Zukunft Forschung 01/2023
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
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GESCHICHTE<br />
GESCHICHTE<br />
Am Nachmittag des 10. Juli 1999<br />
donnerten tausende Tonnen Fels<br />
vom Eiblschrofen ins Tal, weitere<br />
Felsstürze folgten und bedrohten die Bevölkerung<br />
des Schwazer Ortsteils Ried.<br />
Rund 150. 000 Kubikmeter Gestein riefen<br />
in diesen Tagen in Erinnerung, was<br />
vielen Menschen in Österreich, in Tirol,<br />
selbst in Schwaz nicht bewusst war – der<br />
Eiblschrofen ist löchrig wie Schweizer<br />
Käse. Schon in der Bronzezeit wurden am<br />
Eiblschrofen Fahlerze abgebaut, dunkle<br />
Stolleneingänge in der Wand, sogenannte<br />
Heidenzechen, sind heute noch Zeugen<br />
des urgeschichtlichen, feuergesetzten<br />
Abbaus. Die große Blütezeit des Bergbaus<br />
erlebte Schwaz aber erst im 15. und<br />
16. Jahrhundert, zahlreiche Abbaureviere<br />
wie Ringenwechsel, Falkenstein oder Alte<br />
Zeche machten Schwaz zur aller perckhwerck<br />
muater, die nach ganz Europa – und<br />
sogar darüber hinaus – ausstrahlte.<br />
„Ein Grund war, dass das Schwazer<br />
Fahlerz mit einem Prozent Silbergehalt<br />
das silberreichste Europas war. Ein anderer<br />
Grund war das ideale Umfeld: Das<br />
für die Trennung von Kupfer und Silber<br />
notwendige Blei konnte auch in Tirol – in<br />
Gossensaß, am Schneeberg und im Bergrevier<br />
Imst – abgebaut werden; die heimischen<br />
Wälder lieferten das in enormen<br />
Mengen benötigte Holz; mit dem Inn gab<br />
es den idealen Transportweg; und dank<br />
der Salzgewinnung in Hall war notwendige<br />
Infrastruktur und viel Know-how<br />
vorhanden“, zählt der Historiker Georg<br />
Neuhauser Gründe auf, die Tirol vom<br />
Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit<br />
zu einem der führenden Montanzentren<br />
Europas machten. Doch Neuhauser<br />
betont: „Auch in der Ur- und Frühgeschichte<br />
gab es eine Boomphase, der Tiroler<br />
Raum war damals eines der großen<br />
Zentren der Kupfergewinnung.“ Unter<br />
anderem im Unterinntal und im Raum<br />
Kitzbühel sind davon Spuren zu finden:<br />
urgeschichtliche Siedlungen, feuergesetz-<br />
SEGEN UND FLUCH<br />
In der Ur- und Frühgeschichte, vor allem aber im Spätmittelalter war Tirol eines der<br />
wichtigsten Bergbauzentren Europas. Der Abbau und die Gewinnung von Kupfer, Silber und Salz<br />
bedeuteten Arbeit für Tausende Menschen, sie belasteten aber auch die Natur.<br />
DER RINGENWECHSEL zählte zu den ertragreichsten Schwazer Bergbaurevieren, die zahlreichen<br />
Stollenmundlöcher zeigen, wie der Berg ausgehöhlt wurde.<br />
te Gruben, prähistorische Erzwaschanlagen,<br />
Verhüttungsplätze…<br />
„Diese haidnisch Zechl werden im Mittelalter<br />
wieder interessant“, sagt Neuhauser,<br />
der mit drei weiteren Historikern<br />
ein Überblickswerk zur Montangeschichte<br />
Tirols* verfasst hat: „Prospektoren<br />
suchten bei alten Gruben, da sie wussten,<br />
dass Silber nicht weit ist, wo man früher<br />
Kupfer gefunden hatte“, berichtet Neuhauser.<br />
Doch auch andere Beobachtungen<br />
der Natur – Pflanzen, die sulfidische<br />
Böden bevorzugen, grüne (Malachit) und<br />
blaue (Azurit) Spuren im Gestein… – halfen,<br />
potenzielle Abbaustellen zu identifizieren,<br />
sogar Wünschelruten und Berggeister<br />
kamen zum Einsatz. So berichten<br />
Quellen von einem 75-jährigen Tiroler,<br />
der behauptete, einen Berggeist zu besitzen,<br />
der ihm bei der Erzsuche helfe.<br />
Im Auftrag des Landesfürsten Erzherzog<br />
Maximilian III. wurde er losgeschickt<br />
und fand tatsächlich guete goldt und silber<br />
perckhwerch.<br />
Die gefundenen Bodenschätze wie Silber,<br />
Kupfer, Gold, Blei oder Zink sowie<br />
die Salzgewinnung in Hall machten Tirol,<br />
vor allem aber die in- und ausländischen<br />
Gewerke familien wie die Stöckl, Fugger<br />
oder Hoechstetter sowie die weltlichen<br />
und geistlichen Herrscher reich. Von<br />
1470 bis 1529 wurden in Schwaz 1. 000<br />
Tonnen Silber und 72. 000 Tonnen Kupfer<br />
verhüttet, in der Saline Hall wurden zu<br />
Spitzenzeiten 43 Tonnen Salz gewonnen<br />
– am Tag. Zahlreiche historische Bauten<br />
in Tirol bezeugen diesen Reichtum, auch<br />
die Universität Inns bruck fußt auf ihm:<br />
Mit einer von Leopold I. genehmigten<br />
Steuer von zwölf Kreuzern auf jedes in<br />
Tirol verkaufte Fuder Haller Salz – rund<br />
16 Kilo – wurden 1669 Gründung und<br />
Aufbau der Universität finanziert.<br />
Gefragtes Know-how<br />
Die Kunde von reichen Erzfunden in<br />
Schwaz, das sogenannte Berggeschrey,<br />
verbreitete sich ab 1420 in Europa, die<br />
Schwazer Bergchronik berichtet, dass<br />
vyll frembds perckh Volch aus teutschn<br />
* Georg Neuhauser • Tobias<br />
Pamer • Andreas Maier • Armin<br />
Torggler: Bergbau in Tirol.<br />
Von der Urgeschichte bis in die<br />
Gegenwart – Die Bergreviere in<br />
Nord- und Osttirol, Südtirol sowie<br />
im Trentino. Tyrolia Verlag, 2022<br />
„Schon in der Ur- und Frühgeschichte<br />
war Tirol eines<br />
der großen Zentren der<br />
Kupferverhüttung.“ Georg Neuhauser<br />
1<br />
2<br />
AM SCHNEEBERG in Südtirol liegt eines<br />
der ehemals höchstgelegenen Bergwerke<br />
Europas (2. 000 bis 2. 500 Meter), es<br />
wurde vom Mittelalter bis 1985<br />
betrieben. 1 St. Martin war bis in die<br />
1960er-Jahre die höchste, ganzjährig<br />
bewohnte Dauersiedlung Europas, heute<br />
befindet sich dort eine Schutzhütte und<br />
ein Museum. 2 Das Schwazer Bergbuch<br />
aus dem Jahr 1556 zeigt eine aus Holz<br />
errichtete Fleischbank: Zur Versorgung<br />
der Knappen wurden Ochsen aus Polen<br />
und Ungarn auf rund 2. 354 Meter getrieben,<br />
dort gehalten, vor Ort in der<br />
Metzgerei geschlachtet und verarbeitet.<br />
lantn nach Tirol einwanderte. „Es kamen<br />
Knappen aus Sachsen, Goslar und Kuttenberg,<br />
dem heutigen Kutná Hora, und<br />
brachten ihr Bergbauwissen mit“, sagt<br />
Neuhauser. Doch es dauerte nicht lange<br />
und die Schwazer Expertise war auch<br />
andernorts gefragt. So wechselten etwa<br />
ab 1540 Knappen nach der Entdeckung<br />
der Kupferadern in Kitzbühel ins Bergwerk<br />
am Rerobichl. Und auch das Ausland<br />
rief. Als die Gewerkefamilie Hoechstetter<br />
Bergwerke in England übernahm,<br />
holte sie sich Fachkräfte aus Schwaz. Bis<br />
ins 18. Jahrhundert kann Neuhauser Migrationsbewegungen<br />
Tiroler Bergleute<br />
nachweisen, ihr Know-how, die Hoffnung<br />
auf bessere Arbeits- und Lebensbedingungen,<br />
aber auch staatlich geförderte<br />
Migration führten sie nach Skandinavien<br />
und Russland, in den Banat und nach<br />
Siebenbürgen, nach Italien, Spanien und<br />
gar Venezuela.<br />
Die Leistungen der Knappen waren<br />
gewaltig, mit Eisen und Schlägel rückten<br />
sie dem Erz zu Leibe – allerdings im<br />
Schneckentempo. Im harten Schwazer<br />
Dolomit, schreiben Neuhauser und Kollegen,<br />
lag die Vortriebsleistung bei einem<br />
Stollenmaß von ca. 170 mal 50 Zentimeter<br />
bei zwei bis fünf Millimeter pro<br />
Arbeitsschicht, die acht Stunden dauerte.<br />
Dennoch gruben sich die Knappen tief<br />
in den Berg und weit unter die Talsohle.<br />
Der Schwazer Sigmund-Erbstollen endete<br />
1523 rund 240 Meter unter dem Inn, der<br />
Heiliggeist-Schacht in Kitzbühel im Jahr<br />
1614 gar 140 Meter unter dem Meeresspiegel.<br />
Mehr als 200 Jahre später zeigte<br />
sich davon noch Jules Verne beeindruckt:<br />
„Des Professors Berechnung stand richtig.<br />
Wir waren bereits um sechstausend<br />
Fuß tiefer gekommen, als bisher den<br />
Menschen gelungen war, zum Beispiel<br />
in den Gruben zu Kitz-Bühel in Tyrol<br />
und zu Kuttenberg in Böhmen“, heißt<br />
es in Reise zum Mittelpunkt der Erde. Um<br />
aus diesen Tiefen das Grundwasser nach<br />
oben zu schöpfen, reichte schlussendlich<br />
die menschliche Arbeitskraft nicht mehr<br />
aus. 1556 ging in Schwaz ein Pumpwerk<br />
in Betrieb, das der Kitzbüheler Werkmeister<br />
Anton Löscher konstruiert hatte – als<br />
Schwazer Wasserkunst sorgte es für Furore.<br />
Schwaz selbst entwickelte sich mit<br />
dem Bergbau zur Boomtown, ohne das<br />
Stadtrecht zu besitzen. „Da Schwaz eine<br />
enorme Wirtschaftskraft besaß, wollten<br />
die Landesfürsten der Siedlung nicht<br />
noch zusätzliche Privilegien zugestehen“,<br />
weiß Neuhauser. Ende des 16.<br />
Jahrhunderts waren 10. 000 Beschäftigte<br />
nachweisbar, in Schwaz und Umgebung<br />
lebten rund 30. 000 Menschen – nach<br />
Wien die zweitgrößte urbane Region im<br />
Gebiet des heutigen Österreichs.<br />
Die Versorgung der Menschen in einem<br />
Land, das sich aufgrund der klimatischen<br />
und geografischen Bedingungen nicht<br />
selbst versorgen kann, war eine logistische<br />
Meisterleistung – fast alles musste<br />
importiert werden. Pro Woche wurden<br />
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Fotos: Salinen Archiv Bad Ischl, Armin Terzer, TMLF / FB 4312<br />
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