Zukunft Forschung 01/2023
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
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RELIGION<br />
RELIGION<br />
ZWISCHEN RELIGION<br />
UND POPKULTUR<br />
Exorzismus und Besessenheitsvorstellungen sind sowohl im römisch-katholischen Glauben<br />
als auch in der Populärkultur nach wie vor präsent. Die Religionswissenschaftlerin Nicole Bauer<br />
untersucht den Umgang mit Exorzismus in der römisch-katholischen Kirche.<br />
FAITH BRAND: Nicole Bauer hat den römisch-katholischen Exorzismus in Österreich untersucht.<br />
Satan und die Austreibung des Bösen<br />
spielen in der römisch-katholischen<br />
Kirche eine größere Rolle als gemeinhin<br />
bekannt ist. „Mein Schwerpunkt<br />
liegt in der Religionsökonomie, und vor<br />
diesem Hintergrund habe ich mich auch<br />
mit Exorzismuspraktiken in der Kirche<br />
beschäftigt. Betrachtet man die Entwicklung<br />
vom Exorzismus in der katholischen<br />
Kirche, findet man einige Analogien zu<br />
marktwirtschaftlichen Dynamiken“, erklärt<br />
die Religionswissenschaftlerin Nicole<br />
Bauer: „Zudem habe ich mir angesehen,<br />
ob es eine Überlappung zwischen<br />
religiöser Praxis und der Entwicklung im<br />
popkulturellen Feld gibt.“<br />
In der katholischen Kirche waren die<br />
Themen Besessenheit und Exorzismus<br />
immer präsent. Der katholische Exorzismus<br />
bezieht sich in seiner gegenwärtigen<br />
Umsetzung auf einen Ritualtext<br />
des frühen 17. Jahrhunderts. Das Rituale<br />
Romanum von 1614 stellt die Grundlage<br />
der weltweit durchgeführten kirchlichen<br />
Exorzismus-Praxis dar und ist auch kirchenrechtlich<br />
verankert.<br />
Popkulturelles Phänomen<br />
Mit dem Erfolg des Films Der Exorzist aus<br />
dem Jahr 1973 gelang dem Exorzismus<br />
der Sprung in die Populärkultur und verschaffte<br />
dem Thema eine Art Wiedererwachen.<br />
Zahlreiche weitere Filme, Serien<br />
und Bestseller folgten. Auch innerhalb<br />
der katholischen Kirche rückten Teufelsaustreibungen<br />
dadurch wieder etwas<br />
mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />
Innerhalb der Kirche etablierte sich der<br />
italienische Priester und Autor Gabriele<br />
Amorth mit zahlreichen auch international<br />
übersetzten Bestsellern und einer<br />
starken Medienpräsenz zum Gesicht des<br />
katholischen Exorzismus in Italien.<br />
Amorth sah es als seine göttliche<br />
Mission an, die Idee des Teufels, der<br />
dämonischen Besessenheit und damit<br />
die Notwendigkeit des Exorzismus in<br />
der gesamten katholischen Welt zu verbreiten.<br />
1999 wurde – angestoßen durch<br />
das Zweite Vatikanische Konzil – das<br />
Exorzismus-Ritual von 1614 überarbeitet;<br />
damit einher ging auch die Gründung<br />
einer internationalen Exorzisten-Vereinigung,<br />
die vom Vatikan kirchenrechtlich<br />
anerkannt wurde. Ende der 2000er-Jahre<br />
gab es zudem auch in Österreich eine<br />
Aufforderung an die österreichische Bi-<br />
schofskonferenz, in allen Diözesen einen<br />
Exorzisten zu bestellen.<br />
„Diese Aufforderung kam direkt von<br />
der Glaubenskongregation und man<br />
berief sich dabei auf das Kirchenrecht,<br />
in dem verankert ist, dass jede Diözese<br />
einen Exorzisten stellen muss“, erläutert<br />
Nicole Bauer. Die meisten österreichischen<br />
Diözesen sind dieser Aufforderung<br />
auch nachgekommen, auch wenn<br />
die Bezeichnungen für die Verantwortlichen<br />
unterschiedlich sind. Meist spricht<br />
man von Heilungs- und Befreiungsdienst<br />
oder spezieller Seelsorge. „Es gibt natürlich<br />
auch innerhalb der Kirche unterschiedliche<br />
Haltungen. Exorzismus zählt<br />
nicht zur Mainstream-Theologie, aber er<br />
existiert und war und ist Teil der römischkatholischen<br />
Ideologie“, so Nicole Bauer.<br />
„Auch wenn Exorzismen in der Realität<br />
nicht ganz so spektakulär ablaufen, wie in<br />
Filmen dargestellt, sie werden noch heute<br />
– auch in Österreich – durchgeführt.<br />
Lange Tradition<br />
Seit dem Wiederaufleben des Exorzismus<br />
in der Populärkultur entwickelte sich<br />
neben der römisch-katholischen Kirche<br />
auch ein großes Feld an „Dienstleistern“,<br />
die unabhängig vom religiösen Kontext<br />
Exorzismen, Besessenheitsheilungen und<br />
Reinigungen anbieten. „Dieses Feld umfasst<br />
Esoteriker:innen, Energetiker:innen<br />
und Geistheiler:innen, die katholische<br />
Narrative einbeziehen und sich selbst<br />
zum Teil als Exorzist:innen bezeichnen“,<br />
beschreibt Nicole Bauer.<br />
Die Religionswissenschaftlerin hat<br />
untersucht, wie sich katholischer Exorzismus<br />
auch in der Selbstdarstellung davon<br />
unterscheidet. „Marken entstehen immer<br />
durch Abgrenzung von anderen ähnlichen<br />
Anbietern. Ich habe also untersucht,<br />
wie sich der römisch-katholische Exorzismus<br />
von anderen Heilungsangeboten<br />
abgrenzt, was sozusagen sein Alleinstellungsmerkmal<br />
ist“, erklärt Bauer. Eine<br />
der wesentlichsten Storylines, welche die<br />
Religionswissenschaftlerin dabei identifiziert<br />
hat, ist die lange Tradition des katholischen<br />
Exorzismus. „Der katholische<br />
Exorzismus geht auf Jesus selbst zurück<br />
und katholische Exorzisten sehen sich<br />
als Nachfolger Jesu in einer direkten Traditionslinie.<br />
Verweise auf die Bibel und<br />
das Rituale Romanum vermitteln den Eindruck<br />
einer uralten Praxis mit bewährter<br />
Wirksamkeit“, sagt Bauer.<br />
KATHOLISCHE EXORZISTEN sehen sich als Nachfolger Jesu. Im Bild eine Dämonenaustreibung<br />
durch Jesus Christus auf einem Fastentuch im Gurker Dom aus dem Jahr 1458.<br />
NICOLE BAUER (*1980) studierte<br />
Soziologie mit dem Schwerpunkt<br />
Religionssoziologie an der Universität<br />
Graz und promovierte 2<strong>01</strong>5 am Institut<br />
für Religionswissenschaft der Universität<br />
Heidelberg, wo sie bis 2<strong>01</strong>6 als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin tätig war. 2<strong>01</strong>7<br />
wechselte sie als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin an die Universität Innsbruck,<br />
zuerst an das Institut für Praktische<br />
Theologie und 2022 an das Institut für<br />
Bibelwissenschaften und Historische<br />
Theologie.<br />
Gleichzeitig beruhen laut Nicole Bauer<br />
aber viele Aspekte der heutigen Exorzismus-Praxis<br />
auf modernen Ideen und Diskursen<br />
und haben keine biblische Grundlage.<br />
Hier spielt vor allem die sogenannte<br />
Medikalisierung eine große Rolle. „Was<br />
den Exorzismus der katholischen Kirche<br />
von anderen ähnlichen religiösen Heilpraktiken<br />
unterscheidet, ist die deutliche<br />
Einbeziehung psychiatrischer, medizinischer<br />
und psychologischer Fachkenntnisse“,<br />
so Bauer. Es werden bestimmte<br />
medizinische und psychologische Methoden<br />
aufgegriffen und eingebaut, wie<br />
schon die verwendeten Begrifflichkeiten<br />
wie „Diagnose“ und „Anamnese“ zeigen.<br />
2<strong>01</strong>8 wurde zudem ein Exorzismus-Kurs<br />
an der Vatikanischen Hochschule Regina<br />
Apostulorum etabliert.<br />
„Durch diesen Kurs und die Verwendung<br />
medizinischer und psychologischer<br />
Begrifflichkeiten kommt es auch zu einer<br />
Akademisierung des katholischen Exorzismus“,<br />
erläutert Nicole Bauer. Was den<br />
katholischen Exorzismus zudem deutlich<br />
von esoterischen Angeboten unterscheidet,<br />
ist die vorhandene Struktur. Es<br />
gibt klare kirchenrechtliche Rahmenbedingungen<br />
für die Durchführung eines<br />
Exorzismus. Neben der Einbindung von<br />
Mediziner:innen ist auch eine bischöfliche<br />
Genehmigung vorgesehen, bevor ein<br />
Exorzismus durchgeführt werden darf.<br />
„Genau diese Struktur ist natürlich wesentlich<br />
für das faith brand Römisch-Katholischer<br />
Exorzismus“, so Bauer.<br />
Die Religionswissenschaftlerin betont<br />
allerdings, dass auch in der katholischen<br />
Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen<br />
Konzil mehrheitlich Abschied vom Teufel<br />
genommen wurde und dieser eher als<br />
Metapher verstanden wird. „Es war nie<br />
mein Anliegen, Glaubenshaltungen zu<br />
bewerten, sondern sie als eine von vielen<br />
Wirklichkeitskonstruktionen darzustellen<br />
und zu zeigen, woran Menschen glauben.<br />
Der Glaube an Besessenheit und Exorzismus<br />
ist eben eine von vielen Optionen<br />
in einer religiösen Skala.“ sr<br />
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Fotos: Andreas Friedle (2), commons.wikimedia.org/Johann Jaritz (1)<br />
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