Unter der Staleke 230, Sommer 2023

C privat
DIE SEELE EINES
VORTRAGS
Liebe Leserinnen und Leser unserer
Heimatzeitung „Unter der Staleke“,
stellen Sie sich einmal vor, Sie
wollen einen Vortrag vorbereiten
und mit Hilfe einer Software und
ein paar Stichworten schreibt ein
Programm von ganz allein einen
fertigen Text. Das hört sich doch
verlockend an – oder nicht?! Das
Zauberwort dazu heißt ChatGPT!
Dabei handelt es sich um einen
Textgenerator, der auf Basis künstlicher
Intelligenz (KI), Texte in einer
Qualität erzeugen kann, die oftmals
nicht von menschlich erstellten
Texten unterscheidbar sind. Er
greift dabei auf schier unbegrenzte
Datenmengen zurück, die es ihm
möglich machen, die passenden
Textbausteine zu den gewünschten
Bereichen zu generieren.
Ersetzt die Künstliche Intelligenz in
Zukunft den „Vortragenden, den
Redner“?! – wird sich so manch
einer fragen. Die Frage kann nur mit
„Jein“ beantwortet werden. Es hängt
mal wieder davon ab, was wir aus
der Sache machen, ob sie am Ende
Fluch oder Segen sein kann.
Unstrittig ist sicherlich, dass ein
Vortrag zu einem Standardthema
auf Basis dieser oben genannten
Vorgehensweise kaum auffallen
würde.
Das mit dieser Art des Schreibens
aus meiner Sicht auch die Seele
eines Vortrages verloren geht, wird
bei dem ganzen Hype um diese
Technik vergessen. Es wird doch
ganz deutlich, dass der dahinterstehende
Mensch mit seinen Gefühlen
und Gedanken den vortragenden
Text prägt und erlebbar macht.
Folglich hat der Redner mit dem
Vortrag also eine Absicht oder
ein Ziel, an die Zuhörer etwas zu
vermitteln. Das alles kann eine
Maschine nicht, weil sie z.B. den
Adressatenkreis, den Raum, in dem
der Vortrag gehalten wird oder
auch die Stimmung des Momentes,
den man erzeugen möchte, nicht
erfassen kann.
So lässt sich festhalten, dass jeder
selbst erstellte Text immer die DNA
eines Autors enthält und unverwechselbar
ist. Zudem würde
schnell auffallen, wenn der Text
eines erfahrenen und oft gehörten
Redners in seiner Wortwahl, dem
Textaufbau und weiterer spezifischen
Merkmale abweicht.
Ich bin daher der Meinung, dass
die Textgeneratoren sicherlich zur
Inspiration genutzt werden können,
wenn es einem schwer fällt, Texte
EDITORIAL
zu verfassen und man den roten Faden
sucht. Die Software sollte aber
mit Vorsicht für Vorträge gebraucht
werden. Der Grund dafür ist einfach
und bereits oben genannt: Nur der
Redner kennt die Zielgruppe und
sein Ziel, welches er mit dem Vortrag
erreichen möchte. Die Maschine
kennt diese Gedanken und
Gefühle nicht, sondern liefert „nur“
ihren Algorithmus ab.
Außerdem sollte man nicht vergessen,
dass ein selbst recherchierter
und geschriebener Text, der
verschiedene Literatur benutzt,
auch eine Menge an Arbeit bedarf.
Gleichzeitig stellt diese Arbeit für
einen Vortrag ein Geschenk dar,
da sie einen „zwingt“, tief in die
Materie bzw. in ein Themengebiet
einzusteigen und sich mit diesem
intensiv auseinanderzusetzen. Das
alles entfällt bei der Erstellung eines
Vortrages durch die Künstliche
Intelligenz.
Im Grunde sind wir dann nur Plagiatoren!
Ein guter Redner wird sich nie einen
Text vorgeben lassen, den er verantwortungsvoll
seinen Zuhörern
vorträgt!
Ihr Gerhard Wüst
C AdobeStock
UNTER DER STALEKE SOMMER 2023 | 3