Neurologie-Abteilungsbericht21:22
Neurologie am Universitätsklinikum Heidelberg - Abteilungsbericht 2021/22Und es kommt noch unerwarteter: Nervenzellen stimulieren durch direkte synaptischeKontakte diese bösartigen Netzwerke, und neuronale Aktivität kann Hirntumoregenerieren und im Wachstum antreiben. In enger Kollaboration mit der Arbeitsgruppevon Prof. Thomas Kuner in der Neuroanatomie konnte unsere Gruppe in derNeurologischen Klinik, vor allem der Assistenzarzt Dr. Dr. Varun Venkataramani dieszweifelsfrei nachweisen. Durch die direkte synaptische Stimulation werden Kalzium-Wellen in den Tumorzell-Netzwerken von Glioblastomzellen erzeugt, die das Tumorwachstumund die Infiltration des Tumors in das gesunde Gehirn aktivieren.Diese Erkenntnisse sind zunächst einmal verunsichernd. Doch ist die Überwindungder notorischen Resistenz dieser heute noch unheilbaren Hirntumore mit diesen Erkenntnissenmöglich – und damit eine mögliche Verbesserung der Therapie in derZukunft. In Tiermodellen konnten wir bereits zeigen, daß die „Diskonnektion“, alsodie funktionelle und anatomische Störung und Zerstörung der Tumornetzwerke dieStrahlentherapie viel effektiver macht, und auch verhindert, daß nach operativerEntfernung der Tumor sich schnell wieder selbst repariert. Diese Erkenntnisse habenbereits zu klinischen Studien geführt, in denen genau dieses Prinzip untersuchtwird: zum einen durch Störung der Netzwerk-Kommunikation mit einem Medikament(MecMeth-Studie beim rezidiverten Glioblastom); und durch Störung der synaptischenNervenzell-Tumorzell-Kommunikation mit einem anderen Medikament, einemzugelassenen Mittel gegen Epilepsie, das genau diese Synapsen hemmt.Alle diese Erkenntnisse und neuen Ideen zur besseren Tumortherapie stimulierenein Forschungsfeld, das „Cancer Neuroscience“ heißt und die enge Verflechtung vonNervensystem und Krebserkrankungen zum Inhalt hat. Denn nicht nur für Gehirntumoren,auch für viele andere Tumorerkrankungen außerhalb des Gehirns werdensolche unerwarteten Wechselwirkungen zunehmend erkannt. Und für verbesserteTherapien in der Zukunft genutzt. Innerhalb der Universität Heidelberg wird dieserSchwerpunkt daher ausgebaut. Es bleibt abzuwarten, ob es tatsächlich möglich seinwird, mit diesen Fortschritten in unserem Grundverständnis von Krebserkrankungenzukünftig eine neue Behandlungssäule in der Krebstherapie zu errichten.Literatur: wichtige Veröffentlichungenzum Forschungsfeld,wobei die Erstautor*Innen allesamt Assisten*Innen der Neurologischen Klinik sind oderwaren; die Erstbeschreibung der Tumorzell-Netzwerke findet sich bei Osswald et al.:Venkataramani V, Yang Y, .., Wick W, Kuner T, Winkler F. (2022) Glioblastoma hijacks neuronal mechanismsfor brain invasion. Cell 185(16) 2899-2917.Jung, E., Osswald, M., …, Wick W., Winkler F. (2017). Tweety-Homolog 1 Drives Brain Colonization of Gliomas.J Neurosci 37, 6837-6850.Osswald, M., Jung, E., ….Wick W., Winkler F. (2015). Brain tumour cells interconnect to a functional andresistant network. Nature 528, 93-98.Venkataramani, V., Tanev, D.I., ….., Wick W., Winkler F.*, Kuner T.* (2019). Glutamatergic synaptic input toglioma cells drives brain tumour progression. Nature 573, 532-538.Weil, S., Osswald, M.,…, Wick, W., and Winkler, F. (2017). Tumor microtubes convey resistance to surgicallesions and chemotherapy in gliomas. Neuro Oncol 19, 1316-1326.48
Neurologie am Universitätsklinikum Heidelberg - Abteilungsbericht 2021/22FORSCHUNGS-INITIATIVEUNITE – SFB 1389SFB1389UNITEGLIOBLASTOMASonderforschungsbereich der deutschen Forschungsgemeinschaft: 1389Understanding and targeting resistance in glioblastoma – UNITE GlioblastomAwww.unite-glioblastoma.deMissionUNITE Glioblastoma zielt auf die Entwicklung von Konzepten zur Vorhersage undÜberwachung des Ansprechens und Versagens von Behandlungen beim Glioblastomund schließlich auf die Entwicklung neuer (Kombinations-)Therapien für Glioblastom-Patienten.Übergreifende Ziele• Präzise Definition molekularer und bildgebender Parameter für die Auswahl vonUntergruppen oder einzelnen Patient*Innen für eine bestimmte Behandlung• Entwicklung von Konzepten zur Überwachung von Ansprechen und Versagen der Behandlung• Integration von molekularen, bildgebenden und klinischen Daten zur Erstellungeiner multidimensionalen Karte der Therapieresistenz• Entwicklung neuer (Kombinations-)BehandlungenÜberblickUNDERSTANDING AND TARGETING RESISTANCE in Glioblastoma (UNITE Glioblastoma) isteine einzigartige Forschungsinitiative, die im Rahmen des Programms für Sonderforschungsbereicheder Deutschen Forschungsgemeischaft gefördert wird. Die Initiative49
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Und es kommt noch unerwarteter: Nervenzellen stimulieren durch direkte synaptische
Kontakte diese bösartigen Netzwerke, und neuronale Aktivität kann Hirntumore
generieren und im Wachstum antreiben. In enger Kollaboration mit der Arbeitsgruppe
von Prof. Thomas Kuner in der Neuroanatomie konnte unsere Gruppe in der
Neurologischen Klinik, vor allem der Assistenzarzt Dr. Dr. Varun Venkataramani dies
zweifelsfrei nachweisen. Durch die direkte synaptische Stimulation werden Kalzium-
Wellen in den Tumorzell-Netzwerken von Glioblastomzellen erzeugt, die das Tumorwachstum
und die Infiltration des Tumors in das gesunde Gehirn aktivieren.
Diese Erkenntnisse sind zunächst einmal verunsichernd. Doch ist die Überwindung
der notorischen Resistenz dieser heute noch unheilbaren Hirntumore mit diesen Erkenntnissen
möglich – und damit eine mögliche Verbesserung der Therapie in der
Zukunft. In Tiermodellen konnten wir bereits zeigen, daß die „Diskonnektion“, also
die funktionelle und anatomische Störung und Zerstörung der Tumornetzwerke die
Strahlentherapie viel effektiver macht, und auch verhindert, daß nach operativer
Entfernung der Tumor sich schnell wieder selbst repariert. Diese Erkenntnisse haben
bereits zu klinischen Studien geführt, in denen genau dieses Prinzip untersucht
wird: zum einen durch Störung der Netzwerk-Kommunikation mit einem Medikament
(MecMeth-Studie beim rezidiverten Glioblastom); und durch Störung der synaptischen
Nervenzell-Tumorzell-Kommunikation mit einem anderen Medikament, einem
zugelassenen Mittel gegen Epilepsie, das genau diese Synapsen hemmt.
Alle diese Erkenntnisse und neuen Ideen zur besseren Tumortherapie stimulieren
ein Forschungsfeld, das „Cancer Neuroscience“ heißt und die enge Verflechtung von
Nervensystem und Krebserkrankungen zum Inhalt hat. Denn nicht nur für Gehirntumoren,
auch für viele andere Tumorerkrankungen außerhalb des Gehirns werden
solche unerwarteten Wechselwirkungen zunehmend erkannt. Und für verbesserte
Therapien in der Zukunft genutzt. Innerhalb der Universität Heidelberg wird dieser
Schwerpunkt daher ausgebaut. Es bleibt abzuwarten, ob es tatsächlich möglich sein
wird, mit diesen Fortschritten in unserem Grundverständnis von Krebserkrankungen
zukünftig eine neue Behandlungssäule in der Krebstherapie zu errichten.
Literatur: wichtige Veröffentlichungen
zum Forschungsfeld,
wobei die Erstautor*Innen allesamt Assisten*Innen der Neurologischen Klinik sind oder
waren; die Erstbeschreibung der Tumorzell-Netzwerke findet sich bei Osswald et al.:
Venkataramani V, Yang Y, .., Wick W, Kuner T, Winkler F. (2022) Glioblastoma hijacks neuronal mechanisms
for brain invasion. Cell 185(16) 2899-2917.
Jung, E., Osswald, M., …, Wick W., Winkler F. (2017). Tweety-Homolog 1 Drives Brain Colonization of Gliomas.
J Neurosci 37, 6837-6850.
Osswald, M., Jung, E., ….Wick W., Winkler F. (2015). Brain tumour cells interconnect to a functional and
resistant network. Nature 528, 93-98.
Venkataramani, V., Tanev, D.I., ….., Wick W., Winkler F.*, Kuner T.* (2019). Glutamatergic synaptic input to
glioma cells drives brain tumour progression. Nature 573, 532-538.
Weil, S., Osswald, M.,…, Wick, W., and Winkler, F. (2017). Tumor microtubes convey resistance to surgical
lesions and chemotherapy in gliomas. Neuro Oncol 19, 1316-1326.
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