mensch 98 2 |<strong>2023</strong>
mensch Zu trocken, zu viele Paragrafen, zu viel Auswendiglernen: Während ihrer Schulzeit auf dem Gymnasium in Osterode fand Angela Schwerdtfeger das Fach Jura wenig attraktiv. Dabei war sie familiär ,vorbelastet‘. Ihr Onkel Gunther Schwerdtfeger war Jura-Professor in Hannover und Verfasser eines ,Klassikers‘ für angehende Juristen. Als bei einer Familienfeier erwähnt wurde, dass die Abi-Zeitung ihres Bruders zensiert werden sollte, erläuterte der Onkel, dass dies rechtswidrig wäre – Zensur ist hierzulande verboten. „Anhand dieses Beispiels hat er mir verdeutlicht, dass Jura überall im Alltag eine Rolle spielt“, erzählt Schwerdtfeger. Später besuchte sie probeweise an der Universität Göttingen einige Vorlesungen in Psychologie und Rechtswissenschaft – und fand Jura viel spannender: „Das war klar strukturiert, das machte alles Sinn.“ Damit war die Entscheidung gefallen, und diese hat sie bis heute nicht bereut: „Ich möchte nichts anderes machen.“ Ihr Studium absolvierte sie in Trier. „Ich wollte nach dem Abitur erstmal weit weg“, erzählt sie. Außerdem war Trier eine der wenigen Unis in Deutschland, an denen man eine fachspezifische Fremdsprachenausbildung unter anderem in angloamerikanischem Recht absolvieren konnte. Schwerdtfeger war nicht nur vom Studienangebot, sondern auch von der Stadt und der Landschaft begeistert: „Ich habe mich sofort in Trier verliebt“, sagt sie schwärmend. Während eines Auslandssemesters an der Universität Lyon verschaffte sie sich nähere Einblicke in die französische Rechtsordnung. Die Juristin findet es wichtig, über den Tellerrand zu schauen: „Ein Perspektivwechsel hilft, einen anderen Blick auf das eigene Rechtssystem zu bekommen und größere Zusammenhänge zu erkennen.“ » Alles, nur nicht Jura.« NACH DEM ERSTEN JURISTISCHEN STAATSEXAMEN arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Trierer Uni. Für ihre Doktorarbeit wählte sie ein Thema, das Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht verbindet. „Mich interessieren die Schnittstellen zwischen verschiedenen Rechtsebenen“, erklärt Schwerdtfeger. Nachdem sie ihre Promotion, das Referendariat und das Zweite Staatsexamen erfolgreich abgeschlossen hatte und 2017 an der Humboldt-Universität habilitiert worden war, stand sie 2019 vor einer schweren Entscheidung: Erst erhielt sie einen Ruf an die Georgia Augusta, kurz darauf einen Ruf an die Universität Trier. Am Ende entschied sie sich für Göttingen. „Die juristische Fakultät hat einen sehr guten Ruf“, sagt sie. Daneben gab es auch einen privaten Grund: Ihr Lebenspartner Thomas Kleinlein war ein Jahr zuvor auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht, Europarecht und Rechtsvergleichung an der Universität Jena berufen worden – und Göttingen liegt deutlich näher an Jena. Seit März 2020 ist Angela Schwerdtfeger als Professorin für Öffentliches Recht insbesondere Verwaltungsrecht an der Universität Göttingen tätig. Dass sie jetzt an der Georgia Augusta forschen und lehren darf, empfindet sie als großes Glück. Auch ihr Mann arbeitet inzwischen in Göttingen und forscht zusätzlich zu seiner Professur in Jena als Gastwissenschaftler am Institut für Völkerrecht und Europarecht, das in der 13. Etage des ,Blauen Turms‘ angesiedelt ist. Angela Schwerdtfegers Büro befindet sich weiter unten im zweiten Stock. „Er hat den besseren Ausblick“, erzählt sie lachend. Der Standort passt indes zu ihrem Selbstverständnis: Angela Schwerdtfeger will keine Forschung im Elfenbeinturm betreiben, sondern ihre juristische Expertise auch in die Zivilgesellschaft einbringen, um gemeinsam mit anderen Disziplinen und Akteuren aktuelle Probleme zu beleuchten und Lösungsansätze zu entwickeln – zum Beispiel zu den Themen Klima- und Umweltschutz. „Ich fand Umweltrecht schon immer spannend“, sagt die Juristin. Das hat auch mit ihrem Vater, dem kürzlich verstorbenen Tierforscher Ortwin Schwerdtfeger, zu tun. Dieser hatte bei seinem Langzeitprojekt zur Erforschung des Rauhfußkauzes häufig seine Tochter mit in den Harz genommen: „Ich war als Kind viel im Wald, das hat mich geprägt.“ 2 |<strong>2023</strong> 99