faktor Sommer 2023
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
leben<br />
Und: Kunst ist ein Spiegel des Lebens. Oder – wie Eriksen<br />
es nennt – „Selbstähnlichkeit“. Indem er ungewöhnliche<br />
Dinge in seinen Kunstwerken ungewohnt zusammenbringt,<br />
kann er eine Tür in eine neue Welt öffnen,<br />
durch die jeder auf seine Weise treten kann.<br />
„KÜNSTLER ENTWICKELN OFTMALS FRAGEN, die sonst<br />
keiner stellt. Sie entwickeln eine Perspektive, um es anders<br />
zu sehen“, sagt der Wahl-Göttinger. Und so ist auch<br />
das Buch der Zukunft ein Projekt, um stehen zu bleiben,<br />
Fragen zu stellen und sich selbst Antworten zu geben.<br />
Denn nicht nur Eriksen selbst gestaltet den Stein. Jeder,<br />
der Lust hat, seinen Anteil am Buch der Zukunft zu haben,<br />
kann ein Rundeisen und den Knüppel, ein typisches<br />
Bildhauerwerkzeug, in die Hand nehmen und sich in<br />
dem Stein verewigen. Allerdings wird dies beim ersten<br />
Mal nicht so rhythmisch gelingen, wie es dem Bildhauer<br />
von der Hand geht.<br />
Neben der aktiven Arbeit am Stein können Interessierte<br />
die Arbeit des Künstlers mit einer Patenschaft und<br />
Spende unterstützen oder ein Lesezeichen erwerben.<br />
Dieses Lesezeichen ist ein langes Stoffband, auf dem<br />
Eriksen den ganz persönlichen Wunsch für die Zukunft<br />
schreibt. „Es ist interessant, dass sich die Menschen eine<br />
friedliche, empathische, liebevolle oder loyale Zukunft<br />
wünschen – aber niemand Reichtum. Darüber sollte unsere<br />
Regierung mal nachdenken“, so der Bildhauer. Einen<br />
Teil des Geldes, das der Künstler einnimmt, wird er<br />
an das Kinder- und Jugendhospiz in Göttingen spenden.<br />
An junge Menschen, denen nur eine kurze Zukunft<br />
bleibt. „Denn eine schöne Zeit ist immer auch eine zeitlose<br />
Zeit“, sagt er.<br />
ER IST NICHT EINER JENER KÜNSTLER, die zurückgezogen<br />
in ihrem Atelier arbeiten. Eriksen sucht das Gespräch<br />
und möchte den Menschen die Schwellenangst<br />
nehmen. Auch aus diesem Grund ist das Buch der Zukunft<br />
nicht allein sein Projekt – es ist, so wie die Zukunft<br />
auch, ein Gemeinschaftsprojekt. Jeder Einzelne gestaltet<br />
bewusst oder unbewusst durch sein tägliches Tun die<br />
Zukunft mit. Ein kurzes Gedankenexperiment: Ein<br />
Mensch allein schafft es nicht, die 3,5 Tonnen vom Fleck<br />
zu bewegen. „Wenn es hingegen gelänge, 500 Menschen<br />
mit einer Hand an den Stein zu lassen, dann könnten alle<br />
zusammen diesen Stein bewegen“, sagt Eriksen. Daher<br />
kann sein abschließender Satz im Interview gar kein besserer<br />
Schluss sein: „Wir sind soziale Wesen und streben<br />
danach, viele Dinge gemeinsam zu tun. Und es wäre<br />
schön, wenn wir darauf achten, dass wir gute Dinge<br />
tun.“ ƒ<br />
Die Läuferin<br />
Im <strong>Sommer</strong> 2007 begann der<br />
Bildhauer die Arbeit an der Skulptur<br />
Die Läuferin am Göttinger Stadtwall.<br />
Ebenso wie das Buch der Zukunft<br />
war dies ein Gemeinschaftsprojekt<br />
mit den Menschen der Stadt.<br />
Eriksen hat dafür den Stadtwall vermessen<br />
und symbolisch Meter für<br />
Meter verkauft, um das Projekt zu<br />
finanzieren und mit den Menschen<br />
ins Gespräch zu kommen.<br />
Er wählte Die Läuferin,<br />
„um das weibliche Prinzip für das<br />
Gelingen langer Läufe in den Vordergrund<br />
zu stellen“.<br />
158 2 |<strong>2023</strong>