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Zukunft Forschung 01/2023

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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WIRTSCHAFT<br />

WIRTSCHAFT<br />

„Alle Handlungen der<br />

EZB sind darauf<br />

ausgerichtet,<br />

ein möglichst<br />

schwankungsfreies<br />

Preisniveau in Europa<br />

zu gewährleisten.“<br />

AM PULS DER<br />

GELDPOLITIK<br />

Maximilian Breitenlechner interessiert sich für das große Ganze<br />

der europäischen und globalen Wirtschaft. In der Makroökonomie<br />

verhaftet, beschäftigt sich der Wirtschaftswissenschaftler vor allem mit<br />

Konjunkturzyklen und zieht aus enormen Datensätzen Rückschlüsse daraus,<br />

wie unser Wirtschaftssystem funktioniert – oder auch nicht.<br />

ZUKUNFT: Bei einem Blick auf Ihre <strong>Forschung</strong>sinteressen<br />

stechen einige Begriffe ins Auge, die<br />

aktueller gerade nicht sein könnten: Preise,<br />

Zinsen, Inflation. Woran arbeiten Sie in diesem<br />

Bereich?<br />

MAXIMILIAN BREITENLECHNER: Wir interessieren<br />

uns in der Makroökonomie unter anderem<br />

für Konjunkturzyklen und stellen uns die Frage,<br />

was deren Entwicklung beeinflusst. Das ist<br />

natürlich ein sehr komplexes Feld, denn in die<br />

Konjunktur spielen viele ökonomische Größen<br />

hinein, wie etwa Produktion, Konsum, Preise<br />

oder Zinsen. Der Fokus meiner <strong>Forschung</strong><br />

liegt hier seit jeher in der Geldpolitik – und<br />

damit auch intensiv auf der Rolle von Zentralbanken.<br />

Ich möchte mit meinem empirischen<br />

Zugang klären und auch quantifizieren, welche<br />

Rolle Zentralbanken in der Stabilisierung<br />

von Konjunkturzyklen haben und wo und<br />

wie sich ihre Eingriffe in die Geldpolitik tatsächlich<br />

abbilden. Meine Perspektive ist dabei<br />

aber weniger auf Nationalstaaten gerichtet,<br />

sondern auf die großen Währungsräume wie<br />

die EU mit der Europäischen Zentralbank EZB<br />

oder auch die USA mit ihrem Zentralbank-<br />

System Federal Reserve.<br />

ZUKUNFT: Wie untersuchen Sie diese Fragestellungen?<br />

BREITENLECHNER: Da sind wir gleich bei einer<br />

der größten Herausforderung meiner For-<br />

schungsarbeit, nämlich der Zugang zu Daten<br />

bzw. deren Verfügbarkeit. Wir empirische Makroökonom:innen<br />

stehen immer wieder vor<br />

dem Problem, wenige Daten zu haben oder –<br />

wenn sie verfügbar sind – eher nur für kurze<br />

Zeitperioden. Wenn wir zum Beispiel in die<br />

USA blicken, so haben wir dort die Situation,<br />

dass wir riesige und frei zugängliche Datensätze<br />

haben. Ein Beispiel: In den USA kann<br />

man von jeder Bank die vierteljährlichen Bilanzdaten<br />

einsehen, und das zurück bis 1980.<br />

In meiner Dissertation habe ich diese Daten<br />

dazu verwendet, um zu zeigen, wie der Bankensektor<br />

Einfluss nimmt in die Transmission<br />

von geldpolitischen Entscheidungen auf die<br />

Wirtschaft. In Europa ist die Datenverfügbarkeit<br />

leider nicht so gut, die Lage hat sich in<br />

den letzten Jahren diesbezüglich aber verbessert,<br />

was zu immer mehr Projekten mit europäischem<br />

Schwerpunkt führt.<br />

ZUKUNFT: Und wenn Sie sich mit diesem europäischen<br />

Schwerpunkt auseinandersetzen,<br />

spielt die Europäische Nationalbank in diesem<br />

Sinne eine große Rolle.<br />

BREITENLECHNER: Ja, die EZB spielt da naturgemäß<br />

eine wesentliche Rolle, da ihre Aufgabe<br />

im Verfügen geldpolitischer Maßnahmen<br />

liegt, wie etwa der Regulierung der Zinssätze<br />

oder auch in der Überwachung des Bankensektors.<br />

Das wichtigste Mandat der Europäischen<br />

Zentralbank ist die Preisstabilität, alle<br />

Handlungen dieser Institution sind darauf<br />

ausgerichtet, ein möglichst schwankungsfreies<br />

Preisniveau in Europa zu gewährleisten.<br />

Die Entwicklungen auf nationalstaatlicher<br />

Ebene sind vom Leitzins, den die EZB vorgibt,<br />

abhängig und prägen somit die volkswirtschaftlichen<br />

Entwicklungen im Grunde<br />

auf allen Ebenen.<br />

ZUKUNFT: Da könnte man nun aber in Anbetracht<br />

allein der jüngsten Vergangenheit mit<br />

enorm gestiegenen Preisen für Waren sowie<br />

Dienstleistungen und hoher Inflation etwas<br />

zweifeln, ob das so gut funktioniert, oder?<br />

BREITENLECHNER: Werfen wir vielleicht kurz<br />

einen Blick auf die allgemeinen Zusammenhänge,<br />

warum Inflation entsteht. Preissteigerungen<br />

ergeben sich im Wesentlichen, wenn<br />

die Nachfrage nach Gütern steigt oder das<br />

Angebot sinkt. Nun hat sich durch die Kombination<br />

aus Folgen der Pandemie und dem<br />

Ausbruch des Angriffskrieges Russlands<br />

gegen die Ukraine eine besonders herausfordernde<br />

Situation für die globale Wirtschaft<br />

ergeben. Zum einen gab es nach Abflauen<br />

der Corona-Krise einen starken Drang nach<br />

Konsum, gleichzeitig wurde durch die Energieabhängigkeit<br />

von Russland und Problemen<br />

in globalen Lieferketten die Produktion viel<br />

teurer. Diese Kombination hat zu einem starken<br />

Anstieg des Preisniveaus, also zu hoher<br />

Inflation geführt und diese Entwicklung entspannt<br />

sich erst langsam. Nun ist die Frage:<br />

Was kann dagegen getan werden? Und da<br />

kommt der EZB eine zentrale Rolle zu, da sie<br />

über Zinsen Einfluss auf diese Entwicklung<br />

nehmen kann. Erhöht die EZB den Leitzins,<br />

werden Kredite teurer und Investitionen gehen<br />

zurück. Das drückt schlussendlich die<br />

Nachfrage und reduziert den Preisdruck und<br />

die Inflation. Allerdings bedeutet eine geringere<br />

Nachfrage auch einen Rückgang der<br />

Wirtschaftsleistung. Die Ausgestaltung der<br />

Geldpolitik ist also heikel und die Faktoren,<br />

die etwa die EZB zu gewissen Handlungen<br />

veranlassen, sind sehr komplex. Diese empirisch<br />

zu erfassen ist eine große Herausforderung.<br />

ZUKUNFT: Welchen Aspekt aus diesem komplexen<br />

Feld, in das Sie uns nun einen Einblick<br />

gewährt haben, bearbeiten Sie im Moment?<br />

BREITENLECHNER: Wie ich eingangs bereits erwähnt<br />

habe, hat sich die Datenlage auch im<br />

europäischen Umfeld glücklicherweise verbessert.<br />

Daher können wir nun empirisch<br />

untersuchen, wie sich die Politik der EZB über<br />

die Zeit auf Produktion und Preise im Euro-<br />

Raum auswirkt – und zwar erstmals mittels<br />

entsprechender Datenreihen in historischer<br />

Perspektive. Die Europäische Zentralbank ist<br />

mit ihrer Gründung 1998 eine verhältnismäßig<br />

junge Institution, die sich sozusagen erst<br />

den „Respekt“ im Sinne einer finanzpolitischen<br />

Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit<br />

erarbeiten musste. Das heißt: Die Wirksamkeit<br />

ihrer geldpolitischen Entscheidungen wie etwa<br />

die Gestaltung des Leitzinses hat sich über<br />

die Zeit verändert und über die Jahre – wie<br />

wir aus ersten Ergebnissen sehen können –<br />

verstärkt. Es besteht in der empirischen Makroökonomie<br />

noch enorm viel <strong>Forschung</strong>sbedarf<br />

und ich bin zuversichtlich, dass unsere<br />

Ergebnisse in <strong>Zukunft</strong> dazu beitragen können,<br />

die Dynamiken unseres Wirtschaftssystems<br />

besser zu verstehen. Denn daraus lässt<br />

sich dann möglicherweise auch ableiten, wie<br />

die jeweiligen Zentralbanken weltweit aufeinander<br />

einwirken und welche Effekte deren<br />

geldpolitische Maßnahmen in globaler Perspektive<br />

haben. Eine stärkere internationale<br />

Koordination könnte dazu beitragen, die Bedürfnisse<br />

kleinerer Volkswirtschaften in sogenannten<br />

Entwicklungsländern stärker zu<br />

berücksichtigen und damit der globalen Dimension<br />

von Preisentwicklungen gerecht zu<br />

werden. <br />

mb<br />

MAXIMILIAN<br />

BREITENLECHNER, PhD,<br />

forscht als Assistenzprofessor<br />

am Institut für Wirtschaftstheorie,<br />

-politik und -geschichte<br />

und im Rahmen des<br />

<strong>Forschung</strong>sschwerpunktes<br />

Economics, Politics and Society<br />

(EPoS) an der Universität<br />

Inns bruck. Seine <strong>Forschung</strong>sinteressen<br />

liegen in den Bereichen<br />

Monetäre Ökonomie,<br />

Angewandte Makroökonometrie<br />

und Internationale Makroökonomie.<br />

Breitenlechner<br />

studierte an der Uni Inns bruck<br />

und am University College<br />

Cork Wirtschaftswissenschaften<br />

und schloss 2<strong>01</strong>7 sein<br />

PhD-Studium ab. Der Ökonom<br />

ist international vernetzt,<br />

Research Affiliate an der City<br />

University Hong Kong und war<br />

beratend für die Europäische<br />

Zentralbank EZB tätig.<br />

34 zukunft forschung <strong>01</strong>/23<br />

Fotos: Andeas Friedle<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/23 35

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