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Zukunft Forschung 01/2023

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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TITELTHEMA<br />

TITELTHEMA<br />

In der Ausbildung von Chirurg:innen<br />

ist der Übergang zur Praxis ein fordernder<br />

Moment. Irgendwann steht<br />

die erste Operation an echten Patient:innen<br />

an. Je vielseitiger das Training davor<br />

war, desto besser. Hierbei sind Zeit,<br />

Kosten und die vorhandenen Übungsmaterialien<br />

immer ein limitierender Faktor.<br />

Deshalb arbeiten Forscher:innen am<br />

Institut für Informatik der Universität<br />

Inns bruck an der Entwicklung von VR-<br />

Modellen, die das chirurgische Training<br />

präziser, vielseitiger und nachhaltiger<br />

machen können.<br />

Matthias Harders leitet die <strong>Forschung</strong>sgruppe<br />

Interaktive Grafik und Simulation.<br />

Seine verschiedenen Teammitglieder beschäftigen<br />

sich unter anderem mit medizinischer<br />

Simulation und Visualisierung,<br />

virtueller und erweiterter Realität sowie<br />

haptischer Interaktion. Fachlich ist die<br />

<strong>Forschung</strong>sgruppe bunt gemischt, denn<br />

die Entwicklung von medizinischen VR-<br />

Anwendungen und komplexen Computermodellen<br />

erfordert Kenntnisse in Informatik,<br />

Physik, Mechatronik, Medizin und<br />

Mathematik.<br />

Feedback vom Knochenbohrer<br />

„Einer unserer größten <strong>Forschung</strong>sbereiche<br />

ist die Computerhaptik“, erzählt<br />

Harders: „Bei dieser geht es darum, Tasteindrücke<br />

zu erzeugen, damit Dinge, die<br />

simuliert werden, auch gefühlt werden<br />

können. Vor allem in der Ausbildung von<br />

Chirurg:innen ist das sehr wichtig. Wenn<br />

man übt, in eine Leber zu schneiden, sollte<br />

auch das entsprechende Feedback des<br />

Gewebes zu spüren sein.“<br />

Harders greift neben seinen Schreibtisch<br />

und holt das Ergebnis der Doktorarbeit<br />

des Teammitglieds Quang Ha Van<br />

hervor. Es ist eine im 3D-Druck erstellte<br />

Attrappe einer Bohrmaschine. Sie ist<br />

einem herkömmlichen Knochenbohrer,<br />

SIMULIEREN FÜR<br />

DIE MEDIZIN<br />

Die <strong>Forschung</strong>sgruppe Interaktive Grafik und Simulation am Institut für Informatik entwirft komplexe<br />

Modelle, mit denen medizinische Eingriffe in der Virtuellen Realität geübt werden können.<br />

wie er in der Orthopädie verwendet<br />

wird, nachempfunden. Allerdings ist in<br />

diese eine spezielle Mechanik eingebaut<br />

worden. Der metallene Bohraufsatz kann<br />

durch Druck im Inneren des Gehäuses<br />

verschwinden. Dort wird über Motoren<br />

ein Widerstand erzeugt, angepasst an<br />

das Material, das gerade simuliert wird.<br />

„Knochen bestehen aus Schichten mit<br />

MATTHIAS HARDERS studierte Informatik<br />

mit Schwerpunkt Medizinische<br />

Informatik an der Universität Hildesheim,<br />

der Technischen Universität Braunschweig<br />

und der University of Houston. Er promovierte<br />

2003 an der ETH Zürich, wo er sich<br />

auch 2007 im Bereich Virtual Reality in<br />

der Medizin habilitierte. Er arbeitete bis<br />

2<strong>01</strong>2 an der ETH, mit kurzen <strong>Forschung</strong>saufenthalten<br />

in den USA, Japan und<br />

Australien. Nach einer Stelle als Reader<br />

an der University of Sheffield, UK, wurde<br />

er 2<strong>01</strong>4 als Professor an die Universität<br />

Inns bruck berufen, wo er am Institut<br />

für Informatik die <strong>Forschung</strong>sgruppe<br />

Interaktive Grafik und Simulation leitet<br />

und sich mit <strong>Forschung</strong> in Medizinischer<br />

Simulation und Visualisierung, Virtueller<br />

und Erweiterter Realität sowie Haptischer<br />

Interaktion beschäftigt.<br />

verschiedenen Dichten, die auch unterschiedliches<br />

Feedback erzeugen müssen“,<br />

sagt Harders.<br />

Während also angehende Chirurg:innen<br />

mithilfe einer VR-Simulation am<br />

Computerbildschirm und dem modifizierten<br />

Bohrer eine Operation am simulierten<br />

Knochen durchführen, erzeugt<br />

das Gerät Feedback in Form von Kraft,<br />

Vibration und Geräuschen. Der Nutzen<br />

dieser Übungen wurde in einer Studie<br />

überprüft, mit dem Ergebnis, dass das<br />

Training mit echten Knochenbohrern an<br />

herkömmlichen Plastikknochen und mit<br />

dem simulierten System gleichermaßen<br />

gut abgeschnitten hat.<br />

Dabei bietet das virtuelle System aber<br />

einige Vorteile, wie Harders erklärt: „Erstens<br />

wird kein Material für das Training<br />

verschlissen, es ist also nachhaltiger. Zum<br />

anderen ist das Training in der Simulation<br />

messbar. Man kann genau bestimmen,<br />

wie tief der Bohrer eingedrungen ist, Fehler<br />

analysieren und dieselbe Operation<br />

mehrmals durchführen, um sie besser zu<br />

absolvieren.“<br />

Realistisch bluten<br />

In einem weiteren Projekt, an dem der<br />

Doktorand Nikolaus Rauch arbeitet, werden<br />

ganze virtuelle Patient:innen erstellt.<br />

Das erfordert eine detaillierte Modellierung<br />

von Anatomie, Physiologie und Pathologie.<br />

„Da gibt es verschiedene wichtige<br />

Komponenten, zum Beispiel die Gefäßsysteme“,<br />

sagt Harders. „Die Arterien<br />

und Venen können Chirurg:innen schon<br />

visuell zeigen, um welches Gewebe es<br />

sich handelt. Also ist es wichtig, dass wir<br />

die Gefäße für das Training modellieren,<br />

und diese dann auch korrekt bluten,<br />

wenn man sie in der VR-Simulation anschneidet.“<br />

Es wäre aber viel zu aufwendig,<br />

diese für jedes Modell neu per Hand<br />

zu generieren.<br />

Deswegen arbeitet das Team an Algorithmen,<br />

die automatisch neue Blutgefäßbäume<br />

erstellen. „Dafür stellt man<br />

lediglich die benötigten Parameter ein<br />

– um welches Organ es sich handelt, wo<br />

im Gewebe Sauerstoff benötigt wird, die<br />

Pathologie der Patient:innen – daraus generiert<br />

das Programm dann realistisch erscheinende<br />

Blutgefäße.“<br />

Nicht immer nur Tetris<br />

Die Frage, wie Modelle automatisch generiert<br />

werden können, findet auch Inspiration<br />

in der Spieleentwicklung. Content-Generation-Algorithmen<br />

können<br />

z. B. Landschaften entwerfen, die einem<br />

bestimmten Konzept folgen, aber sich<br />

niemals wiederholen.<br />

In einem weiteren Projekt von Harders,<br />

an dem auch die Klinik Hochzirl und<br />

das MCI Management Center Inns bruck<br />

beteiligt sind, wird dieses Prinzip in der<br />

Rehabilitation angewendet. „Nach Schlaganfällen<br />

muss das Gehirn neu vernetzt<br />

und manche Dinge müssen neu gelernt<br />

werden. In der Rehabilitation müssen<br />

Patient:innen dann Bewegungen wiederholen,<br />

um sich Abläufe, Motorik und Sensorik<br />

wieder anzueignen.“ Üblicherweise<br />

wird dies mithilfe von Therapeut:innen<br />

trainiert. Mittlerweile werden aber immer<br />

öfter auch Robotersysteme eingesetzt, um<br />

die Therapie zu unterstützen und zu ergänzen.<br />

„Ein Problem dabei ist, dass diese<br />

Übungen über Monate hinweg wiederholt<br />

werden müssen. Und das kann schon<br />

langweilig werden“, sagt Harders. „Deswegen<br />

wollen wir Rehabilitation mit motivierenden<br />

spielerischen Anwendungen<br />

kombinieren, die sich mit den physiotherapeutischen<br />

Übungen verbinden lassen.“<br />

Ein Beispiel ist ein Trainingssystem, mit<br />

dem Handbewegungen geübt werden sollen.<br />

Mittels VR lässt sich dabei Tetris spielen.<br />

Drehen, Strecken oder Drücken der<br />

Hand bewegt einen der fallenden bunten<br />

Steine in die gewünschte Richtung. Dabei<br />

ist das System individuell anpassbar. Die<br />

Steine fallen so, dass wichtige Übungen<br />

unbemerkt besonders oft gemacht werden.<br />

„Ich will in der Rehabilitation aber auch<br />

nicht drei Monate lang nur Tetris spielen“,<br />

fügt Harders hinzu. „Es wäre viel spannender,<br />

wenn die Spiele sich immer neu<br />

generieren und auch an den Geschmack<br />

der Patient:innen anpassen. Daran arbeiten<br />

wir zurzeit noch.“<br />

fo<br />

IN DIESE ATTRAPPE eines Knochenbohrers sind Mechaniken und Sensoren eingebaut,<br />

durch die das haptische Feedback einer Operation simuliert wird.<br />

14 zukunft forschung <strong>01</strong>/23<br />

Fotos: Andreas Friedle<br />

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