4_2023 Leseprobe
Ausgabe 4_2023 des BIOGAS Journals, herausgegeben vom Fachverband Biogas e.V.
Ausgabe 4_2023 des BIOGAS Journals, herausgegeben vom Fachverband Biogas e.V.
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Fachverband Biogas e.V. | ZKZ 50073 | 26. Jahrgang<br />
www.biogas.org<br />
4_<strong>2023</strong><br />
Ab Seite 34<br />
TITELTHEMA<br />
Grüne<br />
Gase<br />
Wasserstoff aus<br />
Biogas 52<br />
Biogas aus<br />
Tomatenresten 84<br />
Mexiko: Biogas<br />
aus Agavenresten 96
INHALT<br />
Biogas Journal | 4_<strong>2023</strong><br />
Grüne Gase<br />
26 34<br />
34 Biomethan<br />
Nur vier neue Biomethan-<br />
Einspeiseanlagen in 2022<br />
Von Dipl.-Ing. agr. (FH)<br />
Martin Bensmann<br />
EDITORIAL<br />
3 Bleiben Sie zuversichtlich!<br />
Von Dr. Claudius da Costa Gomez<br />
Hauptgeschäftsführer des<br />
Fachverbandes Biogas e.V.<br />
26 Deutschlands größte Bioga s -<br />
anlagen-Baustelle<br />
Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />
40 Biogenes CO 2<br />
aus Biogas<br />
Von EUR ING Marie-Luise Schaller<br />
48 Grüner Wasserstoff aus<br />
Biogas – direkt ab Hof<br />
Von EUR ING Marie-Luise Schaller<br />
AKTUELLES<br />
6 Meldungen<br />
8 Bücher<br />
10 Termine<br />
12 Biogas-Kids<br />
14 7. Bayerische Biogasfachtagung<br />
Stroh, Kleegras und Landschaftspflegematerial<br />
vergären plus Humusaufbau<br />
– Biogasanlagen können was!<br />
Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />
22 Abfallvergärungstag Teil 1<br />
„Ein Torfersatzstoff muss schließlich<br />
nicht alles können“<br />
Von Dipl.-Geograph Martin Frey<br />
POLITIK<br />
30 Weht nun ein neuer Wind in Berlin?<br />
Von Jörg Schäfer<br />
PRAXIS<br />
52 Wasserstoff aus Biogas<br />
Methan-Spaltung statt Wasser-<br />
Elektrolyse<br />
Von Christian Dany<br />
58 CO 2<br />
– vom Problem zum Rohstoff:<br />
Vermarktbares Produkt plus<br />
sauberes Abgas<br />
Von Christian Dany<br />
62 Shell investiert in Bio-LNG<br />
Von Dipl.-Geograph Martin Frey<br />
66 Biomethanproduktion mit CO 2<br />
-<br />
Verflüssigung kalkulieren<br />
Von Dipl.-Des. Rainer Casaretto<br />
und Dr. René Casaretto<br />
4
Biogas Journal | 4_<strong>2023</strong><br />
INHALT<br />
TITELFOTO: MARTIN EGBERT I FOTOS: MARTIN BENSMANN, SCHWELM ANLAGENTECHNIK GMBH, CORDENKA GMBH & CO.KG, OLIVER RISTAU<br />
84 96<br />
76 Serie Teil 2<br />
Von der NawaRo- zur Abfallvergärungsanlage<br />
Von Dipl.-Geograph Martin Frey<br />
82 Anlage des Monats Mai<br />
WISSENSCHAFT<br />
84 Celluloseschnur-Einsatz zur Biogaserzeugung<br />
aus der Stängelfraktion im<br />
Tomatenanbau<br />
Von Rudolf Einsiedel, Kirsten Loewe,<br />
Achim Loewen, Felix Pasker, Mirco<br />
Reichbott, Tobias Uihlein und Meike Walz<br />
92 Alkohol direkt aus CO 2<br />
– aber<br />
nicht zum Betrinken<br />
Von Dipl.-Ing. Heinz Wraneschitz<br />
Beilagenhinweis: Das Biogas Journal<br />
enthält Beilagen der Firmen<br />
Onergys und CLEANline.<br />
INTERNATIONAL<br />
Mexiko<br />
96 Biogas aus Agaven: Reste statt Rausch<br />
Von Dipl.-Pol. Oliver Ristau<br />
Spanien<br />
104 Großinvestoren sind heiß auf Biomethan<br />
Von Dipl.-Pol. Oliver Ristau<br />
VERBAND<br />
Aus der Geschäftsstelle<br />
108 Aktionismus rund ums Heizen<br />
Von Dr. Stefan Rauh und<br />
Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk<br />
114 Materialien für Ihre Öffentlichkeitsarbeit<br />
116 Zeit für eine Flexibilitätsstrategie mit<br />
heimischer Bioenergie<br />
Von Dr. Simone Peter, BEE<br />
118 Verabschiedung von Martin Barth als<br />
Regionalgruppensprecher Oberbayern<br />
119 Emily erklärt Biogas<br />
PRODUKTNEWS<br />
120 Produktnews<br />
122 Impressum<br />
5
AKTUELLES BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
7. BAYERISCHE BIOGASFACHTAGUNG<br />
Stroh, Kleegras und Landschaftspflegematerial<br />
vergären plus Humusaufbau –<br />
Biogasanlagen können was!<br />
Ende März fand in Präsenz in Straubing bei C.A.R.M.E.N. und online die Biogasfachtagung<br />
statt. Einen ganzen Tag lang referierten Fachleute über die Nutzung alternativer Inputstoffe<br />
für die Biogasproduktion, deren Vorträge rege diskutiert wurden. Es wurde deutlich, dass<br />
viele verschiedene Gärsubstrate jenseits von Silomais erfolgreich vergoren werden können.<br />
Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />
Thomas Balling<br />
Anlagenbetreiber Thomas Balling von der<br />
Granott Gas GmbH aus Thüringen berichtete<br />
über seine Erfahrungen mit der<br />
sogenannten Turbomaische zur Vorbehandlung<br />
von Stroh und Mist. „In der Europäischen<br />
Union soll die Biogasproduktion bis 2030<br />
verdoppelt werden. Aber nicht auf die Art und Weise<br />
wie es bisher in Deutschland geschieht. Die EU-Politiker<br />
wollen keine Anbaubiomasse in Form von Mais<br />
oder Getreide-Ganzpflanzensilage. Sie präferieren<br />
die Reststoffnutzung. Ja, Stroh und Mist sind energiereich,<br />
aber es ist schwer, die Energie, die darin<br />
enthalten ist, zu nutzen. Stroh und Mist brauchen vor<br />
der Fermentation auf jeden Fall eine Vorbehandlung.<br />
Sonst kommt es zu massiven Störungen im Gärprozess“,<br />
eröffnete Balling seinen Vortrag.<br />
Bevor er zur Turbomaische gekommen ist, hat er<br />
schon technisch einiges ausprobiert, wie zum Beispiel<br />
Querstromzerspaner, Hammermühlen, Schredder,<br />
Natronlauge, Pelletierung und Enzymeinsatz.<br />
Viele Erfahrungen hat er durch eigenes Ausprobieren<br />
gesammelt, zudem hat er sich Wissen aus wissenschaftlichen<br />
Untersuchungen angelesen. Dabei<br />
hat er festgestellt: „Je mehr Arbeit wir reingesteckt<br />
haben, desto mehr Energie ist rausgekommen<br />
und umso schlechter wurde die<br />
Wirtschaftlichkeit.“<br />
Er begründete dies mit folgendem Vergleich: Eine<br />
Tonne Stroh auf dem Feld im eigenen Betrieb koste<br />
zwar nichts, aber die Ernte- und Bergekosten würden<br />
sich auf 30 bis 35 Euro pro Tonne belaufen. Die<br />
Strohaufbereitung an der Biogasanlage schlage mit<br />
weiteren 5 Euro pro Tonne zu Buche. Eine Tonne<br />
Stroh ersetze 1,5 Tonnen Maissilage. „Je mehr wir<br />
daran machen, umso höher ist der Gasertrag. Aber<br />
wir kommen auf maximal 2 bis 2,5 Tonnen Mais, den<br />
wir ersetzen können, unter optimalen Bedingungen.<br />
Wenn wir aber pelletieren, dann steigen die Kosten<br />
auf 100 bis 120 Euro pro Tonne an. Nehmen wir den<br />
aktuellen Maispreis von 40 Euro pro Tonne mal 2,5,<br />
dann ist der Mais preiswerter“, rechnete Balling.<br />
In der Turbomaische könne Weizenstroh und Mist sehr<br />
gut vorbehandelt werden. Hähnchenmist sei möglich,<br />
aber nicht unbedingt vernünftig. Landschaftspflegematerial<br />
lasse sich auch gut einsetzen. Er hat auch<br />
schon Maischen angesetzt bestehend aus Silomais<br />
und Getreide-Ganzpflanzensilage. Er ist aber eher<br />
dafür, schwer vergärbare Substrate einzusetzen, weil<br />
die Effekte da höher sind.<br />
Hochbehälter mit Zentralrührwerk<br />
Seine Turbomaische sei im Grunde die erste professionell<br />
entwickelte ihrer Art. Der runde Behälter hat<br />
einen Durchmesser von 6 Metern und eine Höhe von<br />
7 Metern. Der Behälter verfügt über ein oben mittig<br />
aufgehängtes Zentralrührwerk. Neben dem Behälter<br />
befindet sich ein Technik-Container mit der Steuerung.<br />
Das in die Turbomaische eingebrachte Material<br />
neigt zum Aufschwimmen. Das Zentralrührwerk sorgt<br />
dafür, dass das Substrat nach unten gedrückt wird.<br />
Unten im Behälter sind sogenannte Belüfterkerzen<br />
angeordnet, über die Luft intervallmäßig immer<br />
wieder feinporig verteilt wird. Die Luft durchströmt<br />
den gesamten Behälter von unten nach oben und<br />
durchmischt dabei das Substrat. Es werden immer<br />
5 Kubikmeter (m³) Substrat eingebracht und wie-<br />
SCREENSHOTS: MARTIN BENSMANN<br />
14
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
AKTUELLES<br />
Anlagenbau<br />
der entnommen. Das Ganze geschieht<br />
24 Mal am Tag. Balling hat sich nur auf<br />
die Turbomaische eingelassen, weil er in<br />
ein Forschungsprojekt der Fachagentur<br />
Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) gekommen<br />
ist, das Prof. Dr. Frank Scholwin<br />
begleitet hat.<br />
„Wir haben in 2018 eine neue Biogasanlage<br />
gebaut, in der wir nur Mist und Stroh<br />
einsetzen können. Die Gärbehälter sind<br />
zwei nebeneinanderliegende Pfropfenstromfermenter.<br />
Die Idee war dann, den<br />
einen Fermenter mit Substrat aus der<br />
Turbomaische zu füttern und den anderen<br />
eben nicht. Die Inputstoffe waren aber<br />
gleich. Unser Glück für den Versuch war,<br />
dass die Turbomaische erst ein Vierteljahr<br />
später als die Fermenter fertig geworden<br />
ist. Die Fermenter waren schon in Betrieb<br />
und als wir den zweiten Pfropfenströmer<br />
mit Material aus der Turbomaische gefüttert<br />
haben, stellten wir fest, dass mehr<br />
Gas kommt“, berichtete Balling.<br />
Der Turbomaische-Fermenter habe mehr<br />
Gas produziert. Schon am zweiten Tag<br />
nach dem Turbomaischeeinsatz habe er<br />
die Fütterung aufgrund der höheren Gasproduktion<br />
zurücknehmen müssen. Über<br />
den gesamten Versuch sei festgestellt<br />
worden, dass das behandelte Material<br />
deutlich mehr Gas liefert.<br />
Aus Problemen gelernt<br />
Balling hat beim Betrieb der Turbomaische<br />
viele Erfahrungen gesammelt, wie<br />
zum Beispiel folgende: Als Feststoffeintrag<br />
für die Turbomaische ist ein Gerät<br />
von BioG aus Österreich installiert worden.<br />
Unter dem Austrag des Feststoffdosierers<br />
befindet sich ein Querstromzerspaner<br />
und darunter ein Übergang<br />
in die Pumpe (Biomix von Wangen). Am<br />
Anfang gab es häufig das Problem, dass<br />
nicht genug Material von oben aus dem<br />
Querstromzerspaner unten in die Pumpe<br />
gelangt ist. So konnte der Zielwert von 13<br />
bis 14 Prozent Trockensubstanzgehalt in<br />
der Turbomaische nicht erreicht werden.<br />
Auch das Abpumpen aus der Turbomaische<br />
habe Probleme bereitet. Normalerweise<br />
wird nur ein Absaugrohr 30 Zentimeter<br />
über dem Behälterboden an einer<br />
Stelle verbaut. Die Gefahr hier bestehe<br />
darin, dass Stroh und Mist, die zum Aufschwimmen<br />
neigen, im Behälter verbleiben<br />
und überwiegend flüssiges Substrat<br />
abgezogen wird. Irgendwann werde das<br />
Material in der Turbomaische so dick,<br />
dass gar nicht mehr abgepumpt werden<br />
kann. Besser sei es, wenn auf halber Behälterhöhe<br />
ein weiteres Absaugrohr eingebaut<br />
werde, um auch dickeres Substrat<br />
abpumpen zu können.<br />
Weitere Probleme kann aufschäumendes<br />
Substrat bereiten. Und das kam so:<br />
Normalerweise werden vor dem Anfahren<br />
der Turbomaische Substratproben des<br />
Gärmaterials genommen und zur Entwicklerin<br />
der Turbomaische, Dr. Petra<br />
Rabe, geschickt. Die setzt darauf einen<br />
Impfschlamm an. Dieser wird zur Anlage<br />
gebracht und mit dem Gärsubstrat in die<br />
Turbomaische gefördert. Das Anfahren<br />
musste aber unterbrochen werden und<br />
weil Balling nicht nochmal 3.000 Euro<br />
für den Impfschlamm bezahlen wollte,<br />
hat er sich Material aus einer anderen<br />
Turbomaische-Anlage geholt. Die wurde<br />
aber überwiegend mit Silomais-Maische<br />
betrieben.<br />
Folge: Ballings Substrat in der Turbomaische<br />
fing an zu schäumen. So musste der<br />
Behälter entleert und gesäubert und mit<br />
neuem Impfschlamm von Frau Dr. Rabe<br />
angefahren werden. „Seitdem haben wir<br />
überhaupt keine Probleme mehr mit dem<br />
Betrieb der Turbomaische. Seitdem läuft<br />
sie im Regelbetrieb“, informierte der Anlagenbetreiber.<br />
Turbomaische: Substrat-<br />
Temperatur und Fermenter-<br />
Temperatur bedenken<br />
Auch auf das Thema Temperatur muss<br />
ein Augenmerk gelegt werden. Am Anfang<br />
hatte Balling eine Heizung im Turbomaische-Behälter<br />
verbaut, weil der mit<br />
32 bis 38 Grad Celsius betrieben werden<br />
soll. Bei ihm läuft aber sozusagen im Hintergrund<br />
in den Fermentern und im Nachgärer<br />
ein thermophiler Prozess mit 50 bis<br />
52 Grad Celsius. Neben Stroh und Mist<br />
wird die Turbomaische mit Fugat als Rezirkulat<br />
befüllt, das bei der Separierung<br />
von Feststoffen aus dem Gärproduktlager,<br />
in dem noch eine Temperatur von 45 Grad<br />
Celsius herrscht, anfällt. Das Fugat muss<br />
also um einige Grad abkühlen. „Wenn<br />
man sich eine Turbomaische anschafft,<br />
dann sollten Anlagenbetreiber sich vorher<br />
darüber Gedanken machen, welche<br />
Substrattemperaturen vorherrschen. Auf<br />
mesophil betriebenen Anlagen dürfte<br />
das Problem geringer sein. Auch<br />
15<br />
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AKTUELLES BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
muss die Turbomaische nicht mit einer Flüssigfütterung<br />
beschickt werden. Stroh und Mist lassen<br />
sich gut im Feststoffdosierer vorbereiten und über<br />
ein geschlossenes Förderband, das außen<br />
am Behälter vorbeiführt, oben in den<br />
Turbomaischebehälter einbringen.<br />
Das Zentralrührwerk mischt das<br />
Substrat dann unter. Wenn wir<br />
30 bis 50 Kubikmeter Fugat<br />
mit 10 Tonnen Stroh beziehungsweise<br />
Mist in die Turbomaische<br />
füttern, dann ist<br />
alles im grünen Bereich“,<br />
erklärte Balling.<br />
Die Turbomaische sei hochinteressant, wenn sie wirtschaftlich<br />
ist. Davon ist er überzeugt. Wenn alle Parameter<br />
passen würden, könnten rund 40 Prozent mehr<br />
Gas aus der gleichen Menge Substrat erzeugt werden.<br />
Die Turbomaische sei mittlerweile absolut praxisreif<br />
und eine überlegenswerte Option.<br />
„Im Ökolandbau ist<br />
Kleegras ein ganz fester<br />
Bestandteil. Das ist quasi<br />
unsere Stickstofffabrik“<br />
Eberhard Räder<br />
Über den Einsatz von Kleegras und Mist in seiner Biogasanlage<br />
berichtete Eberhard Räder, der seit 2009<br />
auf seinem Biobetrieb eine Anlage betreibt. „Im Ökolandbau<br />
ist Kleegras ein ganz fester Bestandteil.<br />
Das ist quasi unsere Stickstofffabrik“,<br />
eröffnete er seinen Vortrag. Vor<br />
gut 40 Jahren sei der Kleegrasanbau<br />
auf den Betrieben eine<br />
Selbstverständlichkeit gewesen.<br />
Schafe und Kühe hätten<br />
die Aufwüchse gefressen.<br />
Heutzutage hätten sich auch<br />
Biobauern spezialisiert. Sie<br />
seien zum Teil viehlos oder<br />
hätten nur Schweine oder Geflügel.<br />
So stelle sich die Frage:<br />
Was mit dem Kleegras machen,<br />
wenn man keine Tiere mehr hält?<br />
Eine Möglichkeit sei mulchen, was aber<br />
suboptimal sei, denn dabei entstünden<br />
Lachgasemissionen und auch die<br />
Stickstoff-Fixierleistung sei nicht gut.<br />
Denn die Knöllchenbakterien arbeiteten<br />
in Symbiose mit den Pflanzen und das<br />
funktioniere besser bei den Leguminosen,<br />
wenn Stickstoff knapp ist. Insofern<br />
sei das Abfahren des Kleegrases besser.<br />
Die Erkenntnis, dass Kleegras vergoren<br />
werden kann, die existiere schon seit rund<br />
20 Jahren. Räder war bei den Überlegungen zum Bau<br />
einer Biogasanlage wichtig, dass die Anlage den Landwirtschaftsbetrieb<br />
eigentlich nicht verändern soll. Positiver<br />
Effekt der Biogasanlage: „Seit wir die Anlage<br />
auf unserem Betrieb haben, ernten wir im Grunde<br />
mehr als vorher“, freut sich Räder. Er bekommt auch<br />
16
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
AKTUELLES<br />
Kleegras von anderen Betrieben in seiner Region. Die<br />
bekommen dafür Gärdünger zurück. „Mit einem solchen<br />
System schaffen wir ein ideales Nährstoffmanagement<br />
auf den Betrieben“, ergänzte der Praktiker.<br />
Wenn Betriebe nur auf die Nährstofflieferung aus<br />
dem Kleegras und gedüngtem Mist angewiesen seien,<br />
dann stünden die Nährstoffe irgendwann zur Verfügung,<br />
aber nicht dann, wenn sie gebraucht würden.<br />
„Habe ich aber Gärprodukte zum Düngen im Frühjahr<br />
zum Vegetationsstart, bringen wir die Nährstoffe gezielter<br />
an die Pflanzen“, erklärte Räder.<br />
70 Prozent Wärmenutzung<br />
Er bewirtschaftet 240 Hektar landwirtschaftliche<br />
Nutzfläche mit 200 Hektar Ackerland und 40 Hektar<br />
Grünland. Die Tierhaltung umfasst 600 Schweinemastplätze.<br />
Er beschäftigt drei Vollzeitarbeitskräfte<br />
und einen Auszubildenden. Die Biogasanlage hatte<br />
ursprünglich 250 Kilowatt elektrische Leistung.<br />
2017 wurde die Anlage flexibilisiert. Dazu hat Räder<br />
ein weiteres 250-kW-Blockheizkraftwerk in Betrieb<br />
genommen. 2,15 Millionen Kilowattstunden Strom<br />
produziert der Biobetrieb pro Jahr. Ein angeschlossenes<br />
Nahwärmenetz verwertet etwa 70 Prozent der erzeugten<br />
Wärme; pro Jahr sind das rund 2,3 Millionen<br />
Kilowattstunden.<br />
Der Fermenter ist komplett im Erdreich eingebaut.<br />
Er verfügt über eine befahrbare Betondecke. Diese<br />
Bauart sorgt laut Räder für wenig Wärmeverluste im<br />
Winter. Durchmischt wird der Gärbehälter mit einem<br />
mittig angeordneten, oben befestigten Zentralrührwerk.<br />
Der Substratmix der Biogasanlage besteht<br />
zu 52 Prozent aus Kleegras (ca. 3.000 Tonnen pro<br />
Jahr), 40 Prozent Mist und etwas Silomais. Das Gärsubstrat<br />
hat eine Verweilzeit von 200 Tagen. Das<br />
ausgegorene Material wird separiert. Der abgetrennte<br />
Feststoffanteil wird zusammen mit Holzhackschnitzeln<br />
kompostiert (MC-Kompost, Verfahren<br />
nach Witte). Die flüssige Phase, die die Separation<br />
verlässt, dient zur Düngung der Pflanzen in der Vegetation.<br />
Sie enthält 8,5 Prozent Gesamtstickstoff,<br />
5 Prozent Ammonium-Stickstoff, 8,5 Prozent Kali<br />
und 2,5 Prozent P2O5. Der Trockensubstanzgehalt<br />
liegt bei 10 bis 11 Prozent.<br />
Mist wird frisch vergoren<br />
In drei Fahrsilokammern, die zusammen 5.000 Kubikmeter<br />
Volumen haben, wird das Kleegras eingelagert.<br />
Sind alle Kammern komplett gefüllt, reicht die<br />
Menge für 18 Monate Anlagenbetrieb. Den Silomais<br />
setzt Räder nur ein, weil er damit den Stickstoffgehalt<br />
im Gärsubstrat senken will. Der Stallmist fällt<br />
in seinem eigenen Betrieb in der Schweinehaltung<br />
an. Einmal pro Woche wird der Schweinestall ausgemistet.<br />
Der Mist wird dann über sieben Tage frisch<br />
in den Fermenter eingebracht. Außerdem bekommt<br />
er von einem anderen Betrieb Mist aus einer Rinderhaltung.<br />
Je nach Witterungsverlauf kann Räder beim Kleegras<br />
ein bis drei Schnitte pro Jahr ernten. Dazu<br />
mäht er die Flächen mit einem eigenen sogenannten<br />
Butterfly-Mähwerk mit elf Metern Arbeitsbreite.<br />
Da im Frühjahr beim ersten Schnitt gut 200 Hektar<br />
gemäht werden müssen, ist laut Räder Schlagkraft<br />
wichtig. Die Anwelkzeit im Mähschwad hängt von<br />
der Witterung ab. Das gemähte Kleegras wird mit<br />
einem Vier-Kreiselschwader zusammengeschwadet.<br />
Das Häckseln des Kleegrases übernimmt ein<br />
Lohnunternehmer. Das Erntegut hat beim Häckseln<br />
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AKTUELLES BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
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und verdichtet.<br />
Hackschnitzel und Feststoffe<br />
werden kompostiert<br />
Die flüssige Phase des ausgegorenen<br />
Fermentationsendproduktes – also des<br />
Gärdüngers – bringt Räder mit einem 18<br />
Kubikmeter fassenden Tankwagen aus,<br />
der über ein 15 Meter breites Schleppschuhgestänge<br />
verfügt. Die installierte<br />
Mengen automatik erleichtert die Ausbringung.<br />
Die Kompostbereitung mit<br />
dem separierten Feststoff läuft folgendermaßen<br />
ab: Hackschnitzel (möglichst<br />
frisch) werden mit dem Feststoff auf<br />
einen Miststreuer geladen. Beim Entleeren<br />
des Miststreuers wird das Material<br />
durch die Streuwalzen vermischt<br />
und es entsteht die Kompostmiete. Die<br />
Mischung besteht zu 60 Prozent aus<br />
Feststoff und zu 40 Prozent aus Hackschnitzeln.<br />
Die vermischte Biomassemiete wird von<br />
allen Seiten etwas festgedrückt. Das<br />
Material wird nicht gewendet und auch<br />
nicht abgedeckt. Räder betont, dass die<br />
Temperatur in der Miete 55 Grad Celsius<br />
nicht überschreiten sollte. Nach seinen<br />
Angaben hat dieses Kompostierungsverfahren<br />
wenig Energieverluste, der<br />
Haufen dampft nicht und es entstehen<br />
keine Geruchsemissionen. Nach acht<br />
bis zehn Wochen ist der Kompost fertig.<br />
Das C:N-Verhältnis des Kompostes<br />
beträgt 30:1. Er enthält 5 Kilogramm<br />
organisch gebundenen Stickstoff pro<br />
Tonne Material, aber nur 0,6 Kilogramm<br />
Ammonium-Stickstoff pro Tonne.<br />
Kompost auf Kleegrasflächen<br />
Den Kompost streut Räder vor allem auf<br />
die Kleegrasflächen mit einer Menge von<br />
10 Tonnen pro Hektar. Er erhofft sich<br />
aufgrund der Kompostdüngung eine signifikante<br />
Erhöhung des Humusgehaltes<br />
in seinen Böden; zumal er auch pfluglosen<br />
Ackerbau praktiziert. Im Kleegrasanbau<br />
sieht der Landwirt auch Vorteile<br />
hinsichtlich Wind- und Wassererosion<br />
des Bodens, die so unterbunden werden.<br />
Weitere Details seines Ackerbausystems<br />
sehen wie folgt aus: Prinzipiell sät Räder<br />
vor der Hauptfruchtaussaat im Frühjahr<br />
immer im vorherigen Herbst eine Zwischenfrucht<br />
aus. Teilweise hat er auch<br />
18<br />
Untersaaten in den Hauptkulturen.<br />
Grundsätzlich arbeitet er keine großen<br />
Pflanzenmassen in den Boden ein, „weil<br />
sonst nachteilig wirkende Fäulnisprozesse<br />
entstehen“, macht Räder aufmerksam.<br />
Die Stoppelbearbeitung sowie<br />
die Beseitigung der Zwischenfrüchte im<br />
Frühjahr wird mit einer speziellen Fräse,<br />
die drei bis fünf Zentimeter flach arbeitet,<br />
erledigt. Dabei dürfen die Bodenbedingungen<br />
nicht zu feucht sein.<br />
Vor der Herbstaussaat werden die<br />
Ackerflächen 15 bis 25 Zentimeter<br />
tief gegrubbert und danach angewalzt.<br />
„Biogasanlagen können die ökologische<br />
Landwirtschaft ideal ergänzen. Wir können<br />
auf der einen Seite Energie produzieren<br />
und auf der anderen Seite von<br />
steigenden Erträgen der Ackerfrüchte<br />
profitieren“, so Räders Fazit.<br />
Humusaufbau mit Biogas als<br />
Chance für die Landwirtschaft<br />
Albert Fiehl, ebenfalls Betreiber einer<br />
Biogasanlage in Berngau in der Oberpfalz<br />
in Bayern, hielt einen Vortrag zum<br />
Thema „Humusaufbau mit Biogas“. Er<br />
sieht in dem Thema eine riesige Chance<br />
für die künftige Landwirtschaft. Er bewirtschaftet<br />
einen Hof mit 160 Hektar<br />
landwirtschaftlicher Nutzfläche, wovon<br />
60 Hektar Grünland sind. Die Biogasanlage<br />
ist seit 2005 in Betrieb mit 460 Kilowatt<br />
elektrischer Leistung. Seit 2006<br />
versorgt er bereits zehn Gebäude mit<br />
Nahwärme.<br />
2015 hat Fiehl begonnen, seine Felder<br />
nach den Prinzipien der sogenannten<br />
Regenerativen Landwirtschaft (siehe<br />
Biogas Journal 5_2021, Seite 40 ff.)<br />
zu bewirtschaften. In 2018 hat er dann<br />
einen konsequenten Schritt gewagt und<br />
pflügt seine Ackerflächen seitdem gar<br />
nicht mehr. Im Rahmen seines Bewirtschaftungskonzeptes<br />
kompostiert er seinen<br />
Wirtschaftsdünger, fermentiert Mikroorganismen<br />
und setzt Komposttee ein.<br />
„Das flüssige Gärprodukt fermentieren<br />
wir im Gärproduktlager mit sogenannten<br />
effektiven Mikroorganismen (EM)<br />
und Pflanzenkohle. Der pH-Wert im Gärproduktlager<br />
sinkt, wodurch Ammoniak<br />
gebunden wird. Im Fermenter darf man<br />
diese nicht einsetzen, da sonst der Gärprozess<br />
gestört wird“, betonte Fiehl, der<br />
auch Mitglied in der Interessengemeinschaft<br />
gesunder Boden ist.
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
AKTUELLES<br />
Kompostierung nach Hildebrandt<br />
Den Gärdünger separiert Fiehl. Den abgetrennten<br />
Feststoff kompostiert er mit Grüngut, Urgesteinsmehl,<br />
Rinder- und Pferdemist sowie Pflanzenkohle.<br />
Die EM vermehrt er selbst weiter.<br />
Die Pflanzenkohle wird aus Holz hergestellt.<br />
Sie wird zugekauft und in Bigbags<br />
geliefert. Die Kompostierung macht Fiehl<br />
nach dem Verfahren von Urs Hildebrandt<br />
aus Österreich. Wenn der Kompost richtig<br />
funktioniere, dann rieche er erdig, nach<br />
Pilzen oder auch nach Karotten. Fäulnisprozesse<br />
im Boden sind seinen Angaben<br />
nach unerwünscht. „Darum machen wir<br />
nach dem anaeroben Biogasprozess<br />
aerobe Verfahrensschritte mit den<br />
Gärprodukten“, erklärt Fiehl.<br />
Wenn die Kompostmiete aufgesetzt<br />
ist, muss zu Beginn<br />
des Umsetzungsprozesses<br />
die Miete täglich gewendet<br />
werden. Bei Bedarf ist<br />
die Miete zu wässern. Die<br />
Temperaturentwicklung in<br />
der Miete ist zu kontrollieren<br />
und darf 65 Grad Celsius<br />
nicht überschreiten. Auch der<br />
Sauerstoffgehalt wird gemessen.<br />
Nach etwa sechs Wochen sollte der<br />
Kompost fertig sein.<br />
Zum Kompostierungsverfahren nach Witte, über das<br />
Räder schon gesprochen hatte, ergänzte Fiehl: „Es<br />
richtet sich ein Milieu ein, in dem Lignin abgebaut<br />
wird.“ Er rät, die Kompostierung mindestens zwei Monate<br />
laufen zu lassen. Grundsätzlich gelte: je länger,<br />
desto besser. Diese Art der Kompostierung betreibt er<br />
in einem Fahrsilo. Was an Flüssigkeit aus der Miete<br />
austrete, seien Huminstoffe. Das sei Zuckerwasser,<br />
das sei pure Energie. Das sei das Öl der Landwirte in<br />
der Zukunft. Es bilde die Krümel im Boden, sei der<br />
Kleber dafür. Zu seinen grundsätzlichen Ackerbaupraktiken<br />
zählt:<br />
1. Bodenuntersuchung nach Albrecht/Kinsey.<br />
2. Bodenuntergrund lockern, damit Sauerstoff<br />
in den Boden kommt und Verdichtungen<br />
beseitigt werden.<br />
3. Boden stabilisieren mit Wurzeln, ganzjährige<br />
Bedeckung anstreben mit Zwischenfrüchten<br />
und Untersaaten.<br />
4. Flächenrotte mit flach arbeitender Fräse<br />
oder einem Grubber plus EM.<br />
5. Vitalisierende Maßnahmen für die Pflanzen<br />
mit Komposttee.<br />
6. Kalzium-Magnesium-Verhältnis sollte 68:12<br />
betragen. Bei Kaliüberschuss mit Magnesium<br />
„Wir haben nachgewiesen,<br />
dass 100 Liter Wasser<br />
pro Quadratmeter<br />
in zwei Minuten versickern“<br />
Albert Fiehl<br />
plus Schwefel (Kieserit) gegensteuern. Diesen<br />
Dünger kann er über einen Beipass am Gülletankwagen<br />
dazugeben.<br />
„Die Wurzeln von heute sind<br />
der Humus von morgen. Alles,<br />
was die Wurzeln stabilisieren<br />
und lockern, enthält organische<br />
Substanz“, verdeutlichte<br />
Fiehl. Er berichtete von Bodenanalysen,<br />
die er 2019 auf bestimmten<br />
Flächen gemacht hat. In<br />
2022 wurden an denselben Stellen<br />
neue Proben gezogen. Ergebnis: Fiehl<br />
konnte den Humusgehalt in nur drei Jahren<br />
von 3,5 auf 4,3 Prozent erhöhen. Das heißt, er hat<br />
pro Jahr 10 Tonnen CO 2<br />
pro Hektar gebunden.<br />
So wird aber nicht nur mehr Kohlenstoff im Boden<br />
gebunden, sondern auch mehr Wasser. Mit nur einem<br />
Prozentpunkt mehr an Humus im Boden erhöht<br />
sich die Wasserspeicherkapazität pro Hektar<br />
um 400.000 Liter. Somit speichert Fiehl nun pro<br />
Hektar insgesamt 1,6 Millionen Liter Wasser. In einem<br />
Versuch hat er getestet, wie schnell Wasser im<br />
Boden versickert. „Wir haben nachgewiesen, dass<br />
100 Liter Wasser pro Quadratmeter in zwei Minuten<br />
versickern“, informierte Fiehl. An das Wasser kämen<br />
auch die Pflanzenwurzeln ran.<br />
Im Jahr 2022 hat er bei sich auf dem Betrieb – in einem<br />
Jahr, das in seiner Region sehr trocken war – 30<br />
bis 35 Prozent mehr Ertrag gehabt, als die anderen<br />
Landwirte im Durchschnitt geerntet haben. Außerdem<br />
hat er auf seinen Flächen mit Phosphormangel<br />
beobachtet, dass nach drei Jahren plötzlich die Phosphorversorgung<br />
hoch war. Dafür seien die Bodenmikroorganismen<br />
verantwortlich, die den Phosphor zur<br />
Verfügung gestellt hätten.<br />
Nach Wickroggen für die Biogasanlage sät er eine<br />
Zwischenfrucht zur Bodenverbesserung aus. Im Winter,<br />
wenn es gefroren hat, dann walzt er die Zwischenfrucht<br />
nieder. Sie wird nicht eingepflügt. Das Bodenleben<br />
baue das gewalzte Pflanzenmaterial ab.<br />
19
AKTUELLES BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
Der Anteil von eingesetztem Mineraldünger nehme<br />
von Jahr zu Jahr ab. Mit der Flächenrotte und mit<br />
Mulchschichten hält er seine Felder unkrautfrei.<br />
Über 50 Prozent Landschaftspflegegras<br />
im Substratmix<br />
Über die energetische Verwertung von Landschaftspflegematerial<br />
berichtete Christian<br />
Freydank von der Erste UPEG Wind GmbH,<br />
die im brandenburgischen Nennhausen<br />
eine Biogasanlage betreibt. Die Anlage<br />
besteht unter anderem aus sechs<br />
Christian Freydank Gärbehältern. Einer davon hat einen<br />
Durchmesser von 26 Metern, die anderen fünf<br />
haben einen Durchmesser von 23 Metern. Ein<br />
Erdbecken dient zur Lagerung des Gärdüngers.<br />
Die Biogasanlage wurde 2005 gebaut, damals bestehend<br />
aus zwei Fermentern und einem Gärproduktlager.<br />
2007 wurden ein Fermenter und ein weiteres<br />
Gärproduktlager hinzugebaut. Im Jahr 2020<br />
wurde ein drittes Gärproduktlager errichtet. „Rechtlich<br />
handelt es sich um drei Biogasanlagen mit je<br />
550 Kilowatt Höchstbemessungsleistung. Derzeit<br />
betreiben wir vier der Behälter als Fermenter und<br />
zwei als Gärproduktlager. Im Durchschnitt kann die<br />
Anlage 1.900 bis 2.000 Kilowatt leisten“, informierte<br />
Freydank.<br />
Das Gasspeichervolumen der Anlage umfasst 10.440<br />
Kubikmeter, das Gärvolumen beträgt 16.000 Kubikmeter.<br />
Das Erdbecken hat ein Fassungsvermögen von<br />
7.800 Kubikmetern. Zur technischen Ausstattung<br />
gehört unter anderem ein Havelberger Feststoffdosierer<br />
mit 75 Kubikmetern Volumen. Dessen Austrag<br />
ist mit einer Pumpe verbunden, in der<br />
die Biomasse mit Flüssigkeit vermischt<br />
wird, sodass die Anlage flüssig gefüttert<br />
werden kann. Zusätzlich sind an den Fermenterlinien<br />
zwei und drei jeweils Feststoffdosierer<br />
verbaut.<br />
Aufwüchse von NATURA- und<br />
KULAP-Flächen<br />
An Rührwerken sind insgesamt zwölf<br />
Flygt-Tauchmotorrührwerke, fünf Bio-<br />
Bull-Rührwerke sowie zwei Biosubstrator<br />
in den Gärbehältern installiert. Die Verweilzeit<br />
des Gärsubstrats in der Anlage<br />
beträgt rund 90 Tage. „Das Inputmaterial,<br />
also die Grassilage, kaufen wir von 10 bis 13 Landwirten.<br />
Die Silage wird auf den Betrieben eingelagert<br />
und nach und nach bei uns angeliefert. Die Aufwüchse<br />
stammen von sogenannten NATURA-Flächen beziehungsweise<br />
von solchen, die im KULAP-Programm<br />
sind. Die durchschnittliche Flächenentfernung liegt<br />
bei 15 Kilometern“, berichtete Freydank.<br />
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BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
AKTUELLES<br />
Das Gras wird auf vier Millimeter kurz gehäckselt.<br />
Pro Jahr verarbeitet die Biogasanlage 40.000 Tonnen<br />
Silage. Es handelt sich um 52 Prozent Gras-<br />
(Lapf)-Silage und 48 Prozent Silomais. Die Grassilage<br />
hat schwankende Trockensubstanzgehalte<br />
zwischen 32 und 45 Prozent. Die angelieferte Maissilage<br />
hat Trockensubstanzgehalte zwischen 24 und<br />
49 Prozent.<br />
Pro Jahr nutzt die Biogasanlage rund 9 Millionen<br />
Kilowattstunden Wärme. Damit werden ein Dorsett-Gärprodukttrockner,<br />
eine Trockenkammer für<br />
Holz, ein Wärmenetz mit Sozialgebäude sowie die<br />
Verpackungshalle für das Holz erwärmt. Laut Freydank<br />
sind die Gärprodukte geeignet, um sie auf<br />
Öko-Landschaftspflegeflächen auszubringen. Zwei<br />
Separatoren im Betrieb erzeugen Feststoff mit Trockensubstanzgehalten<br />
von 25 bis 30 Prozent. Zehn<br />
Landwirte im Umkreis von 30 Kilometern nehmen<br />
die Feststoffe ab.<br />
Über den Winter wird auch das Erdbecken gefüllt. Der<br />
flüssige Dung wird auch von Landwirten abgenommen.<br />
Das Granulat aus dem Trockner wurde früher<br />
nach Tschechien an einen Düngemittelproduzenten<br />
verkauft. Diese Vermarktungsschiene lohne sich aktuell<br />
wirtschaftlich nicht. Daher werde das Granulat<br />
auf eigenen Flächen ausgestreut. Selbst bewirtschaftet<br />
das Biogasunternehmen 90 Hek tar. Die Stromgestehungskosten<br />
schwanken je nach Wirtschaftsjahr<br />
zwischen 21 und 24,5 Cent pro Kilowattstunde.<br />
Große Durchmesser für Substratleitungen<br />
wählen<br />
Nach Freydanks Angaben ergeben sich im Anlagenbetrieb<br />
aufgrund der Inputstoffe folgende Probleme:<br />
Störstoffe in Silagen, Verstopfungen in den Rohrleitungen<br />
deren Durchmesser mit 150 Millimetern zu<br />
gering ist – besser wären 300 Millimeter Durchmesser.<br />
Die Silagequalitäten gehen weit auseinander. Die<br />
Förderschnecken unter dem Havelberger-Feststoffdosierer<br />
nutzen stark ab. Außerdem kommt es zu Brückenbildung<br />
über den Schnecken. Es wird relativ viel<br />
Sand in die Fermenter eingetragen. Alle fünf Jahre<br />
sollten die Gärbehälter ausgebaggert werden.<br />
Folgende Aktivitäten auf der Anlage sind in Planung:<br />
Bau eines Bio-Legehennenstalls mit 12.000 Tierplätzen,<br />
Automatisierung des Notstromaggregats,<br />
Gasspeichervolumen erweitern, mehr Paddelrührwerke<br />
in die Gärbehälter einbauen, insbesondere in<br />
Fermenter eins, da der aus dem EEG fällt und künftig<br />
mit einer Hühnertrockenkot-Stroh-Silage-Mischung<br />
betrieben werden soll. Des Weiteren soll das Fahrsilo<br />
saniert und ein Wärmespeicher auf der Anlage gebaut<br />
werden. Geplant ist auch die Inbetriebnahme eines<br />
Satelliten-Blockheizkraftwerks in Nennhausen, weil<br />
dort 77 Interessierte mit Nahwärme versorgt werden<br />
möchten.<br />
Autor<br />
Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />
Redakteur Biogas Journal<br />
Fachverband Biogas e.V.<br />
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21
TITELTHEMA<br />
Grüne Gase<br />
Grüner Wasserstoff aus<br />
Biogas – direkt ab Hof<br />
Auf dem Lefkeshof im Norden von Krefeld im Ortsteil Hüls, den die Familie Schleupen bereits<br />
in der 5. Generation bewirtschaftet, ist ein besonderes Pilotprojekt in die Umsetzung gegangen.<br />
Das Biogas Journal berichtete bereits in Heft 6_2022 über das innovative Konzept,<br />
bei dem grüner Wasserstoff aus Biogas erzeugt wird. Es ersetzt einfach das fossile Erdgas im<br />
klassischen Dampfreformerprozess, jedoch ohne vorherige Aufbereitung zu Biomethan.<br />
Von EUR ING Marie-Luise Schaller<br />
Das Biogas des Betriebs Schleupen entsteht<br />
aus Rindergülle und Mist. Seit 2001 wird<br />
es in einem 250-kW-Zündstrahl-Blockheizkraftwerk<br />
(BHKW) verwertet. Nach<br />
dem Ende der EEG-Förderung sind aber<br />
neue nachhaltige Geschäftsmodelle erforderlich. Da<br />
bietet die zusätzliche Verwertung des Biogases zur<br />
Wasserstofferzeugung interessante Perspektiven für<br />
die Landwirte. Die Erkenntnisse aus dieser Pilotanlage<br />
werden erste wichtige Erfahrungswerte liefern.<br />
Das Projekt wird von drei Partnern – Landwirt Bernd<br />
Schleupen, Anlagenentwickler BtX energy GmbH und<br />
dem Institut für Ofenbau der RWTH Aachen – umgesetzt,<br />
um den Pilotprozess zur Technologiereife zu<br />
führen. Unter der Projektbezeichnung „BioH2Ref –<br />
Dezentrale Wasserstoffaufbereitung von Biogas durch<br />
Dampfreformierung“ wird es mit 1.265.455 Euro aus<br />
Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und<br />
Energie gefördert und läuft noch bis Ende 2024.<br />
Leon Müller-Noell<br />
an der Wasseraufbereitungsanlage<br />
im Container.<br />
Das Prinzip<br />
Die Dampfreformierung ist ein Prozess zur Herstellung<br />
von Synthesegas (Wasserstoff und Kohlenmonoxid)<br />
durch Reaktion von Methan mit Wasser und<br />
weltweit das gängigste Verfahren zur Produktion von<br />
grauem Wasserstoff. Denn in der Regel wird fossiles<br />
Erdgas als Ausgangsstoff verwendet.<br />
Der Prozess im Dampfreformer verläuft folgendermaßen:<br />
Der Brennstoff, zum Beispiel Erdgas oder Methanol<br />
beziehungsweise hier nicht aufbereitetes Biogas,<br />
wird dem Dampfreformer als Rohstoff zugeführt.<br />
Dieser wird im Herzen des Reformers erhitzt und in<br />
einer Reaktionskammer mit Wasserdampf in Gegenwart<br />
eines Nickel-Katalysators gemischt. Dabei findet<br />
die sogenannte Dampfreformierung statt. Hier reagiert<br />
der Brennstoff (Methan, CH 4<br />
) mit Wasserdampf<br />
(H 2<br />
O) zu Kohlenstoffmonoxid (CO), Kohlenstoffdioxid<br />
(CO 2<br />
) und Wasserstoff (H 2<br />
). Die Reaktion ist stark endotherm.<br />
Das heißt, sie benötigt viel Wärme, die in<br />
FOTO: MARIE-LUISE SCHALLER<br />
48
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
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(von links nach rechts); links ein Stickstoffbündel für den Anfahrbetrieb.<br />
der Regel durch Verbrennung von Brennstoff<br />
oder Abwärme erzeugt wird. Das<br />
Produktgas enthält neben Wasserstoffgas<br />
auch Kohlenstoffmonoxid (CO) und das<br />
hauptsächlich aus dem Biogas stammende<br />
Kohlendioxid (CO 2<br />
). Um den Wasserstoffanteil<br />
zu erhöhen, wird das entstandene<br />
CO in einem weiteren Schritt zu CO 2<br />
umgewandelt. Dazu wird üblicherweise<br />
die sogenannte Wassergas-Shift-Reaktion<br />
genutzt, bei der das Kohlenmonoxid (CO)<br />
mit Wasserdampf (H 2<br />
O) zu Kohlendioxid<br />
(CO 2<br />
) und Wasserstoff (H 2<br />
) reagiert. Um<br />
hochreinen Wasserstoff zu erzeugen, sind<br />
eventuell andere Verunreinigungen des<br />
Biogases, wie zum Beispiel Schwefelverbindungen,<br />
zu entfernen.<br />
Die Anlage<br />
Im Dezember wurde der Container mit<br />
der Reformertechnik parallel zum BHKW<br />
angeschlossen. Zuvor war sie im werksseitigen<br />
Probebetrieb erfolgreich getestet<br />
worden. Das BHKW läuft weiterhin, während<br />
seit Januar die Reformeranlage im<br />
Versuchsbetrieb zur Prozessoptimierung<br />
gefahren wird. Eine Hoftankstelle soll in<br />
Kürze nach Vorlage der Genehmigung das<br />
Gesamtkonzept ergänzen und eine Betankung<br />
von Wasserstofffahrzeugen in unmittelbarer<br />
Nähe der Erzeugungsanlage<br />
ermöglichen.<br />
Leon Müller-Noell, der zuständige Projektingenieur<br />
von BtX energy, stellt die Anlage<br />
vor und beschreibt verfahrenstechnische<br />
Details: „Die gesamte Technik ist in einem<br />
12 Meter x 3,5 Meter x 3,5 Meter<br />
großen Container untergebracht. In der<br />
ersten Kammer des Containers wird das<br />
zur Dampferzeugung eingesetzte Trinkwasser<br />
minimal aufbereitet (Enthärtung<br />
und Entsalzung).“ Das Herzstück der Anlage<br />
in der Mitte des Containers ist der Reformer.<br />
Es handelt sich um ein bewährtes<br />
Standardprodukt, das normalerweise für<br />
Erdgas genutzt wird, um grauen Wasserstoff<br />
zu erzeugen. Der einstufige Dampfreformer<br />
mit vier Röhren ist das kleinstmögliche<br />
Modul.<br />
Die Aktivkohlefilter für die Vorreinigung<br />
sind bereits für den BHKW-Betrieb errichtet<br />
worden. Das Biogas passiert diese,<br />
kommt vorgereinigt an der Containeranlage<br />
an und geht nach Verdichtung auf 10<br />
bar in den Reformer. Danach durchläuft<br />
der Gasstrom die Wassergas-Shift-Einheit<br />
des Reformers. Der abschließende Verfahrensschritt<br />
zur Wasserstoffabscheidung<br />
besteht aus einer Druckwechseladsorption.<br />
Der produzierte Wasserstoff wird in<br />
Flaschen zwischengespeichert und soll<br />
später in der Hoftankstelle abgenommen<br />
werden.<br />
Zur Qualitätsüberwachung werden unter<br />
anderem Feuchte und CO-Gehalt im Wasserstoff<br />
kontinuierlich kontrolliert. Eine<br />
kontinuierliche Überwachung für alle in<br />
der Kraftstoffnorm enthaltenen Werte<br />
sei bei dem gegenwärtigen Pilotmaßstab<br />
nicht notwendig, aber generell kein Problem,<br />
so Müller-Noell. Beim letztgenannten<br />
Parameter gilt es, einen Wert von maximal<br />
0,2 ppm einzuhalten, der für den<br />
Brennstoffzellenbetrieb in den Fahrzeugen<br />
angesetzt wird.<br />
Das Projekt<br />
In technischer Hinsicht untersucht das<br />
Pilotprojekt den Einfluss der Rohbiogasqualität<br />
auf die Wasserstoffquali-<br />
49<br />
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PRAXIS / TITEL Biogas Journal | 4_<strong>2023</strong><br />
Biogas-Verdichtereinheit. Reformereinheit. Leon Müller-Noell hält den Wasserstoff-<br />
Zapfhahn in den Händen der Containeranlage<br />
der Hoftankstelle.<br />
tät, die real zu erreichenden Wirkungsgrade<br />
des Prozesses, die Integration der<br />
Abwärme der Wasserstoffaufbereitung in<br />
die Gesamtanlage sowie die konstruktiven<br />
und verfahrenstechnischen Optimierungen<br />
der Rohbiogasaufbereitung und Reformerdimensionierung.<br />
Außerdem wird<br />
in puncto Wirtschaftlichkeit ein ganzheitlicher<br />
Ansatz verfolgt, bei dem die<br />
Aspekte der THG-Emissionen kombiniert<br />
mit denen der Wirtschaftlichkeit des Gesamtkonzeptes<br />
untersucht werden.<br />
Die Reformerkapazität liegt bei 50 Normkubikmetern<br />
Rohgas pro Stunde, was<br />
etwa einer elektrischen Leistung von<br />
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100 Kilowatt entspricht. Die Technologie<br />
wird bei den meisten Anlagen auf<br />
vier Reformer ausgebaut werden. Durch<br />
Skalierungseffekte könne sich damit die<br />
vierfache Leistung bei etwa doppelter<br />
Investition ergeben. In der Gesamtenergiebilanz<br />
wird etwa ein Viertel bis ein<br />
Drittel der Energie für die Beheizung des<br />
Dampfreformers benötigt. Mit den beiden<br />
übrigen Dritteln des Biogasinputs werden<br />
4 bis 5 Kilogramm Wasserstoff pro Stunde<br />
erzeugt. Im Dauerbetrieb sind 100 Kilogramm<br />
Wasserstoff täglich möglich.<br />
Leon Müller-Noell: „Derzeit gehen wir<br />
davon aus, dass sich die Produktenergieausbeute<br />
durch die Wasserstofferzeugung<br />
gegenüber der des BHKW-Betriebs<br />
in etwa um den Faktor 1,5 steigern<br />
lässt.“ Mit Berücksichtigung der Wärmerückgewinnung<br />
sei ein Gesamtwirkungsgrad<br />
von über 80 Prozent denkbar. Die<br />
60 Prozent in der Wasserstofferzeugung<br />
hat der Reformer bereits im Mai erstmalig<br />
erreicht. Im Laufe der Pilotversuche<br />
sind Optimierungen vorgesehen, um die<br />
tatsächlichen Werte zu verbessern und<br />
genauer zu ermitteln. Ein weiteres Ziel<br />
ist, den Wasserbedarf so weit wie möglich<br />
zu senken. Aktuell benötigt die Anlage<br />
maximal 100 Liter pro Stunde. Mit
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
PRAXIS / TITEL<br />
Gasreinigungsbaugruppe (Druckwechseladsorption).<br />
Innenleben des Tankstellenmoduls.<br />
einer Kondensatwasser-Rückführung soll<br />
dieser Verbrauch weiter auf 40 bis 25 Liter<br />
pro Stunde gesenkt werden.<br />
Die Perspektiven<br />
Unter anderem haben Materialknappheit<br />
und Beschaffungsprobleme den ursprünglichen<br />
Zeitplan etwas verzögert.<br />
Die Anlage wird seit Jahresbeginn in Krefeld<br />
wieder betrieben. Wenn die Wasserstoffproduktion<br />
auf das Biogas des Hofes<br />
optimal eingestellt ist, solle laut Bernd<br />
Schleupen die Verknüpfung mit bestimmten<br />
Nutzungen konkretisiert werden.<br />
Er beabsichtigt, den Wasserstoff im Verkehrssektor<br />
zu nutzen. Denkbar seien hier<br />
die Versorgung von Fahrzeugen öffentlicher<br />
Flotten, zum Beispiel von Bussen<br />
oder Müllsammlern sowie vor allem die<br />
Betankung von Wasserstoff-Pkw oder<br />
eines Wasserstofftraktors auf dem Hof.<br />
Schleupen hat natürlich auch den Quotenhandel<br />
im Sinn. Sein Hof verbraucht<br />
im Jahr 55.000 Liter Diesel, das entspricht<br />
bei ihm einem Jahresdurchschnitt<br />
von 80 bis 100 Liter pro Hektar. Über die<br />
Vermeidung von Kohlendioxidemissionen<br />
hinaus sieht er besondere Umwelteffekte<br />
darin, dass sich mit Wasserstoff auch die<br />
Stickoxidemissionen reduzieren werden.<br />
„Meine Biogasanlage soll die Verwertung<br />
für landwirtschaftliche Betriebe erschließen<br />
und der Branche den nötigen Startschub<br />
geben“, beschreibt Schleupen seine<br />
Motivation.<br />
Aus jetziger Sicht könne das Projektteam<br />
im August die Qualität beherrschen und<br />
das Thema Quotenhandel angehen. Ende<br />
des Jahres könne der Dauerbetrieb starten<br />
und im nächsten Jahr die Dauerlasteignung<br />
geprüft werden. Das sei entscheidend,<br />
da sich die Reformeranlage nicht<br />
wie ein BHKW einfach an- und ausschalten<br />
lasse. Bei jeder vollständigen Aus- und<br />
Inbetriebnahme müsse ein bis zwei Tage<br />
mit Leistungsreduktion gefahren werden.<br />
Die weitere Arbeit wird zu interessanten<br />
Ergebnissen führen. Das Pilotkonzept zur<br />
Herstellung von grünem Wasserstoff aus<br />
Biogas birgt viele Chancen für intelligente<br />
Geschäftsmodelle in der Kraftstoffnutzung,<br />
aber auch einige Herausforderungen<br />
hinsichtlich Qualität und politischer<br />
Rahmenbedingungen.<br />
Autorin<br />
EUR ING Marie-Luise Schaller<br />
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INTERNATIONAL<br />
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
Nachhaltig orientiert:<br />
Agronom Edwin Zelaya hat<br />
seine Doktorarbeit über<br />
die Biogas-Potenziale der<br />
Agave geschrieben.<br />
MEXIKO<br />
Mexiko-Stadt<br />
Biogas aus Agaven:<br />
Reste statt Rausch<br />
Landwirtschaftsabfälle bieten weltweit Potenzial zur klimafreundlichen Energieerzeugung<br />
und entlasten die Umwelt. So wie in Mexiko, wo ein Wissenschaftler die Biogasproduktion<br />
aus Agavenresten von Mezcal-Destillerien forciert. Eine gute Idee für den globalen Klimaschutz,<br />
findet auch der Fachverband Biogas, der von der Bundesregierung fordert, eine<br />
Exportförderung aufzulegen, um solche Potenziale zu heben.<br />
Von Dipl.-Pol. Oliver Ristau<br />
Sie heißen „Gold von Oaxaca“ oder „König<br />
von Matatlan“, tragen bunte Etiketten<br />
und werden mit Salz und zerstoßenen<br />
Würmern serviert: hochprozentige Agaven-Spezialitäten<br />
aus Mexiko. Zu mehr<br />
als 90 Prozent stammt das Destillat, das international<br />
unter dem Namen Mezcal bekannt ist, aus dem<br />
Bundesstaat Oaxaca und wird weltweit vertrieben. In<br />
Bars von New York bis Berlin erfreut er sich unter<br />
Cocktail-Freunden wachsender Beliebtheit.<br />
„Man sollte ihn lieber pur trinken“, empfiehlt der<br />
junge Sergio, der in der Destillerie seines Großvaters<br />
aufpasst. Es ist ein offener Holzschuppen entlang<br />
der Straße zwischen den Mezcal-Hochburgen Tlacolula<br />
und Santiago Matatlan, in dem die Familie ihren<br />
Mezcal destilliert und verkauft. Diese Kleinbetriebe<br />
dominieren die Szene. Von ihnen gibt es tausende im<br />
ganzen Bundesstaat. Am Verkaufstresen lehnt Edwin<br />
Zelaya. „Was macht ihr eigentlich mit der Vinasse?“,<br />
fragt er den Jungen. Der winkt ab: „Ach, das ist nicht<br />
viel. Wir kippen es hier irgendwo hin.“ Und er zeigt<br />
hinter den Schuppen, wo das Gelände abfällt und im<br />
Tal Reihen von Agaven wachsen.<br />
Edwin Zelaya ist Agronom und Wissenschaftler von<br />
der Universität von Oaxaca und Kleinunternehmer.<br />
„Ihr könnt aus der Vinasse Biogas gewinnen. Das ist<br />
viel besser als sie in die Umwelt zu kippen. Ich habe<br />
solche Systeme im Angebot. Sie liefern Energie für<br />
eure Küche und außerdem hochwertigen Dünger.“<br />
Der Junge hat davon noch nie gehört, ist aber sofort<br />
FOTOS: OLIVER RISTAU<br />
96
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
INTERNATIONAL<br />
12. – 14. Dezember <strong>2023</strong><br />
NCC Mitte, Messegelände Nürnberg<br />
Kräftige Reihen: Der Agavenanbau wächst in Mexiko – wie hier bei der<br />
Destillerie Tierra de Jagua.<br />
Blasse Flamme: Das noch an CO 2<br />
reiche Biogas brennt blass<br />
in der Küche der Destillerie Capotlan.<br />
Feuer und Flamme. „Das ist eine gute Idee. Ich werde meinem<br />
Großvater davon erzählen.“<br />
Die Vinasse ist eine Flüssigkeit, die nach der Destillation der<br />
Agaven neben festen Bestandteilen, der Bagasse, übrigbleibt.<br />
Während die Bagasse als Bau- und Brennstoff dient, gibt es für<br />
die Vinasse keine Verwendung. Zelaya hat deshalb in seiner Doktorarbeit<br />
vor zwei Jahren untersucht, welches Potenzial sie für<br />
die Biogasgewinnung bietet. Und das auch praktisch, und zwar<br />
nicht weit entfernt von Sergios Holzschuppen bei der Destillerie<br />
„Tierra de Jaguar“ in Tlalocula.<br />
Dort wachsen Agaven in Reih und Glied – keine riesige Monokultur,<br />
aber doch beeindruckend, wie ausladend sich die teils<br />
meterhohen Pflanzen in den blauen Himmel recken. Gleich hinter<br />
dem Agavenfeld klafft ein großes Loch im Acker, gefüllt mit<br />
einer rostroten Brühe. Das ist die Vinasse. Zelaya greift nach<br />
einem Holzknüppel und rührt sie zu Demonstrationszwecken<br />
durch. „Das Loch ist etwa zwei Meter tief“, sagt er.<br />
Hier „entsorgt“ die Destillerie das Abfallprodukt. Bereit liegen<br />
drei weiße Säcke aus PVC, die der Wissenschaftler für die Biogastests<br />
installiert hatte. Sie fassen theoretisch jeder 6,5 Kubikmeter<br />
(m³) – 5 m³ für die Flüssigkeit und 1,5 m³ für das Gas.<br />
Jetzt sind sie leer. Der Eigentümer kümmert sich nicht darum.<br />
Dabei ist die Vinasse zu nichts anderem gut, als Biogas und<br />
Biodünger daraus zu produzieren, sagt Zelaya.<br />
97<br />
» Leitthemen:<br />
Zukunft Biogas, Speicherkraftwerk,<br />
NABIS, Wärmekonzepte,<br />
Grüne Gase,<br />
Biomethan, Abfallvergärung,<br />
Recht, Sicherheit u.v.m.<br />
» Biogas weltweit:<br />
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INTERNATIONAL<br />
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
• WHG-Abdichtu<br />
• Behälterauskle<br />
• Schwimmbad-<br />
Freude über Biogas: Yolanda Santiago (links), Thania Zarate (rechts)<br />
von Capotlan und Biogas-Installateur Edwin Zelaya.<br />
Der Biogas-Beutelfermenter bei Capotlan fasst 10 m³<br />
Flüssigkeit und 5 m³ Gas.<br />
Denn ansonsten ist sie ein für die Umwelt giftiges<br />
Gebräu: mit einem pH-Wert von 3,5 bis 4, der die<br />
Böden versauert. Sie enthält außerdem organische<br />
Substanzen, die im Kontakt mit Wasser Sauerstoff<br />
an sich binden. Das bedeutet: Gelangt die Vinasse<br />
in Flüsse, kann sie Fischsterben auslösen. Auch der<br />
„Restalkohol“ in Form von Methanol und Ethanol<br />
sorgt bei Flora und Fauna für einen schweren Kater.<br />
90 Millionen Liter Vinasse-Abfall ungenutzt<br />
Jährlich fallen in Oaxaca bis zu 90 Millionen Liter der<br />
Substanz an, rechnet Zelaya vor, weit mehr als die<br />
etwa 6 Millionen Liter des Agavenschnaps, die der<br />
mexikanische Bundesstaat pro Jahr erzeugt. Bisher<br />
kippen die Destillerien das Gros des flüssigen Abfalls<br />
irgendwo in die Umwelt. Regulatorien für die Entsorgung<br />
gibt es in Mexiko keine. Die Natur muss irgendwie<br />
damit klarkommen.<br />
Doch das Problem wird größer: Denn Mezcal hat in<br />
den letzten Jahren einen Erfolgszug rund um den Globus<br />
angetreten. Die Nachfrage steigt steil an. Und<br />
der Schnaps stammt fast ausschließlich aus dem<br />
Bundesstaat in Zentralmexiko. Dazu kommt, dass<br />
auch die Produzenten von Tequila aus dem Norden<br />
Mexikos in Oaxaca Agaven einkaufen. Die Folge: „Immer<br />
mehr Landwirte bauen Agaven statt Mais an. Das<br />
lohnt sich wesentlich mehr“, berichtet Zelaya. Denn<br />
der Mezcal ist relativ teuer. Selbst in Mexiko ist ein Liter<br />
kaum unter 20 Euro zu erwerben. Hintergrund ist<br />
lter mit Stütze die lange und Wachstumsphase Leckageschutz. der Pflanzen. Mindestens Die<br />
sechs Jahre müssen sie auf dem Feld stehen, bevor<br />
ystem Dr. Kerner ermöglicht eine zügige<br />
sie geerntet werden können.<br />
rt.<br />
Unter dem Strich können die Bauern mit Agaven<br />
eine deutlich höhere Marge als mit den klassischen<br />
Lebensmitteln verdienen. Potenziell kann das die<br />
Lebensmittelversorgung im Bundesstaat künftig verknappen.<br />
Immerhin ist der Wasserbedarf beim Anbau<br />
geringer als etwa beim Mais. Sicher ist aber eines: Die<br />
wachsende Nachfrage sorgt für steigende Abfallmengen.<br />
Dafür will Wissenschaftler Zelaya eine Alternative<br />
schaffen.<br />
Ausgekleideter Ferm<br />
Biogaserträge wie Zuckerrüben<br />
Im Rahmen seiner Dissertation hat er sich deshalb<br />
die Erträge näher angeschaut, die die Vinasse bei<br />
der anaeroben Vergärung in den „Biobolsas“ bringen<br />
können. Dabei ist ein Ergebnis, dass der Reststoff<br />
ohne die Zufuhr von Bakterien Tage braucht, bis die<br />
Vergärung in Gang kommt. Dafür würde reine Vinasse<br />
aber hohe Erträge liefern. Im Testbetrieb lagen sie<br />
bei etwa 300 Milliliter Methan pro Gramm Substrat,<br />
rechnet er vor. Das entspricht in etwa dem Gehalt von<br />
Zuckerrüben hierzulande.<br />
Um aber den Gärprozess zu beschleunigen, hat er die<br />
Vinasse mit Rindergülle gemischt. Im Ergebnis sei<br />
ein Mix mit Gülle im Verhältnis 75 zu 25 zu bevorzugen.<br />
„Im Rindermagen sind alle Bakterien vorhanden,<br />
die wir für die Vergärung brauchen“, so Zelaya.<br />
Die Vergärung beginne sofort, so dass die Anlage bereits<br />
nach zwei Tagen den maximalen Ertrag liefere.<br />
Die Mikroorganismen sorgen außerdem dafür, die toxischen<br />
Substanzen in der Vinasse zu zersetzen. Kalk,<br />
den Zelaya in die Beutel-Fermenter mischt, neutralisiert<br />
zudem den pH-Wert. Übrig bleibt ein Rest, der<br />
sich als Dünger eignet, wie der Wissenschaftler an<br />
zwei Gruppen von jungen Agaven demonstriert, die<br />
und Endlager geeign<br />
da sie keine Nachbe<br />
auf „Tierra de Jaguar“ wachsen. Die eine hat den Bio-<br />
Dünger erhalten und dankt das mit üppigem Wachstum.<br />
Die andere musste ohne Dünger klarkommen<br />
und ist weniger als halb so kräftig. Seine Doktorarbeit<br />
bestätigt den hohen Nährstoffgehalt des „Biol“. Der<br />
Dünger ist reich an Stickstoff, Phosphor und Kalium.<br />
98<br />
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BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
INTERNATIONAL<br />
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Bunter Bilder: Die<br />
Mescaleria Capotlan<br />
liegt im mexikanischen<br />
Bundesstaat<br />
Oaxaca.<br />
Biogas statt Feuerholz<br />
Zelaya ist überzeugt, dass Biogas für Oaxaca eine<br />
nachhaltige Zukunft bietet. Deshalb stellt er die<br />
Systeme selber her und hat ein kleines Startup gegründet.<br />
Er kauft dafür eine spezialisierte Folie ein,<br />
die aus der Hauptstadt Mexico City geliefert wird.<br />
Daraus konstruiert er die Säcke, die als Fermenter<br />
dienen. Sämtliche sonstigen Bauteile erwirbt er im<br />
Fachhandel. Anschließend, so sein Konzept, baut er<br />
die Anlagen bei den Kunden auf. Kürzlich, berichtet<br />
er, kam ein Auftrag für eine kleine Anlage durch eine<br />
Universität in einem anderen Bundesstaat. Die habe<br />
er verpackt und per Kurier verschickt.<br />
In Oaxaca hat er bisher eine Anlage an eine Destillerie<br />
verkauft und sie dort installiert – rund eine dreiviertel<br />
Stunde Ausgekleideter Autofahrt von Fermenter der Testanlage mit Einbauteilen „Tierra de<br />
Jaguar“ entfernt. Die Straße dorthin führt vorbei an<br />
Feldern mit den grünen Agaven. Der Boden ist<br />
Fer 琀椀 g ausgekleideter Behälter mit Stütze und Leckageschutz. Die<br />
Behälterauskleidung nach System Dr. Kerner ermöglicht eine zügige<br />
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99
INTERNATIONAL<br />
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
Brutzelnde Erträge: Biogas<br />
versorgt die Firmenküche<br />
von Capotlan.<br />
Die Schweinefarm in Oaxaca produziert mit Gülle erstmals Biogas.<br />
Die Agaven müssen vor der<br />
Mezcalproduktion erhitzt, gehackt<br />
und zermahlen werden.<br />
im Frühjahr trocken. Die Regenzeit beginnt erst im<br />
Frühsommer. Die Siedlungen in Richtung der Hauptstadt<br />
Oaxaca mit ihren 700.000 Einwohnern sind<br />
von Autowerkstätten gesäumt und von vielen kleinen<br />
Straßenrestaurants, die Tacos, Fleisch und scharfe<br />
Soßen anbieten, erhitzt oftmals mit Feuerholz. Der<br />
Qualm des Holzes steht wie eine Säule in der Luft.<br />
Biogas kann für Feuerholz zu einer Alternative werden,<br />
zumindest an den Orten, wo ausreichend Reststoffe<br />
anfallen. So wie in der Destillerie „Capotlan“,<br />
die Zelaya nun erreicht hat. Sie will ihr Image als<br />
nachhaltiger Produzent aufpolieren, etwa gegenüber<br />
den Touristen aus den USA und Europa, die täglich<br />
zu einer Mezcal-Verkostung vorbeikommen. Das Unternehmen<br />
setzt auch auf Solarstrom. Auf dem Dach<br />
arbeitet eine 220 Kilowatt starke PV-Anlage, deren<br />
Strom in den Produktionsprozess einfließt.<br />
Gasmotor für Agavenmühle<br />
Der Biogas-Sack im Hinterhof ist prall gefüllt. Er fasst<br />
rund 5 m³ Gas und 10 m³ Flüssigkeit. Noch muss<br />
wertvolle Energie in die Umgebungsluft abgegeben<br />
werden, denn Capotlan nutzt das Gas nicht. Das soll<br />
sich in Kürze ändern wie Zelaya ad hoc mit der Unterstützung<br />
zweier Mitarbeiterinnen von Capotlan<br />
demonstriert: Thania Zarate, verantwortlich für Marketing<br />
und erneuerbare Energien, sowie Yolanda Santiago,<br />
die ein Aufforstungsprogramm leitet.<br />
Er öffnet das Ventil am großen Biogasbeutel und lässt<br />
über ein flexibles Rohr Biogas bis zu einem Anschluss<br />
in der nebenan liegenden Firmenküche leiten. Dort<br />
wird oft noch mit Feuerholz gekocht. Heute nicht:<br />
Zelaya zündet das Gas und schnappt sich eine Pfanne.<br />
Die Köchin reicht das Öl. Kurz darauf brutzeln<br />
zwei Spiegeleier im Pflanzenfett. Die Küche ist nicht<br />
der einzige potenzielle Einsatzort. Denn bei der Verarbeitung<br />
der Agaven ist eine Mühle beteiligt, die<br />
aktuell von einem Elektromotor angetrieben wird.<br />
Künftig sei der Einsatz eines Gasmotors denkbar, der<br />
das eigene Biogas nutzt, sagt Produktionsleiter Pablo<br />
Ramos.<br />
„Vorreiter wie Capotlan sind wichtig, damit sich Biogas<br />
in der Branche durchsetzen kann“, sagt Zelaya.<br />
Denn eine staatliche Förderung gibt es nicht. Die Unternehmen<br />
müssen die Investition in Höhe von 2.000<br />
bis 3.000 Euro aus dem eigenen Geschäft refinanzieren.<br />
Das scheuen aber viele der überwiegend kleinen<br />
Mezcal-Produzenten.<br />
Deshalb hat sich Zelaya nach einer anderen Branche<br />
umgesehen, die ebenfalls sehr viele Reststoffe zu<br />
bieten hat: Oaxacas Rinder- und Schweinebetriebe.<br />
Unweit der Agaven-Destillerie liegt einer der beiden<br />
Betriebe, die er bisher für Biogas hat gewinnen können.<br />
Direkt neben dem Schweinestall, aus dem lautes<br />
Grunzen schallt, liegt einer von Zelayas gut gefüllten<br />
weißen Biogas-Säcken. Vorgelagert ist ein abgedecktes<br />
Becken, in dem der Schweinemist lagert.<br />
100
INTERNATIONAL<br />
BIOGAS JOURNAL | 4_<strong>2023</strong><br />
Außer Betrieb: Die<br />
Biogas-Testanlage<br />
läuft aktuell nicht.<br />
Giftiges Gemisch: Die<br />
Vinasse bleibt am<br />
Ende des Mezcal-<br />
Brennens übrig und<br />
wird meist hinter dem<br />
Feld entsorgt.<br />
Carlos Santiago ist der Vorarbeiter. Regelmäßig wirft<br />
er den Gaskocher in der Küche an, um sich sein Mittagsessen<br />
aufzuwärmen. Gut findet er das, weil der<br />
Kocher weniger Hitze als das sonst übliche Feuer erzeugt<br />
und es weniger qualmt. Der Schweinebetrieb ist<br />
aber vor allem an dem Dünger interessiert, der nach<br />
dem Gärprozess übrigbleibt, so Santiago. Neben den<br />
Nährstoffen aus dem Schweinemist enthält dieser<br />
viel Wasser. Denn mit der Installation von Zelayas Biobolsa-Anlage<br />
fängt der Betrieb erstmals die flüssige<br />
Schweinegülle direkt auf, die zuvor teils wild entsorgt<br />
wurde. Denkbar wäre auch, das Gas als Quelle zur Erwärmung<br />
der Kinderstube der Ferkel einzusetzen, so<br />
Santiagos Idee, die nicht weiter konkret ist.<br />
Biogasprojekte sind Einzelinitiativen<br />
Noch gehört Zelaya zu den wenigen, die sich in Mexiko<br />
für Biogas erwärmen. Politisch gibt es keine Unterstützung.<br />
Mit Ausnahme einzelner Anlagen insbesondere<br />
bei Großlandwirten im Norden des Landes<br />
sowie auf Mülldeponien großer Städte beschränken<br />
sich Biogasprojekte auf Einzelinitiativen. Nach einer<br />
Untersuchung der deutsch-mexikanischen Handelskammer<br />
hatte Biogas 2017 einen Anteil am Brutto-<br />
Energieverbrauch Mexikos von 0,04 Prozent. <strong>2023</strong><br />
dürfte es substanziell nicht viel mehr sein.<br />
Auch die Technische Universität Cottbus-Senftenberg<br />
hat vor wenigen Jahren mit einem Institut der<br />
Elektrochemie im Bundesstaat Querétaro das örtliche<br />
Biogaspotenzial ermittelt. Es ging darum, für einen<br />
Futtermittelhersteller eine Anlage aufzubauen. Doch<br />
mit dem Ende der Finanzierung durch das Bundesforschungsministerium<br />
ist das Vorhaben wieder eingeschlafen.<br />
Exportinitiative könnte Potenziale heben<br />
Von der amtierenden Ampel-Koalition in Deutschland,<br />
in der die Bioenergie ohnehin einen schweren Stand<br />
hat, gibt es keine Unterstützung. Dabei könnten sich<br />
durch eine maßvolle Exportförderung Projekte wie die<br />
Vinasse-Verwertung in Mexiko ganz schnell rechnen,<br />
schätzt der Fachverband Biogas. „Die Vergärung von<br />
organischen Reststoffen und Bioabfällen ist gerade<br />
in Entwicklungs- und Schwellenländern eine große<br />
Chance sowohl für die Wirtschaft als auch für den Klimaschutz“,<br />
sagt Geschäftsführer Stefan Rauh.<br />
„Bei der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln<br />
entstehen Unmengen an biogenen Abfällen,<br />
aus denen sich noch Energie erzeugen ließe. Dadurch<br />
können fossile Quellen ersetzt und unkontrollierte<br />
Methanemissionen vermieden werden. Darüber hinaus<br />
entstehen Arbeitsplätze beim Bau und Betrieb<br />
der Biogasanlage.“<br />
Der Fachverband würde es deshalb „ausdrücklich<br />
begrüßen, wenn der Bau von Abfallvergärungsanlagen<br />
im Ausland durch eine entsprechende Exportförderung<br />
der Bundesregierung unterstützt würde.<br />
„Profitieren können letztendlich alle: die deutschen<br />
Firmen, die die Anlage realisieren, die Menschen vor<br />
Ort und das Klima“, so Rauh.<br />
Edwin Zelaya versucht derweil das Thema unter<br />
Wissenschaftler*innen voranzubringen. Und unter<br />
seinen Student*innen: etwa mit einem Vorhaben,<br />
indigenen Ureinwohnern in den Bergen Oaxacas<br />
die Vergärung von Reststoffen näherzubringen. Von<br />
vielen werde das Thema positiv aufgenommen, sagt<br />
er. Die Menschen seien überrascht, dass der Mezcal<br />
neben dem Rausch auch noch mit seinen Resten<br />
wirken kann.<br />
Autor<br />
Dipl.-Pol. Oliver Ristau<br />
Redaktion und Kommunikation<br />
Freier Journalist<br />
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