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Das Stadt-Land-Strand-Magazin Ausgabe 2023_2
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Ausgabe 2023_2
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Wie hat es dich nach Mexico City verschlagen?<br />
Du hast deinen Jazz-Abschluss<br />
am Berkley College gemacht<br />
und in Minnesota gelebt, bevor Du<br />
nach Mexico City gingst. Dazu kommt<br />
eine intensive New-York-Connection zu<br />
John Zorn und anderen. Das ist alles nur<br />
schwer zusammenzukriegen.<br />
(lacht) Ja, das klingt, wenn man es so hört,<br />
ziemlich zufällig, aus musikalischer Sicht<br />
aber macht es Sinn: Ich bin in Minneapolis<br />
aufgewachsen, ging dann an die Ostküste,<br />
um in Boston zu studieren, verbrachte<br />
danach einige Zeit in New York City, ging<br />
aber wieder zurück nach Minneapolis und<br />
dann nach Mexiko, um dort zu spielen. Einmal<br />
dort, habe ich mich aber in die Stadt<br />
verliebt und ein kleines Appartement angemietet,<br />
um ein paar Monate zu bleiben.<br />
Und es wurden Jahre daraus. Ich schlug<br />
Wurzeln, geriet in alle möglichen Projekte<br />
und traf all diese tollen Musiker.<br />
Wenn wir hierzulande etwas über Mexiko<br />
hören, dann ist es meistens über Drogenkrieg<br />
und Blutvergießen. Du hast einen<br />
Song geschrieben, in dem es heißt:<br />
»The Mexico I know is not the Mexico you<br />
know.« Wie sieht Dein Mexiko aus?<br />
Mit dem Bild über Mexiko hast du natürlich<br />
Recht. Genau das hatte ich auch<br />
abgespeichert, bevor ich das erste Mal<br />
hierherkam. Ich wurde aber, seitdem ich<br />
hier bin, ständig überrascht und inspiriert.<br />
Wir glauben immer, das sei ein Ding, eine<br />
Kultur. Aber es gibt hier einen schier unfassbaren<br />
Reichtum an Kulturen und musikalischen<br />
Stilen, an Essen, an Arten sich<br />
zu unterhalten etc. Ich war naiv, kam ohne<br />
jedes tiefere Wissen und ohne wirkliche<br />
Wertschätzung hierher und dann kam ich<br />
an all diese Plätze, traf all diese Leute... Ich<br />
bin sehr dankbar dafür, was mit mir geteilt<br />
wurde, und ich versuche ein bisschen was<br />
von meinen Erfahrungen weiterzugeben.<br />
Die positive Seite.<br />
Viele Mexikaner wollen aus wirtschaftlichen<br />
Gründen in die USA, das vermeintlich<br />
gelobte Land, um dort ihren American<br />
Dream zu leben. Gibt es Leute, die<br />
Deinem Beispiel folgen und den umgekehrten<br />
Weg gehen?<br />
Es kommen mehr und mehr Amerikaner<br />
und auch Europäer, speziell in der<br />
Kunstszene, ja. Und ich erzähle meine<br />
Geschichte gerne, aber es ist kompliziert,<br />
denn natürlich gibt es auch Gewalt und<br />
andere Probleme. Aber auf der anderen<br />
Seite gibt es diesen gewaltigen Reichtum,<br />
der oft vom dominierenden Narrativ<br />
zugedeckt wird. Bevor ich hierherkam,<br />
spielte ich zwar viele Gigs, konnte aber<br />
meinen Weg nicht finden. Erst in Mexiko<br />
wurde mir klar, dass ich alles, was ich mir<br />
erträumt hatte, auch realisieren konnte:<br />
Mit meiner Rockband zu touren, Solo-Alben<br />
zu machen und zu den Leuten in die<br />
Berge zu gehen, um mit ihnen traditionelle<br />
mexikanische Musik spielen. Andererseits<br />
hatte ich halt Glück, und meine<br />
Erfahrungen sind nicht mit denen von<br />
Leuten vergleichbar, die hier in bestimmten<br />
Regionen aufgewachsen sind.<br />
Du veröffentlichst auf Rope A Dope Sur<br />
auch spannende Musik mexikanischer<br />
Künstler.<br />
Ich habe meine erste Platte auf Rope<br />
A Dope vor zwölf, dreizehn Jahren releast,<br />
bevor ich nach Mexiko ging, und<br />
wir hatten immer eine tolle, respektvolle<br />
Beziehung. Als ich herkam, begann<br />
ich verschiedene Szenen zu erkunden –<br />
Jazz, Freejazz, traditionelle Musik – und<br />
sah plötzlich eine Möglichkeit, diesen<br />
Welten mit der Welt, aus der ich kam, zu<br />
verbinden. Dadurch eröffneten sich auf<br />
beiden Seiten neue Möglichkeiten. Wir<br />
haben ja nicht nur Musik releast, wie haben<br />
auch Touren organisiert, US-Bands<br />
nach Mexiko geschickt und umgekehrt<br />
mexikanische Acts in die USA.<br />
Deine Bandbreite ist enorm. Du hast<br />
mehrere Bands, unzählige Kooperationen,<br />
Buchprojekte, das Label etc. Bei<br />
vielen würde das wie eine verzweifelte<br />
Suche wirken, bei Dir wirkt es natürlich.<br />
Danke. Eine Zeit lang hab´ ich schon mit<br />
mir gekämpft, ob es nicht besser wäre,<br />
mich für einen Weg zu entscheiden, für<br />
den Singer Songwriter oder den Fusion-<br />
Typen. Aber ich kann es einfach nicht,<br />
also erlaube ich mir, all diese unterschiedlichen<br />
Sachen zu entdecken. Wichtig ist<br />
nur, in jedem dieser Projekte bewusst und<br />
aufrichtig zu sein.<br />
Ich wuchs damit auf, Bob-Dylan- und<br />
Blues-Songs zu spielen. Nur weil ich dann<br />
Jazz studierte und Musik von Monk spielte,<br />
kann ich doch nicht verleugnen, dass<br />
das andere noch immer ein Teil von mir ist.<br />
Es gibt eine Menge, was ich da am Leben<br />
halten und dem ich Raum geben muss,<br />
damit es sich weiterentwickeln kann. Oft<br />
suche ich nach dem einen Gedanken,<br />
der alles umfasst, nach dem einen Projekt,<br />
das alles abdeckt, aber solange ich<br />
all diese Dinge weiterbetreibe, von denen<br />
ich fühle, dass ich sie tun muss, wird sich<br />
das mit der Zeit schon ergeben...<br />
Dein letztes Solo-Album »Time is a Healer«,<br />
das mich an Lou Reed und Willy Deville<br />
erinnert, zeigt eine intimere Seite<br />
von Dir, oder?<br />
Ja, offener und ungeschützter geht es<br />
nicht mehr. Da hab´ ich alles rausgelassen.<br />
Die Songs habe ich währen der Pandemie<br />
geschrieben. Ich war damals in Mexico<br />
City allein in meinem Appartement, zog<br />
dann in eine kleine Küstenstadt, verliebte<br />
mich, und es fegte mich weg. Die Songs<br />
erwischten mich in so rauen wie verletzlichen<br />
Momenten. Wir nahmen sie ganz<br />
schnell, in nur ein paar Tagen auf. Es wird<br />
mir schwerfallen, zu etwas Vergleichbaren<br />
zurückzukehren, so direkt und so ehrlich ist<br />
das, was dabei rauskam.<br />
Lass uns zum Abschluss über die beiden<br />
kommenden Konzerte in Klagenfurt<br />
sprechen. Einmal spielst Du bei den Donnerszenen<br />
gemeinsam mit Aaron Cruz.<br />
Ja, dem Bassisten von Love Electric. Wir<br />
werden hauptsächlich Nummern von<br />
»Time is a Healer« spielen, aber auch ein<br />
paar andere. Ich hatte erst ein paar Release-Shows,<br />
und es fühlte sich gut an, das<br />
Album vorzustellen, diese wilde Zeit meines<br />
Lebens auf so intime Weise zu teilen.<br />
Und tags darauf mit Love Electric, Deiner<br />
Jazzrock-Combo.<br />
Ich würde es eher als Rockband sehen,<br />
die auch gern mal jazzy improvisiert.<br />
Die Klagenfurter können also an zwei<br />
Tagen zwei sehr unterschiedliche Versionen<br />
Deines Schaffens erkunden.<br />
John Zorn hat mich mit seiner Art, sehr unterschiedliche<br />
Musik in ganz spezifischen<br />
Konzepten zu präsentieren, inspiriert. Und<br />
ich würde gerne öfter eine gewisse Zeit an<br />
einem Ort verbringen. Das ist viel inspirierender<br />
als das übliche In and Out. So kann<br />
man Leute kennenlernen, Beziehungen<br />
knüpfen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
LIVE<br />
TODD CLOUSER & AARON CRUZ<br />
Do, 03. 08. <strong>2023</strong> (im Rahmen der Donnerszenen)<br />
Todd Clouser (Stimme, Gitarre)<br />
Aaron Cruz (Bass)<br />
Spielort: Palais Orsini-Rosenberg,<br />
Altes Rathaus, Alter Platz 1<br />
Beginnzeiten: 17.15 | 19.15 | 21.15 Uhr<br />
Regenspielort: Heiligengeistkirche,<br />
Heiligengeistplatz 10<br />
TODD CLOUSER’S A LOVE ELECTRIC<br />
Fr, 04. 08. <strong>2023</strong><br />
Beginnzeit: 20.00 Uhr<br />
Ort: Villa For Forest, Viktringer Ring 21, Klagenfurt<br />
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