild gezeichnet o<strong>der</strong> angefertigt werden darf. Ich erinnere<br />

daran, dass damals, als in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

ein internationaler Spielfilm über ihn gedreht wurde, an dem sich auch<br />

Moslems beteiligten, nach massiven Drohungen darauf verzichtet<br />

122


werden musste, ihn durch einen Schauspieler darstellen zu lassen.<br />

Grenzt das nicht auch an Götzendienst? Zudem werden auch ihm<br />

Heilungen nachgesagt, die Jesus vollbrachte, ja, es wird sogar<br />

behauptet, dass auch er in den Himmel aufgefahren sei, und zwar vom<br />

Felsendom in Jerusalem aus. Vor allem aus diesem Grund gilt auch<br />

dieser Bau zusammen mit <strong>der</strong> ebenso weltbekannten Al-Aksa-Moschee<br />

als heilig und Jerusalem nach Mekka und Medina als drittheiligste Stadt,<br />

obwohl diese im Koran keine wichtige Rolle spielt. Der Hauptzweck ist<br />

aber leicht zu durchschauen: Auch damit soll unterstrichen werden, dass<br />

nicht die Juden das auserwählte Volk Gottes sind, son<strong>der</strong>n die Moslems<br />

und beson<strong>der</strong>s die Araber, in <strong>der</strong>en Sprache <strong>der</strong> Koran ja geschrieben<br />

worden ist.<br />

Dazu passt auch, dass einfach behauptet wird, die Bibel und vor allem<br />

das Neue Testament wimmle von Übersetzungsfehlern, nur damit <strong>der</strong><br />

Vers im Johannes-Evangelium, in dem von einem ‘Parakletos’, also von<br />

einem Tröster Gottes, die Rede ist, auf Mohammed bezogen werden<br />

kann, weil ein griechisches Wort, das mit ‘Parakletos’ fast identisch ist,<br />

im Arabischen angeblich genau diesen Namen bedeutet. Wie weit dieser<br />

ganze Kult geht, zeigt sich nicht nur darin, dass es rund um den ganzen<br />

Mittelmeerraum fast keine Moschee gibt, in <strong>der</strong> nicht behauptet wird,<br />

dass eines seiner Haare dort drinnen aufbewahrt sei, und dass in<br />

Istanbul, dem früheren Konstantinopel, sogar das Grab eines Mannes<br />

verehrt wird, nur weil er viele Jahre lang <strong>der</strong> Fahnenträger des<br />

Propheten war.<br />

Und noch etwas möchte ich vorbringen, das deutlich beweist, dass <strong>der</strong><br />

Koran unmöglich das Wort Gottes sein kann, jedenfalls nicht des Gottes,<br />

den wir Christen kennen: Wie Sie vielleicht auch schon gehört haben,<br />

steht im Neuen Testament geschrieben, dass wir durch den Glauben an<br />

den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus von allen bisherigen<br />

religiösen Gesetzen befreit worden sind. Was aber hat dieser heilige<br />

Prophet <strong>der</strong> Moslems gemacht? Er hat eine Unmenge neuer Gesetze<br />

wie<strong>der</strong> einge<strong>führt</strong>, Jahrhun<strong>der</strong>te nachdem <strong>der</strong> biblische Kanon von<br />

gottesfürchtigen Männern zusammengestellt worden war, und zwar nicht<br />

durch eine sogenannte Vision in einer Höhle, son<strong>der</strong>n nach vielen<br />

innigen Gebeten in ihrem Kreis. Dabei hat er, <strong>der</strong> sein ganzes Leben<br />

lang nie Lesen und Schreiben gelernt hat und damit keinen richtigen<br />

Einblick hatte, einfach behauptet, alles Frühere sei nicht mehr gültig, weil<br />

die Übersetzungen sowieso falsch seien. Merken Sie, von welcher Seite<br />

diese Behauptung inspiriert ist?<br />

Von den vielen Gesetzen, mit denen die Moslems sogar fast den<br />

orthodoxen Juden, die auch noch heute mehr als 600 einhalten müssen,<br />

Konkurrenz machen könnten, möchte ich nur zwei hervorheben: Wie Sie<br />

sicher auch schon gehört haben, ist es einem Moslem erlaubt, bis zu vier<br />

123


Frauen zu heiraten, ja, ich kannte mal einen, <strong>der</strong> sogar behauptet hat, es<br />

seien bis zu sieben erlaubt. Einerseits hat ein solcher Mann die Pflicht,<br />

für diese zu sorgen, doch an<strong>der</strong>erseits kann er je<strong>der</strong>zeit eine Frau<br />

verstoßen, wenn es ihm beliebt, und dabei jede noch so erstunkene<br />

Lüge vorbringen. So ist das auch schon unzählige Male vorgekommen,<br />

vor allem dann, wenn es einer Frau gelungen war, diese Ketten <strong>der</strong><br />

Sklaverei hinter ihrem Schleier zu durchbrechen, und sich zu Christus<br />

bekehrte. Meistens wurden sie dann wegen angeblichen Ehebruchs und<br />

damit wegen Verletzung <strong>der</strong> Familienehre o<strong>der</strong> sogar wegen angeblicher<br />

Beleidigung des heilligen Propheten gesteinigt o<strong>der</strong> enthauptet, und<br />

auch heute kommt das immer wie<strong>der</strong> vor. Sicher haben auch Sie schon<br />

vom Begriff ‘Ehrenmord’ gehört, <strong>der</strong> vor allem dann verwendet wird,<br />

wenn eine Frau o<strong>der</strong> ein noch sehr junges Mädchen, das sogar noch in<br />

<strong>der</strong> Pubertät steckt, den Mut aufbringt, nicht den Mann heiraten zu<br />

wollen, den ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Die Frauen haben also<br />

überhaupt keine Möglichkeit, sich zu wehren. Das einzige Recht, das<br />

ihnen zusteht, ist eine finanzielle Abfindung nach einer Scheidung, aber<br />

Sie können sich ja selbst gut genug vorstellen, wie dieses Recht<br />

umgangen werden kann, vor allem gerade bei einer Frau, die eine<br />

Christin geworden ist, und erst recht in den Wüstengegenden o<strong>der</strong><br />

abgelegenen Bergdörfern irgendwo im Atlas-Gebirge, im Jemen o<strong>der</strong> in<br />

Afghanistan.<br />

Dazu kommt noch dies: Es steht nirgendwo im Koran deutlich<br />

geschrieben, dass auch die Frauen ins Paradies kommen; es ist<br />

praktisch immer nur von den Männern die Rede, so dass <strong>der</strong> Islam<br />

tatsächlich eine Männer-Religion ist, wie es einmal jemand so formuliert<br />

hat. Nicht umsonst ist es den Frauen und Mädchen in den Moscheen<br />

nicht erlaubt, sich im Hauptteil aufzuhalten, weil angeblich die Männer<br />

allein ihre Famlien vertreten; nur in Nebenräumen dürfen sie mitbeten.<br />

Wenn wir <strong>uns</strong> aber vor Augen führen, wie dieser Mohammed selbst<br />

gelebt hat, brauchen wir <strong>uns</strong> nicht zu wun<strong>der</strong>n, warum die Frauen bei<br />

ihm so schlecht wegkamen. Es ist zwar in <strong>der</strong> islamischen Tradition wie<br />

in einer Art Alibifunktion immer wie<strong>der</strong> davon die Rede, wie wichtig seine<br />

erste Frau Chadidscha, die ihm erst den sozialen Aufstieg ermöglicht<br />

hat, sowie seine spätere Lieblingsfrau Aischa und seine Lieblingstochter<br />

Fatima für ihn waren, doch es ist ebenso bekannt, dass er selbst sich<br />

nicht an die Gebote hielt, was die Anzahl <strong>der</strong> Ehefrauen betrifft, denn er<br />

hatte mindestens elf davon und dazu noch mehrere Nebenfrauen. Aber<br />

auch dies dürfen wir in <strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht laut sagen, wenn wir nicht<br />

um <strong>uns</strong>er Leben fürchten wollen, denn so komisch es auch klingt, so wie<br />

die Moslems sich aufführen und ausdrücken, bekommt man fast den<br />

Eindruck, dass dieser Mohammed für sie noch heiliger ist als Gott selbst.<br />

Was sagt nun aber die Bibel zur Stellung <strong>der</strong> Frauen? Da steht deutlich<br />

124


geschrieben, dass die Frauen gegenüber den Männern gleichberechtigt<br />

sind, dass sie zwar an<strong>der</strong>e Aufgaben und Pflichten, aber eben die<br />

gleichen Rechte haben. So durften sie zum Beispiel auch nicht<br />

übergangen werden, wenn ein Israelit mehrere Kin<strong>der</strong> hinterließ, von<br />

denen eines eine Tochter war; alles musste genau gleich unter alle<br />

verteilt werden. Dazu kommen auch noch die recht strengen Gesetze,<br />

was das Scheiden sogar im Neuen Testament betrifft, aber auch diese<br />

dienten und dienen vor allem als Schutz für die Frauen.<br />

Und jetzt komme ich auch noch auf ein ganz beson<strong>der</strong>es islamisches<br />

Gesetz zu sprechen, das wohl am deutlichsten zeigt, wie verkehrt diese<br />

Religion ist: Wie Sie vielleicht auch schon gehört haben, ist es den<br />

Moslems verboten, mit <strong>der</strong> linken Hand zu essen, weil mit dieser <strong>der</strong><br />

Hinterteil nach dem Stuhlgang gereinigt werden muss. Allein die<br />

Tatsache, dass die meisten Menschen Rechtshän<strong>der</strong> sind und damit von<br />

Natur aus fast alles mit <strong>der</strong> rechten Hand ausführen, spricht dafür, wie<br />

unnatürlich <strong>der</strong> Koran ausgerichtet ist, obwohl es immer wie<strong>der</strong> geheißen<br />

hat, er komme den sogenannten Naturvölkern mehr entgegen als die<br />

Bibel. Es ist doch nichts Verwerfliches dabei, wenn jemand sich den<br />

Hinterteil mit <strong>der</strong> Hand putzt, die er o<strong>der</strong> sie sonst immer benützt;<br />

schließlich gibt es dafür auch noch Papier. Nachher kann man sich die<br />

Hände ja mit Seife waschen, bevor man essen geht. So ein Gesetz<br />

spricht doch gegen jeden gesunden Menschenverstand. Was soll denn<br />

jemand tun, <strong>der</strong> keinen linken Arm o<strong>der</strong> keine linke Hand o<strong>der</strong> nur einen<br />

gelähmten linken Arm hat? Da erübrigt sich je<strong>der</strong> weitere Kommentar.<br />

Der Witz <strong>der</strong> Sache ist jedoch, dass selbst <strong>der</strong> allerfrömmste Moslem,<br />

<strong>der</strong> sein Leben lang alle Gebote getreulich und gewissenhaft erfüllt hat,<br />

nie die Gewissheit haben kann, dass er einmal in den Himmel kommt,<br />

denn es gibt im Koran mehrere Stellen, die klar aussagen, dass die<br />

Prädestination vorherrscht, also die Vorbestimmung, dass es also von<br />

vornherein feststeht, wer am Ende in den Himmel kommt und wer nicht,<br />

und von den Frauen ist in diesem Zusammenhang wie schon erwähnt<br />

überhaupt nicht die Rede. So ist es sicher kein Zufall, dass in diesem<br />

Buch kein einziges Mal von einem Gott <strong>der</strong> Liebe und einem Vater im<br />

Himmel gesprochen wird, zu dem je<strong>der</strong> einzelne Mensch kommen kann,<br />

wenn er o<strong>der</strong> sie es will.<br />

Wie viel an<strong>der</strong>s ist es doch bei <strong>uns</strong> Christen, die wir persönlich erfahren<br />

haben, dass Jesus <strong>uns</strong> alle liebt und er allein <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> zurück zum Vater<br />

ist! Aber gerade dies ist wohl <strong>der</strong> krasseste Gegensatz zwischen dem<br />

Evangelium, das Christus verkündigt, und dem Islam: Während im<br />

Neuen und an vielen Stellen auch im Alten Testament viel von <strong>der</strong> Liebe<br />

Gottes zu den Menschen und zur Welt die Rede ist, wird im ganzen<br />

Koran vom Anfang bis zum Ende nur Hass gepredigt; es ist also eine<br />

regelrechte Hass-Religion, jedenfalls kommt das Wort ‚Liebe’ im Sinn<br />

125


von göttlicher Liebe kein einziges Mal vor. So ist es kein Zufall, dass die<br />

Moslems als Ganzes bis zum heutigen Tag immer die schlimmsten und<br />

aggressivsten Feinde des Christentums gewesen sind, obwohl sie die<br />

Bibel ebenfalls als göttlich inspiriert anerkennen, und dass es in keiner<br />

an<strong>der</strong>en Region <strong>der</strong> Welt schwerer zu missionieren ist als in den<br />

islamischen o<strong>der</strong> islamisch beeinflussten Staaten.<br />

Dazu ist auch noch zu erwähnen, dass nicht die Christen zuerst mit den<br />

Kriegen gegen die Moslems begonnen haben, wie das noch heute in <strong>der</strong><br />

Welt behauptet wird, son<strong>der</strong>n es verhielt sich gerade umgekehrt. So wie<br />

die islamischen Heere ihren Glauben mit dem Schwert überallhin<br />

verbreiteten und damit schnell bis nach Indien vordrangen, so taten sie<br />

das auch in Europa. Wer sich die Weltgeschichte einmal etwas genauer<br />

anschaut, entdeckt in <strong>der</strong> Chronologie, dass als erste europäische Stadt<br />

Konstantinopel in den Jahren 668 und 669 belagert wurde, aber damals<br />

noch nicht eingenommen werden konnte, und auch nachher waren es<br />

immer und immer wie<strong>der</strong> diese, die einen Krieg gegen die Christen vom<br />

Zaum rissen. War es deshalb so abwegig, dass man hier in Europa eine<br />

Furcht bekam, die noch heute nicht ganz überwunden ist? Fragen Sie<br />

mal einen geschichtskundigen Griechen o<strong>der</strong> Armenier! Die können<br />

Ihnen am besten Auskunft geben, wie viele Verbrechen die an<strong>der</strong>e Seite,<br />

die eben auch die Religion <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist, sich geleistet hat. Ist<br />

aber in <strong>der</strong> Welt davon die Rede? Natürlich nicht! Man spricht immer nur<br />

von den Kreuzzügen, die angeblich von den Christen begonnen wurden,<br />

und von <strong>der</strong> Sklaverei, die von falschen Christen, die diesen Namen gar<br />

nicht verdienten, für alle Zeiten einen schwarzen Flecken auf das<br />

Evangelium geworfen haben.<br />

Natürlich können wir nicht bestreiten, dass die Kreuzzüge ein gewaltiger<br />

Fehler waren, doch dieser war nicht wie oft behauptet die Ursache dafür,<br />

dass die Pest, die später mehr als einen Viertel <strong>der</strong> europäischen<br />

Bevölkerung dahinraffte, von den zurückkehrenden Kriegern einge<strong>führt</strong><br />

wurde, was von vielen Moslems noch heute als eine Strafe Gottes<br />

bezeichnet wird. Nach dem heutigen mo<strong>der</strong>nen Wissensstand kam die<br />

Pest nicht über die Ratten, die sich auf die Schiffe geschlichen hatten,<br />

nach Europa, son<strong>der</strong>n von China über die sogenannte Seidenstrasse,<br />

die damals einer <strong>der</strong> wichtigsten Handelswege war. Es muss aber<br />

ebenso festgehalten werden, dass diese Kreuzzüge von den Moslems<br />

provoziert wurden, weil es damals Anzeichen dafür gab, dass<br />

Zehntausende von Christen, die im Nahen Osten lebten, kurz zuvor<br />

standen, massakriert zu werden, und die Moslems auch die zahlreichen<br />

Pilgerfahrten, die damals in Europa noch mehr Mode waren als heute,<br />

immer weniger hinnahmen und die <strong>Weg</strong>e radikal absperren wollten, und<br />

es musste sogar damit gerechnet werden, dass die Heiligtümer zerstört<br />

würden.<br />

126


Die gleiche einseitige Darstellung <strong>der</strong> Geschichte zeigt sich auch bei <strong>der</strong><br />

Sklaverei. Noch heute ist es im Westen fast nicht bekannt, dass es<br />

früher nicht nur Sklaventransporte von Afrika nach Amerika gab, son<strong>der</strong>n<br />

auch solche innerhalb Afrikas in Richtung Norden und von Afrika nach<br />

Asien, und zwar haben diese schon Jahrhun<strong>der</strong>te vorher begonnen.<br />

Dabei bekamen sowohl die Europäer als auch die moslemischen<br />

Sklavenhändler auch noch Hilfe von afrikanischen Häuptlingen selber,<br />

die ganze verfeindete Stämme verkauften. Das passt auch zum<br />

Gesamtbild: Es ist vor allem bei den europäischen Seefahrern<br />

unvorstellbar, dass sie an den afrikanischen Küsten ohne weiteres<br />

einfach landen und Tausende von Leuten einfangen konnten, ohne dass<br />

die Afrikaner sich dagegen hätten wehren können. Dazu kommt noch,<br />

dass es auch die sogenannten weissen Sklaven gab, also europäische<br />

Männer und vor allem Frauen, die von moslemischen Piraten von <strong>der</strong><br />

Küste weg geraubt wurden, weil die europäischen Mächte nicht jeden<br />

einzenen Küstenabschnitt kontrollieren und beschützen konnten.<br />

Eigentlich waren die Moslems keine Seefahrer, aber wenn es darum<br />

ging, eine solche Beute zu fangen, kannten sie keine Hemmungen mehr;<br />

dabei sollen sie sogar Reisen bis nach Island geschafft haben.<br />

Das ist aber noch längst nicht alles, denn während die Sklaverei in den<br />

westlichen Län<strong>der</strong>n schon im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t abgeschafft wurde, gibt es<br />

diese in den meisten islamischen Län<strong>der</strong>n noch heute, wenn auch nur im<br />

Versteckten. So ist es erwiesen, dass noch heute Menschen vor allem<br />

im Sudan und in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n dieser Region von spezialisierten<br />

Banden geraubt und über Tausende von Kilometern nach Nordafrika und<br />

in die islamischen Staaten in Asien verschleppt werden, doch dagegen<br />

erhebt sich keine einzige Stimme, we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> UNO noch in einem<br />

an<strong>der</strong>en weltlichen Gremium. Ebenso wenig ist davon die Rede, dass<br />

die radikalen Moslems sich in immer mehr europäischen Staaten<br />

einnisten und verbreiten und es als selbstverständlich betrachten, dass<br />

ihre Religion überall zu einer Staatsreligion erklärt werden soll, und wenn<br />

auch nur ein einziges islamisches Ehepaar sich an den Kruzifixen stört,<br />

die in Schulzimmern hängen, haben sie das Recht, sich darüber zu<br />

beschweren, wie ich Ihnen das schon gesagt habe, und immer mehr<br />

feige Behörden, Richter und Politiker schlagen sich auf ihre Seite.<br />

Wird aber irgendein Gegenrecht gehalten, dürfen irgendwo im<br />

islamischen Machtbereich neue Kirchen und Kapellen für die Christen<br />

gebaut werden? Ganz sicher nicht, im Gegenteil, die Repressalien und<br />

teilweise sogar Verfolgungen nehmen immer mehr zu, und in Pakistan ist<br />

es sogar offiziell erlaubt, einen Christen aus irgendeinem nichtigen<br />

Grund anzuklagen - mit <strong>der</strong> billigen Begründung, <strong>der</strong> heilige Prophet sei<br />

beleidigt worden. Auch das ist in <strong>der</strong> UNO bis heute noch nie zur<br />

Sprache gekommen, ebenso wenig die Tatsache, dass mehr als neunzig<br />

127


Prozent aller bisherigen Terroranschläge in <strong>der</strong> ganzen Welt von<br />

fanatischen Moslems verübt worden sind, und nicht nur von<br />

Palästinensern. Verstehen Sie jetzt diese ganzen Zusammenhänge und<br />

wer in Wirklichkeit diese Welt beherrscht, was ja nicht einmal vom Herrn<br />

Jesus bestritten wurde, als er in <strong>der</strong> Wüste vom Teufel versucht wurde<br />

und dieser ihm die Herrschaft über die ganze Welt anbot, falls er vor ihm<br />

nie<strong>der</strong>knien und ihn anbeten würde?“<br />

Erst jetzt legt Hoveneel wie<strong>der</strong> eine längere Pause ein, die er tatsächlich<br />

nötig hat, um ein wenig zu verschnaufen. Obwohl er spürt, dass seine<br />

Stimme nicht mehr lange trägt, möchte er Hans doch noch etwas<br />

weitergeben, das ihm zusätzlich eingefallen ist und ihm ebenso wichtig<br />

vorkommt.<br />

Da dieser nichts entgegnet, setzt er nach einem weiteren Schluck Kaffee<br />

fort: „Schauen wir kurz auch noch ins Buch Mormon hinein, das<br />

bekanntlich für die Mormonen das ist, was für die Moslems <strong>der</strong> Koran ist!<br />

Da wird zwar die Gottessohnschaft Jesu nicht bestritten, ja, es wird<br />

immer wie<strong>der</strong> betont, dass <strong>der</strong> Glaube an ihn das Wichtigste ist. Die<br />

Irrlehren liegen jedoch auf einer an<strong>der</strong>en Ebene. Als Erstes wird<br />

behauptet, dass das ganze Buch Mormon von Gott inspiriert ist, die Bibel<br />

dagegen nur dort, wo sie richtig übersetzt wurde; es wird also genau<br />

gleich argumentiert, wie es die islamischen Gelehrten mit dem Koran<br />

tun. Es fehlen aber deutliche Hinweise darauf, was nun richtig und was<br />

falsch übersetzt worden ist - eben weil die Mormonen genauso wie die<br />

Moslems diesen Beweis nie erbringen können. Ich betone es nochmals,<br />

Herr Stettler, und merken Sie sich das gut! Wenn irgendjemand<br />

behauptet, die Bibel sei falsch übersetzt worden, ist das eine deutliche<br />

und krasse Lüge, und erst recht dann, wenn sie von mo<strong>der</strong>nen<br />

Theologen verbreitet wird. Die vielen Tausenden von Männern und<br />

zumeist Mönchen, die dieses Buch über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg und in<br />

jahrelanger Knochenarbeit übersetzt haben, waren allesamt<br />

gottesfürchtige Männer, die es nie gewagt hätten, an Gottes Aussagen<br />

irgendetwas zu verän<strong>der</strong>n. Aber auch hier verhält es sich genauso wie<br />

mit <strong>der</strong> Auferstehung des Herrn: Während die griechischen, römischen,<br />

ägyptischen, persischen, indischen o<strong>der</strong> chinesischen Schriften aus<br />

dieser Epoche o<strong>der</strong> aus noch früheren Zeiten nie im Geringsten<br />

angezweifelt werden, wird gegen die Bibel alles nur Mögliche ins Feld<br />

ge<strong>führt</strong>, um das Evangelium abzuschwächen - dabei gibt es kein<br />

an<strong>der</strong>es Werk in <strong>der</strong> ganzen Welt, das durch Augenzeugen besser<br />

dokumentiert ist.<br />

Um jetzt wie<strong>der</strong> zum Buch Mormon zurückzukommen: Abgesehen von<br />

dieser mehr als seltsamen Entstehungsgeschichte mit dem Engel Moroni<br />

und <strong>der</strong> sogenannten Leserbrille wird zum Beispiel behauptet, die<br />

128


Menschen könnten Gott wie<strong>der</strong> gleich werden, so wie sie es einst<br />

gewesen seien, und es sei möglich, sich anstelle von Toten taufen zu<br />

lassen, damit diese auch im Jenseits das Heil erlangen können, sofern<br />

sie sich dafür entscheiden wollen. Gerade deshalb betreiben sie einen<br />

solchen übertriebenen Ahnenkult mit <strong>der</strong> Registrierung von Millionen von<br />

Toten bis auf Hun<strong>der</strong>te von Jahren zurück; dabei steht es im Neuen<br />

Testament, das auch sie als göttlich inspiriert anerkennen, ganz deutlich<br />

geschrieben, dass es nach dem Tod keine weitere Möglichkeit zur<br />

Rettung mehr gibt. Daneben gibt es noch weitere Son<strong>der</strong>lehren, auf die<br />

ich aber nicht mehr näher eingehen muss, zum Beispiel das Bestreiten<br />

<strong>der</strong> Erbsünde und die übertriebene Bewertung eines Mannes namens<br />

Melchisedek, <strong>der</strong> mit Abraham zu tun hatte und als ein beson<strong>der</strong>er<br />

Hohepriester verehrt wird - aber eben nur von den Mormonen, weil sie<br />

ihn für ihre ganz spezielle Tempellehre brauchen.<br />

Der klarste Beweis dafür, dass dieses Buch nicht von oben inspiriert sein<br />

kann, obwohl es vom Stil und vom Inhalt her gut nachgemacht ist, liegt<br />

aber in <strong>der</strong> fantastischen Behauptung, dass ein Teil des Volkes, das von<br />

den zehn verlorenen Stämmen Israels abstammen soll und sich nach<br />

Amerika eingeschifft hatte, aus Ungehorsam gegen Gott dadurch<br />

bestraft wurde, dass sie die Gesichter bekamen, die heute die Indianer<br />

haben. Das ist klarer Rassismus und hat nichts mit dem wahrhaften<br />

göttlichen Geist zu tun, denn in <strong>der</strong> Bibel ist nirgendwo von Rassen die<br />

Rede, weil vor Gott alle gleich sind. Vielleicht sind die verschiedenen<br />

Rassen nach dem Turmbau von Babel entstanden, als Gott aus einer<br />

einzigen Sprache auf einen Schlag viele Tausende erschuf und die<br />

Völker, die sich dadurch bildeten, in alle Welt zerstreute und mit dieser<br />

Sprachenverwirrung noch zusätzlich nachhalf und zum Beispiel auch<br />

dafür sorgte, dass den Indianern nachher keine Bärte mehr wuchsen,<br />

aber wir wissen es nicht mit Sicherheit und können es wohl auch nie<br />

beweisen, doch das hat auch seine Vorteile: Wir wissen ja nicht einmal,<br />

welche Rasse Jesus selbst hatte; umso mehr ist er für alle da. Darum ist<br />

es umso verantwortungsloser, so etwas zu behaupten. Nicht ohne Grund<br />

besteht die Kirche <strong>der</strong> Mormonen noch heute fast nur aus Weißen - das<br />

allein sagt schon genügend aus. Der eigentliche Witz an <strong>der</strong> ganzen<br />

Geschichte ist aber <strong>der</strong>, dass es schon längst erwiesen ist, dass das<br />

Buch Mormon auf dem fiktiven Roman eines Autors beruht, <strong>der</strong> eine<br />

Urgeschichte Amerikas geschrieben hat, aber aus irgendeinem Grund,<br />

den wir heute nicht mehr nachvollziehen können, nie veröffentlicht hat.<br />

Ein weiterer deutlicher Hinweis auf die wirkliche Herkunft dieses<br />

Buches besteht darin, dass auch für die Mormonen Israel und die Juden<br />

keine Bedeutung mehr haben, ja, dass nach ihrer Lehre das neue<br />

Jerusalem nur auf dem amerikanischen Kontinent stehen kann und eines<br />

Tages dort errichtet wird. Auch dies ist ein menschliches Stückwerk und<br />

129


hat nichts mit dem Geist Gottes zu tun, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> deutlich davor gewarnt<br />

hat, solche Son<strong>der</strong>lehren zu verbreiten.<br />

Das Gleiche gilt auch für alle an<strong>der</strong>en wie etwa die Neuapostolischen,<br />

die genauso wie die Mormonen ihre sogenannten Stammapostel haben,<br />

o<strong>der</strong> die Zeugen Jehovas, die zwar die Auferstehung Jesu nicht<br />

bestreiten, aber anstelle eines Kreuzes einen Pfahl in den Mittelpunkt<br />

stellen, und das begründen auch sie damit, dass falsch übersetzt wurde,<br />

obwohl das griechische Urwort ‘staurós’ eindeutig ein Kreuz und nichts<br />

an<strong>der</strong>es bedeutet. So versteht es sich von selbst, dass sie ihre eigenen<br />

Übersetzungen verwenden, aber noch schlimmer ist, dass sie die<br />

Erlösung von <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu ihrer Wachtturmorganisation zur<br />

Hauptbedingung machen, damit man ins 1’000-jährige Reich einziehen<br />

kann.<br />

Dazu gehört auch die Frechheit und die Arroganz - an<strong>der</strong>s kann ich es<br />

wirklich nicht ausdrücken -, mit <strong>der</strong> sie behaupten, dass die Voraussagen<br />

von den Verfolgungen <strong>der</strong> Gläubigen sich nur auf sie beziehen. Alle<br />

an<strong>der</strong>en - so auch die Reformatoren und die evangelischen<br />

Wie<strong>der</strong>täufer, von denen es auch bei <strong>uns</strong> in Holland immer viele gab -<br />

werden davon ausgeschlossen. Am schlimmsten ist jedoch die falsche<br />

Auslegung des Bibelverses, dass man nichts Blutiges zu sich nehmen<br />

soll, weil auch die Menschen und eben auch die Tiere, wie ich das vorhin<br />

gesagt habe, eine Seele haben. Deshalb lassen sie lieber ihre eigenen<br />

Leute sterben, statt Bluttransfusionen zuzustimmen, die Leben retten<br />

können. Dabei bezieht sich dieser Bibelvers nur auf das Essen und<br />

Trinken, aber nicht auf solche Transfusionen, die vor 2'000 Jahren<br />

sowieso noch nicht möglich waren. - Was übrigens noch die Zahl<br />

144’000 betrifft, von <strong>der</strong> Sie sicher auch schon gehört haben und die<br />

praktisch ihr Markenzeichen war, wurde diese von ihren Mitglie<strong>der</strong>n<br />

schon vor dem Jahr 1914 erreicht, als nach ihrem Glauben beim<br />

Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Endzeit <strong>der</strong> Welt eingeläutet wurde,<br />

und dann wurde diese Zahl immer wie<strong>der</strong> nach hinten verschoben, was<br />

natürlich nicht glaubwürdig ist.<br />

Auch die römisch-katholische Kirche, die sich seit mehr als einem<br />

Jahrtausend so gern als die allein seligmachende ausgibt, ist nicht das,<br />

was sie zu sein vorgibt. Abgesehen davon, dass allein die unzähligen<br />

Märtyrer und die vielen Kriege, die von Rom aus befohlen worden sind,<br />

deutlich beweisen, dass es den Vertretern dieser Kirche immer mehr um<br />

Machtpolitik als um das wahre Evangelium gegangen ist, zeigen auch<br />

verschiedene Doktrinen, dass bewusst Irrlehren hinzugefügt worden<br />

sind.<br />

Die ersten drei betreffen die Stellung Marias, <strong>der</strong> Mutter Jesu: Wie Sie<br />

sicher auch wissen, wird sie neben Jesus als Miterlöserin, ja, oft sogar<br />

als alleinige Erlöserin verehrt; dabei steht im Neuen Testament deutlich<br />

130


geschrieben, dass in keinem an<strong>der</strong>en Namen das Heil ist als nur in<br />

Jesus. Weiter wird behauptet, Maria sei ihr ganzes Leben lang eine<br />

Jungfrau geblieben, obwohl ebenso deutlich geschrieben steht, dass<br />

Jesus auch noch leibliche Schwestern und Brü<strong>der</strong> hatte, von denen<br />

Jakobus und Judas sogar je einen Brief verfasst haben. Dabei wird diese<br />

Behauptung nicht nur von katholischen, son<strong>der</strong>n auch noch von<br />

protestantischen Kirchenleuten dadurch untermauert, dass mit den<br />

Schwestern und Brü<strong>der</strong>n, die erwähnt werden, Cousinen und Cousins<br />

gemeint sind, obwohl es im Griechischen für diese beiden eindeutig<br />

an<strong>der</strong>e Wörter gibt. Die dritte Irrlehre, die allerdings erst im letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t erfunden wurde, ist noch die von <strong>der</strong> Himmelfahrt Marias;<br />

dabei steht im Neuen Testament deutlich geschrieben, dass niemand<br />

an<strong>der</strong>s zum Himmel hinaufgefahren ist als nur <strong>der</strong> Menschensohn, mit<br />

dem <strong>der</strong> Sohn Gottes gemeint ist. Daneben gibt es noch weitere<br />

Irrlehren, zum Beispiel die Verehrung und Anbetung <strong>der</strong> Heiligen, was<br />

einem Götzendienst gleichkommt, o<strong>der</strong> die Lehre vom Fegefeuer o<strong>der</strong><br />

das Beten für Verstorbene, also ähnlich wie bei den Mormonen sowie bei<br />

den Hindus und Buddhisten.<br />

Übrigens ist die Religion <strong>der</strong> letztgenannten wohl die paradoxeste von<br />

allen, wenn wir daran denken, dass sie eigentlich atheistisch<br />

ausgerichtet ist und genauso wie <strong>der</strong> Hinduismus eine Selbsterlösung<br />

predigt, und es trotzdem weltweit von Buddha-Statuen nur so wimmelt,<br />

obwohl dieser genauso wie seinerzeit Mohammed gesagt hat, dass auch<br />

er nur ein Mensch sei. Aber auch dies passt zum Bild dieser haltlos<br />

gewordenen Welt, dass immer mehr Leute im Westen vor lauter<br />

Begierde, möglichst viel Östliches in sich aufzusaugen, diesen<br />

Wi<strong>der</strong>spruch in sich nicht erkennen. Da ist <strong>der</strong> Hinduismus insofern<br />

weitaus ehrlicher, als bei dieser Religion nicht bestritten wird, dass in <strong>der</strong><br />

Verehrung und Anbetung <strong>der</strong> mehr als 330 Millionen Götter auch ein<br />

großes Stück Dämonismus dahintersteckt.<br />

Um wie<strong>der</strong> auf die römische Kirche zurückzukommen: Auch die hohe<br />

Stellung <strong>der</strong> Päpste entspricht einer Irrlehre, wobei ich ihnen noch<br />

zugutehalten kann, dass sie die Welt immer wie<strong>der</strong> auf den Glauben an<br />

Christus hinweisen und wenigstens in dieser Beziehung einen nützlichen<br />

Dienst erweisen. Trotzdem bleibt es dabei, dass nicht <strong>der</strong> Papst <strong>der</strong><br />

Stellvertreter Christi auf Erden ist, wie in dieser Kirche behauptet wird,<br />

son<strong>der</strong>n einzig und allein <strong>der</strong> Heilige Geist, durch den wir an Christus<br />

gläubig werden, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> durch das ganze Leben hindurch beisteht und<br />

<strong>uns</strong> durch eine innere Stimme sagt, was sündig ist und was nicht. Wenn<br />

die strenggläubigen Katholiken sich darauf berufen, dass Jesus<br />

schließlich Petrus als ersten Papst eingesetzt hat, entspricht das nicht<br />

ganz dem, was <strong>der</strong> Herr gemeint hat, als er sagte, er wolle auf dem<br />

Felsen, also Petrus, seine Gemeinde bauen. Das war mehr symbolisch<br />

131


auf die Person bezogen gemeint, also mehr auf einen Geist, wie ihn<br />

Petrus hatte, und abgesehen davon ist bis heute noch nie bewiesen<br />

worden, dass er jemals in Rom gewesen ist.<br />

Das Letzte, das ich zum Katholizismus noch hinzufügen möchte, ist das<br />

ganze Theater um diese Selig- und Heiligsprechungen. An<strong>der</strong>s kann ich<br />

das nicht bezeichnen, denn es steht in manchem neutestamentlichen<br />

Brief deutlich geschrieben, dass alle, die Jesus Christus als ihren<br />

persönlichen Erlöser kennen gelernt haben, Heilige sind - nicht weil sie<br />

besser sind als die an<strong>der</strong>en, son<strong>der</strong>n weil die durch die Vergebung ihrer<br />

Sünden vor Gott geheiligt worden sind. Nicht umsonst gibt es unter den<br />

wie<strong>der</strong>geborenen Christen, also unter denen, die sich persönlich zum<br />

Herrn bekehrt und durch den Heiligen Geist ein neues Leben bekommen<br />

haben, den scherzhaften Spruch, dass sie zwar nicht besser sind, aber<br />

besser dran. Diese Heiligung entspricht auch <strong>der</strong> biblischen Lehre: Es<br />

steht nur Gott allein zu, Sünden zu vergeben, und nicht Menschen, also<br />

auch nicht den Priestern. Folglich ist die Lehre vom Beichten, bei dem<br />

die Priester Sünden vergeben können, eine weitere klare Irrlehre, und<br />

zudem auch die Behauptung, dass man die Bibel ohne die persönliche<br />

Anwesenheit eines Priesters, geschweige denn eines Bischofs o<strong>der</strong><br />

Kardinals, gar nicht lesen und versehen könne, obwohl das Latein heute<br />

nicht mehr die alleinige Kirchensprache ist, die viele Jahrhun<strong>der</strong>te lang<br />

als Ausrede dafür herhalten musste, dass man die Gläubigen bewusst<br />

ungebildet und damit ganz unten halten wollte.<br />

Das hat sich bekanntlich erst dann geän<strong>der</strong>t, als die Reformation<br />

aufkam, und damit meine ich auch Luther und Zwingli, die bei <strong>uns</strong> in<br />

Holland genauso verehrt werden wie <strong>der</strong> eine in Deutschland und<br />

Nordeuropa und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Schweiz. Heute ist es bei den<br />

Katholiken zwar erlaubt, die Bibel zu Hause auch ohne die persönliche<br />

Anwesenheit eines Geistlichen zu lesen, doch das Abendmahl darf<br />

immer noch nur von einem von ihnen ausgeteilt werden, also nicht von<br />

den Pastoralassistenten o<strong>der</strong> sogar Pastoralassistentinnen. Diese sind in<br />

letzter Zeit wegen des allgemeinen Priestermangels immer mehr<br />

aufgekommen und dürfen im Gegensatz zu den Priestern auch<br />

verheiratet sein, aber sie haben immer noch nicht die gleichen Rechte.<br />

Wie weit das gehen kann, zeigt sich auch bei den sogenannten<br />

Lesungen zu Beginn eines Gottesdienstes; noch heute muss ein Priester<br />

persönlich anwesend sein, soweit ich informiert worden bin. Fallls Sie<br />

einmal dazu kommen, einem katholischen Gottesdienst beizuwohnen,<br />

sollten Sie auf diese feinen Unterschiede schauen. Vom Fegefeuer o<strong>der</strong><br />

vom Schlucken einer Hostie, welche angeblich die körperliche<br />

Vereinigung mit dem Herrn bewirkt, aber auch von <strong>der</strong> Firmung, die<br />

ähnlich wie die protestantische Konfirmation durchge<strong>führt</strong> wird, die aber<br />

im Gegensatz zu den Protestanten als eine von mehreren Bedingungen<br />

132


gilt, um in den Himmel zu kommen, will ich hier schon gar nicht mehr<br />

sprechen. All dies zeigt aber auch, warum die Katholiken nach<br />

allgemeiner Erfahrung viel mehr Probleme haben, zum lebendigen<br />

Glauben an Jesus Christus zu finden, als die nominellen Protestanten<br />

o<strong>der</strong> die Angehörigen an<strong>der</strong>er sogenannter christlicher Denominationen.<br />

Übrigens ist gerade dies <strong>der</strong> entscheidende Unterschied zwischen<br />

Holland, das genau genommen nur ein Teil <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande ist, und dem<br />

nie<strong>der</strong>ländischsprachigen Teil von Belgien im Norden. Schon seit<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten sind die meisten Hollän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong><br />

Protestanten, während die meisten Belgier ebenso lange Katholiken<br />

sind, weil dieses Land lange ein Kolonialgebiet von Spanien war, das<br />

noch bis vor wenigen Jahrzehnten einer <strong>der</strong> repressivsten katholischen<br />

Staaten gewesen ist. Das zeigt sich sogar bei den zwei Königshäusern:<br />

Bei <strong>uns</strong> müssen die Mitglie<strong>der</strong> protestantisch getauft sein, während die in<br />

Belgien katholisch sein müssen, aber auch in Nordeuropa und England<br />

dürfen sie nicht katholisch getauft sein; dagegen müssen sie es<br />

wie<strong>der</strong>um in Spanien sein. Auch das sind Gründe dafür, dass es mit <strong>der</strong><br />

einzigen Vereinigung nach dem Wiener Kongress von 1815 nicht<br />

geklappt hat und es schon im Jahr 1830 zur Spaltung kam, die noch<br />

heute besteht - auch die gemeinsame Mitgliedschaft in <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union und im Schengenraum hat nichts daran än<strong>der</strong>n können.<br />

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Herr Stettler! Ich will mit all diesen<br />

harten Worten niemanden verurteilen, doch es ist meine Pflicht, Sie<br />

deutlich darauf hinzuweisen, was für krasse Irrlehren in dieser Welt<br />

herumgeistern, auch wenn sie zum Teil einen christlichen Anstrich<br />

haben; das bin ich Ihnen ganz einfach schuldig, wenn wir jetzt schon hier<br />

zusammen sind. Ich sage es Ihnen noch einmal deutlich: Alles, was nicht<br />

Jesus Christus als den Erlöser bezeugt, kommt nicht von Gott, wie es im<br />

Neuen Testament auch geschrieben steht, dass er <strong>der</strong> einzige <strong>Weg</strong> zum<br />

Vater im Himmel ist und dass je<strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> nicht Jesus als Sohn<br />

Gottes bezeugt, nicht von Gott ist.“<br />

Da Hoveneel wie<strong>der</strong> kurz innehält, benützt Hans die Gelegenheit, um<br />

sich wie<strong>der</strong> zu Wort zu melden, da ihm plötzlich etwas eingefallen ist,<br />

das er auch noch für wichtig hält: „Das tönt zwar alles gut und schön,<br />

aber wenn Sie schon von falschen Propheten reden, würde es mich sehr<br />

interessieren, was Sie zum Beispiel von Nostradamus halten; immerhin<br />

hat sich von dem, was er vorausgesagt hat, schon einiges erfüllt.“<br />

„Es ist gut, dass Sie diesen Mann erwähnen“, entgegnet Hoveneel ohne<br />

Zögern, „gerade von ihm ist schon so viel erzählt und geschrieben<br />

worden, dass es noch heute mehr Missverständnisse über ihn gibt, und<br />

auch unter den gläubigen Christen hat man eine klare<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung immer gescheut.“<br />

133


„Was halten denn Sie selbst von ihm?“, fragt Hans sofort, indem er ihn<br />

ziemlich scharf anschaut.<br />

„Das kann ich Ihnen ohne weiteres sagen. Einerseits hat er in seinen<br />

persönlichen Schriften festgehalten, dass auch er an Gott glaube und für<br />

das Christentum einstehe, doch an<strong>der</strong>erseits musste er das auch so<br />

schreiben, um nicht als ein Ketzer angeklagt zu werden. Wie Sie sicher<br />

auch wissen, war es nicht nur im Mittelalter, son<strong>der</strong>n auch noch zu<br />

Beginn <strong>der</strong> Neuzeit oft lebensgefährlich, etwas an<strong>der</strong>es als das zu<br />

verkünden, was die katholische Kirche vorschrieb - deshalb können wir<br />

nicht mit Sicherheit wissen, inwieweit er tatsächlich ein gläubiger Christ<br />

war. Wir müssen eher das Gegenteil annehmen, weil es erwiesen ist,<br />

dass er ziemlich aktiv Astrologie und Okkultismus betrieb, was Gott in<br />

<strong>der</strong> Bibel ausdrücklich verboten hat. So erstellte er als königstreuer<br />

Untertan jahrzehntelang verschiedenen Königen und Hun<strong>der</strong>ten von<br />

Adligen Horoskope, mit denen er natürlich sehr viel Geld verdiente;<br />

dabei hat Gott gerade auch das Wahrsagen ausdrücklich verboten.<br />

Genauso wenig erlaubt <strong>der</strong> Herr Spiele und Rechnereien mit Zahlen und<br />

damit auch Jahreszahlen, aber gerade dies hat Nostradamus intensiv<br />

getan. Ob er am Ende tatsächlich als ein gläubiger Christ in die Ewigkeit<br />

eingegangen ist, weiß nur Gott allein; es ist jedoch eine Tatsache, dass<br />

er dadurch, dass er tief in <strong>der</strong> Astrologie und im Okkultismus verstrickt<br />

war, nicht umsonst gerade in <strong>der</strong> heutigen Zeit eine Hochkonjunktur<br />

erlebt wie nie zuvor.<br />

Was nun seine Prophezeiungen betrifft, so hat sich tatsächlich schon<br />

sehr vieles erfüllt, wie Sie es richtig sagen und was auch von den<br />

Christusgläubigen nicht bestritten werden kann, zum Beispiel die<br />

Französische Revolution und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.<br />

Allerdings muss ich dazu dies festhalten: So wie die an<strong>der</strong>e, also die<br />

satanische Seite, dazu fähig ist, mit magischen Heilmethoden wie etwa<br />

<strong>der</strong> Akupunktur Erfolge zu erzielen, kann sie bis zu einem gewissen<br />

Grad auch Ereignisse über Jahrzehnte und sogar Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg<br />

voraussagen, vor allem solche, die sie auch selbst vorbereiten und<br />

steuern kann - deshalb gibt es unter den Christen nicht umsonst die<br />

Aussage, dass auch <strong>der</strong> Teufel die Bibel gut kennt. So wissen wir heute,<br />

dass die Französische Revolution nicht einfach mit dem Sturm auf die<br />

Bastille am 14. Juli 1789 begann, wie <strong>uns</strong> das seit mehr als 200 Jahren<br />

gelehrt wird, son<strong>der</strong>n jahrzehntelang vorher von bestimmten<br />

einflussreichen okkulten Kreisen in die <strong>Weg</strong>e geleitet worden war, und<br />

das Gleiche trifft auch auf die beiden Weltkriege zu. Es ist auch bekannt,<br />

dass kein Geringerer als <strong>der</strong> Führer des Dritten Reiches, <strong>der</strong> die<br />

Voraussagen über sich selbst kannte, die Schriften dieses Mannes<br />

benützte, regelmäßig Astrologen konsultierte und an spiritistischen<br />

Sitzungen teilnahm.<br />

134


Es ist sicher kein Zufall, dass die satanische Seite, die von den<br />

biblischen Prophezeiungen von <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Juden ins verheißene<br />

Land am Ende <strong>der</strong> Zeiten natürlich auch wusste, gerade in den letzten<br />

paar Jahrzehnten ihre menschlichen Gefolgsleute und damit auch die<br />

Nazis, <strong>der</strong>en Ideologie eindeutig teuflisch inspiriert war, dazu benützt<br />

hat, um noch möglichst viele Juden abzuschlachten, bevor <strong>der</strong> Staat<br />

Israel gegründet wurde. Gerade die Tatsache, dass Nostradamus unter<br />

an<strong>der</strong>em auch die Gasöfen vorausgesagt hat, muss eigentlich allen, die<br />

glauben, er sei ein Prophet Gottes gewesen, sehr zu denken geben. Ich<br />

möchte ihn zwar nicht direkt als einen Propheten des Teufels und damit<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite bezeichnen, aber es lässt sich nun einmal nicht<br />

bestreiten, dass <strong>der</strong> allergrößte Teil seiner sogenannten Zenturien, die<br />

aus mehreren Hun<strong>der</strong>t Versen mit je vier Zeilen bestehen, Ereignisse<br />

vorausgesagt hat, die mit dem christlichen Glauben wenig bis nichts zu<br />

tun haben.<br />

Bei <strong>der</strong> Beschäftigung mit seinem Werk ist mir am meisten aufgefallen,<br />

dass all jene, die sich in seinen Schriften gut auskennen und sie<br />

teilweise auch entschlüsseln können, an die Wirksamkeit <strong>der</strong> Astrologie<br />

und des Okkultismus selbst glauben und natürlich begierig jede<br />

Einzelheit herausfischen, die sie davon überzeugt, dass die Bibel nicht<br />

die alleinige Wahrheit sein kann. Um ein Prophet o<strong>der</strong> Seher, wie er sich<br />

selbst bezeichnete, zu sein, <strong>der</strong> seine Eingebungen von Gott bekam,<br />

sind aber gerade seine Angaben über Israel und auch den Antichristen,<br />

<strong>der</strong> einmal mit Sicherheit auftreten wird, recht spärlich. Das spricht also<br />

nicht dafür, denn alle biblischen Propheten sprachen in erster Linie von<br />

Israel und erst danach von den an<strong>der</strong>en Völkern, weil nun einmal das<br />

Heil von den Juden kommt, wie Jesus das selbst gesagt hat.<br />

Bei Nostradamus verhält es sich nicht nur umgekehrt, son<strong>der</strong>n das<br />

Verhältnis ist sogar völlig umgekippt. So ist von <strong>der</strong> Gründung des<br />

Staates Israel in ziemlich verdeckter Form - was sonst nicht immer so ist<br />

- auf einer einzigen Zeile die Rede, und auch <strong>der</strong> Antichrist wird auf eine<br />

ziemlich wirre Weise auch nur einmal kurz erwähnt. Das ist umso<br />

erstaunlicher, als es bekannt ist, dass seine Familie ursprünglich jüdisch<br />

war und erst nach <strong>der</strong> Bekehrung seines Vaters zum Katholizismus den<br />

Namen ‚Nostradame’ annahm, <strong>der</strong> damit auf ‚Notredame’ und wohl auch<br />

auf die Jungfrau Maria anspielte. Dass gerade die jüdischen Proselyten,<br />

also jene, die sich von ihrem alten Glauben lossagten, von ihren<br />

ehemaligen Glaubensgenossen, die sie natürlich als Verräter ansahen,<br />

oft nichts mehr wissen wollten, ja, manchmal gar noch antisemitischer<br />

wurden als die sogenannten Christen, zeigt sich gerade auch bei ihm.<br />

Immerhin müssen wir ihm aber noch zugutehalten, dass seine Zenturien<br />

keinen antisemitischen Inhalt haben, und dass er im Gegensatz zu vielen<br />

an<strong>der</strong>en sogenannten Propheten und Sehern keine eigene Heilslehre<br />

135


verbreitet hat, son<strong>der</strong>n seine Schriften sogar als Ergänzung zur Bibel<br />

verstanden wissen wollte.<br />

Dass er jedoch neben <strong>der</strong> Astrologie auch noch tief im Bereich des<br />

Okkultismus und <strong>der</strong> Magie verstrickt war, zeigt auch noch dies: All jene<br />

Juden, die von einem <strong>der</strong> zehn verlorenen Stämme Israels abstammen -<br />

also von denen, die schon Jahrhun<strong>der</strong>te vor dem Auftreten Jesu in den<br />

Nachbarvölkern des Nahen Ostens aufgegangen o<strong>der</strong> sonstwie<br />

verschwunden sind -, können heute nicht mit Sicherheit sagen, aus<br />

welchem sie kommen, ja, nicht einmal jene, die entwe<strong>der</strong> Juda o<strong>der</strong><br />

Benjamin zum Urahn haben, also einen <strong>der</strong> beiden Söhne Jakobs, die im<br />

Südreich noch etwa ein Jahrhun<strong>der</strong>t länger unabhängig gelebt haben.<br />

Das wird erst zu einem späteren Zeitpunkt offenbar werden, in <strong>der</strong> Zeit<br />

<strong>der</strong> sogenannten Großen Trübsal, wenn Jesus Christus persönlich<br />

144’000 Juden auserwählen wird, die noch einmal in <strong>der</strong> ganzen Welt<br />

missionieren werden, und denen er die Abstammung, die er natürlich bei<br />

allen kennt, enthüllen wird - aber wie, können wir natürlich noch nicht<br />

wissen. Diese 144’000, von denen Sie sicher auch schon gehört haben,<br />

beziehen sich also nur auf Juden und nicht auf die Zeugen Jehovas, wie<br />

diese meinen, o<strong>der</strong> auf an<strong>der</strong>e.<br />

Wie verhält es sich aber bei Nostradamus? Genau umgekehrt. So heißt<br />

es von ihm, er stamme genauso wie die Propheten Jesaja, Jeremia und<br />

Maleachi von Issaschar ab, habe also schon von daher Prophetenblut in<br />

sich gehabt. Wenn schon alle an<strong>der</strong>en Juden von ihrer genauen<br />

Abstammung nichts wissen, weil Gott ihnen das aus bestimmten<br />

Gründen, die natürlich nur er selbst kennt, nicht offenbaren will, ist nicht<br />

mehr schwer zu erraten, von welcher Seite Nostradamus diese<br />

Information hatte - falls er das tatsächlich so aufgeschrieben hat.<br />

Abgesehen davon, dass <strong>der</strong> Vergleich mit diesen drei großen biblischen<br />

Propheten völlig vermessen ist, zeigt die Behauptung, dass diese drei<br />

ebenfalls von Issaschar abstammten, sehr deutlich, dass die<br />

Nostradamus-Ausleger entwe<strong>der</strong> die Bibel nicht kennen o<strong>der</strong> dann<br />

bewusst lügen, um die Ungläubigen in die Irre zu führen. Aufgrund <strong>der</strong><br />

Angaben in <strong>der</strong> Schrift ist <strong>uns</strong>chwer zu erkennen, dass Jesaja ein<br />

Verwandter des Königs Hiskia war, und da die Könige des Südreiches, in<br />

dem er lebte, alle von Juda abstammten, konnte also auch er nur vom<br />

Stamm Juda sein. Bei Jeremia ist die Fälschung sogar noch klarer: Da er<br />

sich selbst als Sohn eines Priesters vorgestellt hat, konnte er nur von<br />

Levi abstammen, denn nur wer ein Levit war, konnte auch ein Priester<br />

werden. Nur bei Maleachi, <strong>der</strong> seinerzeit Johannes den Täufer<br />

vorausgesagt hat, ist die Herkunft nicht klar, doch diese beiden Beispiele<br />

zeigen wohl deutlich genug, dass rund um diesen Nostradamus einiges<br />

faul läuft, obwohl er ohne Zweifel einiges auch richtig vorausgesagt hat.<br />

Gerade die Prophezeiungen, bei denen er völlig daneben lag, sind<br />

136


aber ein weiterer klarer Hinweis darauf, dass dieser Mann unmöglich ein<br />

Prophet Gottes sein konnte, denn was die biblischen Propheten<br />

voraussagten, hat sich immer richtig erfüllt. Ja, auch solche falschen<br />

Prophezeiungen des Nostradamus gibt es, was von den Medien<br />

natürlich fleißig unterschlagen wird. So setzte er die Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten auf einen Zeitpunkt nach dem Dritten<br />

Weltkrieg an - aufgrund verschiedener verschlüsselter Angaben lässt<br />

sich etwa das Jahr 2050 berechnen. Was nun diesen imaginären Dritten<br />

Weltkrieg betrifft, dem später noch ein vierter folgen soll, hätte er gemäß<br />

seinen Aussagen bereits im Jahr 1987 ausbrechen sollen; zudem hätte<br />

1989 in Frankreich und Italien das Christentum verboten werden sollen,<br />

und 1998 hätte die Erdachse kippen sollen, was zu einer<br />

entsprechenden Verlagerung <strong>der</strong> beiden Pole und damit zu einem völlig<br />

neuen Himmelsbild ge<strong>führt</strong> hätte. Der Höhepunkt seiner Fehlprogrosen<br />

war jedoch <strong>der</strong> August 1999, als er sogar ein genaues Datum nannte,<br />

und zwar den elften dieses Monats, an dem wegen <strong>der</strong> totalen<br />

Sonnenfinsternis, die sich schon in seinem Zeitalter vorausberechnen<br />

ließ, riesige Katastrophen hätten ausbrechen sollen. Das war ja mit ein<br />

entscheiden<strong>der</strong> Grund dafür, dass fast die ganze Welt damals Kopf<br />

stand und von einem Weltuntergang geredet hat.<br />

Wie wir heute wissen, ist außer <strong>der</strong> Sonnenfinsternis nichts von all dem<br />

geschehen. Wir sind immer noch hier, doch das ist für die Ausleger <strong>der</strong><br />

Nostradamus-Verse typischerweise kein Problem. Ähnlich wie bei den<br />

Zeugen Jehovas, die das Ende des heutigen Zeitalters für das Jahr 1914<br />

vorausgesagt und später ihre Angaben immer wie<strong>der</strong> korrigiert haben,<br />

werden diese Ereignisse einfach auf einen späteren Zeitpunkt verlegt.<br />

Allein dies zeigt, wie wenig seriös mit diesen Voraussagen umgegangen<br />

wird, das heißt, dass man es zu genau nehmen will, um ja nicht zugeben<br />

zu müssen, dass in <strong>der</strong> Bibel über die letzte Zeit ganz an<strong>der</strong>e<br />

Prophezeiungen geschrieben stehen, gerade auch in Bezug auf Israel<br />

und Jerusalem. Es gibt mehrere Verse, die eindeutig voraussagen, dass<br />

die Wie<strong>der</strong>kunft des Herrn nach dem Beginn <strong>der</strong> Sammlung <strong>der</strong> Juden in<br />

Israel nicht mehr allzu fern liegt. Bei Nostradamus gehen die<br />

Voraussagen aber bis über das Jahr 3700 hinaus; das zeigt doch klar,<br />

dass er sich vielleicht unbewusst auch von <strong>der</strong> satanischen Seite<br />

benützen ließ, die es nur darauf abgesehen hat, unter <strong>der</strong> Menschheit<br />

möglichst viel Verwirrung zu stiften und sie von den viel wichtigeren<br />

bibilischen Prophezeiungen abzulenken. Zu diesem Kapitel gehören<br />

auch die sogenannten UFOs und ähnliche fantastische Geschichten,<br />

aber das lassen wir jetzt lieber beiseite, ob Sie selbst daran glauben<br />

o<strong>der</strong> nicht.<br />

Um das Thema Nostradamus noch einmal kurz zusammenzufassen:<br />

Auch wenn etliche seiner Voraussagen sich tatsächlich erfüllt haben,<br />

137


sind sie für jene, die an den auferstandenen Herrn Jesus glauben,<br />

letztlich völlig unwichtig, vor allem auch deshalb, weil die meisten von<br />

ihnen nicht auf die Bibel und damit auf das Volk Israel und Jerusalem<br />

Bezug nehmen, son<strong>der</strong>n rein weltliche Ereignisse waren. Für <strong>uns</strong><br />

Christen ist viel mehr von Bedeutung, dass viele biblische<br />

Prophezeiungen sich schon erfüllt haben und dass <strong>der</strong> ganze Rest sich<br />

auch noch erfüllen wird, und auch wenn Nostradamus ebenfalls von<br />

einer Auferstehung, einem 1’000-jährigen Reich und einem Jüngsten<br />

Gericht gesprochen hat, kann ich Ihnen versichern, dass das<br />

letztgenannte nicht erst nach dem Jahr 3700 stattfinden wird. Allein<br />

diese Zahlenspielerei zeigt <strong>uns</strong> deutlich genug, welche Voraussagen<br />

ernster zu nehmen sind - die göttlichen o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>en, die von den<br />

ungläubigen Astrologen bis zu den Grenzen des Erträglichen<br />

ausgeschlachtet werden. Nicht ohne Grund haben die Schriften des<br />

Nostradamus bei den wirklich gläubigen Christen keinen Wert und<br />

hattten ihn auch nie, und das ist auch richtig so, obwohl es nicht schaden<br />

kann, sich einmal mit ihnen zu befassen. Es kann <strong>uns</strong> im Gegenteil<br />

sogar helfen und <strong>uns</strong> erst recht davon überzeugen, dass die Bibel den<br />

Schriften dieses Mannes immer noch turmhoch überlegen und <strong>uns</strong>er<br />

Glaube an Jesus Christus halt doch <strong>der</strong> richtige ist. Übrigens ist es auch<br />

kein Zufall, dass seit <strong>der</strong> Jahrtausendwende, als fast die ganze Welt<br />

gerade auch wegen <strong>der</strong> Schriften dieses Mannes buchstäblich Kopf<br />

stand, von ihm nur noch spärlich die Rede ist.“<br />

Wie<strong>der</strong> legt Hoveneel eine kurze Pause ein, die er zum Verschnaufen<br />

benützt, und da auch er auf einmal zögert, ein weiteres Thema<br />

vorzubringen, spüren alle drei wie auf Absprache, dass ihr Gespräch<br />

sich allmählich dem Ende zuneigt; im Grund haben sie das Wichtigste,<br />

das zu sagen war, ja bereits behandelt. So nützt Hans das aus, um als<br />

Erster fast wie verstohlen auf seine Uhr zu schauen.<br />

„Himmel noch mal!“, ruft er halb entsetzt aus, „es ist ja schon fast halb<br />

elf.“<br />

„Das macht nichts“, beruhigt ihn Hoveneel, „ich habe mir heute Abend ja<br />

extra diese Zeit für Sie genommen, um mit Ihnen über das alles zu<br />

sprechen. Es hat mir auch deshalb Freude bereitet, weil Sie auf mich<br />

den Eindruck vermitteln, dass Sie im tiefsten Grund echt interessiert und<br />

auf <strong>der</strong> Suche nach Gott sind, auch wenn Sie das selbst vielleicht nicht<br />

einmal wissen.“<br />

„Das hat mir Erwin auch schon gesagt“, entgegnet Hans, „trotzdem<br />

müssen wir jetzt langsam aufbrechen. Ich habe schon viel zu viel von<br />

Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen, vor allem auch, wenn ich<br />

an Ihre strapazierte Stimme denke.“<br />

„Ich habe das aber überlebt wie schon so vieles an<strong>der</strong>e auch“, sagt<br />

138


Hoveneel darauf lächelnd, „ich bin es mir von den Vorträgen her<br />

gewöhnt, dass ich stundenlang reden muss; allerdings habe ich dann<br />

meistens ein Mikrofon vor mir. Das än<strong>der</strong>t aber nichts daran, dass ich<br />

meine Stimme auch dann in Anspruch nehmen muss. Übrigens wollte<br />

ich Ihnen noch dies sagen, da Sie vorher ‚Himmel noch mal!’ ausgerufen<br />

haben: Ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie viele Male die meisten<br />

Leute ein Wort, das auf irgendeine Weise mit Gott zu tun hat, in den<br />

Mund nehmen, ohne sich dabei etwas zu denken? So wie Sie gerade<br />

‚Himmel noch mal!’ ausgerufen haben, hört man doch ständig auch<br />

‚Herrgott noch mal!’, ‚Jesses nei!’, ‚Gott sei Dank!’ und ähnliches, und<br />

auch bei <strong>uns</strong> in Holland benützen wir fast die gleichen Wörter und<br />

Ausdrücke wie hier im deutschen Sprachraum. Solange es aber noch<br />

keine Flüche sind, die ebenfalls viel zu häufig vorkommen, ist es nicht<br />

allzu schlimm, auch wenn in <strong>der</strong> Bibel deutlich geschrieben steht, dass<br />

man den Gottesnamen nicht missbrauchen soll. Wenn all diese Leute<br />

sich einmal darüber Gedanken machen würden, was sie damit sagen,<br />

wäre das schon ein erster Schritt zur Umkehr.“<br />

Darauf erheben sie sich endlich nach so langer Zeit - auch Erwin, <strong>der</strong> die<br />

ganze Zeit ihres Gesprächs danebengesessen hat und auch jetzt den<br />

beiden an<strong>der</strong>en das Wort überlässt.<br />

„Ich danke Ihnen vielmals, Herr Hoveneel, dass Sie sich für mich so viel<br />

Zeit genommen haben, um mit mir über all diese Themen zu reden“, sagt<br />

Hans, indem er seinem Gesprächspartner die Hand hinstreckt, „es war<br />

wirklich sehr interessant und teilweise sogar echt spannend. In dieser<br />

Form habe ich das alles noch nie gehört.“<br />

„Es hat mich aber ehrlich gesagt auch gefreut, mit Ihnen zu sprechen“,<br />

gibt Hoveneel dieses Kompliment zurück, während er ihm die Hand<br />

drückt, „vor allem wenn ich spüre, dass auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ein<br />

wirkliches Interesse da ist, bin ich wie gesagt sogar bereit, eine ganze<br />

Nacht dafür zu opfern. Versprechen Sie mir, über alles, was wir jetzt<br />

besprochen haben, nochmals gründlich nachzudenken?“<br />

„Sicher, aber ich brauche dafür auch eine gewisse Zeit - das werden Sie<br />

wohl verstehen.“<br />

„Das ist mir klar, Herr Stettler. Deshalb schenke ich Ihnen auch diese<br />

zwei Bücher, die ich extra für Sie besorgt habe. Darin ist vieles von dem<br />

aufgeschrieben, was wir an diesem Abend behandelt haben.“<br />

Dann begibt er sich zum Schreibtisch, auf dem die zwei erwähnten<br />

Bücher stehen, und überreicht sie Hans.<br />

„Oh, vielen Dank, Herr Hoveneel!“, entgegnet Hans echt erfreut, aber<br />

ohne die Bücher etwas genauer anzuschauen, „so habe ich wohl genug<br />

Zeit, um mich mit allem nochmals gründlich zu befassen - vor allem auch<br />

139


mit dem, was ich heute Abend nicht mehr speichern konnte.“<br />

„Da haben Sie recht, Herr Stettler, und ich wünsche Ihnen von ganzem<br />

Herzen, dass diese Bücher dazu beitragen, dass Sie erkennen, wer<br />

Jesus Christus wirklich ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich eines<br />

Tages hören könnte, dass auch Sie zum Herrn gefunden haben;<br />

jedenfalls werde auch ich dafür beten, so wie auch Erwin das sicher tut.“<br />

„So schnell geht das aber nicht.“<br />

„Die Hauptsache ist aber, dass Sie sich im Gegensatz zu den meisten<br />

an<strong>der</strong>en Leuten überhaupt damit auseinan<strong>der</strong>setzen. Übrigens kann ich<br />

Ihnen noch meine Adresse und Telefonnummer von zu Hause geben,<br />

und wenn ich nicht dort bin, kann man auch mich immer über ein Handy<br />

erreichen. Sie müssen aber damit rechnen, dass es nicht einfach sein<br />

wird, weil ich bekanntlich immer viel unterwegs bin und während meiner<br />

Vorträge das Handy natürlich ausgeschaltet lasse; zudem dürfen Sie<br />

auch die enormen Zeitunterschiede zwischen den Kontinenten nicht<br />

vergessen.“<br />

„Natürlich vergesse ich das nicht, ich habe auf <strong>der</strong> Bank bei den vielen<br />

Transaktionen ja genug damit zu tun. Wir werden ja sehen, wie lang es<br />

dauert, bis ich zu Ihnen den ersten Kontakt aufnehme.“<br />

Dann hält Hans kurz inne und ergänzt nach kurzem Zögern, indem er<br />

Hoveneel offen in die Augen schaut: „Also nochmals vielen Dank für<br />

dieses Gespräch und auch für die Bücher! Ich werde Sie bei Gelegenheit<br />

sicher lesen.“<br />

„Das will ich hoffen“, entgegnet Hoveneel nochmals lächelnd, „Sie haben<br />

es ja versprochen.“<br />

„Hoffentlich kann Ihre Stimme sich schon bald wie<strong>der</strong> erholen.“<br />

Noch einmal schütteln sie sich die Hände, bevor ihre <strong>Weg</strong>e sich wie<strong>der</strong><br />

trennen. Hans hat den Kopf immer noch so voll von all den Eindrücken,<br />

die er an diesem Abend mitbekommen hat, dass er fast meint, er müsste<br />

bald platzen. Zugleich fühlt er sich auch etwas erleichtert, weil er endlich<br />

einmal mit jemandem über alles Grundlegende, das ihn im Innersten<br />

schon immer interessiert und für ihn das menschliche Leben schlechthin<br />

ausmacht, in aller Ruhe sprechen konnte, und zur Abwechslung auch<br />

einmal eine an<strong>der</strong>e Version gehört hat, als sie in den Medien verbreitet<br />

wird.<br />

Da es in <strong>der</strong> Zwischenzeit schon fast elf Uhr geworden ist, trennen sich<br />

auch Hans und Erwin bald voneinan<strong>der</strong>. Nachdem er sich auch bei ihm<br />

für die Kontaktaufnahme zu Jan Hoveneel bedankt hat, steht Hans<br />

wie<strong>der</strong> allein auf <strong>der</strong> Straße wie schon so oft zuvor. Zu seinem eigenen<br />

Erstaunen fühlt er sich diesmal jedoch nicht allein, als wäre jemand<br />

<strong>uns</strong>ichtbar bei ihm. Ist es am Ende dieser Gott <strong>der</strong> Bibel?, fragt er sich<br />

selbst, allerdings ohne diese Frage ernst zu nehmen.<br />

140


Erst zu Hause nimmt er sich eine kurze Zeit, um die beiden Bücher, die<br />

Hoveneel ihm noch mitgegeben hat, etwas unter die Lupe zu nehmen.<br />

Schon auf den ersten Blick kann er erkennen, dass es sich um zwei<br />

naturwissenschaftliche Werke handeln muss, die von Christen verfasst<br />

worden sind, so dass er sich ungefähr schon vorstellen kann, wie <strong>der</strong><br />

Inhalt aussieht. Irgendwann wird er sicher einmal beginnen, sie zu lesen,<br />

aber nicht heute - dafür fühlt er sich nach dem langen Arbeitstag und<br />

diesem intensiven Gespräch mit Hoveneel natürlich viel zu müde und<br />

ausgelaugt. So stellt er denn die Bücher gut sichtbar auf seinen<br />

Schreibtisch, also nicht ins Büchergestell, wo sie leicht untergehen<br />

könnten, und legt sich kurz darauf schlafen.<br />

9<br />

Nachdem Hans und Erwin sich von Jan Hoveneel und sie sich auch<br />

voneinan<strong>der</strong> selbst verabschiedet haben, bleibt er für den Rest <strong>der</strong><br />

Woche mit seinen vielen neuen Eindrücken allein, und er nimmt sich<br />

genügend Zeit, um diese allmählich zu verarbeiten und über das<br />

Gespräch mit dem gläubigen Naturwissenschaftler intensiv<br />

nachzudenken. Das tut er auch mit <strong>der</strong> Lektüre einiger Büchlein, die<br />

Erwin ihm für diesen beson<strong>der</strong>en Abend mitgebracht hat und die sich<br />

kapitelweise mit ganz bestimmten Bereichen befassen, welche die<br />

göttliche Schöpfung und die Evolutionstheorie betreffen. Zudem hat<br />

Erwin, <strong>der</strong> sich wirklich fast rührend um ihn kümmert, ihm auch noch ein<br />

dickeres Buch gekauft, das all dies und noch ein paar Einzelheiten mehr<br />

zusammenfasst, doch dafür braucht er natürlich viel mehr Zeit. Er hat<br />

sich jedoch fest vorgenommen, dieses Buch und auch die beiden, die<br />

Hoveneel ihm geschenkt hat, zu einem späteren Zeitpunkt<br />

durchzuarbeiten, aber vorläufig lieber noch nicht.<br />

Je mehr er liest, desto mehr muss er sich tatsächlich eingestehen, dass<br />

er von dieser ganz an<strong>der</strong>en Version über die Entstehung <strong>der</strong> Welt und<br />

aller Lebewesen fasziniert ist, weil er diese noch nie auf eine so klare<br />

und geradezu einleuchtende Weise gehört hat. Wenn das alles wirklich<br />

stimmt, sagt er sich, ist nicht nur die ganze Evolutionstheorie falsch,<br />

son<strong>der</strong>n es steht noch viel schlimmer: Dann sind sie alle von A bis Z in<br />

den Schulen und höheren Lehrstätten systematisch belogen worden,<br />

und das schon seit mehr als 150 Jahren. Dank <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />

dieser Jan Hoveneel ja nicht irgendwer ist, son<strong>der</strong>n ein versierter<br />

Naturwissenschaftler, <strong>der</strong> in seinen Kreisen einen festen und<br />

anerkannten Stand hat, beginnt er sich zu seiner eigenen Überraschung<br />

zu fragen, ob die biblische Schöpfungsgeschichte vielleicht doch nicht<br />

141


völlig abwegig ist und zumindest ein Teil davon sich tatsächlich so<br />

zugetragen haben könnte. Da er jedoch nicht nur zur Evolutionstheorie<br />

und zu einer möglichen göttlichen Schöpfung, son<strong>der</strong>n noch zu vielen<br />

an<strong>der</strong>en Themen Fragen hat, und da Erwin selbst ihm sagte, er sei auf<br />

diesen Gebieten nicht kompetent genug, entschließt er sich, dieses<br />

Kapitel vorläufig auf <strong>der</strong> Seite zu lassen. Er hat ja genügend Zeit, um<br />

sich in die zwei kleinen Bücher, die Hoveneel ihm geschenkt hat, und<br />

erst recht später in das dicke Buch zu vertiefen.<br />

So begibt er sich am nächsten Samstag, also nur drei Tage nach seinem<br />

Gespräch mit Hoveneel, direkt an die Feldeggstraße, also ohne Umweg<br />

über den Bellevueplatz. Diesmal muss er sich nicht nach einem langen<br />

inneren Kampf dazu überwinden, son<strong>der</strong>n er geht zum ersten Mal aus<br />

echtem Interesse dorthin, denn er will und muss nach allem, was er in<br />

den letzten paar Tagen gehört und gelesen hat, einfach noch viel mehr<br />

über den Glauben dieser Christen wissen. Wenn sie mit allem, was sie<br />

verkünden, auch nur teilweise recht haben, würde das ganz konkret<br />

auch seine eigene Existenz betreffen, aber um das herausfinden zu<br />

können, sieht er vorerst keinen an<strong>der</strong>en Ausweg, als an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße mit ihnen über alles Mögliche zu sprechen und zu<br />

diskutieren.<br />

Als er die Teestube betritt, erscheint auf den ersten Blick alles wie<strong>der</strong><br />

genau gleich wie bei seinen zwei ersten Besuchen. Die einen sind noch<br />

dabei, die letzten paar Tische mit Kaffeetassen, Untertellern und allerlei<br />

Gebäck zu bedecken, während die an<strong>der</strong>en gruppenweise miteinan<strong>der</strong><br />

plau<strong>der</strong>n. Das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Gesicht kommt ihm bekannt vor; nur<br />

Erwin und auch Ulrike, nach <strong>der</strong> er heimlich ebenfalls Ausschau hält,<br />

kann er nirgendwo entdecken. Während er bei Erwin damit rechnet, dass<br />

er vielleicht wie<strong>der</strong> etwas später auftaucht, hat er bei Ulrike schon jetzt<br />

das dunkle Gefühl, dass sie heute nicht kommt, auch wenn sie vor <strong>der</strong><br />

ersten direkten Begegnung mit ihm ebenfalls etwas später erschienen<br />

ist. Er nimmt es jedoch für einmal nicht so tragisch, denn einerseits wird<br />

er sicher noch die Gelegenheit bekommen, sie noch näher kennen zu<br />

lernen, und an<strong>der</strong>erseits ist er heute nicht in erster Linie wegen ihr<br />

gekommen.<br />

Er steht keine zwei Minuten in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Eingangstür, wo Bücher<br />

ausgestellt sind und er so tut, als wolle er sich jeden einzelnen Titel fest<br />

einprägen, als er plötzlich eine Stimme, die ihm irgendwie bekannt<br />

vorkommt, von hinten ihn rufen hört. Er dreht sich um und erkennt ...<br />

nein, nicht Erwin, son<strong>der</strong>n jemanden, mit dem er auch schon gesprochen<br />

hat. Ja, richtig, jetzt erinnert er sich: Es ist Bruno <strong>Weg</strong>mann, <strong>der</strong> jetzt<br />

142


geradezu freudestrahlend auf ihn zukommt und ihm fast zuruft: „Guten<br />

Abend, Hans! Wie schön, dass du wie<strong>der</strong> gekommen bist!“<br />

„Hoi Bruno“, grüßt Hans artig zurück, „es freut mich ebenfalls, dass ich<br />

dich wie<strong>der</strong>sehe. Seit dem Abend, als wir mit Erwin zusammen waren,<br />

haben wir <strong>uns</strong> ja nicht mehr gesehen.“<br />

„Genau - und heute siehst du ihn nicht.“<br />

„Kann er denn heute nicht kommen?“<br />

„Lei<strong>der</strong> nein, er ist krank geworden, aber er hat mich angerufen und mich<br />

gebeten, mich um dich zu kümmern, falls du wie<strong>der</strong> kommst.“<br />

„Dann legt ihr anscheinend einen beson<strong>der</strong>en Wert auf meine Besuche<br />

hier, dass ihr zwei euch so stark um mich kümmert.“<br />

„Ja, sicher, und du weißt auch warum.“<br />

„Ich bin aber eine harte Nuss, das solltest du schon wissen“, entgegnet<br />

Hans lächelnd.<br />

„Das ist mir klar, so weit kenne ich dich auch schon. Aber wenigstens<br />

hattest du die Geduld, um dich mit Jan Hoveneel über alles Mögliche zu<br />

unterhalten. Erwin hat mich natürlich darüber in Kenntnis gesetzt.“<br />

Dann setzen sie sich an einen <strong>der</strong> gedeckten Tische und sobald sie<br />

bequem sitzen, fragt Hans sogleich: „Wer predigt denn heute Abend?“<br />

„Wie<strong>der</strong> Rabi Mavendran wie vor zwei Wochen.“<br />

„Schon wie<strong>der</strong>? Ihr habt doch gesagt, er sei ständig unterwegs, wenn ich<br />

mich richtig erinnere.“<br />

„Ja, aber heute ist er trotzdem wie<strong>der</strong> bei <strong>uns</strong>.“<br />

„Ich weiß noch, wie ihr gesagt habt, er habe hier eine zweite Heimat.“<br />

„Ja, das stimmt, aber vor allem seine geistliche Heimat.“<br />

„Was bedeutet dieser Ausdruck?“, fragt er diesmal ohne spöttischen<br />

Hinterton, was auch Bruno auffällt.<br />

Ohne Zögern anwortet dieser: „Das bedeutet, dass er seinen<br />

entscheidenden Werdegang als Prediger hier absolviert und von hier die<br />

meisten Impulse und Ideen geschöpft hat, vor allem auch darum, weil<br />

<strong>der</strong> Anfang dieser Teestubenarbeit eigentlich auf <strong>der</strong> Bahnhofstraße und<br />

im Shop-Ville unten begonnen hat, als er mit drei an<strong>der</strong>en Männern<br />

Freiversammlungen durch<strong>führt</strong>e. So hat es begonnen; diese vier waren<br />

die Pioniere, nachdem jahrelang in dieser Beziehung fast nichts mehr<br />

gelaufen war - unter an<strong>der</strong>em auch darum, weil es offiziell eigentlich<br />

verboten war und die meisten Gläubigen sich davon abschrecken ließen.<br />

Die einzige Ausnahme ist immer noch die Heilsarmee, bei denen drückt<br />

die Polizei immer noch ein Auge zu o<strong>der</strong> auch beide. So dürfen sie noch<br />

heute am Auffahrtstag ihren traditionellen Marsch durchführen.»<br />

Nun schweigen sie wie<strong>der</strong> eine Weile und benützen diese Pause, um<br />

sich erst einmal Kaffee einzuschenken. Dann knüpft Hans wie<strong>der</strong> an:<br />

143


„Bruno, ich habe zwar damit gerechnet, dass heute Abend Erwin kommt,<br />

aber das, was mich stark beschäftigt, kann ich ja auch mit dir<br />

besprechen. Wenn er dir schon telefoniert hat, weißt du sicher, über<br />

welche Themen ich mit Hoveneel ausführlich diskutiert habe, vor allem<br />

über die Evolutionstheorie und das, was für euch Evangelikale <strong>der</strong><br />

Schöpfungsbericht ist.“<br />

„Natürlich hat er mir das gesagt und mir auch erzählt, wie lebhaft du dich<br />

daran beteiligt hast.“<br />

„Ich muss sogar zugeben, dass er ein Mann von Format ist, <strong>der</strong> sehr viel<br />

weiß und in ein ganz an<strong>der</strong>es Licht stellen kann, als es über die Medien<br />

möglich ist.“<br />

„Ja, du hast Recht. Wir Gläubigen können wirklich froh sein, dass wir<br />

auch noch solche Männer haben. Lei<strong>der</strong> gibt es von denen viel zu wenig,<br />

weil die meisten Naturwissenschaftler Anhänger <strong>der</strong> Evolutionstheorie<br />

sind.“<br />

„Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, warum ich heute wie<strong>der</strong><br />

gekommen bin. Im Zusammenhang mit seinem Vortrag am letzten<br />

Sonntag und auch mit <strong>uns</strong>erem Gespräch sind neue Fragen aufgetaucht,<br />

die mich sehr stark beschäftigen. Sie haben aber nicht direkt mit <strong>der</strong><br />

Evolutionstheorie zu tun, so können wir <strong>uns</strong> getrost darüber unterhalten.“<br />

„Welche Probleme beschäftigen dich denn so stark?“<br />

„Ich halte es für besser, erst nach <strong>der</strong> Predigt darüber zu reden, weil<br />

diese bald anfängt und die Zeit ganz einfach nicht mehr reicht.“<br />

„Willst du also nachher darüber reden? Das lässt sich schon einrichten,<br />

wenn du es so vorziehst.“<br />

„Vielleicht wäre es aber besser, an einem an<strong>der</strong>en Ort zu reden. Da<br />

drinnen ist es für meinen Geschmack immer ein bisschen zu laut.“<br />

„Wo willst du denn nachher hingehen?“<br />

„Für ein Café ist es dann wahrscheinlich schon zu spät und wir wären<br />

auch so mitten unter an<strong>der</strong>en Leuten, aber du kannst zu mir nach Hause<br />

kommen, wenn es dir nichts ausmacht. Ich habe mein Auto in <strong>der</strong> Nähe,<br />

so sind wir schnell dort. Du musst dann aber nicht erschrecken, es ist<br />

eine typische Junggesellenbude.“<br />

„Keine Angst, Hans! Ich habe schon viel in meinem Leben gesehen und<br />

weiß schließlich auch noch, wie mein eigenes Junggesellenleben war.<br />

Also gut, das lässt sich einrichten; ich muss dann nur noch meiner Frau<br />

Bescheid sagen.“<br />

„Du bist verheiratet?“<br />

„Ja, seit einem Jahr. Übrigens kommt sie heute Abend auch noch,<br />

manchmal macht sie eben bei den Straßeneinsätzen mit. Jetzt ist sie<br />

noch nicht da, aber sie kommt sicher noch mit jemandem; dann kannst<br />

du sie kennen lernen. In dieser Beziehung ist sie ziemlich hartnäckig,<br />

aber in positivem Sinn: Sie versucht immer, eine Person mitzubringen;<br />

144


vorher kommt sie nicht - und wenn es ihr für einmal nicht gelingt, lässt<br />

sie sich auch nicht blicken. Bis jetzt hatte sie aber immer Glück; sie<br />

strahlt halt etwas Bestimmtes aus, das von <strong>uns</strong>erem Glauben<br />

herkommt.“<br />

„Hm, dann hast du wirklich eine außergewöhnliche Frau.“<br />

„Ja, das ist sie - darum habe ich sie auch geheiratet.“<br />

„So habt ihr also noch keine Kin<strong>der</strong>, wenn sie heute Abend auch dabei<br />

ist und auch sonst bei den Einsätzen mitmacht, wie ihr dem sagt?“<br />

„Nein, vorläufig noch nicht, und solange wir noch keine haben, ist sie<br />

nach Möglichkeit immer dabei.“<br />

Nach einer weiteren kurzen Pause, die sie dazu benützen, um sich einen<br />

ersten Schluck Kaffee zu genehmigen, sagt Hans: „Übrigens, Bruno,<br />

könntest du das für mich arrangieren, dass ich nachher mit diesem Rabi<br />

kurz reden darf? Ich weiß, dass das bei so vielen Leuten schwierig ist,<br />

aber wir können es ja probieren. Es reizt mich einfach, mit ihm ein paar<br />

Worte zu wechseln.“<br />

„Das kannst du sicher. Er ist ja genauso ein einfacher Diener Gottes wie<br />

wir, auch wenn es nicht so aussieht. Ich werde das nachher in die <strong>Weg</strong>e<br />

leiten, da kannst du dich auf mich verlassen - schließlich kennt er mich ja<br />

auch schon ziemlich gut.“<br />

Kurz bevor es dann leise wird und das Vorprogramm beginnt, tritt noch<br />

schnell eine Frau herein, und hinter ihr kommt noch eine ältere Frau.<br />

Bruno stubst Hans leicht und sagt lächelnd: „Schau, das ist jetzt meine<br />

Frau!“<br />

So hat sie es also tatsächlich erneut geschafft, jemanden von <strong>der</strong> Straße<br />

herzubringen, wie sie es vorhatte. Beide Männer erheben sich, und<br />

nachdem Bruno seine Frau kurz umarmt und auf die Lippen geküsst hat,<br />

wie das unter glücklichen Paaren üblich ist, stellt er Hans seine Frau und<br />

ihn zugleich ihr mit Namen vor: „Das ist Marianne - und das ist Hans.“<br />

Während sie sich die Hand geben, steht Hans einer hübschen Frau mit<br />

langen, dunkelblonden Haaren gegenüber, die mindestens einen Kopf<br />

kleiner ist als Ulrike, aber die gleiche außergewöhnliche Anmut<br />

ausstrahlt.<br />

Nachdem sich alle wie<strong>der</strong> gesetzt haben, merkt Hans an <strong>der</strong> Art, wie<br />

Bruno und Marianne sich während <strong>der</strong> Predigt des In<strong>der</strong>s<br />

aneinan<strong>der</strong>schmiegen und er sie noch einmal küsst, wie sehr die beiden<br />

sich lieben, und er stellt sich erneut vor, wie schön es wäre, wenn er das<br />

Gleiche auch mit Ulrike erleben könnte, von <strong>der</strong> er seit seiner direkten<br />

Begegnung mit ihr nicht mehr loskommt.<br />

Kaum hat Rabi Mavendran seine Predigt und seinen damit verbundenen<br />

145


Aufruf zur Bekehrung beendet, erhebt sich Bruno und geht langsam<br />

nach vorn zum Rednerpult. Währenddessen bleibt Hans <strong>uns</strong>chlüssig<br />

sitzen, doch als er sieht, dass Bruno ihn nach vorn zu Mavendran winkt,<br />

steht er entschlossen auf und begibt sich ebenso entschlossen nach<br />

vorn. Dann geben sich die beiden zum ersten Mal die Hand - und Hans<br />

erkennt, dass es sich bei diesem indischen Prediger tatsächlich um<br />

einen gewöhnlichen Menschen aus Fleisch und Blut handelt, auch wenn<br />

er bei seinen Vorträgen manchmal außergewöhnlich wirkt.<br />

„Ich habe Sie heute schon zum zweiten Mal predigen gehört“, sagt er zu<br />

ihm auf Englisch, weil er immer in dieser Sprache predigt und sich von<br />

jemandem übersetzen lässt, obwohl er eigentlich gut genug Deutsch<br />

spricht, doch das weiss Hans nicht o<strong>der</strong> genauer noch nicht.<br />

Mavendran antwortet ihm lächelnd: „Das freut mich, also haben Sie auch<br />

von Jesus Christus mindestens schon zweimal gehört, jedenfalls in<br />

diesem Raum.“<br />

„Nicht nur zweimal, son<strong>der</strong>n noch viel mehr. Ich wollte von Ihnen nur<br />

eines wissen: Wie ist es möglich, dass ein Hindu wie Sie, <strong>der</strong> zudem<br />

noch ein Brahmane war, seinen alten Glauben aufgibt und sich zum<br />

Christentum bekehrt? Ich finde das außergewöhnlich.“<br />

„So außergewöhnlich ist das nicht, denn <strong>der</strong> Herr wirkt auf <strong>der</strong> ganzen<br />

Welt. Auch in Indien, <strong>der</strong> Heimat meiner Vorfahren, kommen immer mehr<br />

Menschen zum Glauben an ihn.“<br />

„Wie ich gehört habe, sind Sie nicht dort aufgewachsen, son<strong>der</strong>n in<br />

Trinidad.“<br />

„Ja, das stimmt, aber ich habe immer noch Verwandte, die in Indien<br />

leben, und ein paar von denen haben sich auch schon bekehrt.“<br />

„Sind Sie heute eigentlich eine Art Pfarrer?“<br />

„Nein, auch ich bin nur ein einfacher Arbeiter im Werk des Herrn. Ich<br />

kann aber verstehen, dass jemand, <strong>der</strong> eine kirchliche Prägung hat, wie<br />

Sie es vielleicht haben, sofort denkt, ich sei ein Pfarrer. So haben auch<br />

schon an<strong>der</strong>e mir die genau gleiche Frage gestellt.“<br />

„Das klingt recht demütig, aber Sie hatten es ja auch leichter, um zu<br />

dieser Haltung zu kommen; schließlich verlangt man im Hinduismus<br />

auch eine Demut bis zum Geht-nicht-mehr.“<br />

„Ja, aber das ist eine ganz an<strong>der</strong>e Demut. Bei den Hindus und auch bei<br />

den Anhängern <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en bekannten östlichen Religionen ist es eine<br />

Demut, die von Menschen verlangt wird, um in erster Linie an<strong>der</strong>en<br />

Menschen zu gefallen und nicht etwa einem Gott, wie es immer wie<strong>der</strong><br />

so heißt. Bei Jesus Christus ist es aber eine Demut, die vom Innersten<br />

und vor allem aus freiem Willen kommt und nur durch ihn selbst bewirkt<br />

werden kann - eben durch den Heiligen Geist, den nur jene persönlich<br />

erfahren, die ihr Leben dem Herrn übergeben und mit ihm völlig neu<br />

beginnen.“<br />

146


„Das ist recht interessant, wenn ein ehemaliger Hindu so redet, und erst<br />

recht einer, <strong>der</strong> aus einer Brahmanen-Familie stammt wie Sie. Jedenfalls<br />

wirkt das glaubwürdiger, als wenn jemand von hier das tut.“<br />

„Wir sind aber trotzdem alle gleich vor Gott. So kommt es nicht darauf<br />

an, wer Jesus Christus als Erlöser bezeugt; die Hauptsache ist, dass<br />

überhaupt jemand es tut.“<br />

Da halten sie kurz inne; Mavendran schaut sich ein wenig um, fängt<br />

plötzlich an zu strahlen, zeigt auf einen Mann und geht geradewegs auf<br />

diesen zu, wobei er Hans fast am Ärmel mitzieht.<br />

„Ich will Ihnen zeigen, wie ich das meine, was ich Ihnen jetzt gesagt<br />

habe“, sagt er immer noch auf Englisch zu Hans, als sie beim<br />

Betreffenden angekommen sind, und dann wechselt er in die deutsche<br />

Sprache, die er ebenfalls gut spricht, wovon Hans sich jetzt überzeugen<br />

kann: „Darf ich vorstellen? Das ist Albert, <strong>der</strong> sich hier vor zwei Wochen<br />

bekehrt hat. Auch er kann heute bezeugen, dass Jesus Christus wirklich<br />

lebt und <strong>uns</strong>er Leben verän<strong>der</strong>n kann.“<br />

„Ja, ich erinnere mich, dass ein paar sich bekehrt haben“, entgegnet<br />

Hans ruhig und ebenfalls wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> hiesigen Sprache, „ich habe das<br />

schließlich miterlebt.“<br />

Darauf werden die beiden Männer, die etwa gleich alt sind, einan<strong>der</strong> kurz<br />

vorgestellt, und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, eben dieser Albert, an dessen Gesicht sich<br />

Hans aber nicht mehr erinnern konnte, sagt zu ihm so strahlend wie<br />

zuvor Mavendran: „Ja, auch ich kann bezeugen, dass Jesus wirklich<br />

noch heute lebt und <strong>uns</strong> vor dem ewigen Ver<strong>der</strong>ben erretten kann.“<br />

„Ah, Sie sind also auch einer von denen, die sich vor zwei Wochen hier<br />

bekehrt haben?“, fragt Hans sofort, indem er ihm offen in die Augen<br />

schaut.<br />

„Ja - und ich habe es nicht bereut. Heute weiß ich, dass es einen Gott<br />

gibt und dass Christus die Wahrheit ist.“<br />

„Das freut mich für Sie, dass Sie jetzt auch daran glauben können.“<br />

Schon will er mit Bruno, <strong>der</strong> die ganze Zeit still hinter ihnen gestanden<br />

hat, wie<strong>der</strong> zum Tisch zurück, an dem sie vorher gesessen haben, doch<br />

da nimmt Mavendran ihn wie<strong>der</strong> beim Arm und <strong>führt</strong> ihn zu einer Frau,<br />

die Hans beim ersten Hinsehen zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt<br />

schätzt. Als er aber noch einmal genauer hinschaut, trifft ihn fast <strong>der</strong><br />

Schlag: Es ist die gleiche Frau, die sich vor zwei Wochen mit einem<br />

Strahlen, das er nie zuvor gesehen hatte, in die Arme einer gewissen Iris<br />

gestürzt hat, nachdem sie sich bekehrt hatte, und damit jenen Tumult<br />

auslöste, dem er sich schleunigst und fluchtartig entzogen hat.<br />

„Und das ist Claudia“, setzt <strong>der</strong> Prediger munter fort, „auch sie hat sich<br />

hier vor zwei Wochen bekehrt und kann heute bezeugen, dass Jesus<br />

Christus lebt.“<br />

147


Hans gibt auch ihr die Hand und wechselt mit ihr ein paar Worte, dann<br />

begeben sie sich zum Rednerpult.<br />

„Verstehen Sie jetzt, was ich gemeint habe?“, fragt Mavendran dann<br />

wie<strong>der</strong> auf Englisch und antwortet gleich selbst: „Wichtig ist also nicht,<br />

wer das Evangelium predigt, aber wichtig ist, dass überhaupt jemand es<br />

tut. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass auch Sie bald erkennen,<br />

wer Jesus Christus ist, und werde für Sie beten.“<br />

„Ich danke Ihnen dafür, aber das ist bei mir nicht so einfach“, entgegnet<br />

Hans auch wie<strong>der</strong> auf Englisch, „ich muss noch viel mehr über euren<br />

Glauben wissen, bevor ich mich für etwas entscheiden kann, das ich<br />

noch nicht genügend kenne.“<br />

„Das ist auch richtig, aber wenn Sie Gott aufrichtig und von ganzem<br />

Herzen suchen, werden Sie ihn auch finden, so wie das auch in einem<br />

Bibelvers versprochen wird. Ich wünsche Ihnen dabei viel Glück - und<br />

wie ich schon gesagt habe, werde ich für Sie beten.“<br />

Damit trennen sich wie<strong>der</strong> ihre <strong>Weg</strong>e; Mavendran kümmert sich fortan<br />

um einen Bekehrungskandidaten, <strong>der</strong> während ihres Gesprächs dicht<br />

daneben gewartet hat, und geht mit ihm in den Keller hinunter. Da Hans<br />

nicht wie<strong>der</strong> eine so wilde Bekehrungsszene erleben will wie vor zwei<br />

Wochen, bittet er Bruno, möglichst bald aufzubrechen.<br />

„Macht es dir nichts aus, wenn ich mit Hans noch für eine Weile<br />

weggehe?“, fragt dann Bruno seine Frau, „er will eben an einem an<strong>der</strong>en<br />

Ort noch über ein paar Probleme mit mir reden, aber da drinnen ist es<br />

ihm zu laut.“<br />

„Aber sicher, Schatz, das kann ich verstehen“, antwortet diese lächelnd,<br />

indem sie ihn lieb anschaut, „wenn es nicht gleich für die ganze Nacht<br />

ist, macht es mir nichts aus. Wie du siehst, habe ich ja auch noch ein<br />

Gespräch vor mir.“<br />

Darauf küsst und umarmt Bruno seine Frau nochmals auffallend zärtlich,<br />

und die beiden Männer verabschieden sich von Marianne und <strong>der</strong> Frau,<br />

die diese hierhergebracht und von <strong>der</strong> Hans für einmal keinen Namen<br />

erfahren hat.<br />

10<br />

Als sie in seiner Wohnung angekommen sind, verlieren sie nicht viel Zeit.<br />

Er zeigt Bruno rasch den Saal, die beiden Zimmer, sein großes<br />

Büchergestell und die Küche, wo er einen Kaffee aufsetzt, und schon<br />

setzen sie sich auf sein Sofa.<br />

„Worüber willst du denn mit mir reden, Hans?“, beginnt Bruno sogleich<br />

das Gespräch.<br />

148


„Das ist ein bisschen schwierig zu formulieren“, entgegnet dieser<br />

langsam, „weißt du, so wie Hoveneel am letzten Mittwoch in seinem<br />

Hotelzimmer von <strong>der</strong> Evolutionstheorie und <strong>der</strong> Schöpfungsgeschichte<br />

und allem an<strong>der</strong>en, das damit zusammenhängt, erzählt hat, war es<br />

sicher sehr interessant, aber ich hätte noch ein paar Fragen auf Lager<br />

gehabt, für die nachher die Zeit gefehlt hat.“<br />

„Welche Frage zum Beispiel? Wenn es nicht gerade allzu<br />

naturwissenschaftlich ist, will ich gern versuchen, jede zu beantworten,<br />

soweit ich es kann.“<br />

„Keine Angst, Bruno! Die Naturwissenschaften können wir heute beiseite<br />

lassen, Hoveneel hat mich ja schon genug über alles informiert. Was<br />

mich viel mehr beschäftigt, sind Fragen, die zwar damit<br />

zusammenhängen, aber trotzdem für sich einzeln im Raum stehen. Zum<br />

Beispiel ist mir das nicht klar: Angenommen, es stimmt alles, was im<br />

ersten Buch Mose steht, also die Geschichten vom sogenannten<br />

Sündenfall bis zur Sintflut und zum Turmbau von Babel, und nehmen wir<br />

an, die Geschichte vom Volk Israel bis zu Jesus sei tatsächlich kein<br />

Märchen - warum hat euer Gott einen so komplizierten Heilsweg<br />

gewählt, den Hoveneel ein paar Mal erwähnt hat? Allerdings ist er nicht<br />

näher auf dieses Thema eingegangen, weil die Zeit dafür gefehlt hat.<br />

Verstehst du, was ich meine? Wäre es nicht einfacher gewesen, sich<br />

einen solchen <strong>Weg</strong> über das Kreuz zu ersparen?“<br />

Bruno überlegt eine ganze Weile, was er darauf antworten soll. Mit einer<br />

so tiefschürfenden Frage gleich zu Beginn ihres Gesprächs hat er nicht<br />

gerechnet; und trotz seiner vielen Jahre, die er schon gläubig ist, kann<br />

auch er nicht auf jede Frage sofort eine geeignete Antwort aus dem<br />

Ärmel schütteln.<br />

„Um das beantworten zu können, muss ich ein bisschen weit ausholen“,<br />

beginnt er schließlich, „versetzen wir <strong>uns</strong> einmal in die Lage, in <strong>der</strong> sich<br />

Adam und Eva kurz nach dem Sündenfall befanden! Es war total trostlos<br />

für sie, weil <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> zurück ins Paradies für immer versperrt war, und<br />

sie mussten sich für den Rest ihres Lebens vom harten Boden ernähren,<br />

wie Gott ihnen das verordnet hatte. Trotzdem hatte er schon damals,<br />

also von Anfang an, einen ganz bestimmten Heilsplan, um die zerstörte<br />

Verbindung zwischen ihm und <strong>der</strong> Menschheit wie<strong>der</strong>herzustellen. Dafür<br />

gab er schon kurz nach dem Sündenfall die Verheißung, dass ein<br />

Samen von Eva, das heißt einer ihrer Nachkommen, <strong>der</strong> Schlange, in<br />

<strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Satan versteckt hatte, um Eva zu verführen, den Kopf<br />

zertreten würde. Das war schon <strong>der</strong> erste Hinweis auf Jesus Christus,<br />

aber bis es so weit war, dass <strong>der</strong> Herr in Menschengestalt auf die Erde<br />

kam, dauerte es eben seine Zeit, und schon in diesen paar wenigen<br />

Jahrtausenden wurden die Menschen auf ihre Tauglichkeit für eine<br />

149


Rückkehr ins verlorene Paradies geprüft. Ich weiß, das tönt für dich<br />

alles ein bisschen kompliziert, vor allem wenn ich daran denke, dass<br />

auch du wahrscheinlich noch daran glaubst, dass die ersten Vorfahren<br />

<strong>der</strong> Menschheit schon vor mehr als einer Million Jahren gelebt haben,<br />

aber es ist halt eines <strong>der</strong> schwierigsten Kapitel überhaupt.“<br />

„Mach ruhig weiter, ich komme schon mit!“, beruhigt ihn Hans.<br />

„Gut, dann mache ich also weiter. Bald kamen Kain und Abel, also die<br />

ersten zwei Söhne von Adam und Eva, auf die Welt, und die Geschichte<br />

vom Bru<strong>der</strong>mord und damit auch vom allerersten Mord <strong>der</strong> Menschheit<br />

kennst du ja sicher. An dieser Stelle kann ich dir gleich auch erzählen,<br />

wie es nachher mit Kain weiterging und vor allem wer seine Frau war,<br />

von <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bibel überhaupt nicht die Rede ist, so dass gerade darum<br />

unzählige Spötter behauptet haben, die biblische Geschichte könne gar<br />

nicht stimmen, weil Kain mit keiner Frau habe Kin<strong>der</strong> zeugen können -<br />

ganz einfach, weil es keine gab. Dabei muss man nur ein bisschen<br />

genauer lesen, um den ganzen Zusammenhang zu begreifen. O<strong>der</strong> hat<br />

dir das nicht schon Jan Hoveneel erzählt?“<br />

„Doch, das hat er, und erst noch ziemlich überzeugend.“<br />

„Dann weißt du also schon Bescheid. Nach dem Mord an Abel gab es<br />

zwei verschiedene Linien von Vorfahren, die sich sehr stark voneinan<strong>der</strong><br />

unterschieden: Die eine war die von Kain, die eben darum möglich war,<br />

weil er sich mit einer seiner Schwestern intim verbunden hatte, was in<br />

diesem Zeitalter von Gott ja noch nicht verboten war. Von dieser Linie<br />

stammt alles Schlechte ab, so unter an<strong>der</strong>em das Kriegshandwerk und<br />

<strong>der</strong> Götzenkult, aber auch <strong>der</strong> übertriebene Hang zu allen Künsten, die<br />

eben dann, wenn sie von Gott ablenken, als übertrieben bezeichnet<br />

werden müssen.<br />

Die an<strong>der</strong>e Linie war die von Seth, dem dritten Sohn von Adam und Eva,<br />

<strong>der</strong> an die Stelle des frommen Abel trat, <strong>der</strong> gerade aus diesem Grund<br />

von Kain umgebracht worden war. Von ihm, <strong>der</strong> sich natürlich ebenfalls<br />

mit einer seiner Schwestern intim verbunden hat, und seinen<br />

Nachkommen stammt überwiegend alles Gute ab, vor allem auch das,<br />

was wir heute als Gottesdienst bezeichnen. Das alles steht in groben<br />

Zügen im ersten Buch Mose so geschrieben. Den Rest kennst du ja<br />

schon: Dann kamen die Sintflut und <strong>der</strong> Turmbau zu Babel, an dem wir<br />

noch heute leiden müssen. Wer sich in den Sprachen ein bisschen<br />

auskennt und noch nicht ganz von <strong>der</strong> Evolutionstheorie verblendet ist,<br />

die auch für die Entwicklung <strong>der</strong> Sprachen benützt wird, kann dir<br />

je<strong>der</strong>zeit bestätigen, dass die verschiedenen Sprachgruppen o<strong>der</strong><br />

Sprachfamilien sich so stark voneinan<strong>der</strong> unterscheiden, dass sie sich<br />

unmöglich aus <strong>der</strong> gleichen Ursprache entwickelt haben können, und<br />

das müsste ja so sein, wenn die Evolutionstheorie tatsächlich stimmen<br />

würde.<br />

150


Übrigens hat man vor nicht allzu langer Zeit die Nachricht verbreitet,<br />

dass es schon vor Jahrtausenden möglich war, die Ozeane auf<br />

einfachen Booten zu überqueren, und ohne dass es den betreffenden<br />

Leuten bewusst war, haben sie mit diesem Bericht die biblische<br />

Geschichte bestätigt. Dabei kommt es nicht einmal beson<strong>der</strong>s darauf an,<br />

wie weit die Kontinente nach <strong>der</strong> Sintflut bereits auseinan<strong>der</strong>gedriftet<br />

waren, wie Hoveneel dir das wahrscheinlich auch gesagt hat; wichtig ist<br />

hier nur, dass diese Geschichte von <strong>der</strong> Zerstreuung in die ganze Welt<br />

mit dieser Meldung bestätigt worden ist.»<br />

«Glaubst du denn wirklich daran, dass so viele Tausend Sprachen mit<br />

einem einzigen Knall entstehen konnten?»<br />

«Aber Hans, jetzt ersta<strong>uns</strong>t du mich mit dieser Frage! Wenn wir wirklich<br />

daran glauben können, dass Gott das ganze Weltall und alle Lebewesen<br />

erschaffen hat, können wir sicher auch daran glauben, dass diese<br />

Sprachenverwirrung für ihn ein Kin<strong>der</strong>spiel war. Auch diese Geschichte<br />

lässt sich zwar nicht beweisen, aber es gibt gute Hinweise. Nach <strong>der</strong><br />

Berechnung verschiedener Geschichtsforscher und Völkerkundler haben<br />

vor ein paar Tausend Jahren dort, wo sich diese Babel-Geschichte<br />

abspielte, etwa eine Million Menschen gelebt. Wenn wir davon<br />

ausgehen, dass die Zahl von fast 20'000 Sprachen, die von<br />

verschiedenen Sprachforschern schon angegeben worden ist,<br />

tatsächlich stimmt, kamen also auf jede Sprache fünfzig Köpfe, die eine<br />

einzige Sprache redeten. Wie gnädig Gott sogar an diesem tragischen<br />

Tag war, zeigte sich darin, dass er dafür sorgte, dass die gleichen<br />

Familien und Sippen zusammenbleiben konnten. Ein kleiner Hinweis<br />

darauf ist <strong>der</strong> Vers, dass die Sippschaft von Jakob, dem dritten<br />

israelitischen Erzvater, zusammen mit seinen Angehörigen siebzig Köpfe<br />

zählte, als sie ins Land Gosen kamen, um fortan dort zu wohnen. Sicher<br />

hast du auch von dieser Geschichte schon gehört.»<br />

«Natürlich - wer schon nicht? In meiner Schulzeit war es ja noch erlaubt,<br />

biblische Geschichten sogar in <strong>der</strong> Schule zu erzählen.»<br />

«Also gut, dann fahren wir weiter. - Von allen Völkern und Sippen, die<br />

sich seit <strong>der</strong> Babel-Geschichte herausgebildet haben, hat Gott Abraham<br />

erwählt, damit dieser <strong>der</strong> Stammvater des Volkes wurde, aus dem später<br />

<strong>der</strong> verheißene Erlöser für die ganze Menschheit hervorging. Warum<br />

Gott ausgerechnet ihn erwählt hat, können wir nicht beantworten,<br />

genauso wenig wie die Frage, warum er den Heilsweg über das Kreuz<br />

geplant hat. Er hat sich eben so entschieden - und wir können genauso<br />

wenig darüber diskutieren wie über die Dreieinigkeit, die den meisten<br />

Leuten ebenfalls viele Probleme bereitet, darunter auch gläubigen<br />

Christen selbst.“<br />

„Wie erklärst du dir denn diese?“<br />

„Sie lässt sich nicht in <strong>uns</strong>eren menschlichen Denkdimensionen erklären,<br />

151


aber ich kann dir einen guten Anhaltspunkt geben: Wenn wir davon<br />

ausgehen, dass es tatsächlich einen allmächtigen und allwissenden Gott<br />

gibt, <strong>der</strong> das ganze Weltall, alle Sterne, Planeten und Monde und alle<br />

Lebewesen und wie gerade gesagt auch alle Sprachen erschaffen hat,<br />

sollte es ihm doch auch möglich sein, sich in drei Personen zu<br />

offenbaren. Um sich das ungefähr vorstellen zu können, müssen wir<br />

eben <strong>uns</strong>ere beschränkten menschlichen Denkdimensionen verlassen<br />

und versuchen, <strong>uns</strong> ein bisschen in die göttlichen zu versetzen. Natürlich<br />

können wir das nur beschränkt, aber wenn wir <strong>uns</strong> den Bibelvers vor<br />

Augen führen, dass für Gott tausend Jahre wie ein Tag sind, dann hilft<br />

das <strong>uns</strong>, seine Denkweise mindestens teilweise zu begreifen. Ich nehme<br />

an, dass Jan Hoveneel diesen Vers im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Schöpfung ebenfalls zitiert hat.“<br />

„Ja, das hat er.“<br />

„Ich bin noch nicht ganz fertig mit dem, was ich dir erklären wollte, weil<br />

wir ein bisschen abgewichen sind. Gott hat also Abraham zum<br />

Stammvater <strong>der</strong> Heilslinie erwählt, von <strong>der</strong> am Schluss <strong>der</strong> Erlöser kam.<br />

Auch diese Wahl zeigt übrigens Gottes wun<strong>der</strong>bare Führung, die so<br />

ganz an<strong>der</strong>s als <strong>uns</strong>ere Denkweise ist. Als er Abraham das Versprechen<br />

gab, dass durch ihn alle Geschlechter <strong>der</strong> Erde gesegnet würden, hatte<br />

dieser überhaupt noch keine Kin<strong>der</strong>, weil seine Frau Sara noch<br />

unfruchtbar war. Mit neunzig Jahren gebar sie aber noch Isaak, den<br />

zweiten Stammvater <strong>der</strong> Israeliten. Das scheint für heutige Begriffe<br />

unmöglich - aber erinnerst du dich noch daran, was ich dir gerade vorhin<br />

gesagt habe? Wenn Gott so allmächtig und allwissend ist, dass er alles<br />

erschaffen hat und sich erst noch in drei Personen offenbaren kann, war<br />

es ihm doch sicher auch möglich, im Bauch einer so alten Frau noch ein<br />

Kind heranwachsen zu lassen. Übrigens waren neunzig Jahre damals<br />

noch nicht viel, wenn wir lesen, dass viele Stammväter auch nach <strong>der</strong><br />

Sintflut bis zu zweihun<strong>der</strong>t Jahre alt wurden, und so können wir<br />

annehmen, dass auch Frauen dieses Alter erreicht haben. Natürlich tönt<br />

das alles für dich fantastisch, aber ich will dir eben auf diese Art den<br />

Heilsweg bis zu Jesus zeigen, wie er in <strong>der</strong> Bibel beschrieben ist.<br />

Nach Isaak kam dann Jakob, <strong>der</strong> dritte Stammvater <strong>der</strong> Israeliten, <strong>der</strong><br />

gleich zwölf Söhne von vier verschiedenen Frauen hatte - von den zwei<br />

bekannten Ehefrauen Lea und Rahel und dazu von Silpa und Bilha, den<br />

beiden Mägden dieser Frauen -, und nach ihnen lebten ihre Nachfolger<br />

ein paar Jahrhun<strong>der</strong>te in Ägypten, was übrigens auch in altägyptischen<br />

Schriften verzeichnet ist, und dann kehrten die Israeliten unter Moses<br />

nach Kanaan zurück. Dort eroberten sie unter Josua, dem Nachfolger<br />

des Moses, fast das ganze Land; später kamen die Richter wie die<br />

bekannten Gideon und Simson und dann die Könige mit David und<br />

Salomo, die diese Heilslinie fortgesetzt haben, und so ging es<br />

152


Jahrhun<strong>der</strong>te weiter, bis schließlich Jesus aufgetreten ist. Das ist in<br />

groben Zügen das, was ich dir erklären wollte, und das ist es auch, was<br />

Jan Hoveneel mit dem Heilweg gemeint hat, denn in diesem Punkt sind<br />

sich alle Bibelgelehrten einig.“<br />

„Es ist unglaublich, wie viel Bescheid du darüber weißt, als ob du ein<br />

Pfarrer wärst.“<br />

„Das bin ich aber nicht - und man muss auch nicht Theologie studieren,<br />

um das zu begreifen. Je<strong>der</strong> Mann und jede Frau, die dafür Interesse<br />

haben, können sich dieses Wissen zu einem großen Teil allein<br />

erarbeiten, weil es dafür auch gute Begleitbücher gibt und natürlich auch<br />

<strong>der</strong> Herr selber <strong>uns</strong>eren Verstand erhellen kann, wenn wir es nur<br />

wollen.“<br />

„Wenn ich das Ganze richtig verstehe, waren also die Israeliten das<br />

auserwählte Volk, aus dem <strong>der</strong> Erlöser kommen musste - also eben<br />

dieser Messias, wie es auch heißt. Dann ist wohl das <strong>der</strong> Grund, warum<br />

die Ultraorthodoxen in Israel sich so aufführen, als ob es immer noch so<br />

wäre, dass die Juden etwas Beson<strong>der</strong>es sind.“<br />

„Vergiss aber eines nicht, Hans! Ich weiß, worauf du jetzt anspielen<br />

willst, aber das Versprechen, das Gott damals Abraham gegeben hat, ist<br />

auch heute noch gültig, ob das jetzt den radikalen Palästinensern und<br />

allen an<strong>der</strong>en Feinden Israels passt o<strong>der</strong> nicht. Übrigens ist es immer<br />

wie<strong>der</strong> interessant zu beobachten, dass praktisch alle Leute, die gegen<br />

Gott sind, auch gegen Israel eingestellt sind, und in diesem Punkt sind<br />

sich in <strong>der</strong> Politik sogar die Linken mit den Rechtsextremen und den<br />

Islamisten einig.<br />

Genau diese Feindschaft, die von <strong>der</strong> satanischen Seite bewusst<br />

geschürt wird, ist ein klares und untrügliches Zeichen dafür, dass es Gott<br />

halt immer noch gibt und dass Israel für die ganze Welt immer noch eine<br />

enorme Bedeutung hat. Das wird sich in <strong>der</strong> näheren Zukunft noch mehr<br />

zeigen, aber darauf können wir jetzt nicht näher eingehen, sonst reden<br />

wir noch die ganze Nacht - die Bibel ist halt eine unerschöpfliche<br />

Fundgrube ... Übrigens fällt mir an dieser Stelle wie<strong>der</strong> ein, dass Erwin<br />

dir beim letzten Mal gesagt hat, was das typische Kennzeichen einer<br />

Sekte ist. Erinnerst du dich noch? Sobald Jesus Christus und das Kreuz<br />

nicht mehr im Mittelpunkt stehen, son<strong>der</strong>n eine an<strong>der</strong>e Lehre und sogar<br />

an<strong>der</strong>e Personen, ist <strong>der</strong> Fall bereits klar, aber es gibt noch ein zweites<br />

typisches Kennzeichen, und zwar in Bezug auf Israel und das jüdische<br />

Volk. Eine feindliche Einstellung gegenüber diesem Land und Volk kann<br />

nicht von Gott gewirkt sein, son<strong>der</strong>n kommt von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, also von<br />

<strong>der</strong> satanischen Seite, aber das lässt sich erklären: Die Wut <strong>der</strong><br />

Teufelsschar auf die Israeliten und später auf die Juden bis zum<br />

heutigen Zeitalter und damit auch die Beeinflussung <strong>der</strong> Menschheit,<br />

dieses Volk jahrhun<strong>der</strong>telang zu verfolgen und abzuschlachten, kommt<br />

153


eben daher, weil <strong>der</strong> Erlöser für die ganze Welt von diesem Volk<br />

abstammt, das Gott für seinen Heilsweg erwählt hat. Wer Jesus Christus<br />

wirklich in seinem Leben persönlich erfahren hat, kann unmöglich<br />

antisemitisch und antijüdisch eingestellt sein, weil ja Jesus, ihr Erlöser,<br />

selber ein Jude war - und erst noch ein sehr religiöser, <strong>der</strong> in seinen<br />

Reden immer wie<strong>der</strong> auf die alten Schriften hingewiesen hat, also auf<br />

das, was wir heute als Altes Testament bezeichnen. Darum fühlen sich<br />

alle, die ihn als Erlöser kennen, in irgendeiner Form auch mit Israel und<br />

den Juden verbunden, auch wenn viele von ihnen Jesus immer noch<br />

nicht als ihren Messias sehen; alles an<strong>der</strong>e wäre ja nicht logisch.“<br />

„Jetzt muss ich dich aber doch einmal etwas Wichtiges fragen: Willst du<br />

mit dieser angeblichen Auserwählung <strong>der</strong> Israeliten als beson<strong>der</strong>es Volk<br />

auch sagen, dass sie besser waren als die an<strong>der</strong>en, und dass damit<br />

auch die heutigen Juden besser sind, weil sie unter dem Schutz Gottes<br />

stehen - abgesehen davon, dass mir auch gewisse Zweifel kommen,<br />

wenn ich an die unzähligen Pogrome und vor allem an das denke, was<br />

während des Zweiten Weltkriegs mit ihnen geschehen ist? Bekanntlich<br />

geht ja auch in Israel nicht alles mit rechten Dingen zu, vor allem<br />

gegenüber friedliebenden Palästinensern, denen einfach von einem Tag<br />

auf den an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Boden und das Haus weggenommen werden, damit<br />

für neue jüdische Siedler Platz geschaffen wird, und wenn ich mich<br />

richtig erinnere, wurden damals in Kanaan nicht wenige Völker im<br />

Namen Gottes vollständig ausgelöscht. Soll das alles etwa mit einer<br />

göttlichen Liebe zu tun haben?“<br />

„Moment, Hans, misch nicht alles durcheinan<strong>der</strong>! Wir müssen bei den<br />

Fakten bleiben, wie sie in <strong>der</strong> Bibel beschrieben sind. Dort steht an<br />

keiner einzigen Stelle, dass die Israeliten als Ganzes charakterlich<br />

besser waren als die an<strong>der</strong>en Völker, und das Gleiche gilt auch für die<br />

heutigen Nachkommen. Wir müssen <strong>uns</strong> einmal in die Lage versetzen,<br />

als die Israeliten sich darauf vorbereiteten, ins verheißene Land Kanaan<br />

einzudringen. Damals herrschte dort praktisch in je<strong>der</strong> Stadt und in<br />

jedem Dorf ein schlimmer Götzenkult son<strong>der</strong>gleichen, zum Teil noch viel<br />

schlimmer als heute; so wurden alle möglichen Statuen in aller<br />

Öffentlichkeit angebetet, was nicht einmal in <strong>der</strong> heutigen verdrehten und<br />

verrückten Zeit vorkommt. Was Gott aber noch viel mehr in Zorn versetzt<br />

hat, waren die unzähligen Menschenopfer, die gebracht wurden, denn<br />

das war in seinen Augen das Allerschlimmste; wer sich auch nur ein<br />

bisschen in <strong>der</strong> Bibel auskennt, sieht das sofort. Somit bekamen die<br />

Israeliten nicht nur den Auftrag, das Land zu erobern, son<strong>der</strong>n auch<br />

diese Völker und damit auch diesen Götzenkult mit den Menschenopfern<br />

zu vernichten. Sicher kamen im Verlauf dieser Eroberungen auch viele<br />

Unschuldige ums Leben, wie das lei<strong>der</strong> in jedem Krieg so passiert, aber<br />

Gott weiß auch heute noch sehr wohl, wer damals von Herzen an ihn<br />

154


glaubte, und wird sie sicher dementsprechend belohnen.<br />

Übrigens ist es immer wie<strong>der</strong> auch vorgekommen, dass ein Volk<br />

verschont blieb, wenn es den Götzenkult mit den Menschenopfern<br />

aufgab und sich zum einen wahren Gott bekehrte, zum Beispiel die<br />

Bevölkerung von Ninive. Sicher hast du auch schon vom Propheten Jona<br />

gehört, <strong>der</strong> den Auftrag hatte, diesen Leuten zu predigen, <strong>der</strong> aber Gott<br />

davonlaufen wollte und erst in einem großen Fisch zu ihm<br />

zurückgefunden hat - auch darin zeigt sich die Allmacht des Herrn, dass<br />

seine Augen sogar bis dorthin gereicht haben.“<br />

„Ja, ich erinnere mich knapp an eine solche Geschichte mit einem Mann<br />

in einem großen Fisch; also muss es wohl diese sein.“<br />

„Richtig, das ist sie, aber ich weiß natürlich, dass dir auch das vorläufig<br />

noch fantastisch vorkommt. Um wie<strong>der</strong> auf das eigentliche Thema<br />

zurückzukommen: In <strong>der</strong> ganzen Geschichte <strong>der</strong> Menschheit hat es sich<br />

immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass alle Völker, die einen solchen Götzenkult mit<br />

Menschenopfern betrieben, früher o<strong>der</strong> später schwer bestraft wurden.<br />

Das hat sich zum Beispiel auch bei den Inkas und Azteken gezeigt, die<br />

von all denen zu den bekanntesten gehören und in <strong>der</strong> Welt wegen ihrer<br />

Hochkultur so hochgejubelt werden, während die Spanier, die sie besiegt<br />

und unterworfen haben, immer nur als kultur- und hirnlose Schlächter<br />

hingestellt werden. Wie viel war diese Hochkultur aber am Ende wert,<br />

wenn auf ihren Altären Menschenopfer gebracht wurden, und zwar zu<br />

Tausenden und Abertausenden mit Gefangenen von an<strong>der</strong>en Völkern,<br />

vor allem im heutigen Mexiko, und natürlich auch mit unzähligen<br />

Jungfrauen und sogar mit Kin<strong>der</strong>n, wie das in <strong>der</strong> ganzen Welt üblich<br />

war? Dazu kam noch, dass ihre sogenannten heiligen Priester den<br />

Opfern die Herzen bei lebendigem Leib herausschnitten und frassen,<br />

damit sie so den Göttern nahe sein konnten. Abartiger geht es wirkllich<br />

nicht mehr.<br />

Natürlich hört die antichristlich eingestellte Welt das nicht gern, aber wir<br />

müssen <strong>uns</strong> auch einmal in die Lage <strong>der</strong> Spanier versetzen, die direkt<br />

schockiert waren, als sie von diesen Menschenopfern hörten. So ist es<br />

auch nicht erstaunlich, dass sie von den Völkern, die von den Inkas und<br />

Azteken buchstäblich bis aufs Blut unterdrückt wurden, als Befreier<br />

empfangen wurden und dass diese bei <strong>der</strong> Eroberung dieser Län<strong>der</strong><br />

mitgeholfen haben, vor allem in Mexiko. Übrigens ist es ebenso bekannt,<br />

dass auch Spanier, die den Azteken in die Hände fielen, ihren Göttern<br />

geopfert wurden, und das passt auch zum Gesamtbild, denn die Azteken<br />

waren noch um einiges blutrünstiger als die Inkas. Wenn wir <strong>uns</strong> das vor<br />

Augen führen, können wir diese Reaktion <strong>der</strong> Spanier auch ein bisschen<br />

verstehen. Sicher ging es auch um viel Gold und damit auch um Macht,<br />

sicher wurden auch viele Verbrechen begangen und Tausende von<br />

Unschuldigen nie<strong>der</strong>gemetzelt, wie das auch bei <strong>der</strong> Eroberung Kanaans<br />

155


durch die Israeliten vorgekommen ist, aber wenn wir diese Ereignisse mit<br />

denen in <strong>der</strong> Bibel vergleichen, können wir bald einmal sehen, dass auch<br />

diese beiden Völker, die in <strong>der</strong> Welt so übertrieben hoch angesehen<br />

sind, letztlich von Gott gerichtet worden sind, so hart das auch tönt.<br />

Übrigens gelten die göttlichen Gerichte heute noch genauso wie zur<br />

Zeit des Alten Testaments, wenn auch auf an<strong>der</strong>e Weise. Heute werden<br />

nicht mehr ganze Völker vernichtet, aber überall dort, wo <strong>der</strong> Götzenkult<br />

stark verbreitet ist, drückt sich die Strafe von oben darin aus, dass es<br />

den Völkern viel schlechter geht; das zeigt sich am deutlichsten in<br />

Indien, in Afrika und in Haiti mit seinem wi<strong>der</strong>lichen Voodoo-Kult. In<br />

diesem Zusammenhang ist auch noch das interessant: Ist es dir nicht<br />

auch schon aufgefallen, dass eines <strong>der</strong> typischen Kennzeichen <strong>der</strong><br />

afrikanischen Musik, die heute nicht ohne Grund in hohem Ansehen<br />

steht, ein starkes Schlagen <strong>der</strong> Trommeln ist, genauso wie die mo<strong>der</strong>ne<br />

Pop- und Rockmusik, die ja wirklich nichts Christliches an sich haben?<br />

Es wird natürlich weitgehend unterschlagen, dass die Naturvölker in<br />

Afrika und in den an<strong>der</strong>en Kontinenten die Trommeln nicht nur dazu<br />

benützt haben und zum Teil immer noch benützen, um gegenseitig<br />

Botschaften zu übermitteln, son<strong>der</strong>n sie waren und sind ebenso ein<br />

wichtiger Teil ihres Götzenkults, denn damit wurden und werden auch<br />

die Dämonen gerufen.<br />

Es gibt aber nicht nur göttliche Strafen, son<strong>der</strong>n auch Segnungen, denn<br />

überall dort, wo <strong>der</strong> Name Gottes hochgehalten wird, geht es den<br />

Völkern insgesamt besser als dort, wo <strong>der</strong> Götzenkult stark verbreitet ist.<br />

Auch aus diesem Grund ist es in Europa und Nordamerika vielen<br />

Menschen lange Zeit gut gegangen, und er hat sicher auch eine Rolle<br />

dafür gespielt, dass die Schweiz zweimal von Weltkriegen verschont<br />

worden ist. Es lag also nicht nur an einem billigen Opportunismus und<br />

Anpassertum, wie heute viele Unwissende das behaupten, son<strong>der</strong>n auch<br />

an <strong>der</strong> einfachen Tatsache, dass damals noch Tausende von Christen in<br />

diesem Land regelmäßig gebetet haben, und zwar nicht nur in Notzeiten.<br />

Was jetzt aber diese göttlichen Segnungen betrifft, so galten sie<br />

natürlich beson<strong>der</strong>s für Israel, und das war spätestens von dem<br />

Zeitpunkt an verheißen, als Moses sein fünftes Buch geschrieben hatte,<br />

das sich überwiegend mit Segen und Fluch befasst. Solange die<br />

Israeliten sich auf Gott beriefen und die Gesetze befolgten, ging es dem<br />

Land so gut, dass nicht einmal die stärkste Militärmacht <strong>der</strong> Welt sie<br />

hätte besiegen können, und das zeigte sich vor allem in <strong>der</strong> Blütezeit<br />

unter David und Salomo. Sobald sie Gott aber verließen und zum<br />

größten Teil den Götzen anhingen, die sie von den heidnischen<br />

Nachbarvölkern übernahmen, ging es mit ihnen abwärts. Das hat sich<br />

bereits bei Salomo gezeigt; wer in <strong>der</strong> Bibel liest, was über ihn<br />

geschrieben steht und was er selber auch geschrieben hat, kann es fast<br />

156


nicht glauben, dass <strong>der</strong> große Abfall ausgerechnet unter ihm begonnen<br />

hat, als er sich mit immer mehr heidnischen Frauen einließ und ihren<br />

Aberglauben mit dem israelitischen Glauben vermischte.<br />

Wenn schon ihr König sich so benahm, sahen auch allzu viele<br />

Untertanen nichts Schlechtes darin, ihn nachzuahmen; diese Haltung hat<br />

sich in <strong>der</strong> Geschichte dieses Volkes auch in den späteren Zeiten immer<br />

wie<strong>der</strong> gezeigt. So blieben aber auch die Israeliten von den göttlichen<br />

Gerichten nicht verschont, so sind auch sie schwer bestraft worden:<br />

Zuerst mit <strong>der</strong> Teilung des Landes in zwei Hälften und dann mit <strong>der</strong><br />

Verschleppung des übriggebliebenen Restes <strong>der</strong> zehn Stämme, die in<br />

<strong>der</strong> nördlichen Hälfte wohnten, nach Assyrien, und wir wissen bis heute<br />

nicht mit absoluter Sicherheit, was aus diesen geworden ist - bis heute<br />

ist alles immer nur Spekulation geblieben. Nur Gott kennt die ganze<br />

Wahrheit - und es ist verheißen, dass irgendwann einmal auch diese<br />

wie<strong>der</strong> ans Tageslicht treten wird, denn im letzten Buch <strong>der</strong> Bibel, das<br />

wir als Apokalypse bezeichnen, ist plötzlich wie<strong>der</strong> von zwölf Stämmen<br />

die Rede; also kann das nur bedeuten, dass Gottes Allmacht und<br />

Allwissenheit sich auch darin zeigt, dass er noch heute die Abstammung<br />

jedes einzelnen Juden kennt.<br />

Das ist aber immer noch nicht alles: Als mit <strong>der</strong> Zeit auch die Stämme<br />

Juda und Benjamin, die im südlichen Teil des ehemaligen Reiches<br />

wohnten und insgesamt noch frommer waren als die im Norden und zum<br />

Glück für sie ab und zu auch einen frommen König hatten, immer mehr<br />

dem Götzenkult anhingen, wurden auch sie militärisch besiegt und zum<br />

größten Teil verschleppt. Sicher hast auch du schon von <strong>der</strong><br />

siebzigjährigen Gefangenschaft in Babylon gehört, aber sogar in dieser<br />

elenden Lage hat Gott sein Versprechen gegenüber Abraham wie<strong>der</strong><br />

eingehalten. Es hat ja in Israel immer auch tiefgläubige Leute gegeben -<br />

nicht nur die Propheten, son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e -, und als Gott sah, wie in<br />

<strong>der</strong> Gefangenschaft immer mehr zu ihm flehten, begann er so zu wirken,<br />

dass sie schon bald wie<strong>der</strong> nach Jerusalem zurückkehren konnten.<br />

Sobald sie aber wie<strong>der</strong> eingerichtet waren, sobald die Hauptstadt wie<strong>der</strong><br />

neu aufgebaut war und wie<strong>der</strong> eine Mauer rundherum hatte und sogar<br />

ein neuer Tempel stand, wichen ihre Nachkommen teilweise schon<br />

wie<strong>der</strong> von Gott ab, ohne dass sie dafür mit einer weiteren<br />

Verschleppung bestraft wurden - wohl auch darum, weil die Götzenkulte<br />

in den letzten 500 Jahren vor Christus nicht mehr im gleichen Ausmaß<br />

verbreitet waren.<br />

Die Abkehr von Gott drückte sich in dieser Epoche bei vielen mehr darin<br />

aus, dass sie zwar die Gesetze mehr o<strong>der</strong> weniger einhielten, dass aber<br />

ihre Herzen verhärtet waren, wie das auch heute bei allzu vielen Leuten<br />

zutrifft: Man gibt sich zwar fromm - vor allem in <strong>der</strong> Weihnachtszeit und<br />

in <strong>der</strong> Karwoche -, aber man öffnet sich im Innersten trotzdem nicht<br />

157


gegenüber <strong>der</strong> Heilsbotschaft. Diese harte Haltung hat damals auch<br />

entscheidend dazu beigetragen, dass Jesus von den meisten<br />

Pharisäern, Sadduzäern und Schriftgelehrten abgelehnt worden ist,<br />

obwohl sie aufgrund <strong>der</strong> vielen Prophezeiungen über ihn sehr wohl<br />

wussten o<strong>der</strong> sich wenigstens hätten denken können, dass gerade er<br />

<strong>der</strong> verheißene Messias war, auch wenn er nicht zum bewaffneten<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen die Römer ausrief. In den Schriften steht nämlich<br />

geschrieben, dass dieser Retter des Volkes nicht nur ein militärischer<br />

Anführer sein wird, son<strong>der</strong>n auch ein sanftmütiger Diener <strong>der</strong><br />

Menschheit, und gerade diese Voraussetzung hat Jesus bei seinem<br />

ersten irdischen Auftreten erfüllt.<br />

Das an<strong>der</strong>e kommt auch noch, aber erst bei seinem zweiten Auftreten,<br />

wenn er in aller Herrlichkeit wie<strong>der</strong> erscheinen wird, um die Welt vor dem<br />

sicheren Untergang zu retten und eine neue Weltherrschaft unter ihm<br />

selber zu errichten. Wahrscheinlich hast du auch schon von dieser<br />

legendären letzten Schlacht bei Harmageddon gehört, genau diese wird<br />

sich dann ereignen. Wer also bei seinem ersten Auftreten sein Herz<br />

gegenüber Jesus nicht öffnete, war nicht fähig zu erkennen, dass es sich<br />

bei ihm um ein und denselben handelte, also um den sanftmütigen<br />

Gottessohn, <strong>der</strong> sich für das Heil <strong>der</strong> Menschheit kreuzigen ließ, und<br />

zugleich um den zukünftigen großen Weltherrscher. Viele Bibelausleger<br />

meinen, dass später die Zerstörung des zweiten Tempels und des<br />

größten Teils von Jerusalem und die Zerstreuung <strong>der</strong> Juden in die ganze<br />

Welt für fast 2’000 Jahre damit zusammenhing, dass die meisten von<br />

ihnen Jesus als ihren Messias abgelehnt haben, aber ich selber halte<br />

diese Aussage für gewagt; darum würde ich mich darin nie festlegen.“<br />

Erst jetzt hält er kurz inne, um genauso wie Hoveneel vor drei Tagen<br />

wie<strong>der</strong> einmal durchzuatmen. Während sie sich beide einen Schluck<br />

Kaffee genehmigen, nimmt Hans schon bald den Gesprächsfaden<br />

wie<strong>der</strong> auf, indem er leise sagt und Bruno dabei offen in die Augen<br />

schaut: „Ich muss schon sagen, das ist hochinteressant, was du da<br />

erzählt hast. So habe ich das bis heute noch nie gehört.“<br />

„Trotzdem bin ich aber immer noch nicht fertig“, hakt dieser sofort wie<strong>der</strong><br />

ein, „denn ich muss dir über den göttlichen Heilsweg noch ein bisschen<br />

mehr erzählen. Hast du das auch noch nie gehört? Noch bevor Jesus<br />

auf die Welt kam, wurde seine Ankunft und sein Wirken jahrhun<strong>der</strong>telang<br />

vorher in vielen Einzelheiten prophezeit, und zwar nicht nur durch einen<br />

einzigen Propheten, son<strong>der</strong>n durch mehrere stückweise, das heißt so,<br />

dass fast je<strong>der</strong> einen Teil voraussagte, so dass das Ganze sich am<br />

Schluss zu einem Puzzle zusammensetzen ließ. David zum Beispiel, <strong>der</strong><br />

ja nicht nur ein König und Dichter war, son<strong>der</strong>n auch eine prophetische<br />

Gabe hatte, die natürlich von Gott selber geschenkt war, sagte die<br />

158


Todesart voraus, und zwar beschrieb er sie so, dass wir daraus<br />

schließen können, dass eine Kreuzigung gemeint war, die zu seiner Zeit<br />

noch nicht einmal bekannt war - genauso wenig hat auch das Römische<br />

Reich existiert, das diese Hinrichtungsart praktisch als Markenzeichen<br />

hatte. Es geht aber noch weiter: Jesaja sagte voraus, dass ein gerechter<br />

Mann verachtet und geschlagen und leiden wird, dass wir aber durch<br />

seine Wunden geheilt werden, und damit konnte wie<strong>der</strong> nur Jesus<br />

gemeint sein. Zugleich kündigte er auch die Geburt eines Sohnes durch<br />

eine Jungfrau an und meinte auch damit Jesus, und als Zugabe sprach<br />

er auch noch von einem beson<strong>der</strong>en Propheten, <strong>der</strong> kurz vor diesem<br />

Einen auftreten wird, um seinen <strong>Weg</strong> vorzubereiten, und meinte damit<br />

eindeutig Johannes den Täufer. Micha kündigte den Geburtsort<br />

Bethlehem an; Hosea sagte voraus, dass Gott seinen Sohn aus Ägypten<br />

zurückrufen wird, und Jeremia prophezeite den Kin<strong>der</strong>mord in<br />

Bethlehem. Scharja sagte voraus, er würde auf einer Eselin in Jerusalem<br />

einziehen, und Joel kündigte die Aussendung des Heiligen Geistes an.<br />

Daniel sagte sogar die Jahre voraus, in denen er auftreten wird, und<br />

gab auch noch eine Rechnung mit, so dass es möglich ist, die Jahre bis<br />

zum irdischen Auftreten des Herrn ziemlich genau auszurechnen.<br />

Allerdings is eine ganz genaue Jahresangabe darum nicht möglich, weil<br />

damals zur gleichen Zeit verschiedene Kalen<strong>der</strong> im Umlauf waren, und<br />

ich bin sicher, dass <strong>der</strong> Herr diese Verwirrung bewusst zugelassen hat.<br />

Das Einzige, das sicher scheint, ist das Todesjahr von Herodes, <strong>der</strong><br />

nach <strong>der</strong> Überlieferung den Kin<strong>der</strong>ord in Bethlehem befohlen hat - es<br />

war das Jahr 4 vor Christus. Dazu ist heute ebenfalls bekannt, dass es<br />

kurz vorher eine Planetenkonstellation gab, wie sie vorher nie<br />

vorgekommen war und nachher auch nie mehr vorgekommen ist. Es<br />

waren nicht nur <strong>der</strong> Jupiter und <strong>der</strong> Saturn, die beiden grössten<br />

Planeten, son<strong>der</strong>n auch ein Teil <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Planeten, die zueinan<strong>der</strong><br />

so standen, dass sie alle zusammen so leuchteten, als ob ein neuer<br />

Stern aufgetaucht wäre - das erklärt auch die Geschichte mit dem Stern<br />

von Bethlehem, von dem du sicher auch schon gehört und gelesen hast.<br />

Wie wichtig all diese Prophezeiungen in ihrem ganzen Puzzle waren,<br />

zeigt sich auch noch bei Maleachi, <strong>der</strong> als letzter <strong>der</strong> Propheten des<br />

Alten Testaments etwa 400 Jahre vor Christus genauso wie vorher<br />

Jesaja die Ankunft von Johannes dem Täufer ankündigte. Auch dieser<br />

spezielle Auftritt des Täufers zeigt <strong>uns</strong>, welche enorme Bedeutung Jesus<br />

im göttlichen Heilsplan hatte, wenn sein Kommen nicht nur von einem,<br />

son<strong>der</strong>n sogar von zwei Propheten aus Fleisch und Blut angekündigt<br />

wurde.<br />

Natürlich kann ich jetzt nicht auf alle Einzelheiten eingehen, aber wenn<br />

du willst, kann ich dir all diese Bibelverse aufschreiben; so kannst du sie<br />

nachher in aller Ruhe für dich allein durchlesen und dir selber ein Bild<br />

159


über die Genauigkeit und Treffsicherheit dieser Prophezeiungen<br />

machen. Übrigens ist das, was ich dir jetzt gesagt habe, nur ein kleiner<br />

Teil aller Prophezeiungen über Jesus. Insgesamt gibt es mehr als 300<br />

von ihnen, darunter auch solche, die sich auf den ersten Blick scheinbar<br />

wi<strong>der</strong>sprechen. Wie war es zum Beispiel möglich, dass jemand, <strong>der</strong> am<br />

Kreuz wie ein Verbrecher hingerichtet wurde, nachher ausgerechnet in<br />

ein Grab gelegt wurde, das einem Reichen gehörte und noch nie vorher<br />

benützt worden war? Genau das ist aber mit Jesus geschehen - und<br />

beides war viele Jahrhun<strong>der</strong>te vorher ebenfalls angekündigt worden.<br />

Auch <strong>der</strong> Verrat an Jesus durch Judas mit dreißig Silberstücken ist<br />

genau so vorausgesagt worden, das heißt die Anzahl Silberstücke.“<br />

„Es ist gut, dass du gerade von diesem Judas redest, denn darüber<br />

wollte ich dich etwas ganz Bestimmtes fragen. Wenn es wirklich so ist,<br />

wie ihr sagt, wenn es also stimmt, dass euer Gott von Anfang an einen<br />

genauen Heilsplan hatte und zu diesem Zweck das Volk Israel<br />

auserwählte, aus dem <strong>der</strong> Erlöser <strong>der</strong> ganzen Welt kommen musste, und<br />

wenn ihr zugleich davon redet, dass je<strong>der</strong> einzelne Mensch seinen freien<br />

Willen hat ... wie reimt sich das denn zusammen, dass Gott seinen Sohn<br />

ans Kreuz schickte, um ihn für die Sünden <strong>der</strong> ganzen Menschheit<br />

sterben zu lassen? Das würde doch heißen, dass dieser Judas, <strong>der</strong> ja<br />

immer nur als ein Bösewicht dargestellt wird, gar keinen freien Willen<br />

hatte, son<strong>der</strong>n von Gott praktisch als eine Marionette benützt wurde,<br />

damit dieser Heilsplan am Kreuz in die Tat umgesetzt werden konnte.<br />

O<strong>der</strong> siehst du das etwa an<strong>der</strong>s?“<br />

„Ich weiß, mit dieser Geschichte haben auch viele Gläubige Mühe.<br />

Soweit ich selber das begreife, kann ich das nur so erklären und dabei<br />

wie<strong>der</strong> auf die erwähnten göttlichen Denkdimensionen hinweisen: Da<br />

Gott alles weiß und darum auch alles voraussieht, konnte er sicher auch<br />

wissen, dass Judas seinen Sohn verraten würde, und damit auch den<br />

Tod am Kreuz über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg vorausplanen. Das heißt jetzt<br />

aber nicht, dass er unbedingt wollte, dass Judas ihn verraten würde; er<br />

hätte immer noch seinen freien Willen gehabt, um Jesus nicht zu<br />

verraten, aber auch wenn er das nicht getan hätte, wäre Jesus sicher<br />

über einen an<strong>der</strong>en <strong>Weg</strong> an seine Henker ausgeliefert worden, wenn wir<br />

daran denken, wie viele an<strong>der</strong>e gegen ihn eingestellt waren.<br />

Warum aber waren sie gegen ihn? Weil die meisten Pharisäer,<br />

Sadduzäer und Schriftgelehrten wie schon gesagt nicht fähig waren und<br />

offensichtlich auch nicht den Willen aufbrachten, um zu erkennen, dass<br />

die alten Schriften nicht nur einen mächtigen irdischen König für das<br />

Volk Israel voraussagten, son<strong>der</strong>n gleichzeitig auch einen demütigen<br />

Knecht Gottes, <strong>der</strong> in mehreren Bibelversen als das Lamm Gottes<br />

bezeichnet wird, wie Jesus das tatsächlich gewesen ist. Diese<br />

Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, denn von allen Tieren sind<br />

160


eindeutig die Lämmer am meisten geopfert worden, und zwar so viele,<br />

dass nur Gott allein sie zählen könnte. Aufgrund <strong>der</strong> Prophezeiungen,<br />

die bis zum irdischen Auftreten des Herrn bis in alle Einzelheiten in<br />

Erfüllung gegangen waren, wussten diese an sich gebildeten Leute in<br />

ihrem Innersten sehr genau, dass er <strong>der</strong> verheißene Messias war, aber<br />

sie wollten sich nicht dazu überwinden, sich zu ihm zu bekennen, weil<br />

sie nur an ein irdisches Königreich dachten. Jesus selber sagte aber<br />

ganz klar, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei, aber sogar wenn er<br />

ein irdisches Königreich gegründet hätte, wären die meisten immer noch<br />

gegen ihn gewesen, weil er ihnen zu gefährlich war. Wenn schon<br />

Johannes <strong>der</strong> Täufer das für gewisse einflussreiche Kreise war und<br />

darum schon bald hingerichtet wurde, dann erst recht auch Jesus.<br />

Als einzige zwei Ausnahmen werden von diesen Leuten Nikodemus und<br />

Josef von Arimathia erwähnt. Der Erste fragte seinerzeit Jesus, wie es<br />

nur möglich war, dass jemand von neuem wie<strong>der</strong>geboren werden könne,<br />

weil Jesus von einer Wie<strong>der</strong>geburt redete, damit jemand ins Gottesreich<br />

einziehen könne, und bekam dann von ihm zu hören, dass diese durch<br />

den Geist geschehen müsse, und darauf sagte Jesus diesen berühmten<br />

Satz, <strong>der</strong> als einer <strong>der</strong> Schlüsselverse <strong>der</strong> ganzen Bibel gilt und von dem<br />

du sicher auch schon einmal gehört hast: ‚Denn Gott hat die Welt so<br />

sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> an<br />

ihn glaubt, nicht verloren geht, son<strong>der</strong>n ewiges Leben hat.’ Der Zweite,<br />

Josef von Arimathia, war nach <strong>der</strong> Überlieferung gerade <strong>der</strong> reiche<br />

Mann, <strong>der</strong> sein Grab für Jesus zur Verfügung stellte. Sicher standen<br />

auch noch ein paar an<strong>der</strong>e auf <strong>der</strong> Seite des Herrn, aber sie hielten sich<br />

mehr zurück und werden darum in <strong>der</strong> Schrift gar nicht erwähnt.<br />

Um wie<strong>der</strong> auf das zurückzukommen, was ich gerade gesagt habe: Auch<br />

darum, weil Gott das alles ebenfalls vorausgesehen hat, konnte er den<br />

Tod am Kreuz so planen, aber es verhält sich mit all denen, die Jesus<br />

abgelehnt haben, genau gleich wie mit Judas: Auch sie hätten immer<br />

noch die Möglichkeit zur Umkehr gehabt, aber sie haben sich genauso<br />

wie fast alle an<strong>der</strong>en dafür entschieden, weiter auf ihrem alten <strong>Weg</strong> zu<br />

bleiben. So waren sie auch nicht fähig zu erkennen, dass Jesus sehr<br />

wohl auch noch <strong>der</strong> König Israels war, aber erst zu einem späteren<br />

Zeitpunkt, wenn er einmal in aller Herrlichkeit zurückkehren wird. Dann<br />

wird er aber nicht nur als König, son<strong>der</strong>n auch noch als Richter <strong>der</strong> Welt<br />

erscheinen; auch das ist ganz klar an mehreren Stellen verheißen.<br />

Gerade das ist aber das Paradoxe und zugleich Tragische in <strong>der</strong> Welt:<br />

Die meisten dieser Menschen, die über die Weihnachtstage und in <strong>der</strong><br />

Karwoche plötzlich wie<strong>der</strong> fromm werden und von Jesus reden, wissen<br />

nicht o<strong>der</strong> wollen es auch nicht wissen, dass zum Christsein und damit<br />

auch zum Status des Erlöstseins viel mehr gehört als nur ein frommes<br />

Getue mit dem Herunterleiern von Versen und mit dem Schlucken einer<br />

161


Hostie, son<strong>der</strong>n dass eine ganz persönliche Beziehung zu ihm<br />

notwendig ist - eben eine neue geistliche Wie<strong>der</strong>geburt, die <strong>der</strong> Herr<br />

dem Nikodemus erklärt hat, und die nur durch eine bewusste persönliche<br />

Bekehrung zu ihm möglich wird. Sie reden viel von Jesus und erkennen<br />

nicht, dass sie ihren eigenen zukünftigen Richter feiern, wenn sie an den<br />

Weihnachtstagen das Kind in <strong>der</strong> Krippe anschauen und die<br />

entsprechenden frommen Lie<strong>der</strong> singen.“<br />

Nach diesen Worten legen sie wie<strong>der</strong> eine kleine Pause ein, die sie zu<br />

einem weiteren Schluck Kaffee benützen, und dann sagt Hans langsam<br />

und sichtlich bewegt: „Das ist alles schon fast unglaublich, wenn man es<br />

einmal so hört, wie du es mir gerade gesagt hast.“<br />

„Das kann ich gut verstehen, vor allem wenn ich an mein eigenes Leben<br />

nach <strong>der</strong> Bekehrung zurückdenke. Ich habe mehrere Jahre gebraucht,<br />

bis ich so weit war, um das alles zu erkennen. Das kommt nicht von<br />

selber; dazu braucht es viel Bibelstudium, aber auch einen direkten<br />

Kontakt mit dem Herrn durch regelmäßiges Beten und beson<strong>der</strong>s auch<br />

ein aufrichtiges und demütiges Herz. Gott weiß und sieht eben alles, so<br />

sieht er auch in mein und in dein Herz hinein.“<br />

„Das ist ja direkt unheimlich, so stehen wir praktisch ständig unter<br />

Überwachung.“<br />

„So musst du das aber nicht sehen. Betrachte es auch einmal von <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en, also von <strong>der</strong> positiven Seite: Wenn Gott auch dich in- und<br />

auswendig kennt, kennt er doch auch deine Sorgen und Nöte, so dass er<br />

dir sofort helfen kann, wenn du ihn darum bittest, aber er möchte das<br />

eben gern von dir selber hören. - Ja, es ist wirklich so einfach, Hans. Du<br />

musst ihn nur um seine Hilfe bitten und er wird dir mit Sicherheit helfen,<br />

auch wenn du seine Hilfe nicht sofort siehst; das habe ich selber schon<br />

viele Male so erfahren. Du kannst es mir wirklich glauben: Gott ist eine<br />

real existierende Macht und wartet auch auf dich.“<br />

„Angenommen, es stimmt alles, was du mir bis jetzt erzählt hast, bleibt<br />

aber immer noch ein Problem: Wie ist es möglich, dass Gott einen Sohn<br />

haben soll, <strong>der</strong> als eine Art Gott-Mensch auf die Erde gekommen ist, und<br />

dass dieser zugleich auch noch Gott selber sein soll, wie ihr das immer<br />

wie<strong>der</strong> betont? Du musst doch auch zugeben, dass die meisten Leute<br />

mit dieser Definition nicht klarkommen und das auch nicht können,<br />

darunter auch solche, die im Grund gern an einen einzigen Gott glauben<br />

wollen, wie zum Beispiel die orthodoxen Juden und die Moslems. Wie<br />

lässt sich diese biblische Botschaft, die für euch ja klar ist, aber eben<br />

nicht für die an<strong>der</strong>en, unter einen einzigen Hut bringen?“<br />

„Auch das hat wie<strong>der</strong> mit dem Geheimnis <strong>der</strong> Dreieinigkeit zu tun.<br />

Nehmen wir gerade das deutlichste Beispiel: An einer Stelle sagte<br />

Jesus, er und sein Vater seien eins, also offensichtlich ein einziges<br />

162


Wesen, und trotzdem betete er immer wie<strong>der</strong> zum Vater im Himmel und<br />

fragte ihn noch am Kreuz, warum er ihn verlassen hatte. Ich kann bei<br />

dieser Gelegenheit nur wie<strong>der</strong>holen, was ich schon einmal versucht<br />

habe, dir zu erklären: Wenn Gott tatsächlich allmächtig und allwissend ist<br />

und das ganze Weltall, die Sterne, die Sonne, die Planeten und Monde<br />

und alle Lebewesen erschaffen hat, dann ist es ihm doch auch möglich,<br />

sich in drei Personen zu offenbaren; dann konnte sich die Kreuzigung<br />

auch wirklich so ereignen, dass praktisch Gott selber das Sühneopfer für<br />

die Menschheit vollbracht hat. Indem er zu einem Menschen wurde und<br />

damit alle menschlichen Leiden am eigenen Leib mit den Mitmenschen<br />

teilte, konnte er den <strong>Weg</strong> zurück ins eigene Vaterhaus selber<br />

vorbereiten, und zugleich wartete <strong>der</strong> Vater im Himmel darauf, dass<br />

dieses Werk vollbracht wurde. Es ist mir schon klar, dass du das alles<br />

nicht sofort begreifen kannst; auch ich selber kann manchmal nicht<br />

immer alles erfassen.“<br />

Wie<strong>der</strong> schweigen sie eine Weile, dann setzt Hans fort: „Wenn ich mich<br />

richtig erinnere, redet ihr in euren Predigten ständig davon, dass man<br />

ohne Jesus verloren geht, wenn man sich nicht zu ihm bekehrt. Gilt das<br />

aber auch für all jene, die von ihm nie gehört haben? Eure Botschaft ist<br />

ja schon schwer genug zu verstehen, wenn man sie hört - wie ist es erst<br />

für die an<strong>der</strong>en? Wenn du dir zum Beispiel vorstellst, dass es vor 2’000<br />

Jahren noch nicht möglich war, bis zu den entferntesten Inseln zu reisen,<br />

um diese Botschaft hinzubringen, wäre es ja total ungerecht, wenn all<br />

diese Menschen, die nie davon gehört haben, verloren gegangen sind,<br />

so wie ihr euch immer ausdrückt. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?“<br />

„Ich weiß, das ist nicht leicht zu beantworten, und diese Frage wird ja<br />

auch mit einem guten Recht gestellt. Eines kann ich dir aber mit<br />

Sicherheit sagen: Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass Gott bei<br />

jedem einzelnen Menschen gerecht urteilen wird. Es hat sich nämlich in<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Menschheit immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass jemand, <strong>der</strong><br />

ihn aufrichtig und von ganzem Herzen suchte, ihn auch wirklich<br />

gefunden hat, auch wenn er o<strong>der</strong> sie nie direkt von Jesus gehört hat.<br />

Das bestätigen <strong>uns</strong> immer wie<strong>der</strong> ehemalige Moslems und Hindus und<br />

Anhänger an<strong>der</strong>er Religionen, die eine Art innere Vision bekamen und<br />

dabei den Namen ‚Jesus’ hörten, ja, auch ehemalige orthodoxe Juden,<br />

bei denen es aus den bekannten Gründen zeitweise noch schwieriger ist<br />

als bei den Moslems, haben <strong>uns</strong> solche Geschichten schon erzählt. Ich<br />

möchte mich aber nicht allzu stark auf die Äste hinauslassen, weil ich<br />

mich für dieses Thema nicht kompetent genug fühle, um eine<br />

Endaussage abzugeben. Eines ist aber klar: Wenn es nicht auf die<br />

persönliche Bekehrung zu Jesus Christus ankäme, wäre sein Opfertod<br />

am Kreuz gar nicht nötig gewesen, und <strong>der</strong> ganze Aufwand, um in den<br />

163


letzten 2’000 Jahren in <strong>der</strong> Welt zu missionieren, wäre umsonst<br />

gewesen.“<br />

„Ja, das leuchtet ein, wenn man euren Standpunkt begreift. Wie steht es<br />

aber mit all denen, die vor dem Auftreten eures Jesus gestorben sind?<br />

Diese hatten ja gar keine Möglichkeit, sich zu ihm zu bekehren, auch die<br />

allerfrömmsten Israeliten nicht.“<br />

„Auch das ist ein schwieriges Thema, aber ich will versuchen, es dir zu<br />

erklären, soweit ich selber das sehen kann: Wenn man die Bibel richtig<br />

auslegt, gab es vor dem irdischen Auftreten des Herrn zwar eine Art<br />

Jenseits, wie die meisten Menschen das verstehen, aber schon damals<br />

auch eine klare Trennung zwischen Geretteten und nicht Geretteten.<br />

Das sehen wir in einer <strong>der</strong> Reden des Herrn, als er davon sprach, dass<br />

<strong>der</strong> arme Lazarus in Abrahams Schoß getröstet wurde, während auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite ein Reicher, <strong>der</strong> sein ganzes Leben lang nur in Saus und<br />

Braus gelebt und niemandem geholfen hatte - also auch diesem Lazarus<br />

nicht -, gern herüberkommen wollte und nicht konnte.<br />

An einer an<strong>der</strong>en Stelle steht geschrieben, dass Jesus nach seinem Tod<br />

am Kreuz in <strong>der</strong> Unterwelt gepredigt hat; die einen legen diese Aussage<br />

so aus, dass er dort unten seinen Sieg über alle satanischen Mächte<br />

verkündet hat, während an<strong>der</strong>e meinen, er habe dort unten allen toten<br />

Seelen noch einmal eine Chance zur Bekehrung geben wollen. Ich<br />

persönlich glaube, dass die erste Version die richtige ist; wenn es<br />

tatsächlich noch einmal eine Chance gäbe, hätte <strong>der</strong> Herr sicher keinen<br />

Befehl zum Missionieren in <strong>der</strong> ganzen Welt erteilt, und zudem steht in<br />

einem Vers im Hebräerbrief deutlich geschrieben, dass je<strong>der</strong> Mensch nur<br />

ein einziges Leben hat und darum nur einmal stirbt, dass dann aber das<br />

Gericht auf jeden Einzelnen wartet.“<br />

„Wenn ihr aber ständig davon redet, dass es einmal ein Endgericht<br />

geben wird - eben dieses legendäre Jüngste Gericht -, vergesst ihr<br />

offensichtlich jedes Mal, was für einen ungeheuren Aufwand das<br />

brauchen wird. Habt ihr schon einmal daran gedacht, wie viele<br />

Menschen in <strong>der</strong> ganzen Menschheitsgeschichte jemals gelebt haben?<br />

Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass es schätzungsweise schon<br />

mindestens siebzig Milliarden sind, wahrscheinlich sind es aber noch<br />

mehr. Angenommen, nur etwa ein Viertel von denen wäre gerettet, so<br />

wie ihr euch ausdrückt, wären immer noch mehr als fünfzig Milliarden zu<br />

richten. Findest du nicht auch, dass es an Wahnsinn grenzt, so etwas<br />

auch nur ansatzweise für möglich zu halten? Das würde ja endlos<br />

dauern.“<br />

Jetzt überlegt Bruno eine kleine Weile, bis er langsam, aber in<br />

bestimmtem Ton sagt: „Das ist eine gute Frage, die viel zu wenig gestellt<br />

wird. Darum hast du mich ein bisschen überrascht, aber auch das lässt<br />

164


sich beantworten. Ich habe doch vorher von den göttlichen<br />

Denkdimensionen geredet, dass für Gott tausend Jahre wie ein Tag sind;<br />

also könnten es auch eine Million Jahre sein und es wäre für ihn immer<br />

noch ein einziger Tag. Du kannst es mir glauben, Hans, wenn es einmal<br />

so weit ist, wird auch dafür genug Zeit vorhanden sein - es bleibt dann ja<br />

nichts an<strong>der</strong>es mehr zu tun. So wie Gott es dem Apostel Johannes in<br />

seiner Allmacht und Allwissenheit ermöglicht hat, all diese zukünftigen<br />

Ereignisse in mehreren gewaltigen Visionen zu sehen, so wird auch<br />

dieses Jüngste Gericht so schnell vorbeigehen, als wäre es nur ein<br />

einziger Tag, weil es dann den Begriff ‚Zeit’, wie wir ihn noch heute<br />

kennen, nicht mehr geben wird.“<br />

„Und wo werden denn alle landen, die verurteilt werden? Etwa in <strong>der</strong><br />

Hölle, falls es eine solche überhaupt gibt? Ist nicht schon dieser Planet<br />

auch ohne das Jüngste Gericht manchmal eine einzige Hölle, so dass<br />

wir schon genug damit bestraft sind, dass wir hier leben müssen?“<br />

„Das mit <strong>der</strong> Hölle ist so eine Sache, mit <strong>der</strong> schon viel Schindlu<strong>der</strong><br />

getrieben worden ist, und wenn sie nicht richtig erklärt wird, kann es<br />

passieren, dass es so gründlich missverstanden wird wie in ein paar<br />

Teilen Afrikas, als gewisse Stämme von einer Feuerhölle hörten und aus<br />

diesem Grund meinten, es wäre viel besser, in diese warme Hölle zu<br />

gehen als in den kalten Himmel da oben. Aber auch hier können solche<br />

Missverständnisse vorkommen, um es einmal so auszudrücken. So<br />

kenne ich einen gläubigen Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> einen Vater hat, an dem alle<br />

Worte von Bekehrung und Erlösung abprallen. Wenn es jemand bei ihm<br />

versucht, lacht er jedes Mal und sagt, er freue sich sogar auf die Hölle,<br />

weil er dort dann immer warm habe. Ich selber halte die Aussage eines<br />

Pfarrers, <strong>der</strong> im Gegensatz zu vielen mo<strong>der</strong>nen Theologen tatsächlich<br />

tiefgläubig war und genau gleich hieß wie <strong>der</strong> bekannte Humorist<br />

Wilhelm Busch, für die bestmögliche: Unabhängig davon, ob es dort<br />

warm o<strong>der</strong> kalt sein wird, es ist einfach <strong>der</strong> Ort, wo Gott nicht mehr<br />

hinschauen wird, genauso wenig wie die Menschen, die dort sein<br />

werden, in ihrem irdischen Leben nach ihm Ausschau gehalten haben.<br />

Er hat es nicht direkt mit diesen Worten so formuliert, aber ungefähr dem<br />

Sinn nach.“<br />

Dann hält Bruno wie<strong>der</strong> kurz inne und setzt dann etwas lebhafter fort:<br />

„Wir müssen aber nicht nur von dem reden, was die erwartet, die<br />

verurteilt werden, son<strong>der</strong>n auch von dem, was die Geretteten erleben<br />

werden, weil das halt ein viel erfreulicheres Thema ist. Wir werden nicht<br />

nur einen verherrlichten und unverweslichen Körper haben, nein, es wird<br />

auch einen neuen Himmel und eine neue Erde mit einer neuen<br />

Hauptstadt Jerusalem geben, wie das <strong>der</strong> Apostel Johannes ebenfalls<br />

vorausgesehen hat, und zwar wird die Stadtmauer rund herum<br />

165


quadratisch und jede Seite nicht weniger als 1’200 Kilometer lang sein.<br />

Stell dir mal diese Größe vor! Von hier bis ungefähr nach Kreta, ich habe<br />

das einmal nachgemessen; es wird also sicher für alle Platz haben, auch<br />

wenn es viele Millionen Gotteskin<strong>der</strong> sind. Es wird in <strong>der</strong> Ewigkeit auch<br />

keine Greise, keine Kleinkin<strong>der</strong> und auch keine Gebrechen mehr geben,<br />

son<strong>der</strong>n wir werden so sein wie <strong>der</strong> Herr selber nach seiner<br />

Auferstehung, also in seinem Alter, ein bisschen mehr als 30-jährig - ihm<br />

gleich, wie es verheißen ist. Es wird aber auch keine Männer und Frauen<br />

mehr geben, wie wir das noch heute sind, son<strong>der</strong>n wir werden nach<br />

seinen Worten wie die Engel sein, also geschlechtslose Wesen in einem<br />

neuen, verklärten und unverweslichen Körper; allerdings können wir <strong>uns</strong><br />

dann immer noch erkennen, wie auch <strong>der</strong> Herr nach seiner Auferstehung<br />

noch erkannt worden ist. Dazu wird es auch keine Erinnerungen mehr an<br />

alles Leiden von früher geben, auch wenn das bedeutet, dass wir dann<br />

sogar die eigenen Angehörigen, Verwandten und Freunde, die nicht<br />

gerettet wurden, vergessen werden, weil Gott selber alle Tränen<br />

abwischen wird, wie es wörtlich so verheißen ist, und alles völlig neu<br />

sein wird.<br />

Es steht sogar noch geschrieben, dass es dann auch keine Sonne mehr<br />

geben wird, weil Gott selber die Sonne sein wird. Ich weiß, das alles tönt<br />

für dich sicher fantastisch, aber ich zitiere nur aus <strong>der</strong> Bibel, die sich<br />

immer wie<strong>der</strong> als wahr herausgestellt hat, und wenn ich daran denke,<br />

dass ein Mensch, eben dieser Johannes, das alles schon gesehen hat,<br />

aber wahrscheinlich nicht alles richtig verstehen und deuten konnte,<br />

zeigt mir das deutlich, dass <strong>uns</strong>er Gott wirklich allmächtig ist und darum<br />

schon jetzt alles weiß, was sich in <strong>der</strong> Zukunft noch ereignen wird -<br />

sowohl das Schlechte mit allen Kriegen und Katastrophen, die noch über<br />

diese Welt hereinbrechen werden, als auch das Gute, und über das<br />

dürfen wir <strong>uns</strong> sicher schon jetzt freuen. So steht es auch in einem <strong>der</strong><br />

Briefe des Apostels Paulus sogar im Befehlston deutlich geschrieben,<br />

dass wir <strong>uns</strong> freuen sollen, weil wir Erlöste im Herrn Jesus sind. Als<br />

Erstes können wir <strong>uns</strong> mit Sicherheit auf ein Ereignis freuen, das <strong>uns</strong><br />

schon bald bevorsteht - vielleicht in ein paar Jahren, vielleicht aber auch<br />

erst ums Jahr 2030 herum, wenn wir davon ausgehen, dass die<br />

angekündigten 2’000 Jahre, die das Ende dieses Zeitalters bedeuten,<br />

sich auf das irdische Auftreten des Herrn beziehen und nicht auf seine<br />

Geburt. Das würde dann bedeuten, dass auch ein großer Teil <strong>der</strong><br />

Christenheit, die vom Jahrtausendwechsel zu viel erwartete, sich<br />

gewaltig geirrt hat.“<br />

„Was für ein Ereignis meinst du denn?“<br />

„Es ist das, was wir Gläubigen als ‚Entrückung’ bezeichnen. Das ist<br />

eines <strong>der</strong> größten und auch bestgehüteten Geheimnisse <strong>der</strong> Menschheit,<br />

das nur die verstehen können, die sich persönlich zum Herrn Jesus<br />

166


ekehrt haben. Das ist <strong>der</strong> Tag, an dem alle Geretteten aus allen Zeiten<br />

und Kontinenten, die schon gestorben sind, in ihren neuen und<br />

unverweslichen Körpern auferstehen werden, und alle an<strong>der</strong>en, die dann<br />

noch leben, bekommen diese Körper ebenfalls und müssen nie mehr<br />

sterben, weil sie alle zusammen vom Herrn heimgeholt und ihm in den<br />

Wolken begegnen werden. Natürlich tönt das für dich fantastisch und<br />

völlig unmöglich, aber wenn wir daran denken, dass bisher fast alles,<br />

was die Bibel über die Zukunft voraussagt, sich erfüllt hat, können wir<br />

getrost darauf vertrauen, dass auch dieser Tag irgendwann einmal<br />

kommen wird. Nach <strong>der</strong> Meinung <strong>der</strong> meisten Bibelausleger wird das<br />

noch vor dem Auftreten des viel zitierten Antichristen geschehen, wenn<br />

dieser seine satanische Weltherrschaft unter einer einzigen Regierung<br />

mit einer Welteinheitswährung errichten wird und alle, die etwas kaufen<br />

o<strong>der</strong> verkaufen wollen, ein bestimmtes Malzeichen annehmen müssen,<br />

das mit <strong>der</strong> Ziffer 666 symbolisiert wird. Ob es dann tatsächlich diese<br />

Zahl sein wird, wissen wir nicht, aber sie wird bestimmmt damit<br />

zusammenhängen.<br />

Sicher hast du von diesem zukünftigen Diktator auch schon gehört. Wer<br />

meint, eine solche Weltherrschaft sei völlig unmöglich, vergisst völlig,<br />

dass wir technisch schon jetzt so weit sind, dass wir alles einer totalen<br />

elektronischen Kontrolle unterstellen können, wie George Orwell das vor<br />

mehr als einem halben Jahrhun<strong>der</strong>t in seinem berühmten Roman ‚1984’<br />

ansatzweise schon vorausgesehen hat; nur politisch und zum Teil auch<br />

noch moralisch sind wir noch nicht so weit, aber das wird sich auch noch<br />

ergeben. Wenn wir daran denken, wie wenig das christliche<br />

Gedankengut sogar hier in Europa, dem ehemaligen sogenannten<br />

christlichen Abendland, noch wert ist, können wir das nicht mehr<br />

ausschließen. Merk dir das also gut, Hans, falls du dich nicht zum Herrn<br />

bekehrst: Dieser Tag <strong>der</strong> Entrückung wird mit Sicherheit einmal kommen<br />

- und wenn dann auf einen Schlag plötzlich Millionen von Menschen, von<br />

denen bekannt war, dass sie gläubige Christen waren, nicht mehr da<br />

sind, weißt du, was ich heute Abend gemeint habe, und musst dich<br />

zugleich auf eine schlimme Zeit vorbereiten, die in <strong>der</strong> Bibel sogar als die<br />

schlimmste von allen bezeichnet wird: Die sogenannte ‚Große<br />

Trübsalszeit’. Dann werden noch einmal unzählige Märtyrer für Jesus<br />

Christus hingerichtet, vor allem darum, weil sie das Malzeichen nicht<br />

annehmen und das Bildnis des neuen Weltherrschers nicht anbeten<br />

wollen - aber nur solche, die bei <strong>der</strong> Entrückung nicht dabei waren und<br />

sich erst später bekehrt haben, die aber bei einer zweiten Auferstehung<br />

am Ende dieser Trübsal genauso wie die an<strong>der</strong>en vorher auferstehen<br />

werden.<br />

Vielleicht erinnerst du dich noch daran, dass Erwin von einer<br />

kanaanitischen Sprache geredet hat, die unter <strong>uns</strong> Gläubigen zirkuliert<br />

167


und die nur die verstehen können, die sich zu Christus bekehrt haben;<br />

auch diese Ausdrücke gehören dazu. Ja, das kann <strong>uns</strong> wirklich trösten:<br />

Auch wenn die allgemeine Weltlage manchmal zum Verzweifeln ist,<br />

können wir <strong>uns</strong> tatsächlich auf dieses große Ereignis freuen, das<br />

je<strong>der</strong>zeit passieren kann, weil alle Voraussetzungen, die dafür notwendig<br />

sind, sich bereits erfüllt haben - aber um näher darauf eintreten zu<br />

können, fehlt <strong>uns</strong> heute Abend ein bisschen die Zeit. Wenn du mehr<br />

davon hören willst, können wir sicher ein an<strong>der</strong>es Mal darüber reden.“<br />

Jetzt legt Bruno wie<strong>der</strong> eine kleine Pause ein, die diesmal nur er dazu<br />

benützt, um sich einen weiteren Schluck Kaffee zu genehmigen. Hans ist<br />

so stark mit seinen Aussagen beschäftigt, dass er das für einen<br />

Augenblick völlig vergisst. Es ist ja auch sehr viel auf einmal, was er an<br />

diesem Abend von Bruno zu hören bekommen hat, und erst recht nach<br />

dem Gespräch mit Jan Hoveneel, das noch nicht lange zurückliegt und<br />

das er auch noch nicht völlig verarbeitet hat.<br />

Schließlich fällt ihm wie<strong>der</strong> etwas ein, das er ebenfalls wie so vieles<br />

an<strong>der</strong>e einmal loswerden wollte, und so sagt er in einem recht rauen<br />

Ton: „Das alles könnt ihr ja schon erzählen; euch geht es allen gut,<br />

soweit ich das an <strong>der</strong> Feldeggstraße gesehen habe, und die meisten von<br />

euch sind jung und gesund. Da fällt es einem wirklich leicht, von einem<br />

lieben Gott und einer Entrückung und allem Möglichem zu reden. Wie<br />

steht es aber mit all denen, die ihr Leben lang invalid sind, zum Beispiel<br />

die geistig Behin<strong>der</strong>ten, die gar nie die Chance haben, sich mit vollem<br />

Verstand zu eurem Jesus zu bekehren? O<strong>der</strong> was sagst du zu den<br />

vielen Kin<strong>der</strong>n und vor allem Babys, die schon gestorben sind und immer<br />

wie<strong>der</strong> sterben und teilweise auch ermordet wurden und immer noch<br />

werden? Auch diese hatten doch nie die Möglichkeit zu einer bewussten<br />

Bekehrung.“<br />

„Es ist gut, dass du auch mit diesen Fragen kommst“, entgegnet Bruno<br />

erstaunlich sicher, „ich habe sie schon fast erwartet. Auch zu diesem<br />

Thema kann ich dir nur diese Antwort geben: Da Gott wie schon gesagt<br />

nicht nur allmächtig, son<strong>der</strong>n auch allwissend ist, weiss er somit auch,<br />

wie jedes einzelne Kind, das vorzeitig gestorben ist, sich später<br />

entschieden hätte, auch wenn es die effektive Chance zu einer<br />

Bekehrung tatsächlich nie bekommen hat. Noch intensiver in dieses<br />

Thema einzudringen, halte ich aber für ein heißes Eisen, weil wir gerade<br />

dort, wo auch persönliche Emotionen im Spiel sind, zu stark ins<br />

Spekulieren geraten könnten. Eines scheint mir aber sicher: Es ist<br />

anzunehmen, dass bei all diesen Kin<strong>der</strong>n und auch bei denen, die<br />

wegen irgendeiner Behin<strong>der</strong>ung das Evangelium gar nie richtig begreifen<br />

konnten, nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden wie bei den<br />

an<strong>der</strong>en.<br />

168


Da wir aber schon dabei sind, von den Invaliden zu reden: Bei mir bist du<br />

genau beim Richtigen, um solche Fragen zu stellen, weil ich ein<br />

Krankenpfleger von Beruf und damit auch ein bisschen kompetent bin,<br />

um auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Es stimmt wirklich, dass<br />

man in den Krankenhäusern zum Teil unglaubliches Leid und Szenen zu<br />

sehen bekommt, die nicht für alle geeignet sind, und manchmal hat es<br />

auch mir schon fast das Herz abgedrückt, vor allem dann, wenn ich es<br />

mit krebskranken Kin<strong>der</strong>n zu tun hatte. Ich habe aber nicht immer nur<br />

Leid gesehen, son<strong>der</strong>n auch Freude, gerade auch bei Behin<strong>der</strong>ten und<br />

erst recht bei denen, die an Jesus Christus glauben. Erinnerst du dich<br />

noch daran, was ich dir vorher über den neuen Himmel gesagt habe, von<br />

dem in <strong>der</strong> Bibel die Rede ist? Es wird dort keine Greise und Kleinkin<strong>der</strong>,<br />

aber auch keine Gebrechen mehr geben, also auch keine Invalide mehr;<br />

alle werden dann gesund sein, und zwar so gesund wie jene, die Jesus<br />

im Verlauf seines irdischen Auftretens geheilt hat - das ist immerhin ein<br />

kleiner Trost, gerade auch für gläubige Behin<strong>der</strong>te, und ich kenne selber<br />

ein paar davon persönlich.<br />

Wenn du aber meinst, es gehe <strong>uns</strong> allen nur gut, muss ich dir klar<br />

wi<strong>der</strong>sprechen. Auch unter <strong>uns</strong> Christen gibt es viel Leid, auch unter <strong>uns</strong><br />

gibt es behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong>; so habe ich es nicht nur einmal, son<strong>der</strong>n<br />

sogar zweimal miterlebt, dass ein behin<strong>der</strong>tes Kind in zwei<br />

verschiedenen gläubigen Familien auf die Welt kam und dass beide<br />

nach wenigen Monaten schon wie<strong>der</strong> starben; dabei meinten nicht<br />

wenige, es sei so für alle Beteiligten besser gewesen, auch wenn das<br />

Ganze natürlich nicht leicht zu verkraften war. Dazu habe ich auch eine<br />

gläubige Frau gekannt, die verheiratet war und mit ihrem Mann und den<br />

drei gemeinsamen Kin<strong>der</strong>n glücklich schien und trotzdem plötzlich Krebs<br />

bekam und starb. Aber auch ein Ehepaar habe ich gekannt, das einen<br />

fünfjährigen Sohn hatte und sich schon auf die Ausreise nach<br />

Südamerika vorbereitete, wo sie noch heute als Missionare tätig sind, als<br />

das Kind plötzlich starb, interessanterweise kurz nachdem es sich zu<br />

Jesus Christus bekehrt hatte. Da kann man sich bestimmt immer wie<strong>der</strong><br />

fragen, warum Gott so etwas sogar bei gläubigen Familien zulässt, und<br />

es ist meistens nicht leicht, sich sagen zu müssen, dass alle Dinge zum<br />

Besten dienen, wie das in <strong>der</strong> Bibel geschrieben steht. Die seelischen<br />

Schmerzen sind ja trotzdem noch da und bleiben bei den einen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en sogar ihr Leben lang.»<br />

„Gerade das <strong>führt</strong> mich zu einer beson<strong>der</strong>en Frage, die immer wie<strong>der</strong><br />

gestellt wird und die auch ich dir jetzt stelle: Wie reimt sich das alles<br />

zusammen, dass euer Gott ein Gott <strong>der</strong> Liebe sein soll und trotzdem<br />

dieses ganze Leiden in <strong>der</strong> Welt zulässt? Wir müssen da zum Beispiel<br />

nur an die Erdbeben und Überschwemmungen und an an<strong>der</strong>e<br />

Katastrophen denken, die meistens die Ärmsten allein treffen, während<br />

169


die Reichen meistens davonkommen.“<br />

„Ich begreife, dass viele Leute sich das manchmal fragen, aber auch da<br />

kann ich dir nur diese Antwort geben: Wenn jemand Gott wirklich mit<br />

aufrichtigem Herzen sucht, wird er o<strong>der</strong> sie ihn früher o<strong>der</strong> später auch<br />

finden, und dann kann die betreffende Person auch getrost darauf<br />

vertrauen, dass er immer hilft, sogar bei einer Katastrophe o<strong>der</strong> in einem<br />

Krieg. Das hat sich immer wie<strong>der</strong> gezeigt, wie das einmal ein Pfarrer so<br />

formuliert hat: ‘Gott ist mitten in <strong>der</strong> Katastrophe.’ Um gerade bei <strong>der</strong><br />

Frage zu bleiben, warum er dieses ganze Elend zulässt, erinnere ich<br />

mich wie<strong>der</strong> an die Worte eines an<strong>der</strong>en Pfarrers, <strong>der</strong> auf diese Frage<br />

die Gegenfrage stellte: Warum schauen wir weg, wenn er <strong>uns</strong> ruft?<br />

Wenn wir nicht so viele Male wegschauen würden, gäbe es mit<br />

Sicherheit auch keine o<strong>der</strong> wenigstens viel weniger Katastrophen und<br />

erst recht keine Kriege, und wenn es überhaupt keinen Gott gäbe, würde<br />

es mit <strong>uns</strong> sogar noch viel schlimmer stehen. Dann wären wir alle von<br />

vornherein heimatlos und verloren, ja, wir würden auf dieser Erde ohne<br />

einen wirklichen Sinn leben, und ich bin sicher, dass die Menschheit sich<br />

schon längst selber vernichtet und diesen Planeten mit Atomraketen in<br />

die Luft gesprengt hätte, wenn nicht er da wäre, um seine schützenden<br />

Hände über <strong>uns</strong> zu halten, ob wir das jetzt glauben o<strong>der</strong> nicht.“<br />

„Willst du also tatsächlich behaupten, Gott würde <strong>uns</strong> vor einer<br />

Katastrophe o<strong>der</strong> vor einem Krieg bewahren, wenn noch viel mehr<br />

Menschen an euren Jesus glauben würden? Und meinst du das wirklich<br />

so, dass er einem sogar mitten in einer Katastrophe o<strong>der</strong> in einem Krieg<br />

helfen kann?“<br />

„Ja, das glaube ich, Hans, und ich kann dir dafür zwei Beispiele bringen.<br />

Das erste betrifft eine Frau, die ich vor vielen Jahren persönlich kannte<br />

und die in <strong>der</strong> Zwischenzeit hochbetagt, mit mehr als neunzig Jahren,<br />

gestorben ist. Diese war früher die Frau eines Pfarrers, <strong>der</strong> im Zweiten<br />

Weltkrieg mit seinem Bataillon als Feldprediger in Stalingrad dabei war,<br />

und es schien hoffnungslos, dass er jemals aus diesem Kessel<br />

herauskommen würde. Nun gibt es in <strong>der</strong> Bibel, genauer im Buch Hiob,<br />

eine ganz bestimmte Stelle, wo geschrieben steht, dass Gott <strong>uns</strong> sogar<br />

aus einem Krieg herausretten kann. Genau auf diesen Vers berief sich<br />

diese Frau, und sie betete monatelang buchstäblich Tag und Nacht für<br />

ihren Mann, und tatsächlich ist dieser kurz nach <strong>der</strong> Rückeroberung<br />

dieser Stadt durch die Rote Armee als einziger seines Bataillons und erst<br />

noch unversehrt zurückgekommen. Er hatte es durch irgendein Wun<strong>der</strong><br />

geschafft, mit dem letzten Haufen von Verwundeten in das letzte<br />

Flugzeug zu steigen, und so wurde er noch rechtzeitig hinausgeflogen.<br />

Das zweite Beispiel, das ich dir erzählen kann, ist die Geschichte<br />

einer an<strong>der</strong>en gläubigen Frau, die ich selber nie persönlich kennen<br />

gelernt habe, die aber ein kleines Buch über ihre Kriegserlebnisse<br />

170


geschrieben hat. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs gehörte<br />

auch sie zu den vielen Millionen von Zivilpersonen, die aus dem Osten<br />

Deutschlands in Richtung Westen flohen o<strong>der</strong> es mindestens<br />

versuchten, und zwar aus Ostpreußen, und östlicher ging es wahrhaftig<br />

nicht mehr. Ausgerechnet von dort wollte sie fliehen - und dazu noch mit<br />

vier Kin<strong>der</strong>n. Sie war ganz allein, weil ihr Mann irgendwo als Soldat im<br />

Krieg war, und alle an<strong>der</strong>en Angehörigen und Verwandten waren<br />

entwe<strong>der</strong> schon tot o<strong>der</strong> ebenfalls irgendwo auf <strong>der</strong> Flucht. Nur ihr Vater<br />

hat sie zu Beginn ihrer Flucht begleitet, doch er ist schon bald an den<br />

Strapazen gestorben; sie hat zwar nichts davon geschrieben, aber das<br />

lässt sich herauslesen, weil von ihm plötzlich nicht mehr die Rede ist,<br />

und sie wollte aus irgendeinem Grund wohl bewusst nichts davon<br />

schreiben. Auch diese Frau verließ sich Tag und Nacht auf die Hilfe<br />

Gottes, und das Unglaubliche geschah tatsächlich: Während rund herum<br />

unzählige Menschen an Hunger und Erschöpfung starben o<strong>der</strong><br />

umkamen, weil sie auf einmal zwischen die Fronten gerieten, blieb sie<br />

mit ihren Kin<strong>der</strong>n von all dem verschont. Natürlich mussten auch sie<br />

leiden und hungern, und zwischendurch wurde das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Kind und auch die Frau selber krank, aber <strong>der</strong> Herr brachte sie alle fünf<br />

unversehrt durch und <strong>führt</strong>e sie bis nach Dänemark, wo sie gerade<br />

rechtzeitig ankamen, also kurz nach dem Kriegsende, und dort wurden<br />

sie in einem Internierungslager für Deutsche untergebracht. Das war<br />

darum so, weil dieses Land als eines <strong>der</strong> ganz wenigen sogar bis zum<br />

Kriegsende vollständig von den Deutschen besetzt war, doch nachher<br />

hat sich <strong>der</strong> Spieß gedreht.<br />

Dort in Dänemark mussten sie nicht weniger als zwei Jahre lang warten,<br />

bis sie den Bescheid bekamen, dass alle, die in Süddeutschland<br />

Angehörige und Verwandte hatten, bald entlassen wurden. Warum<br />

gerade solche Leute gesucht wurden, stellte sich schnell heraus, denn<br />

auch darin zeigte sich Gottes Führung für diese Frau: Dort wohnte<br />

nämlich eine Schwester, die den Krieg ebenfalls überlebt hatte, aber<br />

obwohl diese sich nach einem Brief dieser Frau, die zum Glück noch ihre<br />

Adresse kannte, schon bald meldete, wurden sie vorläufig nicht<br />

entlassen, son<strong>der</strong>n in ein weiteres Übergangslager in <strong>der</strong> Nähe von<br />

Bremen transportiert. Unterdessen war ihr Mann, <strong>der</strong> den ganzen Krieg<br />

als Soldat mitgemacht und erst noch unverletzt überstanden hatte und<br />

mehr als zwei Jahre lang in englischer Kriegsgefangenschaft gewesen<br />

war, durch seine Schwägerin über den Aufenthaltsort seiner Familie in<br />

Kenntnis gesetzt worden, und bald darauf wurden sie wie<strong>der</strong> vereinigt.<br />

Stell dir vor, mitten in diesem Krieg war so etwas möglich, und das nur<br />

darum, weil diese Menschen an Jesus Christus geglaubt und ihm ihr<br />

Leben anvertraut haben!“<br />

„Unglaublich, wirklich unglaublich!“, kann Hans darauf nur entgegnen,<br />

171


und er unterstreicht sein Erstaunen zusätzlich mit einem Kopfschütteln.<br />

„Du kannst mir glauben, Hans, ich habe nicht übertrieben“, setzt Bruno<br />

sofort nach, „diese beiden Geschichten haben sich tatsächlich so<br />

ereignet - und ich könnte dir noch mehr solche Erlebnisse von Christen<br />

erzählen, wenn wir viel mehr Zeit hätten, aber wir können das an einem<br />

an<strong>der</strong>en Tag nachholen. Glaub mir, Gott existiert wirklich und kann auch<br />

heute noch Wun<strong>der</strong> bewirken, wenn wir ihm <strong>uns</strong>er volles Vertrauen<br />

schenken! Wenn du erst einmal erkennst, wer Jesus Christus tatsächlich<br />

ist, wirst du sehen, in was für eine wun<strong>der</strong>bare, ja, fantastische neue<br />

geistige und geistliche Welt du eindringst. Es gibt wirklich nichts<br />

Grossartigeres auf <strong>der</strong> ganzen Welt als dieses Wissen, dass Gott <strong>uns</strong><br />

liebt und wie<strong>der</strong> zu sich holen möchte, dass er <strong>uns</strong> aber auch immer hilft,<br />

wenn wir ihn darum bitten, obwohl es nicht immer sofort so aussieht und<br />

auch wir ab und zu leiden müssen.“<br />

Nach diesen Worten schweigen sie wie<strong>der</strong> eine Weile und während sie<br />

beide den letzten Rest des inzwischen kalt gewordenen Kaffees<br />

austrinken, spüren sie, dass ihr Gespräch sich allmählich dem Ende<br />

zuneigt, weil die wichtigsten Punkte besprochen worden sind, und<br />

zudem ist auch eine gewisse Erschöpfung nicht mehr wegzudenken.<br />

Doch da fällt Hans noch etwas ein, das er Bruno schon lange fragen<br />

wollte: „Ich habe noch etwas, bevor wir <strong>uns</strong>er Gespräch für heute<br />

abschließen: Glaubst du wirklich daran, dass es auch Engel gibt, wie das<br />

unter euch Christen immer wie<strong>der</strong> zu hören ist? Ich frage dich das im<br />

vollen Ernst. Hoveneel hat das schon angedeutet, aber es hat ihm<br />

nachher die Zeit gefehlt, um noch tiefer in dieses Thema einzudringen.“<br />

„Wenn du mich das so direkt fragst, will ich dir auch direkt so<br />

antworten: Ja, ich glaube an die Existenz <strong>der</strong> Engel, aber ich möchte das<br />

nicht überbewerten, weil auch das ein großes göttliches Geheimnis ist<br />

und weil es <strong>uns</strong> in erster Linie darauf ankommt, den Leuten den Erlöser<br />

Jesus Christus nahe zu bringen und sonst niemanden; darum gehen die<br />

Engel fast ein bisschen unter, wenn es um die Verkündigung des<br />

Evangeliums geht. Ich kann dir aber garantieren, dass <strong>der</strong> Ausdruck<br />

‚Schutzengel’ nicht umsonst entstanden ist, weil schon sehr viele fast<br />

unglaubliche Geschichten passiert sind, die wir mit dem menschlichen<br />

Verstand allein nicht erklären können.<br />

So behaupte ich, dass auch du einen solchen Schutzengel hast, ohne<br />

dass du es weißt, ob du jetzt daran glaubst o<strong>der</strong> nicht, ja, vielleicht hast<br />

du sogar mehr als einen. Ein Beweis dafür ist doch, dass du bis heute<br />

dank Gottes Gnade und auch durch diesen beson<strong>der</strong>en Schutz am<br />

Leben geblieben bist, um noch rechtzeitig die frohe Botschaft von <strong>der</strong><br />

Errrettung durch Jesus Christus zu hören. Meinst du etwa, ich scherze<br />

damit? Dann möchte ich dir zwei Geschichten erzählen, die sich<br />

172


tatsächlich so ereignet haben: Die erste geschah mit einem Jungen von<br />

etwa zehn Jahren, <strong>der</strong> eines Tages unter die Zwillingsrä<strong>der</strong> eines<br />

Lastwagens geriet. Schon glaubten alle, er sei plattgefahren worden, wie<br />

das mit an<strong>der</strong>en vorher passiert war, doch plötzlich tauchte er unter dem<br />

Lastwagen wie<strong>der</strong> auf - und erst noch unverletzt. Da sagte jemand zu<br />

ihm: ‚Du musst aber einen Schutzengel gehabt haben.’ Weißt du, was<br />

<strong>der</strong> Junge darauf geantwortet hat? ‚Nein, es waren zwei.’ Kannst du dir<br />

vorstellen, dass jemand, <strong>der</strong> gerade von einem Lastwagen überfahren<br />

worden ist und nach allen Regeln des menschlichen Überlebens<br />

eigentlich tot sein müsste, spontan eine solche Antwort gibt? Später, als<br />

alle sich ein bisschen beruhigt hatten, erzählte er, wie die beiden<br />

son<strong>der</strong>baren Figuren, die er aber schon im ersten Augenblick für Engel<br />

hielt, gerade in dem Augenblick, als <strong>der</strong> Lastwagen ihn hätte überfahren<br />

sollen, die Zwillingsrä<strong>der</strong> so hochhielten, dass er nicht überfahren wurde,<br />

und es ist anzunehmen, dass sie das so getan haben, dass keiner <strong>der</strong><br />

Umstehenden das sehen konnte.<br />

Die zweite Geschichte geschah mit einem Missionarsehepaar, das<br />

irgendwo im Busch eine Missionsstation aufbauen wollte. Von Anfang an<br />

verhielten sich die Eingeborenenstämme, die in <strong>der</strong> Nähe wohnten,<br />

ihnen gegenüber feindselig, und eines Tages kam <strong>der</strong> Häuptling bei<br />

ihnen vorbei und rief ihnen über den Palisadenzaun hinzu, den die<br />

beiden errichtet hatten, dass sie am nächsten Sonntag umgebracht<br />

würden - also genau an dem Tag, <strong>der</strong> nach dem Wissen <strong>der</strong><br />

Eingeborenen für das Ehepaar ein heiliger Tag war. Darauf taten die<br />

beiden nichts weiter, als für ihre Feinde und auch für sich selber zu<br />

beten, und zwar begannen sie damit schon einen Tag vorher. Sie<br />

zitterten zwar die ganze Nacht bis zum Sonntagabend, aber es geschah<br />

nichts, und sie konnten es sich auch nicht erklären, warum sie verschont<br />

geblieben waren. Ein paar Monate darauf bekehrte sich ausgerechnet<br />

<strong>der</strong> Häuptling zusammen mit einer ganzen Gruppe von Männern, und<br />

erst dann kam das Geheimnis an den Tag. Der Häuptling erzählte dem<br />

Ehepaar, was sich an jenem Samstagabend ereignet hatte. Sie waren<br />

tatsächlich bereit, die beiden umzubringen, und hatten sich schon<br />

kriegsmäßig ausgerüstet, doch als sie sich dem Palisadenzaun<br />

näherten, sahen sie Dutzende von erleuchteten und groß gewachsenen<br />

Gestalten, die rund um den Zaun das Haus bewachten und mit feurigen<br />

Schwertern ausgerüstet waren. So hielten sie es für besser, keinen<br />

Angriff zu wagen, und verschoben diesen auf später - doch dazu ist es ja<br />

wegen <strong>der</strong> Bekehrung des Häuptlings und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Männer nicht<br />

mehr gekommen. Du siehst also, Hans, dass es auch in diesem Bereich<br />

immer wie<strong>der</strong> Wun<strong>der</strong> gibt, die wir mit einem rein rational geschulten<br />

Verstand nicht erklären können.<br />

Es tönt zwar makaber, aber es sind ausgerechnet die Spiritisten und<br />

173


Satanisten, welche die Welt immer wie<strong>der</strong> darauf aufmerksam machen,<br />

dass es tatsächlich auch eine übersinnliche Welt gibt und dass dieses<br />

materialistische Weltbild, das <strong>uns</strong> schon seit mehr als 200 Jahren<br />

eingetrichtert wird, schon längst überholt ist. Es versteht sich aber von<br />

selber, dass diese Leute immer noch eine große Presse bekommen,<br />

während diese wahren Geschichten mit wahrhaftigen Engeln in keiner<br />

einzigen Zeitung veröffentlicht werden, und natürlich wird auch im<br />

Fernsehen und im Radio nie darüber berichtet.»<br />

Mit diesen Worten ist Hans endlich zufriedengestellt, doch dann wird es<br />

unumgänglich, dass er wie<strong>der</strong> einmal auf seine Armbanduhr schaut und<br />

erschrocken feststellt: „Du liebe Zeit! Es ist schon halb eins.“<br />

„Das macht nichts“, beruhigt ihn Bruno sofort, „ich bin gern so lange<br />

hiergeblieben, wenn es dazu gedient hat, dir Jesus Christus<br />

nahezubringen. Er wäre es sogar wert, dass man die ganze Nacht von<br />

ihm erzählt.“<br />

„So ähnlich hat vor drei Tagen auch Hoveneel geredet. Trotzdem<br />

müssen wir jetzt aufhören, deine Frau wartet sicher schon auf dich - und<br />

ich habe heute ja wie<strong>der</strong> ein Spiel.“<br />

„Ach ja, das auch noch! Das habe ich fast vergessen.“<br />

Dann erheben sie sich vom Sofa, begeben sich langsam zur Tür, geben<br />

sich die Hand und bleiben so eine Zeit lang stehen. Hans ist nach<br />

diesem langen Gespräch, in dem er genauso wie vor drei Tagen so viel<br />

Neues erfahren hat, immer noch etwas mitgenommen und kann nur<br />

noch sichtlich müde sagen: „Ich danke dir vielmals, Bruno, dass du dir so<br />

viel Zeit genommen hast, um mit mir über das alles zu reden - das war<br />

wirklich flott von dir.“<br />

„Wie schon gesagt habe ich das gern getan. Versprichst du mir aber,<br />

über alles noch einmal gründlich nachzudenken?“<br />

„Ja, aber du musst verstehen, dass ich dafür eine gewisse Zeit brauche.<br />

Ich muss das alles erst einmal richtig verarbeiten, schließlich liegt das<br />

Gespräch mit Hoveneel auch noch nicht lange zurück.“<br />

„Sicher, du musst nichts überstürzen. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung,<br />

wie es ist; ich habe mich ja auch nicht von einem Tag auf den an<strong>der</strong>en<br />

bekehrt. Wenn du es willst, kann ich dir alle Bibelstellen, die ich heute<br />

erwähnt habe, noch auf einen Zettel schreiben und dir diesen schicken;<br />

erst dann kannst du alles, über das wir heute Abend gesprochen haben,<br />

in aller Ruhe überprüfen.“<br />

„Vielen Dank, dieses Angebot nehme ich gern an.“<br />

„Ich werde für dich beten, damit auch du bald zum Herrn findest.“<br />

Erst als sie draußen sind, fällt Hans wie<strong>der</strong> ein, dass Bruno seinen<br />

174


Wagen nicht hier hat, weil er ihn bei <strong>der</strong> Feldeggstraße zurückgelassen<br />

hat und seine Frau mit diesem wahrscheinlich schon nach Hause<br />

gefahren ist, da sie auch Auto fahren kann. So bringt Hans ihn selbst<br />

nach Hause und da dieser nicht weit weg wohnt, sind sie schon nach<br />

wenigen Minuten dort.<br />

Noch einmal drücken sie sich die Hand und noch einmal dankt Hans<br />

dem an<strong>der</strong>en aufrichtig für das lange Gespräch, bevor sich ihre <strong>Weg</strong>e für<br />

heute trennen.<br />

Tatsächlich fühlt sich Hans zum ersten Mal nach einem Gespräch mit<br />

einem dieser Christen wohl und er beginnt sich zu überlegen, ob an<br />

ihrem Glauben vielleicht doch etwas Wahres dran ist, wenn nach Erwin<br />

Gisler und Jan Hoveneel jetzt auch noch Bruno <strong>Weg</strong>mann sich für ihn so<br />

viel Zeit genommen hat, und zwar mit einer Geduld, die er bisher<br />

nirgendwo und bei niemandem erlebt hat - auch nicht in seinem<br />

Fußballverein mit dem Trainer. Er fühlt sich sogar auf eine so eigenartige<br />

und ihm unerklärliche Weise zu diesen Frommen hingezogen, dass er<br />

insgeheim für sich selbst die Entscheidung trifft, sich fortan regelmäßig<br />

bei ihnen blicken zu lassen; dabei denkt er nicht einmal allzu stark an<br />

Ulrike, die er natürlich auch noch etwas besser kennen lernen möchte.<br />

Er muss einfach herausfinden, ob dieser Jesus Christus wirklich so<br />

allgegenwärtig ist und mitten unter ihnen lebt, wie diese Evangelikalen<br />

das immer wie<strong>der</strong> betonen, aber um das zu erkennen, kommt er nun<br />

einmal nicht darum herum, das an Ort und Stelle zu erkunden und zu<br />

überprüfen.<br />

Diese Wandlung, die sich allmählich in ihm von einer anfänglichen<br />

Abneigung zu einem immer wacheren Interesse vollzieht, ohne dass er<br />

sich dessen vorerst recht bewusst wird, zeigt sich auch darin, dass seine<br />

Mannschaft das nächste Spiel am nächsten Tag gewinnt, ohne dass er<br />

sich diesmal beson<strong>der</strong>s darüber freut, im Gegenteil, er nimmt es mit<br />

einer erstaunlichen Gelassenheit, wenn nicht gar Gleichgültigkeit hin.<br />

Zum Glück hat er insgesamt wie<strong>der</strong> gut gespielt, so dass es vorläufig<br />

noch keinem auffällt, was allmählich und immer stärker in ihm vorgeht.<br />

11<br />

Die nächsten paar Wochen gehören mit zum Seltsamsten, was eine<br />

menschliche Beziehung prägen und eine bisher feste und<br />

unerschütterliche Weltanschauung umstürzen kann, wenn auch die<br />

Gefühlswelt davon betroffen wird und zwei Menschen durch irgendeine<br />

geheimnisvolle Macht dafür bestimmt zu sein scheinen, selbst über<br />

175


verschlungene <strong>Weg</strong>e zueinan<strong>der</strong> zu finden. Das zeigt sich deutlich bei<br />

Hans und Ulrike. Obwohl er mit dem, was die Gläubigen an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße verkünden, nach wie vor nicht viel anfangen kann, lässt<br />

er sich wie vorgenommen regelmäßig dort blicken, wann immer es ihm<br />

möglich ist. Er muss es auch tun, denn er will Ulrike ja um jeden Preis<br />

etwas näher kennen lernen, und so bleibt ihm vorläufig nur dieser eine<br />

<strong>Weg</strong>. Natürlich könnte er versuchen, ihre Telefon- o<strong>der</strong> Natelnummer<br />

ausfindig zu machen und mit ihr ein Treffen zu vereinbaren, doch dafür<br />

scheint es ihm noch etwas zu früh. Wenn er es sich nicht von vornherein<br />

mit ihr ver<strong>der</strong>ben will, muss er behutsam vorgehen.<br />

So ergibt sich die recht seltsame Ausgangslage, dass er wegen einer<br />

Frau, die zu gewinnen er sich zum Ziel gesetzt hat, obwohl er sie immer<br />

noch fast nicht kennt, regelmäßig an einen Ort geht, zu dem er noch vor<br />

wenigen Wochen nicht hingehen wollte, ja, richtiggehend hingeschleppt<br />

werden musste. Da er für seinen Geschmack das Wichtigste aus <strong>der</strong><br />

Bibel bereits gehört hat, würde er es nicht für nötig halten, sich immer<br />

wie<strong>der</strong> an die Feldeggstraße zu bemühen, doch weil es um Ulrike geht,<br />

ist ihm dafür kein Preis zu hoch. Er will und muss sie einfach kennen<br />

lernen, und wenn das bedeuten sollte, dass er immer mit diesen<br />

Frommen zusammensein muss.<br />

Das <strong>führt</strong> dazu, dass er in den nächsten vier Wochen so regelmäßig<br />

dorthin geht, als wäre er ein festes Mitglied <strong>der</strong> Gemeinde, obwohl er<br />

dafür auch noch an jedem Sonntag, <strong>der</strong> ihm möglich ist, hingehen<br />

müsste. Dabei ist er nicht einmal <strong>der</strong> Einzige, denn noch zwei an<strong>der</strong>e<br />

Männer, die ungefähr sein Alter haben und von denen <strong>der</strong> eine erst noch<br />

ein Moslem ist, lassen sich dort ebenfalls ständig blicken. Da es jedoch<br />

das Ziel <strong>der</strong> Christen ist, möglichst viele Menschen zur Bekehrung zu<br />

führen, und dieses auch ein <strong>Weg</strong> dafür sein kann, lassen sie die drei<br />

gewähren und akzeptieren sie in ihrer Mitte, als gehörten sie schon fest<br />

zu ihnen. Natürlich ist die Gefahr immer da, dass die drei das ausnützen<br />

und nur erscheinen, um irgendwo eine Nestwärme zu finden, die sie<br />

sonst nie erhalten, aber solange sie sich nichts zuschulden kommen<br />

lassen und zum Beispiel etwas aus <strong>der</strong> Gemeindekasse stehlen, wie das<br />

früher bei einem an<strong>der</strong>en Gast dieses Typs schon einmal vorgekommen<br />

ist, hat niemand etwas gegen ihre regelmäßigen Besuche einzuwenden,<br />

selbst wenn sie manchmal ohne ein wirkliches Interesse kommen und<br />

sich deshalb mit <strong>der</strong> Bekehrung Zeit lassen - zu viel für den Geschmack<br />

<strong>der</strong> einen. Trotzdem ist es schon ein paar Mal vorgekommen, dass<br />

solche Gäste sich mit <strong>der</strong> Zeit doch noch bekehrt haben, und so<br />

spekulieren die Gläubigen auch bei diesen dreien darauf, sogar beim<br />

Moslem, obwohl sie wissen, dass es gerade bei denen beson<strong>der</strong>s<br />

schwer ist.<br />

176


Gerade auch bei Hans zeigen sich in diesen Wochen gewisse<br />

Auswirkungen: Hatte er früher noch gegen Verschiedenes eine fast<br />

instinktive Abneigung, wenn er das Evangelium hörte, so ist das jetzt<br />

vorbei. Er lässt die Christen gewähren und diskutiert nicht mehr heftig,<br />

auch nicht mit Erwin und Bruno, und das wird ihm auch insofern leichter<br />

gemacht, als diese beiden die Zeit selbst an ihm arbeiten lassen wollen<br />

und ihn deshalb nicht weiter bedrängen. Sein Hauptziel ist und bleibt<br />

aber die Eroberung Ulrikes, und so nimmt er diese biblischen<br />

Berieselungen, wie er sie trotz seiner beiden guten und ausführlichen<br />

Gespräche mit Jan Hoveneel und Bruno <strong>Weg</strong>mann zum Teil immer noch<br />

so empfindet, gern in Kauf.<br />

Obwohl Ulrike wegen ihrer unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht an jedem<br />

Samstagabend und auch nicht an jedem zweiten Sonntagabend<br />

erscheinen kann, gelingt es Hans dank seiner früheren Erfahrungen mit<br />

an<strong>der</strong>en Frauen und auch wegen seines Alters, aber auch dank seines<br />

wachen Instinkts, <strong>der</strong> ihn schon oft im Leben die richtigen<br />

Entscheidungen treffen ließ, die Aufmerksamkeit seiner Angebeteten<br />

allmählich auf sich zu lenken. Irgendwie schafft er es immer wie<strong>der</strong>, zu<br />

ihr einen Kontakt herzustellen, und wenn es auch nur ein kurzer<br />

Wortwechsel ist.<br />

Dabei kommt ihm etwas Entscheidendes zugute, das nicht zu<br />

unterschätzen ist: Da es in dieser Gemeinde außer ihm nur noch zwei<br />

verhältnismäßig groß gewachsene Männer gibt, die aber beide<br />

verheiratet und damit schon vergeben sind, und Hans es versteht, sich<br />

als attraktiv auszugeben, und das mit einer echten, nicht vorgespielten<br />

Freundlichkeit sowie einem gentlemanartigen Verhalten und sogar mit<br />

einem gewissen Charme verbindet, erwachen in Ulrike allmählich jene<br />

uralten weiblichen Instinkte, die in fast je<strong>der</strong> Frau schlummern, von<br />

denen sie selbst aber höchstens ahnen konnte, da sie schon seit Jahren<br />

keine nähere Männerbekanntschaft mehr gehabt hat - aber natürlich<br />

weiß er das noch nicht. So überwindet Ulrike ihre anfängliche Abneigung<br />

gegen ihn wegen seines kaum versteckten Werbens allmählich, ja, sie<br />

fühlt sich sogar immer mehr zu ihm hingezogen, auch wenn sie sich<br />

dessen zunächst nicht bewusst ist und dann, als sie das erkennt, noch<br />

versucht, sich dagegen zu sträuben. Die Tatsache, dass er nun einmal<br />

nicht gläubig ist, wiegt für sie immer noch zu schwer, als dass sie es<br />

über sich bringen könnte, sich auf einen näheren Kontakt einzulassen;<br />

da än<strong>der</strong>t auch nichts daran, dass sie ihn im Grund schon gern mag.<br />

------------------------------------------------------------------------------------------<br />

177


An einem Samstagabend, als sie wie<strong>der</strong> einmal in <strong>der</strong> Teestube dabei<br />

sein kann, ist es aber dennoch so weit: In einem günstigen Augenblick,<br />

den Hans bewusst abgewartet hat, befindet er sich draußen plötzlich<br />

allein mit ihr. Sobald er beobachtet hat, dass sie daran war, sich von den<br />

an<strong>der</strong>en zu verabschieden, brach er unter einem Vorwand ein<br />

belangloses Gespräch mit irgendjemandem, den er nicht einmal näher<br />

kennt, ab und stellte sich ganz in die Nähe des Ausgangs, und zwar so,<br />

dass sie ihn zwar sehen konnte, aber nicht unbedingt daran denken<br />

musste, dass er ihr sofort nach draußen folgen würde. Da es ihr vor <strong>der</strong><br />

Versammlung durch einen weiteren glücklichen Zufall gelungen ist,<br />

genügend weit, aber doch nicht allzu weit von <strong>der</strong> Teestube entfernt<br />

einen Parkplatz für ihren Wagen zu finden, muss er ihr nicht verdächtig<br />

viele Meter lang folgen, son<strong>der</strong>n kann sie gleich außerhalb ansprechen.<br />

„Ulrike!“, ruft er ihr zu, noch bevor sie in den Wagen steigt.<br />

Darauf erschreckt sie etwas und dreht sich überrascht um, beruhigt sich<br />

dann jedoch, als sie Hans erkennt; immerhin ist es trotz <strong>der</strong><br />

Straßenbeleuchtung schon ein wenig dunkel geworden.<br />

„Ulrike“, sagt er dann etwas leiser, während er näher an sie herantritt,<br />

„ich möchte dir etwas sagen.“<br />

Obwohl sie die einheimischen Dialekte größtenteils versteht, spricht er<br />

aus Gewohnheit fast als Einziger immer noch in <strong>der</strong> Hochsprache mit ihr,<br />

einerseits weil er weiß, dass sie das schätzt, und an<strong>der</strong>erseits auch aus<br />

einem gewissen Eigeninteresse, weil er selbst an seinem Arbeitsplatz<br />

auf <strong>der</strong> Bank dazu nur wenig Gelegenheit hat - dabei spricht er es im<br />

Vergleich zu den meisten an<strong>der</strong>en in diesem Land sogar ziemlich gut<br />

und fast akzentfrei.<br />

„Ja, was denn, Hans?“, fragt sie, als wüsste sie trotz all seiner bisherigen<br />

Annäherungsversuche immer noch von gar nichts, und schaut ihn<br />

prüfend an. Worauf will er denn jetzt hinaus?, fragt sie sich im Stillen<br />

halb ärgerlich, aber auch halb neugierig.<br />

„Ich weiß, du wirst es komisch finden“, antwortet er etwas verlegen,<br />

„aber ich wollte dich schon lange einmal zu einem Essen einladen.“<br />

„Tatsächlich?“, fragt sie echt überrascht und setzt dann hinzu: „Wozu<br />

denn?“<br />

Obwohl sie Mühe hat, sich das selbst einzugestehen, freut sie sein<br />

Angebot im Innersten dennoch.<br />

„Ich will ehrlich sein“, antwortet er jetzt etwas sicherer, indem er ihr offen<br />

in die Augen schaut, „ich tue es, um einmal ungezwungen mit dir allein<br />

zu sein und dich näher kennen lernen zu können.“<br />

Da sie darauf etwas zögert, setzt er nach: „Du musst nicht, wenn du<br />

nicht willst, und ich würde das auch verstehen. Aber es würde mich<br />

riesig freuen ... Bitte!“<br />

178


Bei vielen an<strong>der</strong>en Frauen würde er mit einem solchen Angebot, das er<br />

aber wenigstens frei heraus und ohne versteckte Hintergedanken<br />

ausgesprochen hat, vielleicht abblitzen, auch wenn sie sich denken<br />

können, dass es wirklich nur bei einem Essen bleibt. So überlegt sich<br />

auch Ulrike ein paar Sekunden, die Hans aber elend lang vorkommen,<br />

wie sie reagieren soll. Einerseits spürt sie keine Lust, sich auf eine<br />

nähere Beziehung mit einem Mann einzulassen, <strong>der</strong> in den letzten paar<br />

Wochen deutlich genug gezeigt hat, dass er von ihrem Glauben nichts<br />

wissen will und ihn vielleicht auch nie richtig akzeptieren wird, und<br />

an<strong>der</strong>erseits beginnt es in ihr zu hämmern. Durch ihre extrem<br />

unregelmäßigen Arbeitszeiten ist es ihr in den letzten Jahren fast nie<br />

möglich gewesen, nähere Bekanntschaften mit gläubigen Männern zu<br />

pflegen, von denen <strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e möglicherweise als Ehemann<br />

in Frage hätte kommen können, so dass sie oft und für ihren Geschmack<br />

viel zu oft allein gewesen ist. So schmeichelt es ihr, dass jetzt ein Mann,<br />

<strong>der</strong> zwar nicht o<strong>der</strong> genauer noch nicht gläubig, aber nett und<br />

offensichtlich auch anständig ist, sie zu einem Essen einladen will.<br />

Trotzdem will sie nicht so recht zusagen, aber da fällt ihr ein, auf welche<br />

fast flehentliche Weise er am Schluss dieses „Bitte!“ hinzugefügt hat, und<br />

so lässt sie sich doch noch erweichen.<br />

„Ich weiß nicht so recht“, sagt sie schließlich zögernd, „aber wir können<br />

ja sehen. Wann und wo soll es denn sein? Morgen zum Beispiel geht es<br />

nicht, da muss ich wie<strong>der</strong> arbeiten - so wie fast jeden Sonntag.“<br />

„Natürlich nicht bei mir zu Hause“, antwortet er erfreut, „ich kann sowieso<br />

nicht gut kochen, aber ich kenne ein gutes Restaurant, in dem ich<br />

Stammgast bin, und zwar das ‚Select’. Weißt du, wo das ist?“<br />

„Natürlich - beim Bellevueplatz.“<br />

„Den Tag musst aber du bestimmen, weil ich ja nicht weiß, wann wie<strong>der</strong><br />

dein nächster freier Tag ist.“<br />

Noch einmal denkt sie nach, bis ihr einfällt, dass sie ausgerechnet für<br />

den nächsten Dienstag, also in drei Tagen, frei bekommen hat, weil sie<br />

diesen beantragt hat, doch in <strong>der</strong> Zwischenzeit hat sich das, was einst so<br />

wichtig schien, von allein erledigt, aber <strong>der</strong> freie Tag ist ihr geblieben.<br />

Schon hört sie sich selbst sagen: „Am nächsten Dienstag wäre es<br />

möglich, dann habe ich frei.“<br />

„Das ist ja fantastisch!“, ruft er noch erfreuter aus, „wenn das kein<br />

glücklicher Zufall ist! Dann habe ich kein Training. Also dann am<br />

Dienstag um sechs Uhr vor dem Eingang des ‚Select’. Einverstanden?“<br />

„Einverstanden“, antwortet sie ihm zum ersten Mal mit einem kaum<br />

versteckten Lächeln, weil ihr seine entschlossene und zielbewusste Art<br />

langsam zu gefallen beginnt.<br />

„Aber du kommst dann wirklich?“, fragt er nochmals zur Sicherheit.<br />

179


„Mal sehen“, antwortet sie listig, um ihn zu prüfen, und schon sagt er<br />

wie<strong>der</strong> dieses herzerweichende „Bitte!“.<br />

„Gut, ich komme dann um sechs Uhr“, sagt sie schließlich offen lächelnd.<br />

„Vielen Dank, Ulrike!“, entgegnet er hocherfreut und sichtlich erleichtert,<br />

„ich danke dir wirklich.“<br />

Dann steigt sie endlich ein und fährt weg, ohne ihn nochmals<br />

anzuschauen, und er kann den nächsten Dienstag kaum erwarten, ja, er<br />

ist die ganzen nächsten Tage aus lauter Vorfreude so nervös, dass die<br />

Mitspieler auf dem Fußballplatz sowie die Bankkolleginnen und -kollegen<br />

sich schon fragen, was denn nur mit Hans los ist. Zum Glück gewinnt<br />

seine Mannschaft trotzdem, so dass kein Schaden entsteht, und auch<br />

beim Training am Montagabend, das wegen <strong>der</strong> Sonntagsspiele immer<br />

etwas lockerer zu sein pflegt, ist er voll bei <strong>der</strong> Sache.<br />

---------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Als <strong>der</strong> für ihn historische Tag endlich gekommen ist, sorgt Hans dafür,<br />

dass er bereits um Viertel vor sechs beim Eingang des ‚Select’ steht. Er<br />

ist viel zu nervös, um erst um sechs Uhr vor diesem Restaurant<br />

aufzukreuzen, und zudem will er auf sicher gehen. Ulrike hat zwar<br />

gesagt, dass es in <strong>der</strong> Nähe des Bellevueplatzes liegt, aber das heißt<br />

noch lange nicht, dass sie den genauen Standort auch wirklich kennt. So<br />

ist es immer noch möglich, dass sie noch etwas suchen muss, und da<br />

hält er es für besser, draußen nach ihr Ausschau zu halten.<br />

Seine Befürchtungen sind jedoch unbegründet, denn sie erscheint<br />

tatsächlich und erst noch fast pünktlich um sechs Uhr; schließlich ist sie<br />

es als Krankenschwester ja gewöhnt, immer pünktlich erscheinen zu<br />

müssen. Es fällt ihm sofort auf, dass sie zwar einfach gekleidet, aber<br />

dennoch hübsch anzusehen ist, und dass sie ihre Haare wie<strong>der</strong> offen<br />

trägt. Offensichtlich hat sie sich auf diesen Abend gut vorbereitet und<br />

zeigt ihm damit, dass sie auch ihn schätzt.<br />

Es kommt ihr zwar immer noch recht son<strong>der</strong>bar vor, dass sie sich auf<br />

diese Einladung eingelassen hat, doch sobald die beiden sich lächelnd<br />

die Hand gegeben haben, die Treppe zum ersten Stockwerk<br />

hinaufgestiegen sind und sich an einen <strong>der</strong> noch freien Ecktische<br />

hingesetzt haben, verfliegen ihre letzten Zweifel. Nach so vielen Jahren,<br />

in denen sie nie mehr mit einem Mann allein ausgegangen und in ihrer<br />

Arbeit für an<strong>der</strong>e voll aufgegangen ist, hat sie bestimmt das Recht, sich<br />

einmal von jemandem zu einem Essen einladen zu lassen. Bei Hans<br />

kann sie ja davon ausgehen, dass nichts Weiteres passieren wird, weil<br />

sie ihn auch schon ein wenig kennt und damit rechnen kann, dass er<br />

sich ihr heute nicht allzu sehr aufdrängen wird, wenn er schon etwas von<br />

180


ihr will - dass er diese Einladung nicht ohne einen bestimmten Zweck<br />

ausgesprochen hat, ist ihr natürlich klar.<br />

Während <strong>der</strong> Hauptmahlzeit sprechen sie nicht viel miteinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

tauschen lediglich Belangloses über Leute aus, die sie von <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße her kennen - schließlich ist das auch <strong>der</strong> einzige<br />

Treffpunkt, den sie gemeinsam haben. Sie fühlen beide, dass sie sich<br />

dem wirklich Wichtigen erst nachher widmen können, wenn <strong>der</strong><br />

Nachtisch aufgetragen ist und sie sich eine Tasse Kaffee genehmigen,<br />

weil dann die Stimmung dafür viel besser ist.<br />

Während sie essen, lässt er es sich jedoch nicht nehmen, sie zu<br />

betrachten, indem er alles versucht, es sich nicht anmerken zu lassen,<br />

aber er weiß natürlich, dass er ihr nichts vorspielen kann. Er genießt es<br />

geradezu, ihr feines und anmutiges Gesicht, an dem auch die etwas<br />

große Nase nichts än<strong>der</strong>n kann, und ihre ebenso feinen und langen<br />

Hände anzuschauen, da er jetzt ja viel mehr Zeit dafür hat als an jenem<br />

Samstagabend, als sie zum ersten Mal miteinan<strong>der</strong> gesprochen haben.<br />

So sehr fühlt er bereits, dass sie gut zu ihm passen würde, dass er sich<br />

in diesen Minuten nichts mehr auf Erden wünscht, als ihr Herz für sich<br />

gewinnen zu können, obwohl er weiß, dass gerade dies wegen ihres<br />

Glaubens sehr schwer werden wird. Sie kann sich natürlich gut<br />

vorstellen, was er von ihr denkt, aber in einem gedenkt sie hart zu<br />

bleiben: Mag sie ihn noch so sympathisch finden und er ihr wirklich<br />

gefallen, er ist und bleibt für sie nichts als nur eine nette Bekanntschaft -<br />

mehr kommt für sie vorläufig nicht in Frage.<br />

Als es schließlich so weit ist, dass sie ausführlich miteinan<strong>der</strong> plau<strong>der</strong>n<br />

können, fragt Ulrike ihn denn auch direkt: „Sag mal, Hans, was ist <strong>der</strong><br />

wirkliche Grund, dass du mich für heute Abend eingeladen hast? Sei<br />

ehrlich!“<br />

„Gut, ich will ehrlich sein“, antwortet er ebenso direkt, indem er ihr fest in<br />

die Augen schaut, „ich wollte dich tatsächlich etwas kennen lernen. Du<br />

hast mir eben vom ersten Tag an gut gefallen, als ich dich zum ersten<br />

Mal sah.“<br />

„Wirklich?“<br />

„Ja, du kannst es mir glauben, ich meine es ehrlich. An <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße ist es mir ja nie möglich, mit dir allein zu sprechen; also<br />

musste ich mir diese Einladung einfallen lassen. Zum Glück konnte ich<br />

mich mit dir am letzten Samstagabend auf <strong>der</strong> Straße unterhalten, es<br />

war direkt ein historischer Moment.“<br />

„Aber warum willst du mich denn näher kennen lernen? Genügt es dir<br />

nicht, dass du mich dort immer wie<strong>der</strong> siehst?“<br />

„Ehrlich gesagt nein, dafür gefällst du mir viel zu sehr. Ich finde dich<br />

nämlich sehr attraktiv.“<br />

181


„Oh Danke!“, entgegnet sie und fühlt sich echt geschmeichelt, doch dann<br />

besinnt sie sich nach kurzem Zögern wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s und sagt zu ihm in<br />

einem etwas raueren Ton: „Hans, ich will und muss etwas von<br />

vornherein klarstellen: Du hast einen sehr direkten Stil, mit dem du<br />

offensichtlich bei an<strong>der</strong>en Leuten gut ankommst. Wenn du aber schon so<br />

direkt bist, möchte ich es auch sein und dir sagen, dass du dir keine<br />

falschen Hoffnungen machen musst.“<br />

„Was meinst du damit?“, fragt er etwas ver<strong>uns</strong>ichert, obwohl er ahnt,<br />

worauf sie anspielt.<br />

„Kannst du dir das nicht vorstellen? Du bist doch schon oft bei <strong>uns</strong><br />

gewesen; also müsstest du eigentlich wissen, dass für mich nur ein<br />

gläubiger Mann in Frage kommt, und das bist du nun einmal nicht.“<br />

„Doch, ich kann mir das gut vorstellen“, entgegnet er darauf etwas<br />

gereizt, „ich weiß schon, dass ihr Gläubigen meint, ihr seid etwas<br />

Beson<strong>der</strong>es und die sogenannten Ungläubigen nicht. Aber ich möchte<br />

jetzt nicht über dieses Thema diskutieren, nicht an diesem schönen<br />

Abend mit dir.“<br />

Dann hält er kurz inne, bis ihm etwas Bestimmtes einfällt, das er sie<br />

schon lange einmal fragen wollte: „Wenn du schon dieses Thema<br />

angetönt hast, interessiert es mich aber, warum du bis heute nie<br />

geheiratet hast. Du bist schließlich wie gesagt attraktiv und siehst auch<br />

noch gut aus; zudem lässt sich deine Größe auch sehen, viele Männer<br />

schauen auch auf sowas.“<br />

„Danke nochmals, Hans“, entgegnet sie etwas gerührt, „es hat sich<br />

einfach nie ergeben.“<br />

„Bei einer Frau, wie du es bist?“<br />

„Du darfst nicht vergessen, dass ich eine Krankenschwester mit extrem<br />

unregelmäßigen Arbeitszeiten bin. So hatte ich nicht viele<br />

Gelegenheiten, einen geeigneten Mann kennen zu lernen. Dazu kommt<br />

noch, dass ich eine Auslän<strong>der</strong>in bin - zwar aus dem gleichen<br />

Sprachraum, aber immer noch eine Auslän<strong>der</strong>in, und es gab immer<br />

wie<strong>der</strong> Leute, die mich das deutlich genug spüren ließen und zum Teil<br />

sogar noch mit den alten Geschichten von früher kamen, obwohl diese<br />

tragischen Ereignisse jetzt schon mehr als ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

zurückliegen. Das alles hat mit dazu beigetragen, dass es eine gewisse<br />

Zeit dauerte, bis ich hier genügend persönliche Kontakte fand und mir<br />

ein neues Beziehungsnetz aufbauen konnte. Falls du das meinst, geht<br />

auch unter <strong>uns</strong> Gläubigen nicht immer alles so schnell, aber wenigstens<br />

schneller als an<strong>der</strong>swo.“<br />

„Unglaublich, sogar bei einer so lieben Frau wie dir haben diese<br />

Primitivlinge provoziert!“<br />

„Viele Schweizer mögen <strong>uns</strong> Deutsche halt nicht, da können wir auch<br />

182


nichts än<strong>der</strong>n. Wir können noch so nett und korrekt sein, es nützt alles<br />

nichts, vor allem bei älteren Leuten nicht. Auch wenn die meisten es<br />

nicht direkt zeigen, lassen sie es <strong>uns</strong> immer noch deutlich genug spüren.<br />

Natürlich gilt das aber nicht für jene Landsleute, die hier aufgewachsen<br />

sind und sich somit von <strong>der</strong> Sprache her gut verstecken können. Wer<br />

aber nicht hier aufgewachsen ist, kann noch so sehr versuchen, eure<br />

Dialekte möglichst gut zu sprechen, man hört halt immer noch heraus,<br />

wer ursprünglich fremd ist und wer nicht.“<br />

„Ich weiß, Ulrike, dass ihr damit Probleme habt, aber das ist nicht nur in<br />

<strong>der</strong> Schweiz so, son<strong>der</strong>n fast in ganz Europa, und nicht nur wegen <strong>der</strong><br />

Vergangenheit, son<strong>der</strong>n wahrscheinlich auch deshalb, weil ihr nun<br />

einmal wirklich die einflussreichste Nation in diesem Kontinent und in<br />

allen Urlaubsgebieten zu Millionen anzutreffen seid. Aber sag mir mal,<br />

diese Haltung ist doch unter euch Frommen sicher nicht anzutreffen,<br />

o<strong>der</strong>?“<br />

„Nein, natürlich nicht, es sind nur die an<strong>der</strong>en.“<br />

„Ah, also jene, die ihr als Ungläubige bezeichnet. Ich gehöre aber nicht<br />

zu denen, das kannst du mir glauben.“<br />

„Das weiß ich, Hans, sonst wären wir jetzt nicht hier zusammen.“<br />

„So gut kennst du mich aber auch wie<strong>der</strong> nicht, man kann sich<br />

schließlich auch ein gutes Stück verstellen.“<br />

„Du aber nicht, ein bisschen Menschenkenntnisse musst du mir schon<br />

zugestehen.“<br />

Da kann er sich ein Lächeln nicht verkneifen; auch er mag ihren Stil und<br />

genießt es, dass sie sich so gut verstehen. Dann fällt ihm wie<strong>der</strong> etwas<br />

Bestimmtes ein, und so fragt er sie direkt: „Sag mal, Ulrike, woher genau<br />

kommst du ursprünglich?“<br />

„Der Name meines Heimatorts sagt dir sicher nichts. Es ist ein Städtchen<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen zwischen Kassel und Hannover, wo es übrigens viele<br />

Gläubige hat. Deshalb habe ich auch schon ziemlich früh vom<br />

Evangelium gehört und mich schon als kleines Mädchen bekehrt,<br />

genauso wie meine Eltern und auch mein Bru<strong>der</strong> und meine Schwester.“<br />

„Also die ganze Familie?“<br />

„Ja, Gott sei Dank. Das war immer ein großer Rückhalt für mich und ist<br />

es natürlich auch noch heute. Übrigens gibt es in <strong>uns</strong>erem Heimatort<br />

noch manche an<strong>der</strong>e Familie, bei <strong>der</strong> alle gläubig sind.“<br />

„Das Gleiche kann ich von <strong>uns</strong> nicht sagen. Wir waren nie beson<strong>der</strong>s<br />

religiös, genauso wie die meisten an<strong>der</strong>en Familien in <strong>der</strong> heutigen Zeit;<br />

es gilt einfach als überholt, auch wenn ihr das an<strong>der</strong>s seht. Übrigens<br />

habe auch ich einen Bru<strong>der</strong> und eine Schwester. Ich bin <strong>der</strong> Älteste,<br />

dann kommt Peter und nach ihm Helga.“<br />

„Das ist aber interessant! Auch bei <strong>uns</strong> bin ich die Älteste, und auch<br />

Manfred kommt nach mir und dann Christa, also die genau gleiche<br />

Reihenfolge.“<br />

183


Dann hält er wie<strong>der</strong> kurz inne und fragt weiter: „Wie hat es dich denn<br />

ausgerechnet hierher verschlagen?“<br />

„So wie das eben ist als Krankenschwester. Plötzlich erhältst du ein<br />

Angebot von irgendwoher und schon gehst du hin. So bin ich eben<br />

hierhergekommen und hier hängen geblieben, aber ich stehe damit nicht<br />

allein. Nicht umsonst hat es hier in Zürich beson<strong>der</strong>s viele<br />

Krankenschwestern und Pfleger und dazu auch noch Ärztinnen und<br />

Ärzte aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n, wie du vielleicht weißt, aber am meisten aus<br />

<strong>uns</strong>erem Land.“<br />

„Dann hättest du aber erst recht mehr Chancen haben sollen, einen<br />

Mann zu bekommen. Die Krankenschwestern sind nämlich bei vielen<br />

Männern beliebt und begehrt, weil sie ihnen ein Gefühl von Sicherheit<br />

und Geborgenheit geben - mindestens glauben sie, dass es so ist.“<br />

„So leicht ist es auch wie<strong>der</strong> nicht, Hans, denn auch unter den Gläubigen<br />

passt längst nicht je<strong>der</strong> zu jedem, und bei mir kommt noch als kleines<br />

Hin<strong>der</strong>nis dazu, dass ich so groß bin.“<br />

„Ach was, so groß bis du auch wie<strong>der</strong> nicht! Da redest du dir etwas ein.“<br />

„Immerhin messe ich fast eins achtzig. Für dich ist das vielleicht nicht<br />

so groß, aber für viele an<strong>der</strong>e schon, und es gibt unter <strong>uns</strong> Gläubigen<br />

nicht viele Männer mit deiner Größe; deshalb hatten nicht wenige<br />

Männer bei mir immer wie<strong>der</strong> Hemmungen.“<br />

„Ja, ich weiß, die meisten Männer wollen eben lieber eine Frau, die<br />

kleiner o<strong>der</strong> wenigstens nicht größer ist als sie, und umgekehrt<br />

wünschen sich die meisten Frauen einen Mann, <strong>der</strong> größer ist als sie.<br />

Das liegt halt in <strong>der</strong> Natur; da brechen die uralten, jahrtausendealten<br />

Instinkte des Beschützens und des Beschützt-Werdens immer wie<strong>der</strong><br />

durch. Aber sag mir, wenn es schon so steht, dass es unter euch<br />

Frommen nicht viele groß gewachsene Männer gibt und die kleineren<br />

sich immer wie<strong>der</strong> von deiner Größe abschrecken lassen ... kannst du dir<br />

denn vorstellen, noch lange allein zu bleiben? Für eine Frau wie dich<br />

wäre das wirklich schade.“<br />

„Wenn <strong>der</strong> Herr will, dass ich heirate, wird er mir schon noch rechtzeitig<br />

einen geeigneten Mann zuführen.“<br />

„Glaubst du das wirklich? Sorgt euer Gott auch für so etwas?“<br />

„Oh ja, er sorgt für alles, wenn wir ihn darum bitten.“<br />

„Und wenn er dir jetzt doch keinen Traummann zu<strong>führt</strong>, wie du das<br />

bezeichnest? Willst du dann für den Rest deines Lebens allein bleiben?“<br />

«Ich bin nie allein, denn <strong>der</strong> Herr ist immer bei mir. Außerdem<br />

befinden sich noch viele an<strong>der</strong>e Schwestern in <strong>der</strong> gleichen Lage wie<br />

ich, weil es nun einmal viel mehr gläubige Frauen als Männer gibt. So<br />

steht es von vornherein fest, dass nicht alle von ihnen heiraten können<br />

… zumindest nicht einen gläubigen Mann.»<br />

„Das ist schön für dich, wenn du an sowas glauben kannst, aber ob euer<br />

184


Gott nun bei dir ist o<strong>der</strong> nicht, es än<strong>der</strong>t doch nicht daran, dass du<br />

vielleicht für immer ledig bleiben wirst - ausgerechnet eine solche Frau<br />

wie du!“<br />

„Wie gesagt, wenn er es will, schenkt er mir noch einen lieben Mann, <strong>der</strong><br />

zu mir passt.“<br />

Für einen kurzen Augenblick denkt er für sich, dass er noch so gern<br />

dieser Mann wäre, doch dann spricht er weiter recht hart zu ihr: „Aber du<br />

bist doch schon bald dreißig, soviel ich weiß; jedenfalls habe ich das so<br />

nebenbei einmal gehört. So hast du nicht mehr viel Zeit, das ist halt<br />

lei<strong>der</strong> so.“<br />

„Ich weiß, aber ich habe Vertrauen zum Herrn. Ich kenne ihn schließlich<br />

schon seit bald zwanzig Jahren - und er hat mich noch nie enttäuscht.“<br />

„Schon so lange? Ach ja, du hast vorher ja gesagt, dass du dich als<br />

kleines Mädchen bekehrt hast. Willst du damit aber auch sagen ... ich<br />

kann es fast nicht glauben ... heißt das etwa, dass du bis heute noch nie<br />

mit einem Mann zusammen gewesen bist? Du weißt ja wohl, was ich<br />

damit meine. Ich habe ja genug gehört, dass bei euch Frommen je<strong>der</strong><br />

Geschlechtsverkehr außerhalb <strong>der</strong> Ehe verboten ist.“<br />

„Es steht in <strong>der</strong> Bibel so geschrieben, weil es <strong>uns</strong>erem Schutz dient. Es<br />

hat sich immer wie<strong>der</strong> gezeigt, dass solche Menschen, die mit zu vielen<br />

Partnern sexuell verkehren, und erst recht jene, die damit viel zu früh<br />

anfangen, im Herzen nie wirklich treu sein können; also wusste <strong>der</strong> Herr<br />

sehr wohl, warum er dieses Gebot in seinem Wort nie<strong>der</strong>schreiben ließ.“<br />

„So, das soll also zu einem Schutz dienen? Soll es denn nicht normal<br />

sein, miteinan<strong>der</strong> ins Bett zu gehen, wenn man sich liebt? Tut mir leid,<br />

Ulrike, aber ich habe darin nie etwas Verwerfliches gesehen. Ich habe<br />

bis heute zwar nicht viele Frauen gehabt, nicht einmal zehn, aber ich<br />

habe noch mit je<strong>der</strong> intim verkehrt und mir dabei nie etwas Schlechtes<br />

gedacht - ganz im Gegenteil, ich habe es sogar sehr genossen.“<br />

„Aber es ist Sünde.“<br />

„Sünde? Soll eine so attraktive Frau, wie du es bist, sich dafür opfern, ihr<br />

Leben lang allein zu bleiben, nur weil in eurer Bibel etwas von Sünde<br />

steht? Einen solchen Glauben kann ich nicht begreifen, ich fasse das<br />

nicht. Jede normal veranlagte Frau will doch lieben und geliebt werden,<br />

das liegt in ihrer Natur. Ein Mann kann es im Notfall noch aushalten,<br />

ohne Liebe zu leben; er kann es sich immer irgendwie einrichten, aber<br />

eine Frau hat doch von Grund auf einen tiefen W<strong>uns</strong>ch nach Liebe, und<br />

dabei meine ich nicht nur den Sex. Selbst wenn sie nicht geliebt wird,<br />

fühlt sie immer noch das Bedürfnis, wenigstens Liebe zu geben. Es<br />

muss ja nicht immer ein Mann sein, oft ist es auch ein Kind o<strong>der</strong> ein<br />

Haustier, zum Beispiel ein Pferd. Es ist ja bekannt, dass auffallend viele<br />

Frauen, die nicht verheiratet sind, sich ein Pferd halten, doch das<br />

185


leuchtet auch ein, wenn wir <strong>uns</strong> vor Augen führen, dass die<br />

Reitbewegungen auf diesem Tier denen auf einem Mann ähneln, <strong>der</strong><br />

ihnen halt doch irgendwie fehlt ... Entschuldige, Ulrike, aber das ist nun<br />

mal eine Tatsache. Und wenn es nicht an<strong>der</strong>s geht, kommt halt ab und<br />

zu auch eine an<strong>der</strong>e Frau in Frage. Ich habe zwar keinen näheren<br />

Kontakt zur Lesbenszene, aber soviel ich weiß, kann man von denen<br />

sogar noch etwas lernen, denn die Liebe unter ihnen ist oft noch tiefer<br />

und echter als bei vielen sogenannten normalen Paaren.“<br />

„Aber Hans!“, unterbricht ihn darauf Ulrike fast entsetzt - und es fehlte<br />

wenig, damit sie aufsteht und einfach weggeht.<br />

Erst jetzt, da sie auf diese Worte so geschockt reagiert, spürt er, dass er<br />

etwas zu weit gegangen ist. Auch wenn er es mit ihr gut meinte, hätte er<br />

nicht mit einem so schweren Geschütz auffahren und sie damit verletzen<br />

dürfen, nur weil er ihren Glauben nicht begreift und sich zeitweise über<br />

ihn und einige Gebote sogar ärgert.<br />

„Entschuldige, Ulrike, es tut mir leid“, sagt er schließlich aufrichtig, indem<br />

er fast automatisch nach ihren Händen greift, die er am Tisch bisher<br />

noch nie berührt hat, „ich weiß, dass es dumm von mir war, mich so<br />

gehen zu lassen. Dabei wollte ich dich nicht verletzen, gerade dich nicht;<br />

wenn jemand sowas nicht verdient hat, dann bist du es. Es tut mir<br />

wirklich sehr leid. Ich sehe ein, dass du das Recht hast, so zu leben, wie<br />

du es für richtig hältst, und dass ich nicht das Recht habe, mich in dein<br />

Leben einzumischen.“<br />

Dann fügt er nach kurzem Zögern ein paar Worte hinzu, die Ulrike sehr<br />

überraschen: „Bitte vergib mir!“<br />

So zieht sie ihre Hände nicht von den seinen, die sie jetzt zum ersten<br />

Mal so richtig spüren kann, aber sie weiß immer noch nicht, wie sie<br />

reagieren soll. Erst als es ihr so richtig bewusst wird, dass er zu ihr „Bitte<br />

vergib mir!“ gesagt und damit eine Ausdrucksweise gebraucht hat, die<br />

fast nur unter den Gläubigen üblich ist, und als sie aufsieht und erkennt,<br />

dass ihm fast Tränen kommen, lässt sie sich erweichen. Wie um ihn zu<br />

bestrafen, lässt sie sich aber für eine Antwort auffallend viel Zeit und<br />

mustert ihn ziemlich streng.<br />

„Also gut, Hans, ich vergebe dir“, sagt sie schließlich nach ein paar<br />

unendlich langen Sekunden, „aber sprich bitte nicht noch einmal so mit<br />

mir!“<br />

„Danke, Ulrike“, entgegnet er sichtlich erleichtert, „ich verspreche dir,<br />

nicht mehr so mit dir zu reden. Es ist eben so, dass ich dich sehr gern<br />

mag; darum ist das alles so aus mir herausgekommen. Ich will ja<br />

versuchen, deinen Glauben zu verstehen, auch wenn mir vieles immer<br />

noch unbegreiflich ist. Die Gespräche mit Erwin und Bruno und auch mit<br />

186


Jan Hoveneel haben mir zwar in einigen Bereichen geholfen, aber ich<br />

blicke immer noch nicht durch und schaffe den Durchbruch zu eurer<br />

Gedanken- und Gefühlswelt einfach nicht. Kannst du verstehen, wie ich<br />

das meine?“<br />

„Ja, ich weiß, wie du das meinst“, antwortet sie zu seiner Erleichterung<br />

sofort, „und ich will auch versuchen, dich zu verstehen. Es ist nun einmal<br />

für alle, die den Herrn noch nicht persönlich kennen, sehr schwierig, aus<br />

dieser Welt zum lebendigen und einzigen wahren Glauben<br />

durchzudringen - erst recht in <strong>der</strong> heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeit, in <strong>der</strong> alle<br />

alten Werte von früher fast nichts mehr gelten. Das sehe ich auch bei dir<br />

sehr klar.“<br />

Hans ist glücklich, dass sie ihm nichts nachträgt, und lernt durch ihr<br />

Verhalten eine weitere Lektion darüber, was Vergeben heißen kann,<br />

auch wenn ihm das nicht sofort bewusst ist. An<strong>der</strong>erseits hat die<br />

kritische Szene zwischen den beiden auch etwas Gutes bewirkt, ohne<br />

dass sie das vorerst sehen können, was aber Ulrike mit <strong>der</strong> Zeit<br />

wohlwollend erkennt: Durch seine sofortige Entschuldigung und sein<br />

aufrichtiges Bedauern hat er ihr gezeigt, dass er einen Fehler auch sofort<br />

einsehen und sich demütigen kann. Das ist nicht zuletzt im Hinblick auf<br />

eine Bekehrung, aber auch auf eine mögliche Ehe - falls sich einmal<br />

doch etwas zwischen ihnen anbahnen sollte, woran er offensichtlich ja<br />

Interesse hat - nicht ohne Bedeutung. So hat er bei ihr einen weiteren<br />

Pluspunkt errungen, obwohl es zunächst nach dem genauen Gegenteil<br />

ausgesehen hat.<br />

Nach etwa einer halben Stunde, in <strong>der</strong> sie gewissermaßen noch einen<br />

Versöhnungskaffee getrunken haben, brechen sie auf, und er bringt sie<br />

bis zu ihrem Wagen. Bevor sie einsteigt, sagt sie zu ihm, indem sie ihm<br />

nochmals die Hand gibt: „Danke, Hans, für die Einladung.“<br />

„Ich möchte mich noch einmal bei dir entschuldigen, Ulrike“, entgegnet<br />

er, ohne auf diese Worte einzugehen, „es wird nicht wie<strong>der</strong> vorkommen,<br />

das verspreche ich dir.“<br />

„Das ist schon vergeben - mach dir keine Sorgen mehr!“<br />

Schließlich fragt er sie nach kurzem Zögern: „Können wir <strong>uns</strong> wie<strong>der</strong><br />

einmal so treffen, genau auf diese Weise?“<br />

„Ich weiß nicht so recht.“<br />

Da er diese Formulierung von ihr schon einmal gehört hat und es<br />

trotzdem zu diesem Treffen gekommen ist, glaubt er daraus schließen zu<br />

können, dass diese Antwort schon fast ein halbes Ja bedeutet.<br />

„Es muss ja nicht bald sein“, fügt er hinzu, „wir können <strong>uns</strong> dafür Zeit<br />

nehmen ... Bitte!“<br />

187


Dieses „Bitte!“ hat sie heute auch schon mehr als einmal gehört - und<br />

obwohl sie sich trotz seiner kleinen Entgleisung immer noch ein wenig zu<br />

ihm hingezogen fühlt, will sie es sich immer noch nicht so recht<br />

eingestehen und vor allem nicht ihm zeigen.<br />

„Wir werden es ja sehen“, sagt sie schließlich langsam und fast wie<br />

nebenbei, als sie schon im Wagen sitzt, und dann lässt sie ihn allein<br />

zurück, aber nicht ohne ihm noch ein kurzes und schwaches Lächeln zu<br />

schenken, das ihn weiter auf eine nähere Beziehung mit ihr hoffen lässt.<br />

12<br />

So wie die beiden es an jenem Abend gefühlt und vorausgesehen<br />

haben, bleibt es nicht bei dieser einen Begegnung im Restaurant. Es<br />

gelingt Hans noch drei weitere Male, Ulrike zu einem Ausgang zu<br />

überreden - allerdings nur zu kurzen -, und jedes Mal sagt sie sich<br />

zuerst, dass es vielleicht besser wäre, ihm abzusagen, und dann kann<br />

sie es doch nicht über sich bringen.<br />

Da er bewusst auf Distanz bleibt und ihr nicht zu nahe kommt, also nie<br />

versucht, sie zu küssen o<strong>der</strong> gar Hand in Hand mit ihr zu gehen, fasst<br />

sie allmählich Vertrauen zu ihm und beginnt ihn immer mehr zu mögen.<br />

Außerdem findet sie ihn wirklich sympathisch und solange ihr Kontakt<br />

nicht zu weit geht, kann ein Ausgang ihnen beiden nicht schaden, nicht<br />

zuletzt auch deshalb, weil sie so jedes Mal eine Gelegenheit bekommt,<br />

ihm stückweise etwas vom Evangelium zu erzählen. Das tut sie nicht,<br />

indem sie Bibelsprüche zitiert, son<strong>der</strong>n indem sie ihm Geschichten aus<br />

ihrem eigenen Leben erzählt, die sie über all die Jahre hinweg immer<br />

mehr in ihrem Glauben gestärkt haben. Es wirkt zwar etwas komisch,<br />

wenn sie so zusammen auf den Straßen spazieren und in den<br />

Restaurants und Cafés sitzen, ohne sich zu berühren, aber ihre<br />

Beziehung ist nun einmal eine beson<strong>der</strong>s delikate, und da Hans sie<br />

sorgfältig aufbauen und Ulrike nicht durch einen weiteren dummen<br />

Fehler wie jenen im Rerstaurant ‚Select’ vielleicht für immer verlieren will,<br />

akzeptiert auch er das so, auch wenn es ihn zeitweise innerlich fast<br />

zerreißt, wenn er so manches an<strong>der</strong>e Paar Hand in Hand o<strong>der</strong> sogar<br />

engumschlungen gehen und sich küssen sieht.<br />

Der Höhepunkt dieser delikaten Beziehung ist die, dass sie einmal sogar<br />

in ein Kino gehen, und zwar bei ihrer vierten Begegnung. Der Film, den<br />

sie zusammen anschauen, ist <strong>der</strong> berühmte und schon fast antike<br />

Cinecittà-Streifen „Quo Vadis“. Angesichts <strong>der</strong> Geschichte, die darin<br />

erzählt wird, ist es für die heutige Zeit, die für das Christentum nun<br />

wirklich nicht mehr viel übrighat, direkt eine Sensation, dass er noch<br />

188


einmal in einem Kino gezeigt wird, und erst recht auch deshalb, weil es<br />

schon längst die entsprechende Video-Kassette und die DVD zu kaufen<br />

gibt. Als Ulrike in einer Zeitung entdeckte, dass dieser Film wie<strong>der</strong><br />

einmal in ein Kino kommen würde, hat sie sich spontan dazu<br />

entschlossen, Hans zu fragen, ob er ihn mit ihr zusammen anschauen<br />

gehen würde.<br />

Sie weiß zwar, dass auch er so wie die meisten an<strong>der</strong>en zu Hause ein<br />

Fernsehgerät hat, aber sie rechnet damit, dass ein gemeinsames<br />

Betrachten eines Filmes ihm eher helfen wird, das Evangelium<br />

stückweise zu begreifen, als wenn er für sich allein die Kassette o<strong>der</strong> die<br />

DVD in seiner Wohnung sehen würde. Zudem wird im Film die<br />

allmähliche Bekehrung <strong>der</strong> Hauptperson, des Trib<strong>uns</strong> Marcus Vinicius,<br />

also eines ranghohen Heereskommandanten, offen gezeigt, und wenn er<br />

nachher bestimmte Fragen hätte, könnte sie ihm diese direkt<br />

beantworten - das würde sicher besser wirken als ein bloßer<br />

telefonischer Kontakt. Natürlich hat er sofort zugesagt, ohne sich<br />

weiteres dabei zu denken, denn ihm ist natürlich alles recht, um mit<br />

Ulrike zusammen sein zu können; also kann auch ein solcher Kinofilm,<br />

den er nach seiner Erinnerung vor vielen Jahren einmal gesehen hat,<br />

nicht schaden.<br />

Er schaut sich den Film zwar mit Interesse an, aber da es eben nur ein<br />

Spielfilm mit bewusst abgedrehten Szenen ist, kann er sich nicht wirklich<br />

in die Zeit vor 2'000 Jahren zurückversetzen und sich nicht vorstellen,<br />

dass so etwas sich tatsächlich im Römischen Reich ereignet haben<br />

könnte, und selbst wenn die Geschichte von <strong>der</strong> allmählich<br />

aufkeimenden Liebe zwischen Marcus Vinicius und <strong>der</strong> Christin Lygia<br />

mitsamt den Horrorszenen in <strong>der</strong> Arena sich wirklich so abgespielt hätte,<br />

würde es ihm nichts sagen. Was geschah, ist nun einmal geschehen und<br />

lässt sich nicht mehr rückgängig machen - für sich selbst sieht er keine<br />

Parallele.<br />

Ulrike hat von vornherein damit gerechnet, dass <strong>der</strong> Film ihn einer<br />

Bekehrung vielleicht nicht entscheidend näherbringen würde, obwohl sie<br />

von einem Mann schon vernommen hat, dass er sich bekehrt habe,<br />

nachdem er genau diesen Film zum ersten Mal in einem Kino geschaut<br />

hatte. Deshalb hat sie vorgesorgt und ihm die DVD von „Quo Vadis“<br />

gekauft; sie hat ihn vorher zwar nicht gefragt, ob er einen<br />

entsprechenden Apparat hat, doch da in <strong>der</strong> heutigen Zeit fast alle über<br />

ein solches Gerät verfügen, hat sie darauf spekuliert und richtig geraten.<br />

Erst jetzt, da sie ihm nach dem Verlassen des Kinos die DVD, die sie<br />

189


isher in ihrer Handtasche versteckt hielt, in die Hand gibt und ihm<br />

zugleich das Versprechen abnimmt, dass er den Film noch einmal in<br />

aller Ruhe zu Hause anschauen wird, fühlt er sich etwas gerührt.<br />

Offensichtlich mag sie mich wirklich ein bisschen gern, sonst würde sie<br />

nicht so viel unternehmen, um mich zu einer Bekehrung zu bringen, sagt<br />

er sich freudig und dankt ihr herzlich, und dabei meint er es auch ehrlich.<br />

Was nun Ulrikes wirkliche Gefühle für ihn betrifft, so schwanken diese<br />

zwischen echter Sympathie und allmählicher Zuneigung, wobei sie sich<br />

immer noch dagegen wehrt, die Beziehung zu Hans allzu<br />

freundschaftlich gedeihen zu lassen. So denkt sie selbst bei <strong>der</strong> vierten<br />

Begegnung nicht im Geringsten daran, dass sie vielleicht auch so etwas<br />

wie Liebe für ihn empfinden könnte, wie er das offensichtlich zeigt und es<br />

auch kaum verbergen kann, dass er sie mindestens sehr gern mag.<br />

Die Spannung in ihr löst sich erst durch ein unerwartetes Ereignis, als er<br />

sie nach dieser geradezu historischen vierten Begegnung wie üblich<br />

wie<strong>der</strong> nach Hause bringt und sich an <strong>der</strong> Haustür von ihr verabschiedet.<br />

Während er ihr die Hand gibt, sagt er zu ihr plötzlich wie aus heiterem<br />

Himmel, was aber angesichts <strong>der</strong> Entwicklung ihrer Beziehung auch<br />

wie<strong>der</strong> nicht völlig überraschend kommt: „Ich kann es nicht mehr länger<br />

für mich behalten, ich muss es dir einfach sagen: Ich liebe dich, Ulrike,<br />

auch wenn ich weiß, dass du mich nicht liebst. Ich fühle es ganz genau,<br />

dass ich dich liebe.“<br />

Nach diesen überraschenden Worten schweigt sie zunächst, da sie nicht<br />

so recht weiß, wie sie darauf reagieren soll. Zum ersten Mal in ihrem<br />

Leben hat ihr ein Mann so direkt gesagt, dass er sie liebt, und so wie sie<br />

ihn schon einschätzen kann, meint er es auch ehrlich. Obwohl sie diese<br />

Worte wie jede an<strong>der</strong>e Frau natürlich auch gern hört, weiß sie nicht, wie<br />

sie ihm antworten soll. Sie mag ihn zwar sehr gern, aber beim Gedanken<br />

an Liebe bremst etwas in ihr; die Tatsache, dass er nun einmal nicht<br />

gläubig ist, wiegt für sie vorerst immer noch schwerer als mögliche tiefe<br />

Gefühle für ihn. So weicht sie aus, indem sie zu ihm leise und mit<br />

unverkennbarer Verlegenheit sagt: „So weit dürfen wir nicht denken,<br />

Hans, das weißt du ganz genau. Lassen wir <strong>uns</strong>eren Kontakt doch so,<br />

wie er ist!“<br />

Kaum hat sie sich von ihm verabschiedet, dessen Enttäuschung auf ihre<br />

Reaktion er nicht verbergen konnte, fühlt sie zwischen ihren eigenen vier<br />

Wänden, wie sich in ihrem Inneren eine Wandlung vollzieht. Plötzlich löst<br />

sich etwas in ihr und sie beginnt, Hans nicht mehr nur als einen guten<br />

Bekannten zu sehen, son<strong>der</strong>n auch als einen Mann, an dem sie<br />

190


eigentlich Gefallen finden könnte, ja, <strong>der</strong> sogar zu ihr passen könnte. Ob<br />

es wohl mit ihr auch so weit ist, dass sie allmählich so etwas wie Liebe<br />

für ihn empfinden kann, wie er offensichtlich das Gleiche für sie<br />

empfindet?<br />

Während sie sich das überlegt, erkennt sie auf einmal, dass sie sich in<br />

einer ähnlichen Lage befindet wie Lygia im Film „Quo Vadis“. Auch diese<br />

Frau wehrte sich zuerst lange dagegen, sich in einen Mann zu verlieben,<br />

<strong>der</strong> ihren Glauben an Gott und an Jesus Christus nicht teilte, und<br />

schließlich tat sie es doch und konnte fortan nur noch darauf vertrauen,<br />

dass auch Marcus Vinicius sich einmal bekehren würde. Das<br />

Interessante dabei ist, dass sie selbst im Kino zwischen Hans und<br />

diesem römischen Heereskommandanten auch ein paar Parallelen<br />

gesehen hat. Ob es wohl auf sie beide zutreffen wird, dass die<br />

Geschichte dieses Liebespaares vor fast 2'000 Jahren sich in <strong>der</strong><br />

heutigen mo<strong>der</strong>nen Zeit zwischen Hans und ihr auf eine ähnliche, wenn<br />

auch weniger tragische Weise - also nicht bei blutigen Kämpfen in einer<br />

Arena vor einer sensationsgierigen Menge -, aber doch in <strong>der</strong> gleichen<br />

Gefühlswelt wie<strong>der</strong>holt?<br />

Stundenlang liegt sie an diesem Abend und bis weit nach Mitternacht<br />

noch wach auf ihrem Bett und grübelt über ihre Beziehung zu Hans<br />

nach, aber auch in den nächsten paar Tagen hat sie keine Ruhe und<br />

bleibt aufgewühlt. Manchmal kommt in ihr <strong>der</strong> Gedanke auf, sie sollte<br />

ihm telefonieren und mitteilen, dass es besser wäre, wenn sie sich nicht<br />

mehr so wie bisher treffen würden, aber dann bringt sie es doch nicht<br />

über sich. So etwas kann sie ihm ganz einfach nicht antun, ausgerechnet<br />

ihm, <strong>der</strong> zu ihr als erster Mann offen gesagt hat, dass er sie liebt, ob er<br />

nun gläubig ist o<strong>der</strong> nicht, und schließlich kann sie für ihn immer noch<br />

eine Hintertür offenlassen. Wer weiß, ob <strong>der</strong> Herr nicht gerade auch sie<br />

benützen will, damit auch Hans den <strong>Weg</strong> des Heils erkennt. Ob es dann<br />

auch mehr werden könnte, ob tatsächlich er ihr zukünftiger Ehemann im<br />

gemeinsamen Glauben an den gleichen Erlöser werden könnte? Sie<br />

wagt es schon fast nicht, so weit zu denken, weil das zu schön erscheint,<br />

als dass dies sich einmal verwirklichen könnte.<br />

Natürlich hat es sich in <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong> Feldeggstraße inzwischen<br />

herumgesprochen, dass Ulrike mit Hans schon mehrmals ausgegangen<br />

ist; sie verbergen es ja auch nicht und stehen offen dazu, wenn sie<br />

darauf angesprochen werden. Es wird manchmal schon nicht gern<br />

gesehen, wenn ein gläubiger Mann mit einer gläubigen Frau ausgeht,<br />

solange sie nicht vor <strong>der</strong> Versammlung als ein Paar buchstäblich<br />

deklariert worden sind, aber dass eine gläubige Frau und erst noch ein<br />

191


anerkanntes Mitglied <strong>der</strong> Gemeinde es wagt, mit einem ungläubigen<br />

Mann auszugehen, gilt schon fast als ein Sakrileg, auch wenn Ulrike<br />

immer wie<strong>der</strong> versichert, dass zwischen ihr und Hans nichts Ernstes ist.<br />

Da hilft es auch nicht, dass er durch seine häufigen und regelmäßigen<br />

Besuche schon fast als Stammgast gilt und nicht wenige ihn persönlich<br />

schätzen gelernt haben, obwohl er sich immer noch nicht bekehrt hat<br />

und diesen entscheidenden Schritt anscheinend auch nicht so bald zu<br />

vollziehen gedenkt.<br />

So wird bald einmal gemunkelt, bis <strong>der</strong> Ältestenrat den Plan fasst, mit<br />

Ulrike über diese neue Beziehung ein paar ernsthafte Worte zu<br />

wechseln. Bevor es dazu kommt, hält es einer von ihnen jedoch für<br />

besser, zuerst Brigitte Frey zu bitten, mit Ulrike zu sprechen, weil diese<br />

Frau, die 32-jährig und verheiratet ist und zwei Kin<strong>der</strong> hat, zu ihr den<br />

besten Zugang findet. Es ist in <strong>der</strong> Gemeinde ja genügend bekannt, dass<br />

die beiden schon seit Jahren enge Freundinnen sind und deshalb auch<br />

eine Zeit lang eine Wohnung zusammen geteilt haben, solange Brigitte<br />

noch ledig war. Ihre Freundschaft wurde auch nie dadurch getrübt, dass<br />

sie heute auf verschiedenen Lebenswegen schreiten, seitdem Brigitte<br />

eine eigene Familie hat und Ulrike immer noch ledig ist. So wird sie<br />

gebeten, mit ihrer Freundin ernsthaft zu sprechen, und sie erklärt sich<br />

dazu bereit, zumal sie selbst auch schon vorhatte, das zu tun.<br />

Dafür gibt es aber noch einen beson<strong>der</strong>en Grund: Da sie eine <strong>der</strong><br />

Leiterinnen <strong>der</strong> sogenannten Frauengruppe ist, <strong>der</strong> nur verheiratete<br />

Frauen angehören dürfen - unabhängig davon, ob die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Kin<strong>der</strong> hat o<strong>der</strong> nicht -, fühlt sie sich natürlich erst recht dafür<br />

verantwortlich, dass in <strong>der</strong> Gemeinde auch in dieser Beziehung Ordnung<br />

herrscht. Gerade was diese Frauengruppe betrifft, sind sich die beiden in<br />

diesem einen Punkt nicht einig: Während Ulrike nicht einsieht, warum<br />

ledige Frauen ihr nicht angehören dürfen, findet es Brigitte genauso wie<br />

alle an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> besser, weil unter ihnen fast immer nur Probleme<br />

behandelt und besprochen werden, die verheiratete Frauen betreffen,<br />

und deshalb würden ledige für ihr Empfinden ein wenig störend wirken.<br />

---------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Bevor es jedoch zu dieser Aussprache kommt, geschieht etwas völlig<br />

Unerwartetes, das mit dazu beitragen könnte, die Beziehung zwischen<br />

Hans und Ulrike noch zu vertiefen, auch wenn es zunächst nicht danach<br />

aussieht: Nur drei Tage nach ihrer letzten Begegnung, zu Beginn des<br />

Mittwochtrainings, fühlt Hans während des Einlaufens plötzlich, dass in<br />

seinem rechten Unterschenkel etwas zwickt. Obwohl er den an<strong>der</strong>en<br />

192


nicht mehr folgen kann, nimmt er es vorerst nicht ernst, doch dann kann<br />

er nicht mehr rennen, ja, er muss sich sogar setzen, um sich mit beiden<br />

Händen den rechten Unterschenkel festzuhalten, <strong>der</strong> immer mehr<br />

schmerzt.<br />

Als <strong>der</strong> Trainer das sieht, unterbricht er sofort das Einlaufen mit <strong>der</strong><br />

Pfeife, die auch er so wie fast alle an<strong>der</strong>en mit sich <strong>führt</strong>, und geht auf<br />

ihn zu.<br />

„Was hast du, Hans?“, fragt er echt besorgt, und auch alle an<strong>der</strong>en<br />

kommen herzu und beugen sich über ihn.<br />

„Es geht nicht mehr“, kann er nur noch antworten, weil es noch mehr<br />

schmerzt. Es ist zwar ein Schmerz, <strong>der</strong> sich aushalten lässt, aber<br />

trotzdem unangenehm ist. Er versucht wie<strong>der</strong> aufzustehen, doch er sackt<br />

mit einem Schmerzensschrei wie<strong>der</strong> zusammen und presst die Hände<br />

erneut an den Unterschenkel.<br />

„Verdammt, das sieht nicht gut aus“, meint <strong>der</strong> Trainer.<br />

„Wahrscheinlich ist es eine Zerrung, vielleicht sogar ein Muskelriss“,<br />

stellt Hans gleich selbst die Diagnose.<br />

„Dann musst du sofort ins Spital“, entgegnet einer <strong>der</strong> Umstehenden, als<br />

wüsste Hans das nicht auch gut genug.<br />

„Da muss mich aber einer hinfahren“, sagt er darauf entschieden und<br />

schaut sich schon um, ob sich einer spontan meldet.<br />

„Ich mache das“, meldet sich denn auch sofort einer.<br />

Hans dreht sich nach <strong>der</strong> Richtung, woher diese Stimme gekommen ist,<br />

und erkennt Markus, seinen alten Kumpan, mit dem er jeweils zu den<br />

Auswärtsspielen zu fahren pflegt.<br />

„Du erlaubst es doch sicher, Willi“, sagt dieser dann noch zum Trainer,<br />

worauf dieser kopfnickend antwortet: „Natürlich, du kannst nachher ja<br />

wie<strong>der</strong> kommen.“<br />

Da Hans nicht mehr allein gehen kann, muss er von Markus und Willi,<br />

den alle Spieler duzen, gestützt werden, und so bringen sie ihn zum<br />

Wagen des Kollegen. Zum Glück nimmt dieser den seinen immer zu den<br />

Trainings mit, so dass Hans gleich seine eigene Kutsche zur Verfügung<br />

hat. Bevor sie einsteigen, sagt er noch zu den umstehenden Kollegen:<br />

„Ist nicht so schlimm. Macht ruhig weiter!“<br />

Kurz bevor sie abfahren, ruft er aber noch aus: „Scheiße, dass es mich<br />

doch noch erwischt hat!“<br />

Sein Ärger ist durchaus berechtigt, denn im Verlauf seiner<br />

sechzehnjährigen Laufbahn als Fußballer hat er zwar schon manche<br />

kleinere Verletzung erlitten, aber noch nie eine Zerrung o<strong>der</strong> gar einen<br />

Muskelriss von diesem Ausmaß. An<strong>der</strong>erseits musste er nach so vielen<br />

aktiven Jahren je<strong>der</strong>zeit damit rechnen, dass es einmal geschehen<br />

könnte, in seinem Alter sowieso - und so kurz vor dem voraussichtlich<br />

193


aldigen Ende seiner Karriere, gerade auch deshalb regt er sich jetzt so<br />

fürcherlich auf.<br />

Als sie vor <strong>der</strong> Eingangstür des nächstgelegenen Krankenhauses<br />

ankommen, wird Hans bereits erwartet, denn <strong>der</strong> Trainer wollte auf<br />

sicher gehen und hat den Vorfall über sein Handy bereits gemeldet.<br />

Hans bedankt sich kurz bei Markus, <strong>der</strong> ihm noch in den Rollstuhl hilft,<br />

<strong>der</strong> herangefahren wird, und schon ist er drinnen. Die Notfallabteilung, in<br />

die er gebracht wird, befindet sich so wie in fast jedem an<strong>der</strong>en<br />

Krankenhaus aus Gründen des praktischen Transports im Erdgeschoss<br />

und ist voll von Leuten, die alle irgendetwas haben: Der eine hat einen<br />

Verband am Kopf, dort einer an <strong>der</strong> Nase, wie<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>er hat ein<br />

zugedecktes Auge.<br />

Obwohl er seit dem Beginn <strong>der</strong> Bekanntschaft mit Ulrike schon ein paar<br />

Mal in einem Krankenhaus gewesen ist, weil er sich nicht nur für sie<br />

selbst, son<strong>der</strong>n auch für ihren Beruf interessiert und deshalb darauf<br />

angewiesen war, auch einmal selbst hinzugehen und sich umzuschauen,<br />

bekommt er erst jetzt einen direkten Einblick in diesen Alltag. So erkennt<br />

er bald einmal, dass man zuerst jene Patienten behandelt, <strong>der</strong>en Fälle<br />

als schwerwiegen<strong>der</strong> eingestuft werden. Das zeigt sich auch darin, dass<br />

er selbst, <strong>der</strong> nur als leichter Fall gilt, mit <strong>der</strong> Unterhose und dem<br />

Unterleibchen bekleidet auf einem bettartigen Brett liegen bleiben und<br />

große Eiswürfel an die verwundete Stelle pressen muss, ohne dass die<br />

Krankenschwester, die ihm das verordnet hat, geschweige denn ein Arzt<br />

o<strong>der</strong> eine Ärztin sich vorerst bei ihm blicken lassen. Da außer ihm keine<br />

weitere Person mehr als leichter Fall gilt, bleibt er im Raum, in dem er<br />

untergebracht worden ist und in dem sich noch drei an<strong>der</strong>e solche<br />

improvisierte Betten befinden, eine ganze Viertelstunde mit sich und den<br />

Schmerzen allein, bis die gleiche Krankenschwester endlich wie<strong>der</strong><br />

einmal hereinkommt, ihn aber nur für einen kurzen Moment anschaut<br />

und dann fast wie nebenbei sagt: „Der Doktor kommt bald.“<br />

Sofort verschwindet sie wie<strong>der</strong>, noch bevor er sie fragen kann, was<br />

genau mit diesem „bald“ gemeint ist, und dann darf er weitere zehn<br />

Minuten warten, bis <strong>der</strong> angekündigte Mann tatsächlich erscheint. Er<br />

überprüft das Bein und stellt die Diagnose, die ja schon Hans als<br />

medizinischer Laie erkannt hat, nach wenigen Sekunden: „Das ist eine<br />

Zerrung; Sie müssen mindestens drei Wochen pausieren, vielleicht<br />

sogar vier. Wie ist das passiert?“<br />

„Im Training.“<br />

„Ah, Sie betreiben eine Sportart?“<br />

„Ja, Fußball.“<br />

194


„Gut, dann müssen Sie mindestens für vier Wochen aussetzen - bei <strong>der</strong><br />

Belastung, die ihr als Spieler immer habt.“<br />

„Ja, da haben Sie wohl recht.“<br />

Dann reibt ihm <strong>der</strong> Arzt den verwundeten Unterschenkel mit einer kühlen<br />

Salbe ein und verbindet ihn dann mit einem kaltbenetzten Verband, und<br />

als er damit fertig ist, sagt er in seinem schon gewohnt sachlichen Ton:<br />

„Sie müssen sich so bald wie möglich bei Ihrem Hausarzt melden und<br />

sich von ihm eine Dispens ausstellen lassen. So können Sie natürlich<br />

nicht arbeiten gehen.“<br />

„Auch wenn ich auf einer Bank tätig bin und keine schweren körperlichen<br />

Arbeiten verrichten muss?“<br />

„Ja, auch dann. Das Bein muss möglichst ruhig bleiben, damit die<br />

Zerrung bald verheilt. Das gilt vor allem für die erste Woche.“<br />

„Oh Schreck! Dass ich mit dem Spielen pausieren muss, ist klar, aber die<br />

vielen Chefs auf <strong>der</strong> Bank hören das sicher nicht gern, dass ich für vier<br />

Wochen ausfalle.“<br />

„So ist es eben, das ist das Leben. Bleiben Sie vorläufig noch ein<br />

bisschen liegen! Die Schwester kommt später noch einmal vorbei und<br />

schaut nach Ihnen.“<br />

Kaum hat <strong>der</strong> Arzt diese Worte gesagt, ist auch er wie<strong>der</strong> verschwunden,<br />

noch bevor Hans sich bei ihm richtig bedanken kann, und es<br />

verstreichen weitere zehn Minuten, bis seine Betreuerin von vorher<br />

wie<strong>der</strong> auftaucht.<br />

„Ah, <strong>der</strong> Arzt ist also schon bei Ihnen gewesen“, sagt auch sie recht<br />

sachlich, als sie den Verband sieht.<br />

„Einmal musste er ja wohl kommen“, gibt er schlagfertig zurück.<br />

„Es ist besser, Sie bleiben noch etwa eine Viertelstunde hier liegen,<br />

bevor Sie nach Hause gehen“, entgegnet sie ruhig, ohne auf seine<br />

versteckte Kritik einzugehen.<br />

„Nach Hause gehen?“, reagiert er fast belustigt, „wie stellen Sie sich das<br />

denn vor? Ruft ihr etwa von hier aus ein Taxi?“<br />

„Das müssen Sie schon allein erledigen.“<br />

„Vielen Dank, das ist wirklich freundlich.“<br />

Allmählich genießt er es, sie zu attackieren; er wird aber auch dazu<br />

provoziert.<br />

„Und wenn ich nicht einmal zu einem Taxi gehen kann?“, fragt er weiter.<br />

„Dann gehen Sie halt mit Stöcken. Wir können Ihnen ein paar geben, die<br />

werden dann über die Krankenkasse verrechnet.“<br />

„Das ist aber wirklich flott von euch.“<br />

Und schon ist auch sie wie<strong>der</strong> verschwunden und er bekommt sie nicht<br />

195


mehr zu Gesicht. So bleibt er wie geheißen noch etwa eine Viertelstunde<br />

lang liegen. Seine leichte Verärgerung über diese recht kühle<br />

Behandlung durch die Krankenschwester und den Arzt verfliegt recht<br />

schnell, denn es genügt bereits ein einziger Gedanke an die Leute, die<br />

er draußen mit den Verbänden gesehen hat, und schon kann er sich<br />

sagen, dass er im Vergleich zu denen doch noch gut weggekommen ist.<br />

So ist es also, wenn man eine Zerrung hat, sagt er darauf zu sich selbst.<br />

Jetzt ist es ihm klar, warum ein Fußballer mit dieser Verletzung so lange<br />

mit dem Spielen aussetzen muss. Schon oft hat er von bekannten<br />

Spielern in einer Zeitung gelesen, dass sie wegen einer Zerrung drei bis<br />

vier Wochen ausfielen, und natürlich hat er das manchmal auch selbst in<br />

seinem Verein miterlebt, aber immer nur bei an<strong>der</strong>en Spielern. Erst jetzt<br />

weiß er aus eigener Erfahrung, wie das ist, und es ist ihm sofort klar,<br />

warum eine Heilung so lange dauert. Das eigentlich Interessante an<br />

einer Zerrung, aber auch an den meisten an<strong>der</strong>en Verletzungen, die sich<br />

Spieler zuziehen, ist jedoch die Tatsache, dass sie meistens während<br />

eines Trainings passieren und in den Spielen im Vergleich dazu nur<br />

selten. Liegt es wohl daran, dass die Belastung <strong>der</strong> Muskeln in einem<br />

Training manchmal größer ist als in einem Spiel selbst, weil es dort trotz<br />

des Spieldrucks möglich ist, zwischenzeitlich eine kleine Pause<br />

einzulegen, wenn nicht gerade in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Position gespielt wird, wo<br />

<strong>der</strong> Trainer einen Spieler haben will? Hans hat sich das schon oft gefragt<br />

- und jetzt erst recht, da auch er zu den Verletzten gehört.<br />

Zuerst regt er sich noch ein wenig darüber auf, dass er für vier Wochen<br />

nicht mehr richtig wird gehen können und auch seinem Arbeitsplatz<br />

fernbleiben muss, doch dann sagt er sich, dass auch diese Verletzung<br />

ihre gute Seite hat. Die lange Zeit <strong>der</strong> Heilung gibt ihm schließlich die<br />

Möglichkeit, endlich einmal richtig vom Alltagsstress auszuspannen, und<br />

so kann er sich auch besser auf das konzentrieren, was die Christen an<br />

<strong>der</strong> Feldeggstraße ihm immer wie<strong>der</strong> erzählen. Nicht zuletzt kann er sich<br />

auch noch besser <strong>der</strong> Beziehung zu Ulrike widmen, insoweit sie selbst<br />

das will; er ertappt sich dabei, dass er sich sogar richtiggehend darauf<br />

freut. Vielleicht hat am Ende dieser Christengott ihm die Zerrung<br />

geschickt, damit er sich für einige Zeit besser als bisher um die Botschaft<br />

<strong>der</strong> Bibel und vor allem um die Frau kümmern kann, die er schon jetzt<br />

liebt und von <strong>der</strong> er nicht mehr lassen kann und auch nicht will.<br />

Nach einer Stunde ambulanter Behandlung in <strong>der</strong> Notfallabteilung<br />

verlässt er das Krankenhaus wie<strong>der</strong> und fühlt sich schon wie<strong>der</strong> etwas<br />

besser. Das zeigt sich vor allem darin, dass er gegenwärtig keine<br />

Schmerzen mehr spürt und ohne fremde Hilfe vom improvisierten Bett<br />

196


heruntersteigen konnte. Da es ihm nun besser geht, verzichtet er darauf,<br />

ein Taxi zu rufen, son<strong>der</strong>n versucht, die nächstgelegene<br />

Straßenbahnstation zwar mit Stöcken, aber doch allein zu erreichen. Es<br />

geht zwar nur langsam vorwärts, doch er hat jetzt ja viel Zeit. Da die<br />

Praxis seines Hausarztes zu dieser Stunde natürlich schon geschlossen<br />

ist, kann er erst morgen zu ihm gehen und sich von ihm die Dispens<br />

ausstellen lassen.<br />

Als er endlich, nach einer Reise von einer Dreiviertelstunde, in seiner<br />

Wohnung angekommen ist, verliert er keine Zeit und beeilt sich, sowohl<br />

Erwin und Bruno als auch Ulrike telefonisch mitzuteilen, was an diesem<br />

Abend vorgefallen ist, damit sie Bescheid wissen, falls er sich am<br />

nächsten Wochenende nicht blicken lassen sollte. Er hat Glück, denn<br />

alle drei sind gerade zu Hause; sie zeigen echte Anteilnahme - und er<br />

hat insofern noch mehr Glück, als vor allem Ulrike echt besorgt ist, was<br />

ihn am meisten freut und tief bewegt.<br />

13<br />

Als Brigitte Frey, die vom Ältestenrat gewissermaßen auf Ulrike<br />

angesetzt worden ist, diese kurz nach dem Gottesdienst des folgenden<br />

Sonntags, an dem sie wie<strong>der</strong> einmal frei hat, etwas zur Seite nimmt und<br />

ihr sagt, dass sie mit ihr noch über etwas Bestimmtes sprechen wolle,<br />

reagiert sie zuerst etwas überrascht; sie kann sich eben nicht vorstellen,<br />

was sie gerade heute von ihr will. Da die beiden sich aber schon sehr gut<br />

kennen und Brigittes Ton diesmal an<strong>der</strong>s ist, beginnt sie allmählich zu<br />

ahnen, worauf diese hinauswill.<br />

Hans ist zwar erschienen, aber sie sind fast nicht dazu gekommen,<br />

miteinan<strong>der</strong> zu schwatzen - sie sind ja auch zu gut überwacht worden.<br />

So begibt er sich schon bald wie<strong>der</strong> nach Hause, nachdem ein paar sich<br />

noch bei ihm über seinen Gesundheitszustand erkundigt haben; er findet<br />

es äußerst interessant, dass seine Verletzung sich in <strong>der</strong> Gemeinde<br />

schon vor diesem Tag herumgesprochen hat, obwohl er eigentlich immer<br />

noch kein Mitglied ist, weil er sich ja immer noch nicht bekehrt hat. Er ist<br />

zwar leicht enttäuscht, dass er mit Ulrike nicht richtig sprechen konnte,<br />

aber sie haben wenigstens ihren Kontakt warmgehalten, und nicht<br />

zuletzt hat ihn die Art gefreut, wie sie sich bei ihm noch einmal<br />

ausführlich erkundigt hat, wie es ihm geht.<br />

Um sich mit Ulrike in aller Ruhe aussprechen zu können, lädt Brigitte sie<br />

spontan wie<strong>der</strong> einmal zum Mittagessen nach Hause ein, was schon<br />

197


lange nicht mehr vorgekommen ist, selbst nicht an Sonntagen, an denen<br />

Ulrike einen arbeitsfreien Tag hatte - auch das ist ein untrügliches<br />

Zeichen dafür, dass sie etwas Bestimmtes vorhat. Zum Glück herrscht<br />

heute strahlendes Wetter; so kann Brigitte ihren Mann, <strong>der</strong> über ihre<br />

Absicht natürlich schon Bescheid weiß, mit den Kin<strong>der</strong>n zum<br />

Spazierengehen hinausschicken, damit sie mit Ulrike ungestört sprechen<br />

kann.<br />

Sobald die beiden es sich auf einem <strong>der</strong> beiden Sofas im Wohnzimmer<br />

bequem eingerichtet haben, kommt Brigitte gleich zur Sache, ohne dass<br />

sie vorher über die Angelegenheit beten, wie das sonst unter den<br />

Evangelikalen üblich ist, wenn sie etwas Wichtiges zu besprechen<br />

haben. Auch aus diesem Grund ahnt Ulrike noch mehr - und erst recht<br />

dann, als Brigitte in einem recht hart wirkenden Ton beginnt, und zwar im<br />

heimischen Dialekt, weil sie weiß, dass ihre Freundin diesen ohne<br />

weiteres versteht: „Ulrike, ich möchte mit dir über etwas Ernsthaftes<br />

reden; darum habe ich dich heute auch zu <strong>uns</strong> eingeladen.“<br />

„Nur darum?“, fragt diese zurück, als wäre sie ahnungslos.<br />

„Ja, in erster Linie aus diesem Grund, weil es nur hier bei <strong>uns</strong> gut geht.“<br />

„Was willst du mir denn sagen?“<br />

„Kannst du es dir nicht vorstellen? Es ist wegen deiner Beziehung zu<br />

Hans Stettler.“<br />

Gerade die Erwähnung des Familiennamens zeigt Ulrike, dass es<br />

Brigitte offensichtlich bitterernst ist und zu Hans, den sie bisher immer<br />

mit dem Vornamen angeredet hat, wie<strong>der</strong> eine gewisse Distanz zu<br />

halten gedenkt.<br />

„Was soll denn daran beson<strong>der</strong>s sein?“, fragt jetzt auch sie in hartem<br />

Ton.<br />

„Du weißt doch genau, was ich meine. Ich möchte dir klar sagen, dass<br />

du diese Beziehung nicht weiter aufrechterhalten kannst.“<br />

„Warum nicht - und wer sagt das?“<br />

„Das ist doch klar: Du kannst nicht mit einem Ungläubigen gehen, das<br />

weißt du ganz genau.“<br />

Da schweigt Ulrike einen Moment; sie hat zwar etwas in dieser Richtung<br />

geahnt, hat aber nicht mit so knallharten Worten gerechnet, schon gar<br />

nicht von ihrer besten Freundin. Dann erholt sie sich jedoch, schaut<br />

Brigitte fest in die Augen und sagt heftig: „Es stimmt nicht, dass wir<br />

miteinan<strong>der</strong> gehen. Wenn jemand das behauptet, ist es falsch, ja, ich<br />

bezeichne es sogar als eine Lüge.“<br />

„Aber ihr geht doch regelmäßig zusammen aus.“<br />

„Ja, aber es läuft nichts zwischen <strong>uns</strong>; das kannst du mir glauben.“<br />

„Aber warum gehst du denn immer wie<strong>der</strong> mit ihm aus, wenn zwischen<br />

euch nichts läuft, wie du sagst?“<br />

198


„Weil ich ihn gern mag, das gebe ich zu, und weil ich ihm damit auch<br />

vom Evangelium erzählen kann.“<br />

„Muss das denn auf diese Art passieren? Kann es nicht in <strong>der</strong> Teestube<br />

sein? Abgesehen davon hätte es dafür auch noch an<strong>der</strong>e Leute, Erwin<br />

zum Beispiel, <strong>der</strong> schon ein paar Mal mit ihm geredet hat, wie ich gehört<br />

habe.“<br />

„Eine so harte Haltung von dir hätte ich nie erwartet, gerade von dir<br />

nicht. Du kannst mir glauben, dass zwischen <strong>uns</strong> nichts läuft. Wir bleiben<br />

beide auf Distanz - auch von seiner Seite aus -, und er hat noch nie<br />

versucht, mich zu umarmen o<strong>der</strong> sogar zu küssen.“<br />

„Aber es ist doch klar, dass er etwas Bestimmtes von dir will. Sonst<br />

würde er nicht solchen Wert darauflegen, mit dir auszugehen.“<br />

„Er mag mich eben auch, sogar beson<strong>der</strong>s gern, und er hat es mir auch<br />

schon gesagt. Aber es ist wirklich nie etwas gewesen zwischen <strong>uns</strong>, er<br />

ist eben ein anständiger Mann mit guten Manieren.“<br />

„Das kann sich schnell än<strong>der</strong>n, wenn er wirklich etwas von dir will. Warte<br />

es mal ab!“<br />

„Das ist aber gemein, wie du von ihm redest. Du hast doch heute auch<br />

gesehen, dass er fast nicht gehen kann und noch ein paar Wochen<br />

verletzt ist. Meinst du wirklich, ich könnte mich nicht wehren, wenn er zu<br />

weit gehen würde - jetzt mit seiner Verletzung?“<br />

„Die wird aber auch einmal verheilen - und wie wird es dann<br />

weitergehen? Hast du dir das schon mal gründlich überlegt?“<br />

„Du bist ungerecht; du richtest über ihn, ohne ihn näher zu kennen.<br />

Dabei weißt du nicht, wie er wirklich ist. Ich habe Vertrauen zu ihm, dass<br />

er nie zu weit gehen wird, solange ich selbst es nicht will - dazu ist er viel<br />

zu lieb.“<br />

„Lieb? Meinst du das wirklich so?“<br />

„Warum soll ich das nicht sagen? Ich finde ihn wirklich lieb, aber das<br />

muss noch lange nicht heißen, dass zwischen <strong>uns</strong> etwas läuft.“<br />

Nach diesen Worten schweigt Brigitte eine Weile und schaut die an<strong>der</strong>e<br />

prüfend an, die wie<strong>der</strong>um etwas ver<strong>uns</strong>ichert den Kopf senkt. Schließlich<br />

sagt sie langsam, indem sie Ulrike fest in die Augen schaut, als sie diese<br />

wie<strong>der</strong> erhebt: „Weißt du was? So wie du von ihm redest, bekomme ich<br />

immer mehr den Eindruck, dass du ihn nicht nur sehr gern magst,<br />

son<strong>der</strong>n dass deine Gefühle für ihn noch tiefer gehen, auch wenn du das<br />

vielleicht selber nicht weißt.“<br />

„Worauf willst du hinaus?“<br />

„Ich merke es dir doch an, dass du ihn insgeheim liebst, auch wenn du<br />

sagst, dass zwischen euch nichts läuft.“<br />

„Das habe ich aber nicht gesagt!“<br />

„Direkt zwar nicht, aber es ist dir anzumerken. Mach mir doch nichts vor,<br />

199


Ulrike! Dafür kenne ich dich schon viel zu lange. Ich sage es dir ganz<br />

klar: Du liebst ihn.“<br />

Da Ulrike sich völlig überrumpelt fühlt und deshalb nicht gleich antwortet,<br />

setzt Brigitte nach: „Sag mir ehrlich: Liebst du ihn?“<br />

Lange überlegt sich Ulrike eine Antwort, denn sie hat nicht mit einem<br />

solchen Frontalangriff gerechnet. Es dauert mehr als eine halbe Minute,<br />

bis sie sich schließlich zu diesen Worten durchringt: „Wenn du mich<br />

schon so direkt fragst ... ich weiß nicht so recht ... ich glaube ja ... du<br />

hast Recht … ja, ich liebe ihn.“<br />

Sie liebt ihn also doch! Jetzt hat sie es selbst gesagt. Plötzlich fühlt sie<br />

sich von einer Last befreit, jetzt, da das, was sie im Innersten bereits<br />

gefühlt hat und sich selbst nie eingestehen wollte, aus ihr<br />

herausgekommen und in Worte gekleidet worden ist. Sie liebt Hans also<br />

wirklich, auf einmal ist ihr das klar geworden!<br />

Schnell wird sie jedoch auf den Boden <strong>der</strong> Tatsachen zurückgeholt, als<br />

sie wie aus <strong>der</strong> Ferne Brigittes harte Worte hört: „Also doch! Das macht<br />

das Ganze noch schlimmer.“<br />

„Was meinst du damit?“, fragt Ulrike erneut in ebenso hartem Ton.<br />

„Du weißt doch selber gut genug, dass du keinen Ungläubigen heiraten<br />

kannst.“<br />

„Wer redet denn von Heiraten? Du fängst damit an!“<br />

„Mach mir doch nichts vor! Du bist schon bald 30-jährig; da ist es logisch,<br />

dass eine gläubige Frau in deinem Alter ganz konkret an eine Heirat<br />

denkt, wenn sie sich in einen Mann verliebt, und erst recht dann, wenn<br />

<strong>der</strong> Mann sie auch liebt. Er liebt dich doch auch - o<strong>der</strong> etwa nicht? Sonst<br />

wäre er nicht so hinter dir her und es ist ihm auch deutlich anzumerken,<br />

dass er für dich etwas übrighat.“<br />

„Ja, er hat mir schon gesagt, dass er mich liebt, und ich habe es gespürt,<br />

dass er es ehrlich gemeint hat.“<br />

„Siehst du! Das habe ich mir gedacht. Also ist es logisch, dass ihr beide<br />

früher o<strong>der</strong> später von einer Heirat reden werdet. Immerhin würdet ihr<br />

rein äußerlich gesehen nicht schlecht zusammenpassen.“<br />

„Daran habe ich bis heute aber nie gedacht, das kannst du mir glauben.“<br />

„Aber früher o<strong>der</strong> später wird das sicher kommen. Und was dann? Wie<br />

stellst du dir eine Zukunft mit einem Mann vor, <strong>der</strong> nicht an den Herrn<br />

glaubt? Ich kann dir nur raten, diesen Fehler nicht zu machen; du<br />

würdest dein Leben lang nur unglücklich sein. Es gibt schon genug<br />

an<strong>der</strong>e Paare mit einem ungläubigen Mann und einer unglücklichen<br />

Frau.“<br />

„Er kann sich doch auch einmal bekehren.“<br />

„Ja, das schon - aber bist du da so sicher? Und wenn er es nicht tut und<br />

vielleicht sein ganzes Leben lang nicht? Es steht doch im Wort ganz klar,<br />

200


dass wir <strong>uns</strong> nicht mit Ungläubigen zu einer Ehe verbinden sollen, und<br />

das weißt du ganz genau. Ich habe schon zu viele solche Ehepaare<br />

gesehen, bei denen die Frau meinte, ihr Mann würde sich irgendwann<br />

schon einmal bekehren, und er tat es doch nie. Wozu auch? Er hatte es<br />

ja bequem mit einer Frau, die als Gläubige zu ihm stand und sich für ihn<br />

aufopferte. Okay, wenn sie erst nach <strong>der</strong> Heirat zum Glauben kommt, ist<br />

das etwas an<strong>der</strong>es, aber solange sie noch allein ist, sollte sie zuerst<br />

abwarten, bis er sich bekehrt, o<strong>der</strong> lieber nicht heiraten, auch wenn sie<br />

glaubt, sie liebe ihn <strong>uns</strong>terblich. Es ist schon schwer genug, wenn ein<br />

gläubiger Mann eine ungläubige Frau hat, doch das ist weniger<br />

schwerwiegend, weil nach allen Erfahrungen viele dieser Frauen sich<br />

früher o<strong>der</strong> später auch noch bekehren, aber umgekehrt ist es viel<br />

schlimmer. Glaub mir, Ulrike, ich weiß, wovon ich rede! Darum bitte ich<br />

dich: Mach dich nicht unglücklich, auch wenn du ihn liebst! Warte lieber<br />

noch ein bisschen ab, bevor du deine Beziehung zu ihm noch weiter<br />

vertiefst!“<br />

„Du kannst das alles leicht sagen; schließlich hast du einen Mann und<br />

bist erst noch glücklich mit ihm, und dazu hast du noch zwei herzige<br />

Kin<strong>der</strong>. Ich aber bin allein und muss auf all dies verzichten, und an<br />

jedem Wochenende muss ich mitansehen, wie glücklich ihr und an<strong>der</strong>e<br />

Familien seid. Dann wird es mir jedes Mal umso deutlicher bewusst, wie<br />

allein ich bin, je älter ich werde. Kannst du dir nicht vorstellen, wie<br />

schwer das für mich ist, o<strong>der</strong> hast du schon vergessen, wie es war, als<br />

auch du noch ledig warst und dich nach einem lieben Mann gesehnt<br />

hast? Wie viele Male haben wir doch darüber geredet und zusammen<br />

dafür gebetet, dass wir beide in dieser Beziehung glücklich werden!“<br />

Jetzt überlegt auch Brigitte eine ganze Weile, was sie darauf antworten<br />

soll, bis sie schließlich diese Worte findet und langsam vorbringt: „Ich<br />

muss dir etwas sagen, Ulrike: Du hast Recht damit, dass ich es schön<br />

habe, weil ich einen lieben Mann und zwei herzige Kin<strong>der</strong> habe, und ich<br />

bin Gott auch dankbar dafür, dass ich so glücklich sein darf. Allerdings<br />

ist es ein Glück, das einem nicht wie selbstverständlich in den Schoß<br />

fällt, son<strong>der</strong>n eines, das jeden Tag und manchmal auch jede Nacht neu<br />

erkämpft werden muss, auch unter gläubigen Ehepaaren. Das können<br />

nur solche richtig verstehen, die selber auch verheiratet sind.“<br />

„Was meinst du denn mit diesem Erkämpfen, wenn ich schon so<br />

unwissend bin, wie du das ausdrückst?“<br />

„Glaubst du wirklich, in einer Ehe sei alles immer nur ein<br />

Zuckerschlecken, auch wenn man sich liebt und erst noch gläubig ist?<br />

Auch bei <strong>uns</strong> gibt es manchmal Reibereien und ab und zu auch Streit,<br />

aber im Gegensatz zu den Paaren, die den Herrn nicht kennen, können<br />

wir alle <strong>uns</strong>ere Probleme vor ihn bringen und sie mit seiner Hilfe lösen.<br />

201


Das ist sicher <strong>der</strong> Hauptgrund dafür, dass es unter den Gläubigen nicht<br />

zu so vielen Scheidungen kommt wie in <strong>der</strong> Welt draußen, aber auch wir<br />

müssen jeden Tag von neuem für <strong>uns</strong>er Glück kämpfen. Gerade<br />

gläubige Ehepaare haben es in Wirklichkeit noch viel schwerer als<br />

ungläubige, weil wir <strong>uns</strong> nicht einfach scheiden lassen und dann wie<strong>der</strong><br />

verheiraten können wie die an<strong>der</strong>en, und auch das weißt du ja genau,<br />

weil es so geschrieben steht. Der Feind weiß das natürlich ebenfalls und<br />

versucht darum umso mehr, <strong>uns</strong> anzugreifen und zwischen die Männer<br />

und Frauen einen Keil zu treiben, und wenn es ihm tatsächlich einmal<br />

gelingt, ist seine Freude umso größer. Lei<strong>der</strong> kommt es so manchmal<br />

auch unter gläubigen Ehepaaren zu einer Scheidung, aber zum Glück<br />

nur selten.<br />

Zu all dem kommt noch etwas, das immer wie<strong>der</strong> gern vergessen wird:<br />

Auch gläubige Ehepaare haben keinen Garantieschein von oben, dass<br />

sie viele Jahre zusammenbleiben können, auch wenn sie fest<br />

zusammenhalten und dem Herrn treu dienen. Ich habe schon selber<br />

Paare gekannt, bei denen ein Partner monatelang o<strong>der</strong> gar jahrelang<br />

schwerkrank war o<strong>der</strong> frühzeitig starb, und <strong>der</strong> Mann o<strong>der</strong> die Frau<br />

standen dann auf einmal allein da, und oft noch mit Kin<strong>der</strong>n dazu.<br />

Meistens sind sie dann schon in einem Alter, in dem es für eine neue<br />

Ehe schon zu spät ist, und für die Frauen trifft das erst recht zu. Auch<br />

das ist ein schwerer Kampf, <strong>der</strong> auszufechten ist und den die Ledigen<br />

sich gar nicht vorstellen können, weil sie in den meisten Fällen ja nur für<br />

sich selber sorgen müssen.<br />

Und wenn ich schon von Kin<strong>der</strong>n geredet habe, muss ich dir auch noch<br />

das sagen: Solange jemand alleinstehend ist, kann er o<strong>der</strong> sie immer<br />

irgendwie einen <strong>Weg</strong> finden, um sich mit allen Leuten zu arrangieren.<br />

Damit meine ich vor allem die lieben Nachbarn, die wir <strong>uns</strong> eben nicht<br />

aussuchen können. Es ist schon schwer genug, mit allen<br />

zurechtzukommen, wenn man verheiratet ist, weil vor allem wegen <strong>der</strong><br />

Benützung <strong>der</strong> Waschküche oft gestritten wird, aber wenn dann noch<br />

Kin<strong>der</strong> dazukommen, wird es noch viel schwerer. Du kannst dir gar nicht<br />

vorstellen, was da alles auf <strong>uns</strong> zukommt, und vor allem auf die Frauen,<br />

die ja meistens allein für den Haushalt und die Kin<strong>der</strong> sorgen, und die<br />

gläubigen erst recht, weil ja die meisten Männer arbeiten. Immer wie<strong>der</strong><br />

wird ein Kind krank, so dass du manchmal den Mann anrufen und ihn<br />

vom Arbeitsplatz wegrufen musst, und immer wie<strong>der</strong> musst du zu einem<br />

Arzt rennen, in den ersten Jahren mit den vielen Impfungen sowieso.<br />

Aber das ist noch längst nicht alles: Früher o<strong>der</strong> später kommt es zu<br />

einem heftigen Streit mit Nachbarn, weil die Kin<strong>der</strong> halt Lärm machen<br />

o<strong>der</strong> auch nur laut weinen, und schlimm wird es vor allem dann, wenn es<br />

mit bösartigen Kin<strong>der</strong>n von ungläubigen Eltern Streit gibt, weil dann auch<br />

die Eltern plötzlich zu Feinden werden, falls sie es nicht schon vorher<br />

202


waren, und wenn sie einmal in den Kin<strong>der</strong>garten und in die Schule<br />

gehen, wird alles noch viel schlimmer, weil du dann die Kin<strong>der</strong> nicht<br />

mehr den ganzen Tag unter deiner Aufsicht hast und so nie weißt, ob<br />

eines deiner Kin<strong>der</strong> nicht irgendwann von einem Rüpel<br />

zusammengeschlagen wird. Man hört und liest ja allerhand in den<br />

Zeitungen darüber, und das Himmeltraurige am Ganzen ist, dass du in<br />

einem solchen Fall von den Behörden und sogar von <strong>der</strong> Polizei<br />

meistens im Stich gelassen wirst, an<strong>der</strong>erseits aber auch nicht<br />

Selbstjustiz üben darfst, obwohl das manchmal die einzige richtige<br />

Lösung wäre - Glaube hin o<strong>der</strong> her. Ich sehe das ja bei meinem älteren<br />

Kind, das jetzt in den Kin<strong>der</strong>garten geht. Es ist zwar noch nichts<br />

Schlimmes passiert, aber du musst trotzdem jeden Tag zittern, und wenn<br />

ich daran denke, dass meine Kin<strong>der</strong> einmal wegen ihres Glaubens<br />

Schwierigkeiten bekommen, wenn jemand mit einem an<strong>der</strong>en Glauben<br />

o<strong>der</strong> aus dem esoterischen Lager sie unterrichtet, und vielleicht aus<br />

diesem Grund trotz guter Noten keine höhere Schule besuchen dürfen<br />

wie früher in den kommunistischen und noch heute in den islamischen<br />

Staaten, wird mir noch angst und bange. Du weißt ja auch gut genug, in<br />

was für einer Zeit wir heute leben, wie sich das Antichristentum immer<br />

mehr zusammenbraut ... Nein, Ulrike, so leicht, wie du glaubst, ist es<br />

auch unter <strong>uns</strong> Gläubigen nicht, verheiratet zu sein, und erst recht dann<br />

nicht, wenn noch Kin<strong>der</strong> dazukommen.“<br />

Nach diesen Worten schweigen beide eine ganze Weile und es fällt<br />

ihnen erst jetzt ein, dass auf dem Marmortischchen vor ihnen immer<br />

noch zwei bis an den Rand gefüllte Gläser Limonade stehen, die sie vor<br />

lauter Reden noch gar nicht berührt haben.<br />

Nachdem sie beide endlich etwas getrunken haben, nimmt Ulrike den<br />

Faden wie<strong>der</strong> auf: „Ich danke dir, Brigitte, dass du so klar geredet und all<br />

diese Probleme vorgebracht hast. Ich muss zugeben, dass ich viel zu<br />

wenig an all dies gedacht habe. Aber jetzt muss auch ich dir etwas<br />

sagen: Auch wenn so viele Probleme zu lösen sind, haben wir doch<br />

immer noch den Herrn, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> dabei hilft, wie du vorher selbst gesagt<br />

hast. Wenn wir <strong>uns</strong> jedes Mal von vornherein von allem abschrecken<br />

lassen, was auf <strong>uns</strong> zukommen kann, auch wenn wir gläubig sind,<br />

müssen wir schon gar nicht erst heiraten; dann hättest auch du nicht<br />

heiraten und Kin<strong>der</strong> haben müssen. Wir haben doch ihn, <strong>der</strong> <strong>uns</strong> immer<br />

treu ist und <strong>uns</strong> aus allem heraushilft, wenn wir ihn nur darum bitten.<br />

Darum bin ich zuversichtlich, dass er mir auch in einer solchen Lage<br />

helfen wird; ja, Brigitte, ich habe keine Angst vor dem, was auf mich<br />

zukommt. In meinen Augen ist ein Glaube, <strong>der</strong> wegen je<strong>der</strong><br />

Schwierigkeit gleich ins Zittern gerät, ohnehin so schwach, dass die<br />

Betreffenden sich mal ernsthaft fragen müssen, ob die Ursachen für ihre<br />

Ängste nicht gerade darin liegen.“<br />

203


Darauf fragt Brigitte nach kurzem Zögern, indem sie Ulrike wie<strong>der</strong> einmal<br />

scharf in die Augen schaut: „Willst du damit etwa sagen, dass du am<br />

Ende doch vorhast, diesen Hans zu heiraten?“<br />

„Wie redest du denn von ihm?“, entgegnet diese denn auch entrüstet, „er<br />

ist nicht ‚dieser Hans’, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Mann, den ich liebe. Du hast das<br />

schließlich selbst gesagt - und erst noch vor mir.“<br />

Wie<strong>der</strong> schweigen beide eine Weile, bis Brigitte langsam sagt, aber ohne<br />

Ulrike offen in die Augen zu schauen: „Ja, ich merke es dir deutlich an,<br />

dass du ihn wirklich liebst. Vielleicht ist er sogar <strong>der</strong> Mann, den <strong>der</strong> Herr<br />

dir noch schenken will, auch wenn er jetzt noch nicht gläubig ist.“<br />

„Er kann es ja immer noch werden“, wirft Ulrike sofort dazwischen, „es<br />

geschehen doch immer wie<strong>der</strong> Wun<strong>der</strong>, gerade was Bekehrungen<br />

betrifft.“<br />

„Das wäre sicher herrlich für dich und natürlich auch für ihn. Trotzdem<br />

möchte ich dich nochmals bitten: Überstürz nichts, warte noch ein<br />

bisschen, bis er sich vielleicht wirklich bekehrt! Versprichst du mir das?<br />

Ich will doch nur dein Glück, das darfst du mir glauben.“<br />

„Meinst du nicht, ich wüsste nicht selbst sehr genau, was ich will? Du<br />

solltest mich besser kennen. Natürlich ist seine Bekehrung die<br />

Bedingung - vorher bekommt er mich nicht, und mag er noch so nett und<br />

sympathisch sein. Ich habe ihm das auch schon deutlich genug zu<br />

verstehen gegeben. Es ist mir klar, dass eine schwere Zeit <strong>der</strong> Prüfung<br />

und Bewährung auf mich zukommt.“<br />

„Das beruhigt mich - also ist doch nicht alles so schlimm, wie es zuerst<br />

ausgesehen hat.“<br />

„Wie meinst du das?“, fragt Ulrike sofort, da Brigitte plötzlich leiser<br />

geworden und auch ihr Ton an<strong>der</strong>s ist; zudem wagt sie es nicht einmal<br />

mehr, sie offen anzuschauen.<br />

„Ulrike, ich muss dir etwas gestehen“, antwortet sie schließlich nach<br />

einer geraumen Weile, „die Idee, mit dir über deine Beziehung zu Hans<br />

zu reden, ist nicht allein von mir gekommen, aber immerhin zum Teil<br />

doch auch von mir.“<br />

„Mit an<strong>der</strong>en Worten heißt das also, dass du vorgeschickt und auf mich<br />

angesetzt worden bist? Und ich habe schon gedacht, es wäre ein<br />

vertrauliches Gespräch, von dem nur wir zwei und dein Mann wissen<br />

und das unter <strong>uns</strong> bleibt. Wirklich, das hätte ich nie von dir erwartet,<br />

dass du dich für sowas missbrauchen lässt!“<br />

„Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte früher o<strong>der</strong> später einer <strong>der</strong><br />

Ältesten mit dir darüber geredet. Mach dir doch nichts vor! In <strong>der</strong> ganzen<br />

Gemeinde wird schon über euch zwei getuschelt und hinten herum<br />

geredet. Weil die Ältesten aber wissen, dass wir zwei gute Freundinnen<br />

204


sind, und weil ich eine <strong>der</strong> Leiterinnen <strong>der</strong> Frauengruppe bin, also auch<br />

schon eine gewisse Position habe, bin ich gebeten worden, als Erste mit<br />

dir zu reden, aber du kannst mir glauben, dass ich das unabhängig<br />

davon auch schon selber vorhatte.“<br />

„Trotzdem ist es nicht freundschaftlich, wie du vorgegangen bist. Du<br />

hättest mir das wenigstens gleich am Anfang sagen müssen.“<br />

„Jetzt weiß ich auch, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber ich habe<br />

vorher wirklich nicht gewusst, dass du ihn schon so liebst. Glaub mir,<br />

Ulrike, ich will wirklich nur dein Bestes!“<br />

„Du hast mich aber trotzdem hintergangen, als etwas an<strong>der</strong>es kann ich<br />

das nicht sehen. Und du willst meine beste Freundin sein? Ihr urteilt alle<br />

über Hans, als würdet ihr ihn schon so gut kennen, und vergesst dabei,<br />

dass <strong>der</strong> Herr vielleicht gerade mich benützen will, um ihm den Heilsweg<br />

zu zeigen, auch wenn das auf diese ungewöhnliche Weise geschieht.“<br />

Dann hält sie kurz inne und sagt dann weiter: „Du kannst deinen<br />

Auftraggebern ausrichten, dass ich sehr wohl selbst weiß, was ich zu tun<br />

habe, und wenn ihr mit eurem Gerede nicht endlich aufhört, trete ich aus<br />

<strong>der</strong> Gemeinde aus und suche mir eine an<strong>der</strong>e, wo die Leute toleranter<br />

sind und das Wort ‚Nächstenliebe’ auch wirklich ernst nehmen. Damit<br />

habe ich alles gesagt.“<br />

Jetzt erhebt sie sich entschlossen und will sich schon zur Ausgangstür<br />

begeben, doch da steht Brigitte ebenfalls sofort auf und stellt sich ihr in<br />

den <strong>Weg</strong>, indem sie beide Hände auf ihre Schultern legt.<br />

Dann bittet sie in geradezu flehendem Ton: „Ulrike, bitte geh nicht weg!<br />

Ich weiß, dass ich falsch vorgegangen bin, und es tut mir wirklich leid.<br />

Bitte vergib mir! Du bist doch schon seit vielen Jahren meine beste<br />

Freundin - und ich will dich nicht als Freundin verlieren. Ich kenne dich<br />

schon so lange, schon seit <strong>der</strong> Zeit, als ich noch jung im Glauben war<br />

und du mein Vorbild warst, auch wenn ich älter bin als du, weil du schon<br />

viel länger gläubig bist und ich so viel von dir lernen konnte. Glaub mir,<br />

ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass auch du noch einen lieben<br />

Mann bekommst, mit dem du glücklich werden kannst! Jetzt weiß ich,<br />

wie sehr du Hans liebst, und dass du dich auch darum bemühst, ihn zum<br />

Herrn zu führen. Ich gebe ja auch zu, dass er nett und sympathisch ist,<br />

und man sieht es euch an, dass ihr gut zusammenpassen würdet. Aber<br />

ich bitte dich noch einmal: Warte zuerst, bis er sich wirklich bekehrt,<br />

bevor ihr eure Beziehung vertieft! Ich will dir dabei helfen und gezielt für<br />

ihn beten, damit auch er zum Herrn findet.“<br />

Die beiden haben fast nicht bemerkt, dass ihre Augen sich unterdessen<br />

mit Tränen gefüllt haben. Es wird ihnen erst bewusst, als sie sich fast<br />

nicht mehr sehen.<br />

205


„Du stehst also hinter mir und willst auch für ihn und <strong>uns</strong> beide beten?“,<br />

fragt Ulrike schließlich erleichtert.<br />

„Ja, das will ich tun - ich verspreche es dir.“<br />

„Danke, Brigitte! Du bist halt doch noch meine beste Freundin.“<br />

„Versprichst du mir aber auch das, worum ich dich bitte?“<br />

„Aber natürlich, du solltest mich doch langsam kennen.“<br />

Damit steht einer Versöhnung nichts mehr im <strong>Weg</strong> und bevor Ulrike nach<br />

Hause geht, küssen sich die beiden Frauen mehrmals auf beide Wangen<br />

und umarmen sich so innig, wie nur zwei enge Freundinnen das tun<br />

können, und verharren so mehr als eine halbe Minute lang. Dann knien<br />

sie beide vor dem Sofa nie<strong>der</strong>, auf dem sie gesessen haben, und beten<br />

zusammen ein paar Minuten.<br />

14<br />

Nachdem Ulrike sich von Brigitte verabschiedet hat und in ihrem Wagen<br />

sitzt, ist sie so unruhig und aufgewühlt wie lange nicht mehr, ja, sie fühlt<br />

sich auf einmal nie<strong>der</strong>geschlagen und schrecklich allein, und zwar so<br />

allein, dass sie meint, auch ihr bisher unerschütterlicher Glaube an Gott<br />

und an Jesus Christus könne ihr jetzt nicht mehr weiterhelfen. Noch nie<br />

zuvor hat sie so gründlich über ihr ganzes Leben nachgedacht wie in<br />

diesen Stunden; sie fühlt, dass sie sich in einer so verflixt schwierigen<br />

Lage befindet, aus <strong>der</strong> sie nur befreit werden kann, wenn sie die<br />

richtigen Entscheidungen trifft.<br />

Doch was ist schon eine richtige Entscheidung, wenn eine Frau, die<br />

jahrelang auf einen Mann gewartet hat, <strong>der</strong> sie liebt und den auch sie<br />

lieben kann, jetzt endlich einen solchen gefunden zu haben scheint und<br />

trotzdem noch nicht voll zu dieser Liebe stehen kann? Sobald sie zu<br />

Hause angekommen ist, legt sie sich auf das Bett, starrt bewegungslos<br />

an die Decke und beginnt zu grübeln. Das ist es also, von dem sie so oft<br />

geträumt hat, von dem sie sich jedoch nie etwas Klares vorstellen<br />

konnte, weil sie es bisher nie richtig erlebt hat. Das ist also die Liebe,<br />

dieses son<strong>der</strong>bare Gefühl - diese Schmetterlinge im Bauch, wie viele<br />

an<strong>der</strong>e und vor allem Frauen das so nennen -, das sie sich auch deshalb<br />

nie recht vorstellen konnte, weil sie sich zum Teil auch dagegen<br />

gesträubt hat, solange sie nicht den Mann fand, bei dem sie sicher sein<br />

konnte, dass er <strong>der</strong> Mann ihres Lebens werden könnte. Jetzt, da Brigitte<br />

sie buchstäblich zur Rede gestellt und sie direkt gefragt hat, ob sie Hans<br />

liebt, ist es heraus; jetzt ist <strong>der</strong> noch hemmende Knoten geplatzt und sie<br />

weiß im Innersten ihres Herzens, dass sie ihn wirklich liebt und sich nicht<br />

mehr dagegen wehren kann. Der alte und immer wie<strong>der</strong> gern zitierte<br />

206


Spruch „Wo die Liebe hinfällt ...“ hat sich auch bei ihr bewahrheitet, und<br />

wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich sein will, ist sie darüber sogar<br />

erleichtert, weil sie endlich dieses Gefühl und diese Bauchschmetterlinge<br />

auch kennen lernen darf.<br />

Kann sie aber wirklich erleichtert sein, wenn sie bedenkt, dass Hans<br />

ihren Glauben gar nicht teilt, dass er ihn zwar akzeptiert und das auch<br />

schon bewiesen hat, aber eben sich noch nicht zum Herrn bekehrt hat<br />

und keine Anstalten zeigt, es in absehbarer Zeit tun zu wollen? Ist es<br />

nicht ein gewisses Risiko, ihre Liebe ausgerechnet ihm zu schenken?<br />

Wie<strong>der</strong> denkt sie an diesen Spruch und erinnert sich daran, dass sie<br />

schon mannigfaltige Geschichten über Frauen gelesen hat, die sich auf<br />

son<strong>der</strong>barste Weise in Männer verliebten, und dass dies buchstäblich<br />

aus heiterem Himmel geschah. Da las sie einmal von einer Frau, die sich<br />

allein durch das Lesen eines Liebesromans nicht etwa in einen Mann<br />

aus <strong>der</strong> Geschichte verliebte, son<strong>der</strong>n in den Autor, obwohl sie diesen<br />

überhaupt nicht kannte, und darauf alles daransetzte, um ihn persönlich<br />

kennen zu lernen, und es nach monatelangen Geduldsproben auch<br />

tatsächlich schaffte - allerdings stand dann nirgendwo geschrieben, ob<br />

es zwischen ihr und dem Autor tatsächlich eine neue Liebesbeziehung<br />

gab. Dazu hat sie auch von mehreren Frauen gehört, die sich in<br />

Kriminelle und teilweise sogar in mehrfache Mör<strong>der</strong> verliebten, ohne<br />

dass sie das zunächst wollten.<br />

Ja, wenn eine Frau wirklich liebt, tut sie das gründlich, selbst wenn <strong>der</strong><br />

betreffende Mann eine so innige Liebe manchmal gar nicht verdient hat.<br />

Ulrike hat bis heute nie begreifen können, dass einer Frau so etwas<br />

passieren und sie sich in einen unbekannten Autor o<strong>der</strong> gar in einen<br />

Mör<strong>der</strong> verlieben konnte - und erst recht in einen solchen, <strong>der</strong> sich auf<br />

Frauenmorde spezialisiert hatte -, und jetzt befindet sie sich plötzlich<br />

selbst in einer ähnlichen Lage. Dabei besteht natürlich <strong>der</strong><br />

entscheidende Unterschied darin, dass Hans sicher ein rechtschaffener<br />

und ehrlicher Mann ist, <strong>der</strong> sich noch nie etwas gegen Mitmenschen<br />

zuschulden kommen ließ, <strong>der</strong> auch gut und sportlich aussieht, nett und<br />

gebildet ist und gute Manieren hat, die er sich zum Teil wohl auch auf<br />

den Banken angeeignet hat, in denen er arbeitete. Es würde also sehr<br />

viel, wenn nicht gar alles dafür sprechen, dass die beiden füreinan<strong>der</strong><br />

geschaffen sind - aber eben, etwas Entscheidendes steht immer noch<br />

zwischen ihnen. In ihrem Kopf dreht sich alles, während ihr Herz wild<br />

pocht, und auf einmal fühlt sie sich wie<strong>der</strong> in eine tiefe und unendlich<br />

scheinende Trauer versetzt. Kann sie es riskieren, einen Mann zu<br />

heiraten, den sie zwar liebt und <strong>der</strong> sie offensichtlich auch liebt, <strong>der</strong> aber<br />

noch immer ein Ungläubiger ist? Ist es wirklich eine Prüfung für sie, wie<br />

207


ihre beste Freundin das so ausgedrückt hat? Ja, Brigitte hat leicht reden,<br />

sie mit ihrem Ehemann und den beiden Kin<strong>der</strong>n, die ihr Leben ausfüllen<br />

und glücklich machen - und dennoch könnte sie Recht haben.<br />

Noch einmal denkt sie an die Zeit zurück, als sie schon als zehnjähriges<br />

Mädchen sich ganz bewusst zu Jesus Christus bekehrte und ihm ihr<br />

Leben anvertraute, und all die Jahre hindurch hat sie seine Führung und<br />

auch seine Liebe immer wie<strong>der</strong> neu erfahren können. Nein, sie musste<br />

ihre Bekehrung nie bereuen, auch wenn sie bis heute noch nie einen<br />

richtigen Freund hatte und nicht wenige ungläubige Freunde und<br />

Bekannte sowohl in Deutschland als auch in <strong>der</strong> Schweiz ihr mehr als<br />

einmal gesagt haben, sie würde am wirklichen Leben vorbeigehen. Sie<br />

war dem Herrn immer treu verbunden und hat es dabei auch in Kauf<br />

genommen, dass sie allein und immer noch eine Jungfrau geblieben ist,<br />

aber sie hat in Gedanken und oft auch im Gebet fest darauf vertraut,<br />

dass er ihr eines Tages doch noch einen Mann zuführen wird, dem sie<br />

ihre ganze Liebe schenken kann, wenn er den Zeitpunkt für gekommen<br />

hält.<br />

Ist es jetzt tatsächlich so weit o<strong>der</strong> ist es nur eine Prüfung, weil es ihr am<br />

Ende vielleicht doch vorbestimmt ist, ihr ganzes Leben lang ledig und<br />

damit auch eine Jungfrau zu bleiben, wie das schon mit unzähligen<br />

gläubigen Frauen in allen Jahrhun<strong>der</strong>ten so geschehen ist? Gibt es aber<br />

so etwas wie eine Vorbestimmung? Kann es <strong>der</strong> Herr wirklich wollen,<br />

dass eine gesunde und normal empfindende Frau o<strong>der</strong> auch ein Mann,<br />

<strong>der</strong> die gleichen Qualitäten hat, allein bleiben, auch wenn sie sich im<br />

tiefsten Grund ihres Herzens nach einem Lebenspartner<br />

beziehungsweise nach einer Lebenspartnerin sehnen? Hat Gott nicht<br />

<strong>uns</strong> allen auch in dieser Beziehung die freie Entscheidung gelassen, wie<br />

wir <strong>uns</strong>er Leben gestalten sollen?<br />

Da fallen ihr wie<strong>der</strong> die zwei Prediger ein, die seinerzeit die Kühnheit<br />

aufbrachten, das Thema „Ledig bleiben o<strong>der</strong> heiraten“ aufzugreifen,<br />

wobei sie vor allem die Frauen im Visier hatten. Während <strong>der</strong> eine dies<br />

während einer großen öffentlichen Versammlung tat, geschah es beim<br />

an<strong>der</strong>en in einem viel kleineren Kreis, in dem alle einan<strong>der</strong> persönlich<br />

kannten, so dass das Ganze umso peinlicher wirkte. Da meinten die<br />

beiden tatsächlich, gewissen Frauen sei es vorbestimmt, das Opfer zu<br />

bringen und ledig zu bleiben, wobei <strong>der</strong> letztere noch hinzufügte, dass<br />

Gott schließlich wisse, was für sie alle das Beste sei. Dabei waren sie<br />

selbst natürlich verheiratet und mussten sich somit nicht in die<br />

verzweifelte seelische Lage versetzen, in <strong>der</strong> Ulrike selbst und viele<br />

an<strong>der</strong>e Frauen sich befanden o<strong>der</strong> immer noch befinden. Sie erinnert<br />

208


sich noch daran, dass an diesen beiden Abenden nicht nur sie selbst,<br />

son<strong>der</strong>n auch noch manche an<strong>der</strong>e Frau bleich wurde und sie alle<br />

auffallend bedrückt den Saal verließen, ein paar davon sogar mit Tränen<br />

in den Augen. Es ist nun einmal eine traurige Tatsache, dass <strong>der</strong> harte<br />

Kampf in <strong>der</strong> Mission draußen, in <strong>der</strong> es seit jeher viel zu wenige<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, die bereit sind, in die weite Welt<br />

hinauszuziehen, nicht wenige Prediger zu hartherzigen Pharisäern und<br />

Schriftgelehrten gemacht hat, denen es meistens selber gut geht und die<br />

diese seelische Notlage, in <strong>der</strong> sich viele Männer und vor allem Frauen<br />

befinden, nicht o<strong>der</strong> nicht mehr kennen. Dabei sind die meisten von<br />

ihnen ja durchaus bereit, dem Herrn von ganzem Herzen zu dienen und<br />

ihm nachzufolgen, wohin auch immer er sie führen will - aber muss auf<br />

diese harte, wenn nicht gar brutale Weise nachgeholfen werden, als<br />

brauchte es Gott dazu nicht mehr? Es sollte doch jedem Mann und je<strong>der</strong><br />

Frau gestattet sein, diese wichtigen Entscheidungen für sich selbst und<br />

nicht für die an<strong>der</strong>en zu treffen, so wie es jedem einzelnen<br />

Menschenwesen auch freisteht, sich zum Erlöser zu bekehren o<strong>der</strong><br />

nicht.<br />

Wie auch immer <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Einzelne sich dazu stellen mag, eines steht<br />

aber dennoch fest: Selbst wenn es keine solchen hartherzigen Predigten<br />

gäbe, könnten immer noch nicht alle gläubigen Frauen einen gläubigen<br />

Mann heiraten. Das sagen schon die verschiedenen Statistiken aus, die<br />

eindeutig belegen, dass schon seit jeher viel mehr Frauen als Männer<br />

sich zu Gott und zu Jesus Christus bekehrt haben, und ein Blick in die<br />

Gemeinden zeigt das auch deutlich: Fast überall gibt es mindestens<br />

doppelt so viele Frauen wie Männer, ja, in nicht wenigen Gemeinden<br />

kommen ausgerechnet bei den jüngeren Leuten sogar drei bis vier<br />

Frauen auf einen Mann, so dass es manchmal wie eine Lotterie wirkt,<br />

welche denn nun einen bekommt und welche nicht. Deshalb gibt es<br />

unter den Gläubigen auch fast keinen Mann mehr über dreißig, <strong>der</strong> nicht<br />

verheiratet ist, weil sie es sich leisten können, unter den Frauen<br />

auszuwählen, und es bis dahin meistens auch schon getan haben. Auf<br />

jeden Fall wären solche Predigten vom Opferbringen gar nicht<br />

notwendig, wenn die betreffenden Herren sich diese Tatsachen vor<br />

Augen <strong>führt</strong>en, weil ohnehin schon eine Art natürliche Auslese<br />

stattfindet; dabei klingt dieser Ausdruck auch für Ulrike sicher hart, doch<br />

er entspricht <strong>der</strong> Wirklichkeit.<br />

Wie so viele an<strong>der</strong>e hat auch sie sich schon manchmal gefragt, woran es<br />

liegen mag, dass so viel mehr Frauen als Männer sich zum Herrn<br />

bekehren, so dass von vornherein nicht jede damit rechnen kann, einen<br />

gläubigen Ehepartner zu bekommen. Liegt dieses Missverhältnis wohl<br />

209


darin, dass die ganze Bekehrung an sich mit sehr vielen und auch tiefen<br />

Emotionen verbunden ist und deshalb Jesus Christus, <strong>der</strong> nun einmal als<br />

ein Mann auf <strong>der</strong> Erde gewandelt ist, auf die Frauen insgesamt den<br />

tieferen Eindruck vermittelt als auf die Männer? Sie weiß zwar, dass in<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Christenheit auch viele Tausende von Männern sich<br />

für Christus als Märtyrer geopfert haben und dass auch heute viele von<br />

ihnen den Herrn lieben und bereit sind, ihm überallhin nachzufolgen, und<br />

ein paar von ihnen hat sie selbst schon persönlich kennen gelernt - es<br />

bleibt jedoch dabei, dass die Frauen sich insgesamt für ihn viel mehr<br />

öffnen als die Männer.<br />

Ein Hinweis auf diese eigenartige Mann-Frau-Beziehung könnte auch die<br />

Tatsache sein, dass unter all denen, die glauben, dass auch die<br />

Jungfrau Maria für die Rettung <strong>der</strong> Menschheit eine beson<strong>der</strong>e Rolle<br />

spielt, überdurchschnittlich viele Männer vertreten sind - zwar immer<br />

noch in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit gegenüber den Frauen, aber nicht im gleichen<br />

Ausmaß wie unter den christusgläubigen Evangelikalen. Offensichtlich<br />

fühlen sich diese Männer genauso zu einer überirdischen und<br />

himmlischen Mutterfigur hingezogen, wie es Christus als Vaterfigur für<br />

die Frauen ist, die auch aus diesem Grund die große Mehrheit stellen.<br />

Da än<strong>der</strong>t auch nichts daran, dass im Neuen Testament klar<br />

geschrieben steht und Jesus selbst das gesagt hat, dass niemand in den<br />

Himmel hinauffährt als nur <strong>der</strong> Sohn Gottes, und dass Maria, <strong>der</strong>en Kult<br />

um sie bekanntlich erst später von Vor<strong>der</strong>asien aus einge<strong>führt</strong> worden<br />

ist, nach <strong>der</strong> Geburt des Herrn noch mehrere an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong> hatte, die<br />

dann auf natürliche Weise auf die Welt kamen, dass Jesus also noch<br />

leibliche Brü<strong>der</strong> und Schwestern hatte, so auch Jakobus und Judas, die<br />

je einen Brief im Neuen Testament verfasst haben. Allerdings kursiert<br />

nicht nur in den Landeskirchen, son<strong>der</strong>n zum Teil auch in den<br />

evangelikalen Gemeinden die an<strong>der</strong>e Version, wonach Maria tatsächlich<br />

immer eine Jungfrau geblieben ist, obwohl in den Evangelien deutlich<br />

geschrieben steht, dass Jesus mehrere Brü<strong>der</strong> und Schwestern hatte.<br />

Da jedoch nicht deutlich davon die Rede ist, dass diese wirklich leibliche<br />

Geschwister sind, haben verschiedene Bibelausleger sie einfach zu<br />

Cousins und Cousinen gemacht. Das hält auch Ulrike nicht für seriös,<br />

obwohl sie nur wenige Brocken Griechisch kann und sich deshalb für zu<br />

wenig befugt hält, um über so knifflige theologische Fragen ein Urteil<br />

abzugeben.<br />

Interessant findet sie aber in diesem Zusammenhang, dass in <strong>der</strong> Bibel<br />

überall dort, wo tiefe Emotionen im Spiel sind, die Hauptrollen von<br />

Frauen gespielt werden. Vom Alten Testament kommt ihr immer wie<strong>der</strong><br />

Ruth in den Sinn, die nach dem Tod ihres Ehemanns ihre moabitische<br />

210


Heimat verließ, um stets bei Naemi, ihrer israelitischen Schwiegermutter,<br />

bleiben zu können, und dabei die berühmt gewordene Aussage machte:<br />

«Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.» Für ihre Treue und<br />

ihren Glauben wurde sie dadurch belohnt, dass sie eine <strong>der</strong><br />

Stammesmütter von David und damit auch von Jesus werden durfte und<br />

im Geschlechtsregister, das <strong>der</strong> Evangelist Matthäus an den Beginn<br />

seines Evangeliums stellte, auch namentlich erwähnt wird. Noch mehr<br />

solcher Geschichten sind natürlich im Neuen Testament zu finden, da<br />

durch das irdische und sichtbare Auftreten des Herrn selber auf ganz<br />

natürliche Weise viel mehr Emotionen aufkamen. Von Maria, seiner<br />

Mutter, einmal abgesehen, denkt Ulrike vor allem an eine an<strong>der</strong>e Maria,<br />

die eine Schwester des Lazarus war und so herzergreifend vom Tod<br />

ihres Bru<strong>der</strong>s und vom Glauben an seine Auferstehung sprach, die<br />

Jesus ohne weiteres bewirken lassen könnte, wenn er es nur wollte,<br />

dass dieser weinte, und dies war das einzige Mal, dass er das in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit tat, und zugleich ist <strong>der</strong> darin nie<strong>der</strong>geschriebene Satz<br />

„Jesus weinte“ auch <strong>der</strong> kürzeste in <strong>der</strong> ganzen Bibel.<br />

Nicht zuletzt fällt Ulrike auch immer wie<strong>der</strong> die dritte Maria ein, von <strong>der</strong><br />

regelmäßig die Rede ist: Die berühmte Maria Magdalena, die nach<br />

verschiedenen Auslegungen die Gleiche war, die vom Herrn mit dem<br />

weltberühmt gewordenen Satz «Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe<br />

den ersten Stein!» von <strong>der</strong> Steinigung wegen Ehebruchs praktisch<br />

freigesprochen wurde, und ebenfalls die Gleiche war, die seine Füsse<br />

küsste und diese mit ihren Tränen benetzte und auch noch wusch. Auch<br />

hier will sich Ulrike nicht festlegen, welche Auslegung korrekt ist und<br />

welche nicht; es genügt ihr das Wissen, dass diese dritte Maria das<br />

Vorrecht hatte, den auferstandenen Herrn als allererstes<br />

Menschenwesen erblicken zu dürfen, wie es geschrieben steht.<br />

Ja, solche Geschichten zeigen tatsächlich vieles von <strong>der</strong> weiblichen<br />

Seele, und sie erklären eben auch ein Stück weit, warum viel mehr<br />

Frauen als Männer und parallel dazu im Jugendalter viel mehr Mädchen<br />

als Burschen sich zu Gott und zu Jesus Christus bekehren. Wenn es nun<br />

aber so steht und nicht jede gläubige Frau damit rechnen kann, dass sie<br />

später einmal einen gläubigen Ehemann bekommt, weiß Ulrike sehr<br />

wohl, dass auch sie zu denen gehören könnte, die ledig bleiben müssen.<br />

Immerhin ist sie vor wenigen Monaten schon 29-jährig geworden - und<br />

von da an wird sie schnell einmal 30 sein, also jene ominöse Grenze<br />

erreicht haben, von <strong>der</strong> es immer wie<strong>der</strong> heißt, dass eine Frau darüber<br />

nur noch schwer einen Ehemann bekommt, wenn überhaupt gar nicht<br />

mehr. Sie hat zwar selbst schon mehrere Frauen gekannt und darunter<br />

sogar zwei gläubige, die diese Aussage Lügen straften und an ihren<br />

211


Hochzeitstagen zum Teil weit über 30 waren, doch die allgemeine<br />

Statistik spricht auch in dieser Beziehung eine deutliche Sprache.<br />

Tatsächlich heiraten die meisten Frauen, bevor sie das dritte<br />

Lebensjahrzehnt vollendet haben, und wer es bis dahin nicht geschafft<br />

hat, einen Ehemann zu finden, bleibt in den meisten Fällen allein, und<br />

das ist nach ihrem Wissen in <strong>der</strong> ganzen Welt zu beobachten. Dabei trifft<br />

dieses Los keineswegs nur gläubige Frauen, son<strong>der</strong>n auch solche, die<br />

unter den Evangelikalen als ungläubige bezeichnet werden; Ulrike selbst<br />

kennt ein paar von denen persönlich. Das eigentlich Interessante dabei<br />

ist, dass zu all diesen ledig gebliebenen Frauen auch solche gehören,<br />

die man als hübsch zu bezeichnen pflegt, während viele an<strong>der</strong>e, die als<br />

weniger hübsch gelten, ihre Ehemänner gefunden haben und mit ihnen<br />

sogar glücklich leben und Kin<strong>der</strong> haben.<br />

Obwohl Ulrike versucht, mögliche Gedanken an eine Torschlusspanik<br />

gar nicht erst aufkommen zu lassen, beschäftigt es sie dennoch sehr<br />

stark, warum sie bis heute allein geblieben ist, obwohl sie schon vor<br />

Hans immer wie<strong>der</strong> zu hören bekommen hat, sie sei hübsch und<br />

attraktiv. Wie schon so oft denkt sie darüber nach, was denn alles<br />

passiert o<strong>der</strong> eben gerade nicht passiert ist, dass sie bis heute keinen<br />

geeigneten Ehemann gefunden hat, obwohl sie die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Bekanntschaft hatte, aber nie etwas Festes. Es erging ihr eben so wie<br />

vielen an<strong>der</strong>en: Da sie sich schon früh bekehrte und sich deshalb<br />

jeglichen außerehelichen Geschlechtsverkehrs enthielt und die Orte<br />

mied, in denen sie in Versuchung hätte geraten können, konzentrierte<br />

sie sich von Anfang an auf ihren Beruf als Krankenschwester und ging<br />

buchstäblich darin auf, zuerst in <strong>der</strong> Lehre und dann in <strong>der</strong> Praxis in<br />

verschiedenen Krankenhäusern. Sie arbeitete zwar regelmäßig auch in<br />

mehreren Jugendgruppen mit und pflegte genügend Kontakte zu<br />

Mitchristen, so gut es ging, aber durch ihre extrem unregelmäßigen<br />

Arbeitszeiten war es ihr nie möglich, die gleichen Kontakte über einen<br />

längeren Zeitraum zu pflegen.<br />

Dazu kam noch, dass es sowohl in <strong>der</strong> Gemeinde, <strong>der</strong> sie heute<br />

angehört, als auch in jener, in <strong>der</strong> sie früher verkehrte, immer wie<strong>der</strong><br />

Wechsel und dementsprechend neue Gesichter gab. So kam es immer<br />

wie<strong>der</strong> vor, dass ein Mann, an dem sie vielleicht Gefallen finden konnte,<br />

auf einmal nicht mehr da war o<strong>der</strong> ... ja, dass er eine an<strong>der</strong>e Frau<br />

heiratete. Diese Erfahrung hat sie bereits ein paar Mal machen müssen -<br />

und immer wie<strong>der</strong> freute sie sich zwar für die betreffenden Schwestern,<br />

die heiraten konnten und nachher meistens auch glücklich wurden, aber<br />

zugleich wurde es ihr jedes Mal umso deutlicher bewusst, dass sie selbst<br />

erneut allein blieb. Wenigstens erging es ihr nicht so schlimm wie einer<br />

212


an<strong>der</strong>en gläubigen Frau, die sie persönlich kannte und die sich schon<br />

Hoffnungen auf eine Heirat machte, bis <strong>der</strong> betreffende Mann plötzlich<br />

eine Kehrtwende vollzog, einer an<strong>der</strong>en tief in die Augen schaute und<br />

kurz darauf diese heiratete. Obwohl er vorher nie direkt von einer Heirat<br />

gesprochen hatte und sie nicht einmal verlobt waren, ging diese abrupte<br />

Kehrtwendung zu einer an<strong>der</strong>en dieser Frau, die für ihn alles geopfert<br />

hätte und auch <strong>der</strong> zukünftigen Schwiegermutter sehr gefiel, so nahe,<br />

dass sie nie mehr richtig glücklich wurde und ein paar Jahre später an<br />

gebrochenem Herzen starb, wie nachher gesagt wurde; dabei war sie<br />

keineswegs unhübsch und strahlte dazu eine Wärme wie nur wenige<br />

an<strong>der</strong>e aus. Obwohl Ulrike die genaueren Umstände ihres Todes nie klar<br />

erfuhr und immer davon ausgegangen ist, dass sie trotz dieser bitteren<br />

Erfahrung mit einem Mann dem Herrn bis zum Ende treu geblieben ist,<br />

erinnerte sie sich bei <strong>der</strong> Nachricht von ihrem Ableben wie<strong>der</strong> an die<br />

Worte einer an<strong>der</strong>en Schwester. Diese hatte ihr einmal gesagt, dass ein<br />

Mann, <strong>der</strong> mit den Gefühlen einer Frau nur spiele, damit die ganze<br />

weibliche Gefühlswelt, die nun einmal ganz an<strong>der</strong>s ist als die männliche,<br />

durcheinan<strong>der</strong>bringen und es sogar schaffen könne, diese vom Glauben<br />

an Gott und an Jesus Christus abzubringen.<br />

So zogen denn die Jahre dahin, bis Ulrike auf einmal 29-jährig wurde,<br />

und schon nähert sie sich mit Riesenschritten dieser ominösen 30er<br />

Grenze. Vielleicht hat es ihr immer auch ein wenig an Aktivität gefehlt,<br />

doch sie war nun einmal vom Charakter her immer zurückhaltend, dafür<br />

aber zuverlässig, was in ihrem anstrengenden und exponierten Beruf in<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit ja auch nötig war. Wenn sie jedoch daran denkt, dass<br />

an<strong>der</strong>e Frauen auch so veranlagt waren und dennoch von einem Mann<br />

im wahrsten Sinn des Wortes entdeckt wurden, muss sie sich sagen,<br />

dass es auch noch an<strong>der</strong>e Gründe dafür gegeben haben muss, dass sie<br />

bis heute allein geblieben ist. Lag es wohl auch daran, dass es ihr<br />

vorbestimmt war, fast bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres<br />

zu warten und bis dahin geprüft und geläutert zu werden ... ja, bis sie<br />

eines Tages doch noch dem Mann ihrer Träume begegnen würde, ob<br />

dieser nun Hans ist o<strong>der</strong> nicht? Solche Prüfungen nennen nicht wenige<br />

Gläubige ein Stahlbad Gottes, aus dem aber alle gestärkt hervorgehen.<br />

Im tiefsten Grund ihres Herzens hat sie jedoch nie aufgehört, sich nach<br />

einem lieben Mann zu sehnen, wie es eben nur Frauen mit einer solchen<br />

Tiefe tun, viel tiefer als Männer das jemals können, auch wenn die<br />

meisten von denen, die noch allein und noch nicht allzu alt sind, sich<br />

ebenso tief nach einer Frau sehnen. Diese Sehnsucht ist nun einmal in<br />

den meisten Menschenseelen tief verankert, wie Gott schon kurz nach<br />

<strong>der</strong> Schöpfung sagte, es sei nicht gut, dass <strong>der</strong> Mensch allein sei. Da in<br />

213


den gläubigen Kreisen die Aufgaben des Predigens und Verkündens fast<br />

nur den Männern vorbehalten bleiben, während die Frauen, die<br />

eigentlich nur unter ihresgleichen wie in den Frauengruppen völlig frei<br />

reden können, zwar nicht direkt ein Redeverbot haben, aber vor allem für<br />

die Arbeiten im Hintergrund und natürlich für die eigenen Familien da<br />

sein sollen, wie das von ihnen erwartet wird, ist <strong>der</strong> W<strong>uns</strong>ch nach einem<br />

Ehemann und nach Kin<strong>der</strong>n und damit auch nach einer<br />

hingebungsvollen Aufgabe bei den allermeisten gläubigen Frauen<br />

natürlich umso ausgeprägter.<br />

Das ganze mo<strong>der</strong>ne Gerede feministischer Kreise und später auch von<br />

an<strong>der</strong>en Gesellschaften, die sich als aufgeschlossen sehen, von einer<br />

Selbstverwirklichung <strong>der</strong> Frauen und allenfalls mit einem Kind, aber ohne<br />

Ehemann zu leben, und den ganzen Rummel um die millionenfachen<br />

Abtreibungen und die gefor<strong>der</strong>te Straffreiheit hat Ulrike nie begreifen und<br />

nachvollziehen können. Sie konnte sich nie etwas Schöneres vorstellen,<br />

als von einem lieben Mann, bei dem sie sich geborgen fühlen kann,<br />

umarmt und geküsst, von ihm geheiratet zu werden und mit ihm<br />

zusammen Kin<strong>der</strong> zu haben. Das Tragische ist aber gerade dies, dass<br />

allzu viele von denen, die sich diesen urweiblichen W<strong>uns</strong>ch erfüllen<br />

könnten, es gar nicht wollen, während sie selbst und viele an<strong>der</strong>e<br />

gläubige Frauen, die sich im tiefsten Grund danach sehnen, es nie<br />

haben können, weil es nun einmal zu wenig gläubige Männer für alle<br />

gibt.<br />

Lange, allzu lange hat sie all diese Gefühle unterdrückt und beiseite<br />

geschoben, ja, sie hat sich teilweise schon damit abgefunden, dass es<br />

ihr vielleicht doch vorbestimmt ist, allein zu bleiben, aber jetzt, da sie<br />

Hans kennen gelernt hat, von dem sie fühlt, dass er <strong>der</strong> Richtige für sie<br />

sein könnte und für den sie schon jetzt eine echte Liebe hegt, bricht alles<br />

umso heftiger aus ihr hervor. Ihre Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit,<br />

aber auch nach Geborgenheit ist sogar so stark geworden, dass sie fast<br />

glaubt, sie werde noch den Verstand verlieren. Ach, wie gern würde sie<br />

erleben, wie es ist, von einem Mann, den sie innig liebt und <strong>der</strong> sie nicht<br />

weniger innig liebt, in die Arme genommen und geküsst zu werden! Und<br />

was danach kommt … daran wagt sie schon fast nicht zu denken. Wie<br />

oft hat sie sich schon vorgestellt, mit einem Mann das zu erleben, was<br />

immer und immer wie<strong>der</strong> als das Schönste im Leben beschrieben wird!<br />

Stattdessen blieb sie all die Jahre über allein und musste immer wie<strong>der</strong><br />

miterleben, wie eine Schwester nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en heiratete und dieses<br />

Glück genießen konnte, und genauso wie es Hans bei ihrem ersten<br />

Treffen im Restaurant gesagt hat, kann sie es manchmal selbst auch<br />

nicht glauben, dass sie bis heute noch keinen einzigen Mann gehabt hat,<br />

214


obwohl sie schon manchmal zu hören bekam, sie sei hübsch und auch<br />

attraktiv, zuletzt auch noch von Hans.<br />

In einer Beziehung fühlt sie sich jedoch erleichtert, wenn sie daran denkt,<br />

dass das Ledigsein auch seine Vorteile haben könnte: Wenn sie sich vor<br />

Augen <strong>führt</strong>, wie viele gläubige Ehepaare schon bald nach ihrer<br />

Hochzeit, also noch bevor sie ihr Eheleben ausgiebig und für sich allein<br />

genießen konnten, zwei bis vier und in ein paar Fällen sogar noch mehr<br />

Kin<strong>der</strong> haben, wie viel Arbeit und Aufwand sie das kostet und wie viel<br />

Kraft und Geduld erfor<strong>der</strong>lich sind, um die ganze Kin<strong>der</strong>schar im Zaum<br />

zu halten und zudem zu rechtschaffenen Christenmenschen zu erziehen,<br />

fragt sie sich manchmal tatsächlich, ob es vielleicht nicht doch besser ist,<br />

allein zu bleiben. Ob sie selbst so viel Kraft und Geduld aufbringen<br />

könnte wie die an<strong>der</strong>en, von denen sie ein paar näher kennt und ab und<br />

zu sogar nach Hause eingeladen wird, weiß sie nicht so recht - sie<br />

zweifelt eher daran. Vielleicht hatten die beiden Prediger zumindest in<br />

dieser Beziehung nicht ganz Unrecht, als sie vom Opfer sprachen, das<br />

gewisse Frauen bringen sollten. Es ist zwar hart, allein zu bleiben, vor<br />

allem dann, wenn eine Frau das Familienglück an<strong>der</strong>er Christen sieht,<br />

doch an<strong>der</strong>erseits ist sie von Familienpflichten befreit und kann deshalb<br />

dem Herrn tatsächlich besser dienen und nachfolgen, und wenn Ulrike<br />

zudem daran denkt, wie kurz das irdische Leben ist und dass am<br />

Schluss die ewige Herrlichkeit in einem unverweslichen und<br />

geschlechtslosen Auferstehungsleib wartet, kommt es letztlich<br />

tatsächlich auf das Gleiche heraus, ob jemand ledig geblieben ist o<strong>der</strong><br />

geheiratet hat. Wäre es für sie aus all diesen Gründen vielleicht nicht<br />

doch besser, ledig zu bleiben? Kann es denn nicht sein, dass sie<br />

tatsächlich dazu berufen ist?<br />

Ja, wenn nur nicht diese Sehnsucht nach Liebe tief in ihr verankert wäre<br />

und ihr Herz fast zerreißen lässt! So viele Jahre hat sie warten müssen -<br />

und jetzt, da sie endlich einen Mann gefunden hat, den sie liebt und <strong>der</strong><br />

ihr auch schon gesagt hat, dass er sie liebt, soll sie wie<strong>der</strong> kein Glück<br />

haben und darauf verzichten? Sie ist doch kein seelenloser Roboter, <strong>der</strong><br />

nur für den Glauben dazusein hat und keine eigenen Gefühle haben<br />

darf, ja, nicht einmal daran zu denken hat! Sie liebt doch trotz allem den<br />

Herrn immer noch aufrichtig und möchte ihm ihr ganzes Leben lang<br />

dienen und nachfolgen - aber eben nicht allein, son<strong>der</strong>n mit einem lieben<br />

Mann, <strong>der</strong> gewillt ist, mit ihr auf dem gleichen <strong>Weg</strong> zu gehen.<br />

Sie fühlt, wie ihre Augen sich mit Tränen füllen, und könnte ihren<br />

Kummer geradezu mit Händen greifen, <strong>der</strong>art schwer drückt dieser.<br />

Ausgerechnet jetzt, da sie möglicherweise den Mann ihres Lebens<br />

215


gefunden hat, soll sie auf ihn verzichten! Dabei spricht doch so vieles<br />

dafür, dass sie gut zusammenpassen würden. Ja, wenn auch er sich zu<br />

Christus bekehrte, würde nachher alles plötzlich ganz an<strong>der</strong>s aussehen!<br />

Dann hätte wohl niemand mehr etwas gegen eine Heirat einzuwenden,<br />

im Gegenteil, es gäbe dann wohl niemanden auf <strong>der</strong> ganzen Welt, <strong>der</strong><br />

sich nicht mit ihnen freuen würde! Dass Hans jedoch einen harten<br />

Schädel hat, was den Glauben betrifft, hat sie bereits zur Genüge<br />

erfahren. Das muss aber nicht heißen, dass es auch so bleiben muss -<br />

so sind schon viele Bekehrungen von Leuten vorgekommen, die noch<br />

hartköpfiger waren als er und teilweise sogar an<strong>der</strong>e ermordet hatten,<br />

und so ist die Möglichkeit, dass auch er sich eines Tages zu diesem<br />

Schritt entschließen kann, sicher gegeben.<br />

In diesem Zusammenhang erinnert sich Ulrike wie<strong>der</strong> an die Aussage<br />

eines Predigers, wonach oft gerade solche, die vorher zu den<br />

hartnäckigsten Gegnern des Herrn gehört hatten, nach ihrer Bekehrung<br />

zu den mutigsten und unerschütterlichsten Zeugen wurden und teilweise<br />

bis ans an<strong>der</strong>e Ende <strong>der</strong> Welt gingen, um ihren neuen Glauben zu<br />

bezeugen. Was also Saulus wi<strong>der</strong>fuhr, <strong>der</strong> unter dem neuen Namen<br />

Paulus zu einem <strong>der</strong> größten Befreier <strong>der</strong> Menschheit im geistigen und<br />

geistlichen Bereich wurde, geschah in späteren Zeiten noch mit<br />

Tausenden von an<strong>der</strong>en. Warum also nicht auch mit Hans, dem sie<br />

durchaus zutraut, dass er nach einer Bekehrung dank seiner Neigung,<br />

keine Kompromisse einzugehen, ebenfalls auf einem solchen <strong>Weg</strong><br />

schreiten könnte?<br />

Dabei denkt sie erneut an Marcus Vinicius, die Hauptfigur <strong>der</strong><br />

Geschichte „Quo Vadis“, und kommt nochmals zum Schluss, dass Hans<br />

ihm in auffallen<strong>der</strong> Weise gleicht. Zuerst wollte auch dieser nichts von<br />

einem persönlichen Glauben an Jesus Christus wissen, dann wollte er<br />

ihm nicht ohne spöttische Hintergedanken in seinem Anwesen eine<br />

Statue errichten lassen, aber dank <strong>der</strong> Liebe zu Lygia konnte er mit <strong>der</strong><br />

Zeit seinen Stolz überwinden und sich in einem dramatischen Moment<br />

zum Herrn bekehren. Warum sollte das Gleiche nicht auch mit Hans<br />

geschehen? Damit dieses Wun<strong>der</strong> geschehen kann, muss aber auch sie<br />

etwas dafür tun, und zwar unablässig für ihn beten. Sie hat zwar schon<br />

vorher für ihn gebetet, aber wohl noch nicht intensiv genug - das wird ihr<br />

erst jetzt so richtig klar. Ja, das will sie fortan für ihn und damit letztlich<br />

auch für sich selbst tun: Eine ganz bestimmte Zeitspanne soll nur für ihn,<br />

den Mann, den sie jetzt so innig liebt, reserviert sein, damit sein Herz<br />

geöffnet wird und auch er den Herrn in seiner ganzen Herrlichkeit<br />

erkennen kann.<br />

216


Mit diesem Gedanken schöpft sie wie<strong>der</strong> Zuversicht. So steigt sie<br />

entschlossen vom Bett, indem sie sich ihre Tränen abwischt, und tut<br />

erneut das, was sie in ihrem Leben schon ein paar Tausend Mal getan<br />

hat: Sie geht auf dem Teppich, <strong>der</strong> vor dem Bett liegt, auf die Knie, lehnt<br />

sich mit ihren Armen auf dasselbe, faltet die Hände, schließt die Augen<br />

und spricht darauf langsam und leise, aber immer noch deutlich genug<br />

diese Worte: „Lieber Herr Jesus! Bitte vergib mir, dass ich oft so<br />

eigensinnig denke und auch jetzt zu wenig auf dich vertraue! Dabei weißt<br />

du ja sehr genau, was mir fehlt und was mich bedrückt. Ich möchte dir<br />

weiter von ganzem Herzen dort dienen, wo du mich haben willst, und dir<br />

überallhin nachfolgen. Ja, das will ich, Herr, denn du bist mein Erlöser<br />

und hast mich vom ewigen Tod freigekauft. Darum liebe ich dich auch so<br />

sehr und möchte immer für dich da sein, so wie auch du immer für mich<br />

da gewesen bist ... Trotzdem bitte ich dich darum, dass du mir zeigst, ob<br />

Hans wirklich <strong>der</strong> Mann meines Lebens sein kann o<strong>der</strong> nicht. Ich liebe<br />

ihn so sehr, aber ich habe auch meine Zweifel, wie du sehr wohl weißt.<br />

Darum brauche ich dich umso mehr, mein Herr und Erlöser. Zeig mir<br />

bitte den <strong>Weg</strong>, den ich gehen soll, doch dein Wille soll geschehen und<br />

nicht meiner! Wenn du Hans wirklich für mich bestimmt hast, dann führe<br />

<strong>uns</strong> zusammen, so wie du es geplant hast, wenn aber nicht, dann zeig<br />

mir auch das! Ich will dich wirklich nicht verlassen und weiter fest an dich<br />

glauben und auf deine Führung vertrauen. Darum bitte ich dich innig:<br />

Zeig auch Hans den <strong>Weg</strong> und hilf ihm, damit auch er dich als Erlöser<br />

findet! Öffne ihm die Augen und das Herz, damit er seine Blindheit und<br />

auch seinen Stolz überwinden und dich in deiner ganzen Herrlichkeit<br />

erkennen kann! Bitte, Herr, ich flehe dich an, wirke in ihm und lass ihn<br />

nicht los, bis er bereit ist, dich wirklich zu suchen! ... Ich danke dir, Herr,<br />

dass du mir immer so treu gewesen bist und dass ich auch jetzt darauf<br />

vertrauen kann, dass du das Richtige tun wirst - Amen.“<br />

Als sie mit dem Gebet fertig ist, steht sie langsam wie<strong>der</strong> auf, und dann<br />

fühlt sie sich plötzlich <strong>der</strong>art erleichtert, dass sie fast nicht merkt, wie ihr<br />

erneut Tränen über beide Wangen rinnen, sogar noch mehr als vorher.<br />

15<br />

Dass das Sprichwort, wonach die Liebe oft seltsame <strong>Weg</strong>e geht, sich<br />

immer wie<strong>der</strong> dann bewahrheitet, wenn nicht damit gerechnet wird, zeigt<br />

sich gerade auch bei Hans und Ulrike. Da sie am folgenden Sonntag<br />

wie durch einen glücklichen Zufall - o<strong>der</strong> ist es doch keiner? - wie<strong>der</strong><br />

einmal frei hat, dafür aber am Samstag arbeiten muss, hat er diesen<br />

Glücksfall dazu benützt, um sie für den zweiten Teil des Wochenendes,<br />

217


eben an diesem Sonntag, zu einem kleinen Ausflug ins Grüne<br />

einzuladen. Das tat er gerade rechtzeitig genug, noch bevor sie etwas<br />

an<strong>der</strong>es abmachen konnte, und da er jetzt, während <strong>der</strong> Ausheilung<br />

seiner Zerrung, natürlich genügend Zeit hat, konnte er auch<br />

höchstpersönlich ins Krankenhaus gehen und kurz mit ihr sprechen,<br />

obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch arbeitete.<br />

Warum sie ihm zugesagt hat, kann sie sich auch nicht erklären -<br />

genauso wenig wie an jenem Tag, als sie sich von ihm zum ersten Mal in<br />

ein Restaurant einladen ließ. Eigentlich wollte sie mit einem solchen<br />

Ausflug noch abwarten, solange ihre Beziehung zu ihm noch <strong>der</strong>art in<br />

<strong>der</strong> Schwebe hängt, aber da sie nun die Gewissheit gewonnen hat, dass<br />

sie ihn liebt und er sie auch, und da sie zudem wegen seiner Verletzung<br />

auch noch etwas Mitleid empfindet und ihn etwas trösten möchte, hat sie<br />

sein Angebot angenommen. Allerdings hat diese Einladung insofern eine<br />

kleine Einschränkung, als im Grund nicht er eine Einladung aussprechen<br />

konnte, son<strong>der</strong>n sich bestenfalls einladen lassen musste. Solange seine<br />

Zerrung noch nicht ganz verheilt ist, kann er seinen Wagen natürlich<br />

nicht selbst steuern. Es wäre theoretisch zwar schon möglich, aber das<br />

Risiko wäre zu groß, und falls etwas passieren würde, käme die<br />

Versicherung für keinen Schaden auf. Zum Glück hat Ulrike auch einen<br />

eigenen Wagen, weil sie als Krankenschwester schon aus beruflichen<br />

Gründen auf einen angewiesen ist. Es ist einer <strong>der</strong> kleineren Kaliber mit<br />

nur zwei Türen, wie auffallend viele alleinstehende Frauen einen solchen<br />

haben, was Hans schon mehrmals festgestellt hat.<br />

So übernimmt jetzt also Ulrike das Ru<strong>der</strong> und sie fahren bis etwa dreißig<br />

Kilometer außerhalb von Zürich, wo es noch viel Wald und Grünflächen<br />

gibt, die er von früheren Ausflügen her kennt. Sowohl vor als auch<br />

während <strong>der</strong> Fahrt haben sie sich immer noch nicht geküsst, aber sie<br />

schauen sich immer wie<strong>der</strong> halb verstohlen von <strong>der</strong> Seite und halb direkt<br />

an, als wollte keiner den an<strong>der</strong>en erwischen, und ab und zu lächeln sie<br />

sich auch schwach an. Sie sprechen fast kein Wort miteinan<strong>der</strong>, denn<br />

sie spüren beide, dass <strong>der</strong> geeignete entscheidende Moment zwar noch<br />

nicht gekommen ist, aber vielleicht bald kommen wird.<br />

Zum Glück ist heute ein strahlen<strong>der</strong> Tag, <strong>der</strong> genau zu ihrer Stimmung<br />

passt; es ist zwar noch Anfang Mai, aber doch schon genügend warm<br />

und zudem nicht mehr so feucht von den regnerischen Apriltagen her, so<br />

dass viele Leute diesen Sonntag dazu benützen, um draußen zu<br />

spazieren und zu picknicken, wie Hans und Ulrike das auch vorhaben.<br />

Da die Parkplätze mehr als hun<strong>der</strong>t Meter vom Ort entfernt sind, wo er<br />

sie hinzuführen gedenkt, müssen sie noch ein gutes Stück zu Fuß<br />

218


gehen. Während sie aussteigen, hilft sie ihm dabei; er braucht zwar<br />

keine Stöcke mehr, doch er ist immer noch etwas gehbehin<strong>der</strong>t. Darauf<br />

geschieht etwas Unerwartetes und Überraschendes, das aber auch nicht<br />

mehr so unerwartet und überraschend ist: Plötzlich streckt er seine<br />

rechte Hand aus und greift nach ihrer linken, die sie ebenso bereitwillig<br />

ausstreckt, und schaut sie lächelnd an. Er genießt es zutiefst, ihre Hand<br />

zum ersten Mal auf eine an<strong>der</strong>e Art zu spüren, als wenn sie sich die<br />

Hände zum Gruß geben, und da Ulrikes Hände ja fast so groß und lang<br />

sind wie die seinen, kann er dieses Gefühl umso mehr genießen.<br />

Während er sie so viel sagend anschaut, lächelt sie zurück, und mit einer<br />

Erleichterung und einem Glücksgefühl, das sie noch nie so gekannt hat,<br />

schlen<strong>der</strong>n sie in Richtung einer Waldlichtung, vor <strong>der</strong> es auch noch<br />

zwei Sitzbänke hat. Natürlich kommen sie nicht schnell vorwärts, doch er<br />

ist froh, dass er überhaupt ein wenig gehen kann. Eigentlich wäre es<br />

schon zu viel bis zu dieser Waldlichtung; um aber mit Ulrike ein paar<br />

Stunden verbringen zu können, nimmt er das Risiko eines Rückschlags<br />

bewusst in Kauf. So viel Glück wie heute hat er schließlich nur selten<br />

gehabt: Erstens hat sie frei, zweitens kommt sie mit ihm ins Grüne,<br />

drittens geht sie mit ihm schon Hand in Hand, und viertens herrscht auch<br />

noch strahlendes Wetter. Was will er also noch mehr? Zudem ist er ja<br />

ein durchtrainierter Sportler, so dass er einiges mehr ertragen kann.<br />

Als sie endlich an einem guten Plätzchen angekommen sind, muss er<br />

zuerst etwas auf <strong>der</strong> Bank ausruhen; die Anstrengung war halt doch<br />

etwas groß und er spürt auch wie<strong>der</strong> Schmerzen. Bald hat er sich aber<br />

erholt und sie spannen etwa zwanzig Meter von <strong>der</strong> Bank entfernt das<br />

mittelgroße Tuch aus, das er mitgebracht hat, und legen die paar<br />

Picknickkleinigkeiten darauf, die sie ebenfalls mitgenommen haben:<br />

Einen Kuchen, den Ulrike sogar selbst gebacken hat, sowie zwei rote<br />

Äpfel und eine Flasche Traubensaft, also recht bescheiden.<br />

Sobald sie sich gesetzt haben, schauen sie vorerst ein paar Momente<br />

um sich und genießen den Frühlingsduft <strong>der</strong> Blumen und Bäume, <strong>der</strong> um<br />

ihre Nasen weht. Sie spüren beide, dass dieser Tag wie für sie<br />

geschaffen ist, wenn auch auf verschiedene Weise. Es ist ihnen aber<br />

auch klar, dass in den nächsten paar Stunden eine Weichenstellung in<br />

ihrem Leben erfolgen wird und muss, dass es sich entscheiden wird, wie<br />

es mit ihrer Beziehung weitergehen soll.<br />

„Tut es dir immer noch weh?“, fragt sie ihn schließlich und schaut ihn fast<br />

mitleidig, aber auch liebevoll an.<br />

„Danke, es geht jetzt wie<strong>der</strong> besser“, antwortet er und schaut ebenso<br />

219


liebevoll zurück, als er ihren Blick wahrnimmt.<br />

„Wie herrlich ist es da draußen!“, sagt sie schließlich nach einer weiteren<br />

kurzen Pause, „du hast wirklich einen guten Ort ausgewählt. Und herrlich<br />

warm ist es auch noch.“<br />

Dann schaut sie ihn wie<strong>der</strong> liebevoll an - und das ist zu viel für ihn. Er<br />

spürt, dass bald etwas geschehen muss; sonst kann er diese Spannung,<br />

die sich zwischen ihnen aufgebaut hat, nicht länger aushalten. Aber wie<br />

soll er vorgehen, damit sie sich bald gegenseitig ihre Liebe erklären<br />

können, was ja nur so in <strong>der</strong> Luft liegt? Da kommt ihm eine glänzende<br />

Idee: Plötzlich legt er sich nie<strong>der</strong>, wobei er seinen Kopf ganz in <strong>der</strong> Nähe<br />

ihres Schoßes platziert, und sagt leise: „Ich bin ein bisschen müde.“<br />

Dabei ist das nicht einmal gelogen, denn die Hinfahrt und vor allem <strong>der</strong><br />

anstrengende Spaziergang bis hierher haben ihn wirklich etwas<br />

geschafft.<br />

Da er spürt, dass eine ihrer Hände sich ganz nahe beim Kopf befindet,<br />

während Ulrike sich mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en abstützt, gibt er sich einen weiteren<br />

innerlichen Ruck wie schon ein paar Mal, seit er diese Frau zum ersten<br />

Mal gesehen hat und auf Anhieb von ihr fasziniert wurde, und tut wie<strong>der</strong><br />

etwas Unerwartetes und Überraschendes, das aber auch nicht mehr so<br />

unerwartet und überraschend ist: Er hebt seinen Kopf ein wenig und legt<br />

ihn dann direkt in ihren Schoß, noch bevor sie reagieren kann. Einerseits<br />

gefällt ihr diese Spontaneität und Entschlossenheit, doch an<strong>der</strong>erseits<br />

wird sie wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher. Sie sind schließlich kein Liebespaar -<br />

mindestens vorläufig noch nicht -, und zudem steht noch etwas zwischen<br />

ihnen, über das sie eigentlich an diesem Nachmittag mit ihm sprechen<br />

wollte. Obwohl es ihr klar ist, dass er sie kaum für heute zu diesem<br />

Ausflug überredet hat, um nur über Religiöses zu reden, wie er das<br />

nennt, hält sie es dennoch für angemessen, auch dieses heikle Thema<br />

anzuschneiden, ob ihm das nun passt o<strong>der</strong> nicht. Da es ja offensichtlich<br />

ist, dass er ihr Herz langsam und sachte erringen möchte, bleibt ihm<br />

auch nichts an<strong>der</strong>es übrig.<br />

Als sie jedoch sieht, wie ruhig und friedlich er vor ihr liegt, wie er zuerst<br />

die Augen ein paar Sekunden geschlossen hält und auf diese Weise die<br />

Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht einwirken lässt, und wie er dann<br />

seine Augen wie<strong>der</strong> öffnet und sie liebevoll von unten nach oben<br />

anschaut und sie nochmals vielsagend anlächelt, kann sie sich fast nicht<br />

mehr beherrschen und würde ihm am liebsten mit <strong>der</strong> freien Hand<br />

langsam und sachte, so wie er ihr Herz zu erringen gedenkt, über die<br />

Haare fahren. Sie kann sich aber noch unter Kontrolle halten, auch wenn<br />

es sie innerlich fast zerreißt und sie am liebsten seinen Kopf ergreifen<br />

und diesen mit mehreren Küssen bedecken würde.<br />

220


Das ist also <strong>der</strong> Mann, nach dem ich mich so viele Jahre lang gesehnt<br />

und um den ich so lange gebetet habe, sagt sie dann innerlich zu sich<br />

selber. Eigentlich sollte sie jetzt glücklich sein, aber sie fühlt stattdessen<br />

wie<strong>der</strong> eine bedrückende Stimmung aufkommen, und sie weiß auch<br />

warum. Es ist <strong>der</strong> gemeinsame Glaube an den gleichen Erlöser, <strong>der</strong><br />

ihnen für ihr vollkommenes Glück noch fehlt. Wie wun<strong>der</strong>bar wäre es,<br />

Herr, wenn er dich auch kennen würde!, sagt sie sich, und vor allem<br />

wenn er es nur wollte, wäre das schon <strong>der</strong> erste Schritt.<br />

Während sie im Stillen für ihn betet, genießt er es, weiter mit seinem<br />

Kopf in ihrem Schoß zu liegen, auch wenn sie ihn immer noch nicht<br />

berührt, und so fühlt er sich noch inniger zu ihr hingezogen. Wenigstens<br />

in einer Beziehung hat seine Zerrung auch einen großen Vorteil: Da er<br />

mit einem Bein behin<strong>der</strong>t ist und dieses immer noch nicht zu viel bewegt<br />

werden sollte, kann er erst gar nicht in Versuchung geraten und plötzlich<br />

die Beherrschung verlieren. Doch er könnte es auch nicht, dafür liebt er<br />

sie schon viel zu sehr; nein, er könnte ihr nie etwas antun. Zudem<br />

respektiert er ihren W<strong>uns</strong>ch, unberührt in die Ehe zu gehen, auch wenn<br />

ihm das immer noch etwas son<strong>der</strong>bar vorkommt.<br />

So vergehen ein paar ruhige Minuten, bis er wie<strong>der</strong> einmal zu ihr<br />

hinaufblickt, und dann tut er endlich das, was er schon längst tun wollte:<br />

Er beginnt von unten ihr Haar zu streicheln, bis er leise zu ihr sagt: „Du<br />

bist so lieb - wie ein Engel.“<br />

„Das ist aber interessant“, entgegnet sie mit einem breiten Lächeln, „du<br />

glaubst nicht an die Existenz von Engeln - und trotzdem soll ich einer<br />

sein.“<br />

„Ja, Ulrike, wenn es wirklich einen auf Erden gibt, dann bist du es.“<br />

„Aber nein, Hans, ein Engel bin ich nicht. Auch ich bin nur eine arme<br />

Sün<strong>der</strong>in, die jeden Tag neu die Vergebung von oben braucht.“<br />

„Das hast du doch nicht mehr nötig, nach deinem Glauben ist dir ja<br />

schon vergeben worden.“<br />

„Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass wir nicht jeden Tag wie<strong>der</strong><br />

neu sündigen, solange wir noch auf dieser Erde leben.“<br />

„Ach ja, jetzt verstehe ich. Du hast wie<strong>der</strong> einmal Recht.“<br />

Dann fährt er wie<strong>der</strong> sachte über ihr Haar und beide schweigen eine<br />

weitere Weile, während <strong>der</strong> sie spüren, dass etwas Entscheidendes in<br />

<strong>der</strong> Luft liegt. Sie finden es seltsam, dass sie sich bis jetzt noch nicht ihre<br />

Liebe erklärt haben, obwohl es beiden schon seit Tagen klar ist, was sie<br />

füreinan<strong>der</strong> empfinden. Die Lage ist aber auch außergewöhnlich und<br />

kommt auf diese Weise nicht oft vor: Da Ulrike eine gläubige Frau ist,<br />

kann und will sie sich nicht jedem Erstbesten, <strong>der</strong> ihr über den <strong>Weg</strong> läuft,<br />

221


an den Hals werfen, ohne tief davon überzeugt zu sein, dass er für sie<br />

<strong>der</strong> Richtige ist. Er wie<strong>der</strong>um ist aufgrund seiner Enttäuschungen mit<br />

an<strong>der</strong>en Frauen vorsichtiger geworden und will sich nicht mehr auf<br />

oberflächliche Liebschaften einlassen, son<strong>der</strong>n seiner und ihrer Liebe<br />

ganz sicher sein, bevor er weiter vorgeht. Trotz ihrer noch bestehenden<br />

Unsicherheit ertappt sich Ulrike dabei, dass sie sich innerlich fragt, wie<br />

lange Hans noch zuwarten will, bis er sie endlich in die Arme nehmen<br />

und küssen wird.<br />

Als hätte er diesen Gedanken erraten, öffnet er nochmals die Augen,<br />

und wie er sieht, dass Ulrike ihn weiter liebevoll anschaut und sich seine<br />

Streicheleinheiten gefallen lässt, tut er endlich das, was schon überfällig<br />

war: Er richtet sich langsam auf und schaut ihr direkt in die Augen, wobei<br />

er die Hand stillhält, die ihre Haare gestreichelt hat. In diesem Moment<br />

spüren sie beide, dass es nichts mehr zu sagen gibt, dass ihre Liebe<br />

ineinan<strong>der</strong> übergegangen ist und nichts sie daran noch hin<strong>der</strong>n kann.<br />

Eine Weile schauen sie sich noch tief in die Augen, wobei sie beide<br />

lächeln, und darauf streichelt er ihr nochmals langsam und sachte die<br />

Haare und darauf gar das Gesicht, wie sie das vorher schon bei ihm tun<br />

wollte, sich aber noch nicht dazu überwinden konnte. Schließlich kann er<br />

sich nicht mehr beherrschen und schließt sie fest in die Arme, und zu<br />

ihrer eigenen Überraschung tut sie dasselbe. Eine kurze Weile<br />

verbleiben sie so, dann schauen sie sich wie<strong>der</strong> von ganz nahe in die<br />

Augen, und endlich kommt <strong>der</strong> große Moment, von dem Ulrike schon seit<br />

vielen Jahren und Hans immerhin auch schon seit ein paar Wochen<br />

geträumt haben: Sie küssen sich zuerst auf den Mund, dann ein paar<br />

Mal auf die Wangen und dann wie<strong>der</strong> auf den Mund, wobei sie nicht<br />

aufhören, einan<strong>der</strong> fest umarmt zu halten, und zuletzt finden sich ihre<br />

Lippen endlich zu einem langen, festen Kuss.<br />

Das ist es also, das ist die Liebe, nach <strong>der</strong> ich mich so sehr gesehnt<br />

habe, sagt sich Ulrike, und es ist nahe liegend, dass vor allem sie diese<br />

innigen Momente des Glücks genießt. Trotzdem werden sie nicht allzu<br />

intim und geben sich noch keine Zungenküsse, wie das meistens <strong>der</strong><br />

Beginn zu noch mehr ist. Sie können sich noch beherrschen, weil es<br />

ihnen klar ist, dass die Zeit für mehr noch nicht reif ist.<br />

Schließlich bringt er es doch noch über sich, ihr die paar Worte, die er<br />

schon seit so langer Zeit loswerden wollte, ihr so leise in ein Ohr zu<br />

sagen, dass es schon fast ein Flüstern ist: „Ich liebe dich - ich liebe dich,<br />

so wie ich noch keine an<strong>der</strong>e Frau geliebt habe, ja, ich liebe dich über<br />

alles.“<br />

„Ich liebe dich auch“, sagt sie darauf fast automatisch und ein wenig<br />

lauter. Das überrascht sie zuerst selbst, versetzt jedoch ihn in eine fast<br />

222


unglaubliche Glückseligkeit, wie er es noch nie zuvor erlebt hat, auch<br />

nicht mit den an<strong>der</strong>en Frauen, mit denen er früher zusammen war.<br />

„Du liebst mich wirklich?“, fragt er trotz des gerade Erlebten noch etwas<br />

<strong>uns</strong>icher, während diesmal er sie lange liebevoll anschaut.<br />

„Ja, Hans, ich liebe dich wirklich“, antwortet sie und drückt ihre Lippen<br />

nochmals an die seinen, „ich liebe dich schon seit langem, aber jetzt ist<br />

es mir endgültig klar geworden.“<br />

„Mir aber schon viel früher, Ulrike. Du hast mir schon vom ersten<br />

Augenblick an gefallen, als ich dich das erste Mal sah. Schon damals an<br />

<strong>der</strong> Feldeggstraße habe ich gespürt, dass etwas zwischen <strong>uns</strong> werden<br />

könnte, doch an jenem Abend hast du nicht einmal Notiz von mir<br />

genommen.“<br />

„Trotzdem hast du es richtig gespürt“, entgegnet sie und umarmt ihn<br />

nochmals so fest, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Er ist schließlich<br />

<strong>der</strong> Mann, nach dem sie sich jahrelang gesehnt hat, und zugleich <strong>der</strong><br />

Eine, den kein an<strong>der</strong>er als Gott selbst zu ihr ge<strong>führt</strong> hat - davon ist sie<br />

jetzt bis ins Innerste überzeugt.<br />

Nachdem sie sich noch einmal fest in die Arme genommen und auf die<br />

Lippen geküsst haben, kommen sie endlich dazu, ihr kleines Picknick zu<br />

verzehren, das sie mitgebracht haben und das bisher unberührt und<br />

ungeöffnet daneben gelegen ist; dabei haben sie Glück, dass kein Insekt<br />

das ausgenützt hat. Während sie die Kuchenstücke genießen und aus<br />

den beiden Pappbechern, die sie ebenfalls mitgebracht haben, den<br />

Traubensaft trinken, denken die beiden nochmals über ihre neue Lage<br />

nach. Dabei erinnert sich Ulrike wie<strong>der</strong> daran, dass sie eigentlich<br />

vorhatte, mit ihm auch noch über den Glauben zu sprechen, bevor sie<br />

ihre Gefühle füreinan<strong>der</strong> nicht mehr im Zaum halten konnten.<br />

Während sie noch überlegt, auf welche möglichst behutsame Weise sie<br />

dieses heikle Thema, das jetzt natürlich noch heikler geworden ist,<br />

anschneiden sollte, bringt jetzt er etwas vor, das ihm schon lange auf <strong>der</strong><br />

Zunge gebrannt hat: „Weißt du, Liebling, wenn ich mir so überlege, wie<br />

es jetzt zwischen <strong>uns</strong> steht, dass wir <strong>uns</strong> jetzt lieben ... du weißt doch<br />

schon, was ich meine.“<br />

„Was denn, Schatz?“, fragt sie sofort, als wüsste sie nicht genau, worauf<br />

er anspielen will.<br />

Darauf antwortet er auffallend langsam: „Ich bin eben so lange allein,<br />

das heißt ledig geblieben, weil ich zwar ein paar Frauen kannte, aber nie<br />

eine fand, die auch wirklich zu mir passte und mit <strong>der</strong> ich mir auch eine<br />

gemeinsame Zukunft hätte vorstellen können. Aber mit dir ist es an<strong>der</strong>s,<br />

mit dir kann ich mir das vorstellen. Ich sage dir ganz ehrlich, dass ich<br />

mich schon jetzt darauf freue, mein Leben mit dir zu teilen.“<br />

223


Nach diesen Worten senkt sie ein wenig den Kopf und schweigt eine Zeit<br />

lang, die ihm fast unendlich lange vorkommt. Erneut fühlt sie die gleiche<br />

Bedrücktheit wie zuvor in sich aufkommen und da sie lange nichts mehr<br />

sagt, fragt er sie <strong>uns</strong>icher: „Was hast du denn, Liebling?“<br />

Wie<strong>der</strong> zögert sie eine Weile - und dann sagt sie langsam und leise,<br />

indem sie ihm aber offen in die Augen schaut: „Das ist es gerade, Hans.<br />

Ich habe mich viele Jahre lang nach einem lieben Mann gesehnt und oft<br />

auch dafür gebetet, dass <strong>der</strong> Herr mir einen schenkt, <strong>der</strong> gut zu mir<br />

passt, und jetzt habe ich dich endlich kennen gelernt und kann mich<br />

trotzdem nicht vollständig darüber freuen, dass wir <strong>uns</strong> lieben.“<br />

„Aber warum denn nicht?“, fragt er sofort, indem er sie nochmals in die<br />

Arme nimmt.<br />

„Kannst du dir nicht vorstellen warum?“, antwortet sie, ohne seine<br />

Umarmung zu erwi<strong>der</strong>n.<br />

Dann sagt sie nach kurzem Zögern, indem sie ihm nochmals offen in die<br />

Augen schaut: „Es fehlt eben noch etwas. Ich habe mir doch immer<br />

einen Mann gewünscht, <strong>der</strong> den gleichen Glauben mit mir teilt.“<br />

Da löst er sich sofort von ihr und entgegnet, indem er ihr scharf in die<br />

Augen schaut: „Ach, das ist es also! Das hätte ich mir denken können.<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten heißt das, dass ich für dich doch noch zu wenig gut<br />

bin. O<strong>der</strong> meinst du am Ende etwas an<strong>der</strong>es? Mach mir nichts vor! Dafür<br />

kenne ich die Frauen viel zu gut.“<br />

„Nein, Hans, das ist es nicht“, antwortet sie in einem fast verzweifelten<br />

Ton, „ich liebe dich wirklich und würde noch so gern mein Leben mit dir<br />

verbringen. Aber ich fühle mich trotzdem nicht frei genug, um mit<br />

ganzem Herzen ja zu sagen, solange es mit dir noch so steht.“<br />

„Solange was mit mir noch so steht? Mit dem Glauben? Das muss doch<br />

gar kein Problem sein. Ich respektiere deinen Glauben und habe nichts<br />

gegen ihn. Ich werde nie etwas Negatives dagegen sagen - und wenn es<br />

unbedingt sein muss, kann ich dich ja an eure Gottesdienste begleiten.<br />

Ich habe jetzt doch dich, <strong>der</strong> Rest wird sich schon irgendwie ergeben.“<br />

„Aber das ist doch gar nicht das, was ich wirklich meine“, entgegnet sie<br />

mit traurigen Augen und schüttelt schwach den Kopf, und dann fragt sie<br />

offen: „Kannst du dir denn nicht vorstellen, wie schön wir zwei es<br />

zusammen haben könnten, wenn auch du den Herrn kennen würdest<br />

und wir eine Ehe zu dritt führen könnten?“<br />

„Eine Ehe zu dritt? Was soll denn das wie<strong>der</strong> heißen?“<br />

Hans spürt, wie er langsam wie<strong>der</strong> etwas ärgerlich, ja, gar aggressiv<br />

wird, auch wenn er diesen Ärger nicht aufkommen lassen will. Sie<br />

wie<strong>der</strong>um sieht sogar noch mehr Unheil auf sie beide zukommen, aber<br />

sie gibt noch nicht auf: „Damit meine ich, dass ein gläubiges Paar<br />

224


zusammenlebt und <strong>der</strong> Herr über ihnen steht und ihr Leben leitet und sie<br />

beschützt.“<br />

„Das ist schön für dich, wenn du das glaubst, und ich möchte auch nichts<br />

dagegen sagen. Ich selber kann das aber nicht glauben, das geht über<br />

meinen Verstand.“<br />

„Aber das ist doch nicht so schwer zu verstehen, wenn man sich einmal<br />

bekehrt hat.“<br />

„Jetzt kommst du schon wie<strong>der</strong> damit! Genügt es dir denn nicht, dass ich<br />

deinen Glauben respektiere und dir verspreche, nie etwas dagegen zu<br />

sagen? Nicht viele Männer sind so tolerant wie ich, vergiss das nicht!“<br />

„Ja, das weiß ich, aber es würde mich trotzdem wahnsinnig freuen, wenn<br />

auch zu dich zu diesem Schritt entschließen würdest.“<br />

„Drängt mich doch nicht jedes Mal, wenn ich mit jemandem von euch<br />

zusammen bin! Soll ich mich denn zu etwas bekehren, ohne dass ich<br />

davon überzeugt bin, dass es richtig ist?“<br />

„Nein, sicher nicht, es soll dein freier Wille bleiben. Du könntest es aber<br />

je<strong>der</strong>zeit und überall tun, sogar jetzt und hier bei mir.“<br />

„Bei dir?“<br />

„Ja, auch ich könnte dich zum Herrn führen, wenn du nur willst, obwohl<br />

ich darin nicht viele Erfahrungen gemacht habe. Aber wenn du wirklich<br />

willst, könnte ich es tun.“<br />

„Du könntest mich also zu ihm führen? Diese komischen Ausdrücke, die<br />

ihr Evangelikalen immer auf Lager habt ...“<br />

„Du weißt aber im Grunde genommen sehr genau, was ich meine, und<br />

du weißt ebenfalls, dass wir Recht haben. Ich spüre es doch, dass du im<br />

Innersten unruhig bist und <strong>uns</strong> vielleicht sogar Recht gibst. Wenn es<br />

nicht so wäre, hättest du jetzt nicht so reagiert.“<br />

„Das redest du dir nur ein.“<br />

„Nein, ich spüre es wirklich. Ich kenne dich doch auch schon ziemlich gut<br />

- und erst recht, seit ich dich liebe. Ich spüre sogar, dass du dem Herrn<br />

schon viel näherstehst, als du selbst es glaubst und weißt. Nur sperrst<br />

du dich noch, um ihn als deinen persönlichen Erlöser kennen zu lernen,<br />

aber das kann auch noch kommen - darauf vertraue ich fest und<br />

natürlich werde ich dafür auch beten.“<br />

„Was macht dich denn da so sicher?“<br />

„Dein Verhalten und auch das, was die an<strong>der</strong>en mir schon erzählt<br />

haben.“<br />

„Welche an<strong>der</strong>en?“<br />

„Du weißt sicher, wen ich meine: Erwin zum Beispiel und Bruno, aber<br />

auch die an<strong>der</strong>en, die mit dir über den Glauben schon geredet haben.“<br />

„Tauscht ihr eigentlich Informationen über mich aus?“<br />

„Du darfst dir dabei nichts Schlechtes denken. Im Gegenteil, wir meinen<br />

es nur gut mit dir. Es ist <strong>uns</strong> allen ein Anliegen, dass du Jesus Christus<br />

225


als deinen persönlichen Erlöser findest. Da ist es doch natürlich, dass wir<br />

einan<strong>der</strong> erzählen, wie es mit dir steht.“<br />

„Ihr <strong>führt</strong> ja genau Buch über mich.“<br />

„Versteh das bitte nicht falsch, Liebling! Wir wollen wirklich nur das Beste<br />

für dich. Darum haben die an<strong>der</strong>en sich auch so viel Zeit für dich<br />

genommen, um dir den <strong>Weg</strong> zu Gott zu zeigen. Sogar Jan Hoveneel und<br />

Rabi Mavendran haben sich dir gewidmet; dabei sind das zwei Männer,<br />

die ständig unterwegs sind und nur wenig Zeit für solche Gespräche<br />

haben.“<br />

„Mit diesem Rabi habe ich aber nur kurz geredet.“<br />

„Trotzdem hat er es getan und ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen,<br />

dass du das Evangelium deutlich gehört hast, und von Jan Hoveneel,<br />

<strong>der</strong> sich für dich einen ganzen Abend lang Zeit genommen hat, müssen<br />

wir da schon gar nicht reden. Im Grunde genommen kennst du den <strong>Weg</strong><br />

genau, es ist alles vorbereitet - es fehlt nur noch deine Entscheidung.“<br />

„Wenn ich dich so reden höre, bekomme ich fast den Eindruck, ihr<br />

hättet euch miteinan<strong>der</strong> abgesprochen, dass du mich heute bearbeitest.“<br />

„Nein, das darfst du nicht denken“, sagt sie energisch, indem sie<br />

nochmals die Arme um ihn schlingt und ihm dann einen schnellen Kuss<br />

auf die Lippen gibt, „das ist jetzt alles so spontan aus mir<br />

herausgekommen, eben weil ich dich so liebe und mir innig wünsche,<br />

dass auch du dich zum Herrn bekehrst. Dann wäre <strong>uns</strong>er Glück wirklich<br />

vollkommen.“<br />

„Genügt es dir denn nicht, dass wir <strong>uns</strong> lieben? Viele an<strong>der</strong>e wären froh,<br />

wenn sie schon das hätten.“<br />

„Etwas fehlt aber noch - und du weißt auch genau, was ich meine.“<br />

„Setzt mich doch nicht ständig unter Druck! Immer wenn ich mit euch<br />

zusammen bin, spüre ich das, auch wenn ihr mir nicht direkt ins Gesicht<br />

sagt, ich solle mich zu eurem Jesus bekehren. Genüge ich allein dir<br />

denn nicht, obwohl ich dich über alles liebe und nie etwas Negatives<br />

gegen deinen Glauben sagen werde, wie ich es dir schon versprochen<br />

habe?... Sei ganz ehrlich, Ulrike: Genüge ich allein, so wie ich bin, dir<br />

nicht?“<br />

Da schaut sie ihn lange mit auffallend traurigen Augen an, so dass er<br />

seine harte Haltung ihr gegenüber schon fast bereut, bis sie schließlich<br />

langsam und fast aus <strong>der</strong> Ferne antwortet: „Auch ich liebe dich über<br />

alles, Hans. Ich liebe dich so sehr, dass ich mit dir sogar bis ans an<strong>der</strong>e<br />

Ende <strong>der</strong> Welt gehen würde, wenn es sein muss. Du bist <strong>der</strong> Mann, den<br />

<strong>der</strong> Herr mir geschenkt hat; das weiß ich seit heute ganz genau. Gerade<br />

deshalb ist es mein inniger W<strong>uns</strong>ch, dass auch du zum lebendigen<br />

Glauben an Jesus Christus kommst, damit wir dann gemeinsam und<br />

unter seinem Schutz auf dem weiteren Lebensweg gehen können.“<br />

226


„Ich kann mich dazu aber noch nicht entschließen, obwohl ich mir<br />

ebenfalls nicht an<strong>der</strong>es mehr wünsche, als mein Leben mit dir teilen zu<br />

können. Es ist mir immer noch vieles zu fremd und ich brauche Zeit, um<br />

alle neuen Eindrücke zu verarbeiten, aber wenn ich unter einem solchen<br />

Druck stehe, kann ich mich erst recht nicht entschließen.“<br />

„Hast du unterdessen die DVD von ‚Quo Vadis’ geschaut, die ich dir<br />

geschenkt habe?“<br />

„Ach diese! Ja, das habe ich, aber es hat mir noch nicht geholfen, alles<br />

klar zu sehen, also um mich zu bekehren, wenn du das meinst.“<br />

„Erinnerst du dich noch an diesen Marcus Vinicius, <strong>der</strong> fast die gleichen<br />

Probleme hatte wie du und auch seine Zeit brauchte, bis er Christus als<br />

Erlöser gefunden hat?“<br />

„Ja, sicher. Das war schön für ihn, aber du kannst mich nicht mit ihm<br />

vergleichen. Er ist er und ich bin ich, zudem liegt diese Geschichte schon<br />

2'000 Jahre zurück und ist erst noch erfunden.“<br />

„So wie er haben es aber viele an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Wirklichkeit erlebt.“<br />

„Dann war es auch für diese schön, aber je<strong>der</strong> hat sein eigenes Leben.<br />

So habe auch ich mein eigenes und will für mich selber entscheiden,<br />

was richtig ist und was nicht.“<br />

„Es sagt ja auch niemand, dass du das nicht tun sollst.“<br />

„Aber es klingt jedes Mal so. Gib mir noch etwas Zeit! Ich kann mich<br />

nicht überstürzt für etwas entscheiden, wenn ich nicht sicher bin, dass es<br />

richtig ist.“<br />

Darauf zögert sie etwas, bis sie in einem auffallend harten Ton, <strong>der</strong> so<br />

gar nicht zu ihr passt, ihm entgegnet: „Ich aber auch nicht, Hans.“<br />

„Was meinst du damit?“, fragt er <strong>uns</strong>icher, weil er schon etwas zu ahnen<br />

beginnt.<br />

Diesmal zögert sie noch länger, bis sie offensichtlich bedrückt antwortet:<br />

„Es tut mir so weh, dass ich dir das sagen muss, aber solange du noch<br />

nicht gläubig bist, kann ich auch keine gemeinsame Zukunft mit dir<br />

sehen, obwohl ich dich liebe und mir eine solche Zukunft mit dir<br />

wünsche.“<br />

„Ach was, das ist doch nur ein religiöser Floh, den die an<strong>der</strong>en dir ins<br />

Ohr gesetzt haben!“, entgegnet er darauf unwirsch, „wenn zwei sich<br />

wirklich lieben, spielt <strong>der</strong> Glaube keine Rolle mehr.“<br />

„In diesem Fall aber schon, weil das ein ganz beson<strong>der</strong>er Glaube ist, <strong>der</strong><br />

sich nicht mit falschen Kompromissen zufriedengeben kann.“<br />

„Falsche Kompromisse, sagst du? Ist das dein voller Ernst?“<br />

„Ja, lei<strong>der</strong> muss ich dir das so sagen.“<br />

„Das habe ich nie für möglich gehalten - nach all dem Schönen, das wir<br />

heute zusammen erlebt haben. Ich dachte schon, ich würde dir alles<br />

bedeuten, so wie auch du alles für mich bist.“<br />

227


Nach diesen Worten, die schon fast einem langen Schlagabtausch<br />

gleichkamen, spüren sie beide, dass sie an einem toten Punkt angelangt<br />

sind und es jetzt besser ist, wie<strong>der</strong> nach Hause zurückzukehren. Es ist ja<br />

auch schon später Nachmittag und merklich kühler geworden, und<br />

wegen seiner Behin<strong>der</strong>ung wird es noch länger dauern, bis sie Ulrikes<br />

Wagen erreichen werden. So räumen sie ihre Sachen schweigend auf<br />

und machen sich langsam auf den Heimweg. Wie sehr sich die Lage<br />

jetzt verän<strong>der</strong>t hat, zeigt sich auch darin, dass Hans diesmal nicht seine<br />

Hand ausstreckt, damit sie wie<strong>der</strong> Hand in Hand zurückgehen, so wie sie<br />

vor wenigen Stunden hierhergekommen sind.<br />

Während <strong>der</strong> Rückfahrt nach Zürich sprechen sie fast kein Wort<br />

miteinan<strong>der</strong>, ja, sie wagen es fast nicht mehr, sich noch anzuschauen.<br />

Tiefbetrübt stellen sie beide fest, dass dieser Tag, <strong>der</strong> für sie so schön<br />

und wun<strong>der</strong>bar begonnen hat, jetzt mit diesen Misstönen endet, obwohl<br />

sich an ihrer Liebe füreinan<strong>der</strong> im Grund nichts geän<strong>der</strong>t hat. Vor allem<br />

Ulrike hat Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken; es ist ja auch zu viel über<br />

sie hereingebrochen. Zuerst entdeckte sie ihre Liebe für ihn; dann<br />

erlebte sie zum ersten Mal in ihrem Leben, wie es ist, von einem Mann in<br />

die Arme genommen und geküsst zu werden, und kurz darauf brach ihre<br />

ganze neue Welt, die sie schon zu sehen glaubte, wie<strong>der</strong> zusammen. Es<br />

ist zwar nicht endgültig vorbei mit ihrer Beziehung, aber Ulrike spürt,<br />

dass sie sich einige Zeit nicht mehr sehen werden, ja, sie hält es sogar<br />

für besser. Das will sie ihm denn auch deutlich sagen, als sie an <strong>der</strong><br />

Eingangstür des Hauses, in dem sie wohnt, angekommen sind und er sie<br />

fast bittend fragt: „Können wir <strong>uns</strong> bald wie<strong>der</strong> sehen?“<br />

„Vorläufig lieber nicht“, antwortet sie ihm knallhart, was er auch so<br />

empfindet, „ich liebe dich zwar und will dich nicht verlieren, aber es ist für<br />

<strong>uns</strong> beide besser, wenn wir <strong>uns</strong> eine Zeit lang nicht mehr sehen, das<br />

heißt nicht mehr miteinan<strong>der</strong> ausgehen. Du sagst ja selbst, dass du<br />

deine Zeit brauchst - also will ich sie dir geben.“<br />

Während sie diese Worte sagt, merkt sie fast nicht, wie ihr diesmal<br />

tatsächlich Tränen über die Wangen rinnen. Auch ihm kommen fast die<br />

Tränen, doch er kann sie noch zurückhalten. Wie er sieht, dass sie ihm<br />

nur die Hand entgegenstrecken will, um sich von ihm zu verabschieden,<br />

tritt er einen Schritt nach vorn und drückt sie fest an sich. Da sie darauf<br />

aber nicht reagiert und ihn nicht wie gewünscht umarmt, geschweige<br />

denn küsst, steigert sich seine Verzweiflung noch mehr, und fast<br />

schluchzend sagt er ihr leise ins Ohr: „Ich liebe dich über alles, Ulrike.<br />

Bitte verlass mich nicht!“<br />

Damit trennen sich ihre <strong>Weg</strong>e, ohne dass sie sich zu ihrem<br />

228


ei<strong>der</strong>seitigen Leidwesen noch einmal geküsst haben, und während er in<br />

seine Wohnung fährt und sich wie<strong>der</strong> so einsam vorkommt wie schon<br />

seit langem nicht mehr, wirft sie sich weinend auf ihr Bett und bleibt viele<br />

Minuten so liegen, bis sie sich wie<strong>der</strong> etwas erholt hat. Dann entschließt<br />

sie sich, erneut für ihn zu beten, wie sie das schon viele Male zuvor<br />

getan hat, und während <strong>der</strong> ganzen Zeit ihres Gebets hören die Tränen<br />

nicht auf, ihre Wangen zu benetzen.<br />

16<br />

Wochen vergehen, Wochen <strong>der</strong> Traurigkeit und <strong>der</strong> abgrundtiefen<br />

Verzweiflung - einerseits für Ulrike, die manchmal schon glaubt, sie habe<br />

den Mann, den sie liebgewonnen und <strong>der</strong> ihr deutlich gesagt hat, dass er<br />

sie auch liebt, wie<strong>der</strong> verloren, und dennoch die Hoffnung nicht aufgibt<br />

und jeden Tag und manchmal auch nachts innig für seine Bekehrung<br />

betet … an<strong>der</strong>erseits aber auch für Hans, <strong>der</strong> im Gegensatz zu ihr<br />

tatsächlich glaubt, er habe seine große Liebe wie<strong>der</strong> verloren, und keine<br />

Ruhe mehr findet.<br />

In diesen Wochen <strong>der</strong> Trennung, in denen sie sich nicht mehr sehen und<br />

sogar bewusst aus dem <strong>Weg</strong> gehen, wird es ihm erst recht klar, wie sehr<br />

er Ulrike liebt. Er denkt buchstäblich Tag und Nacht an sie, ja, manchmal<br />

träumt er sogar von ihr und erlebt dann jedes Mal die schönen Momente<br />

an jenem Sonntag auf <strong>der</strong> Wiese wie<strong>der</strong>. Als er ihr sagte, er habe noch<br />

nie eine Frau vorher so geliebt wie sie, war kein einziger Hauch von<br />

Übertreibung o<strong>der</strong> gar Lüge in diesen Worten, son<strong>der</strong>n es entsprach <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit, wie er sie empfindet. Das erkennt er erst recht darin, dass<br />

er noch nie so nie<strong>der</strong>geschlagen und traurig war, wenn eine Trennung<br />

von einer Frau wie<strong>der</strong> einmal Tatsache geworden war, wie in diesen<br />

Tagen; es ist nicht mehr er selbst, <strong>der</strong> sein Leben bestimmt, son<strong>der</strong>n<br />

seine tiefe Liebe für Ulrike.<br />

Erst jetzt wird es ihm so richtig klar, was es heißt, an einer Liebe<br />

zugrunde zu gehen. Da nützt auch nicht mehr <strong>der</strong> Trost, dass es noch<br />

viele an<strong>der</strong>e gute und liebe Frauen auf <strong>der</strong> Welt gibt, wie ein Kollege das<br />

meinte, <strong>der</strong> ihn einmal nach dem Grund für seine offensichtliche und<br />

kaum verborgene Nie<strong>der</strong>geschlagenheit fragte. Sicher gäbe es noch<br />

viele an<strong>der</strong>e Frauen, die gut zu ihm passen könnten, aber es gibt eben<br />

nur eine Ulrike, und keine an<strong>der</strong>e ist so wie sie - da gibt es bei ihm nicht<br />

den geringsten Zweifel mehr.<br />

Dass nicht nur Frauen und Mädchen sich wegen einer unerfüllten Liebe<br />

229


zu einem Mann o<strong>der</strong> einem Jungen verzehren und oft daran zugrunde<br />

gehen können, son<strong>der</strong>n dass dies umgekehrt oft auch bei Männern<br />

geschieht, erfährt er jetzt an sich selbst. Früher konnte er nie begreifen,<br />

warum jemand sich aus Liebeskummer o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Gründen das<br />

Leben nahm o<strong>der</strong> nehmen wollte; er sagte sich immer, dass es aus je<strong>der</strong><br />

Lage einen Ausweg geben müsse, und erscheine diese noch so<br />

hoffnungslos. Jetzt kann er die Beweggründe dieser Menschen dagegen<br />

gut verstehen; zumindest vermag er sich eher in die völlig<br />

durcheinan<strong>der</strong>gewühlte, wenn nicht gar zerstörte Gefühlswelt solcher<br />

Leute zu versetzen. Jetzt würde er nicht mehr mit dem Kopf schütteln,<br />

wenn er wie<strong>der</strong> einmal zu hören o<strong>der</strong> zu lesen bekäme, es habe sich<br />

jemand von einer hohen Brücke wie <strong>der</strong> berühmt-berüchtigten Golden-<br />

Gate in San Francisco, vom Eiffelturm o<strong>der</strong> vom Fujiama in den Tod<br />

gestürzt, sich vor einen Zug gelegt, sich eine Kugel in den Kopf<br />

geschossen, sich erhängt, sich die Pulsa<strong>der</strong>n aufgeschnitten o<strong>der</strong> sich<br />

sonstwie das Leben genommen. Er fühlt sich so tief am Boden, dass es<br />

ihm fast den Verstand raubt, und einmal ertappt er sich gar beim<br />

Gedanken, dass auch er das Gleiche wie so viele an<strong>der</strong>e tun könnte -<br />

verzweifelt genug wäre er ja. Da er offiziell immer noch <strong>der</strong> Armee<br />

angehört und dort ein Füsilier-Korporal ist, hat auch er in seinem<br />

Schrank ein ausgeliehenes Sturmgewehr mitsamt <strong>der</strong> Taschenmunition.<br />

Einmal öffnet er sogar diesen Schrank und schaut sich die Waffe kurz<br />

an: Ja, es wäre so leicht und ginge so schnell, und im Gegensatz zu<br />

manchen an<strong>der</strong>en, die aus Mangel an Anatomie-Kenntnissen nicht<br />

einmal richtig trafen und dann für den Rest ihres Lebens invalid im<br />

Gesicht und meistens auch noch geistig wach blieben und sich im<br />

Spiegel buchstäblich ansehen mussten, was sie angerichtet hatten,<br />

würde er mit Sicherheit richtig treffen. In diesem Zusammenhang erinnert<br />

er sich wie<strong>der</strong> an den Nothelfer-Kurs, den er seinerzeit absolvieren<br />

musste, als er Auto fahren lernte, den er aber auch als sehr nützlich und<br />

notwendig betrachtete. Da sprach <strong>der</strong> Arzt, <strong>der</strong> diesen Kurs leitete, in<br />

genügend klaren Worten davon, dass niemand die Garantie habe, dass<br />

er o<strong>der</strong> sie nicht einmal in eine seelische Notlage geraten könnte, doch<br />

dann sagte er warnend: „Erschießen Sie sich ja nicht! Sie würden<br />

sowieso nicht richtig treffen.“<br />

Und dann erzählte er gerade von diesen Invaliden, die es versucht<br />

hatten und gescheitert waren und für den Rest ihres Lebens so furchtbar<br />

gezeichnet blieben.<br />

Nein, das würde bei ihm ganz sicher nicht geschehen - er würde sein<br />

Geschäft verstehen. Ja, es wäre wirklich so leicht und ginge so schnell.<br />

Aber würde er es tatsächlich fertigbringen? Nein, nur das nicht! Um<br />

230


Himmels willen nicht! Er will doch leben, er will nicht einfach aufgeben;<br />

das würde doch gar nicht zu ihm passen, er hat sich bisher doch immer<br />

durchgebissen. Da erinnert er sich wie<strong>der</strong> an die Worte eines Kollegen,<br />

<strong>der</strong> ihm vor vielen Jahren sagte, dass gerade jene, bei denen<br />

Selbstmordgedanken aufkommen und die sich denoch nicht umbringen,<br />

viel mehr Mut haben als jene, die tatsächlich Schluss machen, weil sie<br />

trotz aller Schwierigkeiten nochmals einen Neubeginn wagen. Zudem ist<br />

da noch etwas, das ihn stark beschäftigt und ihm keine Ruhe mehr lässt:<br />

Wenn es stimmt, was diese Christen sagen, wonach <strong>der</strong> einzelne<br />

Mensch für immer verloren ist, wenn er o<strong>der</strong> sie stirbt, ohne an Jesus<br />

Christus als persönlichen Erlöser zu glauben, dann würde auch er zu<br />

denen gehören, und falls ihre Worte, nach denen je<strong>der</strong> Mensch nur ein<br />

Leben hat, ebenfalls <strong>der</strong> Wahrheit entsprechen, hätte er nachher ja keine<br />

Chance mehr, um noch einmal zurückzukehren und sein Leben an<strong>der</strong>s<br />

in die Hand zu nehmen und vor allem um sich zu bekehren.<br />

Ist er wohl schon tiefer mit diesem Gedankengut verbunden, als es ihm<br />

selbst bewusst ist? Sonst hätte er in seinem Innersten wohl kaum diese<br />

Furcht vor einem Selbstmord, auch wenn bei ihm ab und zu solche<br />

Gedanken aufkommen. Dabei wäre es so einfach, seine Ulrike<br />

zurückzugewinnen: Er müsste sich nur bekehren - und schon würde ihrer<br />

Liebe nichts mehr im <strong>Weg</strong> stehen, doch das hört sich einfacher an, als<br />

es ist. Er beschäftigt sich zwar immer wie<strong>der</strong> mit dem, was Ulrike und<br />

alle an<strong>der</strong>en ihm gesagt haben, und er versucht auch, alles richtig<br />

einzuordnen und zu verstehen, aber es gelingt ihm einfach nicht, so sehr<br />

er sich auch bemüht. Das viel zitierte Brett bleibt auch bei ihm vor den<br />

Augen kleben und so sieht er immer noch nicht klar, warum er sich auf<br />

diese Weise bekehren soll, wie diese Christen es von ihm erwarten und<br />

zum Teil auch erhoffen.<br />

Immer wie<strong>der</strong> denkt er an die langen Gespräche zurück, die er zuerst mit<br />

Erwin Gisler und dann auch mit Jan Hoveneel und Bruno <strong>Weg</strong>mann<br />

<strong>führt</strong>e, aber auch an die kurzen Gespräche mit dem Prediger Rabi<br />

Mavendran sowie mit Albert Bachmann und Claudia Meier, die sich bei<br />

einem seiner Besuche in <strong>der</strong> Teestube bekehrt haben, und nicht zuletzt<br />

auch an die Worte seiner geliebten Ulrike. So verschieden diese sieben<br />

Personen auch sind, so einig waren sie sich darin, um zu bezeugen,<br />

dass Jesus Christus wirklich von den Toten auferstanden ist und noch<br />

heute lebt und ihr Leben positiv verän<strong>der</strong>t hat. Ob wohl tatsächlich etwas<br />

Wahres dran ist? Haben sie vielleicht doch Recht? Das würde dann aber<br />

heißen, dass er selbst nicht Recht hätte, dass er sich also bis heute in<br />

seinen verschiedenen Weltanschauungen geirrt hätte und stets auf dem<br />

falschen <strong>Weg</strong> gegangen wäre. Könnte er das sich selbst gegenüber<br />

eingestehen?<br />

231


Vielleicht lohnt es sich doch, sich einmal näher und gründlicher mit<br />

diesem christlichen Gedankengut zu beschäftigen - schaden kann es ja<br />

kaum. Wer weiß, vielleicht hilft ihm das am Ende, die geliebte Frau neu<br />

zu gewinnen. Das könnte sich umso mehr lohnen, als sie ihm ja gesagt<br />

hat, dass sie ihn immer noch liebt und auf ihn wartet, dass sie ihm seine<br />

Zeit zum Nachdenken geben will. Soll er sie aber unnötig lange warten<br />

lassen? Er rechnet zwar nicht damit, dass ihm ein an<strong>der</strong>er Mann<br />

ausgerechnet in dieser schwierigen Zeit für sie beide<br />

dazwischenkommen wird, aber wenn diese Trennung noch allzu lange<br />

anhält, könnte es einmal geschehen, dass sie sich zu sehr voneinan<strong>der</strong><br />

entfremden und ihre Beziehung dann erst recht in die Brüche ginge.<br />

Nein, das will er nicht; er will Ulrike um keinen Preis <strong>der</strong> Welt verlieren.<br />

Für sie würde er alles tun, ja, für sie würde er sich sogar zu diesem<br />

Jesus Christus bekehren, wenn es unbedingt sein muss, auch wenn er<br />

den Sinn dafür immer noch nicht ganz einsieht und zudem nicht die<br />

geringste Ahnung hat, wie er diese Bekehrung bewerkstelligen soll -<br />

jetzt, da <strong>der</strong> Kontakt zu Ulrike vorläufig abgebrochen ist und er sich an<br />

<strong>der</strong> Feldeggstraße auch nicht mehr blicken lässt. Er ist also auf sich<br />

allein gestellt, doch er will es auch so, denn er will seinen <strong>Weg</strong> selbst<br />

finden, und wenn es sein muss auch den <strong>Weg</strong> zu diesem unbekannten<br />

Gott.<br />

So fängt er an, ab und zu in <strong>der</strong> Bibel zu lesen, aber ohne ein<br />

bestimmtes System; manchmal ist es ein Teil aus dem ersten Buch<br />

Mose, das ihn wegen <strong>der</strong> Urgeschichte <strong>der</strong> Menschheit am meisten<br />

interessiert, manchmal ein Stück aus einem <strong>der</strong> Evangelien und hie und<br />

da auch ein Psalm o<strong>der</strong> ein neutestamentlicher Brief, aber nur einer <strong>der</strong><br />

kleineren - für die großen wie dem Römer- und dem Hebräerbrief, die<br />

auch theologisch gesehen viel schwerer als die an<strong>der</strong>en zu verstehen<br />

sind, was er schon zu Beginn erkennen kann, fehlt es ihm vorläufig an<br />

<strong>der</strong> nötigen Geduld. Auch wenn er fast nichts versteht und sich oft sagt,<br />

was für seltsame Typen diese Christen doch sein müssen, wenn sie<br />

behaupten, die Worte <strong>der</strong> Bibel seien lebendig und kämen ihnen bei <strong>der</strong><br />

Lektüre jedes Mal wie<strong>der</strong> neu vor, da er selbst nichts <strong>der</strong>gleichen<br />

empfindet, fühlt er sich nach je<strong>der</strong> Lesestunde zumindest nicht unwohl.<br />

Ob er sich wohl tatsächlich auf dem <strong>Weg</strong> zu Gott befindet, wie es Erwin<br />

Gisler ihm einmal gesagt hat?<br />

---------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Da sein Leben sich jedoch nicht nur zwischen den eigenen vier Wänden<br />

abspielt und auch er seine täglichen Kämpfe in <strong>der</strong> Welt draußen<br />

auszufechten hat, kann ein solcher Gemütszustand, in dem er sich<br />

232


wochenlang befindet, gegenüber denen, die näher mit ihm zu tun haben,<br />

natürlich nicht verborgen bleiben. Das betrifft nicht nur seinen<br />

Arbeitsplatz, an dem er sein Pensum wenigstens noch zur Zufriedenheit<br />

seiner Vorgesetzten und Kontrolleure erledigen kann, son<strong>der</strong>n noch viel<br />

mehr den Fußballverein, dem er noch immer angehört.<br />

Drei Wochen nach seinem letzten Treffen mit Ulrike, das so gut<br />

begonnen und so unglücklich geendet hat, ist seine Zerrung ausgeheilt,<br />

so dass sein Hausarzt ihm den Entlassungsschein aus <strong>der</strong> Therapie<br />

aushändigen kann, <strong>der</strong> er sich an jedem zweiten Tag - o<strong>der</strong> an jedem<br />

dritten, wenn ein Sonntag dazwischenkam - unterzogen hat und wegen<br />

gewisser For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Versicherung, die für seinen Fall zuständig<br />

ist, auch unterziehen musste. Bevor er mit dem Fußballspielen wie<strong>der</strong><br />

beginnt, wartet er auch auf Anraten des Arztes noch eine weitere<br />

Woche. Erst dann lässt er sich im Verein wie<strong>der</strong> blicken; da die Kollegen<br />

wussten, wie schlecht dran er in diesen Wochen war - allerdings wusste<br />

kein Einziger etwas von den näheren Hintergründen -, wurde er in Ruhe<br />

gelassen und bekam nur wenige Telefonanrufe, was ihm aber nichts als<br />

recht war.<br />

In <strong>der</strong> Zeit seiner Verletzung hat sich aber etwas Entscheidendes<br />

verän<strong>der</strong>t: Es wurde natürlich auch ohne ihn weitergespielt - und sein<br />

Vertreter namens Franz Tobler, ein junger, ehrgeiziger Bursche von<br />

knapp unter zwanzig Jahren, <strong>der</strong> ebenso wie er mit beiden Füßen etwa<br />

gleich stark spielt und ebenfalls in einer linken o<strong>der</strong> rechten<br />

Verteidigerposition zu spielen versteht, hat sich in diesen vier Wochen<br />

<strong>der</strong>art gut in die Mannschaft eingefügt, dass Hans vom rein spielerischen<br />

Standpunkt aus gesehen praktisch nicht vermisst wurde. Nicht zuletzt<br />

hatte auch dieser Franz einen entscheidenden Anteil daran, dass <strong>der</strong><br />

Verein gegen das Ende <strong>der</strong> Saison doch noch erstaunlich sicher die<br />

Aufstiegsrunde erreicht hat. Natürlich haben die Kollegen noch nicht<br />

vergessen, dass auch Hans zu diesem Teilerfolg beigetragen hat, aber<br />

eben auch Franz.<br />

In <strong>der</strong> Aufstiegsrunde ihrer Region gibt es drei Gruppen zu je vier<br />

Mannschaften. Jede muss also sechs Spiele bestreiten, je drei zu Hause<br />

und auswärts, und am Ende steigen nur die jeweiligen Gruppensieger<br />

auf. Es werden nachher also keine Barragespiele <strong>der</strong> Gruppenzweiten<br />

gegen Mannschaften aus an<strong>der</strong>en Gruppen ausgetragen, son<strong>der</strong>n<br />

höchstens allenfalls notwendige Entscheidungsspiele um den<br />

Gruppensieg.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Trainer gewisse Bedenken hat, Hans so kurz nach <strong>der</strong><br />

Ausheilung seiner Zerrung schon wie<strong>der</strong> auflaufen zu lassen, stellt er ihn<br />

233


im ersten Spiel wie<strong>der</strong> auf und lässt seinen bisherigen Vertreter draußen,<br />

nicht zuletzt auch deshalb, weil er es ihm aufgrund seiner jahrelangen<br />

Verdienste um den Verein schuldig zu sein glaubt und Franz immer noch<br />

am Anfang seiner Fußballerlaufbahn steht, also noch viel Zeit vor sich<br />

hat. Es ist ein Län<strong>der</strong>spiel - und erst noch auswärts und deshalb eine<br />

noch schwierigere Aufgabe, und dies umso mehr, als die<br />

Heimmannschaft genauso wie fast alle an<strong>der</strong>en, die sich fast nur aus<br />

Auslän<strong>der</strong>n zusammensetzen, eine erstaunlich große Anhängerschaft<br />

dabeihat, die sie natürlich lautstark anfeuert und die Gegner mit den<br />

entsprechenden Schimpfwörtern bewirft, wie das ja überall und an jedem<br />

Wochenende zu sehen und vor allem zu hören ist.<br />

Die Tatsache, dass er seinen Stammplatz an den viel jüngeren und auch<br />

konditionell stärkeren Franz verlieren könnte, lähmt Hans viel weniger<br />

als eben sein seelischer Zustand, den er auch auf dem Fusballplatz nicht<br />

verbergen kann; zudem fühlt er sich immer noch etwas müde, da zeigt<br />

sich eindeutig sein Trainingsrückstand von vier Wochen. Wenigstens<br />

kommt es ihm entgegen, dass er es sich als meistens hinterster<br />

Verteidiger leisten kann, mehr hinten zu bleiben und damit weniger<br />

laufen zu müssen, obwohl beim heutigen mo<strong>der</strong>nen Fußball erwartet<br />

wird, dass auch Verteidiger wenn nötig mitstürmen, so wie auch Stürmer<br />

wenn nötig verteidigen.<br />

Der Trainer merkt genauso wie die Mannschaftskameraden, die mit ihm<br />

spielen, natürlich bald, dass mit ihm etwas nicht stimmt, und so nimmt er<br />

ihn in <strong>der</strong> Pause aus <strong>der</strong> Mannschaft und ersetzt ihn durch Franz. Dabei<br />

ist ihm das nicht einmal unangenehm, denn so kann er sich wie<strong>der</strong><br />

etwas erholen, und dafür dankt er dem Trainer auch noch. Da die<br />

Mannschaft das Spiel zwar mit viel Mühe 2:1 gewinnt, aber doch gewinnt<br />

und damit drei enorm wichtige Punkte nach Hause bringen kann, achten<br />

<strong>der</strong> Trainer und auch die an<strong>der</strong>en in ihrer Freude über diesen Sieg nicht<br />

mehr beson<strong>der</strong>s darauf, dass Hans an diesem Tag gar nicht gut drauf<br />

war und sich zeitweise so schlecht fühlte, dass er sich kurz nach seiner<br />

Auswechslung fast übergeben musste.<br />

Beim zweiten Spiel, das zu Hause ausgetragen werden kann, ist ihm<br />

jedoch deutlich anzumerken, dass mit ihm etwas nicht mehr stimmt. Es<br />

läuft ihm zwar besser als vor einer Woche, er spielt auch konzentrierter<br />

und wirkt weniger müde als im ersten Spiel, so dass <strong>der</strong> Trainer ihn<br />

diesmal bis zum Schluss durchspielen lässt. Trotzdem bekommen seine<br />

Mitspieler den Eindruck, er sei nicht ganz bei <strong>der</strong> Sache und zu wenig<br />

aggressiv, vor allem in den Zweikämpfen, die früher immer seine große<br />

Stärke waren. Dass das Spiel mit einem 0:0 endet, ist aber nicht seine<br />

234


Schuld; schließlich müssen sie kein Tor hinnehmen und es gehört nicht<br />

zu seinen Aufgaben, selbst eines zu schießen. Noch einmal ist es für ihn<br />

gut ausgegangen, aber es ist klar, dass <strong>der</strong> Trainer und die meisten<br />

Spieler sauer sind - nicht auf Hans, son<strong>der</strong>n auf sich selbst, weil sie ein<br />

Spiel, in dem sie die meiste Zeit feldüberlegen waren und auch zu ein<br />

paar sehr guten Chancen kamen, nicht gewonnen und damit zwei<br />

wichtige Punkte verschenkt haben, die ihnen bei <strong>der</strong> Endabrechnung<br />

fehlen könnten.<br />

Das dritte Spiel ist wie<strong>der</strong> auswärts gegen einen ähnlich starken Gegner<br />

wie beim ersten und erneut auch gegen einen starken Anhang, und<br />

diesmal läuft es für Hans, <strong>der</strong> noch einmal bis zum Schluss durchspielt,<br />

nicht mehr so gut. Dass seine Mannschaft am Schluss nicht gewinnt und<br />

sich mit einem 1:1 begnügen muss, also nochmals zwei wichtige Punkte<br />

verliert, die hätten gewonnen werden können, liegt zum Teil auch an<br />

ihm, denn <strong>der</strong> Ausgleichstreffer, <strong>der</strong> erst zehn Minuten vor Schluss<br />

gefallen ist, muss in erster Linie er auf seine Kappe nehmen. Er beging<br />

einen <strong>der</strong> typischen Verteidigerfehler, wie sie hin und wie<strong>der</strong> zu<br />

beobachten sind: Anstatt den Ball einem nahe stehenden freien<br />

Mitspieler zuzuschieben, drehschte er ihn aufs Geratewohl in Richtung<br />

Mittelpunkt. Er hatte zwar vor, einen <strong>der</strong> beiden Mittelfeldspieler zu<br />

erreichen, die dort standen, aber so wie er es tat, wirkte es kopflos, nicht<br />

zuletzt auch aus <strong>der</strong> Sicht des Trainers, <strong>der</strong> diesen Lapsus von<br />

außerhalb miterleben musste.<br />

So kam eben, was kommen musste: Da keiner <strong>der</strong> beiden<br />

Mittelfeldspieler dem Ball entgegenlief, wurde dieser von einem<br />

Gegenspieler abgefangen, und aus dem darauffolgenden Angriff<br />

entwickelte sich das Gegentor, das erst recht nicht nötig gewesen wäre,<br />

weil die Mannschaft erneut die meiste Zeit feldüberlegen spielte.<br />

Natürlich wurde <strong>der</strong> Trainer sauer auf Hans, aber da nun einmal je<strong>der</strong><br />

einen spielentscheidenden Fehler begehen kann und zudem nur noch<br />

wenige Minuten zu spielen waren, hat er ihn nicht herausgenommen.<br />

Trotzdem macht er sich seine Gedanken über ihn, aber er will ihm noch<br />

eine Chance geben; deshalb spricht er nach dem Spiel im Umklei<strong>der</strong>aum<br />

nur kurz mit ihm und tut so, als wäre nichts geschehen. Auch von seinen<br />

Mitspielern bekommt er keinen Vorwurf zu hören, vor allem nicht von den<br />

Stürmern, die sich selbst an <strong>der</strong> Nase nehmen müssen, weil sie schon<br />

wie<strong>der</strong> mehrere ausgezeichnete Chancen nicht verwerten konnten.<br />

Dann kommt wie<strong>der</strong> ein Heimspiel, das vierte Spiel insgesamt und<br />

gegen die gleiche Mannschaft, die sie auswärts geschlagen haben.<br />

Obwohl sie in den vorherigen drei Spielen erst fünf Punkte errungen<br />

235


haben, sind sie noch nicht aus dem Rennen, können den Aufstieg<br />

theoretisch also immer noch schaffen. Mit einem weiteren Sieg gegen<br />

diesen Gegner hätten sie acht Punkte und könnten damit sogar bis zur<br />

Tabellenspitze vorstoßen, falls jene Mannschaft, gegen die sie 0:0<br />

gespielt haben und die darauf die beiden nächsten Spiele gewonnen und<br />

damit schon sieben Punkte auf dem Konto hat, heute verliert. Allerdings<br />

spielt sie zu Hause gegen den Tabellenletzten, eben jene Mannschaft,<br />

gegen die Hans und seine Kollegen 1:1 gespielt haben, und so ist die<br />

Wahrscheinlichkeit groß, dass sie eher gewinnt als verliert, obwohl auch<br />

im Fußball immer wie<strong>der</strong> dicke Überraschungen möglich sind.<br />

Wie schon in den drei ersten Spielen läuft es Hans erneut schlecht.<br />

Obwohl er sich darum bemüht, es gelingt ihm einfach nicht, sich richtig<br />

zu konzentrieren; er steht zeitweise sogar <strong>der</strong>art neben den Schuhen,<br />

dass seine Mitspieler schon zu hoffen beginnen, dass die Gegenangriffe<br />

nicht auf seiner Seite ausge<strong>führt</strong> werden. Einmal vergisst er sogar völlig,<br />

in Harmonie mit den an<strong>der</strong>en die Abseitsfalle zu stellen, indem er<br />

zeitgleich mit ihnen nach vorn rennt, und verschuldet damit fast ein Tor.<br />

Er hat es nur <strong>der</strong> guten Reaktion des Tormanns zu verdanken, dass die<br />

Mannschaft ungeschoren davonkommt, doch wenige Minuten später<br />

passiert ihm das Gleiche fast noch einmal, und er rennt buchstäblich erst<br />

in letzter Sekunde mit nach vorn. Was ist denn nur mit Hans los?, fragen<br />

sich einige schon bald. Auch die Spieler <strong>der</strong> gegnerischen Mannschaft<br />

erkennen natürlich seine Schwäche - und so versuchen sie gerade das,<br />

was die an<strong>der</strong>en verhin<strong>der</strong>n wollen, nämlich mehr auf seiner Seite<br />

anzugreifen.<br />

Es scheint wirklich nur noch eine Frage <strong>der</strong> Zeit zu sein, bis <strong>der</strong> erste<br />

Gegentreffer fällt, und so kommt kurz nach einer halben Stunde, was<br />

irgendwann einmal fällig war: Bei einem Flankenball, den er in besseren<br />

Tagen ohne Probleme mit einer Direktabnahme o<strong>der</strong> mit dem Kopf<br />

abgefangen hätte, ja, den er manchmal sogar mit einem kleinen<br />

Gegenvorstoß fast bis zur Mittellinie unterbunden hätte, schlägt er voll<br />

über den Ball, so dass <strong>der</strong> dahinter stehende Stürmer dieses Geschenk<br />

dankbar annehmen kann und keine Mühe hat, diesen im Tor<br />

unterzubringen - da nützt auch die gute Reaktion des Tormanns auf<br />

seinen Schuss nichts mehr. Sicher passieren solche Fehler immer<br />

wie<strong>der</strong> und sogar Verteidigern, die zur Weltklasse zählen, aber da ihm<br />

jetzt schon zum zweiten Mal innert kürzester Zeit ein verhängnisvoller<br />

Lapsus unterlaufen ist, <strong>der</strong> zu einem Gegentor ge<strong>führt</strong> hat, fühlt er sich<br />

tief beschämt, nicht zuletzt auch seinen Mitspielern und dem Trainer<br />

gegenüber, die so viel Zeit investiert und sich <strong>der</strong>art Mühe gegeben<br />

haben, um den heiß ersehnten Aufstieg zu schaffen; es wäre <strong>der</strong> erste<br />

236


überhaupt in <strong>der</strong> noch jungen Geschichte dieses Vereins, den es erst<br />

seit etwa zwanzig Jahren gibt.<br />

Natürlich platzt dem Trainer nach dieser Szene endgültig <strong>der</strong> Kragen. Er<br />

hat bisher lange Geduld gehabt, aber jetzt hat er genug von seiner<br />

Spielweise. Da immer noch fast fünfzehn Minuten bis zur Pause zu<br />

spielen sind und er es für zu riskant hält, Hans noch weiter auf dem Feld<br />

zu lassen, holt er ihn vorzeitig heraus und ersetzt ihn wie<strong>der</strong> durch<br />

Franz, und alle, die von den vereinsinternen Vorgängen eine Ahnung<br />

haben, können sich leicht ausrechnen, dass diese Ersetzung wohl die<br />

definitive Wachtablösung ist und zugleich das Ende einer<br />

Fußballerlaufbahn einläuten könnte. Aus taktischer Sicht erweist sich<br />

diese Maßnahme aber als richtig, denn Franz, <strong>der</strong> seine große Chance<br />

natürlich erkennt und sie fest entschlossen ausnützen will, sprüht<br />

geradezu vor Spielwitz und ist für die Verteidigng sofort eine klare<br />

Verstärkung. So trägt er entscheidend dazu bei, dass die Mannschaft<br />

wie<strong>der</strong> einen Zusammenhalt bekommt und die Fäden von hinten nach<br />

vorn und umgekehrt wie<strong>der</strong> fließend laufen - allerdings gelingt ihnen vor<br />

<strong>der</strong> Pause kein Tor mehr.<br />

Noch vor wenigen Monaten hätte eine solche Auswechslung für Hans<br />

fast das Ende <strong>der</strong> Welt bedeutet. Dass ein Spieler ab und zu aus<br />

taktischen und erst recht aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig vom<br />

Feld genommen und durch einen an<strong>der</strong>en ersetzt wird, ist zwar durchaus<br />

normal und ist mit ihm in den sechzehn Jahren seines Fußballerlebens<br />

auch schon ein paar Mal geschehen, und so musste er es nicht weiter<br />

tragisch nehmen. Was jedoch heute vorgefallen ist, hat er noch nie<br />

erlebt; eine solche Demütigung vor allen an<strong>der</strong>en hat er noch nie über<br />

sich ergehen lassen müssen. Im Gegensatz zu früher, als ihn das tief<br />

gekränkt hätte, kann er das jedoch zu seinem eigenen Erstaunen recht<br />

gelassen hinnehmen. So ist er dem Trainer keineswegs bös, dass er ihn<br />

nicht wenigstens bis zur Pause noch spielen lässt, son<strong>der</strong>n ihn vorzeitig<br />

und unter den Augen aller Spieler und des Publikums aus dem Spiel<br />

genommen hat. Er hat sogar Verständnis für diese Maßnahme;<br />

schließlich hat er tatsächlich schlecht gespielt und <strong>der</strong> Trainer als <strong>der</strong><br />

Hauptverantwortliche für die Mannschaft musste nun einmal danach<br />

handeln, was er für das Beste hielt.<br />

Trotz dieses Verständnisses ist es aber schlimm genug, sich das Spiel<br />

von außerhalb auf <strong>der</strong> Bank ansehen zu müssen, auch wenn Hans<br />

anerkennen muss, dass Franz weitaus besser spielt als er zuvor. Was<br />

ihn aber noch viel mehr schmerzt, ist die eisige Kälte, mit <strong>der</strong> er heute<br />

behandelt wird. Das hat schon damit begonnen, dass <strong>der</strong> Trainer ihn<br />

237


nicht mit einem einzigen Blick würdigte, als er vom Spielfeld kam und<br />

sich direkt neben ihn setzte, ja, dass in <strong>der</strong> Pause kein einziger<br />

Mitspieler auch nur ein einziges Wort mit ihm wechselt, als wäre er<br />

überhaupt nicht da - und vielleicht betrachten sie ihn bereits nicht mehr<br />

als Vereinsmitglied. Am meisten enttäuscht ihn jedoch, dass nicht einmal<br />

Markus Huggler, mit dem er sich persönlich am besten versteht und mit<br />

dem er fast immer an die Auswärtsspiele gefahren ist, sich wenigstens<br />

ansatzweise darum bemüht, mit ihm kurz zu sprechen. Vielleicht lastet<br />

jedoch <strong>der</strong> Druck <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu stark auf ihm und zudem denkt er, <strong>der</strong><br />

einer <strong>der</strong> wichtigen Mittelfeldstrategen ist, so wie immer in den Pausen<br />

bereits intensiv darüber nach, wie sie die zweite Halbzeit besser<br />

angehen sollen. Das Schlimmste ist jedoch, dass es seiner Mannschaft<br />

auch nach <strong>der</strong> Pause nicht mehr gelingt, den Rückstand wettzumachen,<br />

den er verschuldet hat; so muss er sich sagen, dass sie wegen ihm das<br />

Spiel und damit wahrscheinlich auch vorentscheidende drei Punkte<br />

verloren haben.<br />

Diese Vorahnung bestätigt sich, als <strong>der</strong> Trainer mit seinem Natel zum<br />

an<strong>der</strong>en Fußballplatz hinüberfunkt, <strong>der</strong> sich ungefähr fünfzehn Kilometer<br />

von hier entfernt befindet. Dort hat die Mannschaft gespielt, die an <strong>der</strong><br />

Tabellenspitze steht, und da er den Platzwart persönlich gut kennt, kann<br />

er ihn rasch fragen, wie das Spiel ausgegangen ist. Das<br />

Schlimmstmögliche ist wie befürchtet eingetroffen: Die an<strong>der</strong>en haben<br />

nicht nur gewonnen und stehen dadurch mit zehn Punkten deutlich oben,<br />

son<strong>der</strong>n haben auch noch hoch gewonnen und damit auch für die<br />

Tordifferenz etwas getan, die bei <strong>der</strong> Endabrechnung auch noch eine<br />

Rolle spielen könnte und sich schon oft fast als ein weiterer Punkt<br />

erwiesen hat, weil es bei einer Punktgleichheit zuerst auf diese<br />

ankommt.<br />

Nachdem schon fast alle sich umgezogen haben und gegangen sind,<br />

ohne sich auch nur mit einem Wort von Hans zu verabschieden, kommt<br />

<strong>der</strong> Trainer auf ihn zu und sagt in einem auffallend harten Ton: „Hans,<br />

ich muss noch mit dir reden.“<br />

Natürlich ist es klar, worüber er mit ihm sprechen will, und auch die<br />

wenigen an<strong>der</strong>en, die sich noch im Umklei<strong>der</strong>aum befinden, können sich<br />

das lebhaft vorstellen. Aber erst als <strong>der</strong> Allerletzte gegangen ist, wobei<br />

Markus sich als Einziger doch noch mit einem Handschlag von ihm<br />

verabschiedet hat, sind sie unter sich allein, und dann kann das<br />

Donnerwetter beginnen.<br />

„Du kannst dir selber ja gut genug vorstellen, warum ich mit dir noch<br />

reden will“, beginnt <strong>der</strong> Trainer sogleich resolut.<br />

238


„Natürlich weiß ich das“, entgegnet Hans, aber keineswegs <strong>uns</strong>icher. Er<br />

hat sich fest vorgenommen, sich nicht wegen eines Fußballspiels<br />

zusammenstauchen zu lassen - das ist es ihm nicht mehr wert.<br />

„Du weißt ja selber, wie katastrophal du heute gespielt hast“, setzt <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e fort, „ich verstehe ja, dass du nach dieser Verletzungspause<br />

wie<strong>der</strong> eine gewisse Zeit gebraucht hast, um dich neu in die Mannschaft<br />

einzufügen, und es kann jedem einmal ein Fehler passieren, aber bei dir<br />

ist das jetzt schon zweimal kurz hintereinan<strong>der</strong> vorgekommen, heute und<br />

vor einer Woche, und wegen dir haben wir wichtige Punkte verloren, die<br />

<strong>uns</strong> ziemlich sicher den Aufstieg kosten werden. Ich merke doch, dass<br />

du nicht mehr <strong>der</strong> Gleiche wie früher bist, dass du nicht mehr mit <strong>der</strong><br />

nötigen Konzentration spielst, und ich habe noch nicht vergessen, dass<br />

das zum Teil schon vor deiner Verletzung begonnen hat. Du bist wirklich<br />

nicht mehr <strong>der</strong> Gleiche wie früher - darum habe ich mich entschlossen,<br />

dich für die zwei restlichen Spiele aus <strong>der</strong> Mannschaft zu nehmen. Ich<br />

kann es vor den an<strong>der</strong>en einfach nicht länger verantworten, dich weiter<br />

spielen zu lassen. Du kannst dir ja selber gut genug vorstellen, warum<br />

fast alle dich nach dem Spiel geschnitten haben; ein paar von ihnen sind<br />

sogar richtig wütend auf dich, das habe ich ihnen auch ohne Worte<br />

deutlich angemerkt. Zum Glück gibt es für dich aber einen guten<br />

Ersatzspieler, <strong>der</strong> lang genug draußen auf seine Chance warten musste.<br />

Schon während deiner Verletzungszeit hat sich Franz gut in die<br />

Mannschaft eingefügt und heute hat er auch wie<strong>der</strong> gut gespielt.“<br />

„Sicher ist er ein guter Mann, das streite ich gar nicht ab“, entgegnet<br />

Hans, als <strong>der</strong> Trainer ihn wie<strong>der</strong> einmal zu Wort kommen lässt, „ich habe<br />

heute auch gesehen, wie gut er gespielt hat. Er wird sicher seinen <strong>Weg</strong><br />

machen, er ist ja auch mehr als zehn Jahre jünger als ich.“<br />

„Genau das wollte ich dir auch noch sagen, wenn du diesen<br />

Altersunterschied schon erwähnst: Da er auch in <strong>der</strong> nächsten Saison<br />

bei <strong>uns</strong> spielt und ich ihm weiter eine Chance geben will, wirst von jetzt<br />

an du an seiner Stelle Ersatzspieler sein. Etwas an<strong>der</strong>es kann ich mir im<br />

Moment nicht vorstellen, das musst du verstehen.“<br />

Wenn <strong>der</strong> Trainer geglaubt hat, Hans würde auf diese Mitteilung, die<br />

faktisch das Ende seiner Fußballerlaufbahn bedeutet, beson<strong>der</strong>s<br />

nie<strong>der</strong>geschlagen reagieren, hat er sich gewaltig in ihn getäuscht.<br />

Plötzlich kommt diesem eine Idee, die er seit dem Beginn <strong>der</strong><br />

Bekanntschaft mit den Christen und erst recht mit Ulrike schon seit<br />

Wochen mit sich herumgetragen, aber noch nie zu Ende gedacht und in<br />

klare Worte gekleidet hat.<br />

So entgegnet er gelassen: „Es ist mir gleich, ob ich dann noch in <strong>der</strong><br />

Manschaft dabei bin o<strong>der</strong> nicht. So wie es aussieht, höre ich sowieso mit<br />

dem Fußballspielen auf. Ich bin schon seit sechzehn Jahren in diesem<br />

239


Geschäft und heute 32-jährig, also in einem Alter, in dem schon ganz<br />

an<strong>der</strong>e und sogar viele berühmte Spieler ihre Schuhe an den Nagel<br />

gehängt haben, und nach einer solchen Zerrung muss man vor allem in<br />

diesem Alter je<strong>der</strong>zeit damit rechnen, dass es wie<strong>der</strong> passieren kann.“<br />

Auf diese unerwartete Neuigkeit reagiert <strong>der</strong> Trainer entsprechend,<br />

indem er sogar einen ganzen Schritt zurücktritt: „Das ist es also! Darum<br />

hast du in letzter Zeit so katastrophal gespielt! Natürlich, dir kann es ja<br />

gleich sein, ob wir den Aufstieg schaffen o<strong>der</strong> nicht; <strong>der</strong> Herr hört am<br />

Ende <strong>der</strong> Saison sowieso auf und die Kollegen können für den Schaden<br />

aufkommen, den du angerichtet hast. Wahrhaftig, eine solche<br />

Einstellung hätte ich dir nie zugetraut.“<br />

Darauf reagiert auch Hans energisch: „Jetzt mach aber mal halblang,<br />

Willi! Eine solche Behandlung muss ich mir nicht bieten lassen. Ich habe<br />

immer mein Bestes gegeben, wenn ich gut drauf war. Das solltest<br />

gerade du am besten wissen, du kennst mich doch schon lang genug.<br />

O<strong>der</strong> hast du das alles schon wie<strong>der</strong> vergessen, jetzt, da es mir schlecht<br />

läuft? Du hast wohl das Recht dazu, mich aus <strong>der</strong> Mannschaft zu<br />

nehmen - du bist schließlich <strong>der</strong> Trainer. Ich lasse mir aber keinen<br />

mangelnden Einsatz unterstellen, nicht nach einer so langen Karriere.“<br />

„Karriere sagst du dem? Dafür warst du viel zu wenig ehrgeizig und<br />

viel zu minimalistisch veranlagt. Wenn ich daran denke, was für ein<br />

Talent du früher warst! Ich sage noch heute, dass du einer <strong>der</strong> besten<br />

Verteidiger warst, die ich je gesehen habe, und du weißt ja auch, wie viel<br />

ich herumgekommen bin. Mit ein bisschen mehr Ehrgeiz und weniger<br />

Minimalismus und vielleicht noch besseren Kontakten nach oben hättest<br />

du in deinen besten Zeiten auch in <strong>der</strong> zweithöchsten o<strong>der</strong> sogar in <strong>der</strong><br />

höchsten Liga spielen können, aber für dich hatte <strong>der</strong> Beruf immer<br />

Vorrang. Das kann man ja noch verstehen, aber wenn ich daran denke,<br />

wie du heute spielst, bist du recht tief gefallen. Also komm mir nicht mit<br />

einer Karriere, vor allem jetzt nicht, da wir wegen dir ziemlich sicher den<br />

Aufstieg verpasst haben.“<br />

„Erzähl doch nicht so einen bodenlosen Blödsinn! Ich gebe ja zu, dass<br />

ich Mist gespielt habe; ich stehe zu meinen Fehlern. Aber dass wir<br />

wahrscheinlich nicht aufsteigen, ist nicht allein meine Schuld, und das<br />

weißt auch du sehr genau. Du hast ja selber immer wie<strong>der</strong> gesagt, dass<br />

es auf das ganze Kollektiv ankommt; also betrifft es die ganze<br />

Mannschaft, und wenn eine Mannschaft genug Klasse und Kampfgeist<br />

hat, kann sie einen Rückstand ohne weiteres aufholen, ein Tor erst<br />

recht. Was sagst du denn zu <strong>uns</strong>eren Stürmern, die ausgerechnet in<br />

diesen Aufstiegsspielen so viele dicke Chancen versiebt haben? Aber es<br />

hat jetzt keinen Zweck mehr, über das alles noch viel zu diskutieren. Ich<br />

habe unterdessen eingesehen, dass es im Leben noch Wichtigeres gibt<br />

240


als einen Aufstieg, und sogar dann, wenn wir diesen noch schaffen<br />

würden, hätten wir keine Garantie dafür, dass wir <strong>uns</strong> auch in <strong>der</strong> oberen<br />

Liga halten können und nicht schon nach einer Saison wie<strong>der</strong> absteigen<br />

müssen. Also was soll dieses ganze Gerede?“<br />

„Was sagst du da? Was ist dir denn noch wichtiger?“<br />

„Wie ich es sage: Es gibt noch Wichtigeres als Fußball, Aufstieg o<strong>der</strong><br />

Abstieg o<strong>der</strong> was auch immer. Das ist mir im Verlauf <strong>der</strong> letzten paar<br />

Monate immer klarer geworden - und das ist mit ein Grund, warum ich<br />

mit dem Fußballspielen aufhören will.“<br />

„Mit einer solchen Einstellung hast du in <strong>uns</strong>erem Verein aber nichts<br />

mehr zu suchen, nicht einmal mehr als Ersatzspieler! Da kannst du<br />

gleich die Koffer packen und verschwinden.“<br />

„Das musst du mir nicht zweimal sagen. Wenn du mich so behandelst,<br />

habe ich hier wirklich nichts mehr verloren.“<br />

Schon schickt er sich an, seine Sacken zusammenzupacken und ihm<br />

den Kastenschlüssel zu überreichen, doch da hält <strong>der</strong> Trainer ihn zurück<br />

und sagt darauf mit etwas ruhigerer Stimme und sichtlich darum bemüht,<br />

sich fortan besser zu beherrschen: „Hans, wir wollen nicht weiter<br />

streiten. Wir haben <strong>uns</strong> doch immer gut verstanden und du weißt, dass<br />

ich dich immer beson<strong>der</strong>s gern mochte, und im Grunde genommen mag<br />

ich dich auch jetzt noch gut, obwohl ich wegen dieses Spiels immer noch<br />

sauer bin; das gebe ich auch offen zu. Bevor du gehst, möchte ich dich<br />

nur noch eines fragen: Was hat dich so stark verän<strong>der</strong>t? Du warst doch<br />

vor wenigen Monaten noch ganz an<strong>der</strong>s, du warst ein aufgestellter und<br />

geselliger Typ, <strong>der</strong> sich mit allen gut verstand und den alle gernhatten,<br />

und heute bist du meistens so verschlossen und in dich gekehrt. Das<br />

passt einfach nicht zu dir, irgendetwas muss doch mit dir passiert sein.<br />

Kannst du es mir nicht sagen? Vielleicht kann ich dir helfen, wenn du<br />

schwere persönliche Probleme hast.“<br />

„Nein, Willi, es ist nicht das, was du meinst, jedenfalls nicht direkt das.“<br />

Dann zögert er kurz, bevor er leise hinzufügt: „Es ist wegen einer Frau.“<br />

„Also doch! Das habe ich mir schon halbwegs gedacht. Hast du etwa<br />

schon wie<strong>der</strong> die falsche erwischt und kannst aus diesem Grund nicht<br />

mehr so konzentriert spielen? Früher hast du solche Enttäuschungen<br />

doch locker weggesteckt und du bist immer noch in einem guten Alter,<br />

ganz bestimmt in einem besseren, als ich es bin ... Mach dir keine<br />

Sorgen, Hans! Du findest bald wie<strong>der</strong> eine; wer weiß, vielleicht überlegst<br />

du es dir dann doch noch einmal und kehrst zum Fußballspielen zurück -<br />

ob in diesem Verein o<strong>der</strong> in einem an<strong>der</strong>en, spielt dann auch keine Rolle<br />

mehr.“<br />

Dabei klopft er Hans wohlwollend auf die Schultern und überwindet sich<br />

sogar zu einem Lächeln.<br />

241


„Nein, diesmal ist es an<strong>der</strong>s“, entgegnet Hans sofort, indem er ihm fest in<br />

die Augen schaut, „es ist eine ganz beson<strong>der</strong>e Frau, wie ich noch keine<br />

an<strong>der</strong>e gekannt habe. Ich bin bis in mein Innerstes davon überzeugt,<br />

dass sie die große Liebe meines Lebens ist. Ich liebe sie so tief und fest,<br />

dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll, falls es endgültig zu einer<br />

Trennung kommt; wegen ihr verliere ich noch fast den Verstand.“<br />

„Aha, dann bist du also doch noch im Rennen? Was ist es denn, was sie<br />

so beson<strong>der</strong>s macht, wenn ich dich fragen darf?“<br />

Darauf zögert Hans etwas und antwortet dann umso sicherer: „Sie ist<br />

eine gläubige Frau, die an Jesus Christus glaubt.“<br />

Bei diesen Worten meint <strong>der</strong> Trainer fast, es treffe ihn <strong>der</strong> Schlag; er hat<br />

wohl mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit einer solchen<br />

Antwort, und was ihn noch mehr überrascht, ist die ruhige Art, mit <strong>der</strong><br />

Hans das gesagt hat, denn auch das passt nicht zu ihm.<br />

„Was sagt du da?“, fragt er schließlich nach einer Erholungszeit von<br />

nicht wenigen Sekunden, „du liebst also eine von diesen Jesus-Leuten?<br />

Da kann ich mir gut vorstellen, dass die dir den Kopf verdreht hat.<br />

Ausgerechnet mit einer solchen hast du dich eingelassen, ausgerechnet<br />

mit einer von diesen superfrommen Stündelern!“<br />

„Red nicht so von ihnen! Sie sind viel besser, als du denkst.“<br />

Hans ist selbst überrascht, dass er jetzt plötzlich so gut von ihnen<br />

spricht. Empfindet er in seinem Innersten wohl schon mehr Sympathien<br />

für sie, als er es sich selbst eingestehen will?<br />

„So, dann gehörst du am Ende auch noch zu ihnen - als verkappter<br />

Jesus-Freak?“<br />

„Nein, aber sie haben in vielem Recht.“<br />

„Spinnst du? Willst du jetzt auch damit anfangen, Sonntag für Sonntag in<br />

die Kirche zu rennen und dort fromme Lie<strong>der</strong> zu singen? Jetzt ist es mir<br />

endgültig klar, warum du in letzter Zeit so hundsmiserabel gespielt hast.“<br />

„Richtig, du sagst es gerade: Sonntag für Sonntag. Hältst du das aber<br />

für ein besseres Leben, das wir da draußen auf den Sportplätzen<br />

führen? Jeden Sonntag o<strong>der</strong> manchmal auch an einem Samstag, aber<br />

doch an jedem Wochenende rennen wir von Spiel zu Spiel und stehen<br />

jedes Mal unter dem gleichen Druck, zu gewinnen o<strong>der</strong> wenigstens nicht<br />

zu verlieren, und meistens genügt auch ein Unentschieden nicht mehr,<br />

seitdem bei einem Sieg die Drei-Punkte-Regel gilt. Dabei wird überall mit<br />

einer solchen Verbissenheit gekämpft, als ob <strong>der</strong> Untergang <strong>der</strong> Welt vor<br />

<strong>der</strong> Tür stehen würde, und das auch in den untersten Ligen, wo die<br />

Spieler nicht nur nichts verdienen, son<strong>der</strong>n gar noch draufzahlen<br />

müssen, um in einem Verein spielen zu können. Du musst doch auch<br />

zugeben, dass es nicht normal ist, fast in jedem Spiel mit einer solchen<br />

Aggressivät zur Sache zu gehen, die auch noch einen Teil <strong>der</strong><br />

242


Zuschauer ansteckt. Dazu kommt auch noch das regelmäßige Training,<br />

das auch ziemlich viel Zeit kostet - eine Zeit, die wir an einem an<strong>der</strong>en<br />

Ort vielleicht sinnvoller einsetzen könnten. Und so geht es Jahr für Jahr,<br />

man spielt und spielt, man steigt auf und wie<strong>der</strong> ab, dann steigt man<br />

wie<strong>der</strong> auf und wie<strong>der</strong> ab, und immer wie<strong>der</strong>holt sich das Gleiche. Es ist<br />

wie ein Kreislauf ohne Ende - und das Tragische dabei ist, dass wir am<br />

wirklichen Leben vorbeigehen. Diese Christen zeigen aber, dass es auch<br />

an<strong>der</strong>s geht, nicht nur im Umgang untereinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch in dem,<br />

was für sie wirklich zählt. Vor lauter Rennen zu den Fußballspielen an<br />

jedem Wochenende wissen die meisten von <strong>uns</strong> nicht einmal mehr, wie<br />

schön anstelle eines Fußballspiels o<strong>der</strong> eines an<strong>der</strong>en aufgeputschten<br />

Sportanlasses zum Beispiel gerade ein Gottesdienst sein kann.“<br />

„In diesem Fall bist du schon ein paar Mal hingegangen, sonst würdest<br />

du nicht so positiv davon reden.“<br />

„Sicher, schon mehr als zehnmal, und so habe ich auch Ulrike kennen<br />

gelernt.“<br />

„Ulrike? Also ist sie eine Deutsche o<strong>der</strong> Österreicherin? Es gibt ja fast<br />

keine Schweizerinnen mit diesem Namen.“<br />

„Ja, sie kommt aus <strong>der</strong> Nähe von Hannover. Du müsstest sie einmal<br />

sehen; dann könntest du verstehen, warum ich nicht mehr so normal<br />

spielen kann wie früher. Wie ich es dir schon gesagt habe, weiß ich bis<br />

in mein Innerstes, dass sie die Frau meines Lebens ist. Für sie würde ich<br />

alles tun, um sie nicht zu verlieren.“<br />

„Willst du damit etwa sagen, dass du dich wegen ihr am Ende sogar<br />

noch diesen Jesus-Leuten anschließen würdest?“<br />

„Warum nicht?“, entgegnet er lächelnd, „aber du kannst dich beruhigen.<br />

Ich wüsste gar nicht, wie ich das zustande bringen könnte. Zuerst<br />

müsste ich mich einmal richtig bekehren, aber ich tue nichts in dieser<br />

Richtung, ohne bis in mein Innerstes davon überzeugt zu sein, dass es<br />

die richtige Entscheidung ist.“<br />

Dann verabschieden sie sich voneinan<strong>der</strong>. Da sie ihre Diskussion doch<br />

noch zu einem friedlichen Abschluss gebracht haben und sich darin einig<br />

geworden sind, dass er für die beiden letzten Spiele und damit auch für<br />

die Trainings nicht noch extra bei <strong>der</strong> Mannschaft dabeisein muss,<br />

rechnen sie damit, dass sie sich einige Zeit nicht mehr sehen werden.<br />

Als <strong>der</strong> Trainer ihm die Hand gibt und ihm alles Gute und viel Glück für<br />

die Zukunft wünscht und dabei ausdrücklich auch Ulrike miteinschließt,<br />

glaubt Hans zu sehen, dass seine Augen etwas feucht geworden sind.<br />

243


17<br />

Das Gespräch mit dem Trainer, das zur faktischen Trennung von seinem<br />

Fußballverein ge<strong>führt</strong> hat, auch wenn er offiziell noch immer auf <strong>der</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong>liste verzeichnet ist, hat für Hans einen entscheidenden Vorteil<br />

gebracht: Im Gegensatz zu den Wochen, in denen er verletzt war und<br />

immer noch darauf achten musste, dass er möglichst bald geheilt würde,<br />

um wie<strong>der</strong> spielen zu können, ist er jetzt völlig frei von diesen<br />

Verpflichtungen, und er genießt diese neu gewonnene unerwartete<br />

Freiheit in vollen Zügen. Zum ersten Mal seit mehr als sechzehn Jahren,<br />

als er noch als Banklehrling einem Fußballverein beitrat - allerdings<br />

einem an<strong>der</strong>en als dem jetzigen, zu dem er erst mit knapp 22 Jahren<br />

gewechselt hat -, muss er nicht mehr buchstäblich Tag für Tag daran<br />

denken, dass er nach <strong>der</strong> Arbeit rechtzeitig zum Training erscheint, und<br />

muss nicht mehr mit dem ernormen Druck leben, Wochenende für<br />

Wochenende eine körperliche Bestleistung zu bringen, die meistens bis<br />

in die Knochen geht.<br />

Wie sehr diese Belastung nicht nur ans Physische mit den<br />

entsprechenden Möglichkeiten, sich immer wie<strong>der</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

schwer zu verletzen, son<strong>der</strong>n auch ans Psychische gehen kann, erkennt<br />

er erst jetzt, da er davon befreit ist, in seinem vollen Ausmaß. Was<br />

jedoch für viele an<strong>der</strong>e, die am Ende ihrer Sportlerlaufbahn stehen, zu<br />

einem Problem werden könnte, weil die regelmäßige große<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung an fast jedem Wochenende nicht mehr da ist und<br />

deshalb tiefe Gefühle <strong>der</strong> Leere mit entsprechenden depressiven<br />

Stimmungen sich breitmachen, bedeutet für ihn selbst eine gewaltige<br />

Erleichterung - umso mehr, als er ja sowieso nur noch wenige Jahre als<br />

Fußballer vor sich gehabt hätte. Insgesamt kann er dem Trainer sogar<br />

dankbar sein, dass dieser ein so hartes Machtwort gesprochen hat, und<br />

da mit Ausnahme von Markus, dem besten Kollegen des Vereins, kein<br />

an<strong>der</strong>er sich am Schluss wenigstens noch menschlich anständig von ihm<br />

verabschiedet hat, spürt er keine Lust mehr, auch nur besuchsweise bei<br />

ihnen vorbeizuschauen.<br />

So betrachtet er das Kapitel Fußball endgültig als abgeschlossen - und<br />

zu seinem eigenen Erstaunen bedauert er das nicht im Geringsten. Alles<br />

in allem war es eine schöne Zeit mit vielen interessanten Erlebnissen,<br />

doch dieser Lebensabschnitt ist jetzt vorbei, und er will nur noch nach<br />

vorn schauen. Es war seinerzeit halt doch die richtige Entscheidung,<br />

dass er nicht nur auf die Karte Fußball setzte, son<strong>der</strong>n auch auf den<br />

Beruf, obwohl sein Arbeitsplatz auch nicht mehr zu hun<strong>der</strong>t Prozent<br />

sicher ist. Da er mit seinem Sport kein Geld verdienen konnte, solange<br />

244


er nicht in <strong>der</strong> obersten Liga, geschweige denn in einem bekannten<br />

ausländischen Verein spielte, war es klug, auch noch an die Zeit danach<br />

zu denken, und das hat er getan.<br />

Mit seiner plötzlichen Fülle an Freizeit ist sein Kopf jetzt frei für an<strong>der</strong>e<br />

Dinge des Lebens, denen er sich bisher nie so richtig widmen konnte.<br />

Dabei stellt er mit Erstaunen etwas Beson<strong>der</strong>es fest: Seit er sich im<br />

Verlauf des heftigen Gesprächs mit dem Trainer zum ersten Mal auf die<br />

Seite <strong>der</strong> Christen gestellt hat, fühlt er sich in seiner Beziehung zu ihnen<br />

auf einmal viel lockerer. Hatte er früher noch Vorurteile und manchmal in<br />

seinem Innersten nur Spott, wenn nicht gar Verachtung für ihren<br />

Glauben übrig, <strong>der</strong> so gar nicht in die heutige Zeit zu passen scheint, so<br />

nimmt er jetzt das Ganze viel gelassener hin. Er lässt sich zwar nach wie<br />

vor nicht mehr an <strong>der</strong> Feldeggstraße blicken und schaut auch darauf,<br />

dass er am Bellevueplatz keinem mehr von ihnen unerwartet über den<br />

<strong>Weg</strong> läuft, aber er spürt allmählich, dass ihre Welt und damit auch ihr<br />

Glaube ihn immer mehr interessieren. Sicher spielt dabei eine<br />

entscheidende Rolle mit, dass er sich vor Liebe zu Ulrike fast verzehrt<br />

und sich mit dieser Person Jesus Christus zwangsläufig<br />

auseinan<strong>der</strong>setzen muss, wenn er sie wie<strong>der</strong> zurückgewinnen will, doch<br />

irgendetwas sagt ihm innerlich, dass dies nicht <strong>der</strong> einzige Grund ist.<br />

Irgendetwas beginnt in ihm zu arbeiten, ohne dass er es zunächst<br />

wahrnimmt, dann aber immer spürbarer. Wie soll er jedoch weiter<br />

vorgehen? Sicher wäre es gut, wie<strong>der</strong> diese Christen aufzusuchen und<br />

sie zu bitten, ihm bei seiner Suche nach diesem unbekannten Gott, den<br />

sie persönlich zu kennen vorgeben, behilflich zu sein - vielleicht mit<br />

treffenden Versen aus <strong>der</strong> Bibel, die er ja hinten und vorn nicht kennt,<br />

auch wenn er ab und zu schon darin gelesen hat. Da er jedoch annimmt,<br />

dass sie wissen, wie es um ihn und Ulrike steht, und ihnen nicht <strong>der</strong><br />

Meinung, er würde wie<strong>der</strong> nur wegen ihr kommen, wie<strong>der</strong> Vorschub<br />

geben will, hält er es vorläufig für besser, sich weiter nicht zu zeigen. Er<br />

möchte sich allein auf die Suche begeben und allein herausfinden, ob an<br />

ihrem Glauben wirklich etwas Wahres dran ist o<strong>der</strong> nicht.<br />

Noch einmal denkt er intensiv über die verschiedenen Gespräche nach,<br />

die er mit den Christen ge<strong>führt</strong> hat, und liest auch regelmäßig kleine<br />

Ausschnitte aus <strong>der</strong> Bibel, doch es gelingt ihm immer noch nicht, klar<br />

durchzublicken. Er fühlt, dass irgendetwas ihn immer noch innerlich<br />

blockiert, auch wenn er den festen Willen hat, dagegen anzukämpfen.<br />

Da hat er plötzlich eine glänzende Idee: Er erinnert sich wie<strong>der</strong> an die<br />

DVD von „Quo Vadis“, die Ulrike ihm seinerzeit geschenkt hat und die<br />

immer noch gut sichtbar mit ein paar an<strong>der</strong>en DVDs in seinem<br />

245


Bücherregal steht. Wenn eine Botschaft schon richtig ankommen soll,<br />

helfen Bil<strong>der</strong> oft mehr als bloße Worte, selbst wenn diese direkt aus <strong>der</strong><br />

Bibel stammen, und wenn man einen Film zum zweiten und wie bei ihm<br />

selber schon zum dritten Mal in aller Ruhe anschaut, kann man sicher<br />

noch ein paar wichtige Einzelheiten entdecken, die einem vorher noch<br />

nicht aufgefallen sind. Bei ihm kommt noch dazu, dass er seinen Kopf<br />

damals, als er diesen Film zweimal schaute - zuerst im Kino mit Ulrike<br />

und dann bei sich allein zu Hause -, noch nicht so frei hatte wie heute<br />

und immer noch von den Vorurteilen, welche die meisten Leute<br />

gegenüber <strong>der</strong> Person Jesus Christus haben, ohne sich mit ihm<br />

überhaupt jemals näher befasst zu haben, buchstäblich zerfressen war.<br />

So will er es also auf diesem <strong>Weg</strong> versuchen und legt die DVD ins<br />

entsprechende Gerät, setzt sich auf sein Sofa und lehnt sich gemütlich<br />

zurück, um den Film in aller Ruhe und ohne Vorurteile anzuschauen.<br />

Dabei hat er vor, sich die Geschichte, die er eigentlich schon gut kennt,<br />

weil er sie schon zweimal gesehen hat, so lebhaft wie möglich<br />

vorzuführen, als hätte er selbst vor 2’000 Jahren in Rom gelebt - und<br />

siehe da, er hat sich nicht getäuscht: Jetzt kann er sich viel besser in die<br />

antike römische Welt versetzen als bei den beiden ersten Malen; jetzt<br />

kann er sich viel eher vorstellen, wie schwer es schon damals für die<br />

Christen war, ihren beson<strong>der</strong>en Glauben öffentlich zu bezeugen, und er<br />

erkennt erstaunliche Parallelen, vor allem diese: Die heutigen Christen<br />

werden zwar nicht mehr den wilden Tieren vorgeworfen und sonstwie<br />

gemartert, doch <strong>der</strong> Hass, <strong>der</strong> auf sie prallt, ist <strong>der</strong> genau gleiche<br />

geblieben.<br />

Das erkennt er vor allem darin, dass jedes Mal, wenn jemand offen<br />

davon redet, die Menschen sollten wie<strong>der</strong> zu den biblischen Wurzeln<br />

zurückkehren und erneut an Gott und an Jesus Christus glauben, fast<br />

nur noch mit Hohn und Spott geantwortet wird, wobei nicht wenige<br />

Leute, die im Brennpunkt <strong>der</strong> Öffentlichkeit stehen, also zu den<br />

sogenannten Promis gehören, noch zusätzlich Öl ins Feuer gießen.<br />

Diesen weltlichen Hass, von dem die Christen gesprochen haben, sieht<br />

er auch noch darin, dass für alle möglichen Religionen offen Propaganda<br />

betrieben werden darf und sogar im Fernsehen immer mehr Vertreter<br />

dieser Glaubensrichtungen auftreten können, dass dagegen die<br />

bibelgläubigen Christen immer mehr in ihren Rechten beschnitten<br />

werden und nicht ohne Zufall niemand mehr von einer persönlichen<br />

Bekehrung sprechen darf, auch nicht jene, die sich als Pfarrer<br />

bezeichnen. Diese offensichtliche Diskriminierung geht heute sogar so<br />

weit, dass die Moslems, Hindus und Buddhisten und erst recht die immer<br />

einflussreicheren Esoteriker und Freidenker in den Schulen und<br />

246


Universitäten mehr Rechte haben als die bekennenden Christen und<br />

diese Politik von immer mehr Feiglingen, die auf einem Beamten- o<strong>der</strong><br />

Richterstuhl o<strong>der</strong> in einem politischen Parlament sitzen, bewusst<br />

geför<strong>der</strong>t wird.<br />

Am bedenklichsten findet er jedoch, dass kein Kruzifix mehr in einem<br />

Schulzimmer stehen darf, wenn auch nur ein an<strong>der</strong>sgläubiges Elternpaar<br />

dagegen protestiert, obwohl dieses Land jahrhun<strong>der</strong>telang sich als<br />

christlich bezeichnet hat - in Epochen, als noch keine aggressiven<br />

Moslems sich immer mehr in ganz Mittel- und Nordeuropa einnisteten<br />

und immer unverhohlener, ja, immer frecher für sich Rechte einfor<strong>der</strong>ten,<br />

als würden ihnen diese wie selbstverständlich zustehen; an<strong>der</strong>erseits<br />

wird kein Gegenrecht gehalten, so darf in keinem einzigen islamischen<br />

Land eine neue Kirche, ja, nicht einmal eine neue Kapelle gebaut<br />

werden. In <strong>der</strong> Zwischenzeit haben sie es sogar geschafft, dass ihre<br />

Religion in verschiedenen europäischen Län<strong>der</strong>n bereits als eine<br />

Staatsreligion mit allen steuerrechtlichen Vorteilen anerkannt worden ist.<br />

Haben am Ende Erwin Gisler und Bruno <strong>Weg</strong>mann, aber auch Jan<br />

Hoveneel doch Recht, als sie davon gesprochen haben, dass nicht nur<br />

die gute Seite existiert, also Gott und seine treuen Engel, son<strong>der</strong>n auch<br />

die Gegenseite, also <strong>der</strong> Teufel und die gefallenen Engel, die auch als<br />

Dämonen bezeichnet werden? Hatte er noch vor wenigen Wochen über<br />

solche Aussagen gelacht, hält er es jetzt für immer möglicher, dass sie<br />

doch Recht hatten. Die ganze Weltgeschichte und erst recht die heutige<br />

Zeit, in <strong>der</strong> alle möglichen Satanskulte wie Pilze aus dem Boden<br />

schießen und sogar noch öffentlich geför<strong>der</strong>t werden, scheinen klar dafür<br />

zu sprechen. Zu seinem eigenen Erstaunen entdeckt er bei sich selber<br />

gerade jetzt, da er an all dies denkt, dass er über diese offensichtliche<br />

staatliche Diskriminierung <strong>der</strong> evangelikalen Christen in einem Land, das<br />

sich immer noch als christlich bezeichnet, echt empört ist, und dass er<br />

gerade aus diesem Grund eine gewisse Solidarität mit ihnen und sich<br />

immer mehr zu ihnen hingezogen fühlt.<br />

Obwohl alle Szenen im Film natürlich nur gespielt wurden, kann er sich<br />

jetzt lebhaft vorstellen, wie es vor 2'000 Jahren im antiken Rom<br />

zugegangen sein muss, als die frühesten Christen ihren Glauben<br />

öffentlich zu bezeugen versuchten. So saugt er die Geschichte Stück für<br />

Stück im wahrsten Sinn des Wortes in sich auf - und je mehr er schaut,<br />

desto deutlicher erkennt er, dass Ulrike tatsächlich Recht hatte, als sie<br />

ihn mit <strong>der</strong> Hauptperson Marcus Vinicius verglich. Als dieser zu Beginn<br />

des Films in einem Bad höhnisch lacht, nachdem <strong>der</strong> etwa zwei Meter<br />

große Ursus, <strong>der</strong> Hausdiener <strong>der</strong> Familie, bei <strong>der</strong> er zu Gast ist, gesagt<br />

247


hat, dass er nicht in <strong>der</strong> Arena kämpfen wolle, weil Töten Sünde sei,<br />

erinnert er sich daran, dass auch er zu Beginn nur versteckten Spott<br />

übrighatte, als Erwin ihm zum ersten Mal vom Evangelium erzählte.<br />

Die zweite Szene, die ihn beeindruckt, ist jene, als Lygia und Marcus<br />

Vinicius ihre Liebe füreinan<strong>der</strong> entdeckt haben, und sie vor die<br />

Entscheidung gestellt wird, ob sie mit ihm nach seinem Heim wegziehen<br />

soll o<strong>der</strong> nicht, obwohl er noch nicht gläubig ist, und wie sie es schafft,<br />

dieser Versuchung zu wi<strong>der</strong>stehen. Da erinnert er sich natürlich wie<strong>der</strong><br />

an Ulrike, die vor einer ähnlich schweren Entscheidung gestanden ist,<br />

und er muss gegenüber sich selbst zugeben, dass er sie heute viel<br />

besser versteht. Wenigstens ist sie genauso wie Lygia fest bei ihrem<br />

Glauben geblieben und hat es praktisch zur Bedingung gemacht, dass er<br />

sich bekehrt, wenn er sie wirklich zur Frau bekommen will. Auch das<br />

spricht sicher für die hervorragende Qualität einer Frau - umso mehr, als<br />

sie damit rechnen musste, für immer ledig zu bleiben, wenn ihre<br />

Beziehung in die Brüche gehen würde.<br />

Die dritte Szene, die ihn sogar noch tiefer beeindruckt, ist jene, als<br />

Marcus Vinicus, <strong>der</strong> gehört hat, dass Lygia und ihre Familie genauso wie<br />

viele an<strong>der</strong>e Christen verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden sind,<br />

sich sofort dorthin begibt, weil er aufgrund seiner hohen Stellung als<br />

Befehlhaber einer Legion damit rechnet, sie befreien zu können; dabei<br />

wird er aber auch verhaftet und in die gleiche Zelle gesteckt, in <strong>der</strong> sich<br />

Lygia befindet. Unerwartet sieht er sich dort drinnen mit einer Welt<br />

konfrontiert, die nicht die seine ist, in <strong>der</strong> ihm alles, was unter den<br />

Christen geredet wird, immer noch viel zu fremd vorkommt. Da werden<br />

Worte von Erlösung und Verharren im Glauben gewechselt, <strong>der</strong>en Sinn<br />

nur sie selbst verstehen können. Wie<strong>der</strong> fällt ihm ein, dass Erwin bei<br />

einem ihrer Gespräche davon gesprochen hat, sie hätten eine spezielle<br />

Sprache, die nur sie selbst verstehen können - eben die Sprache<br />

Kanaans, des Landes <strong>der</strong> Verheissung.<br />

Eine weitere Schlüsselszene ist jene, als Marcus Vinicius und Lygia<br />

zusammen mit dem Apostel Petrus, <strong>der</strong> etwas abseits steht und still für<br />

sich betet, allein in <strong>der</strong> Zelle übriggeblieben sind und ihre vermeintlich<br />

letzten Stunden damit verbringen, noch einmal über alles Vorgefallene<br />

<strong>der</strong> letzten paar Wochen nachzudenken, in denen sie sich kennen<br />

gelernt und sich bald ineinan<strong>der</strong> verliebt haben. Als er ihr sagt, er wisse<br />

jetzt, dass er in seinem Leben viel unnützes und dummes Zeug geredet<br />

habe, antwortet sie ihm in beeindrucken<strong>der</strong> Weise, dass er Christus<br />

schon viel näherstehe, als er selbst es glaube. Trifft das wohl nicht auch<br />

ein wenig auf ihn zu? Wie gern würde er jetzt mit Ulrike zusammensitzen<br />

248


und mit ihr gemeinsam diesen Film nochmals anschauen, wie sie es<br />

damals im Kino getan haben! Dann könnten sie nachher darüber<br />

sprechen und würden vielleicht zum Schluss kommen, dass sie beide<br />

sich in einer ähnlichen Lage befinden und <strong>der</strong> einzige Unterschied darin<br />

besteht, dass sie nicht unmittelbar vom Tod bedroht sind.<br />

Der eigentliche Höhepunkt des Films kommt jedoch gegen den Schluss:<br />

Da muss Marcus Vinicius in <strong>der</strong> Nähe des Kaisers und dessen<br />

intrigenhafter Ehefrau an einem Pfahl angebunden miterleben, wie seine<br />

Lygia in <strong>der</strong> Arena unten ebenfalls an einem Pfahl angebunden von<br />

einem riesigen Stier tödlich bedroht und lediglich von Ursus verteidigt<br />

wird, <strong>der</strong> sein Leben lang eine Art Leibwächter für sie gewesen ist, weil<br />

sie ursprünglich die Tochter eines Königs gewesen und als Sklavin nach<br />

Rom verschleppt worden ist. Da Ursus keine Waffe bei sich haben darf,<br />

sieht es zu Beginn des Kampfes nicht gut aus für den Hünen; so wird er<br />

vom Tier zweimal auf die Hörner genommen und zur Seite geschleu<strong>der</strong>t.<br />

Obwohl Marcus Vinicius verzweifelt versucht, sich vom Le<strong>der</strong>riemen zu<br />

lösen, um Ursus und Lygia zu Hilfe eilen zu können, gelingt es ihm nicht.<br />

Kurz darauf schafft es Ursus jedoch, den Stier am Hals zu packen und<br />

diesen zu umschlingen, aber um ihn brechen zu können, braucht er jetzt,<br />

da er vom Kampf schon etwas mitgenommen und müde ist, enorm viel<br />

Kraft. Da geht Marcus Vinicius ein Licht auf: Plötzlich erinnert er sich an<br />

jenen, den die Christen als Erlöser bezeichnen, und so ruft er zuerst<br />

leise und zaghaft „Christus!“, dann aber umso lauter und deutlicher:<br />

„Christus, gib ihm Kraft!“<br />

Das Wun<strong>der</strong> geschieht: Ursus gewinnt den Kampf und schafft es, den<br />

Stier zu töten, auch wenn Hans als Tierfreund sich im Grund darüber<br />

aufregt, dass für diese Filmszene, die man ja nicht direkt hätte zeigen<br />

müssen, extra ein <strong>uns</strong>chuldiger Stier sein Leben lassen musste. Vor ein<br />

paar Jahrzehnten gab es eben noch nicht die heutigen<br />

Tierschutzgesetze, die sogar für die Herstellung von Spielfilmen gelten,<br />

so dass es üblich geworden ist, ganz am Schluss zu erwähnen, dass<br />

kein einziges Tier beim Drehen einen Schaden erlitten hat. Wenn er sich<br />

jedoch in die Zeit vor 2'000 Jahren und damit auch in die Arena versetzt,<br />

als hätte er all dies selbst erlebt, kann er darüber hinwegsehen, denn<br />

immerhin wurden Lygia und natürlich auch Ursus dadurch gerettet. Diese<br />

Worte, die Marcus Vinicius gerufen hat, bedeuten in seinem Leben den<br />

Wendepunkt. Er wird auch zu einem Christen, weil er an sich selbst<br />

erfahren hat, dass dieser Jesus Christus tatsächlich lebt, und Hans<br />

begreift jetzt teilweise auch die Aussage, dass gerade die vielen<br />

Märtyreropfer entscheidend dazu beigetragen haben, dass danach noch<br />

viel mehr Menschen sich zu Christus bekehrten, weil sie von ihrem<br />

249


Todesmut genauso beeindruckt wurden wie dieser Marcus Vinicius.<br />

Gerade die Worte „Christus, gib ihm Kraft!“ kann Hans nicht vergessen,<br />

ja, diese Filmszene beeindruckt ihn sogar <strong>der</strong>art, dass er die DVD<br />

nochmals ein wenig zurückspult, um sie ein zweites Mal zu sehen, und<br />

erst jetzt wird es ihm so recht bewusst, dass seine Augen sich fast mit<br />

Tränen füllen. Steht er Christus wirklich schon so nahe, wie Lygia zu<br />

Marcus Vinicius und auch Ulrike zu ihm gesagt haben? Kann er sich<br />

tatsächlich mit diesem römischen Feldherrn vergleichen, obwohl dieser<br />

sich nachher bekehrt hat und er nicht ... o<strong>der</strong> noch nicht? Stundenlang<br />

liegt er nachher noch wach und versucht, sich in allen Einzelheiten<br />

auszumalen, wie sein Leben sein könnte, wenn auch er einer von diesen<br />

Christen wäre. Er erinnert sich wie<strong>der</strong> an die Freude und an die Ruhe,<br />

die sie austrahlten, an ihre Freundlichkeit untereinan<strong>der</strong> und auch<br />

gegenüber den Gästen wie er, und nicht zuletzt erinnert er sich immer<br />

wie<strong>der</strong> auch an Ulrike, die gesagt hat, dass sie ihn liebt, und vielleicht<br />

immer noch auf ihn wartet. Wäre nicht schon die Aussicht, sein weiteres<br />

Leben mit dieser wun<strong>der</strong>baren Frau, die so gut zu ihm passt, teilen zu<br />

können, eine Bekehrung wert? Auch wenn er von ihrem Glauben immer<br />

noch nicht viel versteht, könnte er mit <strong>der</strong> Zeit ja hineinwachsen und<br />

immer mehr lernen, Jesus nachzufolgen, wie die Christen sich<br />

ausdrücken.<br />

Es scheint sich wirklich zu lohnen, einmal ernsthaft zu prüfen, ob dieser<br />

Glaube nicht nur ein Hirngespinst ist, das sich zwar schon seit zwei<br />

Jahrtausenden hält, sich aber über alle Wi<strong>der</strong>stände hinweg als<br />

erstaunlich wi<strong>der</strong>standsfähig erwiesen hat. Wie soll er jedoch vorgehen?<br />

Gegenwärtig hat er zu keinem dieser Christen noch Kontakt, nicht einmal<br />

zu Erwin und Bruno, die sich am meisten um ihn gekümmert haben.<br />

Dass sie ihn nie angerufen o<strong>der</strong> ihm nie geschrieben haben, <strong>führt</strong> er<br />

darauf zurück, dass wahrscheinlich Ulrike selber sie darum gebeten hat,<br />

damit er vorläufig die nötige Ruhe hat, um über alles Gesehene und<br />

Gehörte und vor allem über das, was zwischen ihnen beiden geschehen<br />

ist, gründlich nachzudenken.<br />

Das Lesen <strong>der</strong> Bibel und <strong>der</strong> verschiedenen Bücher, die sich mit dem<br />

Glauben und <strong>der</strong> Evolutionstheorie auseinan<strong>der</strong>setzen, bringt ihn aber<br />

auch nicht weiter, obwohl er sich ernsthaft darum bemüht. Vielleicht<br />

durch Beten? Aber das hat er doch nie gelernt - nicht einmal in <strong>der</strong><br />

Kirche, in die er als Kind noch ging, ist ihm das richtig beigebracht<br />

worden, und selbst wenn er es wollte, also nicht auf die Hilfe durch<br />

irgendjemanden angewiesen wäre, wüsste er nicht wie. Er spürt, wie er<br />

immer unruhiger wird und das gewisse Etwas, das er sich selbst nicht<br />

250


erklären kann, erneut in seinem Inneren arbeitet. Ist es am Ende wohl<br />

die Stimme Gottes, von dem die Christen ständig erzählen? Ist es<br />

tatsächlich dieser Jesus, von dem es heißt, er sei von den Toten<br />

auferstanden, und <strong>der</strong> ihn jetzt zu sich rufen will?<br />

Er versucht sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er ihn wirklich als<br />

Erlöser erkennen und finden könnte, wie Ulrike und alle an<strong>der</strong>en davon<br />

gesprochen haben, dass er ins Leben jedes Menschen kommt, <strong>der</strong> ihn<br />

darum bittet. Ist das wirklich so einfach o<strong>der</strong> steckt nicht doch ein Haken<br />

dahinter? Noch kann er sich aber nicht endgültig zu diesem Schritt<br />

überwinden. Vielleicht hilft es mir, wenn ich mich doch wie<strong>der</strong> bei den<br />

Christen blicken lasse, sagt er zu sich selbst. Diese können ihm sicher<br />

helfen, den <strong>Weg</strong> zu Gott zu finden, und er ertappt sich dabei, dass er<br />

plötzlich den Wünsch in sich spürt, ihn kennen zu lernen, und darüber<br />

keine Ruhe mehr findet und schlecht schläft, was das sicherste Zeichen<br />

dafür ist.<br />

So hält er die Zeit tatsächlich für gekommen, um ernsthaft zu prüfen, ob<br />

es diesen Gott wirklich gibt und ob dieser auch auf ihn mit offenen<br />

Armen wartet. Ja, er will und muss es einfach wissen! ...<br />

18<br />

Zum Glück ist <strong>der</strong> nächste Samstagabend nicht mehr fern - und es<br />

passiert Hans zum ersten Mal, dass er es kaum erwarten kann, wie<strong>der</strong> in<br />

die Teestube an <strong>der</strong> Feldeggstraße zu gehen. Zeitweise ist er so nervös,<br />

dass er sich überlegt, ob es nicht besser wäre, vorzeitig Erwin o<strong>der</strong><br />

Bruno o<strong>der</strong> sogar Ulrike anzurufen und ein Treffen abzumachen. Dann<br />

än<strong>der</strong>t er wie<strong>der</strong> seine Meinung und hält es am Ende doch für besser, so<br />

wie ursprünglich geplant erst am Samstagabend hinzugehen; nicht<br />

zuletzt spekuliert er auch darauf, dass er dann vielleicht Ulrke<br />

wie<strong>der</strong>sehen und sie mit seiner Anwesenheit überraschen könnte.<br />

Als es tatsächlich so weit ist und er sich dazu überwunden hat, die<br />

Teestube wie<strong>der</strong> zu betreten, scheint sich auf den ersten Blick nichts<br />

verän<strong>der</strong>t zu haben. Es ist gleich voll wie früher und auch die meisten<br />

Gesichter scheint er schon einmal gesehen zu haben. Nur seine Ulrike<br />

kann er nirgendwo entdecken, so sehr er sich auch darum bemüht; es<br />

sieht fast so aus, als wäre sie heute nicht gekommen und als würde sie<br />

auch nicht mehr kommen. Zuerst ist er etwas enttäuscht, doch dann sagt<br />

er sich, dass es vielleicht besser ist, weil er so unbeeinflusst von ihrer<br />

Anwesenheit in aller Ruhe überprüfen kann, ob dieser Glaube an Jesus<br />

251


Christus tatsächlich etwas für ihn und ob er selbst dafür auch reif genug<br />

ist.<br />

Kaum hat er sich an einen <strong>der</strong> noch freien Plätze gesetzt, spricht ihn<br />

jemand, den er nicht sehen kann, auch schon von <strong>der</strong> Seite her an: „Ja,<br />

sali Hans, bist du auch wie<strong>der</strong> da?“<br />

Er dreht sich nach <strong>der</strong> Richtung um, von <strong>der</strong> die Stimme gekommen ist,<br />

und erkennt ... seinen alten Bekannten Erwin Gisler, <strong>der</strong> soeben in<br />

Begleitung eines an<strong>der</strong>en Mannes hereingekommen ist und sich mit<br />

diesem noch nicht einmal gesetzt hat. Er sieht an ihm ein solches<br />

Strahlen, wie er es schon früher gesehen hat, aber im Gegensatz zu<br />

damals kommt es ihm nicht mehr gekünstelt und gestellt vor, son<strong>der</strong>n er<br />

hält es für echt und von innen heraus. Auch darin fühlt er, wie sehr auch<br />

er sich verän<strong>der</strong>t hat, dass er nicht mehr mit so vielen Vorurteilen<br />

behaftet ist.<br />

Wie seine alte Schule es von ihm erfor<strong>der</strong>t, erhebt er sich nicht nur bei<br />

einer Frau, son<strong>der</strong>n auch bei einem Mann zur Begrüßung, gibt zuerst<br />

Erwin die Hand und dann auch noch dem an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> sich mit dem<br />

Namen Konrad vorstellt.<br />

„Wie lang ist es schon her, dass du das letzte Mal hier gewesen bist?“,<br />

fragt Erwin sogleich, nachdem alle drei sich gesetzt haben.<br />

„Schon fast zwei Monate“, antwortet Hans, „ich habe eben eine gewisse<br />

Zeit gebraucht, um über alles gründlich nachzudenken.“<br />

«Ja, ich weiß, Ulrike hat es mir gesagt. Übrigens war sie es, die mich<br />

gebeten hat, vorläufig zu dir keinen Kontakt aufzunehmen, weil du ihr<br />

gesagt hast, du würdest deine Ruhe brauchen. Nur darum habe ich dir<br />

nie telefoniert o<strong>der</strong> geschrieben und nicht etwa, weil ich kein Interesse<br />

mehr hatte. Das Gleiche gilt auch für Bruno, jedenfalls hat er mir das<br />

gesagt.»<br />

Dann hält er kurz inne und fügt leise hinzu, so dass außer diesem<br />

Konrad, den er mitgebracht hat, nur noch Hans es hören kann: „Übrigens<br />

vermisst sie dich sehr, sie hat schon ein paar Mal nach dir gefragt. Man<br />

spürt, dass du ihr viel bedeutest.“<br />

Bei diesen Worten durchfährt Hans ein Glücksgefühl, wie er es seit dem<br />

letzten Treffen mit Ulrike nicht mehr erlebt hat. Sie liebt mich also doch<br />

noch, sagt er zu sich innerlich gelöst; sie hat also bis heute auf mich<br />

gewartet.<br />

„Wie ich sehe, ist deine Verletzung unterdessen auch ausgeheilt“, setzt<br />

Erwin wie<strong>der</strong> ein.<br />

„Ja, schon lange, und ein paar Mal habe ich auch wie<strong>der</strong> gespielt. Aber<br />

jetzt spiele ich nicht mehr, endgültig nicht mehr.“<br />

252


„Wirklich nicht? Das ist ja fast nicht zu glauben!“<br />

„Ja, <strong>der</strong> Fußballer Hans Stettler hat seine Karriere beendet und sich vom<br />

Verein sogar mehr o<strong>der</strong> weniger im Krach getrennt.“<br />

„Da muss aber allerhand passiert sein, dass es so weit gekommen ist.“<br />

„Allerdings, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Für mich ist das schon<br />

Vergangenheit; zu einem späteren Zeitpunkt kann ich dir vielleicht<br />

einmal erzählen, was vorgefallen ist, wenn du dann noch Interesse hast.<br />

Vorläufig genieße ich es intensiv, endlich frei zu sein und nicht an jedem<br />

Wochenende unter dem gleichen Druck zu stehen, und das mehr als<br />

sechzehn Jahre lang - abgesehen von <strong>der</strong> Zeit, als ich in London und<br />

New York ein paar Monate auf <strong>uns</strong>erer Bank gearbeitet habe.“<br />

„Diesen ständigen Druck kann ich mir lebhaft vorstellen“, entgegnet<br />

Erwin und ergänzt nach kurzem Zögern wie durch einen Geistesblitz:<br />

„Weißt du übrigens, wer heute wie<strong>der</strong> predigt?“<br />

„Natürlich nicht! Wie soll ich das denn wissen?“<br />

„Stell dir vor, es ist wie<strong>der</strong> Rabi Mavendran, den du auch schon gehört<br />

und kurz persönlich kennen gelernt hast!“<br />

„Ja, ich erinnere mich noch gut an ihn. Das ist jemand, den man nicht so<br />

schnell vergessen kann.“<br />

„Heute ist er wie<strong>der</strong> einmal bei <strong>uns</strong>, auch darum ist die Teestube wie<strong>der</strong><br />

so voll.“<br />

„Ist das denn nicht immer <strong>der</strong> Fall?“<br />

„Nein, lei<strong>der</strong> nicht, aber wichtig ist, dass überhaupt Leute kommen. Das<br />

ist in <strong>der</strong> heutigen antichristlichen Zeit ja nicht mehr so<br />

selbstverständlich.“<br />

„Anscheinend ist dieser Rabi bei euch eine große Nummer, wenn nicht<br />

sogar ein Star; sonst würden nicht jedes Mal, wenn er da unten auftritt,<br />

so viele Leute kommen.“<br />

„Ein Star ist er aber nicht, son<strong>der</strong>n genauso einer wie wir, weil vor Gott<br />

alle Menschen gleich sind, wie ich es dir schon einmal gesagt habe. Es<br />

hat aber nicht je<strong>der</strong> die gleiche Aufgabe. So wie Rabi auf seine Art zum<br />

Predigen bestimmt ist, so haben auch wir alle <strong>uns</strong>ere bestimmten<br />

Aufgaben, wo <strong>der</strong> Herr <strong>uns</strong> hinstellt, zum Beispiel gerade beim<br />

Traktatverteilen und bei Gesprächen auf den Straßen, wo wir zwei <strong>uns</strong><br />

kennen gelernt haben - darin liegt meine Stärke. Übrigens gibt es unter<br />

<strong>uns</strong> Gläubigen für das Predigen zwei ganz beson<strong>der</strong>e Ausdrücke, die<br />

nur die richtig verstehen können, die sich zum Herrn bekehrt haben. Was<br />

Rabi tut, bezeichnen wir als ‚evangelisieren’, und was Jan Hoveneel tut,<br />

den du ja auch gut genug kennen gelernt hast, ist für <strong>uns</strong> ‚verkünden’,<br />

aber wir bezeichnen es auch als ‘verkündigen’, also mit zwei Buchstaben<br />

mehr.“<br />

„Wo liegt denn <strong>der</strong> entscheidende Unterschied zwischen dem<br />

253


Evangelisieren und dem Verkünden o<strong>der</strong> Verkündigen?“<br />

„In <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Verkündigung des Evangeliums. Während Rabi sich jedes<br />

Mal an Ungläubige wendet und sie am Schluss seiner Predigten zur<br />

Bekehrung auffor<strong>der</strong>t, spricht Hoveneel manchmal auch zu einem<br />

gläubigen Publikum, das mehr über die Einzelheiten <strong>der</strong> Schöpfung und<br />

<strong>der</strong> Evolutionstheorie erfahren will; er ist also mehr ein Lehrer als ein<br />

Prediger. Für die Außenwelt sieht es vielleicht so aus, dass die beiden<br />

für <strong>uns</strong> Stars sind, aber das ist nicht <strong>der</strong> Fall. An<strong>der</strong>erseits kann es<br />

sicher nicht schaden, gute Zugpferde zu haben, das heißt bekannte<br />

Leute, damit noch möglichst viele Menschen das Evangelium hören<br />

können.“<br />

„Ja, da hast du vielleicht Recht.“<br />

Erst jetzt kommt es Erwin wie<strong>der</strong> in den Sinn, dass er sich eigentlich<br />

auch noch um Konrad kümmern sollte, den er extra zu diesem Zweck<br />

von <strong>der</strong> Straße mitgebracht hat, doch dann wird es leise im Raum, und<br />

es beginnt wie<strong>der</strong> das, was die Gläubigen als Vorprogramm bezeichnen<br />

und Hans schon ein paar Mal miterlebt hat, also mittlerweile schon gut<br />

kennt, auch wenn er in <strong>der</strong> Zwischenzeit fast zwei Monate lang nicht<br />

mehr hierhergekommen ist.<br />

Während das Vorprogramm mit einem persönlichen Zeugnis eines<br />

jungen Burschen und einem Lied zweier Mädchen, die diesmal ohne<br />

Begleitung einer Gitarre, dafür aber zweistimmig singen, gut über die<br />

Bühne geht, spürt Hans in sich eine eigenartige Wandlung. War er früher<br />

noch verkniffen und hörte er nur wi<strong>der</strong>willig zu, so kann er sich jetzt zu<br />

seiner eigenen Überraschung echt darüber freuen, dass drei junge<br />

Menschen nach langer Suche einen wirklichen Lebenssin in einem<br />

neuen Glauben gefunden haben, <strong>der</strong> doch nicht so schlecht und falsch<br />

zu sein scheint.<br />

Dieses eigenartige Gefühl <strong>der</strong> Hingezogenheit zu diesen Leuten und zu<br />

dem, was sie erzählen, verstärkt sich in ihm noch zusätzlich, als<br />

schließlich Rabi Mavendran das Podium betritt und mit seiner Predigt<br />

beginnt. Trotz seiner guten Deutschkenntnisse lässt er sich auch diesmal<br />

von einem an<strong>der</strong>en Mann übersetzen, aber diesmal ist es nicht mehr <strong>der</strong><br />

Gleiche wie beim ersten und zweiten Mal. Ist es wirklich Gott selbst, <strong>der</strong><br />

zu mir spricht?, fragt sich Hans angesichts seiner deutlichen<br />

Gefühlswandlung. Zum ersten Mal verkrampft er sich nicht mehr,<br />

son<strong>der</strong>n er kann seine Ohren und sein Gemüt dem öffnen, was <strong>der</strong><br />

Prediger verkündet, ja, er entdeckt sogar bei sich selbst, dass er nicht<br />

mehr ironisch von „eurem Gott“ und „eurem Jesus“ denkt, son<strong>der</strong>n das<br />

Possessivpronomen bewusst weglässt und damit für sich selbst<br />

254


andeutet, dass dieser auch für ihn da sein könnte.<br />

Will er mich denn wirklich so, wie ich bin? Ist es am Ende doch so<br />

einfach, ihn zu erkennen und zu finden, wie die Christen das immer<br />

wie<strong>der</strong> sagen? Immer unruhiger wird er, während <strong>der</strong> Mann auf dem<br />

Podium redet; da ist nichts mehr von diesem Gefühl <strong>der</strong> Überlegenheit<br />

und nichts mehr vom verächtlichen Hinunterschauen auf diese<br />

schwachsinnigen Frömmler, das sich früher jedes Mal, wenn er die<br />

Predigten hörte, bei ihm eingeschlichen hat … nein, diesmal fühlt er sich<br />

von den Worten aus <strong>der</strong> Bibel wirklich betroffen.<br />

Zum ersten Mal lässt er es zu, dass eine innere Stimme ihm sagen kann,<br />

er habe sich halt doch sein ganzes bisheriges Leben lang geirrt, er sei<br />

Gott tatsächlich immer ausgewichen und davongelaufen, ja, er habe ihn<br />

oft nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollen. Erschien ihm früher die<br />

Botschaft vom Kreuz genauso wie den meisten an<strong>der</strong>en, die davon<br />

hören, als hirnverbrannte Aussage von Leuten aus einer längst<br />

vergangenen Zeit, die nicht mehr in die heutige technisierte Welt passt,<br />

die immerhin fähig ist, Menschen auf dem Mond landen zu lassen,<br />

Satelliten bis zu den entferntesten Planeten des Sonnensystems zu<br />

schicken und noch viele an<strong>der</strong>e technische Wun<strong>der</strong> gelingen zu lassen,<br />

so kommt es ihm heute fast so vor, als wäre das Ereignis auf dem Hügel<br />

Golgatha vor den Stadttoren Jerusalems nicht nur ein bedeutendes<br />

Ereignis gewesen, son<strong>der</strong>n gar das allergrößte in <strong>der</strong> ganzen<br />

Menschheitsgeschichte überhaupt. Umsonst hat es nicht Millionen von<br />

Christen gegeben, die seit 2'000 Jahren behauptet haben, Jesus<br />

Christus sei von den Toten auferstanden, habe ihr Leben verän<strong>der</strong>t und<br />

ihnen ein ewiges Leben geschenkt, und umsonst kann es nicht sein,<br />

dass auch in <strong>der</strong> heutigen Zeit genauso wie in früheren Epochen<br />

Millionen davon sprechen und ihren Glauben zum Teil mit dem eigenen<br />

Leben o<strong>der</strong> mindestens mit jahrelangen Gefängnisstrafen und sogar<br />

Folterungen bezahlen.<br />

Auf einmal geht ihm ein Licht auf: Wenn schon so viele zum Glauben an<br />

ihn gefunden haben, dann könnte es sich ja auch für ihn lohnen, diese<br />

Person kennen zu lernen, wenn es schon so einfach ist, wie diese Leute<br />

sagen. Dabei denkt er in diesen Minuten nicht einmal an Ulrike, für die<br />

allein eine Bekehrung sich früher zu lohnen schien, nein, er spürt in sich<br />

tatsächlich immer mehr den W<strong>uns</strong>ch, Jesus Christus ganz persönlich<br />

kennen zu lernen. Er weiß zwar noch nicht wie, aber irgendein <strong>Weg</strong> wird<br />

sich schon finden lassen, wenn die Predigt erst einmal vorbei ist.<br />

Obwohl es in ihm brennt und er geradezu ungeduldig das Ende <strong>der</strong><br />

255


Predigt herbeisehnt, bringt er es doch nicht über sich, die Hand zu<br />

erheben, als Rabi Mavendran jene aufruft, die sich bekehren wollen ...<br />

o<strong>der</strong> ihr Leben dem Herrn Jesus übergeben, wie sich <strong>der</strong> Prediger<br />

ausdrückt. Dazu fühlt er sich immer noch zu verklemmt, irgendetwas hält<br />

ihn noch zurück.<br />

Sobald die Predigt jedoch vorbei ist und die Leute sich langsam erheben,<br />

tut er etwas Spontanes, das ihn zuerst selbst überrascht, denn er sagt<br />

sich fest entschlossen: Jetzt o<strong>der</strong> nie, jetzt will und muss ich es wissen!<br />

So steht er gleichzeitig mit Erwin auf, nimmt ihn am Arm und <strong>führt</strong> ihn<br />

ein wenig zur Seite. Dort sagt er zu ihm ebenso entschlossen: „Erwin,<br />

kannst du rasch mit mir kommen? Ich muss dir etwas Wichtiges<br />

mitteilen.“<br />

„Ja, natürlich, Hans“, antwortet dieser ebenso spontan, als ahnte er<br />

etwas, und sagt dann zum Mann, den er von <strong>der</strong> Straße mitgebracht hat:<br />

„Entschuldige, Konrad, ich komme gleich wie<strong>der</strong>. Ich muss rasch mit ihm<br />

weg.“<br />

Dieser nickt ihm kurz zu, gibt ihm also zu verstehen, dass er damit<br />

einverstanden ist, dass <strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong> ihn hierher gebracht hat, ihn für<br />

kurze Zeit links liegen lässt, und sobald die beiden etwas abseits bei<br />

einer Ecke stehen, wo sie noch ungestört sprechen können, sagt Hans<br />

zu Erwin in einem Ton, als täte ein an<strong>der</strong>er das an seiner Stelle: „Erwin,<br />

ich habe mich entschieden: Ich möchte Jesus Christus persönlich<br />

kennen lernen. Wenn er mir zeigt, dass es ihn wirklich gibt, bin ich bereit,<br />

ihm mein Leben zu übergeben und ihm so nachzufolgen, wie ihr immer<br />

davon geredet habt - und zwar total und kompromisslos, weil ich noch<br />

nie halbherzige Sachen gemacht habe. Wenn ich mich für etwas<br />

entscheide, dann gründlich; so ist das bis jetzt immer in meinem Leben<br />

gewesen.“<br />

Kein an<strong>der</strong>er Mensch hätte jemals so strahlen können wie Erwin in<br />

diesem Moment - und er, <strong>der</strong> sonst immer so nüchtern wirkt, hat<br />

tatsächlich Mühe, einen Jauchzer zu unterdrücken. Jetzt ist es<br />

tatsächlich auch mit ihm so weit!, sagt er sich frohlockend. So hat sich<br />

<strong>der</strong> ganze Aufwand und alles Beten für ihn doch gelohnt. Während er<br />

Gott innerlich dankt, muss er plötzlich auch an Ulrike denken, und er<br />

freut sich auch für sie, die diese Bekehrung nicht einmal miterleben<br />

kann, weil sie heute nicht gekommen ist.<br />

Er ist aber klug genug, sie nicht zu erwähnen, denn er hält es sogar für<br />

besser, dass sie nicht hier ist. Nichts und niemand soll jetzt zwischen<br />

Gott und Hans stehen, wenn die beiden sich begegnen; nichts und<br />

niemand soll ihn daran erinnern, dass zu Hause eine Frau sehnsüchtig<br />

darauf wartet, dass er sich bekehrt, nein, er soll diese Bekehrung ohne<br />

einen Hintergedanken vollziehen - sie soll echt sein. Da Ulrike oft an den<br />

256


Samstagabenden gekommen ist, wurde es offensichtlich durch eine<br />

Führung von oben bewirkt, dass sie ausgerechnet heute nicht hier ist,<br />

damit sie ihn nicht ablenkt.<br />

Dann erinnert er sich aber noch an ein kleines Problem, also sagt er ihm:<br />

„Hans, es freut mich riesig, dass jetzt auch du den Herrn in dich<br />

aufnehmen und dich richtig bekehren willst. Ich würde dich wirklich gern<br />

zu ihm führen, doch das braucht eine gewisse Zeit, und ich muss mich<br />

noch um Konrad kümmern, den ich schließlich von <strong>der</strong> Straße<br />

hierhergebracht habe.“<br />

„Ich kann aber nicht so lange warten, bis dein Gespräch mit ihm fertig<br />

ist“, entgegnet Hans sofort. „O<strong>der</strong> willst du etwa, dass ich es mir wie<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>s überlege?“<br />

Obwohl er diese Worte nicht ernst gemeint und Erwin dabei sogar<br />

zugezwinkert hat, sieht es dieser an<strong>der</strong>s, und er überlegt eine kurze<br />

Weile, was nun zu tun sei, bis ihm ein Geistesblitz aufgeht: „Weißt du<br />

was? Du kannst zu Rabi gehen. Wir können ihn ja fragen, ob er gerade<br />

frei ist.“<br />

„Okay, gehen wir halt zu ihm!“, sagt Hans in fast gleichgültigem Ton,<br />

obwohl es ihm eigentlich schon lieber gewesen wäre, diesen<br />

entscheidenden Schritt in seinem Leben bei Erwin zu vollziehen, weil er<br />

ihn als ersten von allen Christen getroffen hat und ihn auch viel besser<br />

kennt als Rabi.<br />

Die beiden haben Glück, denn <strong>der</strong> Prediger ist tatsächlich verfügbar, weil<br />

nur eine Frau nach seinem Aufruf zur Bekehrung ihre Hand erhoben hat<br />

und eine an<strong>der</strong>e Frau, die schon gläubig ist, sich um sie kümmern kann.<br />

„Es freut mich, dass du jetzt auch zum Herrn Jesus gehen willst“, sagt<br />

Rabi zu ihm, nachdem Erwin ihn zu ihm hinge<strong>führt</strong> und ihn nochmals<br />

vorgestellt hat - diesmal aber auf Deutsch. Dann öffnet er hinten eine Tür<br />

und for<strong>der</strong>t Hans auf, mit ihm eine kleine Treppe hinunterzusteigen, die<br />

zu einem kleinen Raum <strong>führt</strong>, in dem sie ungestört bleiben können.<br />

Offensichtlich sind die paar Räume, die es da unten gibt, extra für solche<br />

Bekehrungen, aber auch für Gebetsversammlungen vorgesehen, und<br />

Hans muss sich eingestehen, dass sie sich dafür auch hervorragend<br />

eignen.<br />

Das einzige Problem, das ihn jetzt beschäftigt, ist eines, das angesichts<br />

<strong>der</strong> Tragweite seiner festen Entscheidung zur Bekehrung eigentlich<br />

nebensächlich sein sollte: Da er immer damit gerechnet hat, dass er sich<br />

- wenn überhaupt jemals - bei Erwin bekehren würde, den er ja viel<br />

besser kennt als Rabi, den er zwar auch schätzt, <strong>der</strong> ihm aber immer<br />

noch ein wenig fremd ist, weil er ihn im Grund nur zweimal flüchtig<br />

257


kennen gelernt hat, fühlt er sich etwas blockiert. So überlegt er sich, ob<br />

er vielleicht nicht doch besser warten soll, bis Erwin das Gespräch mit<br />

dem an<strong>der</strong>en Mann beendet hat. Dann gibt er sich aber einen Ruck,<br />

indem er sich sagt, dass es letztlich nicht darauf ankommt, wer ihn zu<br />

Gott führen soll, wie die Gläubigen sich auszudrücken pflegen, und<br />

betritt tapfer den Raum, den Rabi geöffnet hat.<br />

Der Prediger scheint zu spüren, dass Hans wie<strong>der</strong> <strong>uns</strong>icher geworden<br />

ist, doch da kommen ihm wie<strong>der</strong> einmal seine Erfahrungen aus vielen<br />

Jahren <strong>der</strong> Evangelisation zugute: Er hat schon mehrere Menschen zum<br />

Herrn ge<strong>führt</strong>, darunter auch solche, die noch weniger pflegeleicht waren<br />

als Hans, und sieht deshalb keine beson<strong>der</strong>en Probleme auftauchen.<br />

Bevor das Ganze beginnt, von dem Hans nicht die geringste Ahnung hat,<br />

wie es vor sich gehen soll, setzen sich die beiden auf ein kleines Sofa,<br />

das im Raum neben zwei Stühlen angebracht ist; angesichts <strong>der</strong><br />

Kleinheit dieses Raumes ist es erstaunlich, dass dafür noch so viel Platz<br />

da ist. Da Rabi noch die Gewissheit haben will, ob Hans tatsächlich die<br />

feste Absicht hat, umzukehren und Buße zu tun, wie die Gläubigen die<br />

Bekehrung auch bezeichnen, hat er vor, an ihn noch zwei prüfende<br />

Fragen zu stellen, und so fragt er denn auch, indem er Hans fest in die<br />

Augen schaut, wie<strong>der</strong> auf Deutsch: „Bist du wirklich bereit, Jesus<br />

Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, in dein Leben aufzunehmen<br />

und ihn als deinen Erlöser und Herrn anzuerkennen?“<br />

„Ja, ich bin dazu bereit“, antwortet er resolut, indem er dem an<strong>der</strong>en<br />

ebenso fest in die Augen schaut, und ist darüber selbst immer noch<br />

erstaunt.<br />

Dann fragt Rabi weiter: „Willst du ihm wirklich deine Sünden bekennen,<br />

darüber Buße tun und ihn als deinen persönlichen Erlöser annehmen?“<br />

„Ja, ich will es“, antwortet Hans diesmal etwas leiser, weil er<br />

angesichts dieser klar gestellten For<strong>der</strong>ungen, von denen er immer noch<br />

nicht alles versteht, auch wie<strong>der</strong> etwas <strong>uns</strong>icher wird.<br />

„Gut, Hans, du hast mich überzeugt“, entgegnet Rabi jedoch zu seiner<br />

Überraschung, „ich merke es dir an, dass du den Herrn Jesus wirklich<br />

als deinen Erlöser und Herrn über dein Leben annehmen willst. Und jetzt<br />

wollen wir mit Gott persönlich sprechen.“<br />

Kaum hat er diese Worte gesagt, tut er etwas, mit dem Hans nicht im<br />

Geringsten gerechnet hat - jedenfalls nicht gerade jetzt -, und das<br />

ver<strong>uns</strong>ichert ihn noch einmal etwas: Ohne zu zögern geht er auf die Knie<br />

und stützt seine Ellbogen auf dem Sofa ab. Warum nicht auf den Stühlen<br />

sitzen bleiben, wenn es schon solche hier drinnen hat?, fragt sich Hans<br />

sogleich. Rabi bemerkt seine Unsicherheit, schaut zu ihm herauf und<br />

sagt ruhig: „Knie auch nie<strong>der</strong>, Hans! Du wirst sehen, es geht so viel<br />

leichter.“<br />

258


So geht auch er auf die Knie, aber nur langsam und zögernd, und er<br />

kommt sich dabei ziemlich jämmerlich vor; schließlich hat er so etwas<br />

noch nie zuvor getan - noch vor niemandem ist er auf die Knie<br />

gegangen. Wenn er jedoch daran denkt, dass er in wenigen<br />

Augenblicken möglicherweise mit dem Allerhöchsten sprechen kann, <strong>der</strong><br />

das ganze Weltall, alle Sterne, Planeten und Monde und alle Lebewesen<br />

mitsamt ihm selbst erschaffen hat und zugleich sich auch als Mensch<br />

offenbaren und auf <strong>der</strong> Erde wandeln konnte, ist ihm das Nie<strong>der</strong>knien<br />

dieser Preis wert, ja, dann ist das noch das Geringste, weil dieser<br />

Allmächtige und auch Allwissende, wie Jan Hoveneel und Bruno<br />

<strong>Weg</strong>mann sich ausgedrückt haben, auch wirklich eine solche Verehrung<br />

verdient. Allein <strong>der</strong> Gedanke, dass dieser Gott ihre Stimmen auch hier<br />

unten hören kann, fasziniert ihn geradezu - wenn er tatsächlich dazu<br />

fähig ist, dürfen sie sich ihm getrost anvertrauen.<br />

Kurz nachdem er nie<strong>der</strong>gekniet ist und die Ellbogen ebenfalls auf das<br />

Sofa abgestützt hat, schaut Rabi noch einmal zu ihm herüber und<br />

schließt dann die Augen, und noch bevor Hans das auch getan hat, hört<br />

er den an<strong>der</strong>en diese Worte sagen - und zwar auf Englisch, das ja seine<br />

Muttersprache ist, die Hans nicht nur versteht, son<strong>der</strong>n auch noch sehr<br />

gut spricht, wovon er sich bereits überzeugen konnte: „Lieber Herr<br />

Jesus, ich danke dir von ganzem Herzen, dass du so gnädig bist und<br />

<strong>uns</strong>ere Gebete erhörst und immer bei <strong>uns</strong> bist, auch jetzt da unten. Ich<br />

kann dir nicht genug dafür danken, dass du am Kreuz auf Golgatha das<br />

Heil <strong>der</strong> Welt vollbracht und mit deinem Opfertod auch mich vom ewigen<br />

Tod losgekauft hast. Du hast verheißen, dass alle, die dich von ganzem<br />

Herzen suchen, dich auch finden werden, und dass du jene, die zu dir<br />

kommen, nicht mehr hinausstoßen wirst, und auch dafür danke ich dir<br />

von ganzem Herzen. Herr, wie du siehst, will jetzt auch Hans zu dir<br />

kommen, dich als seinen Erlöser annehmen und um Vergebung seiner<br />

Sünden bitten. Mach auch ihn zu deinem Kind, oh Herr, schenk auch ihm<br />

das ewige Leben, und vergib auch ihm in deiner Barmherzigkeit! Ich<br />

danke dir dafür - Amen.“<br />

Nach einer kleinen Pause öffnet Rabi wie<strong>der</strong> die Augen, schaut zu Hans<br />

hinüber und sagt zu ihm leise und wie<strong>der</strong> auf Deutsch: „So, Hans, jetzt<br />

kannst du mit dem Herrn sprechen.“<br />

„Wie denn?“, fragt dieser sofort, da er es tatsächlich nicht weiß, und<br />

ebenfalls auf Deutsch.<br />

„Sag ihm einfach alles, was dich bedrückt und was dir gerade einfällt! Er<br />

weiß zwar schon alles, aber er würde es gern von dir selbst hören.“<br />

„Ist das wirklich so einfach?“<br />

„Ja, du wirst schon sehen. Sprich einfach mit ihm, so wie du jetzt mit dir<br />

sprichst!“<br />

259


So versucht er es, aber irgendetwas in ihm blockiert ihn wie<strong>der</strong>, obwohl<br />

er dagegen ankämpft. Es gelingt ihm nicht, seine wirren Gedanken in<br />

Worte zu fassen. Schließlich schaut er zu Rabi hinüber und sagt<br />

ebenfalls leise: „Es tut mir leid, aber ich kann nicht beten.“<br />

„Du kannst nicht beten?“, fragt dieser erstaunlich sachlich zurück.<br />

„Nein, ich habe es auch nie gelernt. Ich finde den Draht einfach nicht.“<br />

Auch auf eine solche Lage ist Rabi bestens vorbereitet, denn er hat auch<br />

solche Blockierungen und Verkrampfungen kurz vor einer Bekehrung<br />

schon mehrere Male erlebt. So schlägt er eine Seite aus <strong>der</strong> Bibel auf,<br />

streckt diese Hans hin und sagt ruhig: „Lies einmal aus dem Psalm 25<br />

die Verse eins bis sieben und dann noch die Verse sechzehn bis<br />

achtzehn, und zwar laut!“<br />

„Meinst du, das hilft?“<br />

„Lies einfach einmal in aller Ruhe und lass die Verse auf dich einwirken!“<br />

Also liest er wie geheißen zögernd und langsam diese Worte:<br />

„Zu Dir, oh Herr, erhebe ich meine Seele; mein Gott, ich traue auf Dich.<br />

Lass mich nicht zu Schanden werden, dass meine Feinde nicht<br />

frohlocken über mich!<br />

Gar keiner wird zu Schanden, <strong>der</strong> Deiner harrt; zu Schanden werden, die<br />

ohne Ursache treulos handeln.<br />

Herr, zeige mir Deine <strong>Weg</strong>e und lehre mich Deine Pfade! Leite mich<br />

durch Deine Wahrheit und lehre mich! Denn Du bist <strong>der</strong> Gott meines<br />

Heils; auf Dich harre ich allezeit.<br />

Gedenke, oh Herr, Deiner Barmherzigkeit und Deiner Gnade, die von<br />

Ewigkeit her sind! Gedenke nicht <strong>der</strong> Sünden meiner Jugend und meiner<br />

Übertretungen, gedenke aber meiner nach Deiner Gnade um Deiner<br />

Güte willen, oh Herr!“<br />

Als er am Schluss des siebten Verses angekommen ist, zögert er<br />

nochmals und schaut dann wie<strong>der</strong> zu Rabi hinüber, weil er sich nicht<br />

mehr daran erinnern kann, was er noch zusätzlich lesen soll. Dieser<br />

schaut ebenfalls zu ihm und sagt leise: „Gut, Hans, und jetzt noch die<br />

Verse sechzehn bis achtzehn!“<br />

Und so setzt er fort: „Wende Dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin<br />

einsam und elend!<br />

Erleichtere die Angst meines Herzens und führe mich heraus aus<br />

meinen Nöten!<br />

Sieh an mein Elend und meine Plage und vergib mir all meine Sünden!“<br />

Kaum hat er den letzten Satz gelesen, schaut Rabi wie<strong>der</strong> zu ihm<br />

herüber und sagt lächelnd:<br />

„So, jetzt hast du gebetet, Hans.“<br />

260


„Ich habe gebetet?“, fragt er ungläubig und fügt dann leise hinzu: „Ich<br />

habe doch nur aus einem Psalm gelesen.“<br />

„Ja, aber was du gelesen hast, ist ein Gebet. Du hast es vielleicht nur<br />

nicht bemerkt.“<br />

„Dann habe ich also schon zu Gott gebetet?“<br />

„Nein, nicht direkt, aber ich wollte dir mit diesem Psalm zeigen, wie<br />

einfach es ist, mit ihm zu sprechen, und zwar je<strong>der</strong>zeit und überall. Es<br />

gibt in <strong>der</strong> Bibel noch viele solche Verse, aber ich habe für dich extra<br />

diese ausgewählt, weil sie gut zu deiner Lage passen.“<br />

„Tatsächlich?“, fragt Hans nochmals ungläubig, aber auch belustigt über<br />

diesen originellen Einfall, ihn ein Gebet lesen zu lassen, ohne dass er<br />

sich dessen bewusst war. Dass Rabi diesen kleinen Trick mit<br />

Bibelversen kurz vor Bekehrungen schon mehrere Male benützt hat,<br />

kann er sich zwar vorstellen, doch er denkt nicht weiter darüber nach.<br />

Dieser kurze Wortwechsel nach dem Lesen des Psalms ist <strong>der</strong><br />

Wendepunkt in seinem Leben. Auf einmal wird ihm alles viel leichter -<br />

und jetzt, da <strong>der</strong> Knoten buchstäblich geplatzt ist, fühlt er sich nicht mehr<br />

blockiert und verkrampft, son<strong>der</strong>n sieht seinen <strong>Weg</strong> erstaunlich klar.<br />

Jetzt fällt es ihm nicht mehr schwer, die direkte Leitung nach oben zu<br />

finden.<br />

So spricht er langsam und zögernd, zuerst leise und dann etwas lauter<br />

und auf Zürichdeutsch, seiner eigentlichen Muttersprache, diese Worte:<br />

„Lieber Gott, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Es ist ja das erste<br />

Mal, dass ich so zu dir bete, jedenfalls soviel ich weiß. So finde ich keine<br />

richtigen Worte, um dir zu sagen, was ich fühle, ja, ich weiß nicht einmal<br />

so recht, wie ich dich nennen soll. Wenn du aber wirklich <strong>der</strong> allmächtige<br />

und allwissende Gott bist, wie ich immer gehört habe, weißt du das alles<br />

bereits bestens ... Ich weiß, dass ich mein ganzes Leben lang vor dir<br />

davongelaufen bin, dass ich nichts von dir und deiner Heilsbotschaft<br />

wissen wollte, und dass du mir immer völlig gleichgültig gewesen bist.<br />

Heute ist es mir klar, dass ich immer auf dem falschen <strong>Weg</strong> gegangen<br />

bin und dass nur <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> mit dir <strong>der</strong> richtige ist ... Wenn du, Jesus<br />

Christus, wirklich <strong>der</strong> Sohn Gottes bist, <strong>der</strong> am Kreuz von Golgatha für<br />

alle Sünden <strong>der</strong> ganzen Welt gestorben ist, <strong>der</strong> dann aber von den Toten<br />

auferstanden ist und noch heute lebt und darauf wartet, dass die<br />

Menschen dich als ihren Erlöser erkennen und sich zu dir bekehren, hast<br />

du alle nur mögliche Verehrung verdient, dann will auch ich zu dir<br />

kommen und mich unter dich beugen ... Bitte vergib mir all meine<br />

Verfehlungen und all meine Sünden, bitte vergib mir! Zeig dich mir bitte,<br />

komm in mein Leben und mach es neu! Lass mich zu dir kommen, Herr<br />

Jesus, und offenbare dich als mein Erlöser in deiner ganzen Herrlichkeit!<br />

Ich will mich dir unterwerfen und den Rest meines Lebens mit dir gehen,<br />

261


ja, von jetzt an will ich kompromisslos auf deiner Seite stehen und für die<br />

Verbreitung deiner Heilsbotschaft mitkämpfen ... Es tut mir so<br />

schrecklich leid, dass ich mein bisheriges Leben ohne dich vergeudet<br />

habe. Erst heute ist es mir endgültig klar geworden, was im Leben<br />

wirklich wichtig ist - die Bekehrung zu dir, Herr Jesus. Aber ich vertraue<br />

auf dich, dass du mir alles vergibst und mir ein neues Leben schenkst.<br />

Vergib mir bitte nochmals all meine Sünden! ...Vergib mir alles! ...“<br />

Es ist ihm fast nicht bewusst geworden, dass seine Augen sich im<br />

Verlauf seines Gebets, das angesichts seines bisherigen Lebens<br />

geradezu historisch ist, mit Tränen gefüllt haben - ausgerechnet bei ihm,<br />

<strong>der</strong> noch vor wenigen Wochen all jene verachtet hat, die beteten und<br />

nachher mit Tränen buchstäblich wie<strong>der</strong> aufwachten. Er beachtet das<br />

jedoch nicht weiter, denn was er jetzt erlebt, könnte er mit Worten nie<br />

richtig beschreiben. Er fühlt, dass in seinem Inneren eine gewaltige<br />

Verän<strong>der</strong>ung vor sich geht. Plötzlich haben eine Freude und ein tiefer<br />

Friede ihn ihm Einzug gehalten, wie er es noch nie zuvor erlebt hat. Das<br />

muss einfach mehr sein als nur eine tiefenpsychologische Einbildung<br />

o<strong>der</strong> ein psychoanalytisches Loch, das jetzt ausgefüllt worden ist; es<br />

kann nicht nur ein Teil einer religiösen Massenpsychose sein, die bis da<br />

unten herabreicht. Nein, nichts von alledem - was er erlebt, ist die<br />

unmittelbare Gegenwart des real existierenden allmächtigen und<br />

allwissenden Gottes, die Gegenwart dessen, an den er noch bis vor<br />

kurzem nicht geglaubt hat, den er jetzt aber höchstpersönlich spüren<br />

kann. Für diese Erfahrung braucht es keine äußerliche Vision mit<br />

gewaltigen Bil<strong>der</strong>n; es genügt auch eine innerliche, die nur <strong>der</strong><br />

betreffende Mensch selbst erfahren kann, wie er o<strong>der</strong> sie auch selbst die<br />

Entscheidung treffen muss, ob Jesus Christus in ihr Leben kommen soll<br />

o<strong>der</strong> nicht.<br />

Als die beiden sich vom Sofa erheben, sagt Hans wie<strong>der</strong> auf Deutsch zu<br />

Rabi, wobei seine Augen immer noch voller Tränen sind und er sie erst<br />

jetzt abzuwischen beginnt: „Jetzt weiß ich, dass es Gott gibt und dass<br />

Jesus Christus wirlich lebt.“<br />

„Siehst du, jetzt hast auch du ihn persönlich erfahren“, entgegnet Rabi<br />

strahlend und ebenfalls wie<strong>der</strong> auf Deutsch.<br />

„Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast und dass du mir den<br />

<strong>Weg</strong> zu ihm gezeigt hast“, sagt Hans weiter, „es ist so wun<strong>der</strong>bar zu<br />

wissen, dass ich mit Gott meinen Frieden gefunden habe und dass ich<br />

von jetzt an zu ihm gehören darf.“<br />

„Du musst nicht mir danken, son<strong>der</strong>n dem Herrn. Er allein ist es, <strong>der</strong> das<br />

alles bewirkt; ohne ihn können wir nichts tun, ich bin nur sein Werkzeug.“<br />

„Ja, du hast Recht, Rabi, er allein“, bestätigt Hans, indem er auf ihn<br />

zugeht und ihn dann herzlich umarmt. Rabi erwi<strong>der</strong>t seine Umarmung<br />

262


ebenso und sagt dann eifrig: „Komm, Hans, wir wollen nach oben gehen<br />

und es den an<strong>der</strong>en sagen, dass jetzt auch du ein Kind Gottes geworden<br />

bist!“<br />

Natürlich hat Hans vor lauter Freude nichts dagegen, ja, er erinnert sich<br />

nicht einmal mehr an die Szene vor ein paar Monaten, als er die<br />

Bekehrung einer Frau direkt miterlebte und darüber so erschrak, dass<br />

nicht viel fehlte, um den Kontakt zu den Leuten hier abzubrechen - und<br />

jetzt hat er selbst das auch erlebt. Ja, das sollen alle an<strong>der</strong>en ruhig auch<br />

erfahren!<br />

Als sie oben angekommen sind und Rabi allen an<strong>der</strong>en die Neuigkeit<br />

mitgeteilt hat, spielt sich mit Hans tatsächlich die gleiche Szene ab wie<br />

damals, als er noch als scharfer Skeptiker und Kritiker daneben saß und<br />

alles als Unbeteiligter, als einer von draußen, miterleben und sich<br />

gewaltig ärgern musste. Jetzt ist er selbst einer von denen, die sich zu<br />

Jesus Christus bekehrt haben, und die allgemeine Freude wird noch<br />

dadurch gesteigert, dass kurz darauf auch die betreffende Frau, die sich<br />

gemeldet hat, in einem an<strong>der</strong>en Raum zum lebendigen Glauben<br />

durchgedrungen ist und sich jetzt wie<strong>der</strong> zeigt.<br />

Mitten im ganzen Rummel ist es Hans fast entgangen, dass Erwin, <strong>der</strong><br />

sich natürlich mitfreut, schon seit einiger Zeit wie<strong>der</strong> allein ist, weil<br />

Konrad nach einem Gespräch von nur einer halben Stunde wie<strong>der</strong><br />

gegangen ist. Auch er gehört zu denen, die noch nicht alles verstehen<br />

wie Hans vor einigen Monaten, aber auch er kann weiter auf dem <strong>Weg</strong><br />

wandeln, <strong>der</strong> am Ende direkt zu Gott hin<strong>führt</strong>.<br />

Als Hans seinen alten Bekannten, dem er vieles zu verdanken hat und<br />

<strong>der</strong> tatsächlich eine Art Ziehvater in Bezug auf den Glauben ist, ihn<br />

endlich ausfindig macht, nimmt er ihn etwas zur Seite und sagt zu ihm<br />

mit dem gleichen Strahlen, das ihn seit dem Moment seiner Bekehrung<br />

erhellt: „Du hast Recht gehabt mit allem, was du mir gesagt hast: Jesus<br />

Christus ist wirklich auferstanden und lebt noch heute.“<br />

„Es freut mich riesig für dich, dass jetzt auch du zum Herrn gefunden<br />

hast“, entgegnet Erwin erregt.<br />

„Du und auch die an<strong>der</strong>en, mit denen ich über den Glauben geredet<br />

habe“, sagt Hans dann weiter, „ihr habt von Anfang an mit allem Recht<br />

gehabt; das ist mir jetzt klar. Ich war halt viel zu verblendet und zum Teil<br />

auch zu stolz, um das zuzugeben. Aber jetzt wird alles an<strong>der</strong>s, das<br />

verspreche ich; ab morgen wird die Welt einen ganz an<strong>der</strong>en Hans<br />

Stettler sehen und erleben, als ihr alle mich bis heute gekannt habt.“<br />

«Ich hoffe es für dich, dass du mit dem Herrn vorangehen kannst»,<br />

entgegnet Erwin, «und du hast dafür auch den richtigen Charakter.»<br />

„Übrigens muss ich dir auch noch danken. Du warst mir eine große Hilfe,<br />

263


ohne dich wäre alles viel schwieriger gewesen.“<br />

Da erwi<strong>der</strong>t auch Erwin: „Du musst nicht mir danken, son<strong>der</strong>n Gott. Er<br />

allein ist es, <strong>der</strong> den <strong>Weg</strong> für dich vorbereitet und dich zu ihm<br />

hingezogen hat; wir waren alle nur seine Werkzeuge.“<br />

„Aber gute Werkzeuge - sei doch nicht so bescheiden! Man darf ja<br />

trotzdem noch Danke sagen - o<strong>der</strong> etwa nicht?“<br />

„Ja, natürlich, Hans“, antwortet Erwin, worauf beide kurz lachen müssen.<br />

Darauf geschieht etwas, das unter den oft allzu nüchternen<br />

Deutschschweizern, die ihre Gefühle meistens nicht offen zu zeigen<br />

fähig sind, nur selten vorkommt und allenfalls noch auf Sportplätzen zu<br />

sehen ist: Sie umarmen sich fest.<br />

19<br />

Natürlich kehrt Hans in dieser Nacht fröhlich und fast übermütig nach<br />

Hause zurück, und seine Freude ist sogar so groß, dass er auf <strong>der</strong><br />

Straße und in <strong>der</strong> Straßenbahn laut aufjauchzen und von Jesus Christus<br />

erzählen könnte. Dann jedoch besinnt er sich, weil er sich sagen muss,<br />

dass viele ihn für verrückt halten würden und er im schlimmsten Fall<br />

sogar noch damit rechnen müsste, abgeholt und direkt in eine Klinik<br />

eingewiesen zu werden. Dabei würde er den Leuten diese Denkweise<br />

nicht einmal beson<strong>der</strong>s verübeln, schließlich hat er selbst vor nicht allzu<br />

langer Zeit auch so gedacht und dementsprechend geredet.<br />

Was ihn fast ebenso freut wie die Tatsache, dass er nach monatelangen<br />

inneren Kämpfen zum lebendigen Glauben an Gott und an Jesus<br />

Christus gefunden hat, ist die Aussicht, dass von jetzt an nichts mehr<br />

zwischen ihm und Ulrike steht, weil sie fortan den gleichen Glauben<br />

teilen, und deshalb auch heiraten können. Ja, heiraten und mit <strong>der</strong><br />

geliebten Frau, nach <strong>der</strong> er sich seit Wochen so innig sehnt, auf dem<br />

weiteren Lebensweg schreiten - das ist jetzt das Nächste, das ihm<br />

bevorsteht, und er freut sich schon wahnsinnig darauf. Erwin hat mir ja<br />

gesagt, dass sie immer wie<strong>der</strong> nach mir gefragt hat, sagt er zu sich<br />

selbst fast trunken vor Glück; das zeigt doch, dass sie mich immer noch<br />

liebt und auf mich wartet.<br />

Kaum ist er in seiner Wohnung angekommen, will er sie gleich anrufen<br />

und ihr die Neuigkeit von seiner Bekehrung mitteilen. Doch dann hält er<br />

es für besser, noch bis zum Tagesanbruch, wenn nicht gar bis zum<br />

Nachmittag zu warten, nicht weil sie jetzt vielleicht schon schläft,<br />

son<strong>der</strong>n weil er ihr durch sein plötzliches Auftauchen im Krankenhaus<br />

264


und mit dieser Neuigkeit eine Riesenfreude bereiten kann. Er weiß zwar<br />

nicht mit Sicherheit, ob sie morgen frei hat o<strong>der</strong> nicht; da die<br />

Wahrscheinlichkeit jedoch groß ist, dass dies nicht <strong>der</strong> Fall sein wird, hat<br />

er vor, einfach ins Krankenhaus zu gehen und sie dort zu besuchen, so<br />

wie er das schon ein paar Mal getan hat, als er ihr noch nachging und<br />

um sie warb, bis sie endlich auch ihre Liebe für ihn entdeckt hat.<br />

Was Hans in dieser Nacht unterlässt, tut aber ein an<strong>der</strong>er an seiner<br />

Stelle, ohne ihm das mitzuteilen: Es ist Erwin, <strong>der</strong> es nicht mehr<br />

aushalten kann, ja, darüber nicht einmal Schlaf findet. Schließlich hat er<br />

als Erster Hans auf dem Bellevueplatz getroffen und als Erster ihm vom<br />

Evangelium erzählt, also ist seine Bekehrung in entscheidendem Maß<br />

sicher auch ihm zu verdanken, obwohl er sich selbst immer wie<strong>der</strong><br />

einredet, dass auch er nur ein Werkzeug des Herrn war. Er muss Ulrike<br />

einfach mitteilen, was mit Hans geschehen ist; da kann er nicht mehr<br />

darauf Rücksicht nehmen, ob sie vielleicht schon schläft o<strong>der</strong> nicht, und<br />

er rechnet sowieso damit, dass sie ihm nicht bös sein wird, son<strong>der</strong>n sich<br />

im Gegenteil riesig freuen wird, Schlaf hin o<strong>der</strong> her.<br />

Als er sie anruft und hört, wie jemand kurz darauf den Hörer abnimmt<br />

und deutlich „Ja, da ist Ulrike Rietmann“ sagt, hat er nicht den Eindruck,<br />

eine verschlafene Stimme zu hören.<br />

„Hoi Ulrike, da ist Erwin“, antwortet er, und zwar im Dialekt, denn im<br />

Gegensatz zu Hans und fast allen an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> Gemeinde spricht er<br />

mit ihr nicht Hochdeutsch.<br />

„Erwin Gisler?“, fragt sie vorsichtig.<br />

„Ja, ich bin es. Entschuldige, dass ich dich vielleicht geweckt habe! Es ist<br />

schließlich schon nach Mitternacht.“<br />

„Nein, du hast mich nicht geweckt. Ich habe noch ein wenig gelesen.“<br />

„Ich rufe dich jetzt an, weil ich eine erfreuliche Neuigkeit für dich habe<br />

und damit nicht bis morgen warten wollte. Ich muss es dir einfach jetzt<br />

sagen, vorher kann ich nicht einschlafen. Es ist eine ganz beson<strong>der</strong>e<br />

Neuigkeit, die du sicher gern hören wirst.“<br />

„Was denn?“, fragt sie, als hätte sie von nichts eine Ahnung, und sie<br />

denkt sich jetzt tatsächlich nichts Beson<strong>der</strong>es.<br />

„Stell dir vor, Ulrike: Hans hat sich bekehrt.“<br />

Da trifft sie fast <strong>der</strong> Schlag. Sie hat mit vielem gerechnet, aber nicht mit<br />

einer solchen Nachricht. Sie braucht ein paar Sekunden, um sich zu<br />

fassen, und fragt dann zögernd und mit zittern<strong>der</strong> Stimme: „Ist das<br />

wirklich wahr, Erwin?“<br />

„Und ob es wahr ist!“, antwortet dieser mit triumphieren<strong>der</strong> Stimme, „er<br />

hat sein Leben vor zwei Stunden dem Herrn übergeben und will ganz<br />

265


neu anfangen. Er hat sogar gesagt, dass die Welt von morgen an einen<br />

ganz an<strong>der</strong>en Hans Stettler erleben wird. Wenn das kein Versprechen<br />

für die Zukunft ist!“<br />

Da kann Ulrike nicht mehr an sich halten und stößt einen kaum<br />

verhaltenen Jauchzer aus. Dann beherrscht sie sich wie<strong>der</strong> und fragt<br />

leise, wobei ihr die ersten Tränen über die Wangen rinnen: „Hat er es bei<br />

dir getan?“<br />

„Nein, Ulrike, ich hätte ihn noch so gern zum Herrn ge<strong>führt</strong>, aber ich<br />

musste noch mit einem Mann reden, den ich von <strong>der</strong> Straße gebracht<br />

hatte. So hat er es bei Rabi getan, aber die Hauptsache ist doch, dass er<br />

jetzt auch gläubig geworden ist.“<br />

„Ja, da hast du Recht ... Oh, wie ich mich freue! Das ist die schönste<br />

Nachricht, die ich je bekommen habe! Ich danke auch dir, Erwin, dass du<br />

mit ihm so lange Geduld hattest. Du bist wirklich ein lieber Bru<strong>der</strong>.“<br />

„Aber ich habe es doch gern getan, Ulrike. Es freut mich beson<strong>der</strong>s auch<br />

für dich und für euch beide.“<br />

Dann verabschieden sie sich voneinan<strong>der</strong> und hängen die Hörer<br />

gleichzeitig wie<strong>der</strong> ein. Ulrike kann es immer noch fast nicht fassen,<br />

<strong>der</strong>art taumelt sie vor Glück, und natürlich findet sie nach dieser<br />

sensationellen Neuigkeit lange keinen Schlaf mehr. Endlich hat auch er<br />

sich bekehrt!, sagt sie sich immer wie<strong>der</strong>. Endlich können wir <strong>uns</strong> wie<strong>der</strong><br />

ungezwungen treffen ... ja, und endlich können wir auch heiraten!<br />

Ihre Tränen hören nicht auf zu fließen, aber diesmal sind es keine<br />

Tränen <strong>der</strong> Trauer wie schon so oft, beson<strong>der</strong>s seit <strong>der</strong> Trennung von<br />

Hans, die zu ihrem Glück doch nur eine vorübergehende gewesen ist.<br />

Zuerst kommt auch ihr <strong>der</strong> Gedanke, ihn sofort anzurufen, doch dann<br />

unterlässt sie es, weil sie damit rechnet, dass er morgen ohnehin alles<br />

versuchen wird, um sie zu sehen, auch wenn sie dann im Krankenhaus<br />

arbeitet. So weiß sie, dass sie jetzt nur noch eines zu tun hat: Sie geht<br />

wie<strong>der</strong> auf die Knie, stützt ihre Ellbogen auf das Bett, bedeckt ihr aus<br />

Freude verweintes Gesicht mit beiden Händen und dankt Gott innig<br />

dafür, dass er nicht nur einen weiteren Menschen zu sich geholt,<br />

son<strong>der</strong>n ihr auch einen Mann geschenkt hat, den sie innig liebt und <strong>der</strong><br />

sie auch liebt. Jetzt kann ihrem Glück wirklich nichts mehr im <strong>Weg</strong><br />

stehen, denn wenn <strong>der</strong> Allmächtige und Allwissende es wünscht, dass<br />

es zu einer Heirat kommt, wird sicher auch er höchstpersönlich dafür<br />

sorgen, dass nichts und niemand mehr sie daran noch hin<strong>der</strong>n wird.<br />

Auch Hans braucht genauso wie Ulrike lange Zeit, bis er endlich Schlaf<br />

findet - auch das verbindet sie, ohne dass <strong>der</strong> eine von den<br />

glücksbedingten Schlafstörungen des an<strong>der</strong>en weiß. Im Gegensatz zu<br />

ihr kann er jedoch ausschlafen und als er gegen elf Uhr aufwacht, denkt<br />

266


er als Erstes an sie und verliert keine Zeit, um sich zurechtzumachen<br />

und möglichst bald zum Krankenhaus zu fahren, weil er ja annehmen<br />

kann, dass er sie dort am leichtesten finden wird.<br />

Er genießt diesen freien Sonntag, den ersten seit vielen Monaten, so<br />

sehr und freut sich <strong>der</strong>art auf die Begegnung mit Ulrike, dass er<br />

überhaupt nicht daran denkt, dass er dem Gottesdienst an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße beiwohnen könnte, und zudem fällt es ihm erst beim<br />

Anziehen ein, dass seine ehemalige Mannschaft, <strong>der</strong> er formal eigentlich<br />

noch immer angehört, gerade in diesen Stunden das letzte Spiel <strong>der</strong><br />

Aufstiegsrunde bestreitet. Auch darin zeigt sich seine Wandlung: Nicht<br />

nur wegen des unfeinen Abgangs, <strong>der</strong> ihm bereitet worden ist, son<strong>der</strong>n<br />

in erster Linie auch wegen seiner Hinwendung zu Jesus Christus<br />

interessiert es ihn im Grund überhaupt nicht mehr, welches Ergebnis<br />

seine ehemaligen Vereinskollegen erzielen werden.<br />

Sogar das Wetter scheint es heute gut mit ihm zu meinen und sich über<br />

seine Bekehrung zu freuen: Zum ersten Mal seit vielen Wochen strahlt<br />

die Sonne nicht nur während <strong>der</strong> Woche, son<strong>der</strong>n auch an einem<br />

Sonntag schon seit <strong>der</strong> Morgendämmerung durch alles, und obwohl <strong>der</strong><br />

Hochsommer vor <strong>der</strong> Tür steht, ist es zum Glück noch nicht allzu heiß.<br />

Das macht die Klei<strong>der</strong>wahl etwas leichter: Da er ja nicht gerade in einem<br />

Anzug und mit Krawatte im Krankenhaus erscheinen muss wie morgen<br />

wie<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Bank, aber auch nicht in allzu leichter Kleidung<br />

erscheinen möchte, entschließt er sich für eine gute Kompromisslösung<br />

und zieht sich ein mehrfarbiges, kurzärmliges Sporthemd, ein Paar<br />

lange, weiße Hosen, gelbe Socken und braune Sandalen an. So will er<br />

sich seiner geliebten Ulrike zeigen, bevor er sie fest umarmen und<br />

abküssen wird.<br />

Bevor er aufbricht, vergisst er nicht, was er von heute an zu einem<br />

wichtigen Teil seines Tagesablaufs zu machen gedenkt: Er liest etwa<br />

eine halbe Stunde lang Psalmen und beginnt sowohl mit dem Alten als<br />

auch mit dem Neuen Testament systematisch von ganz vorn; dabei stellt<br />

er bald fest, dass er jetzt schon viel mehr Stellen besser versteht. Das ist<br />

offensichtlich das Wirken des Heiligen Geistes, <strong>der</strong> nach den Aussagen<br />

<strong>der</strong> Gläubigen mit seiner Bekehrung zum Herrn in ihm Einzug gehalten<br />

hat. Anschließend kniet er nie<strong>der</strong>, was ihm jetzt auch viel leichter fällt als<br />

beim ersten Mal gestern Nacht, stützt seine Ellbogen auf dem Bett ab<br />

und spricht ein kurzes Gebet, indem er Gott noch einmal für sein ganzes<br />

Wirken dankt und auch für Ulrike und sich selbst bittet, dass sie sich<br />

wirklich zu einem Paar finden können, das dann nur ihm allein dienen<br />

wird.<br />

267


Nachdem er in einem einfachen Restaurant zu Mittag gegessen hat,<br />

kauft er einen großen und mehrfarbigen Blumenstrauß und fährt dann in<br />

Richtung Krankenhaus, wobei sein Herz immer heftiger klopft, je mehr er<br />

sich ihm nähert. Er kann es fast nicht erwarten, seine Ulrike nach fast<br />

zwei Monaten wie<strong>der</strong> in die Arme schließen zu können. Haben sich ihre<br />

<strong>Weg</strong>e damals nach einer bitteren Diskussion getrennt, so wird es heute<br />

eine umso herrlichere Versöhnung geben - jetzt, da er mit ihr den<br />

gleichen Glauben an den gleichen Erlöser teilt.<br />

Da er von seinen früheren Besuchen her weiß, wann ungefähr sie eine<br />

Pause hat, richtet er es so ein, dass er we<strong>der</strong> kurz nach <strong>der</strong><br />

Mittagspause noch allzu spät im Stockwerk und in <strong>der</strong> Abteilung<br />

erscheint, in <strong>der</strong> sie arbeitet. Zur Sicherheit fragt er bei <strong>der</strong> Auskunft an<br />

<strong>der</strong> Haupteinganstür nochmals nach, ob sie immer noch dort tätig ist, wo<br />

er sie mehrmals kurz besucht hat, und da dies bejaht wird, begibt er sich<br />

gleich nach oben. Spontan geht er zum gut sichtbaren Pausenraum, <strong>der</strong><br />

von zwei Seiten eingesehen werden kann und zu dem natürlich nur das<br />

Krankenhauspersonal Zutritt hat. Er tritt nahe bis an die Eingangstür<br />

heran und muss zu seiner Enttäuschung feststellen, dass Ulrike nicht<br />

hier ist.<br />

„Suchen Sie jemanden?“, hört er eine Stimme fragen, sobald er seinen<br />

Kopf in den Raum hineinstreckt, und er sieht, dass diese von <strong>der</strong><br />

einzigen Krankenschwester herkommt, die sich drinnen aufhält. Von <strong>der</strong><br />

Uniformkleidung her könnte sie eine Art Oberschwester sein, auch ihr<br />

Alter um die fünfzig herum scheint dafür zu sprechen.<br />

„Guten Tag, ich möchte nur fragen, ob Ulrike hier ist“, antwortet er<br />

ausgesprochen höflich, doch er hat angesichts seiner guten Laune auch<br />

allen Grund dazu.<br />

„Meinen Sie Schwester Ulrike Riethmann?“, fragt die Frau in fast<br />

gleichgültigem Ton zurück, wie er das auch an seinem Arbeitsplatz<br />

immer wie<strong>der</strong> auf diese Art zu hören bekommt.<br />

„Ja, genau die meine ich.“<br />

„Dann müssen Sie mindestens eine halbe Stunde warten, sie hat noch<br />

Dienst.“<br />

„Wann hat sie denn ihre nächste Pause ... falls Sie das überhaupt sagen<br />

dürfen?“<br />

Das hat er sie zusätzlich gefragt, weil er auf eine merkwürdige Art zu ihr<br />

einen Kontakt gefunden hat, als wären sie schon gute Bekannte.<br />

„Etwa um vier Uhr“, antwortet sie zu seinem Erstaunen offen.<br />

„Darf ich solange hier auf sie warten?“<br />

„Es ist zwar Besuchszeit, aber es ist besser, Sie warten unten beim<br />

Eingang.“<br />

268


Obwohl ein paar leere Stühle herumstehen und er somit ohne weiteres<br />

Platz nehmen könnte, will er an einem so schönen Tag keine Diskussion<br />

vom Zaun brechen, wie er das früher, das heißt in seinem alten Leben,<br />

in einer solchen Lage mit Sicherheit getan hätte. Seine Ulrike ist es ihm<br />

wert, dass er sich nach den Worten dieser Frau richtet, und so begibt er<br />

sich wie<strong>der</strong> nach unten, wo er sich immerhin eine Tasse Kaffee<br />

genehmigen kann.<br />

Während er noch am Trinken ist und ohne ein wirkliches Interesse in ein<br />

paar Zeitschriften herumblättert, die irgendwo herumliegen, überlegt er<br />

sich noch, ob es vielleicht nicht doch besser wäre, bis zu ihrem<br />

Feierabend zu warten, weil sie dann viel mehr Zeit füreinan<strong>der</strong> hätten.<br />

Dann verwirft er diese Idee wie<strong>der</strong>, weil <strong>der</strong> Überraschungseffekt<br />

während <strong>der</strong> Arbeitszeit nun einmal viel größer ist und es zudem nicht<br />

schaden kann, wenn an<strong>der</strong>e Leute sehen, wie sehr sie sich lieben. Dabei<br />

denkt er vor allem an ihre Arbeitskolleginnen, von denen längst nicht<br />

jede gläubig ist, wie sie ihm einmal gesagt hat.<br />

Kurz vor vier Uhr kann ihn nichts mehr halten. Fest entschlossen steht er<br />

auf, wobei er noch fast den Blumenstrauß vergisst, und schaut dafür,<br />

dass er möglichst schnell wie<strong>der</strong> oben ist. Kaum ist er dort angelangt,<br />

kommt es zu einer Szene, wie sie in Krankenhäusern nicht oft zu sehen<br />

ist: Er erkennt im Pausenraum tatsächlich Ulrike, die mit ein paar<br />

Kolleginnen und einem Mann zusammensitzt, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kleidung her<br />

wohl ein Krankenpfleger ist, aber da sie ihm den Rücken zugekehrt hält,<br />

kann sie ihn nicht sehen.<br />

So tritt er sachte an die Eingangstür und ruft leise „Ulrike!“ hinein. Da<br />

dreht sie sich verwun<strong>der</strong>t um, erkennt ihn freudestrahlend, vergisst<br />

darüber jedes Protokoll, stößt so etwas wie einen Freudenschrei aus, ruft<br />

dann „Hans!“, erhebt sich vom Stuhl und stürzt sich buchstäblich auf ihn,<br />

so dass er den Blumenstrauß völlig vergisst und zu Boden fallen lässt.<br />

Engumschlungen verweilen sie etwa eine halbe Minute lang, wobei sie<br />

beide ihre Tränen nicht zurückhalten können. Schließlich finden sich ihre<br />

Lippen zu einem ebenso langen Kuss, dann küsst er sie auf die<br />

tränenbenetzten Wangen, auf die Nase sowie auf die Stirn und drückt sie<br />

nochmals fest an sich. Darauf löst sie sich etwas von ihm, ergreift seinen<br />

Kopf mit beiden Händen und bedeckt diesen geradezu mit einem<br />

Kusshagel. Dabei tut sie das mit einer erstaunlichen Kraft, die er ihr gar<br />

nie zugetraut hat; da sie ja fast so groß ist wie er, geht das natürlich<br />

leicht.<br />

Schließlich kommen sie doch noch zum Sprechen - so sagt er ihr ins<br />

Ohr, wobei er sie vor lauter Tränen fast nicht sieht: „Ich liebe dich, Ulrike,<br />

ich liebe dich über alles.“<br />

269


„Und ich erst - ich liebe dich wahnsinnig!“, entgegnet sie, „erst recht seit<br />

dem, was ich in dieser Nacht gehört habe.“<br />

„Du weißt es also schon?“<br />

„Ja, Erwin hat mich angerufen. Ich habe mich so gefreut, dass ich<br />

nachher fast nicht mehr schlafen konnte.“<br />

„Und ich erst!“<br />

Dann umarmt er sie noch einmal fest, löst sich wie<strong>der</strong> etwas von ihr und<br />

sagt lächelnd: „Soso, ist dieser Erwin mir also zuvorgekommen! Dabei<br />

wollte ich dich mit dieser Neuigkeit überraschen. Aber das macht auch<br />

nichts; wer weiß, wenn er es nicht gesagt hätte, dann hättest du mich<br />

vielleicht nicht so stürmisch begrüßt.“<br />

Und wie<strong>der</strong> umarmen sie sich innig und geben sich einen langen Kuss.<br />

Dann sagt er zu ihr nicht einmal leise: „Es tut mir leid, dass du wegen mir<br />

so lange hast leiden müssen. Heute weiß ich, dass du in allem Recht<br />

hattest. Bitte vergib mir, Liebling!“<br />

„Aber so schlimm war das auch wie<strong>der</strong> nicht“, erwi<strong>der</strong>t sie sofort, „die<br />

Hauptsache ist doch, dass jetzt auch du zum Herrn gefunden hast.“<br />

Dann fügt sie nach kurzem Zögern lächelnd hinzu: „Na ja, schließlich<br />

habe ich in all diesen Wochen auch intensiv für dich gebetet.“<br />

Und nach einer kleinen Pause flüstert er ihr endlich die Worte ins Ohr,<br />

die sie schon lange so gern hören wollte, auf sie sie aber ebenso lange<br />

fast bis zur Verzweiflung warten musste: „Willst du jetzt meine Frau<br />

werden?“<br />

Dabei merken sie beide fast nicht, wie sehr er das „jetzt“ betont.<br />

„Ja, natürlich will ich das“, antwortet sie etwas lauter. Dann nimmt sie<br />

seinen Kopf nochmals in beide Hände, zieht ihn zu sich, schaut ihm fest<br />

in die Augen und sagt dann leise, aber in einem sehr bestimmten Ton:<br />

«Du gehörst von jetzt an zu mir, ich lasse dich mir von niemandem mehr<br />

wegnehmen. Hörst du mich - ist das klar?»<br />

Dann drückt sie ihm nochmals einen festen Kuss auf die Lippen.<br />

„Nur keine Angst, Liebling!“, antwortet er ebenso entschlossen, als sie<br />

seinen Mund wie<strong>der</strong> frei gibt, „für mich gibt es fortan nur noch dich. Mein<br />

Leben lang habe ich mich nach einer solchen Frau wie dir gesehnt - und<br />

jetzt habe ich sie gefunden.“<br />

Darauf umarmen sie sich noch einmal innnig.<br />

Während <strong>der</strong> ganzen Zeit ihrer stürmischen Begrüßung haben sie<br />

überhaupt nicht wahrgenommen, dass sich rund um sie herum etwas<br />

bewegt hat, dass ein paar Leute stehen geblieben sind und auch Ulrikes<br />

Kolleginnen sowie <strong>der</strong> Pfleger, <strong>der</strong> bei ihnen saß, von ihren Stühlen<br />

aufgestanden und nach draußen gekommen sind. Es wird zwar nicht<br />

gerade geklatscht, wie das in gewissen Filmen bei solchen Szenen zu<br />

270


sehen ist, aber die Freude o<strong>der</strong> zumindest Rührung darüber, dass<br />

offenbar zwei sich gefunden haben, ist trotzdem groß, selbst wenn das in<br />

einem Krankenhaus geschehen musste. Allein die Oberschwester mit<br />

ihrem Pflichtbewusstsein hat noch etwas Distanz zum Ganzen bewahrt,<br />

aber wenigstens hat sie die beiden nicht daran gehin<strong>der</strong>t.<br />

Endlich hat sich die Lage etwas beruhigt, so dass Ulrike ihren neu<br />

gewonnenen Liebsten an <strong>der</strong> Hand nimmt, bis an die Eingangstür des<br />

Pausenraums <strong>führt</strong> und dort immer noch fast atemlos zur Oberschwester<br />

sagt: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich konnte mich einfach nicht mehr<br />

beherrschen! Ich habe ihn fast zwei Monate lang nicht mehr gesehen<br />

und plötzlich stand er wie<strong>der</strong> vor mir.“<br />

„Ist schon recht, es ist ja nichts passiert“, entgegnet sie beruhigend. Der<br />

ruhige Draht, <strong>der</strong> vor einer knappen halben Stunde zwischen ihr und<br />

Hans gespannt worden ist, wirkt offensichtlich auch noch jetzt.<br />

Dann stellt Ulrike ihren Liebsten so zurecht, dass alle Kolleginnen und<br />

<strong>der</strong> Pfleger, die inzwischen wie<strong>der</strong> in den Pausenraum zurückgekehrt<br />

sind und sich gesetzt haben, ihn sehen können, und sagt strahlend zu<br />

ihnen: „Darf ich euch Hans vorstellen? Mein zukünftiger Mann.“<br />

Dabei gelingt es ihr, sich trotz ihrer Größe an ihn anzuschmiegen, indem<br />

sie ihn von einer Seite mit den Armen umschlingt, ihm einen weiteren<br />

festen Kuss auf die ihr zugekehrte Wange gibt und dann ihr Gesicht an<br />

das seine drückt; es ist ihr überdeutlich anzumerken, dass sie in diesen<br />

Minuten unendlich glücklich ist.<br />

„Das ist also <strong>der</strong> Mann, von dem du so viel erzählt hast“, entgegnet<br />

darauf eine <strong>der</strong> zwei Kolleginnen, die neben <strong>der</strong> Oberschwester, dem<br />

Pfleger und Ulrike noch eine kleine Pause haben. Da sie nicht gläubig<br />

ist, nimmt sie diese Neuigkeit ziemlich gleichgültig auf, zumal sie wegen<br />

Ulrikes Glauben schon ein paar Diskussionen hatte, vor allem über<br />

Abtreibungsfragen. Die an<strong>der</strong>e dagegen, die gläubig ist und sich schon<br />

aus diesem Grund mit ihr viel besser versteht, zeigt echte Freude, erhebt<br />

sich strahlend, kommt auf sie beide zu und streckt Hans die rechte Hand<br />

hin.<br />

„Ich freue mich so sehr für euch zwei“, sagt sie lächelnd, „ich heiße<br />

übrigens Daniela.“<br />

Darauf geben sie sich die Hand, aber sie bleibt die Einzige, die ihn<br />

persönlich mit Handschlag begrüßt. Die an<strong>der</strong>en bleiben auf Distanz, es<br />

sind halt sind alle gleich; zudem ist sowieso Vorsicht geboten, weil die<br />

drei, die jetzt stehen, Frömmler sind, wie sie das so sehen.<br />

Da Hans seiner Liebsten doch noch fünf Minuten Pause gönnen will,<br />

verabschiedet er sich vorzeitig. Sobald er gegangen ist, sagt Ulrike zur<br />

271


Kollegin, mit <strong>der</strong> sie wegen ihres Glaubens schon manche zum Teil recht<br />

harte Diskussion ge<strong>führt</strong> hat, mit einem unverkennbar triumphierenden<br />

Hinterton: „Siehst du, Anita: Hans ist ein weiterer deutlicher Beweis<br />

dafür, dass es Gott wirklich gibt und dass Jesus Christus <strong>uns</strong> allen ein<br />

neues Leben schenken kann.“<br />

Dabei meint sie mit diesen Worten nicht nur diese Kollegin und den<br />

Pfleger, son<strong>der</strong>n auch die manchmal mürrisch wirkende Oberschwester,<br />

die aber nicht so ist, wie sie sich oft gibt.<br />

„Für eine solche wie dich würde sich aber noch mancher an<strong>der</strong>e Mann<br />

scheinbar bekehren, nur damit er dich bekommen kann“, meint Anita<br />

achselzuckend und mit einem schiefen Lächeln.<br />

„Du hättest aber sehen müssen, wie er noch bis vor wenigen Wochen<br />

gewesen ist. Da wollte auch er nichts von Jesus wissen, so dass nicht<br />

viel für eine endgültige Trennung gefehlt hat. Heute ist aber auch er ein<br />

gläubiger Christ, Gott sei Dank.“<br />

„So könnt ihr jetzt auch ohne Glaubensprobleme heiraten“, entgegnet<br />

Daniela lächelnd.<br />

„Ja - und ich freue mich schon jetzt wahnsinnig darauf. Ich habe so lange<br />

für einen lieben Mann gebetet, bis <strong>der</strong> Herr mich erhört und mir Hans<br />

geschenkt hat. Er hat den <strong>Weg</strong> wun<strong>der</strong>bar vorbereitet - zuletzt fehlte nur<br />

noch seine Bekehrung, um Gottes Plan vollkommen zu machen, und<br />

genau das hat er jetzt getan.“<br />

20<br />

Bis zum großen Tag ihrer Hochzeit müssen sich Hans und Ulrike noch<br />

drei lange Monate lang in Geduld und Ausdauer üben. Da er den immer<br />

noch vorhandenen W<strong>uns</strong>ch seiner zukünftigen Frau, unberührt in die<br />

Ehe zu gehen, ohne Probleme respektiert, richten sie sich so ein, dass<br />

sie sich in diesen Monaten nicht in einer ihrer Wohnungen treffen, damit<br />

sie erst gar nicht in Versuchung geraten können, son<strong>der</strong>n nur außerhalb<br />

und meistens im Beisein an<strong>der</strong>er Leute, von denen die meisten ebenfalls<br />

Gläubige sind. Natürlich zerreißt sie dieses unendlich lang scheinende<br />

Warten beinahe, aber sie betrachten diese Zeit zugleich als eine Prüfung<br />

und Gelegenheit zur Läuterung - o<strong>der</strong> eben auch als ein Stahlbad<br />

Gottes, aus dem alle gestärkt hervorgehen, wie das immer wie<strong>der</strong> so<br />

gesagt wird.<br />

Während die ganze Prozedur <strong>der</strong> Heirat mit Anmeldung, öffentlicher<br />

Verkündigung, Einladungen und Reservierung eines großen<br />

Speisesaals, <strong>der</strong> zugleich ein Festsaal werden soll, noch voll im Gange<br />

ist, bleibt Hans nicht untätig und lässt praktisch keine Gelegenheit aus,<br />

272


um seinen neuen Glauben an Jesus Christus zu bezeugen. Als Erste<br />

hören natürlich seine Eltern, Geschwister und Verwandten davon, aber<br />

auch an seinem Arbeitsplatz ist er ziemlich aktiv, obwohl die<br />

Vorgesetzten das nicht so gern sehen; sie lassen ihn vorläufig nur<br />

deshalb gewähren, weil sie ihn als einen tüchtigen Mitarbeiter kennen<br />

gelernt haben. Auch seine ehemaligen Kollegen vom Fußballverein und<br />

den Trainer setzt er telefonisch o<strong>der</strong> über das Handy in Kenntnis, soweit<br />

er sie erreichen kann, doch er hat ohnehin vor, sie allesamt zur Hochzeit<br />

einzuladen, und dafür hat er ja genügend Zeit; er trägt ihnen nichts mehr<br />

nach und will es ihnen gerade auch mit dieser Einladung beweisen.<br />

Natürlich reagieren alle, die von seiner radikalen Wandlung hören,<br />

ziemlich überrascht und halten ihn teilweise für verrückt, aber mit<br />

solchen Reaktionen hat er ja schon vorher gerechnet. Schließlich hat er<br />

auch seinen eigenen Werdegang bis zum Tag <strong>der</strong> Bekehrung nicht<br />

vergessen - und gerade die Tatsache, dass die Leute, die vom<br />

christlichen Standpunkt aus gesehen noch vom bösen Geist dieser Welt<br />

gefangen sind, auf diese ablehnende Weise reagieren, zeigt ihm, dass er<br />

sich auf dem richtigen <strong>Weg</strong> befindet.<br />

Dieses Wissen und natürlich vor allem seine Liebe zu Ulrike und das<br />

regelmäßige Zusammensein mit den an<strong>der</strong>en Gläubigen an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße helfen ihm, all diesen Anfeindungen, die ihn früher<br />

verletzt hätten, gelassen entgegenzutreten. So wie vorher Ulrike, Erwin<br />

und Bruno und viele an<strong>der</strong>e dafür gebetet haben, dass er zum Herrn<br />

findet, so kann und will auch er jetzt für sie alle beten.<br />

Nur eine Woche nach seiner Bekehrung wird in <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong><br />

Feldeggstraße, <strong>der</strong> jetzt auch Hans angehört und in die sie beide<br />

regelmäßig hinzugehen gedenken, nach dem Sonntagsgottesdienst eine<br />

kleine Verlobungsfeier abgehalten, und gerade deshalb, weil diese in<br />

einem recht einfachen, ja, fast nur gemeindeinternen Rahmen<br />

durchge<strong>führt</strong> wird, wurden nicht extra ihre Angehörigen und Verwandten<br />

eingeladen. Beson<strong>der</strong>s für Ulrikes Familie wäre es sowieso etwas<br />

schwierig gewesen, extra von Norddeutschland herunterzureisen; das ist<br />

dann für den Tag ihrer Hochzeit vorgesehen.<br />

Zwei Wochen nach dieser kleinen Feier, also nur drei Wochen nach<br />

seiner Bekehrung, findet im Leben von Hans ein weiteres Ereignis statt,<br />

das er sicher nie vergessen wird: Zusammen mit sechs an<strong>der</strong>en - je drei<br />

Männern und Frauen - lässt er sich im Zürichsee taufen, wie <strong>der</strong> Herr<br />

das verordnet hat und von allen durch<strong>führt</strong> werden sollte, denen es zu<br />

ihren Lebzeiten noch möglich ist. Nach dem Glauben, <strong>der</strong> in seiner<br />

Gemeinde verkündigt wird, ist die Taufe zwar nicht die absolute<br />

273


Bedingung zur Rettung, wie das da und dort fälschlicherweise gelehrt<br />

wird, aber als klares Zeugnis zur Bekehrung, als Akt des Gehorsams ihm<br />

gegenüber und des öffentlich verkündeten Willens, fortan ihm<br />

nachzufolgen und ihm zu dienen. Nicht zuletzt wird auch jetzt wie<strong>der</strong><br />

betont, dass <strong>der</strong> Herr selbst sich ebenfalls taufen liess, bevor er seinen<br />

Dienst begann - von keinem Geringeren als von Johannes dem Täufer,<br />

<strong>der</strong> als Einziger von allen biblischen Propheten das Vorrecht hatte, den<br />

Erlöser nicht nur des Volkes Israel, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> ganzen Welt<br />

unmittelbar vor dessen irdischem Auftreten anzukündigen. Gerade auch<br />

deshalb hat Jesus gesagt, es gebe von allen Propheten keinen<br />

Grösseren als Johannes.<br />

Diese Taufe wird auf <strong>der</strong> Saffa-Insel durchge<strong>führt</strong>, <strong>der</strong> kleinen Insel<br />

unweit des Strandbads Mythenquai, die mit dem Festland durch eine<br />

niedrige Brücke verbunden ist. Das herrliche Wetter trägt zusätzlich zur<br />

feierlichen Stimmung bei, aber was Hans noch mehr freut, ist die<br />

Anwesenheit Ulrikes, die an diesem Sonntag frei bekommen hat - <strong>der</strong><br />

Tauftag ist ja gerade nach ihrem Arbeitsplan ausgerichtet worden, weil<br />

Hans darauf bestanden hat, sie bei sich zu haben. Bevor er zusammen<br />

mit einem großen und kräftigen Mann, <strong>der</strong> für die Taufe bestimmt wurde,<br />

weil er die Leute am besten halten kann, ins Wasser steigt, wird ihm<br />

noch ein Mikrofon gereicht. Darin spricht er zum ersten Mal in seinem<br />

Leben in <strong>der</strong> Öffentlichkeit in Kurzform über seinen neuen Glauben und<br />

darüber, was alles geschehen ist, bis er sich bekehrt hat, und obwohl die<br />

Leute, die rund um die Christen herumstehen o<strong>der</strong> in ihrer Mehrheit auf<br />

<strong>der</strong> Wiese liegen, so tun, als wäre ihnen diese Botschaft völlig<br />

gleichgültig, vertraut er dennoch darauf, dass auch seine Worte bei<br />

denen einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en vielleicht doch auf einen fruchtbaren Boden<br />

fallen und sich später auswirken werden. Hat es schließlich bei ihm<br />

selbst nicht auch so begonnen?<br />

Sein neues Leben zeigt sich auch darin, dass er jetzt genauso wie einst<br />

Erwin und Bruno, die er auf diese Weise als Erste kennen gelernt hat,<br />

manchmal an Straßeneinsätzen teilnimmt, wie das Verteilen von<br />

Flugblättern und die gelegentlichen Freiversammlungen mit Lie<strong>der</strong>n und<br />

Zeugnissen, die eigentlich nur noch für die Heilsarmee bei ihren wenigen<br />

öffentlichen Auftritten noch erlaubt wären, aber nicht bei jedem Auftreten<br />

sofort von <strong>der</strong> Polizei unterbunden werden, im Christenjargon heißen.<br />

Nicht weniger als viermal verteilt er zusammen auch mit Erwin selber auf<br />

dem Bellevueplatz Flugblätter, also ausgerechnet mit dem Mann, <strong>der</strong> ihn<br />

als Erster auf den Glauben an Jesus Christus aufmerksam gemacht hat,<br />

und ausgerechnet auf dem gleichen Platz, wo ihre erste Begegnung<br />

stattgefunden hat. Dabei macht er bei diesen Verteilaktionen die gleiche<br />

274


interessante Erfahrung wie Bruno, <strong>der</strong> bei den Leuten aufgrund seiner<br />

äußerlichen Erscheinung immer ein wenig besser angekommen ist als<br />

Erwin: Jedes Mal, wenn er beson<strong>der</strong>s gut aufgelegt ist und diese Laune<br />

sich offensichtlich auch auf seinen Gesichtsausdruck überträgt und er<br />

dementsprechend strahlt, bekommt er zu viel mehr Leuten Kontakt.<br />

Dann bringt er bedeutend mehr Flugblätter weg und hat ab und zu auch<br />

Gelegenheit zu guten Gesprächen, ja, manchmal kommt es auch bei ihm<br />

vor, dass jemand von seinem Strahlen so beeindruckt wird, dass er o<strong>der</strong><br />

sie fast schüchtern fragt: „Darf ich auch eines haben?“<br />

Der Höhepunkt ist jedoch <strong>der</strong>, als eines Tages ein älterer Mann ihm ein<br />

Flugblatt buchstäblich aus den Händen reißt, <strong>der</strong>art hat es ihm sein<br />

Strahlen angetan. Gerade auch diese Szene bestätigt für ihn, was er<br />

irgendwo im Neuen Testament gelesen hat: «Ist jemand in Christus, ist<br />

er eine neue Kreatur.» Ohne seine Bekehrung könnte er nie so stark von<br />

innen heraus strahlen.<br />

All diese Erfahrungen zeigen ihm, dass im Grund viel mehr Menschen an<br />

diesem einen wahren Glauben Interesse hätten und sich gern auch Zeit<br />

für tiefe Gespräche nähmen, wenn sie dazu mehr Gelegenheit hätten<br />

und noch viel mehr Kontakte ermöglicht würden - die menschliche Seele<br />

schreit nun einmal in ihrem Innersten nach Erlösung. Ein erhebliches<br />

Hin<strong>der</strong>nis sieht er genauso wie fast alle an<strong>der</strong>en Gläubigen, die er kennt,<br />

in <strong>der</strong> Rolle, welche die Medien spielen, weil diese schon seit vielen<br />

Jahrzehnten wie nach einem systematisch vorbereiteten bösen Plan<br />

alles Christliche immer bewusst verzerren und teilweise sogar ins<br />

Lächerliche ziehen, während allen an<strong>der</strong>en Glaubensrichtungen mit<br />

einer erstaunlichen Toleranz begegnet wird. Nicht einmal im Fernsehen,<br />

wenn das „Wort zum Sonntag“ ausgestrahlt wird, wird <strong>der</strong> Name Jesus<br />

mit seiner Erlösungstat am Kreuz noch erwähnt, doch Hans kann sich<br />

allzu gut vorstellen, dass jede Pfarrerin o<strong>der</strong> je<strong>der</strong> Pfarrer, <strong>der</strong> das auch<br />

nur einmal tun würde, das letzte Mal vor dem Bildschirm aufgetreten<br />

wäre. Auch das <strong>führt</strong> ihm klar vor Augen, dass Erwin und Bruno sowie<br />

Jan Hoveneel mit ihren Aussagen über die guten und bösen Mächte<br />

tatsächlich Recht hatten, dass auch auf <strong>der</strong> <strong>uns</strong>ichtbaren Ebene ein<br />

ständiger Kampf, ja, sogar ein Krieg im Gange ist. Gerade deshalb kann<br />

er sich den Vers, in dem von <strong>der</strong> Waffenrüstung Gottes die Rede ist,<br />

beson<strong>der</strong>s gut merken.<br />

Auch durch seine Erlebnisse bei den Straßeneinsätzen wird er in seinem<br />

Glauben gestärkt, so dass er immer mehr im Glauben wächst - ein<br />

weiterer Ausdruck im Christenjargon. Überhaupt muss er sich noch an<br />

viele dieser Spezialausdrücke gewöhnen; erst jetzt kann er so richtig<br />

verstehen, was Erwin mit <strong>der</strong> kanaanitischen Sprache gemeint hat, als er<br />

zum ersten Mal davon sprach. Es ist tatsächlich eine neue Welt, in die er<br />

275


eingedrungen ist - zwar in eine <strong>uns</strong>ichtbare, aber in eine, die ebenfalls<br />

weltweit verbreitet ist. Jetzt kann er auch den tieferen Sinn des<br />

Vergleichs mit <strong>der</strong> Tierwelt verstehen, <strong>der</strong> in jenen Wochen, als er noch<br />

ganz ungezwungen in <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong> Feldeggstraße verkehrte,<br />

einmal an einem Samstagabend im Rahmen eines beson<strong>der</strong>en<br />

Evangelisationsprogramms gezeigt wurde. Da wurde in einem Film des<br />

christlichen Moody-Instituts auf eindrückliche Weise vorge<strong>führt</strong>, dass die<br />

Fische in den Seen, Meeren und Ozeanen für die Menschen, die dort<br />

unten tauchen, scheinbar stumm sind, dass sie aber sehr wohl<br />

miteinan<strong>der</strong> sprechen, diese Sprachen jedoch für die Menschen<br />

unverständlich sind, ja, nicht einmal gehört werden können. Mit Hilfe von<br />

speziell dafür entwickelten Hörgeräten wurde es aber ermöglicht, dass<br />

diese Sprachen hörbar geworden sind, ja, dass sogar deutlich zwischen<br />

Annäherungsversuchen, Liebesgeflüster, Streitereien und Warnrufen vor<br />

gefräßigen Feinden unterschieden werden kann, welcher Fisch auch<br />

immer vor <strong>der</strong> Kamera auftaucht.<br />

Jetzt, da er selbst auch zum lebendigen Glauben an Gott und an Jesus<br />

Christus gefunden hat, ist Hans sogar <strong>der</strong> Ansicht, dass gerade dieser<br />

Vergleich <strong>der</strong> bestmögliche ist, um Menschen verständlich zu machen,<br />

dass sie den Geist Gottes nur wahrnehmen und hören können, wenn sie<br />

sich mit ganzem Herzen zum Herrn bekehren. Gerade diese Sprache<br />

unter den Fischen lässt sich nach seiner Ansicht ohne weiteres mit <strong>der</strong><br />

kanaanitischen vergleichen, von <strong>der</strong> die Gläubigen immer sprechen und<br />

die nur für sie verständlich ist. So leuchtet es ihm jetzt auch ein, warum<br />

diese sich untereinan<strong>der</strong> teilweise Brü<strong>der</strong> und Schwestern nennen, weil<br />

sie sich alle als Angehörige <strong>der</strong> gleichen Gemeinde Jesu, ja, <strong>der</strong><br />

gleichen Familie und des noch <strong>uns</strong>ichtbaren himmlischen Königreichs<br />

fühlen, dessen König Jesus Christus selbst ist und das einmal in <strong>der</strong><br />

Zukunft sichtbar auf Erden sein wird. Mein Reich ist nicht von dieser<br />

Welt, hat <strong>der</strong> Herr während des Verhörs kurz vor seiner Kreuzigung<br />

gesagt - ja, jetzt erscheint es Hans so richtig klar, wie er das seinerzeit<br />

gemeint hat. Wie nichtig und dumm sind angesichts dieser göttlichen<br />

Worte alle irdischen Versuche, oft mit brutalster Waffengewalt Reiche zu<br />

errichten, die früher o<strong>der</strong> später wie<strong>der</strong> in sich zerfallen, wie das einst mit<br />

dem Babylonischen, Persischen und Römischen Reich und in <strong>der</strong><br />

neuesten Zeit auch mit <strong>der</strong> ehemaligen Sowjetunion geschehen ist!<br />

Von allen christlichen Spezialausdrücken, die er mit <strong>der</strong> Zeit verstehen<br />

lernt, haben es ihm vier beson<strong>der</strong>s angetan, <strong>der</strong>en Aussagen auf den<br />

ersten Blick o<strong>der</strong> genauer beim ersten Hinhören völlig wi<strong>der</strong>sprüchlich zu<br />

sein scheinen, <strong>der</strong>en tiefere Bedeutung aber nur die Menschen<br />

verstehen können, die Jesus Christus persönlich kennen gelernt haben.<br />

276


Der erste lautet: „Wir sind in <strong>der</strong> Welt, aber nicht von <strong>der</strong> Welt.“<br />

Das heißt also, dass all jene, die ihn persönlich als Erlöser kennen,<br />

eigentlich nicht mehr zu dieser Welt gehören, obwohl sie noch darin<br />

leben, dass sie im Grund nur Gäste auf Erden sind, bis sie in die<br />

versprochenen himmlischen Wohnungen einziehen werden.<br />

Der zweite Spezialausdruck, <strong>der</strong> ihm so gefällt und <strong>der</strong> für sein<br />

Empfinden noch mehr in die theologische Tiefe geht, lautet so: „Um zu<br />

leben, musst du sterben.“<br />

Auch das versteht er jetzt gut, er hat es ja an sich selbst erfahren.<br />

Obwohl er vorher natürlich auch schon gelebt hat, war er eigentlich tot,<br />

weil er noch verblendet war und so das ewige Leben, das Christus<br />

verheißen hat, noch nicht hatte. Als er jedoch seine angeborene<br />

Trennung von Gott, die durch die Sünde und den damit verbundenen<br />

ewigen Tod - wo auch immer dieser sei - bewirkt worden ist, eingesehen<br />

und sich zu ihm bekehrt hat und damit dem alten Leben abgestorben ist,<br />

hat er dieses neue Leben erhalten.<br />

Der dritte Spezialausdruck, den er so treffend findet, hängt eng mit dem<br />

zweiten zusammen und wurde vom Herrn selber so gesagt: «Wer sein<br />

Leben erhalten will, wird es verlieren, aber wer sein Leben um<br />

meinetwilllen verliert, wird es erhalten.» Jetzt versteht Hans so richtig,<br />

warum seit 2'000 Jahren unzählige Männer und Frauen, von denen viele<br />

gute Berufe hatten, mit denen sie auch zu Hause erfolgreich und<br />

geachtet hätten sein können, in die ganze Welt hinauszogen, um dort<br />

das Evangelium zu verbreiten, und es auch in Kauf nahmen, gefangen<br />

genommen und hingerichtet zu werden. Gerade diese haben am<br />

deutlichsten gezeigt, was für ein Opfer oft damit verbunden sein kann,<br />

wenn jemand das Kreuz auf sich nimmt, um dem Herrn nachzufolgen,<br />

wie das irgendwo im Neuen Testament geschrieben steht. Dazu passt<br />

auch, dass <strong>der</strong> Apostel Paulus im Wissen, dass er von dort nie mehr<br />

zurückkehren würde, bis nach Rom reiste, was vor 2'000 Jahren einer<br />

Weltreise gleichkam, aber auch die Geschichte mit dem Jünger Thomas,<br />

<strong>der</strong> sogar nach <strong>der</strong> Auferstehung des Herrn daran zweifelte und erst<br />

dann daran zu glauben begann, als er ihn persönlich mit den immer noch<br />

sichtbaren Wundmalen an den Händen sah, beeindruckt Hans tief: Nach<br />

<strong>der</strong> kirchlichen Überlieferung soll er nachher sogar bis nach Indien<br />

gereist sein, um dort von Jesus Christus zu erzählen. Dementsprechend<br />

gibt es dort noch heute sogenannte Thomas-Christen, welche die<br />

Gründung ihrer Kirche auf ihn zurückführen.<br />

Der vierte Spezialausdruck, <strong>der</strong> Hans in diesen Wochen beson<strong>der</strong>s<br />

beeindruckt, geht für ihn ebenso tief wie <strong>der</strong> zweite und dritte, und ist wie<br />

277


<strong>der</strong> letztere ebenfalls ein Bibelvers: „Das Blut Jesu Christi reinigt <strong>uns</strong> von<br />

aller Sünde.“<br />

Was in <strong>der</strong> Welt nur Kopfschütteln erregt und alle Jahrhun<strong>der</strong>te hindurch<br />

selbst in den offiziell christlichen Kirchen bei nicht wenigen, die den Sinn<br />

dieser Worte nicht verstanden o<strong>der</strong> auch nicht verstehen wollten, sogar<br />

den Gedanken aufkommen ließ, die wahrhaft gläubigen Christen würden<br />

Kannibalismus o<strong>der</strong> zumindest einen seltsamen Blutkult betreiben, ist in<br />

Wirklichkeit <strong>der</strong> eigentliche Kern <strong>der</strong> biblischen Botschaft. Erst dadurch,<br />

dass das Blut des Herrn am Kreuz vergossen wurde, war es nach Gottes<br />

Plan möglich, sich mit den Menschen wie<strong>der</strong> zu versöhnen - mit all<br />

denen, die diese Botschaft klar hören und für sich persönlich in Anspruch<br />

nehmen. Was Hans in den letzten paar Wochen vor seiner Bekehrung<br />

immer mehr gespürt hat, sieht er jetzt umso klarer: Die Kreuzigung auf<br />

dem Hügel Golgatha vor den Stadttoren des damaligen Jerusalems war<br />

nicht nur einfach ein geschichtliches Ereignis, ja, sie war nicht einmal nur<br />

eines von vielen wichtigen biblischen Ereignissen, son<strong>der</strong>n noch viel<br />

mehr: Sie war das wichtigste und zentralste Ereignis in <strong>der</strong> ganzen<br />

Geschichte <strong>der</strong> Menschheit überhaupt und machte die Auferstehung in<br />

einem neuen verherrlichten und unverweslichen Körper sowohl für den<br />

Herrn als auch für alle, die an ihn geglaubt haben und in diesem<br />

Glauben gestorben sind, erst möglich.<br />

So ist er Gott in tiefer Dankbarkeit dafür verbunden, dass er mit ihm so<br />

viel Geduld hatte, ja, überspitzt ausgedrückt, dass er überhaupt so lange<br />

unter seiner Gnade leben durfte, bis er die wahre Bedeutung dieser<br />

Kreuzigung und auch <strong>der</strong> darauffolgenden Auferstehung erkannt hat und<br />

heute selber <strong>der</strong> Welt davon erzählen darf. Der Symbolwert dieser viel<br />

zitierten biblischen Aussage bedeutet nicht wenigen gläubigen Männern<br />

und Frauen gar so viel, dass sie dann, wenn vom Schutz Gottes die<br />

Rede ist, immer wie<strong>der</strong> sagen, man müsse sich nur unter das Blut Jesu<br />

o<strong>der</strong> bloß unter das Blut stellen, und es könne dann nichts Schlimmes<br />

mehr geschehen; dabei gelte das sogar für Gegenstände, damit diese<br />

nicht gestohlen werden. Er selbst ist allerdings noch nicht so weit, dass<br />

er sich zu solchen Äußerungen verleiten lassen könnte, aber wenigstens<br />

kann er schon verstehen, was gemeint ist.<br />

Allerdings hat er in den paar Wochen seit seiner Bekehrung noch eines<br />

entdeckt: Es geht unter den Christen keineswegs so bitternst und<br />

griesgrämig zu und her, wie er immer geglaubt hat und das von weiten<br />

Kreisen <strong>der</strong> ungläubigen Bevölkerung geglaubt wird. Es wird auffallend<br />

viel gelacht, wie es auch in einem Bibelvers sogar in Befehlsform<br />

geschrieben steht, dass die Gläubigen sich freuen sollen. Es werden<br />

sogar sogenannte christliche Witze erzählt, die den eigenen Glauben auf<br />

278


den Arm nehmen, aber niemanden in seinen religiösen Gefühlen<br />

verletzen sollen. Bei einem musste er sogar laut lachen, als er ihn zum<br />

ersten Mal hörte: Als ein Mann von <strong>der</strong> Heilsarmee vor einer Kneipe<br />

steht, kommt ein Betrunkener von dieser torkelnd auf ihn zu, und als er<br />

ihm eine Hand auf eine Schulter legt, sagt er ihm: «Bru<strong>der</strong>, kehr um!»<br />

Und prompt torkelt dieser in die Kneipe zurück. - Ein an<strong>der</strong>er Witz gefällt<br />

ihm ebenfalls gut: Als jemand fragt, welche Sprache im Himmel wohl die<br />

allgemeine Umgangssprache sein wird, und niemand darauf eine<br />

Antwort hat, gibt er diese gleich selbst: «Englisch - schliesslich sind wir<br />

dann alle Engel.»<br />

Auch die sogenannte Telefonnummer <strong>der</strong> Bibel, von <strong>der</strong> Jan Hoveneel<br />

gesprochen hat, ist ihm unterdessen geläufig geworden, genauso wie die<br />

rätselhafte Frage, die auch die meisten gläubigen Christen nicht sofort<br />

beantworten können: «Wer ist die Grossmutter des Todes?» Die<br />

Antwort: Es ist die Lust, weil irgendwo geschrieben steht, dass die Lust<br />

die Sünde gebiert und dass diese den Tod gebiert.<br />

Eine weitere lustige Szene hat Hans erst vor wenigen Tagen bei einer<br />

Freiversammlung selbst miterlebt. Als bei einem <strong>der</strong> Gitarristen <strong>der</strong><br />

Bändel, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Gitarre verbunden war und den er beim Spielen um<br />

den Hals legen wollte, plötzlich riss und er diesen auf <strong>der</strong> Strasse o<strong>der</strong><br />

genauer auf dem Gehsteig nicht so schnell wie<strong>der</strong> flicken konnte, sagte<br />

er vor sich hin: «Oh je, ich bin verloren!» Darauf riefen ihm gleich zwei<br />

an<strong>der</strong>e junge Männer zu: «Nein, gerettet bist du - gerettet!»<br />

21<br />

Bevor <strong>der</strong> große Tag für Hans und Ulrike anbricht, gibt es noch ein<br />

kleines Problem zu lösen, das nicht unterschätzt werden darf: Da vor <strong>der</strong><br />

kirchlichen Trauung laut Gesetz zuerst noch eine auf dem Standesamt<br />

erfolgen muss und für Ulrike als typische Frau nur die in <strong>der</strong> Kirche<br />

wirklich zählt, können sie auch nach <strong>der</strong> zivilen Trauung noch nicht wie<br />

ein Ehepaar zusammenleben, wenn sie ihren festen Vorsatz nicht<br />

verletzen wollen. Für einmal kommt ihnen aber auch das Glück zu Hilfe,<br />

denn sie können es so einrichten, dass die zivile Zeremonie nur einen<br />

Tag vor <strong>der</strong> kirchlichen stattfindet, und zwar an einem Freitag. Danach<br />

haben sie vor, zum letzten Mal noch einmal getrennt in ihren<br />

Wohnungen zu schlafen; das sieht für Außenstehende zwar etwas<br />

komisch aus, aber es hätte ja noch schlimmer kommen können, etwa<br />

wenn die zivile Trauung viel früher als die kirchliche angesetzt worden<br />

wäre.<br />

Da Hans im Verlauf seines Berufslebens dank seiner recht sparsamen<br />

279


Lebensweise und vor allem auch des Umstands, dass er nicht so wie<br />

unzählige an<strong>der</strong>e ständig in <strong>der</strong> Welt herumgereist ist und dabei zu viel<br />

Geld ausgegeben hat, das ihm jetzt fehlen könnte, fast 100’000 Franken<br />

auf seinem Konto hat, kann er es sich leisten, für Ulrike und sich selbst<br />

sowohl für die zivile als auch für die kirchliche Trauung je zwei neue<br />

Kleidungsstücke beziehungsweise Anzüge zu kaufen. Zusätzlich hat er<br />

vor, alles an<strong>der</strong>e auch zu finanzieren, und er rechnet sich aus, dass das<br />

Ganze mitsamt dem Fest im Restaurant mindestens 30’000, wenn nicht<br />

sogar 40’000 Franken kosten wird. Das mag für an<strong>der</strong>e, die davon<br />

erfahren werden, wie Verschwendung aussehen, doch er hat schließlich<br />

das ganze Geld auf redliche Weise verdient und angelegt, als hätte er<br />

immer damit gerechnet, dass er einen guten Teil davon einmal für eine<br />

Hochzeit verwenden könnte, und so ist es auch gekommen. Für seine<br />

über alles geliebte Ulrike, die Prinzessin, ja, die Königin, wenn nicht<br />

sogar die Kaiserin des Festes, ist ihm aber nichts zu teuer. Sie ist ihm all<br />

dies wahrhaftig wert; schließlich ist das für sie als typische Frau, <strong>der</strong> eine<br />

Heirat in <strong>der</strong> Kirche viel bedeutet, nach <strong>der</strong> Bekehrung zu Jesus Christus<br />

<strong>der</strong> wichtigste Tag ihres Lebens.<br />

Als Trauzeugen amten bei beiden Zeremonien Erwin Gisler und Brigitte<br />

Frey; das ist nichts als logisch, weil diese zwei sicher am meisten dafür<br />

getan haben, dass Hans und Ulrike ein Paar geworden sind. Ja, auch<br />

Brigitte hat einen großen Anteil geleistet, denn sie hat sich nach jenem<br />

intensiven Gespräch mit Ulrike, das fast mit einem Bruch ihrer<br />

jahrelangen Freundschaft geendet hätte, an ihr Versprechen gehalten<br />

und genauso wie Erwin wochenlang gezielt für die Bekehrung von Hans<br />

gebetet. Während die zivile Hochzeit, an <strong>der</strong> außer den engsten<br />

Familienangehörigen und Verwandten - also auch Ulrikes Eltern und<br />

Geschwister und ein paar Verwandte, die alle extra aus dem<br />

norddeutschen Raum angereist sind und in Hotels untergebracht werden<br />

müssen - nur wenige an<strong>der</strong>e teilnehmen, schnell über die Bühne geht,<br />

wird die in <strong>der</strong> Kirche zu einem einmaligen und denkwürdigen Ereignis,<br />

bei dem schon vor dem Beginn feststeht, dass man noch lange von ihm<br />

sprechen wird. Der Witz <strong>der</strong> Sache ist jedoch, dass es trotzdem keine<br />

eigentliche kirchliche Hochzeit wird, auch wenn sie in einer<br />

protestantischen Kirche stattfindet. Da sowohl Hans als auch Ulrike vor<br />

vielen Jahren aus <strong>der</strong> Landeskirche ausgetreten sind - er aus<br />

Berechnung, weil er keine Steuern mehr für etwas bezahlen wollte,<br />

dessen Sinn er nicht mehr einsah, und sie wegen ihrer Mitgliedschaft in<br />

einer Freikirche -, mussten sie sich erst noch etwas einfallen lassen, um<br />

zumindest ein Gastrecht zu bekommen.<br />

Dank des glücklichen Umstands, dass <strong>der</strong> protestantische Pfarrer, <strong>der</strong><br />

280


die Trauungszeremonie vornehmen wird, im Gegensatz zu vielen seiner<br />

Amtskolleginnen und -kollegen ein wirklich gläubiger Christ ist, kann<br />

diese in einer Kirche stattfinden, wobei sie allerdings unter <strong>der</strong> Obhut <strong>der</strong><br />

Freikirche steht, <strong>der</strong> jetzt beide angehören. Wenn sie jedoch daran<br />

denken, dass sie sowohl beim Festlegen <strong>der</strong> zwei Hochzeitsdaten als<br />

auch bei <strong>der</strong> Gewährung des Gastrechts in den Gemäuern einer<br />

Landeskirche einiges Glück hatten, können sie auch das nur als eine<br />

Führung von oben sehen.<br />

Obwohl die Hochzeit nicht mit dem gleichen Pomp stattfindet, <strong>der</strong> die<br />

Zeremonien vieler sogenannter Prominenter kennzeichnet, die<br />

manchmal Millionen dafür ausgeben und eigentlich auch nur<br />

gewöhnliche Menschen wären wie alle an<strong>der</strong>en, aber von den<br />

sensationslüsternen Medien zu Superleuten und Halbgöttern<br />

hochgejubelt werden und sich teilweise auch selbst so aufspielen, ist sie<br />

immer noch eindrücklich genug. Insgesamt sind mehr als vierhun<strong>der</strong>t<br />

Personen erschienen: Sämtliche Familienangehörigen von Hans und<br />

Ulrike, die meisten Verwandten sowohl von <strong>der</strong> Schweiz als auch von<br />

Deutschland, fast alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freikirche an <strong>der</strong> Feldeggstraße<br />

mitsamt Bruno und Marianne <strong>Weg</strong>mann und sogar Rabi Mavendran, <strong>der</strong><br />

mit seiner jungen Frau extra für diesen Tag frei nehmen konnte; ferner<br />

viele Arbeitskolleginnen und -kollegen von Hans und Ulrike mitsamt vier<br />

Bankdirektoren, fünf Ärzten und drei Ärztinnen. Nicht zuletzt nehmen<br />

aber auch alle ehemaligen Kollegen des Fußballvereins mitsamt dem<br />

Trainer teil, was Hans beson<strong>der</strong>s freut.<br />

Da diese nach seinem abrupten und fast erzwungenen Abgang in den<br />

letzten zwei Aufstiegsspielen nur noch einen Sieg und ein<br />

Unentschieden und damit magere vier Punkte erreicht haben, legte sich<br />

ihre anfängliche Wut auf ihn. Nun konnten sie sich leicht ausrechnen,<br />

dass sie auch ohne diese beiden verhängnisvollen Fehler ihres<br />

ehemaligen Mitspielers, also selbst mit den fünf angenommenen<br />

zusätzlichen Punkten, jene Mannschaft, gegen die sie zuerst 0:0 gespielt<br />

hatten und die nachher bis auf ein Unentschieden alle an<strong>der</strong>en Spiele<br />

gewann, aufgrund <strong>der</strong> weitaus schlechteren Tordifferenz nicht mehr vom<br />

Aufstiegsplatz hätten verdrängen können. Sie mussten sich also selbst<br />

vorwerfen, warum sie vorn nicht mehr Tote geschossen hatten, und das<br />

galt natürlich vor allem für die Stürmer. So bereuten nun etliche ihr<br />

Verhalten ihm gegenüber am letzten Tag, an dem er mit ihnen<br />

zusammen war, und einige, aber eben nicht alle, entschuldigten sich im<br />

Verkauf <strong>der</strong> nächsten paar Tage telefonisch o<strong>der</strong> sogar mit einem Brief<br />

bei ihm.<br />

281


Der Einzige, <strong>der</strong> zum Bedauern des zukünftigen Ehepaars Stettler - dass<br />

Ulrike seinen Familienamen annimmt, also auch in dieser Beziehung<br />

gegen die mo<strong>der</strong>ne Strömung <strong>der</strong> allzu freien Namensgebung<br />

anschwimmt, ist für sie selbstverständlich - nicht teilnehmen kann, ist<br />

Jan Hoveneel, <strong>der</strong> für Hans bei seiner Suche nach Gott ebenfalls eine<br />

wichtige Bezugsperson gewesen ist, auch wenn ihm das damals nicht<br />

bewusst war. Genau in diesen Wochen befindet er sich auf einer<br />

mehrmonatigen Vortragstournee durch ganz Nordamerika, so dass er<br />

unmöglich teilnehmen kann, da diese Vortragsreise mit allen<br />

Einzelheiten schon vor Monaten fest eingeplant war und zu jenem<br />

Zeitpunkt die Hochzeit <strong>der</strong> beiden noch nicht einmal ein Thema war.<br />

Dank <strong>der</strong> Handynummer, die er Hans nach dem Gespräch im<br />

Hotelzimmer gegeben hat, konnte er aber mit ihm höchstpersönlich<br />

Kontakt aufnehmen und ihm gleich selbst von seiner Bekehrung und <strong>der</strong><br />

vorgesehenen Hochzeit mit Ulrike berichten, was Hoveneel natürlich<br />

riesig gefreut hat. Allerdings mussten sie es dabei bewenden lassen,<br />

doch er hat ihnen mit <strong>der</strong> Zusicherung, er würde an diesem Tag an sie<br />

denken und mit dem Herzen bei ihnen sein, doch noch eine beson<strong>der</strong>e<br />

Freude bereitet.<br />

Da die Hochzeit zwar in einer Kirche stattfindet, aber unter <strong>der</strong> Obhut <strong>der</strong><br />

Freikirche steht, <strong>der</strong> Hans und Ulrike angehören, und damit vom<br />

üblichen Protokoll abgewichen werden kann, ist als einer <strong>der</strong><br />

Höhepunkte vorgesehen, dass Hans höchstpersönlich noch vor <strong>der</strong><br />

eigentlichen Hochzeitszeremonie auf die Kanzel steigt, die eher ein<br />

Podium ist, und ein längeres Zeugnis über seinen neuen Glauben an<br />

Jesus Christus geben wird. Er hat selbst darum gebeten, weil er will,<br />

dass alle Anwesenden, von denen die meisten ihn ja persönlich kennen,<br />

von dieser speziellen Wandlung und <strong>der</strong> frohen Botschaft hören. Es ist ja<br />

offensichtlich, dass eine so günstige Gelegenheit auf so konzentrierte<br />

Weise und mit so vielen Leuten, die ihn kennen, sich wahrscheinlich nie<br />

mehr ergeben wird.<br />

Wie feierlich ihre Hochzeit sein wird, zeigt sich bereits darin, dass<br />

Kirchenglocken erklingen und die Orgel gespielt wird, als Hans drinnen<br />

darauf wartet, dass Ulrike nach alter Tradition von ihrem eigenen Vater<br />

zu ihm hereinge<strong>führt</strong> wird; dabei kann sie ihre Tränen fast nicht<br />

zurückhalten, aber auch er hat viel Mühe, sich zu beherrschen. Dann<br />

wird als Erstes das Lied gesungen, das im deutschen Sprachraum schon<br />

seit Jahrhun<strong>der</strong>ten eines <strong>der</strong> beliebtesten und bekanntesten christlichen<br />

Lie<strong>der</strong> über alle Denominationen hinweg ist, von dem auch Hans schon<br />

viel gehört hat, das er jedoch erst heute zum ersten Mal in einer Kirche<br />

so inbrünstig und erst noch vierstimmig gesungen hört und das ihm<br />

282


dementsprechend unter die Haut fährt, vor allem beim Singen <strong>der</strong> ersten<br />

Strophe:<br />

Großer Gott, wir loben Dich,<br />

Herr, wir preisen Deine Stärke.<br />

Vor Dir beugt <strong>der</strong> Erdkreis sich<br />

Und bewun<strong>der</strong>t Deine Werke;<br />

Wie Du warst vor aller Zeit,<br />

So bleibst Du in Ewigkeit.<br />

Nach <strong>der</strong> dritten und letzten Strophe hat <strong>der</strong> Pfarrer seinen ersten<br />

Auftritt, und danach kommt ein Quartett aus je zwei Männern und Frauen<br />

aus <strong>der</strong> Gemeinde an <strong>der</strong> Feldeggstraße nach vorn und singt<br />

vierstimmig zwei lange Strophen eines weiteren schönen Lieds. Erst<br />

nach dieser Einstimmung ist die Reihe an Hans. Er spürt, wie alle Augen<br />

auf ihn gerichtet sind, als er auf das Podium tritt, doch zu seinem<br />

eigenen Erstaunen ist er nicht einmal beson<strong>der</strong>s nervös - allerdings kann<br />

er ein leichtes Zittern nicht vermeiden.<br />

Bevor er mit seinem Zeugnis beginnt, das er wie eine Rede mit<br />

entsprechenden Notizen vor sich vorbereitet hat, damit er auch ja nichts<br />

Wichtiges vergisst, schaut er noch einmal in die weite Runde, um sich<br />

einen Überblick zu verschaffen. Dann beginnt er zu reden, und zwar aus<br />

Rücksicht auf Ulrikes Angehörige und Verwandte auf Hochdeutsch, die<br />

eigentlich immer noch die offizielle Kirchensprache wäre, aber im Verlauf<br />

<strong>der</strong> letzten paar Jahrzehnte selbst in <strong>der</strong> Landeskirche immer mehr dem<br />

Dialekt weichen musste.<br />

Zuerst hat er noch ein wenig Mühe, doch schon bald wird ihm die Zunge<br />

wie durch ein Wun<strong>der</strong> von oben gelöst: „Liebe Festgemeinde, lieber Herr<br />

Pfarrer, liebe Eltern, liebe Geschwister und Verwandte, liebe<br />

Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen - als Erstes<br />

möchte ich euch allen von ganzem Herzen danken, dass ihr heute so<br />

zahlreich zu <strong>uns</strong>erer Hochzeit erschienen seid; damit habt ihr Ulrike und<br />

mir eine Riesenfreude bereitet. Ich bin froh und glücklich, dass ich an<br />

diesem historischen Tag zu euch sprechen darf, denn was ich euch<br />

sagen will, ist mir ein ganz beson<strong>der</strong>es Herzensanliegen. Wer mich<br />

näher kennt - und das sind sehr viele in diesem Raum, wie ich sehe -,<br />

weiß sicher noch gut, wie ich noch vor wenigen Monaten gewesen bin.<br />

Ich war ein typischer mo<strong>der</strong>ner Mensch <strong>der</strong> heutigen Zeit, machte bei<br />

allen möglichen Modetrends mit, fehlte bei fast keinem Fest und war<br />

nach Ansicht praktisch aller Leute, die mich kannten, ein aufgestellter<br />

Typ, mit dem man alles Mögliche unternehmen konnte - eben ein<br />

mo<strong>der</strong>ner junger Mann, dem es scheinbar an nichts fehlte ... also ein<br />

283


wahres Glückskind, könnte man meinen. Tatsächlich stamme ich von<br />

einem guten Elternhaus, ich komme noch heute gut mit meinen Eltern<br />

und Geschwistern aus, ich habe eine gute Arbeitsstelle mit einem<br />

anständigen Lohn, ich habe sechzehn Jahre lang mit Freude in einem<br />

Fußballverein gespielt, ich hatte recht viele Kollegen und zum Teil auch<br />

gute Freunde, ich hatte ab und zu auch eine Freundin und einmal sogar<br />

eine Verlobte, ich kam also alles in allem bei den Frauen gut an - auch<br />

dann, wenn ich in keiner festen Beziehung lebte. Kurz und gut, ich war<br />

eigentlich immer beliebt und hatte Erfolg in meinem Leben; ich war zwar<br />

nie reich, aber ich hatte immer genug und konnte erst noch einen guten<br />

Batzen auf die hohe Kante legen. Was sollte mir also noch fehlen,<br />

abgesehen davon, dass ich noch keine geeignete Frau zum Heiraten<br />

gefunden hatte, weil ich eben Ulrike noch nicht kannte?<br />

Heute muss ich aber den Worten eines bekannten Milliardärs<br />

zustimmen, <strong>der</strong> einmal von sich selbst gesagt hat: ‘Ich habe alles, aber<br />

eigentlich habe ich nichts.’ Genau in dieser Lage befand auch ich mich,<br />

obwohl ich nie so viel Geld und damit Einfluss hatte wie er. Vor lauter<br />

Erfolg und Selbstzufriedenheit war ich verblendet und damit unfähig zu<br />

erkennen, was mir am meisten fehlte: Es war ausgerechnet das<br />

Wichtigste in <strong>uns</strong>erem Leben überhaupt, nämlich eine persönliche<br />

Beziehung zu <strong>uns</strong>erem Schöpfer, zum allmächtigen und allwissenden<br />

Gott, <strong>der</strong> das ganze Weltall mit allen Sternen, Planeten und Monden und<br />

alle Lebewesen erschaffen hat, <strong>der</strong> sich <strong>uns</strong> aber auch in Jesus Christus<br />

<strong>der</strong> Menschheit offenbart hat und das auch heute noch tut. Als ich vor<br />

etwas mehr als einem halben Jahr zum ersten Mal auf <strong>der</strong> Straße<br />

Christen begegnete, die mir vom Evangelium und von <strong>der</strong> Erlösung<br />

durch Jesus Christus erzählten, gehörte auch ich zur erdrückend großen<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Leute, die diese Botschaft lächerlich finden und für etwas<br />

Verstaubtes und längst Überholtes aus dem Altertum halten.<br />

Ausgerechnet ich, ein junger, mo<strong>der</strong>ner, aufgeschlossener und<br />

erfolgreicher Mann, sollte an so etwas glauben? War es denn nicht<br />

schon längst bewiesen, dass die Menschen sich über Hun<strong>der</strong>ttausende<br />

von Jahren aus den Affen entwickelt hatten und damit die Geschichte in<br />

<strong>der</strong> Bibel, die von <strong>der</strong> Schöpfung <strong>der</strong> Welt und aller Lebewesen durch<br />

Gott spricht, nur ein Märchen sein konnte, wie das zum Beispiel in den<br />

ehemaligen kommunistischen Staaten jahrzehntelang gelehrt worden<br />

ist? So hatte ich eine feine Ausrede bereit, aber ohne die absolute<br />

Gewissheit zu haben, dass ich Recht hatte, und so fand auch ich die<br />

biblische Botschaft von <strong>der</strong> Errettung durch Jesus Christus vor dem<br />

ewigen Ver<strong>der</strong>ben lächerlich und musste jedes Mal grinsen, wenn ich<br />

von Adam und Eva und dem Apfel hörte. Sollte wirklich die ganze<br />

Menschheitsgeschichte von diesem einzigen Apfel abhängig sein? Dazu<br />

kam noch etwas scheinbar Absurdes: Ein Gott, <strong>der</strong> zu einem Menschen<br />

284


wird und an einem Kreuz für die Sünden <strong>der</strong> ganzen Welt, die wir seit<br />

dem Sündenfall auf <strong>uns</strong> tragen, stirbt und am dritten Tag nach seinem<br />

Tod aufersteht und in den Himmel auffährt und dort noch heute darauf<br />

wartet, dass wir <strong>uns</strong> zu ihm bekehren - welcher vernünftige, mo<strong>der</strong>ne<br />

Mensch, <strong>der</strong> noch einen halbwegs gesunden Verstand hat, kann schon<br />

an so etwas glauben?<br />

Heute jedoch glaube ich daran, mit ganzem Herzen und mit ganzem<br />

Verstand - mit Betonung auf ‚Verstand’. Ich glaube tatsächlich an den<br />

Wahrheitsgehalt dieser Geschichte von <strong>der</strong> Kreuzigung und<br />

Auferstehung sowie aller an<strong>der</strong>en Geschichten, die in <strong>der</strong> Bibel<br />

beschrieben sind und für die es heute sogar klare naturwissenschaftliche<br />

Beweise gibt, die von den Medien aus naheliegenden Gründen natürlich<br />

fleißig unterschlagen werden, vor allem was die göttliche Schöpfung, die<br />

Sintflut und den Turmbau zu Babel betrifft, aber ich kann jetzt natürlich<br />

nicht näher darauf eingehen. Ich glaube also auch daran, dass Adam<br />

und Eva wirklich gelebt haben - und zwar nicht vor mehr als einer Million<br />

Jahren, son<strong>der</strong>n erst vor ein paar Tausend Jahren -, und dass durch<br />

dieses erste Menschenpaar die Sünde in die Welt gekommen ist, dass<br />

aber Jesus Christus, <strong>der</strong> eingeborene Sohn Gottes, <strong>der</strong>jenige ist, den<br />

<strong>der</strong> allmächtige und allwissende Vater im Himmel auf die Erde gesandt<br />

hat, um <strong>uns</strong> von <strong>der</strong> ewigen Trennung von ihm und damit auch vom<br />

ewigen Tod zu erlösen.<br />

Ich glaube also an all dies mit ganzem Herzen und mit ganzem<br />

Verstand, und so wie ich daran glaube, sage ich euch jetzt an dieser<br />

Stelle, dass die Evolutionstheorie die größte Lüge des 19. und 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts war, die aber mit <strong>der</strong> größten Selbstverständlichkeit überall<br />

gelehrt und als bewiesene Wahrheit verkauft wird, obwohl überhaupt<br />

nichts bewiesen ist. Das Gleiche gilt auch für den viel zitierten<br />

sogenannten Urknall, <strong>der</strong> eng damit zusammenhängt, aber auch dieses<br />

Thema muss ich jetzt beiseitelassen. Gerade was diese beiden<br />

unbewiesenen Theorien betrifft, bezeichne ich sie als die gemeinsten<br />

und fiesesten Lügen in <strong>der</strong> ganzen Menschheitsgeschichte, weil sie <strong>uns</strong><br />

unterstellen, dass wir keine <strong>uns</strong>terbliche Seele haben, die sich nach<br />

einem Gott sehnt, nach einem Vater im Himmel, bei dem wir <strong>uns</strong><br />

geborgen und sicher fühlen können, weil es diesen ja angeblich nicht<br />

gibt und vom Urknall bis zu den ersten Menschen alles sich von selbst<br />

erschaffen haben soll. Auch deshalb ist in letzter Zeit die Idee,<br />

Menschen zu klonen, auf einen so fruchtbaren Boden gefallen - mit <strong>der</strong><br />

billigen und allzu klar durchschaubaren Aussage, die Tiere hätten<br />

schließlich genauso Seelen wie die Menschen und diese könne man<br />

klonen, also sollte das auch bei Menschen möglich sein. Allerdings<br />

vergessen all diese Propagandisten, dass die menschliche Seele etwas<br />

so Einmaliges ist, dass sie mit keiner einzigen eines Tieres verglichen<br />

werden kann.<br />

285


Ihr fragt euch jetzt sicher, wie es bei mir zu diesem Umschwung, ja, zu<br />

dieser totalen Wende in meinem Leben gekommen ist, dass auch ich<br />

heute an eine göttliche Schöpfung und an die Erlösung durch Jesus<br />

Christus glaube. Es begann damit, dass ich mit <strong>der</strong> Zeit erkannte, dass<br />

ich das Gleiche tat wie die meisten von <strong>uns</strong>: Wir sind in <strong>der</strong> gleichen<br />

Lage wie damals Adam und Eva, die sich nach dem Sündenfall vor Gott<br />

versteckten o<strong>der</strong> es wenigstens versuchten. Genau das ist <strong>uns</strong>er<br />

Kennzeichen von Geburt an: Wir verstecken <strong>uns</strong> immer wie<strong>der</strong> vor Gott<br />

und versuchen, vor ihm davonzulaufen; wir wollen von ihm nichts wissen<br />

und leugnen sogar, dass es ihn gibt, und merken dabei nicht, wie sehr<br />

wir von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> finsteren Seite - vom Satan und den gefallenen<br />

Engeln, die wir Gläubigen als Dämonen bezeichnen - laufend manipuliert<br />

und angelogen werden. Wenn es nicht so wäre, würde es in dieser Welt<br />

wesentlich an<strong>der</strong>s aussehen. Alles Elend, alles Leiden und alle Kriege<br />

kommen nur daher, weil wir von Geburt an von Gott getrennt sind, eben<br />

unter dem Fluch <strong>der</strong> Erbsünde und damit auch unter dem Einfluss <strong>der</strong><br />

finsteren Mächte stehen. Gerade das Wort ‚Erbsünde’ wird heute von<br />

den meisten nicht mehr gern gehört - noch weniger als in früheren Zeiten<br />

-, weil es <strong>uns</strong> alle an <strong>uns</strong>ere eigene Lage erinnert, weil es <strong>uns</strong>er<br />

Innerstes schonungslos aufdeckt und ans Tageslicht zerrt. Auch deshalb<br />

hatte die Evolutionstheorie einen solchen Erfolg, als sie ausgedacht<br />

wurde, und wird heute noch blind geglaubt, weil sie die Möglichkeit<br />

bietet, sich vor Gott zu verstecken und ihm davonzulaufen, ja, gar seine<br />

Existenz zu verleugnen. Wenn es ihn jedoch nicht gäbe, würden wir<br />

doch nicht ständig von ihm sprechen; gerade die Tatsache, dass wir das<br />

tun, zeigt aber deutlich, dass es ihn gibt und dass ein Reststück <strong>der</strong><br />

Verbindung mit ihm auch nach dem Sündenfall in <strong>uns</strong>eren Herzen übrig<br />

geblieben ist.<br />

Ich muss an dieser Stelle noch etwas hinzufügen, das ein gläubiger<br />

Bru<strong>der</strong> mir vor vielen Wochen gesagt hat, als ich selbst noch nicht<br />

gläubig war, und das all diese Diskussionen um die Existenz Gottes<br />

treffend beschreibt: Wenn es keinen Gott gäbe, hätte sich die<br />

Menschheit schon längst selbst vernichtet, aber gerade seine Existenz<br />

hat eine entscheidende Bremswirkung ausgeübt und das<br />

Allerschlimmste verhin<strong>der</strong>t, auch wenn so viele immer wie<strong>der</strong> Anklage<br />

erheben und die Frage stellen, warum er alles Elend in <strong>der</strong> Welt mit all<br />

diesen Kriegen zulässt. Ihr könnt es mir ruhig abnehmen, dass es mit<br />

<strong>uns</strong> allen noch viel schlimmer stehen würde, wenn es ihn nicht gäbe.<br />

All dies <strong>führt</strong> mich dazu, euch noch kurz zu erzählen, was ich durch die<br />

Kontakte mit Gläubigen bald gelernt habe: Auch wenn wir von Natur aus<br />

versuchen, <strong>uns</strong> vor Gott zu verstecken und ihm davonzulaufen, lässt er<br />

in seiner unendlichen Liebe zu <strong>uns</strong> dagegen nichts unversucht, um <strong>uns</strong><br />

zu sich zurückzuholen, weil er will, dass wir alle in sein ewiges<br />

286


Himmelreich kommen; er ist zwar <strong>uns</strong>ichtbar, aber dennoch<br />

allgegenwärtig und mitten unter <strong>uns</strong>, also auch mitten in dieser Kirche.<br />

Für alle von <strong>uns</strong> hat er dafür verschiedene <strong>Weg</strong>e, was sich auch bei mir<br />

gezeigt hat. Er hatte auch für mich einen perfekten Plan; so sorgte er<br />

dafür, dass jedes Mal die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt mit mir<br />

über ihn und seine Heilsbotschaft sprachen, und nicht zuletzt hat er mich<br />

auch zu <strong>der</strong> Frau ge<strong>führt</strong>, mit <strong>der</strong> ich in dieser Stunde in den Stand <strong>der</strong><br />

Ehe trete, um von heute an gemeinsam mit ihr ihm nachzufolgen und<br />

ihm zu dienen, wohin auch immer er <strong>uns</strong> senden will. Es war nach dem<br />

Plan Gottes also alles perfekt vorbereitet; das Einzige, was noch fehlte,<br />

war meine persönliche Entscheidung für ihn, meine Bekehrung zu ihm<br />

und zugleich meine Abkehr vom bisherigen Leben. Genau dazu habe ich<br />

mich überwunden - und ich habe es seitdem an keinem einzigen Tag<br />

bereut.<br />

So kann auch ich euch allen heute sagen, so wahr ich hier stehe: Jesus<br />

Christus ist tatsächlich von den Toten auferstanden und lebt noch heute;<br />

er kann <strong>uns</strong> auch noch heute positiv verän<strong>der</strong>n und <strong>uns</strong> einen wirklichen<br />

Sinn im Leben schenken, so dass wir nicht mehr länger suchen müssen.<br />

Es ist allein seine Gnade, die <strong>uns</strong> rettet, so wie irgendwo im Neuen<br />

Testament geschrieben steht, dass wir das Wasser des Lebens umsonst<br />

bekommen. Gute und fromme Werke - und sei <strong>der</strong> Wille noch so gross -<br />

genügen deshalb nicht, weil die persönliche Schuld vor Gott ohne eine<br />

bewusste Bekehrung ja weiter bestehen bleibt. Deshalb möchte ich alle<br />

unter euch, die ihn noch nicht persönlich kennen gelernt haben, nur dazu<br />

ermuntern: Sucht nach Gott mit aufrichtigem Herzen und nehmt die<br />

Heilsbotschaft von Jesus ernst, bekehrt euch zu ihm und vertraut ihm<br />

euer Leben an! Ihr werdet es ganz bestimmt nie bereuen, weil ihr dann<br />

bis ins Innerste wissen werdet, dass er wirklich lebt und tatsächlich <strong>der</strong><br />

<strong>Weg</strong> und die Wahrheit und das Leben ist, wie er das von sich selbst<br />

gesagt hat, als er auf dieser Erde weilte. - Amen.“<br />

Sobald er fertig ist und langsam vom Podium heruntersteigt, geht ein<br />

unüberhörbares Raunen durch die ganze Kirche, und Hans, <strong>der</strong> sich zu<br />

seiner eigenen Überraschung tapfer gehalten und diesmal keine Tränen<br />

<strong>der</strong> Rührung vergossen hat, erkennt bei einem kurzen Blick über die<br />

ganze Runde zu seiner Freude, dass alle fast wie gelähmt sitzen bleiben<br />

und niemand sich empört erhebt, um hinauszugehen. Nachdem er sich<br />

halb benommen wie<strong>der</strong> hingesetzt hat, fühlt er, wie jemand seine rechte<br />

Hand nimmt, an sich drückt und festhält. Er schaut hinüber und erkennt<br />

Ulrike, die ihn selbst hinter dem Schleier mit einem unübersehbaren<br />

Strahlen anlächelt, wobei ihre Augen feucht sind - dabei müssten es<br />

eigentlich die seinen sein, aber die Seele seiner Frau, die er nach vielen<br />

Wochen des Leidens endlich zum Traualtar führen kann, ist nun einmal<br />

so groß wie sie selbst.<br />

287


Nach diesem Zeugnis, das die meisten unter den anwesenden<br />

Gläubigen, die etwas weniger als die Hälfte <strong>der</strong> Eingeladenen stellen,<br />

schon jetzt für den Höhepunkt dieses Hochzeitstags halten, singt die<br />

Festgemeinde zwei Strophen des Lieds „Du meine Seele singe“, eines<br />

ebenfalls traditionellen Kirchenlieds, und erst dann kommt es zum<br />

Hochzeitsritual selber. Dabei zittern Hans die Knie, während Ulrike vor<br />

lauter Glück nicht mehr verhin<strong>der</strong>n kann, dass ihr ein paar Tränen über<br />

die Wangen rinnen, aber sonst halten sich beide tapfer. Das Ganze wird<br />

nicht nur auf Bil<strong>der</strong>n festgehalten, die zwei angeheuerte Berufsfotografen<br />

schießen, son<strong>der</strong>n auch mit einer Video-Kamera, die ein Angehöriger<br />

<strong>der</strong> Freikirche an <strong>der</strong> Feldeggstraße bedient.<br />

Als das ganze Ritual mit den Ja-Worten, die Segnungen, <strong>der</strong> Austausch<br />

<strong>der</strong> Ringe, das Lüften des Schleiers und <strong>der</strong> obligate Kuss schließlich<br />

vorüber sind, wird am Schluss ein weiteres altes Kirchenlied gesungen,<br />

und zwar „Dies ist <strong>der</strong> Tag, den Gott gemacht.“ Dabei steigert sich <strong>der</strong><br />

Gesang im Verlauf <strong>der</strong> drei Strophen immer mehr in eine solche Inbr<strong>uns</strong>t<br />

hinein, dass nicht nur Hans und Ulrike, son<strong>der</strong>n auch noch viele an<strong>der</strong>e<br />

und keineswegs nur Gläubige fast den Eindruck bekommen, die<br />

himmlischen Chöre würden mitsingen ...<br />

22<br />

Vier Monate sind seit ihrer Hochzeit vergangen. Es ist wie<strong>der</strong> Winter,<br />

aber so wie fast immer um die Zeit des Jahreswechsels hat es in Zürich<br />

nur wenig Schnee. Wie bei so vielen an<strong>der</strong>en Paaren, die sich lieben,<br />

geben die langen Abende und Nächte Hans und Ulrike die wun<strong>der</strong>bare<br />

Gelegenheit, noch mehr Stunden zusammen zu verbringen, anstatt<br />

immer an einen Ausgang zu denken, <strong>der</strong> erst noch eine schöne Stange<br />

Geld kostet.<br />

Selbst ohne diese langen Abende und Nächte hätten die beiden aber<br />

genügend Zeit füreinan<strong>der</strong>. Sie genießen es in vollen Zügen, miteinan<strong>der</strong><br />

verheiratet zu sein, und da Hans Ulrikes innigen W<strong>uns</strong>ch, unberührt in<br />

die Ehe zu gehen, respektiert und alles unternommen hat, um <strong>der</strong><br />

Versuchung nicht zu erliegen, ist ihre Liebe zu ihm noch zusätzlich<br />

vertieft worden. Sie lieben sich <strong>der</strong>art fest und tief, dass sie sich nichts<br />

an<strong>der</strong>es mehr vorstellen können, selbst wenn sie daran denken, dass die<br />

eigentliche Zeit <strong>der</strong> Bewährung genauso wie für alle an<strong>der</strong>en Paare erst<br />

nach vielen Jahren kommen wird.<br />

Wenn das Sprichwort von <strong>der</strong> vollkommenen Liebe, <strong>der</strong> es an nichts<br />

288


fehlt, wirklich auf jemanden zutrifft, dann ganz sicher auch auf Hans und<br />

Ulrike. Sie sind <strong>uns</strong>agbar glücklich miteinan<strong>der</strong>, so dass sie darüber oft<br />

die ganze Umwelt vergessen. Vor allem Ulrike ist bis in alle Fasern<br />

glücklich, denn jetzt darf sie endlich, nach so vielen unendlich lang<br />

scheinenden Jahren des Wartens und Hoffens, ohne Gewissensbisse<br />

wegen ihres Glaubens mit einem Mann zusammenleben, <strong>der</strong> gut zu ihr<br />

passt und sie innig liebt, und mit ihm Tisch und Bett teilen, wie sie sich<br />

das im Innersten immer gewünscht und ersehnt hat. Was für viele<br />

an<strong>der</strong>e Frauen in <strong>der</strong> heutigen Zeit wie eine leere Phrase tönt, empfindet<br />

sie als lebendige Wirklichkeit - <strong>der</strong> gemeinsame Tisch und das<br />

gemeinsame Bett bedeuten ihr als Begriff sehr viel.<br />

Daneben nehmen sich die beiden außerhalb <strong>der</strong> Gottesdienste, die sie<br />

regelmäßig und zusammen besuchen, soweit ihnen das aufgrund von<br />

Ulrikes unregelmäßigen Arbeitszeiten möglich ist, und außerhalb <strong>der</strong><br />

Straßeneinsätze mit dem Verteilen von Flugblättern und dem Führen von<br />

Gesprächen mit interessierten Leuten auch viel Zeit, um gemeinsam in<br />

<strong>der</strong> Bibel zu lesen und zu beten. Erst jetzt wird es Hans so richtig klar,<br />

was Ulrike seinerzeit gemeint hat, als sie von einer Ehe zu dritt sprach -<br />

dass <strong>der</strong> Herr über ihnen steht und sie beschützt, spürt er ja an jedem<br />

Tag neu. Das Interessante an <strong>der</strong> gemeinsamen Bibellektüre ist jedoch,<br />

dass Hans, <strong>der</strong> ja immer noch jung im Glauben ist und im geistlichen<br />

Sinn erst noch heranwächst, sich als Mann vieles von Ulrike, einer Frau,<br />

erklären lassen muss, denn bei den gläubigen Paaren ist es meistens<br />

umgekehrt - sie ist aber auch schon seit fast zwanzig Jahren gläubig.<br />

Auch in dieser Beziehung überwindet ihre Liebe alles: Dank ihr ist es ihm<br />

schon nach wenigen Wochen gelungen, etliches aus <strong>der</strong> Bibel zu<br />

verstehen, die er jetzt, da die strenge Zeit <strong>der</strong> Vorbereitung auf die<br />

Hochzeit vorüber ist, in aller Ruhe systematisch von vorn nach hinten<br />

liest. Dabei hat er es so aufgeteilt, dass er sowohl mit dem Alten als<br />

auch mit dem Neuen Testament gleichzeitig begann, und so hat er bis zu<br />

diesem Zeitpunkt schon sehr viel gelesen.<br />

Im Verlauf dieser Bibellektüre, die er durch weitere erklärende<br />

evangelikale Schriften zusätzlich ergänzt, wird es ihm immer deutlicher<br />

bewusst, wie viel er in seinem bisherigen Leben verpasst hat. Hatte er<br />

früher für dieses Buch nur Verachtung übrig, wenn er überhaupt einmal<br />

daran dachte, so findet er es heute hochinteressant, und er entdeckt<br />

jeden Tag neue Schätze darin, auch wenn er nicht immer alles versteht<br />

und selbst Ulrike ihm nicht immer alles erklären kann. Er weiß sehr wohl,<br />

dass er sich immer noch am Anfang seines Glaubenslebens befindet<br />

und noch vieles lernen muss, doch er ist bereit, weiter auf diesem <strong>Weg</strong><br />

zu wandeln, weiter zu lernen und sich wenn nötig auch belehren zu<br />

289


lassen. Mit Ulrike hat er auch dafür die richtige Lebensgefährtin an<br />

seiner Seite - und mit ihr, die deutlich gezeigt und bewiesen hat, dass sie<br />

über Jahre hinweg für ein bestimmtes Ziel verharren und kämpfen kann,<br />

muss er nichts befürchten; er ist Gott unendlich dankbar dafür, das er<br />

ihm diese Frau zuge<strong>führt</strong> und im wahrsten Sinn des Wortes geschenkt<br />

hat. Manchmal kommt es ihnen beiden fast so vor, als wären sie Adam<br />

und Eva selber im Paradies vor dem Sündenfall, <strong>der</strong>art glücklich sind sie<br />

miteinan<strong>der</strong>, und sie bemühen sich darum, gemeinsam auf dem richtigen<br />

Lebensweg zu schreiten und nicht <strong>der</strong> Versuchung durch eine Frucht zu<br />

erliegen.<br />

Da bei den meisten gläubigen Ehepaaren, die keine Verhütungsmittel<br />

nehmen, schon nach wenigen Monaten <strong>der</strong> Nachwuchs an die Tür klopft<br />

und auch sie damit rechnen müssen o<strong>der</strong> dürfen, dass dies bald auch<br />

bei ihnen geschehen könnte, haben sie vorgesehen, dass Ulrike bis zu<br />

dem Zeitpunkt, da sich Anzeichen einer Schwangerschaft zeigen,<br />

weiterhin voll im Krankenhaus arbeitet. Wenn es dann einmal so weit ist,<br />

kann sie immer noch in reduziertem Umfang arbeiten o<strong>der</strong> sogar ganz<br />

aufhören. Da Krankenschwestern immer gebraucht werden, könnte sie<br />

später ja je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> in den Arbeitsprozess einsteigen, je nachdem,<br />

wie viel sie sich selbst zumuten und auch wie viel Zeit sie dafür<br />

aufwenden kann. So hat Ulrike selber schon solche Frauen gekannt, bei<br />

denen es genau so verlaufen ist; deshalb kann sie auch in diesem<br />

Bereich zuversichtlich sein.<br />

Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht schwanger ist und auch<br />

keine Anzeichen darauf hindeuten, freut sie sich schon jetzt darauf, dass<br />

sie vielleicht bald einmal Mutter sein kann. Es ist schon wun<strong>der</strong>bar<br />

genug, kurz vor <strong>der</strong> Vollendung des dreißigsten Lebensjahres doch noch<br />

einen lieben Mann bekommen zu haben, den sie vor einem Jahr noch<br />

gar nicht gekannt hat, aber auch noch ein Kind o<strong>der</strong> gar mehr als eines<br />

von Hans haben zu können, übersteigt schon fast ihr<br />

Vorstellungsvermögen, <strong>der</strong>art glücklich ist sie seit dem Tag ihrer<br />

Hochzeit. Obwohl es ihr klar ist, dass ein o<strong>der</strong> zwei o<strong>der</strong> gar noch mehr<br />

Kin<strong>der</strong> auch Pflichten mit sich bringen und Tag für Tag auch eine<br />

unendliche Geduld notwendig sein wird, wie Brigitte, ihre immer noch<br />

engste Freundin, ihr das einmal gesagt hat, freut sie sich auf diese neue<br />

Lebensaufgabe. Schließlich ist auch sie eine Frau, in welcher <strong>der</strong> seit<br />

Jahrtausenden erhaltene Urtrieb des Schenkens von Leben auf eine<br />

natürliche und gesunde Weise noch lebendig geblieben ist.<br />

Was Hans betrifft, ist er für alles Neue offen, das noch auf ihn<br />

zukommen wird. Sie sind zwar immer noch dabei, ihre neue Wohnung<br />

290


fertig einzurichten, was in nur vier Monaten sogar mit seinem<br />

Finanzpolster nicht so einfach zu verwirklichen ist; an<strong>der</strong>erseits rechnet<br />

er stets damit, dass diese Wohnung nicht ihre Bleibe sein muss. Wenn<br />

er so weiterfährt, an seinem Arbeitsplatz bei je<strong>der</strong> Gelegenheit mit<br />

Kolleginnen und Kollegen und teilweise sogar mit Vorgesetzten über<br />

seinen Glauben an Gott und an Jesus Christus zu sprechen, ist es sehr<br />

wohl möglich, dass man ihm eines Tages nahelegen wird, entwe<strong>der</strong><br />

fortan zu schweigen o<strong>der</strong> die Kündigung entgegenzunehmen. Ihm ergeht<br />

es jedoch wie den Aposteln <strong>der</strong> Frühzeit und Millionen von Christen in<br />

den vergangenen 2'000 Jahren seither: Er kann nicht an<strong>der</strong>s als<br />

erzählen, was er selbst erfahren hat und täglich neu erlebt - er muss es<br />

einfach noch möglichst vielen Menschen sagen.<br />

Einen ersten Erfolg, <strong>der</strong> ihn riesig freut, hat er bereits erzielt: Aufgrund<br />

des Zeugnisses, das er an seinem Hochzeitstag in <strong>der</strong> Kirche gab,<br />

haben sich zwar nicht sofort, aber im Verlauf <strong>der</strong> nächsten paar Wochen<br />

nicht weniger als vier Menschen ebenfalls zu Jesus Christus bekehrt - je<br />

zwei Frauen und Männer, darunter auch Markus Huggler, <strong>der</strong> ihn damals<br />

ins Krankenhaus fuhr, nachdem er die Zerrung erlitten hatte, und ihm als<br />

einziger Spieler die Hand zum Abschied gab, als er sein letztes<br />

unglückliches Spiel hinter sich gebracht hatte. Alle vier haben ihn von<br />

ihrer Bekehrung in Kenntnis gesetzt und ihm für sein eindrückliches<br />

Zeugnis nachträglich gedankt. Wie Erwin Gisler aber gesagt hat, dass<br />

alles durch Gott gewirkt wird, als er ihm danken wollte, so leitet jetzt<br />

auch er seinen Dank direkt nach oben an den Allmächtigen und<br />

Allwissenden weiter, weil er allzu gut weiß, dass ohne ihn tatsächlich fast<br />

nichts geht. Abgesehen von diesen vier Bekehrungen haben sein<br />

Zeugnis in <strong>der</strong> Kirche, aber auch sein vorbildlich glückliches Leben mit<br />

Ulrike bewirkt, dass auch seine eigenen Eltern und Geschwister sowie<br />

ein Teil <strong>der</strong> Verwandten, zu denen er bisher nie enge Kontakte hatte, für<br />

das Evangelium offener geworden sind. In ihren täglichen Gebeten<br />

hoffen und vertrauen seine Frau und er darauf, dass auch sie bald den<br />

<strong>Weg</strong> zum Erlöser und zum himmlischen Vater finden werden.<br />

Falls das Schlimmstmögliche tatsächlich geschehen sollte und er seinen<br />

Arbeitsplatz verlassen müsste, könnte Hans immer noch damit rechnen,<br />

dass sich auch dann ein <strong>Weg</strong> für Ulrike und ihn und allenfalls ihre<br />

zukünftigen Kin<strong>der</strong> finden lässt. Dank ihrer innigen und tiefen Liebe<br />

füreinan<strong>der</strong> und vor allem dank des Schutzes durch den Allmächtigen<br />

und Allwissenden, um den sie jeden Tag gemeinsam bitten, wissen sie,<br />

dass sie sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen müssen. Wenn er<br />

schon einen perfekten Plan hatte, um sie beide zu einem Paar<br />

zusammenzubringen, hat er sicher noch einen weiteren, um sie zum<br />

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Zeitpunkt, den er für den richtigen hält, an den Ort zu führen, wo er sie<br />

haben will - auf jeden Fall halten sie sich dafür bereit.<br />

Vielleicht <strong>führt</strong> ihr <strong>Weg</strong> einmal irgendwohin in die Mission, was nicht<br />

einmal eine Überraschung wäre. Mit seinem beson<strong>der</strong>en Talent für<br />

Sprachen und den Erfahrungen, die er auf den Banken gesammelt hat,<br />

und auch dank des Berufs, den Ulrike gelernt und ebenfalls schon viele<br />

Jahre lang ausgeübt hat, wird sich für sie bestimmt ein Platz finden, wo<br />

sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nützlich einsetzen können. Was<br />

auch immer noch auf sie zukommen und wohin auch immer <strong>der</strong> <strong>Weg</strong> sie<br />

noch führen wird, sie fürchten sich nicht, denn sie vertrauen auf das<br />

Versprechen des Herrn, dass er immer bei ihnen sein wird, wie es am<br />

Schluss des Matthäus-Evangeliums verheißen ist:<br />

„Mir ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben … Ich bin bei<br />

euch alle Tage bis ans Ende <strong>der</strong> Weltzeit.“<br />

Ende<br />

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