Artikel zum Projekte aus dem ZGF-GORILLA 2 - Zoologische ...
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Seine dunklen Augen starren auf die zwei<br />
grell gleißenden Lichtkegel, die mit ohrenbetäuben<strong>dem</strong><br />
Getöse näherkommen. Er<br />
hebt den Kopf und streckt seine feucht glänzende<br />
Nase in den Wind. Dann geht er einen kleinen<br />
Schritt vor, ein Ast knackt unter <strong>dem</strong> Gewicht<br />
seiner Pranken, wieder rast ein Auto vorbei und<br />
der Fahrtwind fegt in sein zottiges Fell. Hätten<br />
die Insassen angestrengt in die vorbeifliegende<br />
Dunkelheit gespäht, hätten sie vielleicht gesehen,<br />
wie der Bär langsam den schweren Kopf hin<br />
und her wiegt und sich rückwärts von der Europastraße<br />
entfernt, um dann im Dunkel des slowakischen<br />
Waldes zu verschwinden.<br />
Die Europastraße E 77 ist eine wichtige Nord-<br />
Süd-Straßenverbindung, die von Russland nach<br />
Ungarn führt. Hierbei durchkreuzt sie die Slowakei<br />
und verläuft entlang der Schnellstraßen R<br />
1 und R 3. Dabei führt sie auch durch die westlichen<br />
Ausläufer der Karpaten. Das Karpatengebirge<br />
erstreckt sich von Mittel- über Ost- nach<br />
Südosteuropa. Es bildet einen mehr als 1.300 km<br />
langen, 100–350 km breiten und nach Westen<br />
offenen Bogen, der bei Bratislava und Wien als<br />
Fortsetzung der Alpen beginnt und am „Eisernen<br />
Tor“, <strong>dem</strong> Durchbruchstal und Elektrizitätswerk<br />
der Donau an der serbisch-rumänischen<br />
Grenze, endet. Acht Länder haben Anteil an den<br />
Karpaten, die Verschiedenartigkeit der Lebensräume<br />
hat solch klangvolle Namen wie „Hohe<br />
Tatra“ oder „Waldkarpaten“ hervorgebracht<br />
und mit mehr als einem Drittel aller in Europa<br />
noch wildlebenden Großsäuger – beispielsweise<br />
Braunbären, Wölfe und Luchse – nimmt der bis<br />
zu 2.600 Meter aufragende Gebirgsstock eine<br />
ökologisch her<strong>aus</strong>ragende Position ein, der intensiver<br />
Schutzmaßnahmen bedarf. Für den Naturschutz-Sektor<br />
haben sich im Zuge der letzten<br />
EU-Osterweiterung, die 2004 nach den Karpatenländern<br />
Slowakei, Ungarn und Tschechien<br />
2007 auch Rumänien einschloss, ungeahnte<br />
Möglichkeiten aufgetan. Länderübergreifende<br />
Schutzmaßnahmen werden jetzt durch gleiche<br />
gesetzliche Bestimmungen erleichtert. Gleichzeitig<br />
wurde eine Situation geschaffen, die aber<br />
auch genau das Gegenteil bewirken kann, denn<br />
die Öffnung der Grenzen – und somit auch des<br />
Handels – hat eine Verkehrslawine zur Folge,<br />
für deren reibungsloses Fortkommen bald entsprechende<br />
Infrastruktur benötigt wird. Sprich<br />
der Aus- und Neubau von Schnellstraßen und<br />
Autobahnen ist vorprogrammiert. Straßen wie<br />
die Europastraße E 77 oder auch der Schienenverkehr<br />
sind für Großsäuger wie Bären, Luchse,<br />
Wildkatzen, Rothirsche oder Wildschweine<br />
aber gefährliche und oft unüberwindbare Hindernisse,<br />
die zur Zerschneidung ihres Lebensraums<br />
führen. Will man jedoch die ökologische<br />
Bedeutung der Region für die Wildtiere bewahren,<br />
erfolgreiche Ausbreitung der selten gewordenen<br />
Arten garantieren und für den Erhalt der<br />
genetischen Variabilität der Populationen sorgen,<br />
ist es unerlässlich, Wildtieren die Möglichkeit zu<br />
geben, ungehindert zwischen den slowakischen<br />
Kerngebieten und benachbarten Regionen wandern<br />
zu können.<br />
Eine erste Maßnahme des Kooperationsprojekts<br />
von <strong>ZGF</strong> und der „Carpathian Wildlife<br />
Society“ war die Identifizierung kritischer<br />
Straßenabschnitte, die Wanderwege blockieren<br />
Wanderer durch die<br />
wilden Karpaten<br />
Foto: Fritz Pölking, OKAPIA<br />
<strong>ZGF</strong> weltweit | Aus den <strong>Projekte</strong>n<br />
Seit 2005 führen die<br />
„Carpathian Wildlife<br />
Society“ und die Zoo-<br />
logische Gesellschaft<br />
Frankfurt eine Studie zu<br />
den Wanderungen der<br />
Großsäuger in den Kar-<br />
paten durch. Man will<br />
her<strong>aus</strong>finden, welchen<br />
Einfluss die Verkehrsin-<br />
frastruktur auf die Tiere<br />
hat. Zu<strong>dem</strong> wird intensiv<br />
nach Lösungsansätzen<br />
für die aufkommenden<br />
Probleme wie Habitat-<br />
fragmentierung und<br />
Migrationshindernisse<br />
gesucht. Von Stephanie<br />
Lienenlüke und Susanne<br />
Schick.<br />
<strong>ZGF</strong> Gorilla 2/2007<br />
9
Tschech.<br />
Rep.<br />
Ungarn<br />
Kroatien<br />
Polen<br />
Slowakei<br />
Bosnien<br />
Herzegov.<br />
Verkehrsteilnehmer. Straßen<br />
zerschneiden zunehmend den<br />
Lebensraum der Bären in den<br />
Karpaten.<br />
Serbien<br />
Karparten<br />
Rumänien<br />
10 <strong>ZGF</strong> Gorilla 2/2007<br />
Ukraine<br />
Neben den Alpen bilden die<br />
Karpaten das bestimmende<br />
Gebirgssystem in Zentraleuropa.<br />
Die niedrigeren Lagen<br />
sind bewaldet, die Waldgrenze<br />
schwankt zwischen 1.150 m<br />
und 1.900 m. Mit 2.655 m ist<br />
der Gerlachovský štít in der<br />
Hohen Tatra der höchste Berg.<br />
Rund 4.000 Wölfe und 8.000<br />
Bären sind in den Karpaten zu<br />
H<strong>aus</strong>e.<br />
oder Lebensräume zerschneiden. Dafür wurden<br />
die sich <strong>zum</strong>eist überlappenden Streifgebiete<br />
insbesondere von Braunbär, Wolf und Luchs<br />
kartiert und mit Karten des Hauptstraßennetzes<br />
verglichen sowie mit Hilfe des Geografischen Informationssystems<br />
(GIS) zur Veranschaulichung<br />
verschnitten. Auf diese Weise konnten insgesamt<br />
32 kritische Abschnitte festgestellt werden, von<br />
denen 12 an Autobahnen liegen und 20 an zweispurigen<br />
Straßen. 50 Prozent der Autobahn- und<br />
Schnellstraßenkilometer der Slowakei fallen unter<br />
die kritischen Abschnitte. Ein enormes Risiko<br />
für die Tiere. Erste Schritte zur Überbrückung<br />
solcher Hindernisse sind technische Maßnahmen<br />
wie beispielsweise Grünbrücken. Sie helfen<br />
den Arten ganz besonders kritische Bereiche gefahrlos<br />
zu überwinden. Für neu anstehende Bauprojekte<br />
sind diese Erkenntnisse gerade in der<br />
Planungsphase von außerordentlicher Bedeutung,<br />
denn nur dann können Zerschneidungseffekte<br />
noch abgemildert werden. Entscheidend<br />
ist jedoch, dass nicht nur national agiert wird,<br />
sondern die einzelnen Länder auf der operativen<br />
Naturschutzebene eng zusammenarbeiten. Es<br />
müssen Freilandstudien zur Kartierung der Verbreitungsgebiete,<br />
Populationsdichten und Migrationskorridore<br />
der verschiedenen Zielarten<br />
miteinander durchgeführt werden. Die Integration<br />
verschiedenster staatlicher und nicht-staatlicher<br />
Organisationen in sämtliche Prozesse ist<br />
essentiell, um eine gesteigerte öffentliche Wahrnehmung<br />
für das Problem zu erreichen.<br />
Auf länderübergreifender Ebene wurden<br />
2003 erste Schritte getan und die „Initiative<br />
Ökoregion Karpaten“ gegründet. Dies<br />
ist ein Zusammenschluss von 50 Organisationen<br />
<strong>aus</strong> den betroffenen Ländern unter der Federführung<br />
des WWF. Sie hat sich den Schutz<br />
und den Aufbau nachhaltiger Entwicklungsperspektiven<br />
für die Region <strong>zum</strong> Ziel gesetzt.<br />
Die wichtigsten Aspekte der pan-karpatischen<br />
Schutz- und Management-Strategie beinhalten<br />
einen alle Karpaten-Länder umfassenden Zensus<br />
aller Großsäuger, die Entwicklung eines<br />
Management-Plans und dessen Übernahme<br />
auf nationaler Ebene sowie die Förderung von<br />
vornehmlich grenzübergreifenden Studien zur<br />
Ökologie und Populationsdynamik der verschiedenen<br />
Arten. Dabei haben die Untersuchungen,<br />
wie sie die <strong>ZGF</strong> in der Slowakei bereits unterstützt,<br />
einen wichtigen Stellenwert. Weitere<br />
Punkte betreffen unterstützende Maßnahmen<br />
bei Mensch-Tier-Konflikten in Siedlungen bzw.<br />
im Hinblick auf Viehbestände sowie die Reduktion<br />
der Wilderei, der Hauptursache für den Tod<br />
von Großraubtieren. Denn ökonomische Nebeneffekte<br />
eines gesicherten Wildtierbestandes, wie<br />
beispielsweise durch Ökotourismus, sind die<br />
stichhaltigsten Argumente pro Naturschutz.<br />
Leider ist es bis zur endgültigen Sicherung<br />
eines Schutzgebiets oft ein steiniger Weg und in<br />
politisch instabilen Ländern hat die Natur oft<br />
das Nachsehen. So berichtete der WWF Mitte<br />
Mai, dass die slowakische Regierung beim Umbau<br />
ihrer Naturschutzbehörde einige Einschränkungen<br />
vorgenommen hat, die sich negativ auf<br />
die Naturschätze <strong>aus</strong>wirken. Es wurden Ranger<br />
und Parkdirektoren entlassen und die Handlungsfähigkeit<br />
der Behörde beschnitten. Es<br />
bleibt zu hoffen, dass der dringliche Appell des<br />
WWF und der von EU-Kommissions-Direktor<br />
Peter Carl verfasste Brief an den slowakischen<br />
Umweltminister Wirkung zeigt und die Naturschutzarbeit<br />
effektiv vorangetrieben werden<br />
kann. Denn ob Waldkarpaten oder Slowakisches<br />
Erzgebirge, Hohe Tatra oder Fatra, Slowakei<br />
oder Rumänien, der Karpatenbogen ist ein<br />
besonders schützenswertes Naturjuwel und Heimat<br />
der letzten großen Bestände von Wölfen<br />
und Bären in Europa.<br />
Foto: Malcolm Schuyl/ FLPA, OKAPIA