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Zukunft Forschung 01/2023

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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STANDORT<br />

STANDORT<br />

PROAKTIV GESTALTEN<br />

Veronika Sexl, die neue Rektorin der Universität Inns bruck, und Gregor Weihs, Vizerektor für<br />

<strong>Forschung</strong>, über die Aufgaben einer modernen Universität, die Flexibilisierung des Bologna-Modells,<br />

die Herausforderung Infrastruktur und wissenschaftliche Nachwuchsarbeit.<br />

ZUKUNFT: Sie sind nun seit 1. März Rektorin<br />

der Universität Inns bruck. Wie war<br />

der Umstieg von einer Wissenschaftlerin<br />

zur Universitätsmanagerin?<br />

VERONIKA SEXL: Großartig. Ich habe nicht<br />

das Gefühl, dass ich etwas verloren habe.<br />

Ich habe dazugewonnen. Für mich war es<br />

der richtige Zeitpunkt, meine aktive Wissenschaftslaufbahn<br />

hintan zu stellen und<br />

meine wissenschaftlichen Projekte einem<br />

großartigen Nachwuchs zu übergeben.<br />

Zudem habe ich mit der Universität Innsbruck<br />

enorm an wissenschaftlicher Breite<br />

dazugewonnen. Ich durfte eine Volluniversität<br />

mit 16 Fakultäten übernehmen.<br />

Diese Breite finde ich unglaublich spannend<br />

und sie gehört zu den Höhepunkten<br />

in meinem Alltag als Rektorin. Und das<br />

Management macht mir enormen Spaß.<br />

Es gibt Gestaltungsmöglichkeiten, es erlaubt,<br />

junge Leute zu fördern und hat<br />

einen großen Handlungsspielraum.<br />

ZUKUNFT: Gibt es etwas, das Sie in den<br />

vergangenen Monaten an der Universität<br />

Inns bruck, aber auch der Stadt Inns bruck<br />

besonders überrascht hat?<br />

SEXL: Ja. Weniger hat mich die Universität<br />

selbst überrascht, da ich Universitäten –<br />

auch internationale – aus verschiedenen<br />

Blickwinkeln kenne. Überrascht hat mich,<br />

wie eng die Universität in die Stadt integriert<br />

ist und wie sie in der Stadt verwurzelt<br />

ist. Ebenso wie eng die Universität<br />

mit dem Land Tirol in Interaktion und im<br />

Austausch ist. Das hat mich positiv überrascht.<br />

Auch die offenen Arme, mit denen<br />

ich als Externe von Stadt, Land und Universität<br />

begrüßt wurde.<br />

ZUKUNFT: Wohin muss sich eine moderne<br />

Universität entwickeln?<br />

SEXL: Eine Universität hat drei Säulen,<br />

auf denen sie steht. Das eine ist die <strong>Forschung</strong>.<br />

Wir sind stark in der Grundlagenforschung.<br />

Hier gilt es, Neuland zu<br />

entdecken und neuen Boden zu betreten.<br />

Wissenschaft ist für mich eine Pyramide.<br />

Ganz unten steht die Grundlagenwissenschaft,<br />

darauf wurzelt die angewandte<br />

<strong>Forschung</strong>, ganz oben geht es in die Anwendung,<br />

in meinem Fall, der Krebsforschung,<br />

war es der Schritt zu den Patient:innen.<br />

Unsere zweite Säule ist die<br />

Lehre: Wir müssen junge Menschen möglichst<br />

umfassend und gut auf das Leben,<br />

und zwar auf das Leben im Allgemeinen,<br />

und ihren Beruf vorbereiten.<br />

ZUKUNFT: Die dritte Säule ist die sogenannte<br />

Third Mission.<br />

SEXL: Ja, unsere gesellschaftliche Verantwortung.<br />

Diese hört nicht damit auf, dass<br />

wir junge Menschen ausbilden, sondern<br />

dass wir unser Wissen in die Gesellschaft<br />

tragen und dass wir, wenn wir Probleme<br />

sehen, versuchen, proaktiv Lösungen zu<br />

entwickeln und anzubieten. Das sind die<br />

drei Bereiche, die eine Universität abzudecken<br />

hat. Und daran wird sich nicht<br />

viel ändern. Es ändern sich die Inhalte,<br />

aber nicht das Grundkonzept Universität.<br />

GREGOR WEIHS: Was die <strong>Forschung</strong> betrifft,<br />

haben Universitäten eine riesige Entwicklung<br />

gemacht – und machen immer<br />

noch eine. Moderne <strong>Forschung</strong> strebt nach<br />

Exzellenz, aber nicht nur in dem Sinne,<br />

wie gut man <strong>Forschung</strong> macht, sondern<br />

auch in dem Sinne, dass sie sich die Frage<br />

stellt, was spannende Probleme sind.<br />

VERONIKA SEXL (*1966) ist Krebsforscherin<br />

mit Schwerpunkt auf Leukämien.<br />

Nach dem Medizinstudium in Wien und<br />

<strong>Forschung</strong>saufenthalten in Seattle und<br />

Memphis (USA) wurde sie 2007 Professorin<br />

an der Medizinischen Universität<br />

Wien und 2<strong>01</strong>0 Institutsleiterin an der<br />

Veterinärmedizinischen Universität Wien.<br />

Seit 1. März <strong>2023</strong> ist sie die erste Rektorin<br />

der Universität Inns bruck. Für Ihre<br />

<strong>Forschung</strong>sarbeit wurde Sexl mehrfach<br />

ausgezeichnet, unter anderem mit einem<br />

ERC Advanced Grant, dem Novartis-Preis<br />

für Medizin und dem Alois-Sonnleitner-<br />

Preis der ÖAW.<br />

Interessante Fragen kommen aus der <strong>Forschung</strong><br />

selbst. Nur die Wissenschaft kann<br />

für sich selbst definieren, was interessant<br />

ist – natürlich im Austausch mit der Gesellschaft.<br />

Was danach relevant ist, haben<br />

Forscher:innen nicht selbst in der Hand.<br />

ZUKUNFT: Was sind – abseits der Finanzen<br />

– die größten Herausforderungen?<br />

SEXL: Die Infrastruktur. Die Universität<br />

ist in den letzten Jahren gewachsen<br />

und braucht Platz. Wir haben sehr viele<br />

Standorte, das ist der <strong>Forschung</strong> und Lehre<br />

nicht zuträglich. Es geht also darum,<br />

Platz zu schaffen und die Leute wieder<br />

zusammenzubringen, Begegnung und<br />

Austausch, Lehre und Wissenschaft im<br />

Diskurs zu ermöglichen. Die Infrastruktur<br />

in diesem Sinne zu optimieren, ist eine<br />

Riesenherausforderung.<br />

WEIHS: Wir haben ganz alte Gebäude und<br />

viele aus den 1970er-Jahren. Damals hat<br />

scheinbar niemand darüber nachgedacht,<br />

wo sich Studierende aufhalten, wenn sie<br />

nicht im Hörsaal sind, wo sich Mitarbeiter:innen<br />

treffen können. Heute wird<br />

anders gebaut, es gibt Begegnungszonen.<br />

Dorthin zu kommen, dass der Großteil<br />

der Studierenden und Mitarbeiter:innen<br />

eine Chance auf solche Räumlichkeiten<br />

und Zonen hat, ist eine Herausforderung.<br />

ZUKUNFT: Sie haben die Lehre erwähnt. Ist<br />

diese mehr als reine Wissensvermittlung?<br />

SEXL: Es geht nicht darum, Fakten zu lehren,<br />

sondern wie man Zusammenhänge<br />

verstehen lernt, Hinterfragen, Mustererkennung<br />

und den Umgang mit der<br />

heutigen Welt zu lehren. Unglaublich<br />

wichtig ist auch, in einem Studium Diskursfähigkeit<br />

und soziale Kompetenzen<br />

zu erwerben, sich selbst organisieren zu<br />

lernen und sich eine gewisse Flexibilität<br />

zu bewahren. Unsere Welt bewegt sich.<br />

Wir sind in einem permanenten Entwicklungsprozess,<br />

auf den die Studierenden<br />

vorbereitet werden sollen. Fakten kann<br />

ich nachschauen, die Zusammenhänge<br />

muss ich begreifen. Um das zu können,<br />

muss ich verstehen, wie ich die richtigen<br />

Fragen nach den Zusammenhängen stelle<br />

und wie ich die Muster, die vielen Dingen<br />

zugrunde liegen, erkenne.<br />

WEIHS: Wir sprechen ja von forschungsgeleiteter<br />

Lehre. Wenn junge Menschen mit<br />

ihrer Bachelor- oder Masterarbeit zur <strong>Forschung</strong><br />

kommen, müssen sie genau das<br />

machen. Die Studierenden haben ein Thema<br />

und eine Betreuung, müssen sich aber<br />

selbst reinknien, um Zusammenhänge<br />

und weitere Fragen zu finden. Bei vielen<br />

Studierenden sieht man hier einen Transformationsprozess.<br />

Dabei lernen sie genau<br />

das, wovon die Rektorin gesprochen hat.<br />

ZUKUNFT: Im Bereich der Lehre planen<br />

Sie, durch weitere Wahlpakete die Möglichkeiten<br />

eines stärker selbstgestalteten<br />

Studiums weiter auszubauen. Ist dies<br />

als ein „Back to the Future“, also als eine<br />

Das gesamte Interview finden Sie auf<br />

der Homepage der Uni Inns bruck unter:<br />

www.uibk.ac.at/forschung/magazin<br />

GREGOR WEIHS (*1971) studierte an<br />

der Universität Inns bruck Physik und dissertierte<br />

im Jahr 2000 an der Universität<br />

Wien. Weihs war an der Stanford University<br />

(USA) und ab 2005 an der University<br />

of Waterloo (Kanada), bevor er 2008 als<br />

Professor für Photonik nach Inns bruck<br />

berufen wurde. Von 2<strong>01</strong>6 bis 2020 war<br />

Weihs Vizepräsident des österreichischen<br />

Wissenschaftsfonds FWF. Seit <strong>2023</strong> leitet<br />

er den Exzellenzcluster Quantum Science<br />

Austria. Ausgezeichnet wurde er unter<br />

anderem mit einem ERC Starting Grant<br />

und der Wilhelm-Exner-Medaille der<br />

Österreichischen Gewerbevereins.<br />

„Reparatur“ des verschulten Bologna-<br />

Modells zu verstehen?<br />

SEXL: Ich würde es nicht als Reparieren<br />

bezeichnen. Es geht darum, das Bologna-<br />

System noch mehr zum Leben zu erwecken<br />

und noch mehr Vielfalt abzubilden,<br />

in das Bologna-System eine gewisse Elastizität<br />

und Flexibilität zu bringen. Bologna<br />

hat in vielen Bereichen – zum Beispiel<br />

Mobilität – die Flexibilität für Studierende<br />

erhöht. Das ist positiv und sehr schön. Innerhalb<br />

von Bologna kann man das Starre<br />

lösen, weitere Möglichkeiten einbauen.<br />

ZUKUNFT: Für eine Universität ist exzellente<br />

Nachwuchsarbeit unerlässlich, um<br />

erfolgreich und international sichtbar zu<br />

sein. Was planen Sie, um unter den Studierenden<br />

die talentiertesten zu finden?<br />

WEIHS: Im normalen Prüfungsszenario<br />

sieht man nicht die Fähigkeiten, die wir<br />

suchen, eventuell erkennt man jemanden<br />

schon in den Vorlesungen. Der beste Indikator<br />

sind die Abschlussarbeiten. Lässt<br />

man junge Menschen selbst an etwas forschen,<br />

kommen diese Fähigkeiten zutage.<br />

Auf das achten unsere Betreuer:innen<br />

und schlagen ein Doktoratsstudium vor.<br />

ZUKUNFT: Welche Rahmenbedingungen<br />

soll der wissenschaftliche Nachwuchs<br />

künftig vorfinden?<br />

WEIHS: In vielen, aber nicht allen Bereichen<br />

bieten wir Modelle einer strukturierten<br />

Doktoratsausbildung an. Das<br />

wollen wir für alle Bereiche fördern und<br />

Doktorand:innen die Möglichkeit bieten,<br />

bei einem Betreuer:innenteam neben der<br />

Dissertation Zusätzliches wie Scientific<br />

Writing, Präsentationstechniken, Antragschreiben<br />

etc. zu lernen. Das sind Qualifikationen,<br />

die sie für das wissenschaftliche<br />

Leben, aber auch in der Wirtschaft brauchen<br />

werden. Aber noch etwas zu den<br />

Doktorand:innen: Auch Nachwuchsforscher:innen<br />

von außen sind wichtig, die<br />

durchgängige interne Karriere kann nicht<br />

das alleinige Ziel sein. Es braucht eine Balance,<br />

ebenso gute Postdocs von außen.<br />

Das Rekrutieren ist aber nicht so leicht,<br />

der Wettbewerb ist hart. Manchmal haben<br />

wir aufgrund der tollen Natur und Umgebung<br />

einen Vorteil, manche gehen aber<br />

lieber in eine Großstadt. Beim Rekrutieren<br />

müssen wir uns anstrengen, nicht nur für<br />

Wissenschaftler:innen, auch für das allgemeine<br />

Personal. Es ist nicht leicht, Techniker:innen<br />

oder Mitarbeiter:innen für den<br />

Zentralen Informatikdienst zu finden.<br />

ZUKUNFT: Sie haben ein eigenes Vizerektorat<br />

für Digitalisierung und Nachhaltigkeit<br />

eingerichtet. Warum der Fokus auf<br />

diese zwei Bereiche?<br />

SEXL: Weil es die zwei Bereiche sind, mit<br />

denen unsere Studierenden und wir alle<br />

als Gesellschaft in <strong>Zukunft</strong> wirklich intensiv<br />

umgehen müssen. Die zwei Bereiche<br />

und der große Handlungsbedarf, der<br />

sich aus ihnen ergibt, sind evident. Wir<br />

wollen daher proaktiv gestalten und <strong>Forschung</strong><br />

und Lehre sowie das Hinaustragen<br />

unseres Wissens in die Gesellschaft<br />

forcieren. <br />

ah<br />

24 zukunft forschung <strong>01</strong>/23<br />

Fotos: Andreas Friedle<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/23 25

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