60 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 M 6 Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftssystem Wie in anderen Erklärungsansätzen werden auch hier die wirtschaftlichen Entscheidungen und Handlungen als abhängig von einem Bedingungsrahmen angesehen. Zu ihm gehören die Wirtschaftsordnung einerseits und die sozialökonomische Umwelt andererseits. Die Wirtschaftsordnung umfasst alle Regeln, Normen und Institutionen, die als meist längerfristig angelegte Rahmenbedingungen wirtschaftliche Entscheidungs und Handlungsspielräume von Individuen und wirtschaftlichen Einheiten (Haushalte, Unternehmen) abgrenzen. Unter ordnungstheoretischem (morphologischem) Gesichtspunkt sind Wirtschaftsordnungen die Kombination einer begrenzten Zahl von Ordnungsformen. Als Klassifikationskriterien von Wirtschaftsordnungen werden z. B. Formen der Planung und Lenkung, Eigentums, Markt und Preisbildungs und Unternehmensformen sowie Formen der Geld und Finanzwirtschaft angesehen. Jede Ordnungsform hat verschiedene Ausprägungen: Der Wirtschaftsprozess kann zentral oder dezentral gelenkt werden; Produktionsmittel können Privat, Staats oder Gesellschaftseigentum sein; der Güteraustausch auf Märkten kann durch Leistungswettbewerb, aber auch durch Monopole geprägt sein; Willensbildung und durchsetzung sowie Erfolgsrechnung von Unternehmen können verschiedenen Organisationsprinzipien folgen usw. Die Vielfalt konkreter Wirtschaftsordnungen ist Ausdruck der Fülle von Kombinationsmöglichkeiten dieser Ausprägungen von Ordnungsformen. Die Ordnungsformen werden in den meisten Gesellschaften der Gegenwart – mehr oder weniger umfangreich – in Verfassung, Gesetzen und Rechtsverordnungen normiert. So kann z. B. die Form der Lenkung des Wirtschaftsprozesses gesetzlich geregelt sein (Pflicht zur Aufstellung und Erfüllung von gesamtwirtschaftlichen Plänen) oder Privateigentum an Produktionsmitteln gesetzlich verboten werden. Fehlen solche rechtlichen Normierungen, bilden sich Ausprägungen von Ordnungsformen spontan heraus. Rechtlich verankerte Normen und Institutionen, durch die Entscheidungs und Handlungsspielräume von Wirtschaftseinheiten bestimmt sind, werden als Wirtschaftsverfassung bezeichnet. Sie wird wesentlich durch das politische und kulturelle System einer Gesellschaft geprägt. Ihre Interpretation ist ein erster Ansatzpunkt, um raumzeitbezogene Wirtschaftsordnungen zu erfassen. Die sozialökonomische Umwelt – die zweite Säule des Bedingungsrahmens – umschließt die bereits genannten Faktoren, zu denen auch ein politisches und kulturelles Teilsystem einer Gesellschaft zu zählen sind. Ändert sich die Umwelt (z. B. Ressourcenerschöpfung), erfolgen Reaktionen im Wirtschaftsprozess (z. B. Ressourcensubstitution), die wiederum Umweltänderungen (z. B. Veränderungen des politischen Systems, Anhebung des Wissensstandes durch technische Fortschritte) auslösen können. Die Anpassungsfähigkeit an die Umwelt wird wesentlich durch die Art und Weise der Beziehungen beeinflusst, die zwischen den wirtschaftlichen Entscheidungs und Handlungseinheiten bestehen. Sie stellen in ihrer Gesamtheit das Wirtschaftssystem dar. Die Vielfalt der wirtschaftlichen Beziehungen, die die Einheiten bei Arbeitsteilung zum Zwecke der Knappheitsminderung eingehen, kann analytisch durch Bildung von Subsystemen erfasst werden: das Planungs und Koordinationssystem einerseits und das Motivations und Kontrollsystem andererseits. Den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftssystem und sozialökonomischer Umwelt verdeutlicht die Abbildung: Quelle: Thieme, J. (2007): Wirtschaftssysteme, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 1, 9. A., München: Vahlen Verlag, 10f.
M 6 Abb.: Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftssystem und sozialökonomischer Umwelt Quelle: Thieme, J. (2007): Wirtschaftssysteme, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 1, 9. A., München: Vahlen Verlag, 12 61