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SWE Magazin Ausgabe 02_2023 Sommer

Das Magazin der Stadtwerke Erfurt für Kunden und Erfurter mit vielen Geschichten aus und über Erfurt, Informationen zu den Produkten und Dienstleistungen der Stadtwerke, Porträts, Erfurttipps

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Drei Zellen im<br />

Landtagskeller<br />

Das heutige Landtagsgebäude beherbergte<br />

zwischen 1936 und 1945 auch die Gestapo.<br />

Eine Haftzelle (kl. Foto) im Untergeschoss<br />

erinnert noch heute an diese dunkle Zeit<br />

Weiß getünchte<br />

Betonwände, Stahltüren mit<br />

einfachem Kastenschloss und<br />

klassische Metallgitter:<br />

Im Keller des heutigen Abgeordneten-<br />

und Fraktionsgebäudes im<br />

Thüringer Landtag befindet<br />

sich noch immer eine von ehemals<br />

drei Arrestzellen aus der<br />

Erbauungszeit des Gebäudes<br />

zwischen 1936 und 1939<br />

Matthias Thüsing (Text) Thüringer Landtag (Fotos)<br />

Einkerkerungen musste zwar hier zu Landtagszeiten<br />

niemand fürchten – sieht man einmal ab von den Portraits<br />

der CDU-Fraktionsführungen in den 1990erund<br />

2000er-Jahren. Denn nach der politischen<br />

Wende von 1989 dienten die Zellen als Lagerräume. Die<br />

Unionsfraktion hatte hier lange Jahre ihre Werbe- und Informationsmaterialien<br />

untergestellt. „Zu dieser Zeit war<br />

die Geschichte des Ortes noch nicht so richtig im Bewusstsein<br />

des Hauses angekommen“, sagte Georg Lamers. Er<br />

hatte sich ab 2010 innerhalb der Landtagsverwaltung sehr<br />

dafür eingesetzt, dass wenigstens einer der Hafträume im<br />

Untergeschoss als Gedenkort eingerichtet wird.<br />

Denn tief hier unten im Keller wird die dunkle Seite des Behördenbaus<br />

offensichtlich. Mit Fertigstellung des Hauses war<br />

hier an der heutigen Arnstädter Straße die Geheime Staatspolizei<br />

(Gestapo) im preußischen Regierungsbezirk Erfurt<br />

eingezogen. Sie nutzte Erdgeschoss und 1. Stock im Südflügel<br />

des Gebäudes – und tief im Untergeschoss die Haftzellen.<br />

Vom <strong>Sommer</strong> 1939 an hatten in diesen Zellen für ungezählte<br />

NS-Opfer zum Teil monate- oder jahrelange Leidenswege<br />

ihren Ausgangspunkt. Von hier aus überstellte<br />

die Gestapo die Beschuldigten in Konzentrationslager oder<br />

Haftanstalten. In den oberen Stockwerken wurde verhört,<br />

im Keller warteten die Häftlinge darauf, wie es für sie weiterging.<br />

Dabei blieben die Zellen Zeit ihres Bestehens seltsam<br />

provisorisch. Eingebaut in Luftschutzräume unter dem<br />

Behördenkomplex sollten sie anfangs nur die Zeit überbrücken,<br />

bis die Gestapo in eine größere Zentrale umzieht. Doch<br />

dazu kam es nicht, nachdem der Thüringer Gauleiter Fritz<br />

Sauckel das bis dahin preußische Erfurt de facto in seinen<br />

Machtbereich eingliedern konnte und die Gestapozentrale<br />

in Erfurt 1941 nur noch Außenstelle der thüringischen Zentrale<br />

in Weimar war.<br />

Dieser frühe Umzug erklärt auch, warum Erfurt nur mit<br />

drei relativ kleinen Zellen auskam. Zwar war die vordringliche<br />

Aufgabe der Gestapo ab 1936 die Bekämpfung der politischen<br />

und ideologischen Gegner von Regime und Nationalsozialismus.<br />

Doch orientierte sich die Arbeit in den ersten<br />

Jahren der NS-Diktatur noch lange an der Methodik der klassischen<br />

Polizeiarbeit. Nach erfolgten Verhören wurden die<br />

Häftlinge an andere Dienste überstellt. Die innere Radikalisierung<br />

der Polizei zu einem totalitären Machtinstrument mit<br />

seriellen Exekutionen politischer Gegner oder tagelangen Folterungen<br />

im Gestapo-Gewahrsam erfuhr ihre extreme Zuspitzung<br />

vor allem während der letzten Kriegsjahre. Da aber war die Thüringer<br />

Zentrale schon lange nach Weimar umgezogen, wo man<br />

im Marstall ein weit größeres Gefängnis betrieb.<br />

Dennoch wurden auch im heutigen Landtagskeller noch nach<br />

1941 Staatsfeinde oder geflüchtete Zwangsarbeiter festgesetzt<br />

und nicht selten von hier aus in den Tod geschickt. „Lange Zeit<br />

hieß es in der Verwaltung, dass dort unten im Keller vermutlich<br />

nicht allzu viel Schlimmes passiert sei“, erinnerte sich Lamers.<br />

Und erst mit zunehmendem Erkenntnisgewinn der historischen<br />

Forschung erkannte die Landtagsverwaltung, dass es so nicht<br />

weitergehen konnte. Drang doch immer stärker ins Bewusstsein,<br />

dass das heutige Landtagsgebäude das sogenannte „Judenreferat“<br />

der Gestapo für ganz Thüringen beherbergt hatte. In den<br />

oberen Geschossen war die Deportation der Thüringer Juden<br />

ab dem Frühjahr 1942 geplant worden. Im Mai 2012 richtete die<br />

Landtagspräsidentin Birgit Diezel daher in der letzten, weitgehend<br />

im Originalzustand erhaltenen Zelle den „Erinnerungsort<br />

Thüringer Landtag“ ein.<br />

Der Ort gehört bis heute zum offiziellen Programm des Landtagspräsidiums<br />

etwa bei Botschafterbesuchen. Auch im Rahmen<br />

von Landtagsbesichtigungen wird dieser Gedenkort von Besuchergruppen<br />

regelmäßig angesteuert.<br />

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