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27.06.2023 Aufrufe

FRAGEN AN DIE ZUKUNFT Klimawandel, Digitalisierung, künstliche Intelligenz. Die Herausforderungen unserer Zeit sind größer denn je. Wir sprachen mit Zukunftsforscher Stefan Wally, Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, darüber, was Salzburg und die Salzburger die kommenden Jahre und Jahrzehnte beschäftigen wird. TEXT MARKUS DEISENBERGER FOTOS ANDREAS KOLARIK ≈ Wie wird es in den nächsten Jahrzehnten mit der Klimaerwärmung weitergehen? Kriegen wir alles in den Griff oder ist es besser, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen? Zuerst einmal sei eines klargestellt: Zukunftsforscher wissen nicht, wie die Zukunft aussieht. Zukunft ist ja nichts, das heute feststeht und mit einem Fernrohr gefunden und erkannt werden könnte, sondern in dem Moment, in dem ich eine Zukunftsprognose mache, beeinflusse ich Menschen, sich anders zu verhalten, und schon allein dadurch verändert sich die Zukunft. In der Jungk’schen Tradition geht es immer darum, zu erkennen, welche Zukunft man überhaupt will und dann zu analysieren was davon möglich und wie es erreichbar ist. Als Zukunftsforscher schaut man sich also an: Was wird, wenn wir uns nicht engagieren, mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten? Welche Alternativentwicklungen sind denkbar? Und wohin wollen wir? Genauso haben wir das bei unseren aktuellen Studien gemacht: Wir haben für Salzburg die wichtigsten ExpertInnen geholt, damit sie uns den Stand der Wissenschaft wiedergeben. ≈ Was ist dabei rausgekommen? Es gibt eine ganz klare Entwicklung, die nicht gut aussieht für Salzburg. Wir werden uns in den nächsten Jahrzehnten auf eine Klimaerwärmung einstellen müssen, die auch bei uns Temperaturen wie am Gardasee zur Folge hat. Aber es kann noch schlimmer kommen, wenn bestimmte Kipppunkte schneller eintreten, wenn es etwa zum Auftauen bestimmter Böden kommt. Aber es kann auch sein, dass uns eine Begrenzung auf Temperaturanstiege zwischen 1,5 und 2 Grad gelingt. In der aktuellen Situation müssen wir damit rechnen, dass wir in Salzburg 2040 den Klimawandel sehr wohl spüren werden. Aber noch einmal: Es hat keinen Sinn, eine Zukunft vorauszusagen, der sich die Leute dann ergeben. Wir beschreiben, in welche Richtung der Zug fährt und welche anderen Richtungen denkbar sind. ≈ Über die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland (56 Prozent) und Österreich (55 Prozent) überlegt, selbst keine Kinder in die Welt zu setzen. Klingt nicht danach, als würde unsere Spezies mit viel Zuversicht in die Zukunft schreiten. Genau damit haben sich Nina Horaczek & Walter Ötsch neulich in einem Vortrag (»Phantasie für bessere Politik«) in unserer Bibliothek beschäftigt. Sie argumentierten, dass die Politik irgendwann in den 1980ern anfing zu glauben, der Markt als Akteur sei stärker als wir als Gesellschaft, und gegen die Globalisierung lasse sich nicht regieren, sie sei ein Naturgesetz. Das kommt einer Kapitulation vor der Zukunft gleich. Wenn das tatsächlich das zentrale Dogma der Politik heute ist, darf man sich nicht wundern, wenn junge Menschen keine Lust mehr auf Politik haben. ≈ Robert Jungk hat die Demokratisierung der Zukunft propagiert. Die Zukunft sei zu wichtig, so Jungk, um sie den Interessen der (oft selbsternannten) Experten und Entscheidungsträger zu überlassen. Wie lässt sich die Zukunft demokratisieren? Durch Revolution? Partizipation? Jungk erkannte, dass die Prognose, wenn man die Experten ohne Beteiligung der Bevölkerung befragt, in der Regel danebenliegt. Nehmen wir an, Sie fragen sich nach der künftigen Entwicklung Ihrer Firma. Dann ist es sicher klug, nicht nur das Management zu befragen, sondern auch die Kollegen, die im Großhandel Telefonate abwickeln, die Kollegin in der Produktion und vielleicht sogar das Reinigungspersonal. Das ist alles Wissen, dass verschütt geht, wenn man blind einem Expertentum vertraut und nicht partizipativ denkt. Partizipative Modelle führen dazu, dass wir etwas verbessern können. Robert Jungks Modell dafür waren Zukunftswerkstätten, in denen alle gleichberech- 6 interview_wally

tigt partizipieren und der Phantasie ein Raum gegeben, aber auch darauf geachtet wird, dass das Projekt realisiert wird. ≈ Sie haben neulich in einer Schulklasse gefragt, wer von den Schülern glaubt, dass er sein ganzes Leben lang in einer Demokratie leben wird. Geschätzte 95 Prozent hielten das für unwahrscheinlich. Wenn man sich nicht die geringe Wahlbeteiligung der Wahlberechtigten, sondern den Prozentsatz der Menschen anschaut, die hier leben und sich an der Wahl beteiligt haben, sind die Ergebnisse noch schockierender. Wir haben ein Wahlrecht, das viele Menschen, die hier leben, arbeiten und Sozialversicherung zahlen, nicht berücksichtigt. Es reicht nicht zu sagen: »Du musst dich beteiligen«, vielen Menschen muss man erst mal die Chance dazu geben. Andererseits gab es gerade eine Abstimmung über einen Parteivorsitzenden, an der sich 100.000 Menschen beteiligten. Eine beachtliche Anzahl von Menschen, die sich um einen Parteivorsitz kümmert. ≈ Beachtlich, dass Sie einer Geschichte, die so viele negative Schlagzeilen ausgelöst hat, etwas Positives abgewinnen können. Ja, weil damit nicht zu rechnen war. Das ist durchaus positiv zu beurteilen. Auch auf lokaler Ebene gibt es die Agenda-21-Prozesse, an denen sich in den Gemeinden überraschend viele Menschen beteiligen. ≈ Welche Entwicklungen werden Salzburg bis 2030 prägen? Auf diese Frage geben Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen im neuesten Arbeitspapier der Robert-Jungk-Stiftung eine gemeinsame Antwort. Das tägliche Leben wird am meisten von der Frage nach leistbarem Wohnraum geprägt sein. Der zweite große Bereich ist die Digitalisierung, der noch größere Bedeutung im Konsum zukommen wird, aber auch im Privatleben: Wie wir lesen, kommunizieren und Partner finden. Ein dritter Bereich, der uns stark beschäftigen wir, ist der Rückgang der Biodiversität. Diese Entwicklungen treffen auf eine Bevölkerung, die im Durchschnitt sehr wahrscheinlich älter sein wird als die heutige. Die genaue demographische Entwicklung wird davon abhängen, wie wir mit Migration umgehen. Ob wir uns abschotten oder einen bestimmten Zuzug zulassen, der in der Regel von Jüngeren geprägt ist, deren Wunsch es ist, in den Arbeitsmarkt einzutreten. ≈ Drohen durch die Digitalisierung in allen Bereichen nicht auch negative Konsequenzen, etwa ein Abrutschen in Parallelwelten? Man braucht sich nur die eigenen Kinder und ihr Computer- und Handy-Konsumverhalten anzuschauen... Wir erleben eine graduelle Polarisierung, wenn es darum geht, wie richtiges Zusammenleben auszuschauen hat. Es gibt Veränderung in der Wertehaltung. Wenn wir uns etwa die Einstellung sexuellen Minderheiten gegenüber anschauen, entdecken wir eine zunehmende Toleranz. Gleichzeitig gibt es andere Themen, bei denen es zu Polarisierungen kommt, die durch die Möglichkeit unterstützt werden, uns in Welten zurückziehen zu können, wo alle unsere Meinung haben und wir den Eindruck bekommen, das sei die vorherrschende. ≈ Sogenannte »Bubbles«. Ja, aber die hat es früher auch gegeben. Früher war Informationsbeschaffung stark davon abhängig, welche Zeitung es im Elternhaus gab, und diese Zeitungen und die darin kolportierte Meinung waren nicht durch siebzehn andere Zeitungen konkurrenziert, die man per Klick erreichen kann. Die Meinungspluralität ist heute größer, und die Konzentration nimmt durch das Internet ab. ≈ Lassen Sie uns abschließend noch über KI reden, die derzeit in aller Munde ist. Meredith Whittaker, ehemalige Mitarbeiterin von Google Open Research, warnt vor der drohenden Machtkonzentration durch KI. Kaum einer verstehe, sagt sie, welche gesellschaftlichen Auswirkungen damit einhergehen. Noch extremer haben es OpenAI-Gründer Sam Altman und viele andere in einem gemeinsamen Statement formuliert: Durch künstliche Intelligenz drohe das Risiko der »Auslöschung der Menschheit«. Wie sehen Sie das? Bei neuen Technologien hatten wir in der Regel solche Debatten. Oft wird die Kritik lächerlich gemacht, indem man dran erinnert, dass Menschen schon die Eisenbahn für lebensgefährlich hielten. Aber Besorgnis ist gut, denn wenn man durch Besorgnis auf Probleme draufgekommen ist, hat man versucht, sie zu regulieren. Sicherheits- und Kontrollstandards wurden eingeführt. Regulierungen aber setzen einen Akteur voraus, der stark genug ist zu regulieren. Ist ein Staat stark genug, mit internationalen Konzernen so zu sprechen, dass bestimmte Dinge durchgesetzt werden? Die Frage ist, ob wir uns als demokratische Gesellschaft zutrauen, bestimmte demokratische Entwicklungen in die Hand zu nehmen. Die KI-Diskussion ist ein schönes Beispiel dafür. Die Fragen, die gestellt werden, sind: »Wie wird sich die KI entwickeln? Was wird sie bringen?« Und nicht: »Wie wollen wir die KI gestalten?« Das wirkt, als hätten wir das gar nicht mehr in der Hand, weil uns bestimmte Dinge entglitten sind, weil die Macht bei bestimmten Unternehmen größer ist als bei regulierenden Institutionen. ≈ Haben wir es noch in der Hand? Ja. Es geht darum, sich zu fragen, wie man internationale Institutionen stärken kann, dass sie hier regulierend eingreifen. Das ist nicht aussichtslos. Wir haben die EU, die in Auseinandersetzung mit derlei Institutionen tritt. Wir müssen uns die Frage stellen, was wir brauchen. Dann bringen sich Menschen mit Ideen und Vorstellungen ein. Vielen Dank für das Gespräch. Stefan Wally (*1970 in Salzburg Gnigl) ist Politikwissenschaftler. Seit 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, seit 2016 leitet er sie. Darüber hinaus ist er Vortragender an den Universitäten Salzburg, der Freien Universität Berlin, der University of Florida, dem American Institute for Foreign Studies, der Donauuniversität Krems, der Fachhochschule Burgenland, der Privatuniversität Schloss Seeburg und dem Salzburg College. Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen geht auf eine von dem Zukunftsforscher und Journalisten Robert Jungk 1985 gegründete Stiftung zurück und ist eine staatlich anerkannte gemeinnützige Einrichtung. Sie ist darauf ausgerichtet, in die Gesellschaft hineinzuwirken und Zukunftsdebatten anzustoßen. interview_wally 7

FRAGEN<br />

AN DIE<br />

ZUKUNFT<br />

Klimawandel, Digitalisierung,<br />

künstliche Intelligenz. Die<br />

Herausforderungen unserer<br />

Zeit sind größer denn je.<br />

Wir sprachen mit Zukunftsforscher Stefan<br />

Wally, Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek<br />

für Zukunftsfragen, darüber, was Salzburg<br />

und die Salzburger die kommenden Jahre<br />

und Jahrzehnte beschäftigen wird.<br />

TEXT MARKUS DEISENBERGER<br />

FOTOS ANDREAS KOLARIK<br />

≈ Wie wird es in den nächsten Jahrzehnten<br />

mit der Klimaerwärmung<br />

weitergehen? Kriegen wir alles in den<br />

Griff oder ist es besser, sich auf das<br />

Schlimmste gefasst zu machen?<br />

Zuerst einmal sei eines klargestellt: Zukunftsforscher<br />

wissen nicht, wie die Zukunft<br />

aussieht. Zukunft ist ja nichts, das<br />

heute feststeht und mit einem Fernrohr<br />

gefunden und erkannt werden könnte,<br />

sondern in dem Moment, in dem ich eine<br />

Zukunftsprognose mache, beeinflusse<br />

ich Menschen, sich anders zu verhalten,<br />

und schon allein dadurch verändert sich<br />

die Zukunft. In der Jungk’schen Tradition<br />

geht es immer darum, zu erkennen,<br />

welche Zukunft man überhaupt will und<br />

dann zu analysieren was davon möglich<br />

und wie es erreichbar ist. Als Zukunftsforscher<br />

schaut man sich also an: Was<br />

wird, wenn wir uns nicht engagieren,<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

eintreten? Welche Alternativentwicklungen<br />

sind denkbar?<br />

Und wohin wollen wir?<br />

Genauso haben wir das bei<br />

unseren aktuellen Studien<br />

gemacht: Wir haben für Salzburg<br />

die wichtigsten ExpertInnen<br />

geholt, damit sie uns<br />

den Stand der Wissenschaft<br />

wiedergeben.<br />

≈ Was ist dabei rausgekommen?<br />

Es gibt eine ganz klare Entwicklung,<br />

die nicht gut aussieht für Salzburg. Wir<br />

werden uns in den nächsten Jahrzehnten<br />

auf eine Klimaerwärmung einstellen<br />

müssen, die auch bei uns Temperaturen<br />

wie am Gardasee zur Folge hat. Aber es<br />

kann noch schlimmer kommen, wenn<br />

bestimmte Kipppunkte schneller eintreten,<br />

wenn es etwa zum Auftauen bestimmter<br />

Böden kommt. Aber es kann<br />

auch sein, dass uns eine Begrenzung auf<br />

Temperaturanstiege zwischen 1,5 und 2<br />

Grad gelingt. In der aktuellen Situation<br />

müssen wir damit rechnen, dass wir in<br />

Salzburg 2040 den Klimawandel sehr<br />

wohl spüren werden. Aber noch einmal:<br />

Es hat keinen Sinn, eine Zukunft vorauszusagen,<br />

der sich die Leute dann ergeben.<br />

Wir beschreiben, in welche Richtung<br />

der Zug fährt und welche anderen<br />

Richtungen denkbar sind.<br />

≈ Über die Hälfte der Jugendlichen in<br />

Deutschland (56 Prozent) und Österreich<br />

(55 Prozent) überlegt, selbst keine<br />

Kinder in die Welt zu setzen. Klingt<br />

nicht danach, als würde unsere Spezies<br />

mit viel Zuversicht in die Zukunft<br />

schreiten.<br />

Genau damit haben sich Nina Horaczek<br />

& Walter Ötsch neulich in einem Vortrag<br />

(»Phantasie für bessere Politik«) in unserer<br />

Bibliothek beschäftigt. Sie argumentierten,<br />

dass die Politik irgendwann<br />

in den 1980ern anfing zu glauben, der<br />

Markt als Akteur sei stärker als wir als<br />

Gesellschaft, und gegen die Globalisierung<br />

lasse sich nicht regieren, sie sei<br />

ein Naturgesetz. Das kommt einer Kapitulation<br />

vor der Zukunft gleich. Wenn<br />

das tatsächlich das zentrale Dogma<br />

der Politik heute ist, darf man sich nicht<br />

wundern, wenn junge Menschen keine<br />

Lust mehr auf Politik haben.<br />

≈ Robert Jungk hat die Demokratisierung<br />

der Zukunft propagiert. Die Zukunft<br />

sei zu wichtig, so Jungk, um sie<br />

den Interessen der (oft selbsternannten)<br />

Experten und Entscheidungsträger<br />

zu überlassen. Wie lässt sich die<br />

Zukunft demokratisieren? Durch Revolution?<br />

Partizipation?<br />

Jungk erkannte, dass die Prognose,<br />

wenn man die Experten ohne Beteiligung<br />

der Bevölkerung befragt, in der<br />

Regel danebenliegt. Nehmen wir an, Sie<br />

fragen sich nach der künftigen Entwicklung<br />

Ihrer Firma. Dann ist es sicher klug,<br />

nicht nur das Management zu befragen,<br />

sondern auch die Kollegen, die im Großhandel<br />

Telefonate abwickeln, die Kollegin<br />

in der Produktion und vielleicht sogar<br />

das Reinigungspersonal. Das ist alles<br />

Wissen, dass verschütt geht, wenn man<br />

blind einem Expertentum vertraut und<br />

nicht partizipativ denkt.<br />

Partizipative Modelle führen dazu, dass<br />

wir etwas verbessern können. Robert<br />

Jungks Modell dafür waren Zukunftswerkstätten,<br />

in denen alle gleichberech-<br />

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