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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />
www.dasbiber.at<br />
MIT SCHARF<br />
+<br />
JUNI<br />
20<strong>23</strong><br />
ALTE AKTIVISTEN<br />
+<br />
HANKE IN ZAHLEN<br />
+<br />
PRIDE IST KEINE PARTY<br />
+<br />
ZWISCHEN JUBEL<br />
UND VERZWEIFLUNG<br />
TÜRKEI: NEUE ÄRA ODER ABSTURZ?
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In der Regenbogenhauptstadt Wien kannst du deine Lebens- und Liebesentwürfe<br />
frei von Diskriminierung leben. Die Stadt unterstützt alle von Diskriminierung<br />
betroffenen homo-, bi-, transsexuellen und intergeschlechtlichen Wiener*innen<br />
und bietet Aufklärungsarbeit. Du erhältst anonyme und kostenlose Beratung bei<br />
der Wiener Antidiskriminierungsstelle (WASt) – und das seit mittlerweile 25 Jahren.<br />
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wien.gv.at/queer
3<br />
minuten<br />
mit<br />
Magic<br />
Marko<br />
Die Künstlerin Xéna N.C. hat<br />
mit ihrer Drag-Persona Magic<br />
Marko den „toxiest man alive“<br />
erschaffen. Warum das auch<br />
Gesellschaftskritik sein kann,<br />
erklärt die 28-Jährige mit serbischen<br />
Wurzeln im Gespräch.<br />
Interview: Anja Bachleitner<br />
Foto: Zoe Opratko<br />
<strong>BIBER</strong>: Was macht Magic Marko aus?<br />
Was unterscheidet ihn von Xéna, die du<br />
im Alltag bist?<br />
XÉNA N.C.: Magic Marko ist der<br />
“toxiest man alive”. Er ist toxisch und er<br />
ist gutaussehend. Ich, als Magic Marko,<br />
nehme mir meinen Raum, ob auf der<br />
Straße oder in der U-Bahn. Ich muss es<br />
nicht einmal. Die Leute machen schon<br />
von sich aus Platz. Als Magic Marko<br />
spreche jetzt einmal über Xéna: Ein<br />
ganz nettes Mädel, sie hat ein großes<br />
Herz, sie ist sehr freundlich, sehr zuvorkommend.<br />
Ich als Marko bin’s nicht. Mir<br />
ist das scheißegal. Ich mache, was ich<br />
will, weil es meine Welt ist. Ich bin einfach<br />
ich, ich bin der King. Wenn Xéna<br />
und Marko was gemeinsam haben,<br />
dann ist es ihr Selbstbewusstsein und<br />
einen starken Willen.<br />
Wie bist du zu Drag gekommen?<br />
Ich habe lange versucht, weiblicher zu<br />
sein, für die Gesellschaft und meine<br />
Verwandten. Mittlerweile habe ich das<br />
Selbstbewusstsein zu wissen, dass ich<br />
für mich selbst weiblich genug bin. Da<br />
ist das Spiel mit den Geschlechterrollen<br />
dann von ganz alleine gekommen.<br />
Was bedeutet die Kunstform Drag für<br />
dich?<br />
Dass ich als Drag King das Patriarchat<br />
kritisieren kann. Es macht aber einfach<br />
auch Spaß, in eine andere Rolle reinzuschlüpfen<br />
und vor allem auch einen<br />
cis-Mann zu spielen.<br />
Welche Message möchtest du mit deiner<br />
Performance als Drag King rüberbringen?<br />
Ich möchte als Frau in einem Safe Space<br />
toxische Männlichkeit kritisieren, weil wir<br />
Frauen eh schon die ganze Zeit kritisiert<br />
und bewertet werden. Und nicht<br />
alle Männer sind toxisch, ich will nicht<br />
alles verallgemeinern. Aber das ist auch<br />
der Punkt mit der Unterrepräsentation<br />
von Drag Kings: Ich denke mir, dass<br />
Männlichkeit quasi unantastbar ist. Das<br />
möchte ich auf eine sarkastische und<br />
humorvolle Art und Weise kritisieren.<br />
Was würdest du jemanden sagen, der<br />
gegen Drag Queen Lesungen protestiert,<br />
wie es in Wien vor kurzem<br />
passiert ist?<br />
Ich habe das Gefühl, es gibt dort nichts,<br />
wovor wir die Kinder schützen müssten.<br />
Es ist ein Safe Space. Es wird einfach<br />
etwas vorgelesen über Toleranz, Vielfalt,<br />
Nächstenliebe. Kinder werden dazu<br />
ermutigt, typische Geschlechterrollen<br />
zu durchbrechen: Ein Mädchen weiß<br />
dann, dass sie Mechanikerin werden<br />
kann und ein Junge Kindergartenpädagoge.<br />
Was war dein schönstes Erlebnis als<br />
Magic Marko?<br />
Das allererste Mal, als ich am Abend als<br />
Marko rausgegangen bin. Mit Make-Up,<br />
Schiebermütze und langem Mantel -<br />
mein Gang hat sich sofort verändert und<br />
die Leute haben mir Platz gemacht. Ich<br />
hatte draußen gar keine Angst mehr.<br />
Name: Xéna N.C. aka Magic Marko<br />
Alter: 28<br />
Insta: xenanc.magicmarko<br />
Fun Fact: Mit Marko muss man sich noch<br />
old school verabreden, er hat kein Handy.<br />
/ 3 MINUTEN / 3
3 3 MINUTEN MIT<br />
MAGIC MARKO<br />
Ein Drag King im Schnellinterview.<br />
8 IVANAS WELT<br />
Kolumnistin Ivana Cucujkić über<br />
typische Jugo-Hochzeiten.<br />
10 KLIMA-NEWS<br />
Interessante Zahlen, Daten und Fakten rund<br />
um das Thema Umweltschutz.<br />
POLITIKA<br />
12 MEINUNGSMACHE<br />
Politische Themen kurz, komprimiert und<br />
mit scharf.<br />
14 „ERDOĞAN IST EIN<br />
MACHER!“<br />
Warum die Erdbebengebiete Erdoğan wählten.<br />
20 „HERR HANKE, WIE VIELE<br />
STUNDEN ARBEITEN SIE<br />
PRO WOCHE?“<br />
Biber fragt in Worten, Stadtrat Peter Hanke<br />
antwortet mit einer Zahl.<br />
22 FEMINISMUS AUS DEM EXIL<br />
Die russische Aktivistin Lolja Nordic im Porträt.<br />
22<br />
„ICH BIN EINE VON<br />
VIELEN.“<br />
Die russische Feministin<br />
Lolja Nordic steht für<br />
Antikriegsaktivismus ein.<br />
IN<br />
25 BALKAN NEWS<br />
Dennis Miskić über die Notwendigkeit eines<br />
Systemwechsels in Serbien.<br />
RAMBAZAMBA<br />
26 PRIDE IST KEINE PARTY<br />
Alles rund um den Pride-Month im Überblick.<br />
28 DEMO IN PENSION<br />
Drei Aktivist:innen erklären, warum sie auch im<br />
hohen Alter noch auf die Straße gehen.<br />
14<br />
WIEDER EINE ÄRA ERDOĞAN<br />
Hoffnung und Misstrauen spalten die Community.
EMPOWERMENT SPECIAL<br />
34 „DU BIST SO EIN<br />
MANNSWEIB!“<br />
Helin Kara wollte nie in das Bild der „perfekten<br />
Frau“ passen.<br />
34 28<br />
„WIR MACHEN DAS FÜR DIE<br />
ENKELKINDER!“<br />
Engagierte Pensionist:innen zeigen,<br />
dass man sich auch im Alter für die<br />
Zukunft einsetzen kann.<br />
HALT JUNI<br />
20<strong>23</strong><br />
„ZIEH DICH MAL AN WIE EINE<br />
RICHTIGE FRAU!“<br />
Helin Kara hat es satt, sich gesellschaftlichem<br />
Druck zu beugen.<br />
© SAMUEL WINTER / APA / picturedesk.com, Atila Vadoc, Max Slovencik / EXPA / picturedesk.com, Zoe Opratko, Cover: © Zoe Opratko<br />
38 „SEI NETTER ZU DEN<br />
ÖSTERREICHERN!“<br />
Luna Al-Mousli möchte niemandem mehr um<br />
jeden Preis gefallen.<br />
40 WENN BLICKE STÄRKEN<br />
Banan Sakbani steht für Zivilcourage ein und<br />
lässt sich nicht mehr einschüchtern.<br />
LIFE&STYLE<br />
43 SCHÖN SCHLAU<br />
Şeyda Gün erklärt wieso man sich von<br />
Lehrer:innen nicht runtermachen lassen darf.<br />
KARRIERE&KOHLE<br />
46 ERST KRANK, WENN<br />
DAS SPITAL RUFT<br />
Šemsa Salioski über die toxische „work ethic“<br />
von Migrant:innen.<br />
KULTURA<br />
52 KULTURA NEWS<br />
Nada El-Azar-Chekh über das<br />
Musikverständnis der Generation Z.<br />
54 QUOTEN-ALMANCI<br />
Kolumnistin Özben Önal erklärt, warum auch<br />
Europa für das Wahlergebnis in der Türkei<br />
verantwortlich ist.
Liebe Leser:innen,<br />
die Türkei hat gewählt: Recep Tayyip Erdoğan tritt eine neue Amtszeit<br />
an. Während die einen riesige Türkei-Flaggen schwenken, auf<br />
den Straßen Wiens feiern und ihrem Präsidenten ihre unermüdliche<br />
Unterstützung zusprechen, hat die andere Hälfte der Bevölkerung<br />
nur noch Angst vor der Zukunft ihrer Heimat. So auch Kolumnistin<br />
Özben Önal, die für unsere Coverstory in ihre Heimat Antakya gereist<br />
ist, um der Frage nachzugehen, wieso gerade in den türkischen Erdbebengebieten<br />
so viele Menschen Erdoğan gewählt haben - obwohl<br />
genau in diesen Regionen die mangelnde Hilfe seitens der Regierung<br />
beklagt wurde. Wie wird es jetzt weitergehen? Welche Versprechen<br />
hält die Regierung ein und welche Sorgen bleiben berechtigt? Welche<br />
Auswirkung hat die Wahl auf Austrotürk:innen? Lest die Türkei-<br />
Reportage ab Seite 14.<br />
„<br />
Die türkische Community<br />
ist nach Erdoğans erneutem<br />
Wahlsieg gespalten: Die einen<br />
jubeln, die anderen haben<br />
Angst. Als Ergänzung unserer<br />
Coverstory ab S.14 lege ich<br />
euch für noch tiefere Einblicke<br />
die Kolumne von Özben Önal<br />
auf S. 54 ans Herz!<br />
Aleksandra “ Tulej,<br />
Chefredakteurin<br />
Schulstreiks, Hörsaalbesetzungen und „Klimakleber“: Immer ist es die<br />
junge Generation, die sich gegen das System wehrt und aktivistisch<br />
tätig wird. Und die Alten meckern darüber? Stimmt nicht! Dass man<br />
sich auch im Alter für die Zukunft einsetzen kann, zeigen Susanne,<br />
Tilman und Renate. Ab Seite 28 lest ihr über Senior:innen, die ihre<br />
Pensionszeit dazu nutzen, auf die Straße zu gehen und für die Forderungen<br />
ihrer Enkel einzustehen.<br />
Außerdem haben wir Finanz-Stadtrat Peter Hanke gefragt, wieviele<br />
Parteien er in seinem Leben gewählt hat und welcher sein Lieblingsbezirk<br />
ist. Das Interview in Zahlen findet ihr auf Seite 20.<br />
„Sei nicht so ein Mannsweib!“ Diesen Spruch musste sich Autorin<br />
Helin Kara jahrelang anhören, weil sie sich lieber leger kleidet. Sie<br />
hat keinen Bock auf „typisch mädchenhaftes Auftreten“ und wehrt<br />
sich gegen das scheinbare Ideal einer „perfekten Frau“. Aber wer<br />
bestimmt eigentlich, wer was tragen darf? Was genau bedeutet<br />
Selbstbestimmung? Das erfahrt ihr in unserem Empowerment-Special<br />
ab Seite 32.<br />
Viel Spaß beim Lesen,<br />
Eure biber-Redaktion<br />
© Zoe Opratko<br />
6 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM<br />
MEDIENINHABER:<br />
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />
HERAUSGEBER:<br />
Simon Kravagna<br />
CHEFREDAKTEURIN:<br />
Aleksandra Tulej<br />
KULTUR & LEITUNG AKADEMIE:<br />
Nada El-Azar-Chekh<br />
FOTOCHEFIN:<br />
Zoe Opratko<br />
ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />
KOLUMNIST:INNEN:<br />
Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić, Özben Önal<br />
LEKTORAT: Florian Haderer<br />
REDAKTION, FOTOGRAFIE & ILLUSTRATION:<br />
Maria Lovrić-Anušić, Šemsa Salioski, Helin Kara, Dione Azemi, Anja<br />
Bachleitner, Luna Al-Mousli, Banan Sakbani, Atila Vadoc<br />
VERLAGSLEITUNG :<br />
Aida Durić<br />
MARKETING & ABO:<br />
Şeyda Gün<br />
REDAKTIONSHUND:<br />
Casper<br />
BUSINESS DEVELOPMENT:<br />
Andreas Wiesmüller<br />
GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />
Wilfried Wiesinger<br />
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />
E-1.4, 1070 Wien<br />
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at, abo@dasbiber.at<br />
TRINKST DU<br />
(FAST) JEDEN<br />
TAG ALKOHOL?<br />
WEBSITE: www.dasbiber.at<br />
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 1. HJ 2022:<br />
Druckauflage 85.000 Stück<br />
Verbreitete Auflage 80.700 Stück<br />
Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter<br />
www.dasbiber.at/impressum abrufbar.<br />
DRUCK: Mediaprint<br />
Erklärung zu gendergerechter Sprache:<br />
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die<br />
jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität<br />
der Texte erhalten – wie immer „mit scharf“.
In „Ivanas Welt“ berichtet die biber-Kolumnistin Ivana Cucujkić-Panić<br />
über ihr Leben - Glamour zwischen Balkan und Baby<br />
IVANAS WELT<br />
ZWISCHEN TÜLL, TRÄNEN UND TROMPETEN<br />
Wenn zwei heiraten, freuen sich die dritten:<br />
Die Eltern. Der Rest ist Drama.<br />
Mit dem Beginn des Sommerschlussverkaufs wird auch<br />
die fünfte und wichtigste Jahreszeit eingeläutet: Die<br />
Hochzeitssaison. Schimmernde Viskose zum Sonderpreis,<br />
wie herrlich. So ein Event kostet eh schon ein<br />
halbes Leben und zwei Konsumkredite, aber was solls.<br />
SPONSORED BY MAMA & TATA<br />
In den wenigsten Fällen können sich Brautpaare ihren<br />
vermeintlich schönsten Tag selber finanzieren und enden<br />
als Bittsteller bei Braut- und Schwiegereltern. My<br />
big fat Balkan Wedding sponsored by mama & tata ist<br />
ein Deal mit vielen Klauseln. Bei einer Hochzeit geht es<br />
nicht vorrangig um zwei Menschen, die ihre Liebe feiern,<br />
ein bisschen Erdbeerkuchen und peinliche Spiele.<br />
Es geht um Prestige, persönliche Interessen, Sonderwünsche<br />
und ganz viel Ego.<br />
Sowohl die knappen Konfektionsgrößen in der Brautmodenabteilung,<br />
als auch die Nerven aller Beteiligten im<br />
Organisations-Komitee werden strapaziert. Elasthan,<br />
noch Geduld sind ewig dehnbar.<br />
GÄSTELISTE ROYAL:<br />
NICHT OHNE DEINE GROSSCOUSINE!<br />
Während Braut und Bräutigam vielleicht schon von den<br />
Flitterwochen träumen, kreative Gastgeschenke basteln<br />
und die Songliste für die Band zusammenstellen, knallen<br />
ihre Financiers den ultimativen Knebelvertrag auf den<br />
Tisch. Die Gästeliste.<br />
Exklusiver als jede VIP-Liste der Royals, wird beim Gipfeltreffen<br />
den Wedding-Lobbyisten um jeden Platz im<br />
Eventsaal verhandelt. Und das mit unlauteren Methoden.<br />
Bestechung, emotionale Erpressung, Tränendrüse,<br />
„Aber wir waren auch auf der Taufe von Cousine Milenas<br />
Kinder eingeladen“-Killer-Argumente.<br />
Die Planung einer Hochzeit ist eine Zerreißprobe für alle<br />
Beteiligten: Für das Brautpaar, die Schwiegerfamilien<br />
und für die viel zu knappen Elasthanfummel. Gratulation<br />
an alle, die diesen ersten großen Stresstest ihrer Ehe<br />
überstehen. Viel mehr emotionaler Tsunami kommt da<br />
nicht mehr. Trotzdem ist es sehr wahrscheinlich, dass<br />
so manch zwischenmenschliche Beziehung in Scherben<br />
liegt.<br />
DIE SCHWIEGERMUTTER IST SCHULD<br />
Auf eines kann man sich auf Hochzeiten verlassen: Die<br />
ein oder andere mittlere Katastrophe tritt bestimmt<br />
ein. Der eine Onkel, der wiedermal zu tief ins Weinglas<br />
schaut und den Geldschein zu tief ins Dekolleté der<br />
Sängerin schiebt. Diese eine „gute“ Freundin, die es<br />
wagt, allen modischen Etiquetten zum Trotz, in weißer,<br />
bodenlanger Spitze aufzutauchen. Die eine beleidigte<br />
Großtante aus Schweden, die sich am liebsten auf dem<br />
Brauttisch platziert hätte. Eines ist auch ganz sicher: Für<br />
mindestens eine Eskalation ist bestimmt die Schwiegermutter<br />
schuld.<br />
Wenn als Worst-Case-Szenario am Ende tatsächlich<br />
bloß die Torte abfackelt und Opa das Trompetensolo an<br />
seinem Ohr viel zu lange für sich beansprucht, ja, dann<br />
kann man sich auf die Schulter klopfen und sagen: My<br />
big fat Balkan Wedding war ein voller Erfolg, und eine<br />
Story für die Enkel hat man auch noch zum Erzählen.<br />
Viele Familienmitglieder haben sich danach nicht mehr<br />
viel zu sagen. Nüchtern betrachtet: Keine schlechte Bilanz<br />
fürs Brautpaar. Auf die Liebe! Živeli & Prost! ●<br />
cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt<br />
© Zoe Opratko<br />
8 / MIT SCHARF /
NEMA PROBLEMA<br />
TELENOVELA<br />
Nenad fängt sein erstes Praktikum bei einer Baufirma<br />
an. Nach seiner ersten Woche kommt er ziemlich<br />
ge schafft nach Hause. Die Büroarbeit dauert länger<br />
als gedacht. Schwester Jelena macht das stutzig –<br />
sie will gleich mal seinen Arbeitsvertrag sehen, doch<br />
Nenad hat noch gar keinen bekommen.<br />
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
NEUES AUS DEM LEBEN<br />
DER FAMILIE PRAVDOVIĆ<br />
Tja,<br />
willkommen<br />
im Arbeitsleben<br />
mein Lieber!<br />
Uff, das<br />
ist schon zach.<br />
Ich dachte echt nicht,<br />
dass ich immer so lange<br />
bleiben muss …<br />
Boah<br />
die Woche<br />
wars echt<br />
zach…<br />
Was steht<br />
denn in deinem<br />
Arbeits vertrag?<br />
Was meinst du?<br />
Ich dachte das sind<br />
deine Arbeitszeiten?<br />
Musstest du etwa Überstunden<br />
machen?<br />
Welcher<br />
Arbeitsvertrag? Ich<br />
hab nix bekommen.<br />
Hier gehts<br />
zum AK<br />
Tiktok Kanal:<br />
Was?<br />
Ok wait, das<br />
geht so nicht.<br />
Schau mal, was die<br />
Arbeiterkammer<br />
sagt.<br />
TIPP Arbeiterkammer:<br />
27 % aller Wiener<br />
Schüler:innen jobben<br />
in den Ferien,<br />
darun ter 10.000<br />
Pflichtprak tikant:<br />
innen. Hier kommen<br />
auch viele Fragen<br />
auf – die Antworten<br />
mit den besten Tipps<br />
rund um Praktikum &<br />
Ferialjob hat die AK<br />
parat.<br />
PRO TIPP: Spezialberatung<br />
gibt’s auch<br />
beim AK Stand am<br />
Donauinselfest auf<br />
der Arbeitsweltinsel.<br />
Freitag, <strong>23</strong>.6.,<br />
13-18 Uhr<br />
Fotos: Zoe Opratko
LIMANEWS<br />
Von Dione Azemi und Anja Bachleitner<br />
Wusstet ihr, dass Klimawandel, Rassismus und Kolonialismus<br />
untrennbar zusammenhängen? Wir liefern euch die Fakten und<br />
Zahlen – denn der Klimawandel geht uns alle an.<br />
MAPA<br />
Unter dem Begriff MAPA<br />
(Most Affected People<br />
and Areas) werden<br />
diejenigen Menschen<br />
und Gebiete zusammengefasst,<br />
die weltweit<br />
am stärksten unter<br />
der Klimakatastrophe<br />
leiden. MAPA setzen sich<br />
allem voran aus BIPoC<br />
(Bezeichnung für „Black,<br />
Indigenous und People of<br />
Color“) und aus Ländern<br />
des Globalen Südens<br />
zusammen. Dabei handelt<br />
es sich nicht um einen<br />
Zufall, sondern um direkte<br />
Folgen von Rassismus<br />
und Kolonialismus.<br />
Die europäischen<br />
Kolonialmächte stellten<br />
sich jahrhundertelang<br />
sowohl gegenüber den<br />
kolonisierten Menschen<br />
als auch gegenüber der<br />
Natur als „überlegen“<br />
dar. Die Natur als leblose<br />
„Ressource“ zu sehen,<br />
aus der es unendlich<br />
Profit zu schlagen gilt, ist<br />
ein zutiefst westliches<br />
und vom Westen aufgezwungenes<br />
Verständnis<br />
und hat den Klimawandel<br />
wesentlich befördert.<br />
Die Aufarbeitung der<br />
gewaltvollen und menschenverachtenden<br />
Kolonialgeschichte<br />
Europas<br />
ist deshalb auch klimapolitisch<br />
unerlässlich.<br />
WEISSER KLIMAAKTIVISMUS?<br />
Klimaaktivismus hat nicht mit Greta Thunberg begonnen. BIPoC setzten sich mit<br />
ihren Kämpfen gegen die koloniale Unterdrückung immer auch schon für das Klima<br />
unserer Erde ein. Bis heute bekommen Klimaaktivist*innen of Color jedoch nicht die<br />
gleiche Aufmerksamkeit wie weiße Aktivist*innen. Merkt euch deshalb auch Namen<br />
wie Leah Namugerwa, Hilda Flavia Nakabuye, Marinel Ubaldo, Rayanne Cristine<br />
Maximo Franca, Adenike Oladosu, Adwoa Addae oder Tonny Nowshin, um nur einige<br />
zu nennen.<br />
Leah Namugerwa<br />
VON WEGEN<br />
„GRÜNE“<br />
ELEKTRO-AUTOS<br />
Für die Herstellung von<br />
E-Akkus werden Lithium<br />
und Kobalt gebraucht.<br />
Während der Abbau von<br />
Lithium Landschaften in<br />
Bolivien zerstört, wird<br />
Kobalt in der Demokratischen<br />
Republik Kongo von<br />
Kindern abgebaut – unter<br />
gefährlichen Bedingungen<br />
und zu Hungerlöhnen. Das<br />
koloniale Erbe von Raubbau<br />
und Ausbeutung im<br />
Globalen Süden setzt sich<br />
fort.<br />
Adenike Oladosu<br />
PROBLEMAUSLAGERUNG<br />
Schwer recyclebarer Plastikmüll ist ein Problem,<br />
das der globale Norden in Länder wie China,<br />
Malaysia, Thailand und Vietnam auslagert – mit<br />
schweren gesundheits- und umweltschädigenden<br />
Folgen für die Menschen und Gebiete dort. Wieder<br />
sind in erster Linie BIPoC und Gebiete des Globalen<br />
Südens die Leidtragenden.<br />
© SUMY SADURNI / AFP / picturedesk.com, Malte Ossowski / dpa Picture Alliance / picturedesk.com, NHAC NGUYEN / AFP / picturedesk.com<br />
10 / MIT SCHARF /
ZAHLEN &<br />
FAKTEN<br />
Wenn wir Klimagerechtigkeit fordern,<br />
müssen wir daran denken,<br />
dass weder die Verantwortung für<br />
die, noch die Folgen der Klimakrise<br />
alle Menschen gleich betreffen.<br />
EIN GUTER TAG HAT 100 PUNKTE:<br />
© www.eingutertag.org<br />
Pro-Kopf-Verbrauch von<br />
CO₂ im Jahr 2018:<br />
Österreich: 9,2 Tonnen<br />
Demokratische Republik Kongo:<br />
0,04 Tonnen<br />
Tansania: 0,26 Tonnen<br />
Sudan: 0,4 Tonnen<br />
Bolivien: 1,85 Tonnen<br />
Kolumbien: 1,53 Tonnen<br />
Höchstgrenze, um das 2°C- Ziel<br />
zu erreichen: 2,7 Tonnen<br />
CO₂-Verbrauch zwischen<br />
1990 und 2015:<br />
Die reichsten 10% der<br />
Weltbevölkerung waren für 52%<br />
der globalen CO₂-Emissionen<br />
verantwortlich.<br />
Die ärmsten 50 % der<br />
Weltbevölkerung nur für 7% der<br />
globalen CO₂-Emissionen.<br />
Die am meisten von<br />
extremen Wetterereignissen<br />
betroffenen Länder<br />
zwischen 2000 und 2019:<br />
Puerto Rico<br />
Myanmar<br />
Haiti<br />
Philippinen<br />
Mosambik<br />
Bahamas<br />
Bangladesch<br />
Pakistan<br />
Thailand<br />
Dominica<br />
Täglich werden die Medien mit Tipps und Tricks zu einem nachhaltigeren Lifestyle<br />
überflutet. „Verzichte auf Fleisch, kaufe Second-Hand, fahr mit der Bahn! “, doch<br />
was zeigt wirklich Wirkung und wo sollten die Prioritäten gesetzt werden? Bei der<br />
Beantwortung dieser Fragen soll die App eingutertag helfen, denn auch wenn es<br />
neue politische Rahmenbedingungen benötigen würde, können wir alle etwas zu<br />
einer klimaneutraleren Welt beitragen.<br />
Laut Wissenschafter*innen sollten pro Tag und Kopf maximal 6,8 kg CO₂ ausgestoßen<br />
werden. Diese wurden von den Machern der App in 100 Punkte umgerechnet,<br />
die man täglich konsumieren darf. Je schädlicher etwas ist, desto mehr kostet es.<br />
So zahlt man beispielsweise für eine Fahrt von 10 km mit dem Auto 38 Punkte,<br />
während dieselbe Strecke mit dem Rad kostenfrei wäre.<br />
Durch die App ist es sehr einfach, den Überblick zu behalten und über unseren<br />
alltäglichen Konsum zu reflektieren, denn auch wenn die Verantwortung nicht allein<br />
bei uns liegt, können wir unser Bestes versuchen.<br />
KLIMANEUTRALES<br />
KINO<br />
Frühsommer, Open-Air Kinos und Fahrräder.<br />
Bis 19. Juni 20<strong>23</strong> veranstaltet das<br />
Institut der Theater-, Medien- und Filmwissenschaften<br />
der Universität Wien diverse<br />
Kinoabende. Das Besondere daran? Sie sind<br />
klimaneutral! Freiwillige dürfen in die Pedale<br />
treten, denn der benötigte Strom wird mithilfe<br />
dreier Fahrräder, die an einen Generator<br />
angeschlossen sind, erzeugt. Mit dem<br />
Motto „Kurbeln statt Schwurbeln“ verbindet<br />
diese Veranstaltung nicht nur Kino und<br />
Nachhaltigkeit, sondern auch Film und Wissenschaft.<br />
Jeder der acht Filme beschäftigt<br />
sich mit einer anderen Disziplin und<br />
im Anschluss diskutieren Experten dieses<br />
Fachbereiches mit den Zuschauer*innen.<br />
Mehr Infos: www.kurbeln.at<br />
APP<br />
EMPFEHLUNGEN<br />
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Essensverschwendung<br />
und<br />
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/ MIT SCHARF / 11
MEINUNGSMACHE MIT SCHARF<br />
Aktuelle politische Themen im Überblick: komprimiert, kurz und mit scharf.<br />
TÜRKEI ÖSTERREICH/IRAN ÖSTERREICH<br />
DEINE PROVINZ<br />
VERRÄT, OB DU<br />
TERRORISTIN BIST<br />
„Seid ihr auch solche Bergkurden<br />
oder normale Kurden?“, „Leben in<br />
Tunceli nicht nur PKK-Anhänger?“<br />
Sprüche wie diese muss ich mir<br />
immer öfter anhören. Meine Familie<br />
kommt aus der Provinz Dersim,<br />
heute Tunceli in der Türkei. In<br />
dieser Region leben mehrheitlich<br />
alevitische Kurd:innen. Die Abneigung<br />
der Mehrheit gegenüber<br />
ethnischen und religiösen Minderheiten<br />
in der Türkei ist ein riesiges<br />
Problem. Oftmals musste ich wie<br />
viele andere auch die Erfahrung<br />
machen, dass mein Gegenüber<br />
das Gesicht verzieht, sobald der<br />
Name Tunceli fällt. Denn schließlich<br />
sind wir nicht von „ihnen“,<br />
sondern wir sind „anders“. Doch<br />
nicht nur in der Türkei, sondern<br />
auch innerhalb der türkischen<br />
Community in Wien erlebte ich<br />
ähnliches. Diskriminierungsformen<br />
wie diese sind tief in den Wurzeln<br />
vieler Menschen verankert. Solange<br />
marginalisierte Gruppen innerhalb<br />
einer Gesellschaft aufgrund<br />
ihrer ethnischen Abstammung<br />
oder Religion nach Anerkennung<br />
streben müssen, besteht noch viel<br />
Aufholbedarf für die Türkei und<br />
auch ihre Community auswärts.<br />
Şeyda Gün, Kolumnistin<br />
guen@dasbiber.at<br />
JINA-MAHSA-AMINI-<br />
STRASSE SOLL EIN<br />
VORBILD SEIN<br />
In der Donaustadt soll eine Straße<br />
nach Jina Mahsa Amini benannt<br />
werden. Die kurdische Iranerin ist<br />
vergangenen September in Polizeigewahrsam<br />
gestorben, nachdem<br />
sie von der iranischen Sittenpolizei<br />
festgenommen worden war – weil<br />
sie die islamischen Kleidungsvorschriften<br />
missachtet hatte. Ihr<br />
Tod hat im Iran die schwersten<br />
Proteste seit Jahrzehnten ausgelöst,<br />
Jina wurde zum Gesicht der<br />
Protestbewegung – auch weltweit.<br />
Die SPÖ und NEOS haben jetzt<br />
die Benennung einer Straße im<br />
22. Bezirk in Wien nach Amini<br />
gefordert. Die Resolution wurde<br />
schon eingebracht. Ich wünsche<br />
mir, dass das ein Beispiel für die<br />
Zukunft wird: Wie viele Straßennamen<br />
und Denkmäler es doch<br />
gibt, die man schleunigst umbenennen<br />
sollte. So wurden schon<br />
2013 an die 170 Straßennamen<br />
in Wien wegen ihrer historischen<br />
Vergangenheit als problematisch<br />
eingestuft. Haut doch bitte endlich<br />
die ganzen Antisemiten, Nazis,<br />
Kolonialisten und Rassisten raus.<br />
Und ersetzt die Straßen mit denen,<br />
die für die Ewigkeit in Erinnerung<br />
bleiben sollen, wie Jina.<br />
Aleksandra Tulej, Chefredakteurin<br />
tulej@dasbiber.at<br />
IN ÖSTERREICH ZU<br />
ARBEITEN MUSS<br />
SICH ENDLICH<br />
LOHNEN!<br />
Österreich wird immer älter<br />
– trotz sinkender Arbeitslosenquote<br />
haben zwei von drei<br />
Unternehmen Probleme damit<br />
Personal zu finden. IT, Tourismus,<br />
Gastronomie und Pflege<br />
sind besonders vom Fachkräftemangel<br />
betroffen. Sozialminister<br />
Rauch gab’s bereits zu: „Ohne<br />
qualifizierte Zuwanderung von<br />
außen werden wir nicht auskommen.“<br />
Die Lösung für das Problem<br />
liegt auf der Hand – jedoch<br />
kämpfen gerade Menschen<br />
aus Drittstaaten mit der österreichischen<br />
Bürokratie, wenn<br />
es um Visa, sowie Berufs- und<br />
Hochschulanerkennungen geht,<br />
und landen häufig in schlechter<br />
bezahlten Jobs, die ihren Qualifikationen<br />
nicht entsprechen.<br />
Steuern zahlen und regelmäßig<br />
teuren Papierkram erledigen dürfen<br />
sie – das Wahlrecht, und der<br />
volle Zugang zum Bildungs- und<br />
Sozialsystem bleibt Drittstaatlern<br />
jedoch verwehrt. Wann ist<br />
endlich Schluss mit der Rosinenpickerei?<br />
Nada El-Azar-Chekh, Ressortleitung<br />
Kultur<br />
el-azar@dasbiber.at<br />
© Zoe Opratko<br />
12 / MEINUNGSMACHE MIT SCHARF /
BEWIRB DICH JETZT:<br />
JOURNALISMUS SUMMER SCHOOL<br />
Du bist zwischen 13 und 19 Jahre alt und möchtest in den Sommerferien in die Medienwelt<br />
hineinschnuppern? Du willst lernen, wie man recherchiert, schreibt und Tik-<br />
Toks dreht? Dann bist du bei unserer multimedialen Summer-School richtig!<br />
DAS PROGRAMM DER JOURNALISMUS<br />
SUMMER-SCHOOL VON DER<br />
CHEFREDAKTION<br />
In der multimedialen Summer-School lernst du<br />
Journalismus-Skills von der jüngsten Redaktion<br />
des Landes: die_chefredaktion. In kleinen Klassen<br />
erfährst du, was hinter dem Schlagwort „Medienkompetenz“<br />
steckt und wie du selbst guten Content<br />
für Social-Media machst. Du wirst recherchieren,<br />
schreiben, diskutieren, Videos drehen und in den<br />
Journalismus hineinschnuppern.<br />
LEITUNG DER JOURNALISMUS<br />
SUMMER-SCHOOL<br />
Melisa Erkurt und Anna Jandrisevits<br />
(die_chefredaktion)<br />
DIE TERMINE DER JOURNALISMUS<br />
SUMMER-SCHOOL<br />
Die Summer-School findet in Blöcken im Juli<br />
20<strong>23</strong> in unserer Redaktion in Wien statt. Jede<br />
Woche startet und endet eine Klasse. Du hast also<br />
zwei Terminblöcke zur Auswahl, wann es eben für<br />
dich passt!<br />
Die Unterrichtszeit ist von Montag bis Freitag<br />
jeweils vormittags, von 10 bis 13 Uhr.<br />
TERMINBLÖCKE<br />
ZUR AUSWAHL:<br />
03.-07. Juli 20<strong>23</strong><br />
10.-14. Juli 20<strong>23</strong><br />
DIE KOSTEN UND VORAUSSETZUNGEN<br />
DER JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL<br />
Die Summer-School kostet nichts. Das Angebot gilt<br />
für Schüler*innen ab 13 Jahren (Einverständniserklärung<br />
der Eltern notwendig) bis inkl. 19 Jahren.<br />
Voraussetzungen brauchst du keine erfüllen, Hauptsache<br />
du bist engagiert dabei.<br />
DEIN ZERTIFIKAT VON DER<br />
JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL<br />
Ob Text, Video oder Instagram-Content: Für eine<br />
erfolgreiche Teilnahme gibt es ein Zertifikat.<br />
RÄUMLICHKEITEN BEI DER<br />
JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL<br />
Die Summer-School findet in der Redaktion im<br />
Museumsquartier in Wien (Museumsplatz 1,<br />
1070 Wien) statt.<br />
ANMELDUNG FÜR DIE JOURNALISMUS<br />
SUMMER-SCHOOL<br />
Lust bekommen?<br />
Dann schreib JETZT eine Mail mit Wunschtermin,<br />
Name und deinem Alter an<br />
support@diechefredaktion.at<br />
Für Updates zu möglichen<br />
weiteren Terminen schaut gern<br />
auf unserem Instagram-Kanal vorbei.<br />
WIR FREUEN UNS AUF DICH!
„Erdoğan ist ein Macher!“<br />
Recep Tayyip Erdoğan bekommt eine dritte Amtszeit als Präsident<br />
der Türkei. Auch in Österreich wurde viel gejubelt. Wider<br />
Erwarten hat er gerade aus den türkischen Erdbebengebieten viel<br />
Zuspruch von seiner Wählerschaft erhalten - waren es doch die<br />
Regionen, die mangelnde Hilfe seitens Regierung beklagt hatten.<br />
Ein Lokalaugenschein.<br />
Von Özben Önal, Mitarbeit: Aleksandra Tulej<br />
© Zoe Opratko<br />
14 / POLITIKA /
Wahlkampf im Zeltlager: Erdoğan versprach einen baldigen Wiederaufbau der<br />
vom Erdbeben zerstörten Gebiete.<br />
© CAN EROK / AFP / picturedesk.com<br />
Sonntag, der 28 Mai: Seit vier Stunden rutsche<br />
ich nervös auf dem Sofa hin und her, während<br />
die Wahlergebnisse im türkischen Fernsehen<br />
immer deutlicher werden. Bis zur letzten Sekunde<br />
hoffte ich auf einen Wendepunkt – jedoch<br />
vergebens, das Ergebnis steht fest. Während die eine Hälfte<br />
der Bevölkerung große Türkei-Fahnen schwenkt und zu<br />
lauter Musik unter buntem Feuerwerk den Sieg von Recep<br />
Tayyip Erdoğan feiert, sitzt die andere Hälfte, zu der auch ich<br />
gehöre, enttäuscht und wütend Zuhause vor den Smartphones,<br />
um Trost zu suchen. Die Ära Erdoğan geht weiter: Er<br />
bleibt nach der knappen Stichwahl Präsident der Türkei und<br />
seine Partei, die AKP, hat die Mehrheit im Parlament. Mit<br />
ihr zusammen sind Abgeordnete der ultranationalistischen<br />
Partei MHP und der islamisch-konservativen HÜDA PAR, die<br />
vor allem für die Orientierung an der Ideologie der Hisbollah<br />
bekannt ist, ins Parlament gewählt worden.<br />
Hupende Autokorsos in Rot und Weiß zogen sich auch<br />
durch die Straßen von Hatay, die noch vor vier Monaten<br />
gefüllt waren mit Menschen, die ihre Existenzen verloren<br />
hatten und verschüttete Angehörige suchten. Die Provinz<br />
Hatay liegt im Süden der Türkei und wurde mitunter am<br />
stärksten von den verheerenden Erdbeben am sechsten<br />
Februar getroffen. Nach offiziellen Angaben starben in der<br />
Türkei insgesamt 50.000 Menschen, davon 20.000 in Hatay.<br />
Vor einigen Wochen wurden die Ergebnisse der ersten Wahl<br />
aus den Erdbebengebieten veröffentlicht – Erdoğan erlangte<br />
eine Mehrheit der Stimmen oder verfehlte diese zumeist nur<br />
knapp. Es wurde lange befürchtet, dass nur wenige Menschen<br />
in die Wahllokale in der Region gehen würden: Von<br />
den rund vier Millionen geflüchteten Menschen haben sich<br />
nur 130.000 am neuen Wohnort für die Wahl gemeldet, der<br />
Rest musste in die Erdbebengebiete zurückreisen, um ihre<br />
Stimme abzugeben. Die Wahllokale wurden provisorisch<br />
in Containern eingerichtet, der Flughafen in Hatay war für<br />
Im Epizentrum des Erdbebens,<br />
Kahramanmaraş entschieden sich<br />
75,8 % der Wähler:innen für eine<br />
weitere Amtszeit des Präsidenten.<br />
ankommende Flüge bis nach den Wahlen geschlossen. Trotz<br />
aller Schwierigkeiten lag die Wahlbeteiligung dort zwischen<br />
80 und 86 Prozent, also nur ein wenig unter dem türkischen<br />
Durchschnitt.<br />
Während die Stimmen für Erdoğan in Hatay mit nur<br />
knapp mehr als der Hälfte bei 50,1 % lagen, sah es in dem<br />
Epizentrum des Erdbebens, Kahramanmaraş, schon ganz<br />
anders aus: 75,8 % der Wähler:innen entschieden sich<br />
für eine weitere Amtszeit des Präsidenten. Auch in dem<br />
betroffenen Gaziantep fielen die Ergebnisse ähnlich aus –<br />
62,7 % der Stimmen gingen an Erdoğan. Zu erwarten war<br />
eine niedrige Erfolgsquote in dem kurdischen Diyarbakir: Die<br />
prokurdische Partei HDP hatte vor den Wahlen sehr deutlich<br />
gemacht, den Oppositionsführer Kılıçdaroğlu zu unterstützen<br />
und so entschieden auch ihre Wähler:innen – nur 28,3 % der<br />
Stimmen konnte Recep Tayyip Erdoğan dort erzielen.<br />
„WÄREN SIE DOCH ALLE VERRECKT“<br />
Die Reaktionen auf den hohen Erdoğan-Zuspruch in den<br />
Erdbebengebieten ließen nicht lange auf sich warten:<br />
Es hagelte hasserfüllte Kritik auf Twitter und anderen<br />
sozialen Medien. Mit Aussagen wie „Wären sie doch alle<br />
verreckt!“ oder „Ich trauere um jeden Cent, den ich gespendet<br />
habe!“ zog sich eine empörte Welle der Wut und der<br />
Abneigung durch Teile der Bevölkerung – vor allem außerhalb<br />
der Städte, die durch das Erbeben verwüstet worden<br />
/ POLITIKA / 15
Uns begleitet der Geruch<br />
von Lebensmitteln, die<br />
seit drei Monaten auf den<br />
Straßen rumliegen.<br />
waren. Auch ich reagierte auf die Wahlergebnisse zunächst<br />
irritiert und enttäuscht, aber die Tweets machten mich fassungslos.<br />
Dass die Spendengelder und Sachgüter nur eine<br />
Tauschleistung im Gegenzug abgegebener Stimmen für die<br />
Opposition waren, war mir nicht bewusst gewesen. Dass<br />
man den Menschen den Tod wünschen würde, auch meinen<br />
Familienangehörigen, weil sie zum Teil nicht wählen konnten,<br />
oder auch aus Zukunfts- und Existenzängsten ihre Stimmen<br />
jener Regierung gaben, die ihnen primär finanzielle Unterstützung<br />
versprach, auch nicht. Aber wagen wir erst mal<br />
einen Rückblick:<br />
Drei Monate verfolgte ich über die sozialen Medien und<br />
türkische Nachrichten, wie die Heimatstadt meiner Eltern –<br />
mein zweites Zuhause – zugrunde ging und in Schutt und<br />
Asche verschwand. Tagelang blieb ich vor dem Fernseher<br />
sitzen und wartete auf Anrufe meiner Verwandten und<br />
Bekannten. Einige kamen durch, andere wiederum nie. Insgesamt<br />
elf Provinzen in der Türkei und den kurdischen Regionen<br />
waren betroffen, auch Teile Syriens wurden verwüstet.<br />
Nach einigen Wochen war die Berichterstattung abgeflaut,<br />
die Regionen wurden fast nicht mehr thematisiert, der neue<br />
Alltag der Menschen dort ging und geht aber weiter. Wir<br />
wollten uns und euch mit eigenen Augen ein Bild von der<br />
Lage machen. Mit einem flauen Magen und Verunsicherung<br />
setzte ich mich also Ende April gemeinsam mit meiner Kollegin<br />
Aleksandra Tulej in den Flieger und bereitete mich auf<br />
den Anblick des zerstörten Stadtzentrums vor.<br />
Als mein Cousin Mustafa uns vom Flughafen in Adana<br />
abholt und wir uns auf die vierstündige Autofahrt machen,<br />
ist es bereits Nacht. Durch die Dunkelheit lassen sich nur die<br />
Fassaden der schwer beschädigten Reihenhäuser erkennen,<br />
die noch vor ein paar Monaten von Familien bewohnt<br />
waren. Die Bilder der Trümmer kannte ich schon von Social<br />
Media und aus dem Fernsehen, was man allerdings nicht<br />
auf Bild und Ton transportieren kann, ist der Geruch, der uns<br />
die ganze Zeit über begleitet – der Geruch von Lebensmitteln,<br />
die seit drei Monaten nicht im Kühlschrank waren und<br />
seitdem auf den Straßen rumliegen. Die Kühlketten in den<br />
Supermärkten und Privathaushalten wurden unterbrochen,<br />
die Katzen essen das vergammelte Fleisch, das auf den Straßen<br />
liegt, überall wirbelt Staub auf – aber wir gehen immer<br />
tiefer in die Stadt hinein, sprachlos und eingeschüchtert.<br />
Auf den Straßen patrouilliert das Militär, da die Wohnungen,<br />
die noch stehen, nach wie vor geplündert werden. Antakya<br />
ist eine Geisterstadt: Ein Leben existiert hier nicht mehr, nur<br />
noch Gerüste und Schatten dessen, was die Stadt einmal<br />
war. In den Häusern stehen immer noch umgekippte Möbel,<br />
Teller auf den Tischen und Vorhänge flattern im Fenster –<br />
Unterwegs in Antakya:<br />
Die Folgen des Bebens sind noch sehr präsent.<br />
alles so, wie es vor drei Monaten zurückgelassen wurde.<br />
Ich stehe nun also das erste Mal wieder in der Straße, in<br />
der ich viele Jahre meiner Kindheit und Jugend verbracht<br />
habe. Das Haus meiner Familie ist nicht mehr aufzufinden,<br />
lediglich Trümmer über Trümmer füllen das Stadtviertel im<br />
Zentrum der Hauptstadt Antakya. Kein Restaurant, keine Bar,<br />
kein Café steht mehr dort, wo es einmal war.<br />
Mein Cousin führt uns durch die Gassen, die nicht wiederzuerkennen<br />
sind – auch er hat seine Wohnung verloren<br />
und kommt bei Verwandten unter – diese Lösung war<br />
temporär gedacht, aber heute, vier Monate nach dem Beben,<br />
ist immer noch keine langfristige Alternative in Sicht. Aber<br />
Mustafa steckt in einer vergleichsweise guten Situation, wie<br />
er uns erzählt. Nicht alle können bei Verwandten unterkommen:<br />
Etwa 250.000 Menschen in der Region leben in Zeltund<br />
Containercamps.<br />
DIE ZUSTÄNDE IN DEN CAMPS<br />
VON HATAY WERDEN IMMER<br />
UNERTRÄGLICHER<br />
Das Devrent Zeltcamp ist eines davon. Es befindet sich in<br />
der Stadt Yayladağı in Hatay, etwa fünf Kilometer von der<br />
syrischen Grenze entfernt. Die nummerierten Zelte reihen<br />
sich in einem Waldstück abseits des Stadtzentrums anein-<br />
© Aleksandra Tulej<br />
16 / POLITIKA /
Viele sind gezwungen, in<br />
Zelten oder Containern zu<br />
schlafen und davon gibt es<br />
schlichtweg nicht genug.<br />
ist zu spüren. Auch die Hygiene wird mit dem kommenden<br />
Sommer zu einem immer größeren Problem – denn es gibt<br />
nur Gemeinschaftsduschen und auch sanitäre Anlagen sind<br />
noch immer begrenzt.<br />
© Aleksandra Tulej<br />
Etwa 250.000 Menschen in der Region<br />
leben in Zelt- und Containercamps.<br />
ander. Zwischen den Bäumen sind Seile befestigt, an denen<br />
Wäsche hängt. Durch den Schutt, der täglich von Tausenden<br />
Lastwagen davongetragen wird, ziehen Staubwolken durch<br />
die gesamte Region, der auch an der frisch gewaschenen<br />
Kleidung haftet. Mit jedem Atemzug ziehen wir diesen Staub<br />
direkt in unsere Lungen und müssen bereits nach einigen<br />
Stunden ständig husten. Diesen Zuständen sind seit Monaten<br />
Nilüfer und ihre Familie ausgesetzt. Da der Boden in<br />
Yayladağı, im Gegensatz zu dem Rest von Hatay, sehr stabil<br />
ist, gab es hier kaum eingestürzte Gebäude. Deshalb sind<br />
etwa 85.000 Menschen aus Antakya hierher geflüchtet und<br />
wohnen seitdem bei Verwandten oder in einem der Camps.<br />
„Meine Kinder schlafen quasi aufeinander. Wir können im<br />
Zelt kaum atmen und die Luft draußen wird immer schlimmer“,<br />
erzählt Nilüfer. „Wir wären schon dankbar dafür, endlich<br />
einen Container zugewiesen zu bekommen, aber auch<br />
das passiert nicht.“ In der gesamten Region werden vermehrt<br />
Containercamps errichtet, doch diese reichen längst<br />
nicht für alle. Der Staat weist die begrenzten Container zu.<br />
Den Vorrang haben alte und kranke Menschen sowie Personen<br />
mit Behinderungen. Tagsüber sind die heißen Sommertemperaturen<br />
mittlerweile deutlich zu spüren und die Hitze<br />
macht das Schlafen in den Zelten immer unerträglicher. Die<br />
wütende Stimmung unter den Bewohner:innen des Camps<br />
ÜBERALL HERRSCHT<br />
KOORDINATIONS-CHAOS<br />
Im Container Camp in Antakya ist die Lage ebenfalls schwierig.<br />
Nursena, eine freiwillige Psychiaterin, empfängt uns<br />
am Eingang des Camps, denn der Zutritt ist für Unbefugte<br />
normalerweise verboten. Wir geben unsere Ausweise den<br />
Polizisten, die den Eingang bewachen, und dürfen Nursena<br />
in einen der vielen Container begleiten. Wir setzen uns an<br />
ihren Schreibtisch, die Luft ist stickig und heiß. „Wir haben<br />
in keinem der Container Klimaanlagen, ich weiß nicht, wie<br />
die Menschen es hier im Sommer aushalten sollen“, erklärt<br />
sie, während sie türkischen Kaffee für uns kocht. Auch sie<br />
beklagt die Zustände der Camps und bangt um dauerhafte<br />
Lösungen. „In diesem Containercamp leben ungefähr 3000<br />
Menschen aus der Region und das sind vergleichsweise noch<br />
die Glücklichen. Aber das geht so nicht mehr lange weiter, wir<br />
kriegen die Schulklassen nicht koordiniert, weil die Kinder mal<br />
kommen und mal nicht. Es wechseln aber auch ständig die<br />
Lehrer:innen, also kann ich das den Kindern auch nicht nachtragen.<br />
Wir brauchen außerdem viel mehr Gesundheitspersonal.<br />
Aktuell sind wir als Psychiaterinnen zu dritt hier im Camp.<br />
Könnt ihr euch vorstellen, wie viele Termine wir pro Tag<br />
annehmen?“ Der konstante Wechsel von Psychiater:innen,<br />
Lehrer:innen und dem Gesundheitspersonal liegt vor allem<br />
an den schwierigen Lebensbedingungen vor Ort. Denn viele<br />
von ihnen, die nicht bei Bekannten oder Verwandten unterkommen<br />
können, sind ebenfalls gezwungen, in Zelten oder<br />
Containern zu schlafen und davon gibt es schlichtweg nicht<br />
genug. Unter diesen Umständen leiden nicht nur die durch<br />
das Erdbeben traumatisierten Menschen, die ständig mit<br />
wechselnden Bezugspersonen konfrontiert werden. Auch<br />
die Bildung der Kinder in den Camps leidet unter den sich<br />
ändernden Lehrpersonen stark. Die meisten Lehrer:innen,<br />
denen es möglich war, sind aus Hatay geflohen, so wie viele<br />
andere Menschen auch. Dadurch fehlen vor allem in der<br />
Region Lehrpersonen. Zur Zeit befinden sich in den Erdbebenregionen<br />
etwa 3,5 Millionen Kinder und Jugendliche, die<br />
schulpflichtig sind. Die aktuelle Lage ist eine enorme Herausforderung<br />
für das Bildungsministerium, noch immer fehlen<br />
Perspektiven. Die fehlen nicht nur den Menschen in den<br />
Lagern – die Perspektivlosigkeit zieht sich als Thema wie ein<br />
roter Faden durch den gesamten Wahlkampf und bleibt auch<br />
jetzt, nachdem die Wahl entschieden ist.<br />
/ POLITIKA / 17
???<br />
Auf dem Friedhof in Antakya liegen etwa 5000<br />
Erdbebenopfer - viele von ihnen sind noch nicht identifiziert.<br />
DIE SEHNSUCHT NACH STABILITÄT<br />
„So sehr ich mir auch wünschte, das Wahlergebnis sähe<br />
anders aus, als es ist, kann ich die Menschen, die in Containern<br />
und Zelten noch immer um den Verlust ihrer Angehörigen<br />
trauern und sich um ihre Zukunft sorgen und deshalb<br />
Erdoğan wählen, verstehen“, erzählt mir Sümbül Sümbültepe.<br />
Er ist Künstler aus Hatay und lebt seit vier Jahren mit<br />
seiner Familie in Wien. Bei dem Erdbeben verlor er viele<br />
seiner engsten Verwandten. Er flog am zweiten Tag hin und<br />
half tagelang, die Leichen seiner verstorbenen Familienmitglieder<br />
zu bergen. „Einige meiner Bekannten arbeiten<br />
in Container- und Zeltcamps. Vor den Wahlen besuchten<br />
Regierungsmitglieder die Lager und versprachen ihnen<br />
Häuser und finanzielle Hilfe. Wenn ich mich in diese Menschen<br />
hineinversetze, kann ich nachvollziehen, dass sie sich<br />
vor allem nach Stabilität sehnen. Überlegen sie doch mal:<br />
Innerhalb von Sekunden verlieren sie ihre Wohnung, ihre<br />
nächsten Verwandten, ihre gesamte Existenz und finden sich<br />
plötzlich in einem Zelt wieder. Natürlich ist ihr sehnlichster<br />
Wunsch, so schnell wie möglich in ein halbwegs normales<br />
Leben zurückkehren zu können. Sie müssen auf die Versprechen<br />
vertrauen, die ihnen gemacht werden, ihr Leben<br />
hängt davon ab, deshalb hinterfragen viele diese Propaganda<br />
nicht.“ Tatsächlich war eines der Hauptthemen während der<br />
Wahlkampagnen der Wiederaufbau der Erdbebenregionen.<br />
Erdoğan versprach in seinen Reden immer wieder, innerhalb<br />
von einem Jahr Antakya und andere verwüstete Städte neu<br />
zu bauen. Im Zentrum von Antakya werden nach vier Monaten<br />
immer noch Trümmer weggeräumt, Hunderte schwer<br />
beschädigte Gebäude müssen noch abgerissen werden, sie<br />
sind nicht mehr bewohnbar. Auch wenn die Arbeiten im vollen<br />
Gange sind, versinkt die Stadt noch immer im Chaos und<br />
ein Ende ist nicht in Sicht. Aus der Hauptstadt flohen etwa<br />
700.000 Menschen, die Stadt wurde komplett zerstört. Die<br />
Menschen sind dabei, ihre Existenzen von neu an aufzubauen,<br />
und hoffen dabei auf Unterstützung seitens der Regierung.<br />
Für viele hier wird es allerdings gar keine Zukunft mehr<br />
geben: Auf dem eigens errichteten Friedhof der Namenlosen<br />
in Antakya sind etwa 5000 Menschen begraben worden –<br />
allesamt Opfer des Erdbebens, zum Teil liegen ganze Familien<br />
hier. Die Toten werden erst nach und nach identifiziert,<br />
viele von ihnen bleiben namenlos, da niemand mehr lebt, der<br />
sie identifizieren könnte. Auf allen Gräbern prangt dasselbe<br />
Todesdatum: der 6.2.20<strong>23</strong>.<br />
DIE VERSPRECHUNGEN ZU EINEM<br />
SCHNELLEN WIEDERAUFBAU<br />
Im Rathaus von Yayladağı treffen wir den Bürgermeister<br />
Mehmet Yalçın, er ist Mitglied der Regierungspartei. Wir<br />
werden in seinem Büro empfangen, sein pompöser Schreibtisch<br />
ist verziert mit goldenen Details, die an kitschige<br />
Szenen des osmanischen Reichs erinnern. Dahinter auf<br />
der linken Seite hängt an der Wand ein großes Porträt des<br />
Präsidenten. Rechts von ihm hängt ein noch größeres Bild<br />
von Mustafa Kemal Atatürk – zwischen ihnen eine große<br />
Türkei-Fahne. „Wir planen innerhalb der ersten anderthalb<br />
Jahre alle Bauten hier in Yayladağı fertigzustellen, sodass die<br />
Menschen danach in die Häuser ziehen können. Im Zentrum<br />
von Antakya darf auf vielen Flächen in der Nähe der<br />
Verwerfungslinie nicht gebaut werden, stattdessen sollen<br />
diese mit Grünflächen umsäumt werden. Und wie unser<br />
Präsident bereits sagte, es darf nicht mehr als Erdgeschoss<br />
plus drei Stockwerke gebaut werden. Der Bebauungsplan<br />
für Yayladağı liegt bei zwei Etagen im Neubaugebiet.“ Die<br />
Regierung plant zwar eine schnelle Umsetzung des Wiederaufbaus,<br />
diese erscheint unter den aktuellen Bedingungen<br />
allerdings sehr unrealistisch. Die Menschen sind verängstigt<br />
und ringen mit Existenz- und Zukunftsängsten. Das Einzige,<br />
das ihnen bleibt, ist die Hoffnung darauf, dass die Regierung<br />
ihre Versprechen auch nach dem erlangten Sieg hält.<br />
ENTTÄUSCHUNG, WUT UND<br />
UNVERSTÄNDNIS<br />
Die Stimmung in den Regionen ist politisch enorm gespalten,<br />
so wie in den restlichen Teilen der Türkei auch. „In der ersten<br />
Nacht haben sie bis in den Morgen hinein gefeiert und sich<br />
gefreut. Die Menschen, die noch vor einigen Monaten ihre<br />
engsten Verwandten verloren, haben sich in dieser Nacht<br />
grölend mit Fahnen in der Hand versammelt und den Sieg<br />
von Erdoğan gefeiert, als sei ein Fußballspiel gewonnen<br />
worden. Ich kann das einfach nicht verstehen“, erzählt mir<br />
Hatice am Telefon. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn<br />
© Aleksandra Tulej<br />
18 / POLITIKA /
Im Zentrum von Antakya werden<br />
nach vier Monaten immer noch<br />
Trümmer weggeräumt.<br />
© Aleksandra Tulej<br />
in Yayladağı. Auch sie hat, wie fast alle Menschen in Hatay,<br />
Familienmitglieder und Freund:innen verloren, die Reaktionen<br />
auf den Wahlsieg machen sie wütend. „Trotzdem frage ich<br />
mich auch, ob man ihnen das überhaupt vorwerfen kann.<br />
Die Propaganda, die die Regierung jetzt schon seit Jahren<br />
betreibt, hat eine Mentalität geschaffen, in der Erdoğan wie<br />
ein Vater gesehen wird. Es gibt sogar Menschen, die sagen,<br />
dass sie auch dann noch dankbar wären, wenn sie nur<br />
noch trockenes Brot zu essen hätten, Hauptsache ihr Reis<br />
(Türkisch für Obmann) bleibt. Wir hatten so viel Hoffnung,<br />
dass sich endlich etwas ändert, aber vielleicht verdienen<br />
wir es als Volk auch, so geführt zu werden, schließlich war<br />
es unsere Entscheidung.“ Enttäuschung und Unverständnis<br />
herrscht zwischen jenen, die sich mit dem Oppositionsführer<br />
Kemal Kılıçdaroğlu nach 20 Jahren AKP-Regierung eine<br />
Veränderung und Rückkehr in politische Entscheidungsmacht<br />
erhofft hatten. 2018 hatte Erdoğan eine Verfassungsreform<br />
durchgesetzt, um Präsident werden zu können. Sümbül gibt<br />
der Regierung die Schuld an der immer stärker werdenden<br />
Polarisierung der türkischen Gesellschaft. „Die Türkei entwickelt<br />
sich immer weiter zurück, am meisten hat die Bildung<br />
darunter zu leiden. Und das ist auch die Politik der AKP – sie<br />
wollen ein ungebildetes Volk, das keine Entscheidung, kein<br />
Versagen hinterfragt und ihnen blind gehorcht. Und alle, die<br />
das nicht tun, stempeln sie als Staatsfeinde oder Terroristen<br />
ab und hetzen die Menschen noch mehr gegeneinander auf.“<br />
„ERDOĞAN IST EIN MACHER!“<br />
Aber das sehen nicht alle aus der Region so – der Präsident<br />
stößt noch bei vielen Menschen auf Zuspruch: „Als Erdoğan<br />
nach dem Erdbeben versprach, das eingestürzte Krankenhaus<br />
hier in Defne, einem Stadtteil von Hatay, innerhalb von<br />
zwei Monaten neu zu errichten, hat sich die Opposition nur<br />
darüber lustig gemacht. Sie haben ihn nicht ernst genommen.<br />
Aber er hat sein Versprechen gehalten, obwohl er hier<br />
normalerweise sehr wenig Stimmen bekommt. Das Krankenhaus<br />
ist wieder funktionsfähig. Er hat bisher alle Projekte<br />
realisiert, die geplant waren. Bevor die Opposition Erdoğan<br />
kritisiert, sollte sie sich vielleicht fragen, warum sie nicht<br />
genug Stimmen bekommt. Wir können ihnen nicht vertrauen,<br />
sie sehen uns sowieso als ungebildet und minderwertig<br />
an. Erdoğan hingegen ist ein Macher, er tut, was er sagt“,<br />
erklärt Yusuf. Auch er wohnt in einer Kleinstadt in Hatay mit<br />
seiner Familie und hofft auf einen schnellen Wiederaufbau<br />
seiner Heimat. „Als die Menschen mit Hassnachrichten und<br />
Drohungen auf die Wahlergebnisse reagiert haben, waren<br />
wir unglaublich verletzt.“ Er glaubt, diese Reaktionen hätten<br />
zusätzlich dazu beigetragen, dass Menschen aus den Erdbebenregionen<br />
aus Trotz Erdoğan wählten.<br />
Denn Erdoğan versprach nicht nur allen Eigentümer:innen<br />
Özben auf den Trümmern des Hauses,<br />
in dem sie aufgewachsen ist.<br />
eine Wohnung, die zu 60 % von der Regierung finanziert<br />
werden soll, sondern auch konkrete Bebauungspläne, um<br />
eine Zukunft in Hatay zu sichern. Die Menschen aus Hatay<br />
sind sehr verbunden mit ihrer Heimatstadt, viele der Geflüchteten<br />
hoffen auf eine baldige Rückkehr. Einzelne Lokale<br />
und kleine Geschäfte, die bei dem Erdbeben nicht zerstört<br />
worden waren, haben wieder geöffnet, die Bevölkerung<br />
vor Ort versucht, mit aller Kraft in einen normalen Alltag<br />
zurückzukehren. Ob die Bebauung tatsächlich innerhalb der<br />
geplanten Zeitspanne umgesetzt wird, lässt sich wohl erst<br />
nach dem Abriss der restlichen leerstehenden Gebäude<br />
abschätzen. Nach dem Erdbeben machte sich bei der türkischen<br />
Bevölkerung ein kollektives Gefühl der Trauer, Einigkeit<br />
und des Zusammenhaltes breit – doch das wich schnell dem<br />
Misstrauen, der Spaltung und der geflüsterten Regierungskritik.<br />
Wird die „neue“ Ära Erdoğan tatsächlich Veränderungen<br />
mit sich bringen? Den Hataylis (Selbstbezeichnung der<br />
Menschen, die aus Hatay kommen) bleibt vorerst nur die<br />
Hoffnung. ●<br />
Hier könnt ihr<br />
unsere Videoreportage<br />
aus<br />
Hatay sehen.<br />
/ POLITIKA / 19
Herr Hanke, wie oft<br />
haben Sie sich über<br />
die „Klimakleber“<br />
geärgert?<br />
Wie viele<br />
Stunden<br />
arbeiten Sie<br />
pro Woche?<br />
Wie viele<br />
Stunden<br />
pro Woche<br />
verbringen Sie<br />
im Rathaus?<br />
Wie oft in der<br />
Woche denken<br />
Sie: „Ich arbeite<br />
zu viel“?<br />
Interview in Zahlen: In der Politik<br />
wird schon genug geredet.<br />
Biber fragt in Worten, SPÖ-<br />
Finanzstadtrat Peter Hanke<br />
antwortet mit einer Zahl.<br />
70<br />
50<br />
4<br />
Von Simon Kravagna und Aleksandra Tulej,<br />
Fotos: Zoe Opratko<br />
Wiens Finanz- und Wirtschaftsstadtrat hat nie<br />
„Das Kapital“ von Karl Marx gelesen.<br />
Viermal in der Woche denkt der gebürtige Favoritner:<br />
„Ich arbeite zu viel.“<br />
Wie oft pro Tag<br />
schauen Sie auf<br />
TikTok?<br />
Wie oft pro Tag<br />
schauen Sie auf<br />
Instagram?<br />
Wie viele<br />
Parteien haben<br />
Sie in Ihrem<br />
Leben bereits<br />
gewählt?<br />
Auf einer Skala<br />
von 0 bis 100:<br />
Wie viele Meter<br />
links von der<br />
Mitte stehen<br />
Sie politisch?<br />
Wie oft haben<br />
Sie „Das<br />
Kapital“ von<br />
Karl Marx<br />
gelesen?<br />
0<br />
4<br />
1<br />
20<br />
0<br />
20 / POLITIKA /
Wie oft in der<br />
Woche denkt<br />
Ihre Frau, dass<br />
Sie zu viel<br />
arbeiten?<br />
In wie vielen<br />
Bezirken<br />
Wiens haben<br />
Sie schon<br />
gewohnt?<br />
Welcher ist<br />
Ihr Wiener<br />
Lieblingsbezirk?<br />
Wie oft im<br />
Jahr gehen Sie<br />
segeln?<br />
Wie oft pro<br />
Woche spielen<br />
Sie Padel-<br />
Tennis?<br />
7<br />
3<br />
10.<br />
3<br />
1<br />
Zwei Politiker:innen in der SPÖ gehen dem studierten<br />
Betriebswirt auf die Nerven.<br />
Der 59-Jährige hat in seinem Leben<br />
immer nur eine Partei gewählt.<br />
Wie viele<br />
namhafte<br />
Politiker:innen<br />
in der SPÖ<br />
gehen Ihnen auf<br />
die Nerven?<br />
Wie oft<br />
haben Sie<br />
sich über die<br />
„Klimakleber“<br />
geärgert?<br />
Wie viel<br />
Schulden (in<br />
Mrd. €) hat die<br />
Stadt Wien?<br />
Wie viele<br />
Millionen €<br />
Schulden hat<br />
die Stadt Wien<br />
letztes Jahr<br />
getilgt?<br />
Wann fährt die<br />
U2 wieder vom<br />
Karlsplatz weg?<br />
2<br />
20<br />
8,8<br />
245<br />
2024<br />
(Herbst)<br />
/ POLITIKA / 21
AKTIVISMUS<br />
AUS DEM EXIL<br />
22 / POLITIKA | WIEN /
Bevor sie ihrer Heimat den Rücken kehrte, wurde sie drei<br />
Mal verhaftet: Lolja Nordic ist eine der bekanntesten<br />
Feministinnen Russlands. Nun lebt sie in Wien und betreibt<br />
weiterhin Antikriegsaktivismus aus dem Ausland. Die<br />
Künstlerin und DJ aus Sankt Petersburg im Porträt.<br />
Von Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Atila Vadoc<br />
Es sprach sich herum, dass die Polizei einige<br />
bekannte Leute aus der aktivistischen Szene<br />
verhaften wird. Ich verwendete mein Handy<br />
außerhalb meiner Wohnung, damit man meinen<br />
genauen Standort nicht ermitteln konnte. Solche<br />
Gerüchte bewahrheiten sich leider fast immer, deshalb<br />
musste ich meine Ausreise planen“, erinnert sich Lolja<br />
Nordic.<br />
Die queerfeministische Antikriegsaktivistin und Künstlerin<br />
ist in ihrer Heimat Russland bereits drei Mal verhaftet<br />
worden, bevor sie im März 2022 beschloss, das Land zu<br />
verlassen. Als Teil der Organisation „Feminist Anti-War<br />
Resistance“ geriet sie schnell auf das Radar der russischen<br />
Behörden, weil sie über den Krieg in der Ukraine aufklärte:<br />
Unter anderem verbreitete sie die fiktive Zeitung „Zhenskaya<br />
Pravda“ (dt. „Die weibliche Wahrheit / Realität“), die im PDF-<br />
Format zum Download frei verfügbar ist und selbst gedruckt<br />
werden kann. Darin befinden sich Informationen über den<br />
Krieg sowie Fotos von zerstörten ukrainischen Städten.<br />
Mithilfe einer Menschenrechtsorganisation gelang Lolja<br />
die Flucht aus Russland. Seit Herbst 2022 lebt sie nun in<br />
Wien, wo sie an der Akademie der Bildenden Künste studiert.<br />
BEKANNTES GESICHT DER<br />
AKTIVISTISCHEN SZENE<br />
Bis zu ihrer Ausreise dachte Lolja, dass sie als prominente<br />
Aktivistin leicht an ein humanitäres Visum in Europa kommen<br />
würde. Doch durch die Reisebeschränkungen für russische<br />
Staatsangehörige musste sie erfinderisch werden. „Ich bin<br />
durch Zufall in Wien gelandet, weil ich an der Akademie<br />
aufgenommen wurde und so ein Student:innenvisum bekam.<br />
Für mich ist es eine Ausnahmesituation, einfach in ein Land<br />
zu gehen, nur weil ich mich dort aufhalten darf – ohne<br />
Gewissheit, ohne Geld, ohne die Sprache zu sprechen.“<br />
Zuvor hatte Lolja in Estland und Litauen ein halbes Jahr<br />
lang ukrainische Flüchtlinge unterstützt und feministische<br />
Aktionen aus dem Exil koordiniert – das macht sie auch heute<br />
noch, jetzt eben von Wien aus.<br />
Bereits vor Beginn der großflächigen Invasion Russlands<br />
in die Ukraine war Lolja ein bekanntes Gesicht der aktivistischen<br />
Szene. Ihre Anfänge finden sich vor mehr als sechs<br />
Jahren, als sie begann, an politischen Demonstrationen<br />
teilzunehmen. „Zu Beginn war ich mehr eine Zivilrechtsaktivistin,<br />
nahm an Oppositionsdemos teil und kämpfte für<br />
einen besseren Umweltschutz. Sehr bald wurde ich eine<br />
feministische Aktivistin, da ich nicht nur in meinem Privatleben<br />
mit Sexismus zu kämpfen hatte, sondern auch in der<br />
aktivistischen Szene innerhalb der russischen Opposition“,<br />
so die Aktivistin. Sie trat Lesekreisen bei und informierte sich<br />
in feministischen Klubs über Frauenrechte. „Ich wurde in der<br />
feministischen Szene in Sankt Petersburg und Moskau aktiv,<br />
bin viel herumgereist und habe viele Freund:innen gefunden.<br />
Als Video- und Performancekünstlerin habe ich politische<br />
Themen in meine Praxis aufgenommen. Bis zur Corona-<br />
Pandemie und dem Krieg habe ich auch als DJ regelmäßig<br />
queere, feministische und Safer-Space-Partys organisiert.<br />
Besonders bekannt ist Lolja als Co-Gründerin des gemeinnützigen<br />
Musikfestivals „Ne Vinovata“ („Nicht ihre Schuld“),<br />
das per DIY-Prinzip in jeder beliebigen Stadt selbst organisiert<br />
werden kann und auf häusliche Gewalt aufmerksam<br />
macht, die auch in Russland ein weit verbreitetes Problem<br />
ist. Lolja hat selbst in ihrer Familie Gewalt erlebt und wenig<br />
Unterstützung dagegen erfahren, woraufhin sie den Kontakt<br />
zur Familie abbrach.<br />
PROPAGANDA UND KRIEGSLUST<br />
Das letzte Mal, dass Lolja Kontakt mit ihrer Familie hatte,<br />
war im Jahr 2021, nachdem es bei ihren Eltern zu einer<br />
Hausdurchsuchung aufgrund ihrer Aktivitäten gekommen<br />
war. „Meine Familie unterstützte meinen Aktivismus eigentlich<br />
nie, obwohl sie früher sogar recht liberal war. Ich würde<br />
sagen, dass sich meine Familie über die letzten 20 Jahre<br />
sehr verändert hat und immer konservativer geworden ist,<br />
gemeinsam mit dem Regime unter Putin“, erklärt die Russin.<br />
In ihren Augen ist ihre Familie ein gutes Beispiel dafür, wie<br />
sich die Staatspropaganda auf die Bevölkerung auswirkt. „Sie<br />
/ POLITIKA | WIEN / <strong>23</strong>
„Die russische Opposition<br />
ist eine sehr vielfältige,<br />
heterogene Szene.“<br />
sind überzeugt von den traditionellen Werten, die propagiert<br />
werden, also sehr Anti-LGBTQ und Anti-Feminismus. Sie<br />
unterstützten die Annexion der Krim 2014 und begrüßen die<br />
fortschreitende Militarisierung Russlands seither.“<br />
Lolja wurde zum ersten Mal im Jahr 2021 bei einer<br />
sogenannten „Navalny“-Demonstration verhaftet. „Ich mag<br />
den Begriff Navalny-Demo eigentlich nicht. Die russische<br />
Opposition ist nämlich eine sehr vielfältige, heterogene<br />
Szene und besteht bei Weitem nicht nur aus Alexey Navalnys<br />
Unterstützer:innen. In den Medien wird das aber oft verkürzt<br />
dargestellt.“ Dem Oppositionspolitiker selbst steht sie mit<br />
gemischten Gefühlen gegenüber. „Ich finde, Navalny ist zu<br />
liberal und ich betrachte seine politische Vergangenheit in<br />
der rechtsextremen Szene sehr kritisch. Gleichzeitig schätze<br />
ich die Recherchen über die Korruption in Russland aus<br />
seinem Team sehr und bin gegen seine Inhaftierung.“ Sie<br />
trat gegen die Verfolgung politischer Gegner auf die Straße<br />
und kann sich gut an ihre erste Verhaftung erinnern. „Ich<br />
saß mit vielen anderen Demonstrant:innen in einem großen<br />
Polizeiwagen und sammelte gleich alle Namen, um sie an<br />
Menschenrechtsorganisationen zu schicken, die kostenlos<br />
Anwält:innen zur Verfügung stellen. Die Polizei belügt dich<br />
und übt psychischen Druck auf dich aus, damit du das tust,<br />
was sie von dir will. Einige andere und ich weigerten uns,<br />
Dokumente zu unterschreiben, also steckte man uns zur<br />
Strafe in eine Zelle in der Polizeistation, wo Beamt:innen uns<br />
anschrien, bedrohten und uns den Zugang zu Toiletten und<br />
Wasser verwehrten.“ Am Tag darauf wurde Lolja vor Gericht<br />
zu einer Geldstrafe verurteilt. „Einige Monate zuvor wurde<br />
die Wohnung meiner Eltern von der Polizei durchsucht, sie<br />
waren auf der Suche nach mir, also hatte man mich schon<br />
einige Monate vor der Verhaftung auf dem Schirm. Als ich<br />
das Gericht verließ, war ich erleichtert, dass es nur zu einer<br />
Geldstrafe gekommen war. Es gibt Spendenaktionen für<br />
Aktivist:innen, die in solchen Fällen helfen, dass man Bußgelder<br />
nicht aus eigener Tasche zahlen muss. Gleich vor dem<br />
Gericht wurde ich jedoch erneut verhaftet – zum zweiten Mal<br />
innerhalb von 24 Stunden – da ich einige Monate zuvor eine<br />
friedliche Protestaktion für politische Gefangene organisiert<br />
hatte, bei der damals niemand verhaftet wurde.“<br />
HOFFNUNG AUF RÜCKKEHR<br />
Im November 2021 wurde Lolja nach einer Straßenaktion<br />
gegen Gewalt an Frauen zum dritten Mal verhaftet. „Zwei<br />
Tage lang waren wir in einer Zelle auf der Polizeistation, die<br />
voller Blut gewesen ist, weil dort jemand vermöbelt worden<br />
war. Wir waren insgesamt vier Frauen und fühlten uns<br />
dort unwohl – man sagte uns, wenn wir es sauberer haben<br />
Am meisten kämpft Lolja in Wien mit dem Zeitmanagement<br />
zwischen Studium und Aktivismus.<br />
wollten, sollten wir mit unserer Kleidung selber putzen.“ Die<br />
feministische Bewegung in Russland habe über die letzten<br />
zehn Jahre stark an Zuwachs gewonnen, erzählt sie. „Ich<br />
glaube, unsere Stärke liegt darin, dass wir auf einer Grassroots-Ebene<br />
überall und ohne Hierarchien Aktivismus betreiben<br />
können und uns flexibel organisieren können.“ Neben<br />
ihrem Studium an der Akademie versucht sie, möglichst viel<br />
Zeit in den Aktivismus zu investieren, und machte sich auch<br />
mit der hiesigen Szene bekannt. Die Zukunft sieht ungewiss<br />
aus – Lolja gibt die Hoffnung nicht auf, eines Tages in ihre<br />
Heimatstadt Sankt Petersburg zurückkehren zu können.<br />
Einstweilen muss sie sich auf das Studium konzentrieren, da<br />
ihr Aufenthalt davon abhängt.<br />
„Ich möchte betonen, dass ich eine von sehr vielen bin.<br />
Natürlich protestieren eine Menge Leute in Russland nicht,<br />
weil es in einem autoritären Regime wirklich furchteinflößende<br />
Konsequenzen geben kann – du kannst deinen Job und<br />
einfach alles verlieren, wegen eines bloßen Tweets gegen<br />
den Krieg. Ich kenne so viele Aktivist:innen, die genau wie<br />
ich mehrmals verhaftet wurden und das Land verlassen<br />
mussten. Und ich kenne auch solche, die noch öfter verhaftet<br />
wurden und nicht gegangen sind.“ Schätzungen zufolge<br />
sollen bereits über 900.000 Russ:innen seit Februar 2022<br />
ihre Heimat verlassen haben. ●<br />
24 / POLITIKA | WIEN /
WAS GIBT’S NEUES AM BALKAN?<br />
Von Dennis Miskić<br />
SERBIEN, SCHULE UND WAFFEN<br />
© Zoe Opratko<br />
Wenn ein 13-jähriger Schüler neun seiner Mitschüler<br />
und den Schulwart erschießt, wird klar,<br />
dass etwas Grundlegendes am System geändert<br />
werden muss. Als dann aber auch am Tag<br />
darauf ein 21-Jähriger nahe Belgrad weitere<br />
acht Menschen erschoss, musste Serbien der<br />
Realität tief ins Auge blicken.<br />
Und die Realität zeigt sich in diesem Fall in<br />
der Erkenntnis, dass die serbische Gesellschaft<br />
an der Wurzel infiziert ist – infiziert mit einer<br />
Kultur der Gewalt. Diese Erkenntnis kommt<br />
aber leider zu spät.<br />
Kolumnist Dennis Miskić<br />
hat seinen Auslandsdienst<br />
in Srebrenica<br />
geleistet und engagiert<br />
sich in verschiedenen<br />
NGOs zum Thema Westbalkan<br />
und Migrationspolitik.<br />
In seiner Kolumne<br />
hält er euch über Politisches<br />
& Kulturelles vom<br />
Balkan am Laufenden.<br />
Schon vor drei Jahren betrat<br />
ein Mann eine Schule mit einem<br />
Sturmgewehr und über 700 Kugeln.<br />
Ein Lehrer konnte ihn aufhalten.<br />
Und was ist passiert, um so etwas<br />
vorzubeugen? Die Glorifizierung von<br />
Kriegsverbrechern, Stilisierung von<br />
Gewalt, Krieg und toxischen Männlichkeitsbildern<br />
ist passiert, wenn<br />
nicht sogar weiter angetrieben worden.<br />
Und die Kultur der Gewalt wurde weiter<br />
angetrieben und aufgeblasen.<br />
Anders sieht es anscheinend der mittlerweile<br />
zurückgetretene Bildungsminister. Der<br />
hatte kein Problem damit, am Tag des Amoklaufs<br />
die ‘westlichen Werte’ für das Verhalten<br />
des jungen Schülers verantwortlich zu machen.<br />
Auch was das sonstige Krisenmanagement<br />
betrifft, hat die Regierung wohl total versagt.<br />
Das Bildungsministerium machte Tippfehler in<br />
den Presseaussendungen, regierungsnahen<br />
Medien wurden heikle Informationen über die<br />
Täter und ihre Familien zugespielt und der Polizeichef<br />
hielt allen Ernstes die ‘Abschussliste’<br />
bei einer Pressekonferenz vor die Kamera. Der<br />
13-Jährige hatte sich nämlich einen genauen<br />
Plan für den Amoklauf gemacht, inklusive<br />
Namensliste jener, die er erschießen wollte.<br />
Dazu kommt auch, dass anstatt sich um die<br />
pädagogische Betreuung der Kinder im Land<br />
zu kümmern, auf Polizeikontrollen gesetzt<br />
wird.<br />
Auf einer Check-Liste mit allem, was nicht<br />
getan werden sollte, hat die serbische Regierung<br />
wohl alles abgehakt.<br />
Die Fehler einsehen? Kommt<br />
nicht in Frage. Okay, in Selbstkritik<br />
war diese Regierung noch nie<br />
geübt. Im Gegenteil – sie hat Angriff<br />
als Verteidigung gewählt. Die Opposition<br />
sei voller Verräter und die<br />
Proteste nur reine Show oder sogar<br />
Fake. Nach den ersten Protesten am<br />
8. Mai veröffentlichten Boulevardmedien<br />
Bilder von leeren Straßen.<br />
Sie waren aber alles andere als leer.<br />
So ist es kein Wunder, dass in den letzten<br />
Wochen zehntausende Bürger:innen Serbiens<br />
auf die Straßen gingen. Und sie werden wohl<br />
noch weiter auf die Straße gehen. Sie wollen<br />
so ihre kollektive Trauer, aus der Wut und<br />
Unzufriedenheit wurde, ausdrücken.<br />
Über die Forderungen, die sie stellen,<br />
lässt sich streiten. Wichtig ist aber, dass die<br />
Protestbewegung nicht aufhört. Sie darf nicht<br />
aufhören, bis sich das System Vučić nicht<br />
verändert hat – oder bis es sogar ganz verschwunden<br />
ist. ●<br />
/ MIT SCHARF / 25
DAS „P“ IN „PRIDE“<br />
STEHT NICHT FÜR<br />
PARTY<br />
Holt den Bodyglitter heraus, es ist<br />
wieder so weit! Der Monat Juni steht<br />
wieder ganz im Zeichen der Pride und<br />
somit der Rechte und Sichtbarkeit der<br />
LGBTQIA+ Community. Bei all dem<br />
bunten Treiben, auf das man sich in<br />
dieser Zeit freuen darf, sollte jedoch<br />
die Ernsthaftigkeit der Veranstaltung<br />
nicht in den Hintergrund rücken. Hier<br />
erfährt ihr, warum.<br />
Von Anja Bachleitner<br />
© unsplash.com/Teddy O<br />
26 / RAMBAZAMBA | WIEN /
WOHER KOMMT DIE<br />
PRIDE?<br />
Ein einschneidendes Ereignis, ohne das<br />
die Pride, wie wir sie heute kennen,<br />
wahrscheinlich nicht existieren würde,<br />
waren die Stonewall-Unruhen in der<br />
Nacht von 27. auf 28. Juni 1969. Dabei<br />
kam es im Stonewall Inn, einem New<br />
Yorker Treffpunkt für Schwule, Lesben<br />
und trans* Menschen, zu Widerständen<br />
gegen eine Polizeirazzia. Der Aufstand<br />
befeuerte die Lesben- und Schwulenbewegung<br />
in den USA erheblich. Seit<br />
1970 werden deshalb regelmäßig im<br />
Juni Veranstaltungen organisiert, die an<br />
die Stonewall-Unruhen und die dadurch<br />
ausgelösten Widerstandskämpfe der<br />
queeren Community erinnern.<br />
QUEERES ÖSTERREICH:<br />
ZWEI SCHRITTE NACH VOR<br />
UND EINER ZURÜCK<br />
Auch in Österreich hat sich ab den<br />
1970er-Jahren für nicht-heterosexuelle<br />
und queere Menschen – langsam etwas<br />
getan - allerdings wesentlich langsamer<br />
als in anderen europäischen Ländern<br />
und eher nach dem Motto „Zwei Schritte<br />
nach vor und einer zurück“.<br />
1971 Aufhebung des Verbots von<br />
Homosexualität unter Bruno<br />
Kreisky (SPÖ)<br />
1971 Einführung des §209, der<br />
die Mindestaltersgrenze für<br />
homosexuelle Beziehungen<br />
auf 18 Jahre festlegte und<br />
den Handel mit homosexueller<br />
Pornographie verbot<br />
1996 Abschaffung von §220,<br />
einem Verbot der „Werbung<br />
für gleichgeschlechtliche<br />
Unzucht“. Bis dahin waren<br />
Infokampagnen der queeren<br />
Community verboten und das<br />
öffentliche Gutheißen von<br />
Homosexualität strafbar.<br />
2002 §209 wird durch den Verfassungsgerichtshof<br />
aufgehoben.<br />
2019 Ermöglichung der Ehe für Alle<br />
2022 Blutspendeverbot für Männer,<br />
die Sex mit Männern haben,<br />
wird aufgehoben<br />
WAS HEISST DAS<br />
EIGENTLICH WIRKLICH?<br />
L = Lesbian/ Lesbisch<br />
G = Gay / Schwul<br />
B = Bisexual / Bisexuell<br />
T = Transgender / Transgeschlechtlich<br />
Q = Queer / Queer<br />
I = Intersex / Intergeschlechtlich<br />
A = Asexual / Asexuell<br />
+ = weitere<br />
ÖSTERREICH IM<br />
EUROPÄISCHEN VERGLEICH<br />
Die ILGA Europe gibt jährlich eine Regenbogen-Landkarte<br />
heraus, auf der abgebildet ist,<br />
wie es um LGBTQ-Themen in den verschiedenen<br />
europäischen Ländern steht. Die einzelnen<br />
Staaten können dabei eine Punktezahl<br />
zwischen 0 und 100 erreichen. 20<strong>23</strong> teilt sich<br />
Österreich einen Platz mit Kroatien. Beide<br />
liegen mit 49 Punkten im oberen europäischen<br />
Mittelfeld. Spitzenreiter ist Malta mit<br />
89 Punkten. Schlusslicht bilden die Türkei<br />
und Aserbaidschan mit 4 und 2 Punkten. Laut<br />
den Herausgeber*innen der Regenbogen-<br />
Landkarte kann auf ganz Europa gesehen<br />
eine zunehmende Gleichstellung für queere<br />
Menschen beobachtet werden.<br />
WARUM DIE REGEN BOGEN-<br />
PARADE IN ERSTER LINIE<br />
EINE DEMO IST<br />
Die Regenbogenparade am 17. Juni bildet<br />
den alljährlichen Höhepunkt der Vienna Pride.<br />
Erwartet werden heuer rund 250.000 Menschen,<br />
die gemeinsam einmal gegen die Fahrrichtung<br />
um die Wiener Ringstraße ziehen.<br />
Bei dem Umzug geht es allerdings um mehr<br />
als nur ausgelassenes Feiern. Darauf weist<br />
auch Vienna-Pride-Organisatorin Katharina<br />
Kacerovsky-Strobl hin: „Die Angriffe auf die<br />
Drag Kultur sind nur ein kleiner Teil der Hetze,<br />
die sich immer mehr gegen unsere Community<br />
radikalisiert. Aber immer wieder sehen<br />
wir, wie ungeheuer stark wir sind und alle,<br />
die eine faire und vielfältige Gesellschaft und<br />
ein gutes Leben für alle wollen.“ Die Regenbogenparade<br />
sollte deshalb in erster Linie als<br />
das wahrgenommen werden, was sie ist: eine<br />
Demonstration. ●<br />
Nützliche Anlaufstellen<br />
im Überblick:<br />
HOSI - Homosexuelle<br />
Initiative Wien: größte<br />
politische Interessenvertretung<br />
von Lesben,<br />
Schwulen, Bisexuellen,<br />
trans* Personen und<br />
intergeschlechtlichen<br />
Menschen in Österreich /<br />
Ort für Gruppenaktivitäten<br />
/ Unterstützung beim<br />
Coming-out und in Fällen<br />
von Diskriminierung<br />
Türkis Rosa Lila Villa:<br />
Anlaufstelle für LGBTQIA+<br />
Personen / individuelle<br />
Beratung / Peer-Beratung<br />
für queere Menschen und<br />
Angehörige<br />
Queer Base – Welcome<br />
and Support for LGBTIQ<br />
Refugees: Anlaufstelle<br />
für lesbische, schwule,<br />
bisexuelle, inter*, trans*<br />
und queere Geflüchtete /<br />
Unterstützung bei Behördengängen<br />
/ Vermittlung<br />
von Therapieplätze /<br />
Beratung in den Bereichen<br />
Rechtsfragen, Coming<br />
Out, Wohnen, Gewalt- und<br />
Gesundheitsprävention.<br />
Plattform Intersex<br />
Österreich: umfassende<br />
Beratungsangebote und<br />
Informationen werden<br />
gesammelt zur Verfügung<br />
gestellt<br />
Glen & Glenda! Verein<br />
von und für transidente<br />
Personen / gegenseitige<br />
Unterstützung / geschützter<br />
Rückzugsort<br />
WASt - Wiener Antidiskriminierungsstelle:<br />
unterstützt die LGBTQIA+<br />
Community in Diskriminierungsfällen<br />
/ bietet<br />
Aufklärungsarbeit<br />
/ RAMBAZAMBA | WIEN / 27
WIR TUN ES<br />
FÜR UNSERE<br />
ENKELKINDER!<br />
© Zoe Opratko<br />
28 / RAMBAZAMBA | WIEN /
GROSSELTERN AUF<br />
DEN BARRIKADEN<br />
Schulstreiks, Hörsaalbesetzungen und „Klimakleber“: Immer ist es die junge<br />
Generation, die sich gegen das System wehrt und aktivistisch tätig wird. Und<br />
die Alten meckern darüber? Stimmt nicht – dass man sich auch im Alter für die<br />
Zukunft einsetzen kann, zeigen Susanne, Tilman und Renate.<br />
Von Dione Azemi, Collage: Zoe Opratko<br />
Uns geht es darum, auf die<br />
dauerhaften Missstände in<br />
der Asylpolitik aufmerksam<br />
zu machen“, erklärt eine<br />
der zwei Frauen, als sie abrupt von dem<br />
lauten Buhen ihrer Kollegin unterbrochen<br />
wird. Das Gebuhe richtet sich an den<br />
amtierenden Bundeskanzler Karl Nehammer,<br />
der gerade über den Ballhausplatz<br />
begleitet wird und die Rufe der Aktivistinnen<br />
gekonnt ignoriert. In ihren Händen<br />
halten die beiden Frauen ein großes<br />
Transparent, sie tragen bunte Regenponchos<br />
und auf den Köpfen selbstgestrickte<br />
rote Mützen, die sind nämlich ein Markenzeichen<br />
der „Omas gegen Rechts“,<br />
die schon seit bald drei Jahren bei jedem<br />
Wetter vor dem Bundeskanzleramt stehen<br />
und eine Mahnwache halten.<br />
Ein ungewöhnlicher Anblick. Ältere<br />
Menschen protestieren zu sehen, ist in<br />
Österreich eher eine Seltenheit. Denn<br />
während beispielsweise in Frankreich<br />
Menschen in allen Altersgruppen auf die<br />
Straße gehen, sind es hier vergleichsweise<br />
junge Aktivist:innen, die sich engagieren.<br />
Immerhin sind es ja grundsätzlich<br />
die Ideologien und Narrative der älteren<br />
Generationen, gegen die Widerstand<br />
geleistet wird. Aber es gibt auch Gegenbeispiele.<br />
die schon seit den Anfängen 2017 Teil<br />
der Organisation ist. Die „Omas gegen<br />
Rechts“ starteten ursprünglich als kleine<br />
Facebook-Gruppe, die von der Aktivistin<br />
Monika Salzer gegründet wurde. Anlass<br />
dafür war die damals frisch gewählte<br />
türkis-blaue Regierung. Die Gruppe<br />
diente als Austausch über politische<br />
Themen und als Info-Point für anstehende<br />
Demos, dann wurde sie immer<br />
größer und die „Omas“ begannen sich zu<br />
organisieren – was hervorragend klappte.<br />
Mittlerweile folgen den „Omas“ an die<br />
30.000 Menschen auf Twitter. Damals<br />
hatte Susanne selbst noch keine Enkelkinder,<br />
doch das ist auch kein Aufnahmekriterium<br />
für die Omas, denn ihnen geht<br />
es um die Lebenserfahrungen, die man<br />
als Gruppe alter Frauen vereinigt. Und<br />
die damit verbundene Überzeugung und<br />
Fähigkeit entscheiden zu können, was<br />
der Gesellschaft guttäte, und wovor man<br />
sie bewahren müsste. Deswegen leisten<br />
die Omas Widerstand gegen alles, was<br />
den Rechts- und Sozialstaat gefährdet<br />
und der Demokratie schadet. Sie sehen<br />
sich als Vereinigung für Menschenrechte.<br />
Etwas anders sieht das hingegen bei<br />
den „Grandparents for Future“ aus. Der<br />
68-jährige Gründer Tilman Voss sieht<br />
die Gruppe als Teil der Klimaschutzbewegung<br />
„Fridays for Future“. „Wir<br />
sehen unsere Hauptaufgabe darin, die<br />
Forderungen der jüngeren Generation<br />
zu unterstützen“, so Tilman. Auf die<br />
Idee, aktiv zu werden, kam er bei einer<br />
© Christopher Glanzl / OTS<br />
ENKEL SIND BEI<br />
DEN OMAS KEIN<br />
AUFNAHMEKRITERIUM<br />
Über 600 Mitglieder haben die "Omas<br />
gegen Rechts“ mittlerweile – eine von<br />
ihnen ist die 77-jährige Susanne Scholl,<br />
„Gehts heim stricken!“ - „Sicher nicht!“, sagen die „Omas gegen Rechts.“<br />
/ RAMBAZAMBA | WIEN / 29
Diskussion mit Freund:innen in einer Bar<br />
2019, als die ersten Fridays-For-Future-<br />
Demos in Wien begannen. Ein Freund<br />
von ihm, der hauptberuflich Lehrer ist,<br />
meinte damals: „Meine Schüler sollen in<br />
die Schule gehen und nicht auf Demos!“.<br />
Daraufhin solidarisierte sich der 68-Jährige<br />
mit den jungen Menschen, um ihnen<br />
zu zeigen, dass es richtig ist, wofür sie<br />
sich einsetzten. Mittlerweile bilden ein<br />
gutes Dutzend Mitglieder die „Grandparents<br />
for Future“ und setzen sich mit<br />
Demonstrationen und aktiven Dialogen<br />
mit der Politik für eine nachhaltigere Welt<br />
ein.<br />
Einen ganz anderen Zugang zu<br />
aktivistischer Arbeit hat wiederum die<br />
73-jährige, pensionierte Psychotherapeutin<br />
Renate F. Als Mitgründerin der ersten<br />
allgemeinen Frauenberatungsstelle in<br />
Wien sieht sie ihre damalige Arbeit als<br />
Psychotherapeutin für Frauen als feministisch.<br />
„Davor habe ich am AKH in der<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet.<br />
Dort sind mir immer wieder die<br />
Mütter aufgefallen, die zum einen immer<br />
schuld waren, aber mit denen auch<br />
keiner geredet hat, also wollte ich es<br />
tun.“ Dadurch ist dann „Frauen beraten<br />
Frauen“ entstanden. Dort können Frauen<br />
an freie Krankenkassaplätze gelangen<br />
und Beratung in allen Lebenssituationen<br />
suchen. Ihre eigene Praxis hat Renate<br />
F. mittlerweile geschlossen, doch<br />
die Organisation existiert noch immer.<br />
Heute wohnt sie gemeinsam mit ihrer<br />
Partnerin in einem Frauenwohnprojekt<br />
und engagiert sich für die Sichtbarkeit<br />
von queeren Menschen im Alter. Dafür<br />
hat sie mit einem Freund gemeinsam<br />
den „Regenbogentreff“ entworfen. Ein<br />
Pensionist:innenclub, der monatlich<br />
stattfindet und queere Senior:innen<br />
zum Diskurs mit verschiedenen Gästen<br />
einlädt.<br />
„<br />
Unser Anliegen ist<br />
es, die Demokratie<br />
zu schützen. Für<br />
die Kinder und<br />
Enkelkinder.<br />
“<br />
Die „Grandparents for Future“ setzen sich für<br />
Maßnahmen gegen den Klimawandel ein.<br />
„ICH MÖCHTE NICHT<br />
DASSELBE ERLEBEN, WIE<br />
MEINE ELTERN.“<br />
Den großen Vorteil, im Alter aktivistisch<br />
zu sein, sieht Renate darin, dass<br />
sie nichts zu verlieren hat. „Uns kann<br />
nichts passieren. Wir können keinen Job<br />
verlieren. Wir können unseren Mund so<br />
weit aufmachen, wie wir wollen“, sagt<br />
die Feministin.<br />
„Unser Anliegen ist es, die Demokratie<br />
zu schützen. Für die Kinder und<br />
Enkelkinder“, erklärt Susanne. Sie meint,<br />
selbst jene, die selber keine Kinder<br />
haben, seien motiviert für den Schutz<br />
der nächsten Generationen. „Die Welt<br />
hört nicht auf zu existieren, wenn ich<br />
sterbe.“ Auf die Folgefrage, ob sie es<br />
nicht auch für sich selber tue, antwortet<br />
sie bejahend. Sie möchte angstfrei in<br />
einer Demokratie leben, in der Menschen<br />
gerecht behandelt werden. Als Tochter<br />
einer jüdischen Familie ist sie mit<br />
dem ständig wiederholten ‘Nie wieder!‘<br />
aufgewachsen und hat aber mit der Zeit<br />
für sich realisiert, dass es sich dabei um<br />
eine Geschichtslüge handelt, denn es<br />
kann immer wieder kommen. Nun möchte<br />
sie dafür kämpfen, dass es wirklich<br />
‚Nie wieder’ kommt. „Ich möchte nicht<br />
dasselbe erleben, wie meine Eltern. Also<br />
natürlich tue ich es auch für mich.“<br />
30 / RAMBAZAMBA | WIEN /<br />
„ICH BIN ZWAR SELBER<br />
KEINE OMA, ABER<br />
SCHWER GEGEN RECHTS.“<br />
Sowohl Tilman als auch Susanne sehen<br />
den Diskurs mit der Politik als den stärksten<br />
Hebel im Aktivismus. Daher zielen all<br />
ihre Aktionen darauf ab, mit Menschen<br />
ins Gespräch zu kommen. Als eine der<br />
größten Herausforderungen nennt Tilman<br />
den Diskurs mit Leuten außerhalb ihrer<br />
politischen Blase, vor allem der Umgang<br />
mit Klimaleugnern sei besonders<br />
schwierig. Deswegen führen die Grandparents<br />
for Future in ihren Sitzungen<br />
manchmal kleine Rollenspiele auf, durch<br />
die sie einen gekonnteren Umgang mit<br />
Kritiker:innen üben. Denn genau diese<br />
Gegner:innen möchten sie erreichen, um<br />
einen Diskurs entstehen zu lassen. Demnächst<br />
planen die Grandparents Besuche<br />
in diversen Seniorencafés in Wien.<br />
Dort erhoffen sie sich, mehr Aufklärung<br />
schaffen zu können und eventuell neue<br />
Mitglieder zu erreichen. Den Omas gegen<br />
Rechts begegnet man abgesehen von<br />
der bereits genannten Mahnwache am<br />
Ballhausplatz auch alle zwei Wochen vor<br />
dem Parlament. Susanne erzählt, dass<br />
sie durch diese Aktionen die meisten<br />
Menschen erreichen und vor allem<br />
von jungen Menschen Zuspruch und<br />
Unterstützung bekommen. Oft kommen<br />
Jugendliche auf sie zu und fragen nach<br />
© Tom Poe
© KLAUS TITZER / APA / picturedesk.com<br />
„<br />
Man muss nicht<br />
unbedingt mit uns<br />
auf Demos gehen<br />
und dort unsere<br />
Sprüche rufen.<br />
“<br />
Buttons, um diese dann ihren eignen<br />
Omas geben zu können. Denn auch<br />
das alleinige tragen des Buttons wird<br />
von den Omas als Art des Aktivismus<br />
gesehen. „Man muss nicht unbedingt mit<br />
uns auf Demos gehen und dort unsere<br />
Sprüche rufen. Es gibt viele Ebenen<br />
der Mitgliedschaft bei den Omas gegen<br />
Rechts.“ Auch Renate gehört zu jenen<br />
Frauen, die sich im Hintergrund mit den<br />
Omas solidarisieren. „Ich bin zwar selber<br />
keine Oma, aber schwer gegen Rechts.<br />
Und auch wenn ich selbst nicht mehr<br />
auf die Barrikade möchte, habe ich eine<br />
von den Mützen gekauft.“ Dass sie keine<br />
Enkelkinder hat, bedauert sie jedoch<br />
nicht. „In einer Zeit wie jetzt – ich meine<br />
die Klimakleber nennen sich ja auch die<br />
letzte Generation. Das macht mich schon<br />
traurig“. Sie findet, die Arbeit der Letzten<br />
Generation gehört mehr wertgeschätzt,<br />
und kritisiert die Wissenschaftsferne der<br />
Regierung sehr scharf. Bei den Klebeaktionen<br />
der Letzten Generation begegnen<br />
sich auch die anderen beiden Gruppen.<br />
Sowohl die Omas gegen Rechts als auch<br />
die Grandparents for Future stellen sich<br />
mit Bannern und Plakaten hinter die auf<br />
dem Boden befestigten Aktivist:innen<br />
und zeigen so ihre Unterstützung gegenüber<br />
den stark kritisierten Aktionen.<br />
„GEHTS HEIM STRICKEN!“<br />
„Gehts heim stricken!“, ist laut Susanne<br />
zwar ein Spruch, den sie sich immer<br />
wieder anhören muss, aber sie fühlt sich<br />
inzwischen durchaus geachtet. „Wir sind<br />
schon eine akzeptierte, ernst genommene<br />
und wahrgenommene politische<br />
Größe.“<br />
Etwas schwieriger ist dies jedoch<br />
bei den Grandparents for Future, denn<br />
auch wenn der Zuspruch innerhalb<br />
der Blase immens ist, wird die Bewegung<br />
von außen eher belächelt und<br />
das vor allem aufgrund des nun immer<br />
Mit diesen Buttons machen sich die Omas erkennbar<br />
präsenteren Narratives der „nervigen<br />
Klimaaktivist:innen“. Klimaaktivismus<br />
wird nunmal oft mit einer Verbotskultur<br />
in Verbindung gebracht und die Menschen<br />
sind nicht immer begeistert von<br />
den Forderungen der Bewegung. Renate<br />
wiederum legt ihren Fokus genau darauf,<br />
nicht immer alles ernst zu nehmen.<br />
Ihre Erfahrung habe ihr gezeigt, dass<br />
es oft auch darum gehen muss, den<br />
Dingen ihre Schärfe zu nehmen. „Es gibt<br />
immer die Möglichkeit, etwas so lang zu<br />
betrachten und so lang zu verachten, bis<br />
man es nur noch zusätzlich stützt. Damit<br />
ist niemandem geholfen.“ Dabei sieht<br />
OMAS GEGEN RECHTS<br />
Am 16. November 2017 wurde<br />
der Verein „Omas gegen Rechts“<br />
von Monika Salzer auf Facebook<br />
gegründet. Seither erheben<br />
die sogenannten „Omas“ ihre<br />
Stimmen und halten regelmäßig<br />
Mahnwachen. Die Mitglieder<br />
setzen sich gegen den Rechtsruck<br />
in Österreich ein. Kürzlich befanden<br />
sie sich auch gemeinsam mit<br />
SOS-Balkanroute in Bosnien und<br />
Herzegowina.<br />
www.omasgegenrechts.com<br />
sie vor allem im Bereich der Klimakrise<br />
die Gefahr zu verzweifeln. „Als wir früher<br />
gegen die Atomkraft demonstriert haben,<br />
hatten wir einen konkreten Gegner. Wir<br />
wussten, dass wir eine Zukunft haben. Es<br />
ging nur darum, dass wir keine Atomkraft<br />
wollen.“ Im Vergleich dazu empfindet sie<br />
die momentanen Debatten als sehr breit<br />
und ungreifbar, man kann nicht einzelne<br />
Verantwortliche benennen. Darum<br />
gibt sie der jungen Generation mit:<br />
„Im Aktivismus darf man die Hoffnung<br />
nicht verlieren und vor allem nicht das<br />
Lachen.“ ●<br />
GRANDPARENTS FOR FUTURE<br />
„Grandparents for Future“ wurde 2019<br />
gegründet um die Bewegung „Fridays<br />
for Future“ zu unterstützen. Die<br />
„Grandparents“ sind eine internationale<br />
Bewegung, die sich aus Großeltern<br />
und Pensionisten zusammensetzt, die<br />
sich Sorgen um die Auswirkungen des<br />
Klimawandels auf die kommenden<br />
Generationen machen. Auf Demonstrationen<br />
fordern sie Maßnahmen zur<br />
Bekämpfung des Klimawandels.<br />
https://grandparentsforfuture.wordpress.com/<br />
/ RAMBAZAMBA | WIEN / 31
Die Autorinnen<br />
Banan Sakbani,<br />
Helin Kara und<br />
Luna Al-Mousli<br />
(v.l.n.r.)<br />
© Zoe Opratko<br />
32 / EMPOWERMENT SPECIAL /
DU<br />
BESTIMMST<br />
IMMER.<br />
PUNKT.<br />
Geschlechterrollen durchbrechen, eigene Träume und Leidenschaften<br />
verfolgen, ohne sich dem Druck aus der Familie<br />
oder dem Umfeld hinzugeben: Weibliche Selbstbestimmung<br />
hat viele Gesichter und kann auf unterschiedlichen Wegen<br />
passieren. Drei starke, junge Autorinnen aus verschiedenen<br />
Communitys erzählen von ihren persönlichen Revolutionen<br />
und was sie dafür in Kauf nehmen mussten. Sie kommen in<br />
diesem Empowerment-Special selbst zu Wort. Mit Beiträgen<br />
von Helin Kara, Luna Al-Mousli und Banan Sakbani.<br />
Das Projekt „Du bestimmst IMMER. Punkt!“ findet im Rahmen des Aufrufs „Maßnahmen<br />
zur Stärkung von Frauen und Mädchen im Kontext von Integration“ des Österreichischen<br />
Integrationsfonds statt. Dieses Projekt wird durch den Österreichischen Integrationsfonds<br />
(ÖIF) finanziert. Die redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.<br />
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 33
Autorin Helin Kara<br />
gibt sich lieber locker<br />
- warum das auf<br />
Widerstand aus der<br />
Community stößt:<br />
„ZIEH DICH MAL<br />
AN WIE EINE<br />
RICHTIGE FRAU“<br />
34 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Oversized Klamotten sind voll<br />
im Trend. Was für viele derzeit<br />
angesagte Mode ist, ist für ausländische<br />
Mütter jedoch ein<br />
Zeichen von Männlichkeit und<br />
Widerstand. Widerstand gegen<br />
ihre Werte und Schönheitsideale<br />
einer „perfekten“ Frau.<br />
Aber wer bestimmt eigentlich,<br />
wer was tragen darf?<br />
Von Helin Kara , Fotos: Zoe Opratko<br />
Wer entscheidet, was weiblich ist?<br />
Samstagabend, 18 Uhr. Die<br />
abgestandene Luft macht<br />
das Atmen schwerer und<br />
irgendwie sieht meine Haut im<br />
grellen Licht der Umkleidekabine noch<br />
schlechter aus.<br />
„Canım (türkisch „mein Schatz“),<br />
hast du das Kleid schon angezogen?“,<br />
schallt die Stimme meiner Mutter durch<br />
die Tür. Der Lärm des Kleidungsgeschäfts<br />
wird immer lauter, dröhnt geradezu in<br />
meinen Ohren. Im Spiegel sehe ich zwar<br />
mein Abbild, aber versuche vergeblich<br />
mich in diesem zu finden. „Jetzt stell<br />
dich nicht so an, auf Hochzeiten trägt<br />
man als Frau halt ein Kleid“ – ist die einzige<br />
Antwort die ich auf meine Frage, ob<br />
ich unbedingt ein Kleid anziehen muss,<br />
erhalte. Es wird weiter geschaut, mein<br />
persönlicher Albtraum ist noch nicht<br />
vorbei. Besonders bei Hochzeiten ist ein<br />
angemessenes und weibliches Auftreten<br />
von Bedeutung, die Verwandtschaft soll<br />
ja immerhin kein schlechtes Bild von<br />
unserer Familie im Kopf haben – eingetrichtert<br />
wird mir das, bis ich es selbst<br />
glaube. Aber was ist dieses „weibliche“<br />
Auftreten eigentlich?<br />
Boyfriend-Jeans, Hoodies in XXL-<br />
Größen und baggy Shirts – beim Scrollen<br />
durch die sozialen Medien ist es eine<br />
Challenge geworden, auf die damals<br />
beliebten Skinny-Jeans zu treffen.<br />
Oversized Klamotten sind, besonders<br />
bei Frauen, voll im Trend. Was für viele<br />
derzeit angesagte Mode ist, ist für ausländische<br />
Mütter jedoch ein Zeichen von<br />
Männlichkeit und Widerstand. Widerstand<br />
gegen ihre Werte und Schönheitsideale<br />
einer „perfekten“ Frau.<br />
Wie Sätze wie „Zieh dich doch<br />
mal schöner an“ und „Was denken die<br />
anderen von uns, wenn du wie ein Mann<br />
rumläufst?“ regelrecht zu einer Routine<br />
in meinem Alltag wurden.<br />
DIE „PERFEKTE“ FRAU<br />
Beim Anblick meiner alten Kinderbilder<br />
müsste man beide Augen zudrücken,<br />
um mich in dem pinken Shirt mit der<br />
Aufschrift „I am a Princess“ wieder zu<br />
erkennen.<br />
Diese hyperfeminine Version von<br />
mir existierte, da mit vier Jahren meine<br />
Entscheidungskraft dezent eingeschränkt<br />
war. Kleider, Röcke und viele pinke<br />
Kleidungsstücke schmückten meinen<br />
Kleiderschrank, während mein Bett mit<br />
Barbies und Baby Born Puppen vollgestellt<br />
war. Rückblickend sind diese Bilder<br />
befremdlich und spiegeln mein jetziges<br />
„<br />
Du sahst<br />
doch so süß<br />
aus damals.<br />
“<br />
Ich nicht wider. „Du sahst doch so süß<br />
aus damals“, ist das Einzige, was aus der<br />
Zeit hängen geblieben ist. Bei meinem<br />
Bruder sah die Sache anders aus. Hier<br />
dominierten Autos und Fußbälle sowie<br />
die Farbe Blau. Zwei Welten, welche klar<br />
getrennt wurden. Eine Grenzüberschreitung<br />
führte zu einem kurzen: „Das ist nur<br />
für Jungen/Mädchen bestimmt.“<br />
Bereits in jungen Jahren wird auf<br />
eine möglichst große Distanz zwischen<br />
Jungen und Mädchen geachtet, nicht<br />
nur was das Äußerliche betrifft. Aussagen<br />
variieren von „Ein wahrer Indianer<br />
kennt kein Schmerz“ bis hin zu „Diese<br />
vorlaute Art gehört sich für jemanden<br />
wie dich nicht“. Ersteres wird an Jungen<br />
vermittelt, welche möglichst emotionslos<br />
und „stark“ erzogen werden, um ihre<br />
Männlichkeit zu wahren und Dominanz<br />
zu erlernen. Letzteres sind Sprüche,<br />
die besonders junge Mädchen zu hören<br />
bekommen, um durch ein ruhiges und<br />
passives Verhalten – ganz „lady-like“ –<br />
nicht aufzufallen und sie klein zu halten.<br />
Die „perfekte“ Frau ist also möglichst<br />
gehörig und feminin in ihrem Auftreten.<br />
Anders wird es schwierig, einen Mann<br />
zu finden – so jedenfalls habe ich es<br />
gelernt.<br />
„DU BIST SO EIN<br />
MANNSWEIB“<br />
Als ich älter wurde, habe ich mir ein<br />
Stück weit Freiheit zurückerkämpft. Meine<br />
Eltern merkten wohl, dass sie nicht<br />
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 35
wie so ein Mannsweib“ oder „Bist ja<br />
auch einer von uns Jungs“. Manche<br />
Verwandte waren ebenso wenig angetan<br />
von meinem neuen Stil, was dazu führte,<br />
dass ich die Frage „Wieso ziehst du nicht<br />
so einen schönen Rock an im Sommer?“<br />
öfter zu hören bekommen habe als ein<br />
Kompliment.<br />
Die Sprüche nicht zu nah an sich<br />
ranzulassen, war schwerer als gedacht.<br />
Frustration breitete sich in mir aus:<br />
Immerhin fühlte ich mich trotzdem wie<br />
eine Frau und meine Weiblichkeit aufgrund<br />
meines Klamottenstils abgesprochen<br />
zu bekommen, passte mir gar nicht.<br />
In kurzer Kleidung, wie beispielsweise<br />
bauchfreien Shirts, die die Frauenabteilung<br />
dominieren, fühlte ich mich einfach<br />
nicht so wohl wie in längeren T-Shirts.<br />
Außerdem spiegelt mein Stil meinen<br />
Charakter wider und mit einem sehr<br />
femininen Look fühle ich mich nicht wie<br />
ich selbst.<br />
„Du Mannsweib“ muss Helin sich immer wieder anhören.<br />
Darauf hat sie keinen Bock mehr.<br />
„<br />
Wieso ziehst<br />
du nicht so<br />
einen schönen<br />
Rock an<br />
im Sommer?<br />
“<br />
ewig meinen Kleidungsstil beeinflussen<br />
konnten, weshalb ich jetzt mit Freunden<br />
shoppen ging und auch in den Genuss<br />
der Männerabteilung kam. Normalerweise<br />
wären Klamotten aus dieser, egal<br />
wie Unisex sie aussehen, ein absolutes<br />
No-Go.<br />
Zum ersten Mal fühlte ich mich<br />
jedoch komplett wohl mit meinem Aussehen<br />
und meinem Stil. Das hielt aber<br />
nur so lange, bis die ersten Kommentare<br />
zu meiner Kleidung und meinem Verhalten<br />
fielen.<br />
Besonders in der Schule kamen<br />
von den Jungs aus meiner Stufe öfters<br />
Sprüche wie „Du verhältst dich schon<br />
ABER WER BESTIMMT<br />
EIGENTLICH, WAS<br />
MÄNNLICH ODER<br />
WEIBLICH IST?<br />
Die negativen Kommentare an mir<br />
abprallen zu lassen, war ein langer<br />
Prozess. Vielleicht sogar einer, der noch<br />
nicht ganz geendet hat. Es ist wichtig,<br />
sich immer wieder daran zu erinnern,<br />
dass nur du über dein Aussehen<br />
bestimmst und nicht deine Eltern oder<br />
die Menschen in deinem Umfeld.<br />
Setz dich breitbeinig hin, rede in<br />
einer tiefen Stimme, zieh an, was du<br />
anziehen möchtest, egal aus welcher<br />
Abteilung. Zeig Widerstand. Im Endeffekt<br />
sind unsere binären Rollenzuteilungen<br />
einschränkend und veraltet. Kleidung hat<br />
kein Geschlecht und das Wichtigste ist,<br />
dass du dich in deiner Haut wohl fühlst,<br />
und das ganz egal, ob in XL-Hoodie oder<br />
Blümchenkleid. ●<br />
Helin Kara ist 21 Jahre alt. Sie studiert<br />
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,<br />
hat kurdisch-alevtische Wurzeln.<br />
36 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Es ist wichtig, sich immer<br />
wieder daran zu erinnern, dass<br />
nur du über dein Aussehen<br />
bestimmst und nicht deine<br />
Eltern oder die Menschen in<br />
deinem Umfeld. Setz dich<br />
breitbeinig hin, rede in einer<br />
tiefen Stimme, zieh an, was du<br />
anziehen möchtest, egal aus<br />
welcher Abteilung.
„SEI NETTER ZU DEN<br />
ÖSTERREICHERN!“<br />
Warum ich niemandem um jeden Preis gefallen will<br />
Von Luna Al-Mousli, Fotos: Zoe Opratko<br />
Luna Al-Mousli ist 33<br />
Jahre alt, Autorin und<br />
Kulturschaffende.<br />
38 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Bei der ersten Lesung meines<br />
neuen Romans „Um mich herum<br />
Geschichten“ saß Mama<br />
in der ersten Reihe, daneben<br />
war die gesamte Familie aufgereiht von<br />
Oma bis Onkel und dazwischen unbekannte<br />
Gesichter.<br />
Obwohl es nicht mein erster Auftritt<br />
war, denn ich bin seit 2016 Autorin, war<br />
ich wie bei jeder Lesung leicht aufgeregt<br />
und versuchte, die Nervosität in den flauschigen<br />
Sofakissen zu versenken.<br />
So fing ich an: „Es war einmal, es war<br />
keinmal, bis es einmal war“.<br />
Nach den ersten Sätzen wurde meine<br />
Stimme warm, sie fand ihre Balance<br />
zwischen den deutschen Sätzen und den<br />
eingebauten arabischen Wörtern, die mit<br />
Selbstverständlichkeit den Raum einnahmen,<br />
ohne sich zu erklären.<br />
Und schon kam ich zum Ende, die<br />
Moderation übernahm und wir kamen<br />
zum zweiten Teil des Abends: das<br />
Gespräch – wie üblich über das Buch,<br />
den Schreibprozess und über Persönliches.<br />
Als ich am Anfang meiner schriftstellerischen<br />
Arbeit stand, war mir nicht<br />
klar, wie sehr „das Persönliche“ auf der<br />
Bühne Platz einnehmen würde – wie<br />
intim und nachbohrend manche Fragen<br />
werden könnten.<br />
Es sind Fragen über meine Religiosität.<br />
Wobei diese Frage scheinbar nur<br />
für Muslima gilt, denn ich war noch<br />
nie bei einer Diskussion, in der man<br />
eine*n nicht-muslimische*n Diskutant*in<br />
fragte, wie intensiv die eigene Religiosität<br />
praktiziert wird. Ich gewöhnte mir<br />
irgendwann diese Antwort an: “Mein<br />
Glauben ist eine Beziehung zwischen<br />
mir und Gott, oder wer auch immer da<br />
oben ist und geht eigentlich niemanden<br />
was an.” Mein Beziehungsstatus scheint<br />
ebenfalls Relevanz zu haben, und ob<br />
meine Eltern einverstanden wären, wenn<br />
ich mit einem Andersgläubigen zusammen<br />
wäre. Auf diese Frage könnte ich<br />
entgegnen: “Entschuldigung, wie heißen<br />
Sie noch mal? Ich wusste gar nicht, wie<br />
eng befreundet wir sind!“<br />
Die Fragen kommen nicht aus Böswilligkeit,<br />
sondern einfach aus reiner<br />
Neugier – oder aus einem akzeptierten<br />
und manifestierten Machtverhältnis. Ich,<br />
Frau und Migrantin, muss mich erklären,<br />
für alle Fragen offen stehen, um meine<br />
„<br />
Luna, du warst jetzt<br />
schon gemein zu den<br />
Österreichern.<br />
“<br />
Arbeit und mein Dasein zu rechtfertigen.<br />
Ich muss Österreich und seine<br />
Gesellschaft loben und dafür dankbar<br />
sein, denn wäre ich in Syrien geblieben,<br />
wäre aus mir bestimmt keine Autorin<br />
geworden, wird mir immer wieder klar<br />
gemacht. Meine Leistungen und meinen<br />
Erfolg steckt sich Österreich an die Brust,<br />
als hätte Österreich das System gebaut,<br />
das meine Talente gefördert hatte, als<br />
hätte Österreich mir zugesprochen und<br />
mir das Gefühl gegeben, mit allem, was<br />
ich bin – Syrerin und Österreicherin und<br />
viele andere Unds –, zugehörig und mitbestimmend<br />
zu sein. Dem war aber nicht<br />
so. Der Dank geht da ausschließlich an<br />
meine Mama, meine Familie und meine<br />
Freund*innen.<br />
Ich war auf dem flauschigen Sofa<br />
auch immer mehr als nur eine Autorin,<br />
so wie in der Schulklasse. Ich war Religionswissenschaftlerin,<br />
Expertin für den<br />
Nah-Ost-Konflikt und sämtliche andere<br />
Konflikte in der gesamten SWANA-Region<br />
(Süd-West-Asien und Nord-Afrika),<br />
Migrations- & Diskriminierungsforscherin,<br />
aber auch Sprecherin für jeden und<br />
jede Syrer*in, die schnell oder weniger<br />
schnell Deutsch lernten, die alleine oder<br />
mit ihrer Familie herkamen, die Ösi-<br />
Freunde fanden, oder sich zurückzogen.<br />
Anfangs antwortete ich höflich,<br />
überlegt und „diplomatisch“, wie es<br />
meine Mama sagen würde, immer darauf<br />
bedacht, die Gefühle von niemandem im<br />
Raum zu verletzen. Nach dieser Lesung<br />
aber lobte meine Mama, was zu loben<br />
war, schwieg kurz, legte ihre Hand um<br />
meine Schulter und zog mich zu sich:<br />
„Luna, du warst jetzt schon gemein zu<br />
den Österreichern, du bist so undiplomatisch<br />
geworden.”<br />
Mama, ich habe versucht, lieb und<br />
nett zu sein, Kritik an Österreich mit<br />
einem Lächeln auszusprechen, sodass<br />
meine Bäckchen ganz rot werden. Ich<br />
wandte das Feedback-Sandwich an,<br />
positiv, negativ, positiv, um gesellschaftspolitische<br />
Themen anzusprechen und<br />
Mängel zu betonen, doch es half nicht.<br />
Denn ich hatte nicht das Gefühl, dass<br />
die Kritik ankam, und oft wurde mir das<br />
Recht auf Kritik überhaupt abgesprochen<br />
– wie gesagt, ich soll ja dankbar sein.<br />
Wie kann die Wut in mir sich auflösen,<br />
wenn dem Anti-Rassismus-Volksbegehren<br />
„Black Voices“, Stimmen fehlte,<br />
um ins Parlament zu kommen?<br />
Wie kann es sein, dass Schüler*innen<br />
im Live-TV von rechtsextremen Politikern<br />
bedroht werden können?<br />
Wie kann es sein, dass ich bis heute<br />
die Beleidigung „Sie sprechen akzentfrei<br />
Deutsch, ich konnte alles verstehen!“ als<br />
Kompliment auffassen muss?<br />
Als es Letzteres aus dem Publikum<br />
kam, erwiderte ich: „Ihr Deutsch ist<br />
auch ganz gut, nur müssten Sie an Ihrer<br />
Aussprache arbeiten, denn mit Ihrem<br />
Dialekt verschlucken Sie Buchstaben, ein<br />
akzentfreies Deutsch würde ich es nicht<br />
nennen.“<br />
Einmal stellte bei einem Interview<br />
eine Journalistin Fragen zu unterdrückten<br />
Frauen in Syrien. Ich wusste ganz<br />
genau, worauf die Journalistin mit der<br />
Frage hinauswollte, bog aber ab und<br />
entgegnete ihr: „Wenn wir über die<br />
Unterdrückung der Frau durch die patriarchalen<br />
Strukturen reden, müssen wir<br />
gar nicht so weit weg nach Syrien schauen.<br />
Bleiben wir doch hier in Österreich.<br />
Laut Statistik Austria ist jede dritte Frau<br />
von Gewalt betroffen, wie ist die Lage<br />
der Frauen in Österreich also?”<br />
Die Journalistin meinte dann, Frauen<br />
in Österreich hätten jedoch viel mehr<br />
Freiheiten und Rechte. Auch hier musste<br />
ich ihr ins Wort fallen, denn umso<br />
schlimmer, rückständiger und peinlicher<br />
ist es, dass bis heute in dem “perfekten”<br />
Österreich Frauen und Männer nicht gleichen<br />
Lohn für gleiche Arbeit bekommen,<br />
Frauen armutsgefährdeter sind und in<br />
so vielen Lebensbereichen benachteiligt<br />
werden.<br />
Nein, Mama, ich glaube, für die<br />
nächsten 10 Jahre versuche ich es mal<br />
undiplomatisch, ohne die Kritik in Samt<br />
einzupacken, denn ich habe ein Recht<br />
darauf, die Mängel zu benennen, und<br />
möchte den Scheiß, den sich die österreichische<br />
Politik erlaubt, nicht beklatschen.<br />
●<br />
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 39
Eine kleine Geste<br />
kann vieles<br />
bewirken, findet<br />
Banan Sakbani.<br />
WENN BLICKE<br />
STÄRKEN<br />
40 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Banan Sakbani kennt das Gefühl, für<br />
ihr Anderssein angestarrt zu werden,<br />
nur zu gut. Welchen Einfluss<br />
Zivilcourage für ihre persönliche<br />
Geschichte hatte, und warum sie<br />
möchte, dass möglichst viele andere<br />
dafür einstehen, erklärt sie hier.<br />
Von Banan Sakbani, Fotos: Zoe Opratko<br />
In der Straßenbahn erlebe ich immer<br />
wieder Situationen, die mich an<br />
meine Herkunft erinnern. Manchmal<br />
finde ich das schön und manchmal<br />
empfinde ich es als Watsche ins Gesicht.<br />
Die Angelegenheit ist also widersprüchlich<br />
– sie kann dennoch entscheidend<br />
sein dafür, wie es mir an diesem Tag<br />
gehen wird oder ob meine Laune gleich<br />
in der Früh verdorben wird.<br />
DAS ERSTE MAL IN<br />
EINER BIM IN WIEN<br />
Als ich das erste Mal in einer Bim in<br />
Wien saß, versuchte ich mir Deutsch<br />
beizubringen, indem ich Worte auf<br />
Straßenschildern und Werbeplakaten<br />
an Haltestellen las und mir übersetzte.<br />
„Daham statt Islam“, „Mehr Mut für<br />
unser Wienerblut – zu viel Fremdes tut<br />
niemandem gut“, waren ironischerweise<br />
die ersten Sätze, die ich in den Google-<br />
Übersetzer eingetippt habe. Ich blieb<br />
nicht nur beim Übersetzen, denn es<br />
hat nicht lange gedauert, bis ich meine<br />
ersten Worte auf Deutsch sagte und so<br />
kam ich auch langsam ins Gespräch mit<br />
anderen Menschen. Im ersten Gespräch<br />
sagte mir eine Dame: „Sie sprechen aber<br />
sehr gut Deutsch, wo kommen Sie denn<br />
her?“ Und erneut hat die erste Frage, die<br />
mir auf Deutsch gestellt wurde, mich und<br />
meine Laune in eine Schublade gesetzt.<br />
Fünf Jahre später sitze ich wieder in<br />
einer Straßenbahn und werde Zeugin<br />
folgender Szene:<br />
Eine türkische Frau mit Kopftuch, die<br />
am Telefonieren war, wird gleichzeitig<br />
von zwei älteren Damen angestarrt. Als<br />
die Türkin den beiden vorwarf, dass sie<br />
ausländerfeindlich seien, schaute eine<br />
von ihnen zu mir rüber und suchte in<br />
meinen Blicken nach einer Bestätigung,<br />
dass ihre Handlung die richtige war. Wie<br />
schnell wurde vergessen, dass ich doch<br />
vor einigen Jahren in der gleichen Position<br />
gesessen war, nur weil ich vorhin<br />
auf Deutsch telefoniert habe, teilweise<br />
anders aussehe oder eine Zeitung in der<br />
Hand trage? Ich nickte. Ich schaute zu<br />
der türkischen Frau rüber und nickte.<br />
„Sie haben Recht“, habe ich ihr auf<br />
Türkisch gesagt. Daraufhin fragte sie:<br />
„Es stimmt, oder? Ausländerfeindlich, so<br />
heißt es auf Deutsch, nicht?“ Ich bestätigte:<br />
„Ja, das stimmt, bitte lassen Sie<br />
sich nicht unterbrechen.“ Es hat nur diesen<br />
einen Satz gebraucht und sie fand in<br />
ihren Redefluss auf Deutsch: „Als ob ich<br />
jetzt aufhören würde, wegen den Damen<br />
hier mit meiner Schwester zu telefonieren!“<br />
Sie stolzierte an den beiden Frauen<br />
vorbei, bedankte sich bei mir und stieg,<br />
mir zulächelnd, aus.<br />
Ein Blick kann schwächen, zerstören<br />
und ausgrenzen, genauso wie ein Nicken<br />
bestätigen, verstärken und empowern<br />
kann. Wie oft habe ich ein Nicken in<br />
dieser Stadt gebraucht, wie oft schwieg<br />
ich und saß versunken da. Heute bin ich<br />
diejenige, die empowernd nickt.<br />
Ich hoffe, das seid ihr auch!<br />
ICH WERDE NICHT<br />
NUR NICKEN<br />
Heute kann ich laut mitreden, mitgestalten,<br />
mich teilweise politisch beteiligen,<br />
die Werbeplakate kritisieren und auf<br />
das Zynische mit dem Finger zeigen,<br />
denn wählen darf ich aufgrund meiner<br />
Staatsbürger:innenschaft immer<br />
noch nicht. Man sollte gerade diesen<br />
Menschen eine Stimme geben und sie<br />
stärken, denn sie sind mit ihrem bunten<br />
Hintergrund eine Bereicherung unserer<br />
Gesellschaft, anstatt ihnen die Stimme<br />
zu entziehen und zu behaupten, sie<br />
seien eine Belagerung unserer österreichischen<br />
Märkte und die Plätze sind<br />
nicht mehr die, die sie mal waren. Gott<br />
sei Dank sind sie das nicht. Auch ich<br />
bin nicht die gleiche Person wie vor fünf<br />
Jahren. Orte verändern sich, Städte<br />
wachsen und die Menschen entfalten<br />
sich. Jedes Wort zählt und hat einen Einfluss,<br />
liefert einen negativen oder einen<br />
positiven Beitrag. Es braucht keinen Hass<br />
und keine Verhetzung, diese stellen eine<br />
Gefahr für unser Zusammenleben und<br />
unsere Demokratie dar. Wien war schon<br />
immer eine bunte Stadt, gerade deshalb<br />
sollten wir weiterhin die Diversität<br />
fördern und diese nicht mit hasserfüllten<br />
Reden zerstören. Worte wirken. So wie<br />
die empowernden Worte des Direktors<br />
meiner ehemaligen Schule, in der ich im<br />
vorigen Jahr mit Auszeichnung maturierte:<br />
„Ich freue mich auch, dass sie<br />
kommt, um den anderen Schüler:innen,<br />
die lernen zu zeigen: Das hat funktioniert!<br />
Schaut, was aus mir geworden ist!“<br />
Ja, ich ging in meine ehemalige<br />
Schule und auch in andere Schulen als<br />
Integrationsbotschafterin mit dem Roten<br />
Die Autorin fordert mehr Zivilcourage<br />
im öffentlichen Raum.<br />
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 41
Banan wehrt sich gegen Zuschreibungen von Außen.<br />
Kreuz zurück, um einige Workshops in<br />
Schulklassen zu halten, weil ich wusste,<br />
welche großartigen Menschen mit ihren<br />
tollen Einstellungen mich empfangen<br />
würden. Die Kinder brauchen dieses<br />
Empowerment und das weiß ich am besten,<br />
weil ich sie selbst damals brauchte.<br />
Sie brauchen sie mehr als je zuvor. Jetzt<br />
vor allem deshalb, weil sie mit politischen<br />
Aussagen wie „Du gehörst nicht<br />
zu Wien!“ als Schüler:innen konfrontiert<br />
werden. Die Schicksale und die Zukunft<br />
der Menschen sind nicht dafür da, um<br />
damit Wählerstimmen zu generieren. Das<br />
ist nur perfide.<br />
Empowerment ist ein essenzieller<br />
Bestandteil einer soliden, verbundenen,<br />
solidarischen und friedlichen Gesellschaft.<br />
Wenn die Empowerment fehlt,<br />
dann gibt es einen Raum für Unwissen,<br />
Unsicherheit, Exklusion, Hass und<br />
Gewalt. Es ist keine Selbstverständlichkeit,<br />
dass alle über ihre Rechte Bescheid<br />
wissen und wenn sie dies nicht tun, dann<br />
diskriminieren wir sie, anstatt Ihnen diese<br />
Unwissenheit abzunehmen.<br />
WARUM HAT ES BEI MIR<br />
FUNKTIONIERT?<br />
Ich bin keine erfolgreiche Ausländerin,<br />
weil ich besser als die anderen bin oder<br />
weil ich die gute Migrantin bin, die brave<br />
Asylantin, die so schnell neben sechs<br />
weiteren Sprachen Deutsch lernte und<br />
Preise gewann. Bei mir hat es funktioniert,<br />
weil meine Lehrer:innen an mich<br />
geglaubt haben. An dem Zeitpunkt, an<br />
dem es an der Zivilcourage gescheitert<br />
ist, haben mir meine Professor:innen<br />
unter die Arme gegriffen und mir das<br />
ausreichende Wissen mitgegeben. Ich<br />
habe mich keine einzige Sekunde in<br />
der Schule für meine Identität schämen<br />
müssen. Leider ist das aber auch nicht in<br />
allen Schulen der Fall. In der Mittelschule,<br />
die ich vor dem Gymnasium einige<br />
Monate lang besuchen musste, weil mein<br />
Pflichtschulabschluss aus der Türkei<br />
nicht anerkannt worden war, wurde ich<br />
ausgelacht, einer der Lehrerinnen sagte<br />
mir damals, dass ich es niemals zur<br />
Matura schaffe, dass nicht alle Kinder<br />
aufs Gymnasium müssen und dass die<br />
Uni nichts für mich wäre, weil ich noch<br />
kein Deutsch könne. Mit diesen Worten<br />
traumatisierte sie mich, heute möchte<br />
ich ihr als Jus-Studentin eines sagen:<br />
Ich habe es geschafft und hoffe, dass ich<br />
Ihnen, Frau Lehrerin, und Ihrer Zivilcourage<br />
mit meiner Erfolgsgeschichte eine<br />
Lehre sein kann.<br />
Traut euch! Steht für eure Identitäten<br />
ein, für eure Vielfalt, werdet laut, lasst<br />
euch die Chance nicht nehmen und lasst<br />
euch ja nicht demotivieren. Seid politisch<br />
und setzt euch für eure Anliegen<br />
ein, sonst heißt es immer: „Die Flüchtlinge!“<br />
und „Die Migrant:innen!“ und<br />
irgendwer bringt dann für uns diesen<br />
und jenen Vorschlag ein. Wir können für<br />
uns selbst sprechen, wir können selbst<br />
bestimmen, was wir wollen, aber auch,<br />
was wir nicht wollen. Denkt an diesen<br />
Spruch: „Niemand hat das Recht zu<br />
gehorchen“ – auch diesen Statz habe ich<br />
zum ersten Mal von meiner ehemaligen<br />
Französisch-Lehrerin gehört und ihn ins<br />
Herz geschlossen. ●<br />
Banan Sakbani ist 20 Jahre alt, studiert<br />
Rechtswissenschaften, arbeitet neben<br />
ihrem Studium in einer Rechtskanzlei<br />
als Assistentin. Sie ist Musikerin und<br />
Rednerin.<br />
42 / EMPOWERMENT SPECIAL /
„ Es war so prickelnd,<br />
deine zarten Lippen<br />
auf mir zu spüren.<br />
Und plötzlich lässt<br />
du mich eiskalt fallen.“<br />
© 20<strong>23</strong> McDonald’s<br />
Mach<br />
keinen<br />
Mist!<br />
Wer sich richtig trennt, spart wertvolle Ressourcen.<br />
Deshalb wird in jedem österreichischen McDonald’s<br />
Restaurant der Abfall gesammelt, getrennt und<br />
anschließend zu 90 % wiederverwendet.
LIFE & STYLE<br />
Mache mir die Welt,<br />
wie sie mir gefällt<br />
Von Şeyda Gün<br />
VIVA<br />
FRIDA<br />
KAHLO<br />
MEINUNG<br />
Schön schlau<br />
„Nur schön sein reicht halt nicht.“,<br />
predigte mir damals meine Mathe-<br />
Lehrerin in der Schule. Und das nicht<br />
nur einmal, sondern jedes Mal, wenn<br />
ich eine negative Leistung in diesem<br />
Fach erbrachte. Damals, mit 14, hatte<br />
ich mir diese Worte sehr zu Herzen<br />
genommen, es machte mich einfach<br />
traurig. Ich fühlte mich schlecht, weil<br />
ich „schön“ aber nicht schlau genug<br />
für die Schule war. Heute denke ich<br />
an diese Zeit zurück und weiß, dass<br />
die einzigen Fehler die mangelnde<br />
Sozialkompetenz und die fehlende<br />
Menschlichkeit dieser Lehrerin waren.<br />
Ich glaube, vor allem wir Migra-Kids<br />
haben zumindest eine Lehrkraft in<br />
Erinnerung, die uns entweder unsere<br />
Leistung abgesprochen oder uns<br />
auf persönlicher Ebene beleidigt hat.<br />
Rückblickend bin ich auf mein 14-jähriges<br />
Ich sauer. Ich bin deshalb wütend,<br />
weil ich lange genug Aussagen und<br />
Blicke toleriert habe, die schließlich<br />
dazu geführt haben, an mir selbst zu<br />
zweifeln. Dabei bin ich doch so viel<br />
mehr als nur „schön“, schaut her, was<br />
aus mir geworden ist. Daher richte ich<br />
meinen Appell an euch, liebe junge<br />
Leser:innen, lasst euch nicht unterkriegen<br />
und zweifelt nie an euch selbst.<br />
guen@dasbiber.at<br />
Endlich gibt es wieder eine Frida<br />
Kahlo Ausstellung in Wien! Dass<br />
ich ein riesen Fan von ihr bin, ist<br />
kein Geheimnis. Frida ist wohlmöglich<br />
die bekannteste Malerin<br />
Lateinamerikas und eine bewundernswerte<br />
Frau. Die immersive<br />
Ausstellung „Viva Frida Kahlo“<br />
findet ihr in der Wiener Marx Halle<br />
(Karl-Farkas-Gasse 19, 1030 Wien)<br />
noch bis 16.07.20<strong>23</strong>. Schaut<br />
unbedingt hin!<br />
Im Rahmen des Wiener Regenbogenmonats<br />
findet heuer<br />
erstmals das Queer Legends<br />
Festival statt. Was euch dort<br />
erwartet: Filmscreening und<br />
Diskussion zum österreichischen<br />
Modeschöpfer Fred<br />
Adlmüller, Kostüm Improvisationskunst<br />
und eine Modeschau<br />
live on stage von Evelin<br />
Grubbauer mit ihrer Kollektion<br />
„HELIOS“. Am Freitag, den 16.<br />
Juni, im Urania Kino in Wien<br />
„WOMAN.<br />
LIFE.<br />
FREEDOM.“<br />
HOODIE<br />
Der Hoodie von „Younited<br />
Cultures“ ist nicht nur ein absoluter<br />
Eyecatcher, sondern auch<br />
ein Zeichen globaler Solidarität<br />
mit Frauen und Mädchen im<br />
Iran, die mutig für ihre Menschenrechte<br />
demonstrieren. Der<br />
Reinerlös aus dem Verkauf wird<br />
an die Awareness-<br />
Kampagne MY SISTER<br />
gespendet.<br />
Den Hoodie findet<br />
ihr unter<br />
© Zoe Opratko, Queer Legends Festival, Mac Matzen, Younited Cultures<br />
44 / LIFESTYLE /
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
BURGER, BÖREK UND CO. MAL ANDERS<br />
Sommersaison = Grillsaison! Die Klassiker Čevape, frische Köfte oder Burger dürfen dabei<br />
natürlich nicht fehlen. Diesen Sommer brauchst du dafür auch gar kein Fleisch und nein, wir<br />
wollen dir jetzt nicht sagen, dass du nur Gemüse auflegen sollst. Es geht nämlich auch anders.<br />
Foto: David Schreiber<br />
Alle Infos zur SPAR Veggie<br />
Produktkette findest du unter<br />
spar.at/veggie<br />
Wie? Super easy: Mit dem neuen SPAR Veggie<br />
veganem Faschierten. Damit überzeugst du sogar<br />
deine Balkan Mutter von fleischlosen Gerichten!<br />
Das vegane Faschierte ist dem herkömmlichen<br />
Faschierten optisch und geschmacklich so<br />
nahe, dass deine Balkan Mutter gleich zweimal<br />
hinschauen muss, um sich zu überzeugen, dass<br />
es auch wirklich vegan ist! Gebraten als Burger-<br />
Patty, oder gekocht als Chili con Carne oder im<br />
altbekannten Börek stehen mit dem veganen<br />
Faschierten alle Möglichkeiten offen. Hergestellt<br />
im SPAR-eignen TANN-Betrieb in St. Pölten basiert<br />
das vegane Faschierte auf Erbsenprotein-Basis,<br />
enthält kein Palmöl und beinhaltet keine künstlichen<br />
Farb- und Konservierunsstoffe, aber dafür einen<br />
hohen Proteingehalt. Nach einer intensiven<br />
Entwicklungsphase gibt’s das vegane Faschierte ab<br />
jetzt in allen SPAR Filialen in ganz Österreich.<br />
Also auf was wartest du noch?<br />
Hajde gemma endlich grillen, oder?
KARRIERE & KOHLE<br />
Para gut, alles gut<br />
Von Šemsa Salioski<br />
MEINUNG<br />
Erst krank, wenn<br />
das Spital ruft<br />
„Eine Tablette und es wird schon<br />
passen”, sage ich zu mir, während<br />
ich meine Wärmflasche fester an den<br />
Bauch drücke. Ich habe meine Tage und<br />
wieder einmal unfassbar schmerzhafte<br />
Krämpfe. In meinem Fall sind sie oft<br />
so stark, dass ich ohne Schmerzmittel<br />
zusammenbreche. Natürlich habe ich<br />
an dem Tag trotzdem nicht annähernd<br />
daran gedacht, mich krank zu melden.<br />
Bloß nicht unzuverlässig wirken. Ich<br />
wusste zwar, dass das von der Arbeitgeberseite<br />
gar kein Drama gewesen wäre,<br />
aber ich habe mich trotzdem durch den<br />
Tag gequält. Mit dieser toxischen „work<br />
ethic“ bin ich eben aufgewachsen. Frei<br />
nach dem Motto: “Wir sind die Ersten,<br />
die sie rausschmeißen, wenn wir nicht<br />
arbeiten!”, war man bei uns erst dann<br />
krank, wenn man ins Spital musste.<br />
Diese Einstellung kenne ich auch nur zu<br />
gut aus meinem Migra-Freundeskreis, in<br />
dem die Eltern alle unsichere Jobs hatten.<br />
Auch wir Jungen weigern uns, krank<br />
zu sein, obwohl wir ein völlig anderes<br />
Sicherheitsniveau genießen. Rückblickend<br />
bereue ich es, nicht einfach im<br />
Bett geblieben zu sein. Ich rannte immer<br />
an gegen sinnlose Erwartungen der<br />
Arbeitswelt und war am Ende selbst<br />
nicht schlauer. Aber gönnen wir uns<br />
beim nächsten Mal bitte Krankenstand.<br />
salioski@dasbiber.at<br />
FOMO<br />
(„FEAR OF MISSING OUT“)<br />
WAR GESTERN!<br />
Dein Sommer mit der VHS!<br />
Auch heuer bietet die VHS mit<br />
1.200 Kursen wieder ein breites<br />
Angebot, um das altbekannte<br />
Sommerloch zu füllen! Viele davon<br />
finden auch im Freien statt. Egal<br />
ob Pilates im Park, Acrylmalerei,<br />
ein Fotospaziergang in der Abenddämmerung<br />
oder Schwedisch<br />
lernen – das Sommerangebot der<br />
VHS bietet dir Raum und Zeit,<br />
neues zu entdecken und deiner<br />
Kreativität freien Lauf zu lassen.<br />
Check gleich mit deiner BFF das<br />
Angebot auf www.vhs.at/sommer<br />
ab, damit FOMO gar nicht erst<br />
auftaucht. Nu kör vi! („Los geht’s“<br />
auf Schwedisch)<br />
Veranstaltungstipp<br />
Was ist ein<br />
Algorithmus?<br />
Jeder von uns bekommt unterschiedliche<br />
YouTube-Videos vorgeschlagen.<br />
Auch die Werbung auf<br />
Facebook sieht bei jedem anders<br />
aus. Aber wie funktioniert das? Warum<br />
bekomme ich gewisse Inhalte<br />
ausgespielt?<br />
Was ist eigentich ein Algorithmus?<br />
Ist das nicht alles ur kompliziert?<br />
Nein! Kann ich eigentlich Karriere<br />
in diesem Bereich machen? Ja!<br />
Melde dich einfach an, indem du<br />
eine E-Mail mit dem Betreff „Anmeldung<br />
WBW Algorithmen – 20.<br />
Juni“ an edulab@ifs.tuwien.ac.at<br />
sendest.<br />
KENNT IHR SCHON EASY-TUTOR?<br />
Easy-Tutor ist eine Online-Plattform, die<br />
Einzelunterricht per Video-Chat anbietet. Ihr<br />
Glücklichen, wir mussten damals im Pausenhof<br />
hocken! Die Webseite richtet sich hauptsächlich an<br />
Schüler:innen, hilft aber auch Studierenden sowie<br />
Erwachsenen weiter. Easy-Tutor legt großen Wert<br />
auf die Kompatibilität von Schüler:in und Tutor:in<br />
und bietet ein Matching-System an, bei dem<br />
Nutzer:innen zuerst Fragen beantworten müssen, um<br />
ihr ideales Match zu finden. Es werden ausschließlich<br />
qualifizierte Nachhilfelehrer wie Studierende, Uni-<br />
Absolventen oder Gymnasiallehrer beschäftigt, die<br />
Bestnoten im jeweiligen Fach nachweisen müssen.<br />
© Zoe Opratko, unsplash.com/Markus Spiske, unsplash.com/Headway<br />
46 / KARRIERE /
BIST DU SCHON GUT INTEGRIERT ?<br />
Kennst du schon den Podcast<br />
„Gut integriert“? Wenn du in<br />
die Lebensrealitäten von Migras,<br />
BPOCs und Zugezogenen<br />
eintauchen möchtest, dann ist<br />
er genau das richtige für dich.<br />
Host Kristjan spricht mit seinen<br />
Gäst:innen alle Tabuthemen der<br />
unterschiedlichen migrantischen<br />
Communitys an. Sei es Sex vor der<br />
Ehe, Jungfräulichkeit, übertriebener<br />
Nationalstolz, das Leben als<br />
queere migrantische Person oder<br />
Bodyshaming innerhalb der Familie<br />
– kein Thema bleibt unausgesprochen.<br />
Hier geht’s<br />
zum Podcast:<br />
Folgen-Empfehlung: In<br />
der Folge „Existenzängste,<br />
Kunst und finanzielle<br />
Sicherheit“ spricht Kristjan<br />
gemeinsam mit Esma aka<br />
„Strudelworte“ darüber, wie<br />
man es schafft sich beruflich<br />
durchzusetzen – auch<br />
wenn die Familie nicht über<br />
die eigene Berufswahl begeistert<br />
ist, vor allem, wenn<br />
man sich als Migra-Kid im<br />
Kunst-Bereich etablieren<br />
möchte.<br />
Hier geht’s<br />
zur Folge:<br />
Jeder<br />
Anfang<br />
bringt dich<br />
Bezahlte Anzeige<br />
Ist der Anfang mal gemacht,<br />
geht es einfach weiter!<br />
allejobs findet alle Jobs, die<br />
es aktuell in Österreich gibt.<br />
DIE Job-Suchmaschine<br />
ams.at/allejobs
OPTIMAL VORBEREITET AUF DIE<br />
KARRIERE IN DER GESUNDHEITS-<br />
UND KRANKEN PFLEGE<br />
Du interessierst dich für Gesundheit und Krankheitsprävention, bist<br />
kommunikativ und unterstützt gerne andere? Mit einem Studium der<br />
Gesundheits- und Krankenpflege an der FH Campus Wien kommst<br />
du zu deinem zukünftigen Traumjob in der Pflege. Drei Studierende<br />
erzählen über ihre persönlichen Highlights und Hintergründe.<br />
Tim Weier<br />
(22)<br />
Studiert im 1.<br />
Semester am Standort<br />
FH Campus Wien<br />
Durch die ersten Arbeitserfahrungen<br />
bei einem<br />
Rettungsdienst kam<br />
Tim auf ein Studium<br />
der Gesundheits- und<br />
Krankenpflege am<br />
Standort der FH Campus Wien. „Ich begann zuerst ein<br />
Architektur-Studium und merkte relativ schnell, dass<br />
das nichts für mich war“, erzählt der Erstsemestrige. Er<br />
möchte seinen Beitrag gegen den akuten Pflegefachkräftemangel<br />
leisten und interessiert sich vor allem für<br />
den Bereich der Notfall- und Unfallversorgung. „Ich bin<br />
ein sehr stressresistenter Mensch und kann spontan<br />
und flexibel auf verschiedene Situationen reagieren,<br />
deshalb ist besonders das spannend für mich.“ Bereits<br />
im Vorfeld des Studiums war Tim begeistert von der<br />
technischen Ausstattung in den Funktionsräumen an<br />
der FH. „Man kann nahezu reale Szenarien nachstellen,<br />
das fand ich faszinierend.“ Essen verbindet – deshalb<br />
hängt Tim am liebsten in der Mensa mit seinen<br />
Studienkolleg:innen ab. Am meisten genießt er die<br />
familiäre Atmosphäre beim Studium an der FH.<br />
Emily<br />
Marshall<br />
(21)<br />
Studiert im<br />
4. Semester<br />
am Standort<br />
Vinzentinum<br />
Wien<br />
Die Oberösterreicherin<br />
studiert am<br />
Vinzentinum und<br />
durfte schon viele Bereiche der Gesundheits- und<br />
Krankenpflege kennenlernen. „Mein erstes Praktikum<br />
absolvierte ich in der Langzeitpflege, was ganz anders<br />
ist als das Setting im Krankenhaus“, erzählt Emily. Laut<br />
ihr verlangt die Arbeit als Gesundheits- und Krankenpflegeperson<br />
viel Verantwortungsbewusstsein, gute<br />
Kommunikation, Hilfsbereitschaft und Offenheit. „In der<br />
Onkologie und Inneren Medizin durfte ich auch schon<br />
arbeiten.“ Das richtige Verhältnis von Theorie und Praxis<br />
ist entscheidend für den späteren Arbeitsalltag in der<br />
Pflege. „Vieles aus der Theorie kann man sofort anwenden<br />
und wir werden auch auf alles vorbereitet, was<br />
nicht nach Lehrbuch verläuft.“ Ihr nächstes Praktikum<br />
wird sie in der Notfallmedizin absolvieren. „Die Funktionsräume<br />
und ihre Ausstattung vermitteln ein gutes<br />
Gefühl für die Versorgung von Patient:innen und die<br />
Handhabung medizinischer Geräte“, so Emily.<br />
Fotos: Zoe Opratko
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Monika<br />
Völk<br />
(30)<br />
Studiert im<br />
6. Semester<br />
am Standort<br />
Barmherzige<br />
Brüder Wien<br />
Monika steht kurz vor<br />
dem Abschluss des<br />
Studiums am Standort<br />
der Pflegeakademie<br />
Barmherzige<br />
Brüder in Wien. „Meine Highlights waren die verschiedenen<br />
Praktika, auch in Bereichen, die man sonst gar nicht am<br />
Schirm hat“, so die angehende Gesundheits- und Krankenpflegerin.<br />
Mobile Hauskrankenpflege, Langzeit- und Rehabilitationsbereich,<br />
Akutbereich Urologie und Augen, die<br />
Tätigkeit im Aufwachraum und ein dreimonatiges Auslandspraktikum<br />
in der Geburtshilfe und Kinder- und Jugendheilkunde<br />
in Tansania, Afrika, hat Monika bereits hinter sich.<br />
Die größte Herausforderung ist das große Pensum im Studium.<br />
„Montag bis Freitag sind Präsenzveranstaltungen, dazu<br />
kommen Praktika und Prüfungen. Man braucht auf jeden<br />
Fall ein gutes Zeitmanagement. Umso besser fühle ich mich<br />
aber auf die Arbeit in der Pflegepraxis vorbereitet.“ Spannend<br />
war für Monika die außercurriculare Lehrveranstaltung<br />
„Spiritual Care“. „Dabei geht es um die spirituellen Bedürfnisse<br />
von Patient:innen. Wir haben verschiedene Religionen<br />
kennengelernt und beispielsweise über Essensvorschriften<br />
oder Gebetszeiten gelernt. Als Pflegepersonal ist man den<br />
Patient:innen am nächsten, daher ist es gut zu wissen, worauf<br />
man Rücksicht nehmen sollte“, erzählt Monika.<br />
▶ Bewerbungen für das<br />
Wintersemester 20<strong>23</strong>/24 laufen<br />
noch bis <strong>23</strong>. Juli 20<strong>23</strong><br />
▶ Abschluss: Bachelor of<br />
Science in Health Studies<br />
inkl. Berufsberechtigung<br />
▶ Mindeststudienzeit:<br />
6 Semester (Vollzeit)<br />
Das Bachelorstudium Gesundheits- und<br />
Krankenpflege wird an folgenden Standorten<br />
angeboten:<br />
→ FH Campus Wien, 1100 Wien<br />
→ Pflegeakademie der Barmherzigen Brüder<br />
Wien, 1020 Wien<br />
→ Vinzentinum Wien, 1030 Wien<br />
→ Wiener Gesundheitsverbund – Campus<br />
Donaustadt, 1220 Wien<br />
→ Wiener Gesundheitsverbund – Campus<br />
Favoriten, 1100 Wien<br />
→ Wiener Gesundheitsverbund – Campus<br />
Floridotower, 1210 Wien<br />
Während des Studiums profitieren Studierende<br />
zurzeit von der monatlichen Wiener<br />
Pflegeausbildungsprämie der Stadt Wien.<br />
www.waff.at/wiener-pflegeausbildungspraemie<br />
Mehr Infos zum<br />
Bachelor der<br />
Gesundheits- und<br />
Krankenpflege<br />
gibts hier<br />
Fotos: Zoe Opratko
Zweimal Pandemie, zweimal Sitzenbleiben, zwei Perspektiven: Zwei Schülerinnen ziehen drei<br />
Jahre später eine Bilanz darüber, wie das Distance Learning ihre Zukunft beeinflussen wird.<br />
MEINUNG<br />
SITZENBLEIBEN NACH<br />
DER MATURA?<br />
Die Pandemie war ein Auf und Ab der Gefühle. Einerseits<br />
die schönste, andererseits auch die schlimmste Zeit, die<br />
man in seiner Jugend erleben konnte. Für mich war das eine<br />
komische und einzigartige Mischung aus beidem. Während<br />
des zweiten Lockdowns besuchte ich die 6. Klasse in einer<br />
AHS. Präsenzunterricht wurde zu Online Zoom-Meetings,<br />
Schulen durften nur mehr von Unterstufenschüler:innen, die<br />
Betreuung benötigen, besucht werden.<br />
Monatelang nur zu Hause vor dem PC zu hocken, Online-<br />
Unterricht zu haben und die Aufgaben zu erledigen, war<br />
nichts für mich. Statt die Aufgaben zu erledigen, zockte ich<br />
lieber die ganze Nacht durch. Das ließ mich auch oft den<br />
Unterricht verschlafen. Dadurch, dass ich nicht mehr an<br />
dem Unterricht teilgenommen habe, vernachlässigte ich die<br />
Schule extrem. Von dem Stoff bis zu den Tests und Schularbeiten<br />
habe ich nichts mehr mitbekommen. Bis mir klar<br />
wurde, dass ich so die Klasse wiederholen werden müsste,<br />
war es zu spät.<br />
Rückblickend bin ich froh, dass ich sitzengeblieben bin, da<br />
ich nochmal alles wiederholt habe und das auch sehr wichtige<br />
Teile der Zentralmatura sind. Momentan fühle ich mich,<br />
so wie auch viele in meinen Jahrgang, nicht bereit dafür. Ich<br />
bin zwar sitzen geblieben, der Stoff aber nicht.<br />
Allerdings ist es auch unfair, dass die jetzigen Maturant:-<br />
innen keine Erleichterung der Matura bekommen. Die<br />
Coronajahre haben vor allem diese Schüler:innen stark<br />
beeinflusst, da sie von den wichtigsten Jahren kaum was<br />
mitbekamen. Jeder hatte seine eigenen Probleme, manche<br />
hatten es schwer wegen einer toxischen Umgebung, andere<br />
verfielen in Depressionen. Wieder andere hatten wenigstens<br />
das Glück, ein eigenes Zimmer zu besitzen, während sich<br />
viele zu dritt eines geteilt haben. Es kann von uns einfach<br />
nicht erwartet werden, dass wir so tun, als wäre nichts<br />
gewesen und als hätten wir nicht eine bisher einzigartige<br />
Situation erlebt – diese Zeit hat uns zwar gezwungenermaßen<br />
auf unsere Zukunft vorbereitet, aber in Schulnoten kann<br />
man das nicht messen. Und Sitzenbleiben ist zwar in der<br />
Schule eine Option, im späteren Leben aber nicht mehr.<br />
Amira El Sadany ist 18 Jahre alt und besucht das BRGORG 15<br />
Henriettenplatz<br />
DAS WAR MEIN JAHR!<br />
Wir schreiben das Jahr 2020, ich bin gerade dabei, die vierte<br />
Klasse der Unterstufe zu wiederholen und das vorherige<br />
Schuljahr zu verdauen. Das letzte Jahr war eine Katastrophe,<br />
ich bin schon fertig genug, mental und körperlich. Während<br />
ich mich allmählich dazu bringe, mich endlich wieder zusammenzureißen,<br />
kommt aus irgendeiner Ecke dieses verdammte<br />
Corona hergekrochen. Wieso genau jetzt? Ich kann doch<br />
eh nicht mehr!<br />
Das Chaos der Welt bekomme ich als Schülerin sehr zu spüren<br />
und ich habe ganz stark die Befürchtung, dass ich nicht<br />
mehr rauskomme aus diesem Loch. Denn die Schule, wie<br />
auch der Rest der Welt, weiß gar nicht damit umzugehen.<br />
Alle sind gestresst: Eltern, Lehrer:innen, Schüler:innen. Aber<br />
überraschenderweise geht es mir gut. Nein, nicht nur gut,<br />
es ging mir nie besser, ich habe endlich mal keinen Stress.<br />
Ich chille zuhause und genieße die ganze Freizeit, die ich<br />
plötzlich habe. In der Zwischenzeit drehen alle durch, doch<br />
ich schaue meine Serien und schlafe, wann ich will. Einen<br />
geregelten Rhythmus habe ich auch nicht mehr, aber das<br />
ist mir egal, weil das Distance learning sowieso nicht richtig<br />
funktioniert. Denn die meisten Lehrer:innen sind vollkommen<br />
ahnungslos, was sie mit der neuen Technik tun sollen<br />
und richtige Online-Meetings gibt es fast nie. Während es<br />
anderen jetzt schlecht geht, da es so gut wie keinen sozialen<br />
Kontakt gibt, bin ich glücklich und frei. Vor allem im Kopf,<br />
raus darf ich ja nicht ohne plausiblen Grund. Für mich, als<br />
introvertierten Menschen, ist das das Paradies. Ich liebe es,<br />
alleine zu sein. Ich habe endlich eine Pause von allem. Ein<br />
Jahr lang geht es nur um mich.<br />
Die Schule läuft nicht besonders gut, was zählt, ist nur in<br />
die nächste Klasse aufzusteigen, egal wie und mit welchen<br />
Noten. Und die Lehrer:innen sind dieses Jahr besonders<br />
gnädig. Keine Hausübung, keine Tests, so wenig Schularbeiten<br />
wie möglich. Jackpot. Ja, wir kriegen Aufgaben, aber<br />
wenn die nicht erledigt werden, interessiert es keinen.<br />
Die Lehrer:innen haben schon längst aufgegeben. Während<br />
sie aufgegeben haben, bin ich dran geblieben: Vor allem an<br />
mir selbst. Denn 2020 war das Jahr meiner Regeneration.<br />
Seitdem bin ich wieder ich.<br />
Carolina Arena ist 18 Jahre alt und besucht das BRGORG 15<br />
Henriettenplatz<br />
© Zoe Opratko<br />
50 / MIT SCHARF /
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
NEUER STANDARD FÜR<br />
NACHHALTIGE SANIERUNG<br />
Die neue Firmenzentrale von LUKOIL<br />
INTERNATIONAL am Wiener Schwarzenbergplatz<br />
ist bezugsfertig. Im Rahmen eines<br />
modernen High-Tech-Sanierungskonzepts<br />
wurden Klimaschutz, nachhaltige Bauweise<br />
und ökologisches Bewusstsein für die<br />
Umwelt optimal miteinander verknüpft.<br />
© LUKOIL<br />
LUKOIL INTERNATIONAL hat für die Sanierung des<br />
historischen Bestandsgebäudes am Schwarzenbergplatz<br />
mehrere innovative Lösungsansätze kombiniert. Das<br />
sechsstöckige Gebäude aus dem Jahr 1905 – mit rund<br />
3.800 Quadratmetern Nutzfläche sowie knapp 550 Quadratmetern<br />
Freifläche – wurde um zwei Dachgeschoßebenen<br />
erweitert. Dabei standen Wiederverwertung<br />
und langfristige Nutzung als Eckpfeiler des nachhaltigen<br />
Bauens im Fokus, die sich direkt auf die effiziente<br />
Modernisierung von Altbauten übertragen lassen.<br />
Energie- und Gebäudeeffizienz<br />
mit hoher Funktionalität<br />
LUKOIL integrierte energiesparende und ökologische<br />
Maßnahmen, um den Mitarbeiter:innen ein angenehmes<br />
Arbeitsklima zu ermöglichen. Für die neue Firmenzentrale<br />
wurden eine Solaranlage, spezielle Lüftungs- und<br />
Sonnenschutz-Konzepte, eine Begrünungsstrategie<br />
für Indoor und Outdoor sowie Bienenstöcke am Dach<br />
umgesetzt. Auch der Vogelschutz wurde bedacht und<br />
Nistmöglichkeiten für Falken und Mauersegler am<br />
Gebäude realisiert. Technische Filteranlagen bereiten<br />
die Außenluft auf und durch die Platzierung ausgewählter<br />
Pflanzen direkt vor der Luftansaugung wird dieser<br />
Effekt verstärkt.<br />
Dachbegrünung für mehr Nachhaltigkeit<br />
Durch innovative Technologien und die Bepflanzung von<br />
Fassaden können Altbauten auch in puncto Klimaschutz<br />
deutlich aufgewertet und wichtige Ressourcen<br />
eingespart werden. Ein weiterer Fokus lag daher auf<br />
der Dachbegrünung, welche viel Potenzial in Hinblick<br />
auf die Kombination von Gebäudesanierungen und der<br />
Abschwächung des urbanen Hitzeinseleffekts bietet –<br />
mit Auswirkungen auf die Luftqualität hinsichtlich Feinstaub,<br />
VOC, CO2, Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
KULTURA NEWS<br />
Klappe zu und Vorhang auf!<br />
Von Nada El-Azar-Chekh<br />
MEINUNG<br />
Gute Vibes<br />
Kürzlich unterhielt ich mich mit<br />
einem Bekannten, der schon lange<br />
an Mittelschulen unterrichtet, über<br />
die Unterschiede zwischen Millennials<br />
und der Generation Z. Er, der<br />
dieses Jahr seinen 50. Geburtstag<br />
feiert und zur Generation Boomer<br />
gehört, merkt einen riesigen Unterschied<br />
mit der Generation „Tiktok“<br />
– etwa bei der Frage: Welche Musik<br />
hört ihr gerne? Eigentlich einfach,<br />
würde man meinen. Die jüngere Gen<br />
Z kann jedoch weder Genres, noch<br />
Alben und noch weniger Artists nennen,<br />
sie zückt stattdessen ihr Smartphone,<br />
um das alles nachzusehen.<br />
Anstelle von Songs sind es nur mehr<br />
Sounds, die auf den Plattformen viral<br />
gehen. Auf die Frage, warum diese<br />
„Sounds“ gefallen, gibt es die wenig<br />
zufriedenstellende Antwort: Ich weiß<br />
nicht, das gibt mir halt gute Vibes.<br />
Subkulturen sind längst „Ästhetiken“<br />
geweicht, es herrscht die globale<br />
Social-Media-Kultur, die ständig<br />
immer kleinere Mikronischen hervorbringt.<br />
Doch wie überall gibt es auch<br />
hier Ausnahmen – Kids, die sehr<br />
wohl über ihren Musikgeschmack<br />
bestens im Bilde sind: Metal-Heads<br />
(oder generell Kids, die auf „alte“<br />
Musik stehen) und – jetzt kommts –<br />
K-Pop-Fans!<br />
el-azar@dasbiber.at<br />
Film-Tipp<br />
THE FIVE<br />
DEVILS<br />
Ausstellungstipp<br />
Science<br />
Fiction(s)<br />
Die große Jahresausstellung „Science<br />
Fiction(s) – Wenn es ein Morgen gäbe“ im<br />
Weltmuseum Wien präsentiert alternative<br />
Zukunftsszenarien zur Kritik der Gegenwart,<br />
Dekolonisierung und Heilung. Mit<br />
einem Fokus auf indigene, auf schwarze<br />
und muslimische Stimmen stehen die<br />
Perspektiven derer im Mittelpunkt, die oft<br />
aus westlichen Zukunftserzählungen ausgeschlossen<br />
sind. Bis zum 8. Oktober ist<br />
zudem die Installation “Space Mosque” von<br />
Saks Afridi im Theseustempel ausgestellt.<br />
Bis 9. Jänner 2024<br />
im Weltmuseum Wien.<br />
Die kleine Vicky (Sally Dramé) hat eine<br />
geheimnisvolle Gabe: Sie kann jeden Duft<br />
reproduzieren, dem sie begegnet. Als ihre<br />
entfremdete Tante plötzlich in die Stadt<br />
zurückkehrt, wird das junge Mädchen<br />
durch die Beschwörung ihres Dufts in eine<br />
Vergangenheit voller rätselhafter<br />
Familiengeheimnisse zurückversetzt.<br />
Ein mysteriöser Thriller von<br />
Regisseurin Léa Mysius mit der<br />
großartigen Adèle Exarchopoulos<br />
in der Rolle von Vickys Mutter<br />
Joanne.<br />
Seit 12. Mai in den Kinos.<br />
Podcast-Tipp:<br />
IM MUSEUM<br />
Kunst, kurz und bündig auf die<br />
Ohren: „Im Museum“ knöpft<br />
sich aktuelle Ausstellungen und<br />
Sammlungen in Wien vor und lässt<br />
Kurator:innen, Vermittler:innen,<br />
oder Sammler:innen selbst zu<br />
Wort kommen. Moderiert von Iris<br />
Borovčnik und Andreas Fischer.<br />
Alle Folgen gibt es hier:<br />
www.immuseum.at<br />
© Zoe Opratko, FCommeFilm TroisBrigandsProduction, Cara Romero, ALPHA<br />
52 / KULTURA /
3 FRAGEN AN…<br />
MARKO MARKOVIĆ<br />
Der kroatische Künstler Marko Marković<br />
ist Frontmann von „Ausländer“, einem<br />
offenen Projekt für Musik-Performance<br />
und experimentelle Medienkunst.<br />
© eSeL.at - Lorenz Seidler<br />
<strong>BIBER</strong>: „Ausländer“ wurde am 1. Mai 2018 gegründet. Warum heißt das<br />
Kollektiv überhaupt Ausländer?<br />
„Ausländer“ ist ein offenes Projekt für Musik-Performance und<br />
experimentelle Medienkunst, das Menschen mit unterschiedlichen<br />
Hintergründen zusammenbringt und die Zusammenarbeit mit anderen<br />
Individuen und Kollektiven begrüßt. Der Name „Ausländer“ ist<br />
ein selbstermächtigendes Statement, das sich gegen die abwertende<br />
Konnotation oder den so verwendeten Begriff wendet.<br />
Du hast keine Scheu, bei deinen Live-Performances körperlich zu werden<br />
– hast du jemals deine eigenen Grenzen überschritten?<br />
In meiner Arbeit stelle ich die Grenzen von Körper, Raum, Territorium<br />
und Zeit in Frage. Dementsprechend bin ich daran interessiert, sozial<br />
engagierte Kunst und Wissenschaft zu verbinden, da wir in einer sehr<br />
fortschrittlichen technologischen Zeit leben, die sich ihrer eigenen<br />
Kapazitäten nicht bewusst ist. Ich interessiere mich sehr für Aspekte<br />
der gegenseitigen Hilfe als Koexistenzbeziehungen zwischen Arten<br />
und basierend auf diesen Gedanken wurde das Projekt „Mutual Aid<br />
Orchestra“ zwischen Arten – in diesem Fall den großen Menschenaffen<br />
Orang-Utans und uns menschlichen Musikern von Ausländer – in<br />
Partnerschaft mit dem Tiergarten Schönbrunn beim Wienwoche-Festival<br />
2021 produziert. Die Kommunikation mit Tieren in Gefangenschaft<br />
war eine echte Herausforderung.<br />
Welche musikalischen und künstlerischen Einflüsse prägen dich?<br />
Ich bin in einer alternativen und punkigen Kultur aufgewachsen, mit<br />
musikalischen Einflüssen von Ramones, Sex Pistols, Exploited, Joy<br />
Division, Crass, Pixies und der Underground-Szene wie Paraf, KUD<br />
Idijoti, Kaos, Miladojka, SCH, Pere Ubu und dem Musikphänomen Ekatarina<br />
Velika. Komponisten wie Nina Simone und elektronische Musik<br />
wie Sven Väth und Moondog. In letzter Zeit, im letzten Jahr, höre ich<br />
Cumbia, denn Cumbia ist ein neuer Punk!
DER QUOTEN-ALMANCI<br />
DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH, DAS<br />
SIND AUCH EURE WÄHLER:INNEN<br />
Von Özben Önal<br />
In den letzten Wochen drehte sich bei mir alles um die<br />
Politik in der Türkei. Die Konsequenzen des Erdbebens<br />
und der unterlassenen Prävention, die anstehenden<br />
Wahlen und gesellschaftspolitischen Konflikte innerhalb<br />
der Bevölkerung. Mein Entschluss, mich eine Weile<br />
zurückzuziehen, stand eigentlich fest. Ich habe mich<br />
genug angestrengt – und es hat nicht funktioniert. Nennt<br />
es kindliche Sturheit oder Trotz, aber die weitaus mehr<br />
als positiven Reaktionen auf die Wiederwahl Recep Tayyip<br />
Erdoğans hier in Österreich und Deutschland machen<br />
mich wütend und fassungslos. Was genau wird eigentlich<br />
gefeiert? Dass der Urlaub in Bodrum oder Çeşme dieses<br />
Jahr im Sommer noch günstiger wird, weil die<br />
Lira immer weiter fällt? Oder die Koalition mit<br />
einer islamisch-konservativen Partei, die der<br />
Meinung ist, Frauen müssten schnellstmöglich<br />
verheiratet werden, um Familien zu gründen<br />
und Kinder zu gebären? In den letzten Tagen<br />
habe ich mich geschämt (Quoten-)Almanci<br />
zu sein. Während wir hier von den Privilegien<br />
demokratischer Staaten profitieren, haben<br />
wir dort über das Schicksal von Millionen von Menschen<br />
mitentschieden, die erneut der Machtgeilheit eines<br />
Autokraten ausgesetzt sind, der die LGBTQIA+ Community<br />
von seinem Palast aus als unmoralisch und sittenlos<br />
bezeichnet, während sein Volk unter der Hyperinflation im<br />
Supermarkt zwei Mal darüber nachdenken muss, ob es<br />
sich Milchprodukte leisten kann.<br />
ERDOGAN WEISS, WIE ER DIE TÜRK:INNEN IN<br />
EUROPA FÜR SICH GEWINNT<br />
Nach ein paar Tagen der Cool-Down-Phase bin ich nun<br />
aber überzeugt, dass apolitisch zu sein und sich zurückzuziehen<br />
nicht die Lösung ist – vor allem nicht als privilegierte<br />
Deutsch-Türkin mit deutscher Staatsbürgerschaft. Es<br />
ist die Hälfte der Bevölkerung in der Türkei, die Erdogan<br />
nicht als Präsidenten wollte. Es ist nun wichtiger denn je,<br />
für die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen<br />
Kolumnistin Özben<br />
Önal ist euer „Quoten-<br />
Almanci“ – ein bisschen<br />
deutsch, ein bisschen<br />
türkisch, mit ein bisschen<br />
Liebe zu Wien. In ihrer<br />
Kolumne berichtet sie<br />
über Schönes, Schwieriges<br />
und Alltägliches.<br />
zu kämpfen.<br />
Eine Verantwortung tragen meiner Meinung nach auch<br />
Deutschland und Österreich für die Wahlergebnisse der<br />
europäischen Wahlberechtigten. Die politischen Narrative<br />
über unintegrierte Massen von migrantischen Menschen,<br />
die schon längst nicht mehr nur Hetze von rechtspopulistischen<br />
Parteien wie der FPÖ oder AfD sind, treiben<br />
die Türk:innen direkt in die Arme eines Faschisten. Denn<br />
er weiß genau, wie er Menschen adressiert, die mit dem<br />
Gefühl der Zugehörigkeit in Deutschland und Österreich<br />
zu kämpfen haben. Er fängt sie auf, indem er die Heuchelei<br />
der europäischen Staaten und ihren Rassismus<br />
adressiert. Er bietet ihnen die Alternative, aus<br />
Trotz den Nationalstolz in ihrem vermeintlichen<br />
Heimatland zu stärken. Erinnern wir uns an<br />
Mesut Özil und seinen Austritt aus der deutschen<br />
Nationalmannschaft – er klagte über den<br />
deutschen Fußballverband und Fans, die ihn als<br />
Deutschen sahen, wenn er Tore schoss und als<br />
Türken, wenn die Mannschaft verlor. Erdogan<br />
instrumentalisierte die empörten Reaktionen der<br />
Deutschen auf das Foto, das von ihm, Mesut Özil und İlkay<br />
Gündoğan auftauchte, und die Entscheidung Özils, in die<br />
Türkei zu ziehen, für seine Zwecke. Er entfachte innerhalb<br />
der türkischen Community ein Gefühl von Zusammenhalt.<br />
Von der Geschichte der deutschen bzw. österreichischen<br />
Ausbeutung von sogenannten „Gastarbeiter:innen“, die<br />
mit 10.500 Mark zurück in ihre Heimatländer geschickt<br />
werden sollten, bis zum heutigen Tag, an dem Politiker<br />
wie Mahrer oder Waldhäusl behaupten, Wien sei durch<br />
die migrantische Bevölkerung nicht mehr Wien, zieht sich<br />
eine ewig lange Spur der Ausgrenzung und des Rassismus<br />
durch die Zeit. Also Deutschland und Österreich, Tenor<br />
ist ab jetzt: Wenn wir uns über hupende Autokorsos und<br />
Türkei-Flaggen aufregen, dann sollten wir gleichzeitig<br />
auch reflektieren, welche Verantwortung wir tragen, wenn<br />
Wahlberechtigte in Überzahl einen Autokraten in der<br />
Türkei wählen. ●<br />
© Zoe Opratko<br />
54 / MIT SCHARF /
dynamowien | Foto: iStock<br />
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