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Zukunft Forschung 01/2023

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TITELTHEMA<br />

TITELTHEMA<br />

CHEMISCHE SIMULATION: Thomas Hofer kann das Verhalten der metallorganischen Verbindungen zuverlässig modellieren.<br />

NEUE WEGE IN DER<br />

MATERIALENTWICKLUNG<br />

Metallorganische Verbindungen sind eine zukunftsweisende Materialklasse mit zahlreichen<br />

Anwendungsmöglichkeiten. Chemiker:innen um Thomas Hofer arbeiten an Methoden zur Simulation<br />

dieser Verbindungen, um ihren Einsatz zu optimieren.<br />

MOF – die drei Buchstaben stehen<br />

für Metal Organic Framework,<br />

auf deutsch Metallorganische<br />

Gerüstverbindung. MOFs repräsentieren<br />

eine Klasse von Materialien, die aus metallhaltigen<br />

Knotenpunkten und organischen<br />

Liganden aufgebaut und in einem<br />

regelmäßigen, dreidimensionalen Gitter<br />

angeordnet sind. Durch die Kombination<br />

verschiedener Metallknoten und Liganden<br />

können MOFs mit unterschiedlichen<br />

Eigenschaften hergestellt werden, was ihre<br />

Anwendbarkeit sehr vielseitig macht.<br />

„Metal Organic Frameworks<br />

können als Träger für Wirkstoffe<br />

wie Medikamente, Peptide<br />

oder Proteine dienen, die dann<br />

kontrolliert freigesetzt werden<br />

können.“ <br />

Thomas Hofer<br />

Entdeckt wurden die Verbindungen<br />

erstmals Anfang der 1990er-Jahre, seitdem<br />

stehen sie im Zentrum des Interesses<br />

zahlreicher <strong>Forschung</strong>sarbeiten.<br />

„MOFs weisen ein hohes, inneres Volumen<br />

auf und können Gastmoleküle in ihren<br />

Poren speichern. Dies macht sie ideal<br />

für die Lagerung und Freisetzung von<br />

Wasserstoff, Kohlendioxid und anderen<br />

Gasen“, erklärt Thomas Hofer, assoziierter<br />

Professor am Institut für Allgemeine,<br />

Anorganische und Theoretische Chemie<br />

der Universität Inns bruck. „Zudem ist<br />

ihr Einsatz auch für die Wirkstofffreisetzung<br />

in der Medizin sehr interessant:<br />

Sie können als Träger für Wirkstoffe wie<br />

Medikamente, Peptide oder Proteine<br />

dienen, die dann kontrolliert freigesetzt<br />

werden können. Die Porosität der MOFs<br />

soll eine höhere Wirkstoffbeladung und<br />

eine bessere Kontrolle der Freisetzung als<br />

bei herkömmlichen Materialien ermöglichen“,<br />

so der Chemiker.<br />

Es gibt beispielsweise MOFs, die aufgrund<br />

ihres Aufbaus Wirkstoffe sicher<br />

durch das saure Magenmilieu transportieren<br />

könnten oder andererseits in tendenziell<br />

sauren Tumorgeweben zerfallen<br />

und ihr Gastmolekül – in diesem Fall<br />

einen Wirkstoff – genau dort freigeben,<br />

wo es wirken soll. „Diese Technologie hat<br />

enormes Potenzial, auch für Wirkstoffe,<br />

die nur deshalb nicht weiter erforscht<br />

wurden, weil sie nicht effizient genug an<br />

das Ziel ihrer Wirkung gebracht werden<br />

konnten“, beschreibt Hofer. Seine Arbeit<br />

konzentriert sich auf die Simulation dieser<br />

vielversprechenden Verbindungen,<br />

um ihre charakteristischen Eigenschaften<br />

zum einen besser zu verstehen und<br />

zum anderen ihre Einsatzmöglichkeiten<br />

zu optimieren. Um stabil zu sein, müssen<br />

die einzelnen Verbindungen in MOFs<br />

eine möglichst neutrale Position einnehmen,<br />

in der sie sich weder zu stark anziehen<br />

noch zu stark abstoßen. „Ziel unserer<br />

<strong>Forschung</strong> ist es, die Simulation dieser<br />

Anziehung und Abstoßung in Wechselwirkung<br />

so exakt wie möglich nachzustellen,<br />

um stabile Gerüstverbindungen<br />

zu modellieren, noch bevor sie im Labor<br />

hergestellt wurden“, erklärt Thomas<br />

Hofer.<br />

ILLUSTRATION EINER chemischen<br />

Simulation eines Gast@MOF-Systems. In<br />

diesem Beispiel wurden zwei Moleküle<br />

des Krebsmedikaments Fluorouracil in<br />

die metallorganische Gerüstverbindung<br />

MOF-5 eingebettet. Das Simulationssystem<br />

besteht aus 448 Atomen. (grau<br />

= Kohlenstoff, weiß = Wasserstoff, rot =<br />

Sauerstoff, blau = Stickstoff; cyan = Fluor;<br />

schwarz = Zink)<br />

Komplexe Simulationen<br />

In Simulationen berechnen die Wissenschaftler:innen<br />

um Hofer zum einen das<br />

Verhalten und die Stabilität der Gerüstverbindung<br />

an sich, zum anderen berechnen<br />

sie auch die Wechselwirkungen des<br />

Wirtsmaterials mit den je nach Anwendungsart<br />

verschiedenen Gastmolekülen.<br />

„MOFs haben vergleichsweise viele Teilchen,<br />

die zu beschreiben sind. Ein weiteres<br />

Spezifikum ist ihre Wechselwirkung<br />

mit Kräften von außen: Normalerweise<br />

dehnen sich Materialien bei Erwärmung<br />

aus. Es gibt aber zum Beispiel auch<br />

MOFs, die sich bei Erwärmung kontrahieren.<br />

All diese Faktoren gilt es bei unseren<br />

Simulationen zu berücksichtigen“,<br />

erklärt Thomas Hofer.<br />

Aufgrund der Komplexität dieser Berechnungen<br />

greifen die Wissenschaftler:innen<br />

unter anderem auf Konzepte<br />

des maschinellen Lernens zurück. Basierend<br />

auf bestehenden Methoden haben<br />

Hofer und sein Team so eine neue<br />

Software programmiert, die es möglich<br />

macht, das Verhalten dieser komplexen<br />

Systeme schnell und zuverlässig zu simulieren.<br />

„Damit eine derartige Simulation<br />

gelingt, müssen die Kräfte, die auf<br />

die Atome wirken, so exakt wie möglich<br />

in der Berechnung nachgestellt werden“,<br />

erklärt der Chemiker. „Eine neuartige<br />

Methode, die diese atomaren Kräfte<br />

trotz geringer Berechnungszeit mit hoher<br />

Genauigkeit wiedergeben kann, sind<br />

neuronale Netzwerk-Potenziale – diese<br />

wurden mit unserer Simulations-Software<br />

kombiniert. Auf diese Weise konnte<br />

ein Verfahren entwickelt werden, das um<br />

einen Faktor 100 schneller ist als etablierte<br />

Anwendungen und dabei im Wesentlichen<br />

dieselben Ergebnisse liefert“, so<br />

Hofer.<br />

Noch sind die Chemiker:innen dabei,<br />

die von ihnen entwickelte Methode zu<br />

validieren und ihre Verlässlichkeit zu<br />

belegen. In einer kürzlich publizierten<br />

Arbeit konnten sie mit einer Simulationsreihe<br />

verschiedener organischer Gerüstverbindungen<br />

als CO 2 -Speicher bereits<br />

zeigen, dass ihre Methode eine adäquate<br />

Alternative für die Untersuchung dieser<br />

komplexen Substanzklassen darstellt und<br />

den Bereich für rechnerische Studien mit<br />

diesem Schwerpunkt erheblich erweitert.<br />

Beschichtete Nanopartikel<br />

Neben den Simulationen MOF-basierter<br />

Materialien arbeiten die Chemiker:innen<br />

um Hofer derzeit auch an Simulationen<br />

beschichteter Nanopartikeln, die unter<br />

anderem in der Tumortherapie zum Einsatz<br />

kommen könnten. Beispielsweise<br />

zeigen Nanopartikel aus Magnetit magnetische<br />

Eigenschaften – mithilfe von<br />

Magneten könnten sie gezielt in bestimmte<br />

Zellen des Körpers und somit<br />

auch in Tumorgewebe gelenkt werden.<br />

Da Eisen im Körper toxisch wirkt, müssen<br />

die Nanopartikel allerdings beschichtet<br />

werden. In Zusammenarbeit mit der<br />

UMIT TIROL simulieren Thomas Hofer<br />

und sein Team das Verhalten dieser beschichteten<br />

Nanopartikel. „Ziel ist es natürlich,<br />

die mit Amylose oder Zitronensäure<br />

beschichteten Nanopartikel möglichst<br />

zahlreich gezielt in Tumorzellen<br />

anzureichern“, so Hofer. „Um das zu erreichen,<br />

muss man allerdings genau wissen,<br />

welche Kräfte wirken, wenn sich<br />

zwei dieser Teilchen begegnen oder<br />

wenn mehrere Nanoteilchen gleichzeitig<br />

im Blutkreislauf verteilt sind.“ Mithilfe<br />

der von ihnen entwickelten Methode<br />

können Hofer und sein Team das Verhalten<br />

der Nanoteilchen unter Einbeziehung<br />

aller auf sie wirkenden Kräfte genau modellieren<br />

und liefern so wichtige Daten<br />

für die Weiterentwicklung dieses Therapieansatzes.<br />

sr<br />

THOMAS HOFER (*1978 in Inns bruck)<br />

studierte Chemie an der Universität Innsbruck<br />

und habilitierte sich hier 2<strong>01</strong>1 im<br />

Fach Theoretische Chemie und Computerchemie.<br />

Seit 2<strong>01</strong>1 ist er assoziierter<br />

Professor am Institut für Allgemeine,<br />

Anorganische und Theoretische Chemie.<br />

16 zukunft forschung <strong>01</strong>/23<br />

Fotos: Andreas Friedle; Grafik: Thomas Hofer<br />

zukunft forschung <strong>01</strong>/23 17

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