Der Wein - Pro Stuttgart
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meine Zunge, die sich in ein hässliches<br />
Tiefblaugrauschwarz färbte<br />
und auch mit der Zahnbürste<br />
nicht wieder entfärben ließ. Deshalb<br />
machte ich mir zum Schreiben<br />
dieses Textes – sozusagen als<br />
Wiedergutmachung mit mir<br />
selbst – ein Fläschle „2009 Weißer<br />
Burgunder trocken“ in Zweisternequalität<br />
der <strong>Wein</strong>gärtner Bad<br />
Cannstatt auf. Obwohl der Weiße<br />
Burgunder in Württemberg<br />
nur auf 7 ha angebaut wird und<br />
mit rund 1200 ha eigentlich eher<br />
für Baden typisch ist, entscheide<br />
ich mich bewusst für den Weißburgunder.<br />
Das war ein ganz anderes<br />
Vergnügen: fruchtig, frisch,<br />
nicht so zuckrig wie die Badener.<br />
Leicht und doch voller Aroma<br />
und ausdrucksstark präsentierte<br />
sich ein weißer Genuss. Birne<br />
schmeckte man da und Apfel und<br />
ein bisschen Aprikose. Die langsame,<br />
gekühlte Gärung weckte<br />
Aromengeister, die kaum zu riechen,<br />
aber dafür umso mehr zu<br />
schmecken sind.<br />
Thaddäus Trolls <strong>Wein</strong>kritik<br />
Da kenne ich noch aus Zeiten der<br />
alten <strong>Wein</strong>gärtnergenossenschaft<br />
ganz andere <strong>Wein</strong>e. Das waren<br />
Zeiten, als Ertragsreduzierung<br />
noch ein Fremdwort war, als die<br />
Masse die Erlöse brachte und<br />
nicht die Klasse. <strong>Der</strong> Cannstatter<br />
Schriftsteller Thaddäus Troll bezeichnete<br />
solche <strong>Wein</strong>e – ohne<br />
die Cannstatter explizit zu nennen<br />
– als „Mädle ohne Dutt und<br />
Futt“, der schmecke wie<br />
„eig’schlofener Diakonissasaich“.<br />
Mit der Namensänderung in<br />
„<strong>Wein</strong>gärtner Bad Cannstatt“<br />
vollzog sich dann auch ein Image-<br />
und <strong>Pro</strong>duktwandel. Die<br />
<strong>Wein</strong>gärtner legen nun viel Wert<br />
auf Qualität. Kellermeister Thomas<br />
Zerweck gibt seit 2003 den<br />
rund 30 Wengerterfamilien genau<br />
vor, wie die Pflicht im <strong>Wein</strong>berg<br />
auszusehen hat, damit er im<br />
Keller der 1948 erbauten Kelter<br />
auf der Cannstatter Altenburg die<br />
Kür vollziehen kann. Zerwecks<br />
Ziel ist, die <strong>Wein</strong>gärtner Bad<br />
Cannstatt mit <strong>Wein</strong>gutphilosophie<br />
im oberen Marktsegment zu<br />
etablieren. Aus den Resten zerstörter<br />
Brücken wurde die Kelter<br />
gebaut. In der Grundsteinurkunde<br />
steht zu lesen: „aus Trümmersteinen<br />
gewölbt, soll dieses Werk<br />
den Aufbauwillen unseres<br />
schwäbischen Volkes für spätere<br />
Geschlechter bekunden. Möge der<br />
<strong>Wein</strong> aus dieser Kelter allzeit in<br />
reichem Maße den Kranken helfen,<br />
den Gesunden laben und den<br />
Schaffenden neue Lebenskraft<br />
und Frohsinn spenden!“ Das ist<br />
den <strong>Wein</strong>gärtnern Bad Cannstatts<br />
heute deutlich zu wenig. Die Erzeugung<br />
und Gestaltung von<br />
qualitätsvollen Spitzenprodukten,<br />
die Trauben, Terroir, Wengerter-<br />
und Kellermeisterkunst im<br />
Glas zu einer huldvollen Melange<br />
vereinen, das ist das Ziel der<br />
Cannstatter.<br />
Zerwecks Philosophie<br />
Qualität beginnt im <strong>Wein</strong>berg.<br />
Deshalb setzten die Cannstatter<br />
<strong>Wein</strong>gärtner seit Jahren auf<br />
qualitätsfördernde weinbauliche<br />
Maßnahmen und eine konsequente<br />
Ertragsreduzierung, sagt<br />
Jan Steingass, der Verkaufsleiter<br />
der Cannstatter. Anders ist eine<br />
wirtschaftlich sinnvolle Nutzung<br />
der steilen Lagen am Cannstatter<br />
Zuckerberg nicht zu bewältigen.<br />
<strong>Der</strong> Preiskampf im Literflaschenweinbereich<br />
ist tödlich. Darauf<br />
wollen sich die Cannstatter nicht<br />
einlassen. Können sie auch gar<br />
nicht, denn rund 30 <strong>Pro</strong>zent ihrer<br />
<strong>Wein</strong>berge sind Steillagen.<br />
Arbeitsintensiv sind die Steilhänge<br />
und auch sonst sehr an-<br />
Abendsonne: Im gemächlich<br />
fließenden Neckar spiegelt sich die<br />
Abendsonne am Cannstatter Zuckerberg<br />
<strong>Wein</strong>gärtner Bad Cannstatt<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wein</strong><br />
wandelt den<br />
Maulwurf<br />
zum Adler.“<br />
Charles Baudelaire