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Ramuz_SturzInDieSonne_Leseprobe

Am Anfang steht eine wissenschaftliche Entdeckung: Wegen eines Unfalls im Gravitationssystem stürzt die Erde in die Son­ne zurück. «Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben», schreibt C. F. Ramuz lakonisch dazu. Die Men­schen am Ufer des Genfersees wollen das erst nicht glauben und erfreuen sich am schönen Wetter. Aber dann wird klar, dass es vor der Hitze kein Entkommen gibt, die Freude schlägt um in Angst, als die Bäume verdorren, die Gletscher schmelzen und die soziale Ordnung zu zerfallen beginnt. 1922, als der Roman erstmals erschien, wusste C. F. Ramuz noch nichts von der Bedrohung der globalen Erwärmung, der wir heute gegenüberstehen. Doch das düstere Bild, das er in diesem visionären Text in seiner einzigartig verdichteten Sprache zeichnet, liest sich wie eine Prophezeiung.

Am Anfang steht eine wissenschaftliche Entdeckung: Wegen eines Unfalls im Gravitationssystem stürzt die Erde in die Son­ne zurück. «Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben», schreibt C. F. Ramuz lakonisch dazu.

Die Men­schen am Ufer des Genfersees wollen das erst nicht glauben und erfreuen sich am schönen Wetter. Aber dann wird klar, dass es vor der Hitze kein Entkommen gibt, die Freude schlägt um in Angst, als die Bäume verdorren, die Gletscher schmelzen und die soziale Ordnung zu zerfallen beginnt.

1922, als der Roman erstmals erschien, wusste C. F. Ramuz noch nichts von der Bedrohung der globalen Erwärmung, der wir heute gegenüberstehen. Doch das düstere Bild, das er in diesem visionären Text in seiner einzigartig verdichteten Sprache zeichnet, liest sich wie eine Prophezeiung.

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Leitungen fällt ab: Anstatt des großen Schirms, der<br />

sich vor einem öffnete, gab es rund um den Schaft nur<br />

noch einen kleinen Kreis aus feinem weißem Staub.<br />

Es wird jeden Tag ein bisschen weniger; bald nichts<br />

mehr! Immer weniger; «also», hat Guignet gesagt (der<br />

seine Pfeife endlich angezündet hat, in deren Holm<br />

er bläst, weil sie nicht gut zieht), «also, wenn man nicht<br />

mehr gießen kann!»<br />

Ich schaue mir indessen wieder diesen schönen<br />

Himmel an, in dem die eingerollten Blätter eines Flieders<br />

hängen.<br />

Unser Savoyen, so sanft und schön, schiebt sich<br />

scharf nach vorne; seit mehreren Wochen sieht man<br />

es ganz nah, wie wenn das Wetter schlecht wird; aber<br />

das Wetter wird nie wieder schlecht.<br />

Neulich in der Nacht fingen gegen zwei Uhr morgens<br />

die Läden zu schlagen an, die Fenster klapperten,<br />

die Türen rüttelten, die Ziegel flogen von den<br />

Dächern.<br />

Ein starker, heißer Wind stieß durch die Fenster,<br />

die man Tag und Nacht offenstehen ließ. Ein starker,<br />

heißer Wind stürzte, von Süden kommend, mit seinem<br />

ganzen Gewicht von den Höhen der gegenüberliegenden<br />

Berge auf uns herab. Ich bin nachsehen<br />

gegangen. Von Wolken keine Spur. Nur diese derart<br />

großen Sterne, derart weiß, dass sie den Himmel ganz<br />

schwarz machten. Sterne wie Papierlaternen. Bei diesem<br />

Wind wurde einem noch heißer, obwohl er so<br />

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