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Ramuz_SturzInDieSonne_Leseprobe

Am Anfang steht eine wissenschaftliche Entdeckung: Wegen eines Unfalls im Gravitationssystem stürzt die Erde in die Son­ne zurück. «Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben», schreibt C. F. Ramuz lakonisch dazu. Die Men­schen am Ufer des Genfersees wollen das erst nicht glauben und erfreuen sich am schönen Wetter. Aber dann wird klar, dass es vor der Hitze kein Entkommen gibt, die Freude schlägt um in Angst, als die Bäume verdorren, die Gletscher schmelzen und die soziale Ordnung zu zerfallen beginnt. 1922, als der Roman erstmals erschien, wusste C. F. Ramuz noch nichts von der Bedrohung der globalen Erwärmung, der wir heute gegenüberstehen. Doch das düstere Bild, das er in diesem visionären Text in seiner einzigartig verdichteten Sprache zeichnet, liest sich wie eine Prophezeiung.

Am Anfang steht eine wissenschaftliche Entdeckung: Wegen eines Unfalls im Gravitationssystem stürzt die Erde in die Son­ne zurück. «Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben», schreibt C. F. Ramuz lakonisch dazu.

Die Men­schen am Ufer des Genfersees wollen das erst nicht glauben und erfreuen sich am schönen Wetter. Aber dann wird klar, dass es vor der Hitze kein Entkommen gibt, die Freude schlägt um in Angst, als die Bäume verdorren, die Gletscher schmelzen und die soziale Ordnung zu zerfallen beginnt.

1922, als der Roman erstmals erschien, wusste C. F. Ramuz noch nichts von der Bedrohung der globalen Erwärmung, der wir heute gegenüberstehen. Doch das düstere Bild, das er in diesem visionären Text in seiner einzigartig verdichteten Sprache zeichnet, liest sich wie eine Prophezeiung.

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Kurbel holt man es von Zeit zu Zeit herunter zum<br />

Putzen oder für eine Reparatur. Es gibt da oben erst<br />

ein Knistern von sich, so als wäre ein Nachtfalter in<br />

der Glaskugel gefangen, zerstreut sich dann rings um<br />

sich selber als feiner, violetter Staub. Das Licht sieht<br />

aus wie der echte Mond, bevor das schlechte Wetter<br />

kommt. Und dann sucht man den echten Mond, und<br />

nach einer Weile, da, hat man ihn gefunden, dort hinter<br />

den Dächern, hinter den Kastanienbäumen, noch<br />

ganz tief am Himmel und nicht kleiner als der andere,<br />

aber bleich, so bleich und reglos, wie zur Zier mit<br />

dem Pinsel an den Himmel gemalt.<br />

Auch in den Wohnungen schalten sie die Lampen<br />

ein. In den Fassaden der Häuser entstehen, nicht weit<br />

über dem Boden, weiße oder gelbe Rechtecke. Die Häuser<br />

sieht man nicht mehr. Nichts als ein kleiner Hinweis,<br />

wo man ist und wo man sich befindet; ein Licht,<br />

das einem sagt, dass da jemand ist, meist auf halber<br />

Höhe, schwebend, übereinander; und man sieht, dass<br />

sich die Menschen übereinander zum Schlafen hinlegen,<br />

man sieht, dass sie sich einnisten wie Vögel.<br />

Die Geräusche legen sich; man bringt die Kinder ins<br />

Bett, man isst. Was denkt man? Denn jetzt kommt<br />

die Zeit, da man wieder zu denken anfangen kann.<br />

Aber die Dinge, an die sie denken (wenn sie denn<br />

daran denken), sind Dinge, die man nicht sieht. In<br />

der Ferne rollt die Straßenbahn durch die Nacht; im<br />

Hafen ist das Horn des letzten Schiffes ertönt.<br />

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