Der Wein - Pro Stuttgart
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<strong>Wein</strong>-Boulevard<br />
Es steckt mehr<br />
Philosophie in einer<br />
Flasche <strong>Wein</strong>, als in<br />
allen Büchern<br />
dieser Welt.“<br />
Louis Pasteur<br />
Geschmackvoll:<br />
Im richtigen Stielglas<br />
entwickeln <strong>Wein</strong>e ihr<br />
volles Aroma.<br />
Fotolia<br />
spruchsvolle <strong>Wein</strong>e ist für sie aber<br />
doch das Stielglas erste Wahl.<br />
Im „Vetter“, der eher modernen<br />
<strong>Wein</strong>stuben-Variante am Rand<br />
des Heusteigviertels, sieht man<br />
keine Henkelgläser – dafür spielen<br />
<strong>Wein</strong>e aus ganz Deutschland und<br />
Europa mindestens so eine wichtige<br />
Rolle wie die Württemberger.<br />
Hier wird weniger geschlotzt, sondern<br />
auch mal in 0,1 Liter-Mengen<br />
„probiert“. Für den „klassischen“<br />
<strong>Wein</strong>stuben-Schwa ben ein<br />
unübliches Verfahren. Aber Achtung:<br />
Das „Vetter“ nennt sich ja<br />
auch nicht <strong>Wein</strong>stube, deshalb<br />
gibt’s au nix zom Bruddla.<br />
Die Stilfrage ist auch eine Frage<br />
des Geschmacks – nicht nur des<br />
ästhetischen. Vincent Klink, Sternekoch<br />
und Inhaber der Wielandshöhe,<br />
setzt durchaus auf<br />
Tradition. Er und sein Lokal<br />
stehen für regionale Gerichte<br />
und <strong>Wein</strong>e. Auf die Traditionsgläser<br />
verzichtet er aber.<br />
„Für Trollinger und einfache<br />
<strong>Wein</strong>e ist das Henkelglas angemessen“,<br />
meint er, hält es<br />
darüber hinaus aber für<br />
überholt: „Das Henkelglas<br />
kommt aus einer Zeit, in der<br />
man noch sechs Viertele<br />
getrunken hat, wie mein<br />
Vater“, so der schwäbische<br />
Gastronom. Anspruchsvollere<br />
<strong>Wein</strong>e, die nach gebührender<br />
Anerkennung<br />
und Aufmerksamkeit verlangen,<br />
verlangen gleichzeitig<br />
nach einem anderen<br />
Glas: „<strong>Der</strong> <strong>Wein</strong> erwärmt<br />
sich nicht so schnell, wenn<br />
man es am Stiel hält und er<br />
entfaltet sich besser“, sagt der<br />
Genussmensch. Denn das Glas<br />
spielt eine Riesenrolle in der<br />
<strong>Wein</strong>welt – nicht ohne Grund gibt<br />
es zig Ausprägungen und für fast<br />
jede Rebsorte eine eigene Glasform.<br />
„Aus dem Stielglas entwickeln<br />
sich die Aromen auf der<br />
Zunge anders“, erklärt Sommelier<br />
Andreas Scherle. „Ein frischer,<br />
fruchtiger Riesling kommt am<br />
besten zur Geltung aus dem Tulpenglas<br />
mit leicht nach außen gebogenem<br />
Rand, das Burgunderglas<br />
verstärkt die cremigen No-<br />
ten.“ Wer sich intensiver mit<br />
<strong>Wein</strong> beschäftigen will, kann das<br />
selbst ausprobieren – und kommt<br />
tatsächlich zu verblüffenden Ergebnissen:<br />
Ein Riesling aus dem<br />
Ballonglas verliert seine Frische<br />
und Fruchtigkeit, der Burgunder<br />
aus dem kleinen Tulpenglas wird<br />
flach und hart. Und aus dem Henkelglas?<br />
„Da können sich die Aromen<br />
nicht entwickeln“, bedauert<br />
der Experte in Sachen <strong>Wein</strong>. Wer<br />
einmal versucht hat, das Viertelesglas<br />
zu schwenken, hat nicht<br />
mehr Aromen im Glas, sondern<br />
weniger <strong>Wein</strong>. Viele <strong>Wein</strong>liebhaber<br />
schwenken daher um – und<br />
verwenden ausschließlich das<br />
Stielglas.<br />
Viertelesglas ist gefragt<br />
„Die Nachfrage nach dem Vierteleshenkelglas<br />
ist stabil geblieben“,<br />
erklärt Manfred Wansner, Vertriebsleiter<br />
des schwäbischen<br />
Glasherstellers Böckling. <strong>Der</strong><br />
„schwäbische <strong>Wein</strong>seidel“, so die<br />
offizielle, arg seelenlos-nüchterne<br />
Bezeichnung in der Glaswelt, wird<br />
hauptsächlich von <strong>Wein</strong>gärtnergenossenschaften<br />
in größeren<br />
Mengen abgenommen. „Auch bei<br />
<strong>Wein</strong>festen gibt es mittlerweile oft<br />
Stielgläser.“ Es sei allerdings auch<br />
eine Frage des Preises: „Die Henkelgläser<br />
sind alle mundgeblasen<br />
und damit teuer, das geht nicht<br />
anders“, so der Vertriebsmann.<br />
Wenn das traditionelle Glas aussterben<br />
sollte, ist also der Schwabe<br />
im Schlotzer selbst schuld.<br />
Aber: „Wenn es in 100 Jahren<br />
noch <strong>Wein</strong>stuben gibt, gibt es in<br />
100 Jahren auch noch Henkelgläser“,<br />
ist Wansner überzeugt.<br />
Für sein Gourmet-Restaurant „Zur<br />
<strong>Wein</strong>steige“ hat Andreas Scherle<br />
einen Kompromiss gefunden:<br />
Auch hier kommt der Württemberger<br />
als Viertele in die Gläser,<br />
aber in solche mit Stiel und aus<br />
kleinen Karaffen im Schwabenmaßstab.<br />
Wie heißt es so schön:<br />
Da trifft Tradition auf Moderne.<br />
Oder auch: Qualität trifft auf<br />
Quantität – wenn das dem Schwaben<br />
nicht entgegen kommt ...<br />
Karin Wiemer