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Zukunft Forschung 01/2023

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ÖKOLOGIE<br />

ÖKOLOGIE<br />

HORTE DER<br />

BIODIVERSITÄT<br />

Der Gletscherrückgang beraubt hochalpine Tierarten ihres Lebensraums, wie eine<br />

internationale Studie zeigt. Der mitwirkende Ökologe Leopold Füreder plädiert<br />

daher für die Ausweitung von Schutzzonen auf die Gletschervorfelder.<br />

„Den Kaltwasser-Arten bleibt<br />

nur eine Flucht in noch größere<br />

Höhen, so lange das überhaupt<br />

noch möglich ist.“ Leopold Füreder<br />

Schmelzende Gletscher haben massive<br />

Folgen für die Biodiversität<br />

im Alpenraum: Das demonstrierte<br />

ein internationales Forscher:innen-Team<br />

kürzlich in einer im Fachmagazin Nature<br />

Ecology&Evolution veröffentlichten<br />

Untersuchung. Am Beispiel der 15 wichtigsten<br />

alpinen wirbellosen Arten wie<br />

etwa Eintags-, Stein- oder Köcherfliegen<br />

sowie Würmern wie dem Alpenstrudelwurm<br />

wurden erstmals die Auswirkungen<br />

der Klimakrise auf die Biodiversität<br />

im gesamten europäischen Alpenraum<br />

für einen Zeitraum von 2020 bis 2100<br />

modelliert. Dazu wurden Gletscher-,<br />

Landschafts- und Biodiversitätskartierungsdaten<br />

aus den Alpen kombiniert.<br />

Leopold Füreder, Leiter der River and<br />

Conservation Research Group am Institut<br />

für Ökologie, steuerte Analysen der<br />

Entwicklung dieser Kaltwasser-Arten<br />

1 2<br />

3 4<br />

vor allem aus der Gletscherregion Rotmoostal<br />

im Hinteren Ötztal Tirols für die<br />

Modellierungen bei. Die dortigen Flussläufe<br />

untersucht der Forscher bereits seit<br />

20 Jahren genau.<br />

EINBLICK IN DIE HOCHALPINE TIERWELT: 1 Crenobia alpina: Der Alpenstrudelwurm<br />

ist typisch für Bäche ohne Gletschereinfluss. 2 Rhithrogena: Die Eintagsfliegenlarve lebt<br />

typischerweise in gletscherbeeinflussten Bächen. 3 Diamesa: Die Zuckmückenlarve ist<br />

typisch für stark vergletscherte Bäche. 4 Drusus discolor: Die Köcherfliegenlarve kommt<br />

typischerweise in Hochgebirgsbächen vor.<br />

LEOPOLD FÜREDER (*1958) studierte<br />

Zoologie mit Schwerpunkt Limnologie<br />

und Taxonomie an der Universität Innsbruck.<br />

Sein Doktorat erwarb er an den<br />

Universitäten Inns bruck und Philadelphia.<br />

2003 habilitierte er sich in den Fächern<br />

Limnologie und Zoologie. Er ist Leiter der<br />

Arbeitsgruppe River and Conservation<br />

Research am Institut für Ökologie an der<br />

Universität Inns bruck. Seit 2002 ist er<br />

Vorsitzender des Naturschutzbeirats der<br />

Tiroler Landesregierung, seit 2<strong>01</strong>5 von<br />

ISCAR (International Scientific Commission<br />

of the Alpine Region).<br />

Angepasste Kälte-Spezialisten<br />

„Die Larven von Fliegen und Würmern,<br />

wie sie in Quell- und Gletscherbächen<br />

im hochalpinen Raum vorkommen, sind<br />

hoch spezialisiert für ihren kalten Lebensraum<br />

und spielen in der Nahrungskette<br />

eine wichtige Rolle“, verdeutlicht<br />

Leopold Füreder. „Durch die Zunahme<br />

der Temperaturen schmelzen einerseits<br />

die Gletscher, andererseits erwärmt sich<br />

auch das Wasser der Bäche. Daher verschiebt<br />

sich ihr Refugium in immer höher<br />

gelegene Bereiche oder verschwindet im<br />

schlimmsten Fall komplett – mit Folgen<br />

für das gesamte alpine Ökosystem. Den<br />

Kaltwasser-Arten bleibt nur eine Flucht<br />

in noch größere Höhen, so lange das<br />

überhaupt noch möglich ist“, erklärt der<br />

Ökologe.<br />

Kurzfristig werden Gletscherflüsse<br />

aufgrund der Schmelze mehr Wasser<br />

führen, in langfristiger Perspektive allerdings<br />

wird sich die Wassermenge verringern<br />

und die Wassertemperatur noch<br />

weiter erhöhen. Darin sieht der Ökologe<br />

die Gefahr einer Kettenreaktion: „Wir<br />

haben dann fehlende Nahrung in Form<br />

von Insektenlarven zum Beispiel für Fische<br />

wie die Bachforelle, aber auch für<br />

terrestrische Tiere wie Vögel, die sich von<br />

den ausgewachsenen Wasserinsekten ernähren,<br />

bedeutet dies Einschnitte in der<br />

Nahrungsverfügbarkeit.“<br />

Schutzgebiete ausbauen<br />

Die wenigen Bereiche, die als Lebensraum<br />

für die auf Kälte spezialisierten Arten-Gemeinschaften<br />

noch bleiben, sollten<br />

daher besonders geschützt werden, wie<br />

die Autor:innen betonen. Nur etwa zwölf<br />

Prozent der bis zum Jahr 2100 laut der<br />

Modellierungen noch bestehenden Refugien<br />

befinden sich in heutigen Naturschutzgebieten.<br />

„Da sich die Lage durch<br />

die steigenden Temperaturen immer weiter<br />

verschärfen wird, müssen wir davon<br />

ausgehen, dass sich auch der Druck auf<br />

die noch verbleibenden Gletschergebiete<br />

erhöhen wird. Die Suche nach schneesicheren<br />

Skigebieten ist dabei genauso ein<br />

Thema wie der Ausbau der Wasserkraft“,<br />

so Leopold Füreder. „Gletscherschutz –<br />

und damit Schutz der Biodiversität – bedeutet<br />

daher auch, die Gletscher samt<br />

ihren Vorfeldern vermehrt zu Naturschutzgebieten<br />

zu erklären.“ mb<br />

32 zukunft forschung <strong>01</strong>/23<br />

Fotos: Leopold Füreder<br />

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