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SWE Magazin Ausgabe 02_2023 Sommer

Das Magazin der Stadtwerke Erfurt für Kunden und Erfurter mit vielen Geschichten aus und über Erfurt, Informationen zu den Produkten und Dienstleistungen der Stadtwerke, Porträts, Erfurttipps

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Der Maler Friedrich Nerly und<br />

das Angermuseum Erfurt<br />

Das umfangreiche Bestandserforschungsprojekt<br />

zu Friedrich Nerly<br />

mündet 2<strong>02</strong>4 in eine große Ausstellung.<br />

Im Bild links der Erfurter Beigeordnete<br />

für Kultur und Stadtentwicklung<br />

Dr. Tobias J. Knoblich, Autor unseres<br />

Beitrages, und Prof. Dr. Kai Uwe Schierz<br />

Direktor der Erfurter Kunstmuseen<br />

Von Tobias J. Knoblich (Text)<br />

und Dirk Urban (Fotos)<br />

Warum heißt das Angermuseum Angermuseum?<br />

Offenbar, weil es am<br />

Erfurter Anger liegt – und im imposantesten<br />

und schönsten Haus am<br />

Platz eingerichtet wurde. Ich werde<br />

die Frage am Ende noch einmal aufgreifen und anders beantworten,<br />

aber zunächst zum Gebäude und zur Museumsgeschichte.<br />

Als ehemaliger kurmainzischer Waage- und<br />

Packhof hatte dieser barocke Bau nach Entwürfen von Maximilian<br />

von Welsch ursprünglich andere Aufgaben, als ein<br />

Museum zu beherbergen. Er steht für die Wiederbelebung<br />

des Handels in der Stadt, nachdem im späten 17. Jahrhundert<br />

über die Hälfte der Bevölkerung an der Pest gestorben<br />

war. Der Kurmainzische<br />

Statthalter Philipp<br />

Wilhelm von Boineburg<br />

ließ das Haus errichten;<br />

mit seiner Inbetriebnahme<br />

ab 1712 mussten alle Waren,<br />

die nach Erfurt geliefert<br />

wurden, hier ausgelagert<br />

und verzollt werden.<br />

Mit „Ausstellung“ hatte<br />

das im weitesten Sinne<br />

auch zu tun, allerdings<br />

nicht im musealen.<br />

Die Kunst zog erst im<br />

späten 19. Jahrhundert in<br />

das Gebäude ein, sie war<br />

der Ausgangspunkt seiner<br />

musealen Nutzung. Genau<br />

genommen war es der Erfurter Maler Christian Friedrich<br />

Nehrlich, dessen Nachlass den Grundstock für das heutige<br />

Angermuseum bildete. Nehrlich, der sich später Nerly nannte,<br />

wurde 1807 in Erfurt geboren und ließ sich in Venedig<br />

nieder. Italien hatte es ihm frühzeitig angetan. Als Landschaftsmaler<br />

mit ökonomischem Sinn war er ausgesprochen<br />

erfolgreich, seine Arbeiten verkauften sich bis nach Indien,<br />

Amerika oder Russland. Zwar hat sich unser Bild Italiens inzwischen<br />

genauso verändert wie die italienischen Städte und<br />

Landschaften selbst, doch bleibt die Reise über die Alpen<br />

und ins mediterrane Klima noch immer eine große Sehnsucht<br />

der Deutschen. In den historischen, stimmungsvollen,<br />

oft dämmrigen Gemälden Nerlys trifft sich der Zauber jener<br />

wiedererkennbaren Städte und Landschaften mit einem<br />

Hauch Verklärung und Romantik. Nerly eroberte sein Italien<br />

unter freiem Himmel malend. Mit dem touristisch glatten<br />

Italien unserer Zeit hat seine Erfahrung allerdings nichts zu<br />

tun. Seine Uhr lief nicht nur langsamer, im leider oft klischeehaften<br />

Italien gab es zudem durchaus viel Armut, Krankheit<br />

und Verfall, sodass wir uns der stimmungsvollen Konstruktion<br />

des künstlerischen Zugangs immer wieder klar werden<br />

müssen.<br />

1878 starb Nerly in Venedig. Sein Grab und das seiner Frau<br />

kann man heute auf der Friedhofsinsel San Michele im restaurierten<br />

Zustand besichtigen – vor allem dank des Fördervereins<br />

„Freunde des Angermuseums“. Sein Nachlass mit<br />

rund 800 Arbeiten auf Papier, Dutzenden Gemälden und Ölstudien<br />

ist bis heute die größte und bedeutendste Kunstsammlung,<br />

über die das Angermuseum verfügt. Wichtige<br />

Gemälde sind in der Dauerausstellung des Museums zu besichtigen,<br />

doch ist die Erforschung<br />

Nerlys bei Weitem<br />

nicht so weit fortgeschritten,<br />

wie man dies ob seiner<br />

Bedeutung erwarten würde.<br />

Das Angermuseum<br />

durchlief eine wechselvolle<br />

Geschichte und entwickelte<br />

sich in Abhängigkeit<br />

von den gesellschaftlichen<br />

Umständen und nach Maßgabe<br />

seiner Direktoren. So<br />

vereitelten etwa die Nationalsozialisten<br />

die Entfaltung<br />

der von Edwin Redslob angefangenen<br />

Sammlung der<br />

Klassischen Moderne (etwa<br />

Heckel, Schmidt-Rottluff,<br />

Pechstein, Kirchner, Feininger und Kandinsky), indem sie die<br />

Werke als „entartete Kunst“ diffamierten und beschlagnahmten.<br />

Während 40 Jahren DDR war weder dies zu reparieren<br />

noch bestand besonderes kulturpolitisches Interesse an Nerly<br />

und seiner Zeit. Dafür fanden Werke von Künstlern aus der<br />

DDR und Ostdeutschland ins Museum und etablierten einen<br />

neuen Erzählstrang – allerdings nahezu abgetrennt von<br />

der Weltkunstentwicklung. Es bleibt eine wichtige Aufgabe,<br />

das Angermuseum weiter zu profilieren und seine Identität<br />

zu fördern.<br />

Nerly entdecken wir heute wieder und führen – angeregt<br />

durch die Münchener Kunsthistorikerin Dr. Claudia Denk –<br />

das umfangreichste und aufwendigste Forschungsprojekt<br />

seit Gründung des Museums durch. Wir widmen uns Ner-<br />

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