Zukunft Forschung 01/2023
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
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MEDIZIN<br />
MEDIZIN<br />
ABWEHRTRAINING<br />
GEGEN KREBS<br />
Die Bioinformatikerin Francesca Finotello forscht intensiv an der Behandlung von Krebs.<br />
Sie analysiert DNA-Sequenzierungsdaten und schafft die Voraussetzungen für erfolgreiche<br />
personalisierte Krebstherapie.<br />
DIE BIOINFORMATIKERIN Francesca Finotello arbeitet mit DNA-Sequenzierungsdaten.<br />
Den Nobelpreis für Medizin erhielten<br />
im Jahr 2<strong>01</strong>8 die beiden<br />
Immunologen James P. Allison<br />
(USA) und Tasuku Honjo (Japan) – „für<br />
ihre Entdeckung der Krebstherapie durch<br />
Hemmung der negativen Immunregulation“,<br />
wie es in der offiziellen Begründung<br />
des Nobelpreiskomitees lautet.<br />
Vereinfacht ausgedrückt entwickelten<br />
die beiden eine Methode, mit der man<br />
die „Bremse“ des Immunsystems lösen<br />
kann, damit es Krebszellen effizient angreifen<br />
und den Krebs im Idealfall besiegen<br />
kann.<br />
Allison und Honjo lösten mit ihrer<br />
Entdeckung eine Revolution in der Behandlung<br />
von Krebs aus: „Die Krebsimmuntherapie<br />
hat zu einem Paradigmenwechsel<br />
in der Onkologie geführt: von<br />
der direkten Bekämpfung von Krebszellen<br />
zur Unterstützung unserer Immunzellen<br />
im Kampf gegen den Krebs“,<br />
erklärt Francesca Finotello vom Institut<br />
für Molekularbiologie und dem Digital<br />
Science Center (DiSC). Sie forscht daran,<br />
die derzeitigen Grenzen von Krebsimmuntherapie<br />
und personalisierter<br />
Medizin zu überwinden, damit diese Behandlungsansätze<br />
in naher <strong>Zukunft</strong> noch<br />
mehr Krebspatient:innen zugutekommen<br />
können: „Unser Immunsystem erkennt<br />
fremde oder infizierte Zellen, und es erkennt<br />
im Normalfall auch Tumorzellen.<br />
Nun machen sich Krebszellen allerdings<br />
Mechanismen zunutze, die das Immunsystem<br />
behindern.“<br />
Sogenannte Immun-Checkpoints,<br />
Rezeptoren auf T-Zellen des Immunsystems,<br />
regeln die Immunreaktion und<br />
schützen zum Beispiel körpereigene<br />
Zellen vor Attacken durch die Körperabwehr.<br />
„Tumorzellen können diese<br />
Rezeptoren jedoch nutzen, um ein ‚Aus‘-<br />
Signal an T-Zellen zu senden und so zu<br />
verhindern, dass das Immunsystem sie<br />
angreift.“ Die Pionierarbeit von Allison<br />
und Honjo führte zur Entwicklung neuer<br />
Krebsimmuntherapien, die als Immun-<br />
Checkpoint-Blocker bezeichnet werden:<br />
Antikörper, die diese Immun-Checkpoints<br />
blockieren und die „Bremsen“ der<br />
T-Zellen freigeben. Dadurch wird eine<br />
dauerhafte Immunantwort ausgelöst:<br />
Das Immunsystem greift den Tumor an.<br />
„Das Ziel von Immuntherapie ist<br />
immer das gleiche: Wir wollen<br />
möglichst viele Immunzellen im<br />
Körper einer erkrankten Person,<br />
die den Tumor attackieren.“ <br />
<br />
Francesca Finotelloi<br />
Immuntherapie gegen Krebs<br />
Diese Immun-Checkpoint-Therapie ist<br />
bei unterschiedlichen Krebsarten – unter<br />
anderem bei Melanomen, aber auch bei<br />
Brust-, Leber- und Nierenkrebs – bereits<br />
in Form mehrerer zugelassener Medikamente<br />
im Einsatz, vorrangig bei fortgeschrittenem<br />
Krebs. „Diese Therapien retten<br />
Leben, es gibt phänomenale Resultate<br />
und eine lang anhaltende Immunantwort<br />
für Menschen mit Metastasen. Das ist<br />
allerdings leider nicht die Mehrheit der<br />
Patientinnen und Patienten, und die Mechanismen,<br />
durch die bösartige Zellen<br />
immer noch in der Lage sind, sich dem<br />
Immunsystem zu entziehen, sind nicht<br />
vollständig geklärt“, sagt Francesca Finotello.<br />
Hier kommt die Expertise der Bioinformatikerin<br />
ins Spiel: Krebszellen<br />
bilden Antigene aus, die sie den Immunzellen<br />
präsentieren, und da Krebszellen<br />
mutieren, sind auch diese sogenannten<br />
Antigene mutiert, das heißt, „neu“ für<br />
das Immunsystem – daher werden sie<br />
als „Neoantigene“ bezeichnet. „Die Neoantigene<br />
sind krebsspezifisch und in den<br />
allermeisten Fällen auch patientenspezifisch:<br />
Sie unterscheiden sich von Person<br />
zu Person“, erklärt die Bioinformatikerin.<br />
Mit ihrer <strong>Forschung</strong>sgruppe entwickelt<br />
Finotello computergestützte Instrumente<br />
zur Analyse von Genomdaten von Krebspatient:innen,<br />
konkret deren Tumorzellen,<br />
und sagt voraus, welche Neoantigene<br />
diese Krebszellen bilden und dem<br />
Immunsystem präsentieren. Mit diesen<br />
Daten lassen sich Vorhersagen treffen,<br />
welche Krebsarten welche Neoantigene<br />
bei der untersuchten Person bilden. Die<br />
Vorhersage von Krebsneoantigenen ist<br />
nicht nur wichtig, um den Verlauf der<br />
Krebsimmuntherapie zu überwachen,<br />
sondern vor allem, um personalisierte<br />
Immuntherapien zu entwickeln. Diese<br />
Therapien werden derzeit in verschiedenen<br />
klinischen Studien weltweit getestet.<br />
„Sobald zum Beispiel eine Liste von Neoantigen-Kandidaten<br />
aus der Analyse von<br />
Sequenzierungsdaten des Tumors eines<br />
Patienten identifiziert ist, kann ein personalisierter<br />
Impfstoff entwickelt werden,<br />
der die Immunzellen des Patienten gezielt<br />
anweist, die schädlichen Zellen zu<br />
erkennen und zu bekämpfen“, sagt Francesca<br />
Finotello.<br />
Eine zweite Behandlungsmethode neben<br />
der Impfung besteht darin, vorhandene<br />
Immunzellen eines Krebspatienten<br />
zu isolieren – zum Beispiel durch eine<br />
Blutentnahme – und dann die computergestützt<br />
erhobenen Ziele zu verwenden,<br />
um die T-Zellen zu identifizieren, die<br />
in der Lage sind, Tumorzellen mit diesen<br />
Neoantigenen zu erkennen. Danach<br />
können diese vermehrt werden, um daraus<br />
schließlich eine große „Armee“ von<br />
Tumor-reaktiven T-Zellen zu erhalten.<br />
Diese „richtigen“ Immunzellen können<br />
dann wieder injiziert werden und bekämpfen<br />
den Tumor. „Wenn der Krebs<br />
fortschreitet, sind die T-Zellen möglicherweise<br />
nicht in der Lage, den Tumor<br />
in ausreichender Zahl zu infiltrieren oder<br />
bösartige Zellen effizient zu erkennen<br />
und anzugreifen. Deshalb kann es einerseits<br />
helfen, das Immunsystem durch<br />
eine Impfung zu ‚trainieren‘, andererseits<br />
auch, diese vorhandenen Zellen anderweitig<br />
zu vermehren. Das Ziel von Immuntherapie<br />
ist immer das gleiche: Wir<br />
wollen möglichst viele Immunzellen im<br />
Körper einer erkrankten Person, die den<br />
Tumor attackieren.“<br />
Computergestützt<br />
Grundlage dieser Arbeit sind Open-<br />
Source-Analysetools, die Francesca Finotello<br />
und ihre Arbeitsgruppe entwickelt<br />
haben und auch stetig weiterentwickeln.<br />
Die Tools nextNEOpi und Scirpy analysieren<br />
die personalisierten RNA- und DNA-<br />
Sequenzierungsdaten und sagen sowohl<br />
die Tumor-Neoantigene als auch die T-<br />
Zell-Rezeptoren voraus, die diese Antigene<br />
erkennen. Andere digitale Werkzeuge,<br />
mit denen die Forscherin arbeitet, erlauben<br />
es zum Beispiel auch, auf Basis von<br />
RNA-Sequenzdaten vorherzusagen, wie<br />
Krebs-Patient:innen auf eine Immuntherapie<br />
reagieren (EASIER). Dieselben Daten<br />
lassen sich sogar nutzen, um die Zusammensetzung<br />
und räumliche Verteilung<br />
von bestimmten Immunzellen innerhalb<br />
eines Tumors zu bestimmen (quanTIseq<br />
und spacedeconv) – wichtige Information,<br />
wenn es darum geht, einen Tumor<br />
erfolgreich anzugreifen. Derzeit steht eine<br />
besonders aggressive Krebsart im Fokus<br />
der Forscherin: „Wir arbeiten derzeit daran,<br />
Glioblastome, eine aggressive Form<br />
von Hirnkrebs, besser zu verstehen. Immuntherapien<br />
funktionieren bei Glioblastomen<br />
derzeit nämlich leider noch nicht<br />
sehr zuverlässig. Aber wir arbeiten daran,<br />
zu verstehen, wie wir die körpereigene<br />
Abwehr besser für den Kampf gegen diese<br />
Tumore ausstatten können, konkret<br />
gerade in einem gemeinsamen Projekt mit<br />
Kolleg:innen in Mailand.“ sh<br />
FRANCESCA FINOTELLO (*1985 in<br />
Venedig) promovierte 2<strong>01</strong>4 an der Universität<br />
Padua in Bioingenieurwissenschaften.<br />
Sie ist Assistenzprofessorin am Institut für<br />
Molekularbiologie und am Digital Science<br />
Center (DiSC) der Universität Inns bruck,<br />
wo sie die Gruppe Computational Biomedicine<br />
leitet. Sie verfügt über langjährige<br />
Erfahrung in der bioinformatischen<br />
Analyse von Multiomics-Daten und in der<br />
Entwicklung von Berechnungsmethoden<br />
für Präzisions- und personalisierte Medizin.<br />
Ihre Gruppe konzentriert sich insbesondere<br />
auf die Krebsimmunologie und integriert<br />
Bioinformatik, Systembiologie und<br />
Techniken des maschinellen Lernens, um<br />
die Regeln für die Interaktion zwischen Tumor-<br />
und Immunzellen aufzuklären. Durch<br />
die Charakterisierung der Landschaft der<br />
Krebsneoantigene, der Zusammensetzung<br />
des Tumorimmunkontextes und des komplizierten<br />
Zusammenspiels, das die Zell-<br />
Zell-Interaktionen in der Mikroumgebung<br />
des Tumors steuert, will sie mechanistische<br />
Grundlagen zur Verbesserung der Krebsimmuntherapie<br />
gewinnen.<br />
30 zukunft forschung <strong>01</strong>/23<br />
Foto: Andreas Friedle<br />
zukunft forschung <strong>01</strong>/23 31