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VdK-RhPfalz_JuliAug_2023

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2 Zeitung Juli/August <strong>2023</strong><br />

Politik<br />

Hohe Inflation mindert die Kaufkraft<br />

Studie: Nettoeinkommen von Arbeitnehmenden deutlich niedriger als 2021<br />

Die meisten Erwerbstätigen-Haushalte<br />

müssen trotz staat licher<br />

Entlastungsmaßnahmen Einbußen<br />

bei der Kaufkraft hinnehmen. Das<br />

Institut für Ma kro ökonomie und<br />

Konjunkturforschung (IMK) der<br />

Hans-Böckler- Stiftung hat errechnet,<br />

dass Arbeitnehmerinnen und<br />

Arbeitnehmer in Deutschland im<br />

laufenden Jahr bis zu drei Prozent<br />

Kaufkraft verlieren.<br />

Das IMK hat die Kaufkraft für<br />

13 unterschiedliche Haushaltstypen<br />

im laufenden Jahr berechnet<br />

und mit der aus dem Jahr 2021<br />

verglichen. Das Ergebnis: In vielen<br />

Haushalten mit Erwerbstätigen<br />

fallen die Nettoeinkommen<br />

<strong>2023</strong> mit zwei bis drei Prozent<br />

deutlich geringer aus als im Jahr<br />

2021 – nachdem die Haushalte<br />

bereits 2022 deutlich an Kaufkraft<br />

verloren hatten. Dabei unterscheiden<br />

sich die Auswirkungen<br />

der hohen Inflation je nach<br />

Art des Haushalts deutlich voneinander.<br />

Während das IMK für alleinlebende<br />

Facharbeiterinnen und<br />

-arbeiter in diesem Jahr eine<br />

Kaufkraftlücke von rund 746 Euro<br />

errechnete, büßt eine vierköpfige<br />

Familie mit zwei Erwerbstätigen<br />

sogar 1747 Euro an Kaufkraft<br />

ein. Eine alleinerziehende<br />

Person mit einem Kind und mittlerem<br />

Einkommen hat 980 Euro<br />

weniger.<br />

Eine Ausnahme bilden Alleinlebende,<br />

die zum Mindestlohn<br />

arbeiten. Die Anhebung auf zwölf<br />

Alleinerziehende spüren die Inflation besonders deutlich. Sie haben im<br />

Schnitt fast 980 Euro weniger.<br />

Foto: picture alliance/Zoonar/Matej Kastelic<br />

Euro habe verhindert, dass die<br />

Preisexplosion Niedriglohnbeschäftigte<br />

noch stärker trifft, so<br />

die Fachleute. Sie hätten in diesem<br />

Jahr 7,8 Prozent mehr Kaufkraft<br />

als 2021.<br />

Mehr Netto vom Brutto<br />

Die Studie kommt zu dem Ergebnis,<br />

dass die Verluste insgesamt<br />

ohne die Entlastungsprogramme<br />

der Bundesregierung<br />

noch weitaus höher ausgefallen<br />

wären. Fast alle untersuchten<br />

Haushaltstypen hätten im Jahr<br />

<strong>2023</strong> bei ihren Einkommen mehr<br />

Netto vom Brutto übrig als vor<br />

dem Inflationsschub 2021. Die<br />

staatlichen Entlastungen bei Steuertarif<br />

und Sozialabgaben glichen<br />

die kalte Progression mehr als<br />

aus, so die Analysen. Eine weitere<br />

Erkenntnis: Haushalte mit niedrigeren<br />

Einkommen müssen aktuell<br />

eine höhere Inflationsrate schultern<br />

als Spitzenverdienende, weil<br />

die Preistreiber Energie und Nahrungsmittel<br />

in ihren Warenkörben<br />

besonders ins Gewicht fallen.<br />

Stabilisierend auf die Kaufkraft<br />

könnten laut Studie die sogenannten<br />

Inflationsausgleichsprämien<br />

wirken. Arbeitgeberinnen und<br />

Arbeitgeber können bis zum Jahr<br />

2024 bis zu 3000 Euro steuer- und<br />

abgabefrei an ihre Belegschaft<br />

auszahlen. Bei einer Prämie von<br />

1500 Euro bliebe bei alleinlebenden<br />

Facharbeitenden somit nur<br />

noch ein Kaufkraftverlust von<br />

67 Euro übrig. Jörg Ciszewski<br />

KOMMENTAR<br />

Recht auf Tagespflege<br />

Verena Bentele<br />

<strong>VdK</strong>-Präsidentin<br />

Wenn es um Pflege in Deutschland<br />

geht, wollen viele mitreden.<br />

Doch es lohnt sich, genau hinzuhören,<br />

wer wofür die Trommel<br />

schlägt. Thomas Greiner ist Präsident<br />

des Arbeitgeberverbands<br />

Pflege. Er fordert von der Politik<br />

einen „Rechtsanspruch auf einen<br />

Pflegeheimplatz“. Klingt doch<br />

gut, denken viele.<br />

Abgesehen davon, dass Pflegeheimbetreiber<br />

sich auf diese<br />

Weise eine solide staatliche Finanzierung<br />

sichern würden,<br />

spricht etwas noch Entscheidenderes<br />

dagegen. Denn der allergrößte<br />

Teil der Pflegebedürftigen<br />

will gar keinen Pflegeheimplatz,<br />

sondern in der gewohnten<br />

Umgebung leben und dort gut<br />

versorgt werden. Am besten mit<br />

einem Mix aus Angehörigenpflege,<br />

Unterstützung durch einen<br />

ambulanten Dienst und mit Entlastungsangeboten<br />

wie Kurzzeit-,<br />

Tages- oder Nachtpflege.<br />

Die Wahrheit ist, dass der Ausbau<br />

dieser Angebote trotz politischer<br />

Beteuerungen kaum vorangeht<br />

und immer noch viel zu viel<br />

auf den pflegenden Angehörigen<br />

lastet. Deshalb fordert der<br />

Sozialverband <strong>VdK</strong> ebenfalls<br />

einen Rechtsanspruch für jeden<br />

Pflegebedürftigen, nämlich den<br />

auf einen Tagespflegeplatz.<br />

Dies würde auch die oftmals<br />

große Isolation der Pflegebedürftigen<br />

und ihrer Angehörigen<br />

zu Hause beenden. In der Tagespflege<br />

erleben pflegebedürftige<br />

Menschen andere soziale<br />

Beziehungen, bekommen<br />

Anregungen und sind fachlich<br />

gut versorgt. Angehörige können<br />

Pflege und Beruf vereinbaren<br />

und so der eigenen Armut vorbeugen<br />

oder ein paar Stunden<br />

einfach verschnaufen.<br />

Fakt ist: Ohne den Ausbau von<br />

finanzierbaren Entlastungsangeboten<br />

werden immer weniger<br />

Menschen die Nächstenpflege<br />

übernehmen. Den Ausweg in<br />

mehr Pflegeheimen zu suchen,<br />

wäre für alle teurer und absolut<br />

kontraproduktiv. Vom Rechtsanspruch<br />

auf einen Kitaplatz, auf<br />

den Thomas Greiner vermutlich<br />

anspielt, werden ja auch keine<br />

Kinderheime finanziert.<br />

Es ist ganz einfach: Familien wollen<br />

mit ihren Liebsten zusammenleben<br />

und dabei alle Bedürfnisse<br />

unter einen Hut bringen. Ein forcierter<br />

Ausbau der Tagespflege<br />

bietet Familien und der Gesellschaft<br />

genau diese Chance.<br />

Der <strong>VdK</strong> trauert um<br />

Annerose Hintzke<br />

Nach langer Krankheit verstarb<br />

Annerose Hintzke am 20. Mai <strong>2023</strong><br />

im Alter von 69 Jahren – ein großer<br />

Verlust für den Sozialverband <strong>VdK</strong><br />

Deutschland.<br />

Seit dem Jahr 2002 war sie für<br />

den <strong>VdK</strong> tätig, erst im <strong>VdK</strong>-eigenen<br />

Institut für barrierefreie Gestaltung<br />

und Mobilität (IbGM) in<br />

Mainz und schließlich seit 2018 als<br />

Fachreferentin für Barrierefreiheit<br />

in der <strong>VdK</strong>-Bundesgeschäftsstelle<br />

in Berlin. Trotz Renteneintritt arbeitete<br />

sie bis zum Sommer 2022<br />

weiter für den Bundesverband.<br />

Sie hat in unzähligen Gremien<br />

und Projekten mitgewirkt, etwa in<br />

der programmbegleitenden Arbeitsgruppe<br />

bei der Deutschen Bahn AG<br />

oder im Projektbeirat von „Reisen<br />

für Alle“ beim Deutschen Seminar<br />

für Tourismus. Bis zum Jahr 2022<br />

leitete sie die Arbeitsgruppe „Barrierefreie<br />

Umweltgestaltung“ der<br />

Bundesarbeitsgemeinschaft für<br />

Rehabilitation (BAR).<br />

„Annerose Hintzke war eine<br />

Expertin mit Herz und einem immensen<br />

Fachwissen, die sich unermüdlich<br />

dafür eingesetzt hat,<br />

Barrieren einzureißen. Kritisch<br />

und konstruktiv kämpfte sie dafür,<br />

Menschen mit Behinderung die<br />

gleichberechtigte Teilhabe am Leben<br />

zu ermöglichen“, sagt <strong>VdK</strong>-<br />

Präsidentin Verena Bentele. „Im<br />

<strong>VdK</strong> war sie als Kämpfernatur bekannt,<br />

als Steh-auf-Frau voller<br />

Optimismus. Ihre freundliche, direkte<br />

und warmherzige Art wird<br />

uns allen fehlen.“<br />

ken<br />

Neue Regelungen beim Bürgergeld<br />

Abkehr vom Vermittlungsvorrang<br />

Beim Bürgergeld treten ab dem<br />

1. Juli neue Regelungen zur Stärkung<br />

der Qualifikation und der<br />

Weiterbildung in Kraft.<br />

Wenn Bürgergeld-Bezieherinnen<br />

und -Bezieher eine Weiterbildung<br />

oder Ausbildung erfolgreich abschließen,<br />

gibt es dauerhaft ab<br />

Juli eine Weiterbildungsprämie.<br />

Dazu wird ein monatliches Weiterbildungsgeld<br />

in Höhe von<br />

150 Euro ausgezahlt.<br />

Beim Nachholen eines Berufsabschlusses<br />

können die Ausbildungen<br />

drei Jahre und nicht mehr nur<br />

zwei Jahre lang gefördert werden.<br />

Den Auszubildenden wird damit<br />

mehr Zeit für das Lernen eingeräumt.<br />

Dazu werden die Inhalte<br />

der Berufsausbildung nicht mehr<br />

verkürzt gelehrt.<br />

Mehr Qualifikation<br />

Der Sozialverband <strong>VdK</strong> begrüßt<br />

die Stärkung von Weiterbildungsund<br />

Qualifizierungsmaßnahmen<br />

sowie die damit verbundene Abkehr<br />

vom Vermittlungsvorrang.<br />

„Studien hatten uns immer bestätigt,<br />

dass vor allem eine fundierte<br />

Qualifizierung langfristig vor Arbeitslosigkeit<br />

schützt. Gut, dass die<br />

neuen Regelungen im Bürgergeld<br />

dem endlich gerecht werden“, sagt<br />

<strong>VdK</strong>-Präsidentin Verena Bentele.<br />

Auch den neuen Kooperationsplan,<br />

der stärker auf die individuellen<br />

Fähigkeiten und die persönliche<br />

Lebenssituation der Betroffenen<br />

eingeht, wertet der <strong>VdK</strong> als<br />

einen guten Ansatz für erfolgreichere<br />

Arbeitsvermittlungen.<br />

Höhere Freibeträge<br />

Ebenfalls positiv bewertet der<br />

<strong>VdK</strong>, dass mehr Wert auf Berufs-Coaching<br />

und eine engere<br />

Betreuung durch die Arbeitsvermittlerinnen<br />

und -vermittler gelegt<br />

wird. Diese Maßnahmen können<br />

nur erfolgreich umgesetzt werden,<br />

wenn die Jobcenter ausreichend<br />

Personal und finanzielle Mittel zur<br />

Verfügung haben. Allerdings wurden<br />

zuletzt die Mittel für die Behörden<br />

gekürzt. Der <strong>VdK</strong> fordert<br />

daher, nicht an Geld und Personal<br />

für die Jobcenter zu sparen.<br />

Weitere Verbesserungen gibt es<br />

bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung.<br />

Erbschaften<br />

zählen nicht als Einkommen, sondern<br />

als Vermögen, bei dem ein<br />

Freibetrag von bis 15 000 Euro gilt.<br />

Mutterschaftsgeld wird nicht mehr<br />

als Einkommen angerechnet. Beim<br />

Hinzuverdienst werden die Freibeträge<br />

für Einkommen zwischen<br />

520 und 1000 Euro erhöht. Damit<br />

können Betroffene bis zu 48 Euro<br />

mehr im Monat vom Hinzuverdienst<br />

behalten.<br />

Wenn eine medizinische<br />

Reha-Maßnahme gemacht wird,<br />

müssen Bezieherinnen und Bezieher<br />

kein Übergangsgeld mehr beantragen.<br />

Durch eine Entbürokratisierung<br />

wird das Bürgergeld automatisch<br />

weitergezahlt. juf<br />

Erfolgreiche Tagung<br />

150 <strong>VdK</strong>-Rechtsberater zu Gast in Berlin<br />

Der Sozialverband <strong>VdK</strong> wäre ohne<br />

seine versierten Rechtsexpertinnen<br />

und -experten nicht so erfolgreich.<br />

Anfang Juni trafen sich die<br />

Fachleute aus den Landesverbänden<br />

für zwei Tage in Berlin.<br />

<strong>VdK</strong>-Präsidentin Verena Bentele<br />

startete die Fachveranstaltung und<br />

unterstrich, wie wichtig der Austausch<br />

der Beteiligten ist. Lobend<br />

äußerte sie sich über das Fachwissen<br />

der Rechtsberaterinnen und<br />

-berater: „Ihr guter Rat wird bei<br />

unseren Mitgliedern sehr geschätzt<br />

und hat einen großen Anteil an<br />

unserem Erfolg“.<br />

Im Eröffnungsvortrag, der aktuelle<br />

Gesetzesvorhaben des Bundesministeriums<br />

für Arbeit und<br />

Soziales (BMAS) beschrieb, bezeichnete<br />

Staatssekretär Dr. Rolf<br />

Schmachtenberg den <strong>VdK</strong> als<br />

„wichtige Stimme, die im Ministerium<br />

gehört wird“. Zwei Tage diskutierten<br />

die <strong>VdK</strong>-Rechtsberaterinnen<br />

und -berater mit Richtern<br />

des Bundessozialgerichts, der<br />

Landessozialgerichte und Amtsleitern<br />

zu Themen, wie dem Bürgergeld,<br />

dem neu geregelten sozialen<br />

Entschädigungsrecht sowie dem<br />

Umgang mit Post-Covid bei den<br />

Berufsgenossenschaften. Aber<br />

auch mit der schwierigen Begutachtung<br />

der steigenden Zahl von<br />

psychischen Erkrankungen im<br />

sozialgerichtlichen Verfahren wurde<br />

sich intensiv befasst.<br />

Der letzte Vortrag widmete sich<br />

der Digitalisierung an den Gerichten.<br />

Er befasste sich mit der Frage,<br />

wie unsere Justiz moderner und<br />

zukunftsfähig werden kann. ck<br />

Dr. Rolf Schmachtenberg (links) hielt den Eröffnungsvortrag in Anwesenheit<br />

von Verena Bentele, der stellvertretenden <strong>VdK</strong>-Geschäftsführerin<br />

Claudia Mitzschke und Holger Lange von der <strong>VdK</strong>-Bundesrechtsabteilung.<br />

Foto: Claudia Kepp/<strong>VdK</strong>

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