Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
62 Demenz<br />
Für mehr Menschlichkeit<br />
Demenzbegleitung: Tamara Bitzer weiß, jedes Leben ist lebenswert<br />
E Bei Demenz fehlen den Betroffenen einzelne Puzzelteile aus dem eigenen Leben. <br />
Foto: LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com<br />
<br />
Von Jasmin Lutz<br />
Etwa 1,8 Millionen Deutsche leben<br />
mit der Diagnose „Demenz“. Oftmals<br />
hinterlässt die Krankheit ein<br />
Gefühl der Machtlosigkeit – sowohl<br />
bei den Erkrankten als auch bei den<br />
Angehörigen. Wegen der höheren<br />
Lebenserwartung, bedingt durch den<br />
demografischen Wandel, ist in den<br />
nächsten Jahren mit einem kontinuierlichen<br />
Anstieg an Krankheitsfällen<br />
zu rechnen. Experten schätzen 2,8<br />
Millionen Fälle im Jahr 2050. Ein<br />
Umstand, der vor allem die Kliniken<br />
trifft. „Wir haben durchgehend mindestens<br />
zwei dementiell erkrankte<br />
Personen auf unseren Stationen. Ten-<br />
E Tamara Bitzer<br />
Foto: Angela Liebert<br />
denz steigend“, betont Tamara Bitzer,<br />
Demenzbegleiterin am Klinikum<br />
Kempten. Die Hauptursache für einen<br />
stationären Aufenthalt ist in der Regel<br />
nicht die Demenz. Aber dementielle<br />
Erscheinungen wie Vergesslichkeit,<br />
Aggressivität und Sturheit begleiten<br />
die Betroffenen. Eine Herausforderung<br />
für das Pflegepersonal.<br />
Im Krankenhaus fehlt der Alltag.<br />
Die fremde Umgebung und die<br />
fehlende Bezugsperson fördern die<br />
Angst der Patientinnen und Patienten.<br />
Orientierungslosigkeit und<br />
Gereiztheit sind meist die Folge.<br />
Aufgrund des Pflegenotstandes<br />
kann dieser besonderen Personengruppe<br />
nicht immer die Aufmerksamkeit<br />
geschenkt werden, die sie<br />
verdient hätte. „Viele betroffene<br />
Frauen und Männer wollen einfach<br />
nur laufen – kilometerlang. Eine<br />
Schwester oder ein Pfleger kann<br />
dies nicht stemmen“, erklärt Bitzer.<br />
Demenzbegleitung stellte sich in<br />
der Vergangenheit als gute Alternativlösung<br />
heraus. Sowohl die Angehörigen<br />
als auch das Klinikpersonal<br />
können dadurch zeitweise entlastet<br />
werden. Bei rund zwei Drittel<br />
übernehmen die Angehörigen die<br />
Pflege selbst – dies geht auf eine<br />
Schätzung der Deutschen Alzheimer<br />
Gesellschaft zurück. Als Demenzbegleiterin<br />
lernte Bitzer nicht<br />
nur die Krankheit besser zu verstehen,<br />
sondern auch das Denken und<br />
Fühlen der Betroffenen. Und sie<br />
weiß, das Pflegen von Demenzpatienten<br />
ist ein wahrer Kraftakt.<br />
Mit Herzblut kümmern<br />
Tamara Bitzer zählt bei der Arbeit auf<br />
die Hilfe ihres Teams – bestehend aus<br />
65 ehrenamtlich engagierten Frauen<br />
und Männern. Einige davon haben<br />
sich in der Vergangenheit zu Demenzbegleiterinnen<br />
und -begleitern<br />
ausbilden lassen. Über mehrere Unterrichtseinheiten<br />
verteilt, lernen die<br />
Teilnehmenden die verschiedenen<br />
Demenzformen sowie die typischen<br />
Symptome kennen. Danach ist es<br />
leichter, die Menschen zu verstehen.<br />
Das Gute: Die anfallenden Kosten<br />
für die Demenzbegleitkurse werden<br />
zu einhundert Prozent von der Klinik<br />
übernommen. Zwei Mal im Jahr gibt<br />
Bitzer selbst Fortbildungen - das Wissen<br />
wird vertieft und gefestigt. Voraussetzungen<br />
für ein Ehrenamt sind<br />
nicht von Nöten. Die praktischen Fähigkeiten<br />
erlernt man schnell.<br />
Für die Pflege hat das Ehrenamt<br />
eine große Bedeutung. Begrenzte<br />
Kapazitäten auf den Stationen lassen<br />
keine Rund-um-Betreuung zu.<br />
Die Ehrenamtlichen springen dort<br />
ein, wo im hektischen Klinikalltag<br />
oftmals die Zeit fehlt: Zeitung lesen,<br />
Spazierengehen, reden und zuhören.<br />
„Für mich als examinierte Krankenschwester<br />
ist die Demenzbegleitung<br />
eine Herzensangelegenheit. Ich habe<br />
einen Versorgungsauftrag zu erfüllen<br />
und möchte mich intensiv um<br />
die einzelnen Menschen kümmern“,<br />
betont Bitzer.<br />
Das Café Vergiss-mein-nicht auf dem<br />
dritten Stock des Klinikums Kempten<br />
bietet seit 2014 einen geselligen<br />
Rückzugsort für dementiell erkrankte<br />
Patienten. Die Einrichtung erinnert<br />
an frühere Zeiten: Eine Kuckucksuhr<br />
an der Wand schreit zu jeder vollen<br />
Stunde, ein nostalgischer Plattenspieler<br />
spielt Schlagerhits und Rock<br />
and Roll. Die Gäste des Cafés sind<br />
Menschen, die in ihrer eigenen kleinen<br />
Welt leben und das meist in der<br />
Vergangenheit. Tamara Bitzer weiß,<br />
am wichtigsten ist es, die Leute so<br />
zu nehmen, wie sie sind. Und das<br />
Café Vergiss-mein-nicht vermittelt<br />
ein Gefühl von Daheim. „Hier können<br />
die Patientinnen und Patienten<br />
ihre Geschichte erzählen. Wir hören<br />
ihnen zu – ganz gleich, ob wir diese<br />
schon zum wiederholten Male hören“,<br />
sagt Bitzer. Die Krankheit sucht<br />
man sich nicht aus, aber ein Leben<br />
mit Demenz ist dennoch lebenswert.<br />
Und genau hierauf basiert das Konzept<br />
des Cafés. Der Mensch wird<br />
auch als solcher wahrgenommen.<br />
Die Krankheit spielt keine zentrale<br />
Rolle. Zwischen 12 und 14 Uhr öffnet<br />
das Café von Montag bis Donnerstag<br />
seine Pforten. Dann wird gebastelt,<br />
gesungen, getratscht und gegessen.