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Das StadtSalzburgMagazin Ausgabe 2023_2

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tigt partizipieren und der Phantasie ein<br />

Raum gegeben, aber auch darauf geachtet<br />

wird, dass das Projekt realisiert wird.<br />

≈ Sie haben neulich in einer Schulklasse<br />

gefragt, wer von den Schülern<br />

glaubt, dass er sein ganzes Leben<br />

lang in einer Demokratie leben wird.<br />

Geschätzte 95 Prozent hielten das<br />

für unwahrscheinlich.<br />

Wenn man sich nicht die geringe Wahlbeteiligung<br />

der Wahlberechtigten, sondern<br />

den Prozentsatz der Menschen<br />

anschaut, die hier leben und sich an der<br />

Wahl beteiligt haben, sind die Ergebnisse<br />

noch schockierender. Wir haben ein<br />

Wahlrecht, das viele Menschen, die hier<br />

leben, arbeiten und Sozialversicherung<br />

zahlen, nicht berücksichtigt. Es reicht<br />

nicht zu sagen: »Du musst dich beteiligen«,<br />

vielen Menschen muss man erst<br />

mal die Chance dazu geben. Andererseits<br />

gab es gerade eine Abstimmung<br />

über einen Parteivorsitzenden, an der<br />

sich 100.000 Menschen beteiligten. Eine<br />

beachtliche Anzahl von Menschen, die<br />

sich um einen Parteivorsitz kümmert.<br />

≈ Beachtlich, dass Sie einer Geschichte,<br />

die so viele negative Schlagzeilen<br />

ausgelöst hat, etwas Positives abgewinnen<br />

können.<br />

Ja, weil damit nicht zu rechnen war. Das ist<br />

durchaus positiv zu beurteilen. Auch auf<br />

lokaler Ebene gibt es die Agenda-21-Prozesse,<br />

an denen sich in den Gemeinden<br />

überraschend viele Menschen beteiligen.<br />

≈ Welche Entwicklungen werden Salzburg<br />

bis 2030 prägen? Auf diese Frage<br />

geben Wissenschaftler aus unterschiedlichen<br />

Bereichen im neuesten<br />

Arbeitspapier der Robert-Jungk-Stiftung<br />

eine gemeinsame Antwort.<br />

Das tägliche Leben wird am meisten von<br />

der Frage nach leistbarem Wohnraum<br />

geprägt sein. Der zweite große Bereich<br />

ist die Digitalisierung, der noch größere<br />

Bedeutung im Konsum zukommen wird,<br />

aber auch im Privatleben: Wie wir lesen,<br />

kommunizieren und Partner finden. Ein<br />

dritter Bereich, der uns stark beschäftigen<br />

wir, ist der Rückgang der Biodiversität.<br />

Diese Entwicklungen treffen auf eine<br />

Bevölkerung, die im Durchschnitt sehr<br />

wahrscheinlich älter sein wird als die<br />

heutige. Die genaue demographische<br />

Entwicklung wird davon abhängen, wie<br />

wir mit Migration umgehen. Ob wir uns<br />

abschotten oder einen bestimmten Zuzug<br />

zulassen, der in der Regel von Jüngeren<br />

geprägt ist, deren Wunsch es ist,<br />

in den Arbeitsmarkt einzutreten.<br />

≈ Drohen durch die Digitalisierung in<br />

allen Bereichen nicht auch negative<br />

Konsequenzen, etwa ein Abrutschen<br />

in Parallelwelten? Man braucht sich<br />

nur die eigenen Kinder und ihr Computer-<br />

und Handy-Konsumverhalten<br />

anzuschauen...<br />

Wir erleben eine graduelle Polarisierung,<br />

wenn es darum geht, wie richtiges Zusammenleben<br />

auszuschauen hat. Es<br />

gibt Veränderung in der Wertehaltung.<br />

Wenn wir uns etwa die Einstellung sexuellen<br />

Minderheiten gegenüber anschauen,<br />

entdecken wir eine zunehmende<br />

Toleranz. Gleichzeitig gibt es andere<br />

Themen, bei denen es zu Polarisierungen<br />

kommt, die durch die Möglichkeit unterstützt<br />

werden, uns in Welten zurückziehen<br />

zu können, wo alle unsere Meinung<br />

haben und wir den Eindruck bekommen,<br />

das sei die vorherrschende.<br />

≈ Sogenannte »Bubbles«.<br />

Ja, aber die hat es früher auch gegeben.<br />

Früher war Informationsbeschaffung<br />

stark davon abhängig, welche Zeitung<br />

es im Elternhaus gab, und diese Zeitungen<br />

und die darin kolportierte Meinung<br />

waren nicht durch siebzehn andere Zeitungen<br />

konkurrenziert, die man per Klick<br />

erreichen kann. Die Meinungspluralität<br />

ist heute größer, und die Konzentration<br />

nimmt durch das Internet ab.<br />

≈ Lassen Sie uns abschließend noch<br />

über KI reden, die derzeit in aller Munde<br />

ist. Meredith Whittaker, ehemalige<br />

Mitarbeiterin von Google Open<br />

Research, warnt vor der drohenden<br />

Machtkonzentration durch KI. Kaum<br />

einer verstehe, sagt sie, welche gesellschaftlichen<br />

Auswirkungen damit<br />

einhergehen. Noch extremer haben<br />

es OpenAI-Gründer Sam Altman und<br />

viele andere in einem gemeinsamen<br />

Statement formuliert: Durch künstliche<br />

Intelligenz drohe das Risiko der<br />

»Auslöschung der Menschheit«. Wie<br />

sehen Sie das?<br />

Bei neuen Technologien hatten wir in<br />

der Regel solche Debatten. Oft wird die<br />

Kritik lächerlich gemacht, indem man<br />

dran erinnert, dass Menschen schon die<br />

Eisenbahn für lebensgefährlich hielten.<br />

Aber Besorgnis ist gut, denn wenn man<br />

durch Besorgnis auf Probleme draufgekommen<br />

ist, hat man versucht, sie zu regulieren.<br />

Sicherheits- und Kontrollstandards<br />

wurden eingeführt. Regulierungen<br />

aber setzen einen Akteur voraus, der<br />

stark genug ist zu regulieren. Ist ein Staat<br />

stark genug, mit internationalen Konzernen<br />

so zu sprechen, dass bestimmte<br />

Dinge durchgesetzt werden? Die Frage<br />

ist, ob wir uns als demokratische Gesellschaft<br />

zutrauen, bestimmte demokratische<br />

Entwicklungen in die Hand zu<br />

nehmen. Die KI-Diskussion ist ein schönes<br />

Beispiel dafür. Die Fragen, die gestellt<br />

werden, sind: »Wie wird sich die KI<br />

entwickeln? Was wird sie bringen?« Und<br />

nicht: »Wie wollen wir die KI gestalten?«<br />

Das wirkt, als hätten wir das gar nicht<br />

mehr in der Hand, weil uns bestimmte<br />

Dinge entglitten sind, weil die Macht bei<br />

bestimmten Unternehmen größer ist als<br />

bei regulierenden Institutionen.<br />

≈ Haben wir es noch in der Hand?<br />

Ja. Es geht darum, sich zu fragen, wie<br />

man internationale Institutionen stärken<br />

kann, dass sie hier regulierend eingreifen.<br />

Das ist nicht aussichtslos. Wir haben<br />

die EU, die in Auseinandersetzung<br />

mit derlei Institutionen tritt. Wir müssen<br />

uns die Frage stellen, was wir brauchen.<br />

Dann bringen sich Menschen mit Ideen<br />

und Vorstellungen ein.<br />

Vielen Dank für das Gespräch.<br />

Stefan Wally (*1970 in Salzburg Gnigl) ist Politikwissenschaftler.<br />

Seit 2009 ist er wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen,<br />

seit 2016 leitet er sie. Darüber hinaus<br />

ist er Vortragender an den Universitäten Salzburg,<br />

der Freien Universität Berlin, der University of Florida,<br />

dem American Institute for Foreign Studies,<br />

der Donauuniversität Krems, der Fachhochschule<br />

Burgenland, der Privatuniversität Schloss Seeburg<br />

und dem Salzburg College.<br />

Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen<br />

geht auf eine von dem Zukunftsforscher und Journalisten<br />

Robert Jungk 1985 gegründete Stiftung<br />

zurück und ist eine staatlich anerkannte gemeinnützige<br />

Einrichtung. Sie ist darauf ausgerichtet, in<br />

die Gesellschaft hineinzuwirken und Zukunftsdebatten<br />

anzustoßen.<br />

interview_wally<br />

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