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BIBER 06_23

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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />

www.dasbiber.at<br />

MIT SCHARF<br />

+<br />

JUNI<br />

20<strong>23</strong><br />

ALTE AKTIVISTEN<br />

+<br />

HANKE IN ZAHLEN<br />

+<br />

PRIDE IST KEINE PARTY<br />

+<br />

ZWISCHEN JUBEL<br />

UND VERZWEIFLUNG<br />

TÜRKEI: NEUE ÄRA ODER ABSTURZ?


Bezahlte Anzeige<br />

3<br />

minuten<br />

mit<br />

Magic<br />

Marko<br />

Die Künstlerin Xéna N.C. hat<br />

mit ihrer Drag-Persona Magic<br />

Marko den „toxiest man alive“<br />

erschaffen. Warum das auch<br />

Gesellschaftskritik sein kann,<br />

erklärt die 28-Jährige mit serbischen<br />

Wurzeln im Gespräch.<br />

Interview: Anja Bachleitner<br />

Foto: Zoe Opratko<br />

Lebe deine Liebe!<br />

In der Regenbogenhauptstadt Wien kannst du deine Lebens- und Liebesentwürfe<br />

frei von Diskriminierung leben. Die Stadt unterstützt alle von Diskriminierung<br />

betroffenen homo-, bi-, transsexuellen und intergeschlechtlichen Wiener*innen<br />

und bietet Aufklärungsarbeit. Du erhältst anonyme und kostenlose Beratung bei<br />

der Wiener Antidiskriminierungsstelle (WASt) – und das seit mittlerweile 25 Jahren.<br />

Hol dir jetzt Beratung!<br />

<strong>BIBER</strong>: Was macht Magic Marko aus?<br />

Was unterscheidet ihn von Xéna, die du<br />

im Alltag bist?<br />

XÉNA N.C.: Magic Marko ist der<br />

“toxiest man alive”. Er ist toxisch und er<br />

ist gutaussehend. Ich, als Magic Marko,<br />

nehme mir meinen Raum, ob auf der<br />

Straße oder in der U-Bahn. Ich muss es<br />

nicht einmal. Die Leute machen schon<br />

von sich aus Platz. Als Magic Marko<br />

spreche jetzt einmal über Xéna: Ein<br />

ganz nettes Mädel, sie hat ein großes<br />

Herz, sie ist sehr freundlich, sehr zuvorkommend.<br />

Ich als Marko bin’s nicht. Mir<br />

ist das scheißegal. Ich mache, was ich<br />

will, weil es meine Welt ist. Ich bin einfach<br />

ich, ich bin der King. Wenn Xéna<br />

und Marko was gemeinsam haben,<br />

dann ist es ihr Selbstbewusstsein und<br />

einen starken Willen.<br />

Wie bist du zu Drag gekommen?<br />

Ich habe lange versucht, weiblicher zu<br />

sein, für die Gesellschaft und meine<br />

Verwandten. Mittlerweile habe ich das<br />

Selbstbewusstsein zu wissen, dass ich<br />

für mich selbst weiblich genug bin. Da<br />

ist das Spiel mit den Geschlechterrollen<br />

dann von ganz alleine gekommen.<br />

Was bedeutet die Kunstform Drag für<br />

dich?<br />

Dass ich als Drag King das Patriarchat<br />

kritisieren kann. Es macht aber einfach<br />

auch Spaß, in eine andere Rolle reinzuschlüpfen<br />

und vor allem auch einen<br />

cis-Mann zu spielen.<br />

Welche Message möchtest du mit deiner<br />

Performance als Drag King rüberbringen?<br />

Ich möchte als Frau in einem Safe Space<br />

toxische Männlichkeit kritisieren, weil wir<br />

Frauen eh schon die ganze Zeit kritisiert<br />

und bewertet werden. Und nicht<br />

alle Männer sind toxisch, ich will nicht<br />

alles verallgemeinern. Aber das ist auch<br />

der Punkt mit der Unterrepräsentation<br />

von Drag Kings: Ich denke mir, dass<br />

Männlichkeit quasi unantastbar ist. Das<br />

möchte ich auf eine sarkastische und<br />

humorvolle Art und Weise kritisieren.<br />

Was würdest du jemanden sagen, der<br />

gegen Drag Queen Lesungen protestiert,<br />

wie es in Wien vor kurzem<br />

passiert ist?<br />

Ich habe das Gefühl, es gibt dort nichts,<br />

wovor wir die Kinder schützen müssten.<br />

Es ist ein Safe Space. Es wird einfach<br />

etwas vorgelesen über Toleranz, Vielfalt,<br />

Nächstenliebe. Kinder werden dazu<br />

ermutigt, typische Geschlechterrollen<br />

zu durchbrechen: Ein Mädchen weiß<br />

dann, dass sie Mechanikerin werden<br />

kann und ein Junge Kindergartenpädagoge.<br />

Was war dein schönstes Erlebnis als<br />

Magic Marko?<br />

Das allererste Mal, als ich am Abend als<br />

Marko rausgegangen bin. Mit Make-Up,<br />

Schiebermütze und langem Mantel -<br />

mein Gang hat sich sofort verändert und<br />

die Leute haben mir Platz gemacht. Ich<br />

hatte draußen gar keine Angst mehr.<br />

Name: Xéna N.C. aka Magic Marko<br />

Alter: 28<br />

Insta: xenanc.magicmarko<br />

Fun Fact: Mit Marko muss man sich noch<br />

old school verabreden, er hat kein Handy.<br />

wien.gv.at/queer<br />

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT<br />

MAGIC MARKO<br />

Ein Drag King im Schnellinterview.<br />

8 IVANAS WELT<br />

Kolumnistin Ivana Cucujkić über<br />

typische Jugo-Hochzeiten.<br />

10 KLIMA-NEWS<br />

Interessante Zahlen, Daten und Fakten rund<br />

um das Thema Umweltschutz.<br />

POLITIKA<br />

12 MEINUNGSMACHE<br />

Politische Themen kurz, komprimiert und<br />

mit scharf.<br />

14 „ERDOĞAN IST EIN<br />

MACHER!“<br />

Warum die Erdbebengebiete Erdoğan wählten.<br />

20 „HERR HANKE, WIE VIELE<br />

STUNDEN ARBEITEN SIE<br />

PRO WOCHE?“<br />

Biber fragt in Worten, Stadtrat Peter Hanke<br />

antwortet mit einer Zahl.<br />

22 FEMINISMUS AUS DEM EXIL<br />

Die russische Aktivistin Lolja Nordic im Porträt.<br />

25 BALKAN NEWS<br />

Dennis Miskić über die Notwendigkeit eines<br />

Systemwechsels in Serbien.<br />

RAMBAZAMBA<br />

26 PRIDE IST KEINE PARTY<br />

Alles rund um den Pride-Month im Überblick.<br />

28 DEMO IN PENSION<br />

Drei Aktivist:innen erklären, warum sie auch im<br />

hohen Alter noch auf die Straße gehen.<br />

„ICH BIN EINE VON<br />

VIELEN.“<br />

Die russische Feministin<br />

Lolja Nordic steht für<br />

Antikriegsaktivismus ein.<br />

14<br />

22<br />

WIEDER EINE ÄRA ERDOĞAN<br />

Hoffnung und Misstrauen spalten die Community.<br />

34 28<br />

„WIR MACHEN DAS FÜR DIE<br />

ENKELKINDER!“<br />

Engagierte Pensionist:innen zeigen,<br />

dass man sich auch im Alter für die<br />

Zukunft einsetzen kann.<br />

IN HALT JUNI<br />

20<strong>23</strong><br />

„ZIEH DICH MAL AN WIE EINE<br />

RICHTIGE FRAU!“<br />

Helin Kara hat es satt, sich gesellschaftlichem<br />

Druck zu beugen.<br />

© SAMUEL WINTER / APA / picturedesk.com, Atila Vadoc, Max Slovencik / EXPA / picturedesk.com, Zoe Opratko, Cover: © Zoe Opratko<br />

EMPOWERMENT SPECIAL<br />

34 „DU BIST SO EIN<br />

MANNSWEIB!“<br />

Helin Kara wollte nie in das Bild der „perfekten<br />

Frau“ passen.<br />

38 „SEI NETTER ZU DEN<br />

ÖSTERREICHERN!“<br />

Luna Al-Mousli möchte niemandem mehr um<br />

jeden Preis gefallen.<br />

40 WENN BLICKE STÄRKEN<br />

Banan Sakbani steht für Zivilcourage ein und<br />

lässt sich nicht mehr einschüchtern.<br />

LIFE&STYLE<br />

43 SCHÖN SCHLAU<br />

Şeyda Gün erklärt wieso man sich von<br />

Lehrer:innen nicht runtermachen lassen darf.<br />

KARRIERE&KOHLE<br />

46 ERST KRANK, WENN<br />

DAS SPITAL RUFT<br />

Šemsa Salioski über die toxische „work ethic“<br />

von Migrant:innen.<br />

KULTURA<br />

52 KULTURA NEWS<br />

Nada El-Azar-Chekh über das<br />

Musikverständnis der Generation Z.<br />

54 QUOTEN-ALMANCI<br />

Kolumnistin Özben Önal erklärt, warum auch<br />

Europa für das Wahlergebnis in der Türkei<br />

verantwortlich ist.


IMPRESSUM<br />

Liebe Leser:innen,<br />

MEDIENINHABER:<br />

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />

HERAUSGEBER:<br />

Simon Kravagna<br />

CHEFREDAKTEURIN:<br />

Aleksandra Tulej<br />

die Türkei hat gewählt: Recep Tayyip Erdoğan tritt eine neue Amtszeit<br />

an. Während die einen riesige Türkei-Flaggen schwenken, auf<br />

den Straßen Wiens feiern und ihrem Präsidenten ihre unermüdliche<br />

Unterstützung zusprechen, hat die andere Hälfte der Bevölkerung<br />

nur noch Angst vor der Zukunft ihrer Heimat. So auch Kolumnistin<br />

Özben Önal, die für unsere Coverstory in ihre Heimat Antakya gereist<br />

ist, um der Frage nachzugehen, wieso gerade in den türkischen Erdbebengebieten<br />

so viele Menschen Erdoğan gewählt haben - obwohl<br />

genau in diesen Regionen die mangelnde Hilfe seitens der Regierung<br />

beklagt wurde. Wie wird es jetzt weitergehen? Welche Versprechen<br />

KULTUR & LEITUNG AKADEMIE:<br />

Nada El-Azar-Chekh<br />

FOTOCHEFIN:<br />

Zoe Opratko<br />

ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />

KOLUMNIST:INNEN:<br />

Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić, Özben Önal<br />

LEKTORAT: Florian Haderer<br />

REDAKTION, FOTOGRAFIE & ILLUSTRATION:<br />

Maria Lovrić-Anušić, Šemsa Salioski, Helin Kara, Dione Azemi, Anja<br />

Bachleitner, Luna Al-Mousli, Banan Sakbani, Atila Vadoc<br />

VERLAGSLEITUNG :<br />

Aida Durić<br />

MARKETING & ABO:<br />

Şeyda Gün<br />

„<br />

Die türkische Community<br />

ist nach Erdoğans erneutem<br />

Wahlsieg gespalten: Die einen<br />

jubeln, die anderen haben<br />

Angst. Als Ergänzung unserer<br />

hält die Regierung ein und welche Sorgen bleiben berechtigt? Welche<br />

Auswirkung hat die Wahl auf Austrotürk:innen? Lest die Türkei-<br />

Reportage ab Seite 14.<br />

Schulstreiks, Hörsaalbesetzungen und „Klimakleber“: Immer ist es die<br />

junge Generation, die sich gegen das System wehrt und aktivistisch<br />

tätig wird. Und die Alten meckern darüber? Stimmt nicht! Dass man<br />

sich auch im Alter für die Zukunft einsetzen kann, zeigen Susanne,<br />

Tilman und Renate. Ab Seite 28 lest ihr über Senior:innen, die ihre<br />

Pensionszeit dazu nutzen, auf die Straße zu gehen und für die Forderungen<br />

ihrer Enkel einzustehen.<br />

REDAKTIONSHUND:<br />

Casper<br />

BUSINESS DEVELOPMENT:<br />

Andreas Wiesmüller<br />

GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />

Wilfried Wiesinger<br />

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />

E-1.4, 1070 Wien<br />

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at, abo@dasbiber.at<br />

WEBSITE: www.dasbiber.at<br />

TRINKST DU<br />

(FAST) JEDEN<br />

TAG ALKOHOL?<br />

Coverstory ab S.14 lege ich<br />

euch für noch tiefere Einblicke<br />

die Kolumne von Özben Önal<br />

auf S. 54 ans Herz!<br />

Aleksandra “ Tulej,<br />

Chefredakteurin<br />

Außerdem haben wir Finanz-Stadtrat Peter Hanke gefragt, wieviele<br />

Parteien er in seinem Leben gewählt hat und welcher sein Lieblingsbezirk<br />

ist. Das Interview in Zahlen findet ihr auf Seite 20.<br />

„Sei nicht so ein Mannsweib!“ Diesen Spruch musste sich Autorin<br />

Helin Kara jahrelang anhören, weil sie sich lieber leger kleidet. Sie<br />

hat keinen Bock auf „typisch mädchenhaftes Auftreten“ und wehrt<br />

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 1. HJ 2022:<br />

Druckauflage 85.000 Stück<br />

Verbreitete Auflage 80.700 Stück<br />

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter<br />

www.dasbiber.at/impressum abrufbar.<br />

DRUCK: Mediaprint<br />

sich gegen das scheinbare Ideal einer „perfekten Frau“. Aber wer<br />

bestimmt eigentlich, wer was tragen darf? Was genau bedeutet<br />

Selbstbestimmung? Das erfahrt ihr in unserem Empowerment-Special<br />

ab Seite 32.<br />

Erklärung zu gendergerechter Sprache:<br />

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die<br />

jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität<br />

der Texte erhalten – wie immer „mit scharf“.<br />

Viel Spaß beim Lesen,<br />

Eure biber-Redaktion<br />

© Zoe Opratko<br />

6 / MIT SCHARF /


In „Ivanas Welt“ berichtet die biber-Kolumnistin Ivana Cucujkić-Panić<br />

über ihr Leben - Glamour zwischen Balkan und Baby<br />

IVANAS WELT<br />

NEMA PROBLEMA<br />

TELENOVELA<br />

Nenad fängt sein erstes Praktikum bei einer Baufirma<br />

an. Nach seiner ersten Woche kommt er ziemlich<br />

ge schafft nach Hause. Die Büroarbeit dauert länger<br />

als gedacht. Schwester Jelena macht das stutzig –<br />

sie will gleich mal seinen Arbeitsvertrag sehen, doch<br />

Nenad hat noch gar keinen bekommen.<br />

BEZAHLTE ANZEIGE<br />

NEUES AUS DEM LEBEN<br />

DER FAMILIE PRAVDOVIĆ<br />

ZWISCHEN TÜLL, TRÄNEN UND TROMPETEN<br />

Wenn zwei heiraten, freuen sich die dritten:<br />

Die Eltern. Der Rest ist Drama.<br />

Tja,<br />

willkommen<br />

im Arbeitsleben<br />

mein Lieber!<br />

Uff, das<br />

ist schon zach.<br />

Ich dachte echt nicht,<br />

dass ich immer so lange<br />

bleiben muss …<br />

Mit dem Beginn des Sommerschlussverkaufs wird auch<br />

die fünfte und wichtigste Jahreszeit eingeläutet: Die<br />

Hochzeitssaison. Schimmernde Viskose zum Sonderpreis,<br />

wie herrlich. So ein Event kostet eh schon ein<br />

halbes Leben und zwei Konsumkredite, aber was solls.<br />

SPONSORED BY MAMA & TATA<br />

In den wenigsten Fällen können sich Brautpaare ihren<br />

vermeintlich schönsten Tag selber finanzieren und enden<br />

als Bittsteller bei Braut- und Schwiegereltern. My<br />

big fat Balkan Wedding sponsored by mama & tata ist<br />

ein Deal mit vielen Klauseln. Bei einer Hochzeit geht es<br />

nicht vorrangig um zwei Menschen, die ihre Liebe feiern,<br />

ein bisschen Erdbeerkuchen und peinliche Spiele.<br />

Es geht um Prestige, persönliche Interessen, Sonderwünsche<br />

und ganz viel Ego.<br />

Sowohl die knappen Konfektionsgrößen in der Brautmodenabteilung,<br />

als auch die Nerven aller Beteiligten im<br />

Organisations-Komitee werden strapaziert. Elasthan,<br />

noch Geduld sind ewig dehnbar.<br />

GÄSTELISTE ROYAL:<br />

NICHT OHNE DEINE GROSSCOUSINE!<br />

Während Braut und Bräutigam vielleicht schon von den<br />

Flitterwochen träumen, kreative Gastgeschenke basteln<br />

und die Songliste für die Band zusammenstellen, knallen<br />

ihre Financiers den ultimativen Knebelvertrag auf den<br />

Tisch. Die Gästeliste.<br />

Exklusiver als jede VIP-Liste der Royals, wird beim Gipfeltreffen<br />

den Wedding-Lobbyisten um jeden Platz im<br />

Eventsaal verhandelt. Und das mit unlauteren Methoden.<br />

Bestechung, emotionale Erpressung, Tränendrüse,<br />

„Aber wir waren auch auf der Taufe von Cousine Milenas<br />

Kinder eingeladen“-Killer-Argumente.<br />

Die Planung einer Hochzeit ist eine Zerreißprobe für alle<br />

Beteiligten: Für das Brautpaar, die Schwiegerfamilien<br />

und für die viel zu knappen Elasthanfummel. Gratulation<br />

an alle, die diesen ersten großen Stresstest ihrer Ehe<br />

überstehen. Viel mehr emotionaler Tsunami kommt da<br />

nicht mehr. Trotzdem ist es sehr wahrscheinlich, dass<br />

so manch zwischenmenschliche Beziehung in Scherben<br />

liegt.<br />

DIE SCHWIEGERMUTTER IST SCHULD<br />

Auf eines kann man sich auf Hochzeiten verlassen: Die<br />

ein oder andere mittlere Katastrophe tritt bestimmt<br />

ein. Der eine Onkel, der wiedermal zu tief ins Weinglas<br />

schaut und den Geldschein zu tief ins Dekolleté der<br />

Sängerin schiebt. Diese eine „gute“ Freundin, die es<br />

wagt, allen modischen Etiquetten zum Trotz, in weißer,<br />

bodenlanger Spitze aufzutauchen. Die eine beleidigte<br />

Großtante aus Schweden, die sich am liebsten auf dem<br />

Brauttisch platziert hätte. Eines ist auch ganz sicher: Für<br />

mindestens eine Eskalation ist bestimmt die Schwiegermutter<br />

schuld.<br />

Wenn als Worst-Case-Szenario am Ende tatsächlich<br />

bloß die Torte abfackelt und Opa das Trompetensolo an<br />

seinem Ohr viel zu lange für sich beansprucht, ja, dann<br />

kann man sich auf die Schulter klopfen und sagen: My<br />

big fat Balkan Wedding war ein voller Erfolg, und eine<br />

Story für die Enkel hat man auch noch zum Erzählen.<br />

Viele Familienmitglieder haben sich danach nicht mehr<br />

viel zu sagen. Nüchtern betrachtet: Keine schlechte Bilanz<br />

fürs Brautpaar. Auf die Liebe! Živeli & Prost! ●<br />

Boah<br />

die Woche<br />

wars echt<br />

zach…<br />

Welcher<br />

Arbeitsvertrag? Ich<br />

hab nix bekommen.<br />

Hier gehts<br />

zum AK<br />

Tiktok Kanal:<br />

Was meinst du?<br />

Ich dachte das sind<br />

deine Arbeitszeiten?<br />

Musstest du etwa Überstunden<br />

machen?<br />

Was?<br />

Ok wait, das<br />

geht so nicht.<br />

Schau mal, was die<br />

Arbeiterkammer<br />

sagt.<br />

Was steht<br />

denn in deinem<br />

Arbeits vertrag?<br />

TIPP Arbeiterkammer:<br />

27 % aller Wiener<br />

Schüler:innen jobben<br />

in den Ferien,<br />

darun ter 10.000<br />

Pflichtprak tikant:<br />

innen. Hier kommen<br />

auch viele Fragen<br />

auf – die Antworten<br />

mit den besten Tipps<br />

rund um Praktikum &<br />

Ferialjob hat die AK<br />

parat.<br />

PRO TIPP: Spezialberatung<br />

gibt’s auch<br />

beim AK Stand am<br />

Donauinselfest auf<br />

der Arbeitsweltinsel.<br />

Freitag, <strong>23</strong>.6.,<br />

13-18 Uhr<br />

cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt<br />

8 / MIT SCHARF /<br />

© Zoe Opratko<br />

Fotos: Zoe Opratko


KLIMANEWS<br />

Von Dione Azemi und Anja Bachleitner<br />

Wusstet ihr, dass Klimawandel, Rassismus und Kolonialismus<br />

untrennbar zusammenhängen? Wir liefern euch die Fakten und<br />

Zahlen – denn der Klimawandel geht uns alle an.<br />

MAPA<br />

Unter dem Begriff MAPA<br />

(Most Affected People<br />

and Areas) werden<br />

diejenigen Menschen<br />

und Gebiete zusammengefasst,<br />

die weltweit<br />

am stärksten unter<br />

der Klimakatastrophe<br />

leiden. MAPA setzen sich<br />

allem voran aus BIPoC<br />

(Bezeichnung für „Black,<br />

Indigenous und People of<br />

Color“) und aus Ländern<br />

des Globalen Südens<br />

zusammen. Dabei handelt<br />

es sich nicht um einen<br />

Zufall, sondern um direkte<br />

Folgen von Rassismus<br />

und Kolonialismus.<br />

Die europäischen<br />

Kolonialmächte stellten<br />

sich jahrhundertelang<br />

sowohl gegenüber den<br />

kolonisierten Menschen<br />

als auch gegenüber der<br />

Natur als „überlegen“<br />

dar. Die Natur als leblose<br />

„Ressource“ zu sehen,<br />

aus der es unendlich<br />

Profit zu schlagen gilt, ist<br />

ein zutiefst westliches<br />

und vom Westen aufgezwungenes<br />

Verständnis<br />

und hat den Klimawandel<br />

wesentlich befördert.<br />

Die Aufarbeitung der<br />

gewaltvollen und menschenverachtenden<br />

Kolonialgeschichte<br />

Europas<br />

ist deshalb auch klimapolitisch<br />

unerlässlich.<br />

WEISSER KLIMAAKTIVISMUS?<br />

Klimaaktivismus hat nicht mit Greta Thunberg begonnen. BIPoC setzten sich mit<br />

ihren Kämpfen gegen die koloniale Unterdrückung immer auch schon für das Klima<br />

unserer Erde ein. Bis heute bekommen Klimaaktivist*innen of Color jedoch nicht die<br />

gleiche Aufmerksamkeit wie weiße Aktivist*innen. Merkt euch deshalb auch Namen<br />

wie Leah Namugerwa, Hilda Flavia Nakabuye, Marinel Ubaldo, Rayanne Cristine<br />

Maximo Franca, Adenike Oladosu, Adwoa Addae oder Tonny Nowshin, um nur einige<br />

zu nennen.<br />

Leah Namugerwa<br />

VON WEGEN<br />

„GRÜNE“<br />

ELEKTRO-AUTOS<br />

Für die Herstellung von<br />

E-Akkus werden Lithium<br />

und Kobalt gebraucht.<br />

Während der Abbau von<br />

Lithium Landschaften in<br />

Bolivien zerstört, wird<br />

Kobalt in der Demokratischen<br />

Republik Kongo von<br />

Kindern abgebaut – unter<br />

gefährlichen Bedingungen<br />

und zu Hungerlöhnen. Das<br />

koloniale Erbe von Raubbau<br />

und Ausbeutung im<br />

Globalen Süden setzt sich<br />

fort.<br />

Adenike Oladosu<br />

PROBLEMAUSLAGERUNG<br />

Schwer recyclebarer Plastikmüll ist ein Problem,<br />

das der globale Norden in Länder wie China,<br />

Malaysia, Thailand und Vietnam auslagert – mit<br />

schweren gesundheits- und umweltschädigenden<br />

Folgen für die Menschen und Gebiete dort. Wieder<br />

sind in erster Linie BIPoC und Gebiete des Globalen<br />

Südens die Leidtragenden.<br />

© SUMY SADURNI / AFP / picturedesk.com, Malte Ossowski / dpa Picture Alliance / picturedesk.com, NHAC NGUYEN / AFP / picturedesk.com<br />

© www.eingutertag.org<br />

ZAHLEN &<br />

FAKTEN<br />

Wenn wir Klimagerechtigkeit fordern,<br />

müssen wir daran denken,<br />

dass weder die Verantwortung für<br />

die, noch die Folgen der Klimakrise<br />

alle Menschen gleich betreffen.<br />

Pro-Kopf-Verbrauch von<br />

CO₂ im Jahr 2018:<br />

Österreich: 9,2 Tonnen<br />

Demokratische Republik Kongo:<br />

0,04 Tonnen<br />

Tansania: 0,26 Tonnen<br />

Sudan: 0,4 Tonnen<br />

Bolivien: 1,85 Tonnen<br />

Kolumbien: 1,53 Tonnen<br />

Höchstgrenze, um das 2°C- Ziel<br />

zu erreichen: 2,7 Tonnen<br />

CO₂-Verbrauch zwischen<br />

1990 und 2015:<br />

Die reichsten 10% der<br />

Weltbevölkerung waren für 52%<br />

der globalen CO₂-Emissionen<br />

verantwortlich.<br />

Die ärmsten 50 % der<br />

Weltbevölkerung nur für 7% der<br />

globalen CO₂-Emissionen.<br />

Die am meisten von<br />

extremen Wetterereignissen<br />

betroffenen Länder<br />

zwischen 2000 und 2019:<br />

Puerto Rico<br />

Myanmar<br />

Haiti<br />

Philippinen<br />

Mosambik<br />

Bahamas<br />

Bangladesch<br />

Pakistan<br />

Thailand<br />

Dominica<br />

EIN GUTER TAG HAT 100 PUNKTE:<br />

Täglich werden die Medien mit Tipps und Tricks zu einem nachhaltigeren Lifestyle<br />

überflutet. „Verzichte auf Fleisch, kaufe Second-Hand, fahr mit der Bahn! “, doch<br />

was zeigt wirklich Wirkung und wo sollten die Prioritäten gesetzt werden? Bei der<br />

Beantwortung dieser Fragen soll die App eingutertag helfen, denn auch wenn es<br />

neue politische Rahmenbedingungen benötigen würde, können wir alle etwas zu<br />

einer klimaneutraleren Welt beitragen.<br />

Laut Wissenschafter*innen sollten pro Tag und Kopf maximal 6,8 kg CO₂ ausgestoßen<br />

werden. Diese wurden von den Machern der App in 100 Punkte umgerechnet,<br />

die man täglich konsumieren darf. Je schädlicher etwas ist, desto mehr kostet es.<br />

So zahlt man beispielsweise für eine Fahrt von 10 km mit dem Auto 38 Punkte,<br />

während dieselbe Strecke mit dem Rad kostenfrei wäre.<br />

Durch die App ist es sehr einfach, den Überblick zu behalten und über unseren<br />

alltäglichen Konsum zu reflektieren, denn auch wenn die Verantwortung nicht allein<br />

bei uns liegt, können wir unser Bestes versuchen.<br />

KLIMANEUTRALES<br />

KINO<br />

Frühsommer, Open-Air Kinos und Fahrräder.<br />

Bis 19. Juni 20<strong>23</strong> veranstaltet das<br />

Institut der Theater-, Medien- und Filmwissenschaften<br />

der Universität Wien diverse<br />

Kinoabende. Das Besondere daran? Sie sind<br />

klimaneutral! Freiwillige dürfen in die Pedale<br />

treten, denn der benötigte Strom wird mithilfe<br />

dreier Fahrräder, die an einen Generator<br />

angeschlossen sind, erzeugt. Mit dem<br />

Motto „Kurbeln statt Schwurbeln“ verbindet<br />

diese Veranstaltung nicht nur Kino und<br />

Nachhaltigkeit, sondern auch Film und Wissenschaft.<br />

Jeder der acht Filme beschäftigt<br />

sich mit einer anderen Disziplin und<br />

im Anschluss diskutieren Experten dieses<br />

Fachbereiches mit den Zuschauer*innen.<br />

Mehr Infos: www.kurbeln.at<br />

APP<br />

EMPFEHLUNGEN<br />

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Essensverschwendung<br />

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10 / MIT SCHARF /<br />

/ MIT SCHARF / 11


MEINUNGSMACHE MIT SCHARF<br />

Aktuelle politische Themen im Überblick: komprimiert, kurz und mit scharf.<br />

TÜRKEI ÖSTERREICH/IRAN ÖSTERREICH<br />

DEINE PROVINZ<br />

VERRÄT, OB DU<br />

TERRORISTIN BIST<br />

„Seid ihr auch solche Bergkurden<br />

oder normale Kurden?“, „Leben in<br />

Tunceli nicht nur PKK-Anhänger?“<br />

Sprüche wie diese muss ich mir<br />

immer öfter anhören. Meine Familie<br />

kommt aus der Provinz Dersim,<br />

heute Tunceli in der Türkei. In<br />

dieser Region leben mehrheitlich<br />

alevitische Kurd:innen. Die Abneigung<br />

der Mehrheit gegenüber<br />

ethnischen und religiösen Minderheiten<br />

in der Türkei ist ein riesiges<br />

Problem. Oftmals musste ich wie<br />

viele andere auch die Erfahrung<br />

machen, dass mein Gegenüber<br />

das Gesicht verzieht, sobald der<br />

Name Tunceli fällt. Denn schließlich<br />

sind wir nicht von „ihnen“,<br />

sondern wir sind „anders“. Doch<br />

nicht nur in der Türkei, sondern<br />

auch innerhalb der türkischen<br />

Community in Wien erlebte ich<br />

ähnliches. Diskriminierungsformen<br />

wie diese sind tief in den Wurzeln<br />

vieler Menschen verankert. Solange<br />

marginalisierte Gruppen innerhalb<br />

einer Gesellschaft aufgrund<br />

ihrer ethnischen Abstammung<br />

oder Religion nach Anerkennung<br />

streben müssen, besteht noch viel<br />

Aufholbedarf für die Türkei und<br />

auch ihre Community auswärts.<br />

Şeyda Gün, Kolumnistin<br />

guen@dasbiber.at<br />

JINA-MAHSA-AMINI-<br />

STRASSE SOLL EIN<br />

VORBILD SEIN<br />

In der Donaustadt soll eine Straße<br />

nach Jina Mahsa Amini benannt<br />

werden. Die kurdische Iranerin ist<br />

vergangenen September in Polizeigewahrsam<br />

gestorben, nachdem<br />

sie von der iranischen Sittenpolizei<br />

festgenommen worden war – weil<br />

sie die islamischen Kleidungsvorschriften<br />

missachtet hatte. Ihr<br />

Tod hat im Iran die schwersten<br />

Proteste seit Jahrzehnten ausgelöst,<br />

Jina wurde zum Gesicht der<br />

Protestbewegung – auch weltweit.<br />

Die SPÖ und NEOS haben jetzt<br />

die Benennung einer Straße im<br />

22. Bezirk in Wien nach Amini<br />

gefordert. Die Resolution wurde<br />

schon eingebracht. Ich wünsche<br />

mir, dass das ein Beispiel für die<br />

Zukunft wird: Wie viele Straßennamen<br />

und Denkmäler es doch<br />

gibt, die man schleunigst umbenennen<br />

sollte. So wurden schon<br />

2013 an die 170 Straßennamen<br />

in Wien wegen ihrer historischen<br />

Vergangenheit als problematisch<br />

eingestuft. Haut doch bitte endlich<br />

die ganzen Antisemiten, Nazis,<br />

Kolonialisten und Rassisten raus.<br />

Und ersetzt die Straßen mit denen,<br />

die für die Ewigkeit in Erinnerung<br />

bleiben sollen, wie Jina.<br />

Aleksandra Tulej, Chefredakteurin<br />

tulej@dasbiber.at<br />

IN ÖSTERREICH ZU<br />

ARBEITEN MUSS<br />

SICH ENDLICH<br />

LOHNEN!<br />

Österreich wird immer älter<br />

– trotz sinkender Arbeitslosenquote<br />

haben zwei von drei<br />

Unternehmen Probleme damit<br />

Personal zu finden. IT, Tourismus,<br />

Gastronomie und Pflege<br />

sind besonders vom Fachkräftemangel<br />

betroffen. Sozialminister<br />

Rauch gab’s bereits zu: „Ohne<br />

qualifizierte Zuwanderung von<br />

außen werden wir nicht auskommen.“<br />

Die Lösung für das Problem<br />

liegt auf der Hand – jedoch<br />

kämpfen gerade Menschen<br />

aus Drittstaaten mit der österreichischen<br />

Bürokratie, wenn<br />

es um Visa, sowie Berufs- und<br />

Hochschulanerkennungen geht,<br />

und landen häufig in schlechter<br />

bezahlten Jobs, die ihren Qualifikationen<br />

nicht entsprechen.<br />

Steuern zahlen und regelmäßig<br />

teuren Papierkram erledigen dürfen<br />

sie – das Wahlrecht, und der<br />

volle Zugang zum Bildungs- und<br />

Sozialsystem bleibt Drittstaatlern<br />

jedoch verwehrt. Wann ist<br />

endlich Schluss mit der Rosinenpickerei?<br />

Nada El-Azar-Chekh, Ressortleitung<br />

Kultur<br />

el-azar@dasbiber.at<br />

© Zoe Opratko<br />

BEWIRB DICH JETZT:<br />

JOURNALISMUS SUMMER SCHOOL<br />

Du bist zwischen 13 und 19 Jahre alt und möchtest in den Sommerferien in die Medienwelt<br />

hineinschnuppern? Du willst lernen, wie man recherchiert, schreibt und Tik-<br />

Toks dreht? Dann bist du bei unserer multimedialen Summer-School richtig!<br />

DAS PROGRAMM DER JOURNALISMUS<br />

SUMMER-SCHOOL VON DER<br />

CHEFREDAKTION<br />

In der multimedialen Summer-School lernst du<br />

Journalismus-Skills von der jüngsten Redaktion<br />

des Landes: die_chefredaktion. In kleinen Klassen<br />

erfährst du, was hinter dem Schlagwort „Medienkompetenz“<br />

steckt und wie du selbst guten Content<br />

für Social-Media machst. Du wirst recherchieren,<br />

schreiben, diskutieren, Videos drehen und in den<br />

Journalismus hineinschnuppern.<br />

LEITUNG DER JOURNALISMUS<br />

SUMMER-SCHOOL<br />

Melisa Erkurt und Anna Jandrisevits<br />

(die_chefredaktion)<br />

DIE TERMINE DER JOURNALISMUS<br />

SUMMER-SCHOOL<br />

Die Summer-School findet in Blöcken im Juli<br />

20<strong>23</strong> in unserer Redaktion in Wien statt. Jede<br />

Woche startet und endet eine Klasse. Du hast also<br />

zwei Terminblöcke zur Auswahl, wann es eben für<br />

dich passt!<br />

Die Unterrichtszeit ist von Montag bis Freitag<br />

jeweils vormittags, von 10 bis 13 Uhr.<br />

TERMINBLÖCKE<br />

ZUR AUSWAHL:<br />

03.-07. Juli 20<strong>23</strong><br />

10.-14. Juli 20<strong>23</strong><br />

DIE KOSTEN UND VORAUSSETZUNGEN<br />

DER JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL<br />

Die Summer-School kostet nichts. Das Angebot gilt<br />

für Schüler*innen ab 13 Jahren (Einverständniserklärung<br />

der Eltern notwendig) bis inkl. 19 Jahren.<br />

Voraussetzungen brauchst du keine erfüllen, Hauptsache<br />

du bist engagiert dabei.<br />

DEIN ZERTIFIKAT VON DER<br />

JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL<br />

Ob Text, Video oder Instagram-Content: Für eine<br />

erfolgreiche Teilnahme gibt es ein Zertifikat.<br />

RÄUMLICHKEITEN BEI DER<br />

JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL<br />

Die Summer-School findet in der Redaktion im<br />

Museumsquartier in Wien (Museumsplatz 1,<br />

1070 Wien) statt.<br />

ANMELDUNG FÜR DIE JOURNALISMUS<br />

SUMMER-SCHOOL<br />

Lust bekommen?<br />

Dann schreib JETZT eine Mail mit Wunschtermin,<br />

Name und deinem Alter an<br />

support@diechefredaktion.at<br />

Für Updates zu möglichen<br />

weiteren Terminen schaut gern<br />

auf unserem Instagram-Kanal vorbei.<br />

WIR FREUEN UNS AUF DICH!<br />

12 / MEINUNGSMACHE MIT SCHARF /


„Erdoğan ist ein Macher!“<br />

Wahlkampf im Zeltlager: Erdoğan versprach einen baldigen Wiederaufbau der<br />

vom Erdbeben zerstörten Gebiete.<br />

Recep Tayyip Erdoğan bekommt eine dritte Amtszeit als Präsident<br />

der Türkei. Auch in Österreich wurde viel gejubelt. Wider<br />

Erwarten hat er gerade aus den türkischen Erdbebengebieten viel<br />

Zuspruch von seiner Wählerschaft erhalten - waren es doch die<br />

Regionen, die mangelnde Hilfe seitens Regierung beklagt hatten.<br />

Ein Lokalaugenschein.<br />

Von Özben Önal, Mitarbeit: Aleksandra Tulej<br />

© Zoe Opratko<br />

© CAN EROK / AFP / picturedesk.com<br />

Sonntag, der 28 Mai: Seit vier Stunden rutsche<br />

ich nervös auf dem Sofa hin und her, während<br />

die Wahlergebnisse im türkischen Fernsehen<br />

immer deutlicher werden. Bis zur letzten Sekunde<br />

hoffte ich auf einen Wendepunkt – jedoch<br />

vergebens, das Ergebnis steht fest. Während die eine Hälfte<br />

der Bevölkerung große Türkei-Fahnen schwenkt und zu<br />

lauter Musik unter buntem Feuerwerk den Sieg von Recep<br />

Tayyip Erdoğan feiert, sitzt die andere Hälfte, zu der auch ich<br />

gehöre, enttäuscht und wütend Zuhause vor den Smartphones,<br />

um Trost zu suchen. Die Ära Erdoğan geht weiter: Er<br />

bleibt nach der knappen Stichwahl Präsident der Türkei und<br />

seine Partei, die AKP, hat die Mehrheit im Parlament. Mit<br />

ihr zusammen sind Abgeordnete der ultranationalistischen<br />

Partei MHP und der islamisch-konservativen HÜDA PAR, die<br />

vor allem für die Orientierung an der Ideologie der Hisbollah<br />

bekannt ist, ins Parlament gewählt worden.<br />

Hupende Autokorsos in Rot und Weiß zogen sich auch<br />

durch die Straßen von Hatay, die noch vor vier Monaten<br />

gefüllt waren mit Menschen, die ihre Existenzen verloren<br />

hatten und verschüttete Angehörige suchten. Die Provinz<br />

Hatay liegt im Süden der Türkei und wurde mitunter am<br />

stärksten von den verheerenden Erdbeben am sechsten<br />

Februar getroffen. Nach offiziellen Angaben starben in der<br />

Türkei insgesamt 50.000 Menschen, davon 20.000 in Hatay.<br />

Vor einigen Wochen wurden die Ergebnisse der ersten Wahl<br />

aus den Erdbebengebieten veröffentlicht – Erdoğan erlangte<br />

eine Mehrheit der Stimmen oder verfehlte diese zumeist nur<br />

knapp. Es wurde lange befürchtet, dass nur wenige Menschen<br />

in die Wahllokale in der Region gehen würden: Von<br />

den rund vier Millionen geflüchteten Menschen haben sich<br />

nur 130.000 am neuen Wohnort für die Wahl gemeldet, der<br />

Rest musste in die Erdbebengebiete zurückreisen, um ihre<br />

Stimme abzugeben. Die Wahllokale wurden provisorisch<br />

in Containern eingerichtet, der Flughafen in Hatay war für<br />

Im Epizentrum des Erdbebens,<br />

Kahramanmaraş entschieden sich<br />

75,8 % der Wähler:innen für eine<br />

weitere Amtszeit des Präsidenten.<br />

ankommende Flüge bis nach den Wahlen geschlossen. Trotz<br />

aller Schwierigkeiten lag die Wahlbeteiligung dort zwischen<br />

80 und 86 Prozent, also nur ein wenig unter dem türkischen<br />

Durchschnitt.<br />

Während die Stimmen für Erdoğan in Hatay mit nur<br />

knapp mehr als der Hälfte bei 50,1 % lagen, sah es in dem<br />

Epizentrum des Erdbebens, Kahramanmaraş, schon ganz<br />

anders aus: 75,8 % der Wähler:innen entschieden sich<br />

für eine weitere Amtszeit des Präsidenten. Auch in dem<br />

betroffenen Gaziantep fielen die Ergebnisse ähnlich aus –<br />

62,7 % der Stimmen gingen an Erdoğan. Zu erwarten war<br />

eine niedrige Erfolgsquote in dem kurdischen Diyarbakir: Die<br />

prokurdische Partei HDP hatte vor den Wahlen sehr deutlich<br />

gemacht, den Oppositionsführer Kılıçdaroğlu zu unterstützen<br />

und so entschieden auch ihre Wähler:innen – nur 28,3 % der<br />

Stimmen konnte Recep Tayyip Erdoğan dort erzielen.<br />

„WÄREN SIE DOCH ALLE VERRECKT“<br />

Die Reaktionen auf den hohen Erdoğan-Zuspruch in den<br />

Erdbebengebieten ließen nicht lange auf sich warten:<br />

Es hagelte hasserfüllte Kritik auf Twitter und anderen<br />

sozialen Medien. Mit Aussagen wie „Wären sie doch alle<br />

verreckt!“ oder „Ich trauere um jeden Cent, den ich gespendet<br />

habe!“ zog sich eine empörte Welle der Wut und der<br />

Abneigung durch Teile der Bevölkerung – vor allem außerhalb<br />

der Städte, die durch das Erbeben verwüstet worden<br />

14 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / 15


Uns begleitet der Geruch<br />

von Lebensmitteln, die<br />

seit drei Monaten auf den<br />

Straßen rumliegen.<br />

Viele sind gezwungen, in<br />

Zelten oder Containern zu<br />

schlafen und davon gibt es<br />

schlichtweg nicht genug.<br />

waren. Auch ich reagierte auf die Wahlergebnisse zunächst<br />

irritiert und enttäuscht, aber die Tweets machten mich fassungslos.<br />

Dass die Spendengelder und Sachgüter nur eine<br />

Tauschleistung im Gegenzug abgegebener Stimmen für die<br />

Opposition waren, war mir nicht bewusst gewesen. Dass<br />

man den Menschen den Tod wünschen würde, auch meinen<br />

Familienangehörigen, weil sie zum Teil nicht wählen konnten,<br />

oder auch aus Zukunfts- und Existenzängsten ihre Stimmen<br />

jener Regierung gaben, die ihnen primär finanzielle Unterstützung<br />

versprach, auch nicht. Aber wagen wir erst mal<br />

einen Rückblick:<br />

Drei Monate verfolgte ich über die sozialen Medien und<br />

türkische Nachrichten, wie die Heimatstadt meiner Eltern –<br />

mein zweites Zuhause – zugrunde ging und in Schutt und<br />

Asche verschwand. Tagelang blieb ich vor dem Fernseher<br />

sitzen und wartete auf Anrufe meiner Verwandten und<br />

Bekannten. Einige kamen durch, andere wiederum nie. Insgesamt<br />

elf Provinzen in der Türkei und den kurdischen Regionen<br />

waren betroffen, auch Teile Syriens wurden verwüstet.<br />

Nach einigen Wochen war die Berichterstattung abgeflaut,<br />

die Regionen wurden fast nicht mehr thematisiert, der neue<br />

Alltag der Menschen dort ging und geht aber weiter. Wir<br />

wollten uns und euch mit eigenen Augen ein Bild von der<br />

Lage machen. Mit einem flauen Magen und Verunsicherung<br />

setzte ich mich also Ende April gemeinsam mit meiner Kollegin<br />

Aleksandra Tulej in den Flieger und bereitete mich auf<br />

den Anblick des zerstörten Stadtzentrums vor.<br />

Als mein Cousin Mustafa uns vom Flughafen in Adana<br />

abholt und wir uns auf die vierstündige Autofahrt machen,<br />

ist es bereits Nacht. Durch die Dunkelheit lassen sich nur die<br />

Fassaden der schwer beschädigten Reihenhäuser erkennen,<br />

die noch vor ein paar Monaten von Familien bewohnt<br />

waren. Die Bilder der Trümmer kannte ich schon von Social<br />

Media und aus dem Fernsehen, was man allerdings nicht<br />

auf Bild und Ton transportieren kann, ist der Geruch, der uns<br />

die ganze Zeit über begleitet – der Geruch von Lebensmitteln,<br />

die seit drei Monaten nicht im Kühlschrank waren und<br />

seitdem auf den Straßen rumliegen. Die Kühlketten in den<br />

Supermärkten und Privathaushalten wurden unterbrochen,<br />

die Katzen essen das vergammelte Fleisch, das auf den Straßen<br />

liegt, überall wirbelt Staub auf – aber wir gehen immer<br />

tiefer in die Stadt hinein, sprachlos und eingeschüchtert.<br />

Auf den Straßen patrouilliert das Militär, da die Wohnungen,<br />

die noch stehen, nach wie vor geplündert werden. Antakya<br />

ist eine Geisterstadt: Ein Leben existiert hier nicht mehr, nur<br />

noch Gerüste und Schatten dessen, was die Stadt einmal<br />

war. In den Häusern stehen immer noch umgekippte Möbel,<br />

Teller auf den Tischen und Vorhänge flattern im Fenster –<br />

Unterwegs in Antakya:<br />

Die Folgen des Bebens sind noch sehr präsent.<br />

alles so, wie es vor drei Monaten zurückgelassen wurde.<br />

Ich stehe nun also das erste Mal wieder in der Straße, in<br />

der ich viele Jahre meiner Kindheit und Jugend verbracht<br />

habe. Das Haus meiner Familie ist nicht mehr aufzufinden,<br />

lediglich Trümmer über Trümmer füllen das Stadtviertel im<br />

Zentrum der Hauptstadt Antakya. Kein Restaurant, keine Bar,<br />

kein Café steht mehr dort, wo es einmal war.<br />

Mein Cousin führt uns durch die Gassen, die nicht wiederzuerkennen<br />

sind – auch er hat seine Wohnung verloren<br />

und kommt bei Verwandten unter – diese Lösung war<br />

temporär gedacht, aber heute, vier Monate nach dem Beben,<br />

ist immer noch keine langfristige Alternative in Sicht. Aber<br />

Mustafa steckt in einer vergleichsweise guten Situation, wie<br />

er uns erzählt. Nicht alle können bei Verwandten unterkommen:<br />

Etwa 250.000 Menschen in der Region leben in Zeltund<br />

Containercamps.<br />

© Aleksandra Tulej<br />

© Aleksandra Tulej<br />

Etwa 250.000 Menschen in der Region<br />

leben in Zelt- und Containercamps.<br />

DIE ZUSTÄNDE IN DEN CAMPS<br />

VON HATAY WERDEN IMMER<br />

UNERTRÄGLICHER<br />

Das Devrent Zeltcamp ist eines davon. Es befindet sich in<br />

der Stadt Yayladağı in Hatay, etwa fünf Kilometer von der<br />

syrischen Grenze entfernt. Die nummerierten Zelte reihen<br />

sich in einem Waldstück abseits des Stadtzentrums aneinander.<br />

Zwischen den Bäumen sind Seile befestigt, an denen<br />

Wäsche hängt. Durch den Schutt, der täglich von Tausenden<br />

Lastwagen davongetragen wird, ziehen Staubwolken durch<br />

die gesamte Region, der auch an der frisch gewaschenen<br />

Kleidung haftet. Mit jedem Atemzug ziehen wir diesen Staub<br />

direkt in unsere Lungen und müssen bereits nach einigen<br />

Stunden ständig husten. Diesen Zuständen sind seit Monaten<br />

Nilüfer und ihre Familie ausgesetzt. Da der Boden in<br />

Yayladağı, im Gegensatz zu dem Rest von Hatay, sehr stabil<br />

ist, gab es hier kaum eingestürzte Gebäude. Deshalb sind<br />

etwa 85.000 Menschen aus Antakya hierher geflüchtet und<br />

wohnen seitdem bei Verwandten oder in einem der Camps.<br />

„Meine Kinder schlafen quasi aufeinander. Wir können im<br />

Zelt kaum atmen und die Luft draußen wird immer schlimmer“,<br />

erzählt Nilüfer. „Wir wären schon dankbar dafür, endlich<br />

einen Container zugewiesen zu bekommen, aber auch<br />

das passiert nicht.“ In der gesamten Region werden vermehrt<br />

Containercamps errichtet, doch diese reichen längst<br />

nicht für alle. Der Staat weist die begrenzten Container zu.<br />

Den Vorrang haben alte und kranke Menschen sowie Personen<br />

mit Behinderungen. Tagsüber sind die heißen Sommertemperaturen<br />

mittlerweile deutlich zu spüren und die Hitze<br />

macht das Schlafen in den Zelten immer unerträglicher. Die<br />

wütende Stimmung unter den Bewohner:innen des Camps<br />

ist zu spüren. Auch die Hygiene wird mit dem kommenden<br />

Sommer zu einem immer größeren Problem – denn es gibt<br />

nur Gemeinschaftsduschen und auch sanitäre Anlagen sind<br />

noch immer begrenzt.<br />

ÜBERALL HERRSCHT<br />

KOORDINATIONS-CHAOS<br />

Im Container Camp in Antakya ist die Lage ebenfalls schwierig.<br />

Nursena, eine freiwillige Psychiaterin, empfängt uns<br />

am Eingang des Camps, denn der Zutritt ist für Unbefugte<br />

normalerweise verboten. Wir geben unsere Ausweise den<br />

Polizisten, die den Eingang bewachen, und dürfen Nursena<br />

in einen der vielen Container begleiten. Wir setzen uns an<br />

ihren Schreibtisch, die Luft ist stickig und heiß. „Wir haben<br />

in keinem der Container Klimaanlagen, ich weiß nicht, wie<br />

die Menschen es hier im Sommer aushalten sollen“, erklärt<br />

sie, während sie türkischen Kaffee für uns kocht. Auch sie<br />

beklagt die Zustände der Camps und bangt um dauerhafte<br />

Lösungen. „In diesem Containercamp leben ungefähr 3000<br />

Menschen aus der Region und das sind vergleichsweise noch<br />

die Glücklichen. Aber das geht so nicht mehr lange weiter, wir<br />

kriegen die Schulklassen nicht koordiniert, weil die Kinder mal<br />

kommen und mal nicht. Es wechseln aber auch ständig die<br />

Lehrer:innen, also kann ich das den Kindern auch nicht nachtragen.<br />

Wir brauchen außerdem viel mehr Gesundheitspersonal.<br />

Aktuell sind wir als Psychiaterinnen zu dritt hier im Camp.<br />

Könnt ihr euch vorstellen, wie viele Termine wir pro Tag<br />

annehmen?“ Der konstante Wechsel von Psychiater:innen,<br />

Lehrer:innen und dem Gesundheitspersonal liegt vor allem<br />

an den schwierigen Lebensbedingungen vor Ort. Denn viele<br />

von ihnen, die nicht bei Bekannten oder Verwandten unterkommen<br />

können, sind ebenfalls gezwungen, in Zelten oder<br />

Containern zu schlafen und davon gibt es schlichtweg nicht<br />

genug. Unter diesen Umständen leiden nicht nur die durch<br />

das Erdbeben traumatisierten Menschen, die ständig mit<br />

wechselnden Bezugspersonen konfrontiert werden. Auch<br />

die Bildung der Kinder in den Camps leidet unter den sich<br />

ändernden Lehrpersonen stark. Die meisten Lehrer:innen,<br />

denen es möglich war, sind aus Hatay geflohen, so wie viele<br />

andere Menschen auch. Dadurch fehlen vor allem in der<br />

Region Lehrpersonen. Zur Zeit befinden sich in den Erdbebenregionen<br />

etwa 3,5 Millionen Kinder und Jugendliche, die<br />

schulpflichtig sind. Die aktuelle Lage ist eine enorme Herausforderung<br />

für das Bildungsministerium, noch immer fehlen<br />

Perspektiven. Die fehlen nicht nur den Menschen in den<br />

Lagern – die Perspektivlosigkeit zieht sich als Thema wie ein<br />

roter Faden durch den gesamten Wahlkampf und bleibt auch<br />

jetzt, nachdem die Wahl entschieden ist.<br />

16 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / 17


???<br />

Auf dem Friedhof in Antakya liegen etwa 5000<br />

Erdbebenopfer - viele von ihnen sind noch nicht identifiziert.<br />

DIE SEHNSUCHT NACH STABILITÄT<br />

„So sehr ich mir auch wünschte, das Wahlergebnis sähe<br />

anders aus, als es ist, kann ich die Menschen, die in Containern<br />

und Zelten noch immer um den Verlust ihrer Angehörigen<br />

trauern und sich um ihre Zukunft sorgen und deshalb<br />

Erdoğan wählen, verstehen“, erzählt mir Sümbül Sümbültepe.<br />

Er ist Künstler aus Hatay und lebt seit vier Jahren mit<br />

seiner Familie in Wien. Bei dem Erdbeben verlor er viele<br />

seiner engsten Verwandten. Er flog am zweiten Tag hin und<br />

half tagelang, die Leichen seiner verstorbenen Familienmitglieder<br />

zu bergen. „Einige meiner Bekannten arbeiten<br />

in Container- und Zeltcamps. Vor den Wahlen besuchten<br />

Regierungsmitglieder die Lager und versprachen ihnen<br />

Häuser und finanzielle Hilfe. Wenn ich mich in diese Menschen<br />

hineinversetze, kann ich nachvollziehen, dass sie sich<br />

vor allem nach Stabilität sehnen. Überlegen sie doch mal:<br />

Innerhalb von Sekunden verlieren sie ihre Wohnung, ihre<br />

nächsten Verwandten, ihre gesamte Existenz und finden sich<br />

plötzlich in einem Zelt wieder. Natürlich ist ihr sehnlichster<br />

Wunsch, so schnell wie möglich in ein halbwegs normales<br />

Leben zurückkehren zu können. Sie müssen auf die Versprechen<br />

vertrauen, die ihnen gemacht werden, ihr Leben<br />

hängt davon ab, deshalb hinterfragen viele diese Propaganda<br />

nicht.“ Tatsächlich war eines der Hauptthemen während der<br />

Wahlkampagnen der Wiederaufbau der Erdbebenregionen.<br />

Erdoğan versprach in seinen Reden immer wieder, innerhalb<br />

von einem Jahr Antakya und andere verwüstete Städte neu<br />

zu bauen. Im Zentrum von Antakya werden nach vier Monaten<br />

immer noch Trümmer weggeräumt, Hunderte schwer<br />

beschädigte Gebäude müssen noch abgerissen werden, sie<br />

sind nicht mehr bewohnbar. Auch wenn die Arbeiten im vollen<br />

Gange sind, versinkt die Stadt noch immer im Chaos und<br />

ein Ende ist nicht in Sicht. Aus der Hauptstadt flohen etwa<br />

700.000 Menschen, die Stadt wurde komplett zerstört. Die<br />

Menschen sind dabei, ihre Existenzen von neu an aufzubauen,<br />

und hoffen dabei auf Unterstützung seitens der Regierung.<br />

Für viele hier wird es allerdings gar keine Zukunft mehr<br />

geben: Auf dem eigens errichteten Friedhof der Namenlosen<br />

in Antakya sind etwa 5000 Menschen begraben worden –<br />

allesamt Opfer des Erdbebens, zum Teil liegen ganze Familien<br />

hier. Die Toten werden erst nach und nach identifiziert,<br />

viele von ihnen bleiben namenlos, da niemand mehr lebt, der<br />

sie identifizieren könnte. Auf allen Gräbern prangt dasselbe<br />

Todesdatum: der 6.2.20<strong>23</strong>.<br />

DIE VERSPRECHUNGEN ZU EINEM<br />

SCHNELLEN WIEDERAUFBAU<br />

Im Rathaus von Yayladağı treffen wir den Bürgermeister<br />

Mehmet Yalçın, er ist Mitglied der Regierungspartei. Wir<br />

werden in seinem Büro empfangen, sein pompöser Schreibtisch<br />

ist verziert mit goldenen Details, die an kitschige<br />

Szenen des osmanischen Reichs erinnern. Dahinter auf<br />

der linken Seite hängt an der Wand ein großes Porträt des<br />

Präsidenten. Rechts von ihm hängt ein noch größeres Bild<br />

von Mustafa Kemal Atatürk – zwischen ihnen eine große<br />

Türkei-Fahne. „Wir planen innerhalb der ersten anderthalb<br />

Jahre alle Bauten hier in Yayladağı fertigzustellen, sodass die<br />

Menschen danach in die Häuser ziehen können. Im Zentrum<br />

von Antakya darf auf vielen Flächen in der Nähe der<br />

Verwerfungslinie nicht gebaut werden, stattdessen sollen<br />

diese mit Grünflächen umsäumt werden. Und wie unser<br />

Präsident bereits sagte, es darf nicht mehr als Erdgeschoss<br />

plus drei Stockwerke gebaut werden. Der Bebauungsplan<br />

für Yayladağı liegt bei zwei Etagen im Neubaugebiet.“ Die<br />

Regierung plant zwar eine schnelle Umsetzung des Wiederaufbaus,<br />

diese erscheint unter den aktuellen Bedingungen<br />

allerdings sehr unrealistisch. Die Menschen sind verängstigt<br />

und ringen mit Existenz- und Zukunftsängsten. Das Einzige,<br />

das ihnen bleibt, ist die Hoffnung darauf, dass die Regierung<br />

ihre Versprechen auch nach dem erlangten Sieg hält.<br />

ENTTÄUSCHUNG, WUT UND<br />

UNVERSTÄNDNIS<br />

Die Stimmung in den Regionen ist politisch enorm gespalten,<br />

so wie in den restlichen Teilen der Türkei auch. „In der ersten<br />

Nacht haben sie bis in den Morgen hinein gefeiert und sich<br />

gefreut. Die Menschen, die noch vor einigen Monaten ihre<br />

engsten Verwandten verloren, haben sich in dieser Nacht<br />

grölend mit Fahnen in der Hand versammelt und den Sieg<br />

von Erdoğan gefeiert, als sei ein Fußballspiel gewonnen<br />

worden. Ich kann das einfach nicht verstehen“, erzählt mir<br />

Hatice am Telefon. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn<br />

© Aleksandra Tulej<br />

© Aleksandra Tulej<br />

Im Zentrum von Antakya werden<br />

nach vier Monaten immer noch<br />

Trümmer weggeräumt.<br />

in Yayladağı. Auch sie hat, wie fast alle Menschen in Hatay,<br />

Familienmitglieder und Freund:innen verloren, die Reaktionen<br />

auf den Wahlsieg machen sie wütend. „Trotzdem frage ich<br />

mich auch, ob man ihnen das überhaupt vorwerfen kann.<br />

Die Propaganda, die die Regierung jetzt schon seit Jahren<br />

betreibt, hat eine Mentalität geschaffen, in der Erdoğan wie<br />

ein Vater gesehen wird. Es gibt sogar Menschen, die sagen,<br />

dass sie auch dann noch dankbar wären, wenn sie nur<br />

noch trockenes Brot zu essen hätten, Hauptsache ihr Reis<br />

(Türkisch für Obmann) bleibt. Wir hatten so viel Hoffnung,<br />

dass sich endlich etwas ändert, aber vielleicht verdienen<br />

wir es als Volk auch, so geführt zu werden, schließlich war<br />

es unsere Entscheidung.“ Enttäuschung und Unverständnis<br />

herrscht zwischen jenen, die sich mit dem Oppositionsführer<br />

Kemal Kılıçdaroğlu nach 20 Jahren AKP-Regierung eine<br />

Veränderung und Rückkehr in politische Entscheidungsmacht<br />

erhofft hatten. 2018 hatte Erdoğan eine Verfassungsreform<br />

durchgesetzt, um Präsident werden zu können. Sümbül gibt<br />

der Regierung die Schuld an der immer stärker werdenden<br />

Polarisierung der türkischen Gesellschaft. „Die Türkei entwickelt<br />

sich immer weiter zurück, am meisten hat die Bildung<br />

darunter zu leiden. Und das ist auch die Politik der AKP – sie<br />

wollen ein ungebildetes Volk, das keine Entscheidung, kein<br />

Versagen hinterfragt und ihnen blind gehorcht. Und alle, die<br />

das nicht tun, stempeln sie als Staatsfeinde oder Terroristen<br />

ab und hetzen die Menschen noch mehr gegeneinander auf.“<br />

„ERDOĞAN IST EIN MACHER!“<br />

Aber das sehen nicht alle aus der Region so – der Präsident<br />

stößt noch bei vielen Menschen auf Zuspruch: „Als Erdoğan<br />

nach dem Erdbeben versprach, das eingestürzte Krankenhaus<br />

hier in Defne, einem Stadtteil von Hatay, innerhalb von<br />

zwei Monaten neu zu errichten, hat sich die Opposition nur<br />

darüber lustig gemacht. Sie haben ihn nicht ernst genommen.<br />

Aber er hat sein Versprechen gehalten, obwohl er hier<br />

normalerweise sehr wenig Stimmen bekommt. Das Krankenhaus<br />

ist wieder funktionsfähig. Er hat bisher alle Projekte<br />

realisiert, die geplant waren. Bevor die Opposition Erdoğan<br />

kritisiert, sollte sie sich vielleicht fragen, warum sie nicht<br />

genug Stimmen bekommt. Wir können ihnen nicht vertrauen,<br />

sie sehen uns sowieso als ungebildet und minderwertig<br />

an. Erdoğan hingegen ist ein Macher, er tut, was er sagt“,<br />

erklärt Yusuf. Auch er wohnt in einer Kleinstadt in Hatay mit<br />

seiner Familie und hofft auf einen schnellen Wiederaufbau<br />

seiner Heimat. „Als die Menschen mit Hassnachrichten und<br />

Drohungen auf die Wahlergebnisse reagiert haben, waren<br />

wir unglaublich verletzt.“ Er glaubt, diese Reaktionen hätten<br />

zusätzlich dazu beigetragen, dass Menschen aus den Erdbebenregionen<br />

aus Trotz Erdoğan wählten.<br />

Denn Erdoğan versprach nicht nur allen Eigentümer:innen<br />

Özben auf den Trümmern des Hauses,<br />

in dem sie aufgewachsen ist.<br />

eine Wohnung, die zu 60 % von der Regierung finanziert<br />

werden soll, sondern auch konkrete Bebauungspläne, um<br />

eine Zukunft in Hatay zu sichern. Die Menschen aus Hatay<br />

sind sehr verbunden mit ihrer Heimatstadt, viele der Geflüchteten<br />

hoffen auf eine baldige Rückkehr. Einzelne Lokale<br />

und kleine Geschäfte, die bei dem Erdbeben nicht zerstört<br />

worden waren, haben wieder geöffnet, die Bevölkerung<br />

vor Ort versucht, mit aller Kraft in einen normalen Alltag<br />

zurückzukehren. Ob die Bebauung tatsächlich innerhalb der<br />

geplanten Zeitspanne umgesetzt wird, lässt sich wohl erst<br />

nach dem Abriss der restlichen leerstehenden Gebäude<br />

abschätzen. Nach dem Erdbeben machte sich bei der türkischen<br />

Bevölkerung ein kollektives Gefühl der Trauer, Einigkeit<br />

und des Zusammenhaltes breit – doch das wich schnell dem<br />

Misstrauen, der Spaltung und der geflüsterten Regierungskritik.<br />

Wird die „neue“ Ära Erdoğan tatsächlich Veränderungen<br />

mit sich bringen? Den Hataylis (Selbstbezeichnung der<br />

Menschen, die aus Hatay kommen) bleibt vorerst nur die<br />

Hoffnung. ●<br />

Hier könnt ihr<br />

unsere Videoreportage<br />

aus<br />

Hatay sehen.<br />

18 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / 19


Herr Hanke, wie oft<br />

haben Sie sich über<br />

die „Klimakleber“<br />

geärgert?<br />

Wie viele<br />

Stunden<br />

arbeiten Sie<br />

pro Woche?<br />

Wie viele<br />

Stunden<br />

pro Woche<br />

verbringen Sie<br />

im Rathaus?<br />

Wie oft in der<br />

Woche denken<br />

Sie: „Ich arbeite<br />

zu viel“?<br />

Wie oft in der<br />

Woche denkt<br />

Ihre Frau, dass<br />

Sie zu viel<br />

arbeiten?<br />

In wie vielen<br />

Bezirken<br />

Wiens haben<br />

Sie schon<br />

gewohnt?<br />

Welcher ist<br />

Ihr Wiener<br />

Lieblingsbezirk?<br />

Wie oft im<br />

Jahr gehen Sie<br />

segeln?<br />

Wie oft pro<br />

Woche spielen<br />

Sie Padel-<br />

Tennis?<br />

Interview in Zahlen: In der Politik<br />

wird schon genug geredet.<br />

Biber fragt in Worten, SPÖ-<br />

Finanzstadtrat Peter Hanke<br />

antwortet mit einer Zahl.<br />

70<br />

50<br />

4<br />

7<br />

3<br />

10.<br />

3<br />

1<br />

Von Simon Kravagna und Aleksandra Tulej,<br />

Fotos: Zoe Opratko<br />

Wiens Finanz- und Wirtschaftsstadtrat hat nie<br />

„Das Kapital“ von Karl Marx gelesen.<br />

Viermal in der Woche denkt der gebürtige Favoritner:<br />

„Ich arbeite zu viel.“<br />

Zwei Politiker:innen in der SPÖ gehen dem studierten<br />

Betriebswirt auf die Nerven.<br />

Der 59-Jährige hat in seinem Leben<br />

immer nur eine Partei gewählt.<br />

Wie oft pro Tag<br />

schauen Sie auf<br />

TikTok?<br />

Wie oft pro Tag<br />

schauen Sie auf<br />

Instagram?<br />

Wie viele<br />

Parteien haben<br />

Sie in Ihrem<br />

Leben bereits<br />

gewählt?<br />

Auf einer Skala<br />

von 0 bis 100:<br />

Wie viele Meter<br />

links von der<br />

Mitte stehen<br />

Sie politisch?<br />

Wie oft haben<br />

Sie „Das<br />

Kapital“ von<br />

Karl Marx<br />

gelesen?<br />

Wie viele<br />

namhafte<br />

Politiker:innen<br />

in der SPÖ<br />

gehen Ihnen auf<br />

die Nerven?<br />

Wie oft<br />

haben Sie<br />

sich über die<br />

„Klimakleber“<br />

geärgert?<br />

Wie viel<br />

Schulden (in<br />

Mrd. €) hat die<br />

Stadt Wien?<br />

Wie viele<br />

Millionen €<br />

Schulden hat<br />

die Stadt Wien<br />

letztes Jahr<br />

getilgt?<br />

Wann fährt die<br />

U2 wieder vom<br />

Karlsplatz weg?<br />

0<br />

4<br />

1<br />

20<br />

0<br />

2<br />

20<br />

8,8<br />

245<br />

2024<br />

(Herbst)<br />

20 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / 21


Bevor sie ihrer Heimat den Rücken kehrte, wurde sie drei<br />

Mal verhaftet: Lolja Nordic ist eine der bekanntesten<br />

Feministinnen Russlands. Nun lebt sie in Wien und betreibt<br />

weiterhin Antikriegsaktivismus aus dem Ausland. Die<br />

Künstlerin und DJ aus Sankt Petersburg im Porträt.<br />

Von Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Atila Vadoc<br />

AKTIVISMUS<br />

AUS DEM EXIL<br />

Es sprach sich herum, dass die Polizei einige<br />

bekannte Leute aus der aktivistischen Szene<br />

verhaften wird. Ich verwendete mein Handy<br />

außerhalb meiner Wohnung, damit man meinen<br />

genauen Standort nicht ermitteln konnte. Solche<br />

Gerüchte bewahrheiten sich leider fast immer, deshalb<br />

musste ich meine Ausreise planen“, erinnert sich Lolja<br />

Nordic.<br />

Die queerfeministische Antikriegsaktivistin und Künstlerin<br />

ist in ihrer Heimat Russland bereits drei Mal verhaftet<br />

worden, bevor sie im März 2022 beschloss, das Land zu<br />

verlassen. Als Teil der Organisation „Feminist Anti-War<br />

Resistance“ geriet sie schnell auf das Radar der russischen<br />

Behörden, weil sie über den Krieg in der Ukraine aufklärte:<br />

Unter anderem verbreitete sie die fiktive Zeitung „Zhenskaya<br />

Pravda“ (dt. „Die weibliche Wahrheit / Realität“), die im PDF-<br />

Format zum Download frei verfügbar ist und selbst gedruckt<br />

werden kann. Darin befinden sich Informationen über den<br />

Krieg sowie Fotos von zerstörten ukrainischen Städten.<br />

Mithilfe einer Menschenrechtsorganisation gelang Lolja<br />

die Flucht aus Russland. Seit Herbst 2022 lebt sie nun in<br />

Wien, wo sie an der Akademie der Bildenden Künste studiert.<br />

BEKANNTES GESICHT DER<br />

AKTIVISTISCHEN SZENE<br />

Bis zu ihrer Ausreise dachte Lolja, dass sie als prominente<br />

Aktivistin leicht an ein humanitäres Visum in Europa kommen<br />

würde. Doch durch die Reisebeschränkungen für russische<br />

Staatsangehörige musste sie erfinderisch werden. „Ich bin<br />

durch Zufall in Wien gelandet, weil ich an der Akademie<br />

aufgenommen wurde und so ein Student:innenvisum bekam.<br />

Für mich ist es eine Ausnahmesituation, einfach in ein Land<br />

zu gehen, nur weil ich mich dort aufhalten darf – ohne<br />

Gewissheit, ohne Geld, ohne die Sprache zu sprechen.“<br />

Zuvor hatte Lolja in Estland und Litauen ein halbes Jahr<br />

lang ukrainische Flüchtlinge unterstützt und feministische<br />

Aktionen aus dem Exil koordiniert – das macht sie auch heute<br />

noch, jetzt eben von Wien aus.<br />

Bereits vor Beginn der großflächigen Invasion Russlands<br />

in die Ukraine war Lolja ein bekanntes Gesicht der aktivistischen<br />

Szene. Ihre Anfänge finden sich vor mehr als sechs<br />

Jahren, als sie begann, an politischen Demonstrationen<br />

teilzunehmen. „Zu Beginn war ich mehr eine Zivilrechtsaktivistin,<br />

nahm an Oppositionsdemos teil und kämpfte für<br />

einen besseren Umweltschutz. Sehr bald wurde ich eine<br />

feministische Aktivistin, da ich nicht nur in meinem Privatleben<br />

mit Sexismus zu kämpfen hatte, sondern auch in der<br />

aktivistischen Szene innerhalb der russischen Opposition“,<br />

so die Aktivistin. Sie trat Lesekreisen bei und informierte sich<br />

in feministischen Klubs über Frauenrechte. „Ich wurde in der<br />

feministischen Szene in Sankt Petersburg und Moskau aktiv,<br />

bin viel herumgereist und habe viele Freund:innen gefunden.<br />

Als Video- und Performancekünstlerin habe ich politische<br />

Themen in meine Praxis aufgenommen. Bis zur Corona-<br />

Pandemie und dem Krieg habe ich auch als DJ regelmäßig<br />

queere, feministische und Safer-Space-Partys organisiert.<br />

Besonders bekannt ist Lolja als Co-Gründerin des gemeinnützigen<br />

Musikfestivals „Ne Vinovata“ („Nicht ihre Schuld“),<br />

das per DIY-Prinzip in jeder beliebigen Stadt selbst organisiert<br />

werden kann und auf häusliche Gewalt aufmerksam<br />

macht, die auch in Russland ein weit verbreitetes Problem<br />

ist. Lolja hat selbst in ihrer Familie Gewalt erlebt und wenig<br />

Unterstützung dagegen erfahren, woraufhin sie den Kontakt<br />

zur Familie abbrach.<br />

PROPAGANDA UND KRIEGSLUST<br />

Das letzte Mal, dass Lolja Kontakt mit ihrer Familie hatte,<br />

war im Jahr 2021, nachdem es bei ihren Eltern zu einer<br />

Hausdurchsuchung aufgrund ihrer Aktivitäten gekommen<br />

war. „Meine Familie unterstützte meinen Aktivismus eigentlich<br />

nie, obwohl sie früher sogar recht liberal war. Ich würde<br />

sagen, dass sich meine Familie über die letzten 20 Jahre<br />

sehr verändert hat und immer konservativer geworden ist,<br />

gemeinsam mit dem Regime unter Putin“, erklärt die Russin.<br />

In ihren Augen ist ihre Familie ein gutes Beispiel dafür, wie<br />

sich die Staatspropaganda auf die Bevölkerung auswirkt. „Sie<br />

22 / POLITIKA | WIEN /<br />

/ POLITIKA | WIEN / <strong>23</strong>


„Die russische Opposition<br />

ist eine sehr vielfältige,<br />

heterogene Szene.“<br />

WAS GIBT’S NEUES AM BALKAN?<br />

Von Dennis Miskić<br />

sind überzeugt von den traditionellen Werten, die propagiert<br />

werden, also sehr Anti-LGBTQ und Anti-Feminismus. Sie<br />

unterstützten die Annexion der Krim 2014 und begrüßen die<br />

fortschreitende Militarisierung Russlands seither.“<br />

Lolja wurde zum ersten Mal im Jahr 2021 bei einer<br />

sogenannten „Navalny“-Demonstration verhaftet. „Ich mag<br />

den Begriff Navalny-Demo eigentlich nicht. Die russische<br />

Opposition ist nämlich eine sehr vielfältige, heterogene<br />

Szene und besteht bei Weitem nicht nur aus Alexey Navalnys<br />

Unterstützer:innen. In den Medien wird das aber oft verkürzt<br />

dargestellt.“ Dem Oppositionspolitiker selbst steht sie mit<br />

gemischten Gefühlen gegenüber. „Ich finde, Navalny ist zu<br />

liberal und ich betrachte seine politische Vergangenheit in<br />

der rechtsextremen Szene sehr kritisch. Gleichzeitig schätze<br />

ich die Recherchen über die Korruption in Russland aus<br />

seinem Team sehr und bin gegen seine Inhaftierung.“ Sie<br />

trat gegen die Verfolgung politischer Gegner auf die Straße<br />

und kann sich gut an ihre erste Verhaftung erinnern. „Ich<br />

saß mit vielen anderen Demonstrant:innen in einem großen<br />

Polizeiwagen und sammelte gleich alle Namen, um sie an<br />

Menschenrechtsorganisationen zu schicken, die kostenlos<br />

Anwält:innen zur Verfügung stellen. Die Polizei belügt dich<br />

und übt psychischen Druck auf dich aus, damit du das tust,<br />

was sie von dir will. Einige andere und ich weigerten uns,<br />

Dokumente zu unterschreiben, also steckte man uns zur<br />

Strafe in eine Zelle in der Polizeistation, wo Beamt:innen uns<br />

anschrien, bedrohten und uns den Zugang zu Toiletten und<br />

Wasser verwehrten.“ Am Tag darauf wurde Lolja vor Gericht<br />

zu einer Geldstrafe verurteilt. „Einige Monate zuvor wurde<br />

die Wohnung meiner Eltern von der Polizei durchsucht, sie<br />

waren auf der Suche nach mir, also hatte man mich schon<br />

einige Monate vor der Verhaftung auf dem Schirm. Als ich<br />

das Gericht verließ, war ich erleichtert, dass es nur zu einer<br />

Geldstrafe gekommen war. Es gibt Spendenaktionen für<br />

Aktivist:innen, die in solchen Fällen helfen, dass man Bußgelder<br />

nicht aus eigener Tasche zahlen muss. Gleich vor dem<br />

Gericht wurde ich jedoch erneut verhaftet – zum zweiten Mal<br />

innerhalb von 24 Stunden – da ich einige Monate zuvor eine<br />

friedliche Protestaktion für politische Gefangene organisiert<br />

hatte, bei der damals niemand verhaftet wurde.“<br />

HOFFNUNG AUF RÜCKKEHR<br />

Im November 2021 wurde Lolja nach einer Straßenaktion<br />

gegen Gewalt an Frauen zum dritten Mal verhaftet. „Zwei<br />

Tage lang waren wir in einer Zelle auf der Polizeistation, die<br />

voller Blut gewesen ist, weil dort jemand vermöbelt worden<br />

war. Wir waren insgesamt vier Frauen und fühlten uns<br />

dort unwohl – man sagte uns, wenn wir es sauberer haben<br />

Am meisten kämpft Lolja in Wien mit dem Zeitmanagement<br />

zwischen Studium und Aktivismus.<br />

wollten, sollten wir mit unserer Kleidung selber putzen.“ Die<br />

feministische Bewegung in Russland habe über die letzten<br />

zehn Jahre stark an Zuwachs gewonnen, erzählt sie. „Ich<br />

glaube, unsere Stärke liegt darin, dass wir auf einer Grassroots-Ebene<br />

überall und ohne Hierarchien Aktivismus betreiben<br />

können und uns flexibel organisieren können.“ Neben<br />

ihrem Studium an der Akademie versucht sie, möglichst viel<br />

Zeit in den Aktivismus zu investieren, und machte sich auch<br />

mit der hiesigen Szene bekannt. Die Zukunft sieht ungewiss<br />

aus – Lolja gibt die Hoffnung nicht auf, eines Tages in ihre<br />

Heimatstadt Sankt Petersburg zurückkehren zu können.<br />

Einstweilen muss sie sich auf das Studium konzentrieren, da<br />

ihr Aufenthalt davon abhängt.<br />

„Ich möchte betonen, dass ich eine von sehr vielen bin.<br />

Natürlich protestieren eine Menge Leute in Russland nicht,<br />

weil es in einem autoritären Regime wirklich furchteinflößende<br />

Konsequenzen geben kann – du kannst deinen Job und<br />

einfach alles verlieren, wegen eines bloßen Tweets gegen<br />

den Krieg. Ich kenne so viele Aktivist:innen, die genau wie<br />

ich mehrmals verhaftet wurden und das Land verlassen<br />

mussten. Und ich kenne auch solche, die noch öfter verhaftet<br />

wurden und nicht gegangen sind.“ Schätzungen zufolge<br />

sollen bereits über 900.000 Russ:innen seit Februar 2022<br />

ihre Heimat verlassen haben. ●<br />

© Zoe Opratko<br />

SERBIEN, SCHULE UND WAFFEN<br />

Wenn ein 13-jähriger Schüler neun seiner Mitschüler<br />

und den Schulwart erschießt, wird klar,<br />

dass etwas Grundlegendes am System geändert<br />

werden muss. Als dann aber auch am Tag<br />

darauf ein 21-Jähriger nahe Belgrad weitere<br />

acht Menschen erschoss, musste Serbien der<br />

Realität tief ins Auge blicken.<br />

Und die Realität zeigt sich in diesem Fall in<br />

der Erkenntnis, dass die serbische Gesellschaft<br />

an der Wurzel infiziert ist – infiziert mit einer<br />

Kultur der Gewalt. Diese Erkenntnis kommt<br />

aber leider zu spät.<br />

Kolumnist Dennis Miskić<br />

hat seinen Auslandsdienst<br />

in Srebrenica<br />

geleistet und engagiert<br />

sich in verschiedenen<br />

NGOs zum Thema Westbalkan<br />

und Migrationspolitik.<br />

In seiner Kolumne<br />

hält er euch über Politisches<br />

& Kulturelles vom<br />

Balkan am Laufenden.<br />

Schon vor drei Jahren betrat<br />

ein Mann eine Schule mit einem<br />

Sturmgewehr und über 700 Kugeln.<br />

Ein Lehrer konnte ihn aufhalten.<br />

Und was ist passiert, um so etwas<br />

vorzubeugen? Die Glorifizierung von<br />

Kriegsverbrechern, Stilisierung von<br />

Gewalt, Krieg und toxischen Männlichkeitsbildern<br />

ist passiert, wenn<br />

nicht sogar weiter angetrieben worden.<br />

Und die Kultur der Gewalt wurde weiter<br />

angetrieben und aufgeblasen.<br />

Anders sieht es anscheinend der mittlerweile<br />

zurückgetretene Bildungsminister. Der<br />

hatte kein Problem damit, am Tag des Amoklaufs<br />

die ‘westlichen Werte’ für das Verhalten<br />

des jungen Schülers verantwortlich zu machen.<br />

Auch was das sonstige Krisenmanagement<br />

betrifft, hat die Regierung wohl total versagt.<br />

Das Bildungsministerium machte Tippfehler in<br />

den Presseaussendungen, regierungsnahen<br />

Medien wurden heikle Informationen über die<br />

Täter und ihre Familien zugespielt und der Polizeichef<br />

hielt allen Ernstes die ‘Abschussliste’<br />

bei einer Pressekonferenz vor die Kamera. Der<br />

13-Jährige hatte sich nämlich einen genauen<br />

Plan für den Amoklauf gemacht, inklusive<br />

Namensliste jener, die er erschießen wollte.<br />

Dazu kommt auch, dass anstatt sich um die<br />

pädagogische Betreuung der Kinder im Land<br />

zu kümmern, auf Polizeikontrollen gesetzt<br />

wird.<br />

Auf einer Check-Liste mit allem, was nicht<br />

getan werden sollte, hat die serbische Regierung<br />

wohl alles abgehakt.<br />

Die Fehler einsehen? Kommt<br />

nicht in Frage. Okay, in Selbstkritik<br />

war diese Regierung noch nie<br />

geübt. Im Gegenteil – sie hat Angriff<br />

als Verteidigung gewählt. Die Opposition<br />

sei voller Verräter und die<br />

Proteste nur reine Show oder sogar<br />

Fake. Nach den ersten Protesten am<br />

8. Mai veröffentlichten Boulevardmedien<br />

Bilder von leeren Straßen.<br />

Sie waren aber alles andere als leer.<br />

So ist es kein Wunder, dass in den letzten<br />

Wochen zehntausende Bürger:innen Serbiens<br />

auf die Straßen gingen. Und sie werden wohl<br />

noch weiter auf die Straße gehen. Sie wollen<br />

so ihre kollektive Trauer, aus der Wut und<br />

Unzufriedenheit wurde, ausdrücken.<br />

Über die Forderungen, die sie stellen,<br />

lässt sich streiten. Wichtig ist aber, dass die<br />

Protestbewegung nicht aufhört. Sie darf nicht<br />

aufhören, bis sich das System Vučić nicht<br />

verändert hat – oder bis es sogar ganz verschwunden<br />

ist. ●<br />

24 / POLITIKA | WIEN /<br />

/ MIT SCHARF / 25


DAS „P“ IN „PRIDE“<br />

STEHT NICHT FÜR<br />

PARTY<br />

Holt den Bodyglitter heraus, es ist<br />

wieder so weit! Der Monat Juni steht<br />

wieder ganz im Zeichen der Pride und<br />

somit der Rechte und Sichtbarkeit der<br />

LGBTQIA+ Community. Bei all dem<br />

bunten Treiben, auf das man sich in<br />

dieser Zeit freuen darf, sollte jedoch<br />

die Ernsthaftigkeit der Veranstaltung<br />

nicht in den Hintergrund rücken. Hier<br />

erfährt ihr, warum.<br />

Von Anja Bachleitner<br />

© unsplash.com/Teddy O<br />

WOHER KOMMT DIE<br />

PRIDE?<br />

Ein einschneidendes Ereignis, ohne das<br />

die Pride, wie wir sie heute kennen,<br />

wahrscheinlich nicht existieren würde,<br />

waren die Stonewall-Unruhen in der<br />

Nacht von 27. auf 28. Juni 1969. Dabei<br />

kam es im Stonewall Inn, einem New<br />

Yorker Treffpunkt für Schwule, Lesben<br />

und trans* Menschen, zu Widerständen<br />

gegen eine Polizeirazzia. Der Aufstand<br />

befeuerte die Lesben- und Schwulenbewegung<br />

in den USA erheblich. Seit<br />

1970 werden deshalb regelmäßig im<br />

Juni Veranstaltungen organisiert, die an<br />

die Stonewall-Unruhen und die dadurch<br />

ausgelösten Widerstandskämpfe der<br />

queeren Community erinnern.<br />

QUEERES ÖSTERREICH:<br />

ZWEI SCHRITTE NACH VOR<br />

UND EINER ZURÜCK<br />

Auch in Österreich hat sich ab den<br />

1970er-Jahren für nicht-heterosexuelle<br />

und queere Menschen – langsam etwas<br />

getan - allerdings wesentlich langsamer<br />

als in anderen europäischen Ländern<br />

und eher nach dem Motto „Zwei Schritte<br />

nach vor und einer zurück“.<br />

1971 Aufhebung des Verbots von<br />

Homosexualität unter Bruno<br />

Kreisky (SPÖ)<br />

1971 Einführung des §209, der<br />

die Mindestaltersgrenze für<br />

homosexuelle Beziehungen<br />

auf 18 Jahre festlegte und<br />

den Handel mit homosexueller<br />

Pornographie verbot<br />

1996 Abschaffung von §220,<br />

einem Verbot der „Werbung<br />

für gleichgeschlechtliche<br />

Unzucht“. Bis dahin waren<br />

Infokampagnen der queeren<br />

Community verboten und das<br />

öffentliche Gutheißen von<br />

Homosexualität strafbar.<br />

2002 §209 wird durch den Verfassungsgerichtshof<br />

aufgehoben.<br />

2019 Ermöglichung der Ehe für Alle<br />

2022 Blutspendeverbot für Männer,<br />

die Sex mit Männern haben,<br />

wird aufgehoben<br />

WAS HEISST DAS<br />

EIGENTLICH WIRKLICH?<br />

L = Lesbian/ Lesbisch<br />

G = Gay / Schwul<br />

B = Bisexual / Bisexuell<br />

T = Transgender / Transgeschlechtlich<br />

Q = Queer / Queer<br />

I = Intersex / Intergeschlechtlich<br />

A = Asexual / Asexuell<br />

+ = weitere<br />

ÖSTERREICH IM<br />

EUROPÄISCHEN VERGLEICH<br />

Die ILGA Europe gibt jährlich eine Regenbogen-Landkarte<br />

heraus, auf der abgebildet ist,<br />

wie es um LGBTQ-Themen in den verschiedenen<br />

europäischen Ländern steht. Die einzelnen<br />

Staaten können dabei eine Punktezahl<br />

zwischen 0 und 100 erreichen. 20<strong>23</strong> teilt sich<br />

Österreich einen Platz mit Kroatien. Beide<br />

liegen mit 49 Punkten im oberen europäischen<br />

Mittelfeld. Spitzenreiter ist Malta mit<br />

89 Punkten. Schlusslicht bilden die Türkei<br />

und Aserbaidschan mit 4 und 2 Punkten. Laut<br />

den Herausgeber*innen der Regenbogen-<br />

Landkarte kann auf ganz Europa gesehen<br />

eine zunehmende Gleichstellung für queere<br />

Menschen beobachtet werden.<br />

WARUM DIE REGEN BOGEN-<br />

PARADE IN ERSTER LINIE<br />

EINE DEMO IST<br />

Die Regenbogenparade am 17. Juni bildet<br />

den alljährlichen Höhepunkt der Vienna Pride.<br />

Erwartet werden heuer rund 250.000 Menschen,<br />

die gemeinsam einmal gegen die Fahrrichtung<br />

um die Wiener Ringstraße ziehen.<br />

Bei dem Umzug geht es allerdings um mehr<br />

als nur ausgelassenes Feiern. Darauf weist<br />

auch Vienna-Pride-Organisatorin Katharina<br />

Kacerovsky-Strobl hin: „Die Angriffe auf die<br />

Drag Kultur sind nur ein kleiner Teil der Hetze,<br />

die sich immer mehr gegen unsere Community<br />

radikalisiert. Aber immer wieder sehen<br />

wir, wie ungeheuer stark wir sind und alle,<br />

die eine faire und vielfältige Gesellschaft und<br />

ein gutes Leben für alle wollen.“ Die Regenbogenparade<br />

sollte deshalb in erster Linie als<br />

das wahrgenommen werden, was sie ist: eine<br />

Demonstration. ●<br />

Nützliche Anlaufstellen<br />

im Überblick:<br />

HOSI - Homosexuelle<br />

Initiative Wien: größte<br />

politische Interessenvertretung<br />

von Lesben,<br />

Schwulen, Bisexuellen,<br />

trans* Personen und<br />

intergeschlechtlichen<br />

Menschen in Österreich /<br />

Ort für Gruppenaktivitäten<br />

/ Unterstützung beim<br />

Coming-out und in Fällen<br />

von Diskriminierung<br />

Türkis Rosa Lila Villa:<br />

Anlaufstelle für LGBTQIA+<br />

Personen / individuelle<br />

Beratung / Peer-Beratung<br />

für queere Menschen und<br />

Angehörige<br />

Queer Base – Welcome<br />

and Support for LGBTIQ<br />

Refugees: Anlaufstelle<br />

für lesbische, schwule,<br />

bisexuelle, inter*, trans*<br />

und queere Geflüchtete /<br />

Unterstützung bei Behördengängen<br />

/ Vermittlung<br />

von Therapieplätze /<br />

Beratung in den Bereichen<br />

Rechtsfragen, Coming<br />

Out, Wohnen, Gewalt- und<br />

Gesundheitsprävention.<br />

Plattform Intersex<br />

Österreich: umfassende<br />

Beratungsangebote und<br />

Informationen werden<br />

gesammelt zur Verfügung<br />

gestellt<br />

Glen & Glenda! Verein<br />

von und für transidente<br />

Personen / gegenseitige<br />

Unterstützung / geschützter<br />

Rückzugsort<br />

WASt - Wiener Antidiskriminierungsstelle:<br />

unterstützt die LGBTQIA+<br />

Community in Diskriminierungsfällen<br />

/ bietet<br />

Aufklärungsarbeit<br />

26 / RAMBAZAMBA | WIEN /<br />

/ RAMBAZAMBA | WIEN / 27


GROSSELTERN AUF<br />

DEN BARRIKADEN<br />

WIR TUN ES<br />

FÜR UNSERE<br />

ENKELKINDER!<br />

Schulstreiks, Hörsaalbesetzungen und „Klimakleber“: Immer ist es die junge<br />

Generation, die sich gegen das System wehrt und aktivistisch tätig wird. Und<br />

die Alten meckern darüber? Stimmt nicht – dass man sich auch im Alter für die<br />

Zukunft einsetzen kann, zeigen Susanne, Tilman und Renate.<br />

Uns geht es darum, auf die<br />

dauerhaften Missstände in<br />

der Asylpolitik aufmerksam<br />

zu machen“, erklärt eine<br />

der zwei Frauen, als sie abrupt von dem<br />

lauten Buhen ihrer Kollegin unterbrochen<br />

wird. Das Gebuhe richtet sich an den<br />

amtierenden Bundeskanzler Karl Nehammer,<br />

der gerade über den Ballhausplatz<br />

begleitet wird und die Rufe der Aktivistinnen<br />

gekonnt ignoriert. In ihren Händen<br />

halten die beiden Frauen ein großes<br />

Transparent, sie tragen bunte Regenponchos<br />

und auf den Köpfen selbstgestrickte<br />

rote Mützen, die sind nämlich ein Markenzeichen<br />

der „Omas gegen Rechts“,<br />

die schon seit bald drei Jahren bei jedem<br />

Wetter vor dem Bundeskanzleramt stehen<br />

und eine Mahnwache halten.<br />

Ein ungewöhnlicher Anblick. Ältere<br />

Menschen protestieren zu sehen, ist in<br />

Österreich eher eine Seltenheit. Denn<br />

während beispielsweise in Frankreich<br />

Menschen in allen Altersgruppen auf die<br />

Straße gehen, sind es hier vergleichsweise<br />

junge Aktivist:innen, die sich engagieren.<br />

Immerhin sind es ja grundsätzlich<br />

die Ideologien und Narrative der älteren<br />

Generationen, gegen die Widerstand<br />

geleistet wird. Aber es gibt auch Gegenbeispiele.<br />

Von Dione Azemi, Collage: Zoe Opratko<br />

die schon seit den Anfängen 2017 Teil<br />

der Organisation ist. Die „Omas gegen<br />

Rechts“ starteten ursprünglich als kleine<br />

Facebook-Gruppe, die von der Aktivistin<br />

Monika Salzer gegründet wurde. Anlass<br />

dafür war die damals frisch gewählte<br />

türkis-blaue Regierung. Die Gruppe<br />

diente als Austausch über politische<br />

Themen und als Info-Point für anstehende<br />

Demos, dann wurde sie immer<br />

größer und die „Omas“ begannen sich zu<br />

organisieren – was hervorragend klappte.<br />

Mittlerweile folgen den „Omas“ an die<br />

30.000 Menschen auf Twitter. Damals<br />

hatte Susanne selbst noch keine Enkelkinder,<br />

doch das ist auch kein Aufnahmekriterium<br />

für die Omas, denn ihnen geht<br />

es um die Lebenserfahrungen, die man<br />

als Gruppe alter Frauen vereinigt. Und<br />

die damit verbundene Überzeugung und<br />

Fähigkeit entscheiden zu können, was<br />

der Gesellschaft guttäte, und wovor man<br />

sie bewahren müsste. Deswegen leisten<br />

die Omas Widerstand gegen alles, was<br />

den Rechts- und Sozialstaat gefährdet<br />

und der Demokratie schadet. Sie sehen<br />

sich als Vereinigung für Menschenrechte.<br />

Etwas anders sieht das hingegen bei<br />

den „Grandparents for Future“ aus. Der<br />

68-jährige Gründer Tilman Voss sieht<br />

die Gruppe als Teil der Klimaschutzbewegung<br />

„Fridays for Future“. „Wir<br />

sehen unsere Hauptaufgabe darin, die<br />

Forderungen der jüngeren Generation<br />

zu unterstützen“, so Tilman. Auf die<br />

Idee, aktiv zu werden, kam er bei einer<br />

© Zoe Opratko<br />

© Christopher Glanzl / OTS<br />

ENKEL SIND BEI<br />

DEN OMAS KEIN<br />

AUFNAHMEKRITERIUM<br />

Über 600 Mitglieder haben die "Omas<br />

gegen Rechts“ mittlerweile – eine von<br />

ihnen ist die 77-jährige Susanne Scholl,<br />

„Gehts heim stricken!“ - „Sicher nicht!“, sagen die „Omas gegen Rechts.“<br />

28 / RAMBAZAMBA | WIEN /<br />

/ RAMBAZAMBA | WIEN / 29


Diskussion mit Freund:innen in einer Bar<br />

2019, als die ersten Fridays-For-Future-<br />

Demos in Wien begannen. Ein Freund<br />

von ihm, der hauptberuflich Lehrer ist,<br />

meinte damals: „Meine Schüler sollen in<br />

die Schule gehen und nicht auf Demos!“.<br />

Daraufhin solidarisierte sich der 68-Jährige<br />

mit den jungen Menschen, um ihnen<br />

zu zeigen, dass es richtig ist, wofür sie<br />

sich einsetzten. Mittlerweile bilden ein<br />

gutes Dutzend Mitglieder die „Grandparents<br />

for Future“ und setzen sich mit<br />

Demonstrationen und aktiven Dialogen<br />

mit der Politik für eine nachhaltigere Welt<br />

ein.<br />

Einen ganz anderen Zugang zu<br />

aktivistischer Arbeit hat wiederum die<br />

73-jährige, pensionierte Psychotherapeutin<br />

Renate F. Als Mitgründerin der ersten<br />

allgemeinen Frauenberatungsstelle in<br />

Wien sieht sie ihre damalige Arbeit als<br />

Psychotherapeutin für Frauen als feministisch.<br />

„Davor habe ich am AKH in der<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet.<br />

Dort sind mir immer wieder die<br />

Mütter aufgefallen, die zum einen immer<br />

schuld waren, aber mit denen auch<br />

keiner geredet hat, also wollte ich es<br />

tun.“ Dadurch ist dann „Frauen beraten<br />

Frauen“ entstanden. Dort können Frauen<br />

an freie Krankenkassaplätze gelangen<br />

und Beratung in allen Lebenssituationen<br />

suchen. Ihre eigene Praxis hat Renate<br />

F. mittlerweile geschlossen, doch<br />

die Organisation existiert noch immer.<br />

Heute wohnt sie gemeinsam mit ihrer<br />

Partnerin in einem Frauenwohnprojekt<br />

und engagiert sich für die Sichtbarkeit<br />

von queeren Menschen im Alter. Dafür<br />

hat sie mit einem Freund gemeinsam<br />

den „Regenbogentreff“ entworfen. Ein<br />

Pensionist:innenclub, der monatlich<br />

stattfindet und queere Senior:innen<br />

zum Diskurs mit verschiedenen Gästen<br />

einlädt.<br />

„<br />

Unser Anliegen ist<br />

es, die Demokratie<br />

zu schützen. Für<br />

die Kinder und<br />

Enkelkinder.<br />

“<br />

Die „Grandparents for Future“ setzen sich für<br />

Maßnahmen gegen den Klimawandel ein.<br />

„ICH MÖCHTE NICHT<br />

DASSELBE ERLEBEN, WIE<br />

MEINE ELTERN.“<br />

Den großen Vorteil, im Alter aktivistisch<br />

zu sein, sieht Renate darin, dass<br />

sie nichts zu verlieren hat. „Uns kann<br />

nichts passieren. Wir können keinen Job<br />

verlieren. Wir können unseren Mund so<br />

weit aufmachen, wie wir wollen“, sagt<br />

die Feministin.<br />

„Unser Anliegen ist es, die Demokratie<br />

zu schützen. Für die Kinder und<br />

Enkelkinder“, erklärt Susanne. Sie meint,<br />

selbst jene, die selber keine Kinder<br />

haben, seien motiviert für den Schutz<br />

der nächsten Generationen. „Die Welt<br />

hört nicht auf zu existieren, wenn ich<br />

sterbe.“ Auf die Folgefrage, ob sie es<br />

nicht auch für sich selber tue, antwortet<br />

sie bejahend. Sie möchte angstfrei in<br />

einer Demokratie leben, in der Menschen<br />

gerecht behandelt werden. Als Tochter<br />

einer jüdischen Familie ist sie mit<br />

dem ständig wiederholten ‘Nie wieder!‘<br />

aufgewachsen und hat aber mit der Zeit<br />

für sich realisiert, dass es sich dabei um<br />

eine Geschichtslüge handelt, denn es<br />

kann immer wieder kommen. Nun möchte<br />

sie dafür kämpfen, dass es wirklich<br />

‚Nie wieder’ kommt. „Ich möchte nicht<br />

dasselbe erleben, wie meine Eltern. Also<br />

natürlich tue ich es auch für mich.“<br />

„ICH BIN ZWAR SELBER<br />

KEINE OMA, ABER<br />

SCHWER GEGEN RECHTS.“<br />

Sowohl Tilman als auch Susanne sehen<br />

den Diskurs mit der Politik als den stärksten<br />

Hebel im Aktivismus. Daher zielen all<br />

ihre Aktionen darauf ab, mit Menschen<br />

ins Gespräch zu kommen. Als eine der<br />

größten Herausforderungen nennt Tilman<br />

den Diskurs mit Leuten außerhalb ihrer<br />

politischen Blase, vor allem der Umgang<br />

mit Klimaleugnern sei besonders<br />

schwierig. Deswegen führen die Grandparents<br />

for Future in ihren Sitzungen<br />

manchmal kleine Rollenspiele auf, durch<br />

die sie einen gekonnteren Umgang mit<br />

Kritiker:innen üben. Denn genau diese<br />

Gegner:innen möchten sie erreichen, um<br />

einen Diskurs entstehen zu lassen. Demnächst<br />

planen die Grandparents Besuche<br />

in diversen Seniorencafés in Wien.<br />

Dort erhoffen sie sich, mehr Aufklärung<br />

schaffen zu können und eventuell neue<br />

Mitglieder zu erreichen. Den Omas gegen<br />

Rechts begegnet man abgesehen von<br />

der bereits genannten Mahnwache am<br />

Ballhausplatz auch alle zwei Wochen vor<br />

dem Parlament. Susanne erzählt, dass<br />

sie durch diese Aktionen die meisten<br />

Menschen erreichen und vor allem<br />

von jungen Menschen Zuspruch und<br />

Unterstützung bekommen. Oft kommen<br />

Jugendliche auf sie zu und fragen nach<br />

© Tom Poe<br />

© KLAUS TITZER / APA / picturedesk.com<br />

„<br />

Man muss nicht<br />

unbedingt mit uns<br />

auf Demos gehen<br />

und dort unsere<br />

Sprüche rufen.<br />

“<br />

Buttons, um diese dann ihren eignen<br />

Omas geben zu können. Denn auch<br />

das alleinige tragen des Buttons wird<br />

von den Omas als Art des Aktivismus<br />

gesehen. „Man muss nicht unbedingt mit<br />

uns auf Demos gehen und dort unsere<br />

Sprüche rufen. Es gibt viele Ebenen<br />

der Mitgliedschaft bei den Omas gegen<br />

Rechts.“ Auch Renate gehört zu jenen<br />

Frauen, die sich im Hintergrund mit den<br />

Omas solidarisieren. „Ich bin zwar selber<br />

keine Oma, aber schwer gegen Rechts.<br />

Und auch wenn ich selbst nicht mehr<br />

auf die Barrikade möchte, habe ich eine<br />

von den Mützen gekauft.“ Dass sie keine<br />

Enkelkinder hat, bedauert sie jedoch<br />

nicht. „In einer Zeit wie jetzt – ich meine<br />

die Klimakleber nennen sich ja auch die<br />

letzte Generation. Das macht mich schon<br />

traurig“. Sie findet, die Arbeit der Letzten<br />

Generation gehört mehr wertgeschätzt,<br />

und kritisiert die Wissenschaftsferne der<br />

Regierung sehr scharf. Bei den Klebeaktionen<br />

der Letzten Generation begegnen<br />

sich auch die anderen beiden Gruppen.<br />

Sowohl die Omas gegen Rechts als auch<br />

die Grandparents for Future stellen sich<br />

mit Bannern und Plakaten hinter die auf<br />

dem Boden befestigten Aktivist:innen<br />

und zeigen so ihre Unterstützung gegenüber<br />

den stark kritisierten Aktionen.<br />

„GEHTS HEIM STRICKEN!“<br />

„Gehts heim stricken!“, ist laut Susanne<br />

zwar ein Spruch, den sie sich immer<br />

wieder anhören muss, aber sie fühlt sich<br />

inzwischen durchaus geachtet. „Wir sind<br />

schon eine akzeptierte, ernst genommene<br />

und wahrgenommene politische<br />

Größe.“<br />

Etwas schwieriger ist dies jedoch<br />

bei den Grandparents for Future, denn<br />

auch wenn der Zuspruch innerhalb<br />

der Blase immens ist, wird die Bewegung<br />

von außen eher belächelt und<br />

das vor allem aufgrund des nun immer<br />

Mit diesen Buttons machen sich die Omas erkennbar<br />

präsenteren Narratives der „nervigen<br />

Klimaaktivist:innen“. Klimaaktivismus<br />

wird nunmal oft mit einer Verbotskultur<br />

in Verbindung gebracht und die Menschen<br />

sind nicht immer begeistert von<br />

den Forderungen der Bewegung. Renate<br />

wiederum legt ihren Fokus genau darauf,<br />

nicht immer alles ernst zu nehmen.<br />

Ihre Erfahrung habe ihr gezeigt, dass<br />

es oft auch darum gehen muss, den<br />

Dingen ihre Schärfe zu nehmen. „Es gibt<br />

immer die Möglichkeit, etwas so lang zu<br />

betrachten und so lang zu verachten, bis<br />

man es nur noch zusätzlich stützt. Damit<br />

ist niemandem geholfen.“ Dabei sieht<br />

OMAS GEGEN RECHTS<br />

Am 16. November 2017 wurde<br />

der Verein „Omas gegen Rechts“<br />

von Monika Salzer auf Facebook<br />

gegründet. Seither erheben<br />

die sogenannten „Omas“ ihre<br />

Stimmen und halten regelmäßig<br />

Mahnwachen. Die Mitglieder<br />

setzen sich gegen den Rechtsruck<br />

in Österreich ein. Kürzlich befanden<br />

sie sich auch gemeinsam mit<br />

SOS-Balkanroute in Bosnien und<br />

Herzegowina.<br />

www.omasgegenrechts.com<br />

sie vor allem im Bereich der Klimakrise<br />

die Gefahr zu verzweifeln. „Als wir früher<br />

gegen die Atomkraft demonstriert haben,<br />

hatten wir einen konkreten Gegner. Wir<br />

wussten, dass wir eine Zukunft haben. Es<br />

ging nur darum, dass wir keine Atomkraft<br />

wollen.“ Im Vergleich dazu empfindet sie<br />

die momentanen Debatten als sehr breit<br />

und ungreifbar, man kann nicht einzelne<br />

Verantwortliche benennen. Darum<br />

gibt sie der jungen Generation mit:<br />

„Im Aktivismus darf man die Hoffnung<br />

nicht verlieren und vor allem nicht das<br />

Lachen.“ ●<br />

GRANDPARENTS FOR FUTURE<br />

„Grandparents for Future“ wurde 2019<br />

gegründet um die Bewegung „Fridays<br />

for Future“ zu unterstützen. Die<br />

„Grandparents“ sind eine internationale<br />

Bewegung, die sich aus Großeltern<br />

und Pensionisten zusammensetzt, die<br />

sich Sorgen um die Auswirkungen des<br />

Klimawandels auf die kommenden<br />

Generationen machen. Auf Demonstrationen<br />

fordern sie Maßnahmen zur<br />

Bekämpfung des Klimawandels.<br />

https://grandparentsforfuture.wordpress.com/<br />

30 / RAMBAZAMBA | WIEN /<br />

/ RAMBAZAMBA | WIEN / 31


Die Autorinnen<br />

Banan Sakbani,<br />

Helin Kara und<br />

Luna Al-Mousli<br />

(v.l.n.r.)<br />

DU<br />

BESTIMMST<br />

IMMER.<br />

PUNKT.<br />

Geschlechterrollen durchbrechen, eigene Träume und Leidenschaften<br />

verfolgen, ohne sich dem Druck aus der Familie<br />

oder dem Umfeld hinzugeben: Weibliche Selbstbestimmung<br />

hat viele Gesichter und kann auf unterschiedlichen Wegen<br />

passieren. Drei starke, junge Autorinnen aus verschiedenen<br />

Communitys erzählen von ihren persönlichen Revolutionen<br />

und was sie dafür in Kauf nehmen mussten. Sie kommen in<br />

diesem Empowerment-Special selbst zu Wort. Mit Beiträgen<br />

von Helin Kara, Luna Al-Mousli und Banan Sakbani.<br />

© Zoe Opratko<br />

Das Projekt „Du bestimmst IMMER. Punkt!“ findet im Rahmen des Aufrufs „Maßnahmen<br />

zur Stärkung von Frauen und Mädchen im Kontext von Integration“ des Österreichischen<br />

Integrationsfonds statt. Dieses Projekt wird durch den Österreichischen Integrationsfonds<br />

(ÖIF) finanziert. Die redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.<br />

32 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 33


Autorin Helin Kara<br />

gibt sich lieber locker<br />

- warum das auf<br />

Widerstand aus der<br />

Community stößt:<br />

Oversized Klamotten sind voll<br />

im Trend. Was für viele derzeit<br />

angesagte Mode ist, ist für ausländische<br />

Mütter jedoch ein<br />

Zeichen von Männlichkeit und<br />

Widerstand. Widerstand gegen<br />

ihre Werte und Schönheitsideale<br />

einer „perfekten“ Frau.<br />

Aber wer bestimmt eigentlich,<br />

wer was tragen darf?<br />

Von Helin Kara , Fotos: Zoe Opratko<br />

Wer entscheidet, was weiblich ist?<br />

„ZIEH DICH MAL<br />

AN WIE EINE<br />

RICHTIGE FRAU“<br />

Samstagabend, 18 Uhr. Die<br />

abgestandene Luft macht<br />

das Atmen schwerer und<br />

irgendwie sieht meine Haut im<br />

grellen Licht der Umkleidekabine noch<br />

schlechter aus.<br />

„Canım (türkisch „mein Schatz“),<br />

hast du das Kleid schon angezogen?“,<br />

schallt die Stimme meiner Mutter durch<br />

die Tür. Der Lärm des Kleidungsgeschäfts<br />

wird immer lauter, dröhnt geradezu in<br />

meinen Ohren. Im Spiegel sehe ich zwar<br />

mein Abbild, aber versuche vergeblich<br />

mich in diesem zu finden. „Jetzt stell<br />

dich nicht so an, auf Hochzeiten trägt<br />

man als Frau halt ein Kleid“ – ist die einzige<br />

Antwort die ich auf meine Frage, ob<br />

ich unbedingt ein Kleid anziehen muss,<br />

erhalte. Es wird weiter geschaut, mein<br />

persönlicher Albtraum ist noch nicht<br />

vorbei. Besonders bei Hochzeiten ist ein<br />

angemessenes und weibliches Auftreten<br />

von Bedeutung, die Verwandtschaft soll<br />

ja immerhin kein schlechtes Bild von<br />

unserer Familie im Kopf haben – eingetrichtert<br />

wird mir das, bis ich es selbst<br />

glaube. Aber was ist dieses „weibliche“<br />

Auftreten eigentlich?<br />

Boyfriend-Jeans, Hoodies in XXL-<br />

Größen und baggy Shirts – beim Scrollen<br />

durch die sozialen Medien ist es eine<br />

Challenge geworden, auf die damals<br />

beliebten Skinny-Jeans zu treffen.<br />

Oversized Klamotten sind, besonders<br />

bei Frauen, voll im Trend. Was für viele<br />

derzeit angesagte Mode ist, ist für ausländische<br />

Mütter jedoch ein Zeichen von<br />

Männlichkeit und Widerstand. Widerstand<br />

gegen ihre Werte und Schönheitsideale<br />

einer „perfekten“ Frau.<br />

Wie Sätze wie „Zieh dich doch<br />

mal schöner an“ und „Was denken die<br />

anderen von uns, wenn du wie ein Mann<br />

rumläufst?“ regelrecht zu einer Routine<br />

in meinem Alltag wurden.<br />

DIE „PERFEKTE“ FRAU<br />

Beim Anblick meiner alten Kinderbilder<br />

müsste man beide Augen zudrücken,<br />

um mich in dem pinken Shirt mit der<br />

Aufschrift „I am a Princess“ wieder zu<br />

erkennen.<br />

Diese hyperfeminine Version von<br />

mir existierte, da mit vier Jahren meine<br />

Entscheidungskraft dezent eingeschränkt<br />

war. Kleider, Röcke und viele pinke<br />

Kleidungsstücke schmückten meinen<br />

Kleiderschrank, während mein Bett mit<br />

Barbies und Baby Born Puppen vollgestellt<br />

war. Rückblickend sind diese Bilder<br />

befremdlich und spiegeln mein jetziges<br />

„<br />

Du sahst<br />

doch so süß<br />

aus damals.<br />

“<br />

Ich nicht wider. „Du sahst doch so süß<br />

aus damals“, ist das Einzige, was aus der<br />

Zeit hängen geblieben ist. Bei meinem<br />

Bruder sah die Sache anders aus. Hier<br />

dominierten Autos und Fußbälle sowie<br />

die Farbe Blau. Zwei Welten, welche klar<br />

getrennt wurden. Eine Grenzüberschreitung<br />

führte zu einem kurzen: „Das ist nur<br />

für Jungen/Mädchen bestimmt.“<br />

Bereits in jungen Jahren wird auf<br />

eine möglichst große Distanz zwischen<br />

Jungen und Mädchen geachtet, nicht<br />

nur was das Äußerliche betrifft. Aussagen<br />

variieren von „Ein wahrer Indianer<br />

kennt kein Schmerz“ bis hin zu „Diese<br />

vorlaute Art gehört sich für jemanden<br />

wie dich nicht“. Ersteres wird an Jungen<br />

vermittelt, welche möglichst emotionslos<br />

und „stark“ erzogen werden, um ihre<br />

Männlichkeit zu wahren und Dominanz<br />

zu erlernen. Letzteres sind Sprüche,<br />

die besonders junge Mädchen zu hören<br />

bekommen, um durch ein ruhiges und<br />

passives Verhalten – ganz „lady-like“ –<br />

nicht aufzufallen und sie klein zu halten.<br />

Die „perfekte“ Frau ist also möglichst<br />

gehörig und feminin in ihrem Auftreten.<br />

Anders wird es schwierig, einen Mann<br />

zu finden – so jedenfalls habe ich es<br />

gelernt.<br />

„DU BIST SO EIN<br />

MANNSWEIB“<br />

Als ich älter wurde, habe ich mir ein<br />

Stück weit Freiheit zurückerkämpft. Meine<br />

Eltern merkten wohl, dass sie nicht<br />

34 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 35


wie so ein Mannsweib“ oder „Bist ja<br />

auch einer von uns Jungs“. Manche<br />

Verwandte waren ebenso wenig angetan<br />

von meinem neuen Stil, was dazu führte,<br />

dass ich die Frage „Wieso ziehst du nicht<br />

so einen schönen Rock an im Sommer?“<br />

öfter zu hören bekommen habe als ein<br />

Kompliment.<br />

Die Sprüche nicht zu nah an sich<br />

ranzulassen, war schwerer als gedacht.<br />

Frustration breitete sich in mir aus:<br />

Immerhin fühlte ich mich trotzdem wie<br />

eine Frau und meine Weiblichkeit aufgrund<br />

meines Klamottenstils abgesprochen<br />

zu bekommen, passte mir gar nicht.<br />

In kurzer Kleidung, wie beispielsweise<br />

bauchfreien Shirts, die die Frauenabteilung<br />

dominieren, fühlte ich mich einfach<br />

nicht so wohl wie in längeren T-Shirts.<br />

Außerdem spiegelt mein Stil meinen<br />

Charakter wider und mit einem sehr<br />

femininen Look fühle ich mich nicht wie<br />

ich selbst.<br />

Es ist wichtig, sich immer<br />

wieder daran zu erinnern, dass<br />

nur du über dein Aussehen<br />

bestimmst und nicht deine<br />

Eltern oder die Menschen in<br />

deinem Umfeld. Setz dich<br />

breitbeinig hin, rede in einer<br />

tiefen Stimme, zieh an, was du<br />

anziehen möchtest, egal aus<br />

welcher Abteilung.<br />

„Du Mannsweib“ muss Helin sich immer wieder anhören.<br />

Darauf hat sie keinen Bock mehr.<br />

„<br />

Wieso ziehst<br />

du nicht so<br />

einen schönen<br />

Rock an<br />

im Sommer?<br />

“<br />

ewig meinen Kleidungsstil beeinflussen<br />

konnten, weshalb ich jetzt mit Freunden<br />

shoppen ging und auch in den Genuss<br />

der Männerabteilung kam. Normalerweise<br />

wären Klamotten aus dieser, egal<br />

wie Unisex sie aussehen, ein absolutes<br />

No-Go.<br />

Zum ersten Mal fühlte ich mich<br />

jedoch komplett wohl mit meinem Aussehen<br />

und meinem Stil. Das hielt aber<br />

nur so lange, bis die ersten Kommentare<br />

zu meiner Kleidung und meinem Verhalten<br />

fielen.<br />

Besonders in der Schule kamen<br />

von den Jungs aus meiner Stufe öfters<br />

Sprüche wie „Du verhältst dich schon<br />

ABER WER BESTIMMT<br />

EIGENTLICH, WAS<br />

MÄNNLICH ODER<br />

WEIBLICH IST?<br />

Die negativen Kommentare an mir<br />

abprallen zu lassen, war ein langer<br />

Prozess. Vielleicht sogar einer, der noch<br />

nicht ganz geendet hat. Es ist wichtig,<br />

sich immer wieder daran zu erinnern,<br />

dass nur du über dein Aussehen<br />

bestimmst und nicht deine Eltern oder<br />

die Menschen in deinem Umfeld.<br />

Setz dich breitbeinig hin, rede in<br />

einer tiefen Stimme, zieh an, was du<br />

anziehen möchtest, egal aus welcher<br />

Abteilung. Zeig Widerstand. Im Endeffekt<br />

sind unsere binären Rollenzuteilungen<br />

einschränkend und veraltet. Kleidung hat<br />

kein Geschlecht und das Wichtigste ist,<br />

dass du dich in deiner Haut wohl fühlst,<br />

und das ganz egal, ob in XL-Hoodie oder<br />

Blümchenkleid. ●<br />

Helin Kara ist 21 Jahre alt. Sie studiert<br />

Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,<br />

hat kurdisch-alevtische Wurzeln.<br />

36 / EMPOWERMENT SPECIAL /


„SEI NETTER ZU DEN<br />

ÖSTERREICHERN!“<br />

Warum ich niemandem um jeden Preis gefallen will<br />

Von Luna Al-Mousli, Fotos: Zoe Opratko<br />

38 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

Luna Al-Mousli ist 33<br />

Jahre alt, Autorin und<br />

Kulturschaffende.<br />

Bei der ersten Lesung meines<br />

neuen Romans „Um mich herum<br />

Geschichten“ saß Mama<br />

in der ersten Reihe, daneben<br />

war die gesamte Familie aufgereiht von<br />

Oma bis Onkel und dazwischen unbekannte<br />

Gesichter.<br />

Obwohl es nicht mein erster Auftritt<br />

war, denn ich bin seit 2016 Autorin, war<br />

ich wie bei jeder Lesung leicht aufgeregt<br />

und versuchte, die Nervosität in den flauschigen<br />

Sofakissen zu versenken.<br />

So fing ich an: „Es war einmal, es war<br />

keinmal, bis es einmal war“.<br />

Nach den ersten Sätzen wurde meine<br />

Stimme warm, sie fand ihre Balance<br />

zwischen den deutschen Sätzen und den<br />

eingebauten arabischen Wörtern, die mit<br />

Selbstverständlichkeit den Raum einnahmen,<br />

ohne sich zu erklären.<br />

Und schon kam ich zum Ende, die<br />

Moderation übernahm und wir kamen<br />

zum zweiten Teil des Abends: das<br />

Gespräch – wie üblich über das Buch,<br />

den Schreibprozess und über Persönliches.<br />

Als ich am Anfang meiner schriftstellerischen<br />

Arbeit stand, war mir nicht<br />

klar, wie sehr „das Persönliche“ auf der<br />

Bühne Platz einnehmen würde – wie<br />

intim und nachbohrend manche Fragen<br />

werden könnten.<br />

Es sind Fragen über meine Religiosität.<br />

Wobei diese Frage scheinbar nur<br />

für Muslima gilt, denn ich war noch<br />

nie bei einer Diskussion, in der man<br />

eine*n nicht-muslimische*n Diskutant*in<br />

fragte, wie intensiv die eigene Religiosität<br />

praktiziert wird. Ich gewöhnte mir<br />

irgendwann diese Antwort an: “Mein<br />

Glauben ist eine Beziehung zwischen<br />

mir und Gott, oder wer auch immer da<br />

oben ist und geht eigentlich niemanden<br />

was an.” Mein Beziehungsstatus scheint<br />

ebenfalls Relevanz zu haben, und ob<br />

meine Eltern einverstanden wären, wenn<br />

ich mit einem Andersgläubigen zusammen<br />

wäre. Auf diese Frage könnte ich<br />

entgegnen: “Entschuldigung, wie heißen<br />

Sie noch mal? Ich wusste gar nicht, wie<br />

eng befreundet wir sind!“<br />

Die Fragen kommen nicht aus Böswilligkeit,<br />

sondern einfach aus reiner<br />

Neugier – oder aus einem akzeptierten<br />

und manifestierten Machtverhältnis. Ich,<br />

Frau und Migrantin, muss mich erklären,<br />

für alle Fragen offen stehen, um meine<br />

„<br />

Luna, du warst jetzt<br />

schon gemein zu den<br />

Österreichern.<br />

“<br />

Arbeit und mein Dasein zu rechtfertigen.<br />

Ich muss Österreich und seine<br />

Gesellschaft loben und dafür dankbar<br />

sein, denn wäre ich in Syrien geblieben,<br />

wäre aus mir bestimmt keine Autorin<br />

geworden, wird mir immer wieder klar<br />

gemacht. Meine Leistungen und meinen<br />

Erfolg steckt sich Österreich an die Brust,<br />

als hätte Österreich das System gebaut,<br />

das meine Talente gefördert hatte, als<br />

hätte Österreich mir zugesprochen und<br />

mir das Gefühl gegeben, mit allem, was<br />

ich bin – Syrerin und Österreicherin und<br />

viele andere Unds –, zugehörig und mitbestimmend<br />

zu sein. Dem war aber nicht<br />

so. Der Dank geht da ausschließlich an<br />

meine Mama, meine Familie und meine<br />

Freund*innen.<br />

Ich war auf dem flauschigen Sofa<br />

auch immer mehr als nur eine Autorin,<br />

so wie in der Schulklasse. Ich war Religionswissenschaftlerin,<br />

Expertin für den<br />

Nah-Ost-Konflikt und sämtliche andere<br />

Konflikte in der gesamten SWANA-Region<br />

(Süd-West-Asien und Nord-Afrika),<br />

Migrations- & Diskriminierungsforscherin,<br />

aber auch Sprecherin für jeden und<br />

jede Syrer*in, die schnell oder weniger<br />

schnell Deutsch lernten, die alleine oder<br />

mit ihrer Familie herkamen, die Ösi-<br />

Freunde fanden, oder sich zurückzogen.<br />

Anfangs antwortete ich höflich,<br />

überlegt und „diplomatisch“, wie es<br />

meine Mama sagen würde, immer darauf<br />

bedacht, die Gefühle von niemandem im<br />

Raum zu verletzen. Nach dieser Lesung<br />

aber lobte meine Mama, was zu loben<br />

war, schwieg kurz, legte ihre Hand um<br />

meine Schulter und zog mich zu sich:<br />

„Luna, du warst jetzt schon gemein zu<br />

den Österreichern, du bist so undiplomatisch<br />

geworden.”<br />

Mama, ich habe versucht, lieb und<br />

nett zu sein, Kritik an Österreich mit<br />

einem Lächeln auszusprechen, sodass<br />

meine Bäckchen ganz rot werden. Ich<br />

wandte das Feedback-Sandwich an,<br />

positiv, negativ, positiv, um gesellschaftspolitische<br />

Themen anzusprechen und<br />

Mängel zu betonen, doch es half nicht.<br />

Denn ich hatte nicht das Gefühl, dass<br />

die Kritik ankam, und oft wurde mir das<br />

Recht auf Kritik überhaupt abgesprochen<br />

– wie gesagt, ich soll ja dankbar sein.<br />

Wie kann die Wut in mir sich auflösen,<br />

wenn dem Anti-Rassismus-Volksbegehren<br />

„Black Voices“, Stimmen fehlte,<br />

um ins Parlament zu kommen?<br />

Wie kann es sein, dass Schüler*innen<br />

im Live-TV von rechtsextremen Politikern<br />

bedroht werden können?<br />

Wie kann es sein, dass ich bis heute<br />

die Beleidigung „Sie sprechen akzentfrei<br />

Deutsch, ich konnte alles verstehen!“ als<br />

Kompliment auffassen muss?<br />

Als es Letzteres aus dem Publikum<br />

kam, erwiderte ich: „Ihr Deutsch ist<br />

auch ganz gut, nur müssten Sie an Ihrer<br />

Aussprache arbeiten, denn mit Ihrem<br />

Dialekt verschlucken Sie Buchstaben, ein<br />

akzentfreies Deutsch würde ich es nicht<br />

nennen.“<br />

Einmal stellte bei einem Interview<br />

eine Journalistin Fragen zu unterdrückten<br />

Frauen in Syrien. Ich wusste ganz<br />

genau, worauf die Journalistin mit der<br />

Frage hinauswollte, bog aber ab und<br />

entgegnete ihr: „Wenn wir über die<br />

Unterdrückung der Frau durch die patriarchalen<br />

Strukturen reden, müssen wir<br />

gar nicht so weit weg nach Syrien schauen.<br />

Bleiben wir doch hier in Österreich.<br />

Laut Statistik Austria ist jede dritte Frau<br />

von Gewalt betroffen, wie ist die Lage<br />

der Frauen in Österreich also?”<br />

Die Journalistin meinte dann, Frauen<br />

in Österreich hätten jedoch viel mehr<br />

Freiheiten und Rechte. Auch hier musste<br />

ich ihr ins Wort fallen, denn umso<br />

schlimmer, rückständiger und peinlicher<br />

ist es, dass bis heute in dem “perfekten”<br />

Österreich Frauen und Männer nicht gleichen<br />

Lohn für gleiche Arbeit bekommen,<br />

Frauen armutsgefährdeter sind und in<br />

so vielen Lebensbereichen benachteiligt<br />

werden.<br />

Nein, Mama, ich glaube, für die<br />

nächsten 10 Jahre versuche ich es mal<br />

undiplomatisch, ohne die Kritik in Samt<br />

einzupacken, denn ich habe ein Recht<br />

darauf, die Mängel zu benennen, und<br />

möchte den Scheiß, den sich die österreichische<br />

Politik erlaubt, nicht beklatschen.<br />

●<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 39


WENN BLICKE<br />

STÄRKEN<br />

Eine kleine Geste<br />

kann vieles<br />

bewirken, findet<br />

Banan Sakbani.<br />

Banan Sakbani kennt das Gefühl, für<br />

ihr Anderssein angestarrt zu werden,<br />

nur zu gut. Welchen Einfluss<br />

Zivilcourage für ihre persönliche<br />

Geschichte hatte, und warum sie<br />

möchte, dass möglichst viele andere<br />

dafür einstehen, erklärt sie hier.<br />

Von Banan Sakbani, Fotos: Zoe Opratko<br />

In der Straßenbahn erlebe ich immer<br />

wieder Situationen, die mich an<br />

meine Herkunft erinnern. Manchmal<br />

finde ich das schön und manchmal<br />

empfinde ich es als Watsche ins Gesicht.<br />

Die Angelegenheit ist also widersprüchlich<br />

– sie kann dennoch entscheidend<br />

sein dafür, wie es mir an diesem Tag<br />

gehen wird oder ob meine Laune gleich<br />

in der Früh verdorben wird.<br />

DAS ERSTE MAL IN<br />

EINER BIM IN WIEN<br />

Als ich das erste Mal in einer Bim in<br />

Wien saß, versuchte ich mir Deutsch<br />

beizubringen, indem ich Worte auf<br />

Straßenschildern und Werbeplakaten<br />

an Haltestellen las und mir übersetzte.<br />

„Daham statt Islam“, „Mehr Mut für<br />

unser Wienerblut – zu viel Fremdes tut<br />

niemandem gut“, waren ironischerweise<br />

die ersten Sätze, die ich in den Google-<br />

Übersetzer eingetippt habe. Ich blieb<br />

nicht nur beim Übersetzen, denn es<br />

hat nicht lange gedauert, bis ich meine<br />

ersten Worte auf Deutsch sagte und so<br />

kam ich auch langsam ins Gespräch mit<br />

anderen Menschen. Im ersten Gespräch<br />

sagte mir eine Dame: „Sie sprechen aber<br />

sehr gut Deutsch, wo kommen Sie denn<br />

her?“ Und erneut hat die erste Frage, die<br />

mir auf Deutsch gestellt wurde, mich und<br />

meine Laune in eine Schublade gesetzt.<br />

Fünf Jahre später sitze ich wieder in<br />

einer Straßenbahn und werde Zeugin<br />

folgender Szene:<br />

Eine türkische Frau mit Kopftuch, die<br />

am Telefonieren war, wird gleichzeitig<br />

von zwei älteren Damen angestarrt. Als<br />

die Türkin den beiden vorwarf, dass sie<br />

ausländerfeindlich seien, schaute eine<br />

von ihnen zu mir rüber und suchte in<br />

meinen Blicken nach einer Bestätigung,<br />

dass ihre Handlung die richtige war. Wie<br />

schnell wurde vergessen, dass ich doch<br />

vor einigen Jahren in der gleichen Position<br />

gesessen war, nur weil ich vorhin<br />

auf Deutsch telefoniert habe, teilweise<br />

anders aussehe oder eine Zeitung in der<br />

Hand trage? Ich nickte. Ich schaute zu<br />

der türkischen Frau rüber und nickte.<br />

„Sie haben Recht“, habe ich ihr auf<br />

Türkisch gesagt. Daraufhin fragte sie:<br />

„Es stimmt, oder? Ausländerfeindlich, so<br />

heißt es auf Deutsch, nicht?“ Ich bestätigte:<br />

„Ja, das stimmt, bitte lassen Sie<br />

sich nicht unterbrechen.“ Es hat nur diesen<br />

einen Satz gebraucht und sie fand in<br />

ihren Redefluss auf Deutsch: „Als ob ich<br />

jetzt aufhören würde, wegen den Damen<br />

hier mit meiner Schwester zu telefonieren!“<br />

Sie stolzierte an den beiden Frauen<br />

vorbei, bedankte sich bei mir und stieg,<br />

mir zulächelnd, aus.<br />

Ein Blick kann schwächen, zerstören<br />

und ausgrenzen, genauso wie ein Nicken<br />

bestätigen, verstärken und empowern<br />

kann. Wie oft habe ich ein Nicken in<br />

dieser Stadt gebraucht, wie oft schwieg<br />

ich und saß versunken da. Heute bin ich<br />

diejenige, die empowernd nickt.<br />

Ich hoffe, das seid ihr auch!<br />

ICH WERDE NICHT<br />

NUR NICKEN<br />

Heute kann ich laut mitreden, mitgestalten,<br />

mich teilweise politisch beteiligen,<br />

die Werbeplakate kritisieren und auf<br />

das Zynische mit dem Finger zeigen,<br />

denn wählen darf ich aufgrund meiner<br />

Staatsbürger:innenschaft immer<br />

noch nicht. Man sollte gerade diesen<br />

Menschen eine Stimme geben und sie<br />

stärken, denn sie sind mit ihrem bunten<br />

Hintergrund eine Bereicherung unserer<br />

Gesellschaft, anstatt ihnen die Stimme<br />

zu entziehen und zu behaupten, sie<br />

seien eine Belagerung unserer österreichischen<br />

Märkte und die Plätze sind<br />

nicht mehr die, die sie mal waren. Gott<br />

sei Dank sind sie das nicht. Auch ich<br />

bin nicht die gleiche Person wie vor fünf<br />

Jahren. Orte verändern sich, Städte<br />

wachsen und die Menschen entfalten<br />

sich. Jedes Wort zählt und hat einen Einfluss,<br />

liefert einen negativen oder einen<br />

positiven Beitrag. Es braucht keinen Hass<br />

und keine Verhetzung, diese stellen eine<br />

Gefahr für unser Zusammenleben und<br />

unsere Demokratie dar. Wien war schon<br />

immer eine bunte Stadt, gerade deshalb<br />

sollten wir weiterhin die Diversität<br />

fördern und diese nicht mit hasserfüllten<br />

Reden zerstören. Worte wirken. So wie<br />

die empowernden Worte des Direktors<br />

meiner ehemaligen Schule, in der ich im<br />

vorigen Jahr mit Auszeichnung maturierte:<br />

„Ich freue mich auch, dass sie<br />

kommt, um den anderen Schüler:innen,<br />

die lernen zu zeigen: Das hat funktioniert!<br />

Schaut, was aus mir geworden ist!“<br />

Ja, ich ging in meine ehemalige<br />

Schule und auch in andere Schulen als<br />

Integrationsbotschafterin mit dem Roten<br />

Die Autorin fordert mehr Zivilcourage<br />

im öffentlichen Raum.<br />

40 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 41


Banan wehrt sich gegen Zuschreibungen von Außen.<br />

Kreuz zurück, um einige Workshops in<br />

Schulklassen zu halten, weil ich wusste,<br />

welche großartigen Menschen mit ihren<br />

tollen Einstellungen mich empfangen<br />

würden. Die Kinder brauchen dieses<br />

Empowerment und das weiß ich am besten,<br />

weil ich sie selbst damals brauchte.<br />

Sie brauchen sie mehr als je zuvor. Jetzt<br />

vor allem deshalb, weil sie mit politischen<br />

Aussagen wie „Du gehörst nicht<br />

zu Wien!“ als Schüler:innen konfrontiert<br />

werden. Die Schicksale und die Zukunft<br />

der Menschen sind nicht dafür da, um<br />

damit Wählerstimmen zu generieren. Das<br />

ist nur perfide.<br />

Empowerment ist ein essenzieller<br />

Bestandteil einer soliden, verbundenen,<br />

solidarischen und friedlichen Gesellschaft.<br />

Wenn die Empowerment fehlt,<br />

dann gibt es einen Raum für Unwissen,<br />

Unsicherheit, Exklusion, Hass und<br />

Gewalt. Es ist keine Selbstverständlichkeit,<br />

dass alle über ihre Rechte Bescheid<br />

wissen und wenn sie dies nicht tun, dann<br />

diskriminieren wir sie, anstatt Ihnen diese<br />

Unwissenheit abzunehmen.<br />

WARUM HAT ES BEI MIR<br />

FUNKTIONIERT?<br />

Ich bin keine erfolgreiche Ausländerin,<br />

weil ich besser als die anderen bin oder<br />

weil ich die gute Migrantin bin, die brave<br />

42 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

Asylantin, die so schnell neben sechs<br />

weiteren Sprachen Deutsch lernte und<br />

Preise gewann. Bei mir hat es funktioniert,<br />

weil meine Lehrer:innen an mich<br />

geglaubt haben. An dem Zeitpunkt, an<br />

dem es an der Zivilcourage gescheitert<br />

ist, haben mir meine Professor:innen<br />

unter die Arme gegriffen und mir das<br />

ausreichende Wissen mitgegeben. Ich<br />

habe mich keine einzige Sekunde in<br />

der Schule für meine Identität schämen<br />

müssen. Leider ist das aber auch nicht in<br />

allen Schulen der Fall. In der Mittelschule,<br />

die ich vor dem Gymnasium einige<br />

Monate lang besuchen musste, weil mein<br />

Pflichtschulabschluss aus der Türkei<br />

nicht anerkannt worden war, wurde ich<br />

ausgelacht, einer der Lehrerinnen sagte<br />

mir damals, dass ich es niemals zur<br />

Matura schaffe, dass nicht alle Kinder<br />

aufs Gymnasium müssen und dass die<br />

Uni nichts für mich wäre, weil ich noch<br />

kein Deutsch könne. Mit diesen Worten<br />

traumatisierte sie mich, heute möchte<br />

ich ihr als Jus-Studentin eines sagen:<br />

Ich habe es geschafft und hoffe, dass ich<br />

Ihnen, Frau Lehrerin, und Ihrer Zivilcourage<br />

mit meiner Erfolgsgeschichte eine<br />

Lehre sein kann.<br />

Traut euch! Steht für eure Identitäten<br />

ein, für eure Vielfalt, werdet laut, lasst<br />

euch die Chance nicht nehmen und lasst<br />

euch ja nicht demotivieren. Seid politisch<br />

und setzt euch für eure Anliegen<br />

ein, sonst heißt es immer: „Die Flüchtlinge!“<br />

und „Die Migrant:innen!“ und<br />

irgendwer bringt dann für uns diesen<br />

und jenen Vorschlag ein. Wir können für<br />

uns selbst sprechen, wir können selbst<br />

bestimmen, was wir wollen, aber auch,<br />

was wir nicht wollen. Denkt an diesen<br />

Spruch: „Niemand hat das Recht zu<br />

gehorchen“ – auch diesen Statz habe ich<br />

zum ersten Mal von meiner ehemaligen<br />

Französisch-Lehrerin gehört und ihn ins<br />

Herz geschlossen. ●<br />

Banan Sakbani ist 20 Jahre alt, studiert<br />

Rechtswissenschaften, arbeitet neben<br />

ihrem Studium in einer Rechtskanzlei<br />

als Assistentin. Sie ist Musikerin und<br />

Rednerin.<br />

© 20<strong>23</strong> McDonald’s<br />

„ Es war so prickelnd,<br />

deine zarten Lippen<br />

auf mir zu spüren.<br />

Und plötzlich lässt<br />

du mich eiskalt fallen.“<br />

Mach<br />

keinen<br />

Mist!<br />

Wer sich richtig trennt, spart wertvolle Ressourcen.<br />

Deshalb wird in jedem österreichischen McDonald’s<br />

Restaurant der Abfall gesammelt, getrennt und<br />

anschließend zu 90 % wiederverwendet.<br />

mcd_<strong>BIBER</strong>_SCHUELER_SPECIAL_20<strong>23</strong><strong>06</strong>03_Littering_ANZ_ColdCup_207x270_ISOnewspaper26v4.indd 1 05.04.<strong>23</strong> 10:36


LIFE & STYLE<br />

Mache mir die Welt,<br />

wie sie mir gefällt<br />

Von Şeyda Gün<br />

BEZAHLTE ANZEIGE<br />

VIVA<br />

FRIDA<br />

KAHLO<br />

MEINUNG<br />

Schön schlau<br />

„Nur schön sein reicht halt nicht.“,<br />

predigte mir damals meine Mathe-<br />

Lehrerin in der Schule. Und das nicht<br />

nur einmal, sondern jedes Mal, wenn<br />

ich eine negative Leistung in diesem<br />

Fach erbrachte. Damals, mit 14, hatte<br />

ich mir diese Worte sehr zu Herzen<br />

genommen, es machte mich einfach<br />

traurig. Ich fühlte mich schlecht, weil<br />

ich „schön“ aber nicht schlau genug<br />

für die Schule war. Heute denke ich<br />

an diese Zeit zurück und weiß, dass<br />

die einzigen Fehler die mangelnde<br />

Sozialkompetenz und die fehlende<br />

Menschlichkeit dieser Lehrerin waren.<br />

Ich glaube, vor allem wir Migra-Kids<br />

haben zumindest eine Lehrkraft in<br />

Erinnerung, die uns entweder unsere<br />

Leistung abgesprochen oder uns<br />

auf persönlicher Ebene beleidigt hat.<br />

Rückblickend bin ich auf mein 14-jähriges<br />

Ich sauer. Ich bin deshalb wütend,<br />

weil ich lange genug Aussagen und<br />

Blicke toleriert habe, die schließlich<br />

dazu geführt haben, an mir selbst zu<br />

zweifeln. Dabei bin ich doch so viel<br />

mehr als nur „schön“, schaut her, was<br />

aus mir geworden ist. Daher richte ich<br />

meinen Appell an euch, liebe junge<br />

Leser:innen, lasst euch nicht unterkriegen<br />

und zweifelt nie an euch selbst.<br />

guen@dasbiber.at<br />

Endlich gibt es wieder eine Frida<br />

Kahlo Ausstellung in Wien! Dass<br />

ich ein riesen Fan von ihr bin, ist<br />

kein Geheimnis. Frida ist wohlmöglich<br />

die bekannteste Malerin<br />

Lateinamerikas und eine bewundernswerte<br />

Frau. Die immersive<br />

Ausstellung „Viva Frida Kahlo“<br />

findet ihr in der Wiener Marx Halle<br />

(Karl-Farkas-Gasse 19, 1030 Wien)<br />

noch bis 16.07.20<strong>23</strong>. Schaut<br />

unbedingt hin!<br />

Im Rahmen des Wiener Regenbogenmonats<br />

findet heuer<br />

erstmals das Queer Legends<br />

Festival statt. Was euch dort<br />

erwartet: Filmscreening und<br />

Diskussion zum österreichischen<br />

Modeschöpfer Fred<br />

Adlmüller, Kostüm Improvisationskunst<br />

und eine Modeschau<br />

live on stage von Evelin<br />

Grubbauer mit ihrer Kollektion<br />

„HELIOS“. Am Freitag, den 16.<br />

Juni, im Urania Kino in Wien<br />

„WOMAN.<br />

LIFE.<br />

FREEDOM.“<br />

HOODIE<br />

Der Hoodie von „Younited<br />

Cultures“ ist nicht nur ein absoluter<br />

Eyecatcher, sondern auch<br />

ein Zeichen globaler Solidarität<br />

mit Frauen und Mädchen im<br />

Iran, die mutig für ihre Menschenrechte<br />

demonstrieren. Der<br />

Reinerlös aus dem Verkauf wird<br />

an die Awareness-<br />

Kampagne MY SISTER<br />

gespendet.<br />

Den Hoodie findet<br />

ihr unter<br />

© Zoe Opratko, Queer Legends Festival, Mac Matzen, Younited Cultures<br />

Foto: David Schreiber<br />

BURGER, BÖREK UND CO. MAL ANDERS<br />

Sommersaison = Grillsaison! Die Klassiker Čevape, frische Köfte oder Burger dürfen dabei<br />

natürlich nicht fehlen. Diesen Sommer brauchst du dafür auch gar kein Fleisch und nein, wir<br />

wollen dir jetzt nicht sagen, dass du nur Gemüse auflegen sollst. Es geht nämlich auch anders.<br />

Alle Infos zur SPAR Veggie<br />

Produktkette findest du unter<br />

spar.at/veggie<br />

Wie? Super easy: Mit dem neuen SPAR Veggie<br />

veganem Faschierten. Damit überzeugst du sogar<br />

deine Balkan Mutter von fleischlosen Gerichten!<br />

Das vegane Faschierte ist dem herkömmlichen<br />

Faschierten optisch und geschmacklich so<br />

nahe, dass deine Balkan Mutter gleich zweimal<br />

hinschauen muss, um sich zu überzeugen, dass<br />

es auch wirklich vegan ist! Gebraten als Burger-<br />

Patty, oder gekocht als Chili con Carne oder im<br />

altbekannten Börek stehen mit dem veganen<br />

Faschierten alle Möglichkeiten offen. Hergestellt<br />

im SPAR-eignen TANN-Betrieb in St. Pölten basiert<br />

das vegane Faschierte auf Erbsenprotein-Basis,<br />

enthält kein Palmöl und beinhaltet keine künstlichen<br />

Farb- und Konservierunsstoffe, aber dafür einen<br />

hohen Proteingehalt. Nach einer intensiven<br />

Entwicklungsphase gibt’s das vegane Faschierte ab<br />

jetzt in allen SPAR Filialen in ganz Österreich.<br />

Also auf was wartest du noch?<br />

Hajde gemma endlich grillen, oder?<br />

44 / LIFESTYLE /


KARRIERE & KOHLE<br />

Para gut, alles gut<br />

Von Šemsa Salioski<br />

BIST DU SCHON<br />

GUT INTEGRIERT ?<br />

MEINUNG<br />

Erst krank, wenn<br />

das Spital ruft<br />

„Eine Tablette und es wird schon<br />

passen”, sage ich zu mir, während<br />

ich meine Wärmflasche fester an den<br />

Bauch drücke. Ich habe meine Tage und<br />

wieder einmal unfassbar schmerzhafte<br />

Krämpfe. In meinem Fall sind sie oft<br />

so stark, dass ich ohne Schmerzmittel<br />

zusammenbreche. Natürlich habe ich<br />

an dem Tag trotzdem nicht annähernd<br />

daran gedacht, mich krank zu melden.<br />

Bloß nicht unzuverlässig wirken. Ich<br />

wusste zwar, dass das von der Arbeitgeberseite<br />

gar kein Drama gewesen wäre,<br />

aber ich habe mich trotzdem durch den<br />

Tag gequält. Mit dieser toxischen „work<br />

ethic“ bin ich eben aufgewachsen. Frei<br />

nach dem Motto: “Wir sind die Ersten,<br />

die sie rausschmeißen, wenn wir nicht<br />

arbeiten!”, war man bei uns erst dann<br />

krank, wenn man ins Spital musste.<br />

Diese Einstellung kenne ich auch nur zu<br />

gut aus meinem Migra-Freundeskreis, in<br />

dem die Eltern alle unsichere Jobs hatten.<br />

Auch wir Jungen weigern uns, krank<br />

zu sein, obwohl wir ein völlig anderes<br />

Sicherheitsniveau genießen. Rückblickend<br />

bereue ich es, nicht einfach im<br />

Bett geblieben zu sein. Ich rannte immer<br />

an gegen sinnlose Erwartungen der<br />

Arbeitswelt und war am Ende selbst<br />

nicht schlauer. Aber gönnen wir uns<br />

beim nächsten Mal bitte Krankenstand.<br />

salioski@dasbiber.at<br />

FOMO<br />

(„FEAR OF MISSING OUT“)<br />

WAR GESTERN!<br />

Dein Sommer mit der VHS!<br />

Auch heuer bietet die VHS mit<br />

1.200 Kursen wieder ein breites<br />

Angebot, um das altbekannte<br />

Sommerloch zu füllen! Viele davon<br />

finden auch im Freien statt. Egal<br />

ob Pilates im Park, Acrylmalerei,<br />

ein Fotospaziergang in der Abenddämmerung<br />

oder Schwedisch<br />

lernen – das Sommerangebot der<br />

VHS bietet dir Raum und Zeit,<br />

neues zu entdecken und deiner<br />

Kreativität freien Lauf zu lassen.<br />

Check gleich mit deiner BFF das<br />

Angebot auf www.vhs.at/sommer<br />

ab, damit FOMO gar nicht erst<br />

auftaucht. Nu kör vi! („Los geht’s“<br />

auf Schwedisch)<br />

Veranstaltungstipp<br />

Was ist ein<br />

Algorithmus?<br />

Jeder von uns bekommt unterschiedliche<br />

YouTube-Videos vorgeschlagen.<br />

Auch die Werbung auf<br />

Facebook sieht bei jedem anders<br />

aus. Aber wie funktioniert das? Warum<br />

bekomme ich gewisse Inhalte<br />

ausgespielt?<br />

Was ist eigentich ein Algorithmus?<br />

Ist das nicht alles ur kompliziert?<br />

Nein! Kann ich eigentlich Karriere<br />

in diesem Bereich machen? Ja!<br />

Melde dich einfach an, indem du<br />

eine E-Mail mit dem Betreff „Anmeldung<br />

WBW Algorithmen – 20.<br />

Juni“ an edulab@ifs.tuwien.ac.at<br />

sendest.<br />

KENNT IHR SCHON EASY-TUTOR?<br />

Easy-Tutor ist eine Online-Plattform, die<br />

Einzelunterricht per Video-Chat anbietet. Ihr<br />

Glücklichen, wir mussten damals im Pausenhof<br />

hocken! Die Webseite richtet sich hauptsächlich an<br />

Schüler:innen, hilft aber auch Studierenden sowie<br />

Erwachsenen weiter. Easy-Tutor legt großen Wert<br />

auf die Kompatibilität von Schüler:in und Tutor:in<br />

und bietet ein Matching-System an, bei dem<br />

Nutzer:innen zuerst Fragen beantworten müssen, um<br />

ihr ideales Match zu finden. Es werden ausschließlich<br />

qualifizierte Nachhilfelehrer wie Studierende, Uni-<br />

Absolventen oder Gymnasiallehrer beschäftigt, die<br />

Bestnoten im jeweiligen Fach nachweisen müssen.<br />

© Zoe Opratko, unsplash.com/Markus Spiske, unsplash.com/Headway<br />

Kennst du schon den Podcast<br />

„Gut integriert“? Wenn du in<br />

die Lebensrealitäten von Migras,<br />

BPOCs und Zugezogenen<br />

eintauchen möchtest, dann ist<br />

er genau das richtige für dich.<br />

Host Kristjan spricht mit seinen<br />

Gäst:innen alle Tabuthemen der<br />

unterschiedlichen migrantischen<br />

Communitys an. Sei es Sex vor der<br />

Ehe, Jungfräulichkeit, übertriebener<br />

Nationalstolz, das Leben als<br />

queere migrantische Person oder<br />

Bodyshaming innerhalb der Familie<br />

– kein Thema bleibt unausgesprochen.<br />

Hier geht’s<br />

zum Podcast:<br />

Jeder<br />

Anfang<br />

bringt dich<br />

Ist der Anfang mal gemacht,<br />

geht es einfach weiter!<br />

allejobs findet alle Jobs, die<br />

es aktuell in Österreich gibt.<br />

DIE Job-Suchmaschine<br />

Folgen-Empfehlung: In<br />

der Folge „Existenzängste,<br />

Kunst und finanzielle<br />

Sicherheit“ spricht Kristjan<br />

gemeinsam mit Esma aka<br />

„Strudelworte“ darüber, wie<br />

man es schafft sich beruflich<br />

durchzusetzen – auch<br />

wenn die Familie nicht über<br />

die eigene Berufswahl begeistert<br />

ist, vor allem, wenn<br />

man sich als Migra-Kid im<br />

Kunst-Bereich etablieren<br />

möchte.<br />

Hier geht’s<br />

zur Folge:<br />

Bezahlte Anzeige<br />

46 / KARRIERE /<br />

ams.at/allejobs<br />

AMS_ALLEJOBS_<strong>BIBER</strong>_207x135.indd 1 15.05.<strong>23</strong> 14:37


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OPTIMAL VORBEREITET AUF DIE<br />

KARRIERE IN DER GESUNDHEITS-<br />

UND KRANKEN PFLEGE<br />

Du interessierst dich für Gesundheit und Krankheitsprävention, bist<br />

kommunikativ und unterstützt gerne andere? Mit einem Studium der<br />

Gesundheits- und Krankenpflege an der FH Campus Wien kommst<br />

du zu deinem zukünftigen Traumjob in der Pflege. Drei Studierende<br />

erzählen über ihre persönlichen Highlights und Hintergründe.<br />

Tim Weier<br />

(22)<br />

Studiert im 1.<br />

Semester am Standort<br />

FH Campus Wien<br />

Durch die ersten Arbeitserfahrungen<br />

bei einem<br />

Rettungsdienst kam<br />

Tim auf ein Studium<br />

der Gesundheits- und<br />

Krankenpflege am<br />

Standort der FH Campus Wien. „Ich begann zuerst ein<br />

Architektur-Studium und merkte relativ schnell, dass<br />

das nichts für mich war“, erzählt der Erstsemestrige. Er<br />

möchte seinen Beitrag gegen den akuten Pflegefachkräftemangel<br />

leisten und interessiert sich vor allem für<br />

den Bereich der Notfall- und Unfallversorgung. „Ich bin<br />

ein sehr stressresistenter Mensch und kann spontan<br />

und flexibel auf verschiedene Situationen reagieren,<br />

deshalb ist besonders das spannend für mich.“ Bereits<br />

im Vorfeld des Studiums war Tim begeistert von der<br />

technischen Ausstattung in den Funktionsräumen an<br />

der FH. „Man kann nahezu reale Szenarien nachstellen,<br />

das fand ich faszinierend.“ Essen verbindet – deshalb<br />

hängt Tim am liebsten in der Mensa mit seinen<br />

Studienkolleg:innen ab. Am meisten genießt er die<br />

familiäre Atmosphäre beim Studium an der FH.<br />

Emily<br />

Marshall<br />

(21)<br />

Studiert im<br />

4. Semester<br />

am Standort<br />

Vinzentinum<br />

Wien<br />

Die Oberösterreicherin<br />

studiert am<br />

Vinzentinum und<br />

durfte schon viele Bereiche der Gesundheits- und<br />

Krankenpflege kennenlernen. „Mein erstes Praktikum<br />

absolvierte ich in der Langzeitpflege, was ganz anders<br />

ist als das Setting im Krankenhaus“, erzählt Emily. Laut<br />

ihr verlangt die Arbeit als Gesundheits- und Krankenpflegeperson<br />

viel Verantwortungsbewusstsein, gute<br />

Kommunikation, Hilfsbereitschaft und Offenheit. „In der<br />

Onkologie und Inneren Medizin durfte ich auch schon<br />

arbeiten.“ Das richtige Verhältnis von Theorie und Praxis<br />

ist entscheidend für den späteren Arbeitsalltag in der<br />

Pflege. „Vieles aus der Theorie kann man sofort anwenden<br />

und wir werden auch auf alles vorbereitet, was<br />

nicht nach Lehrbuch verläuft.“ Ihr nächstes Praktikum<br />

wird sie in der Notfallmedizin absolvieren. „Die Funktionsräume<br />

und ihre Ausstattung vermitteln ein gutes<br />

Gefühl für die Versorgung von Patient:innen und die<br />

Handhabung medizinischer Geräte“, so Emily.<br />

Fotos: Zoe Opratko<br />

Fotos: Zoe Opratko<br />

Monika<br />

Völk<br />

(30)<br />

Studiert im<br />

6. Semester<br />

am Standort<br />

Barmherzige<br />

Brüder Wien<br />

Monika steht kurz vor<br />

dem Abschluss des<br />

Studiums am Standort<br />

der Pflegeakademie<br />

Barmherzige<br />

Brüder in Wien. „Meine Highlights waren die verschiedenen<br />

Praktika, auch in Bereichen, die man sonst gar nicht am<br />

Schirm hat“, so die angehende Gesundheits- und Krankenpflegerin.<br />

Mobile Hauskrankenpflege, Langzeit- und Rehabilitationsbereich,<br />

Akutbereich Urologie und Augen, die<br />

Tätigkeit im Aufwachraum und ein dreimonatiges Auslandspraktikum<br />

in der Geburtshilfe und Kinder- und Jugendheilkunde<br />

in Tansania, Afrika, hat Monika bereits hinter sich.<br />

Die größte Herausforderung ist das große Pensum im Studium.<br />

„Montag bis Freitag sind Präsenzveranstaltungen, dazu<br />

kommen Praktika und Prüfungen. Man braucht auf jeden<br />

Fall ein gutes Zeitmanagement. Umso besser fühle ich mich<br />

aber auf die Arbeit in der Pflegepraxis vorbereitet.“ Spannend<br />

war für Monika die außercurriculare Lehrveranstaltung<br />

„Spiritual Care“. „Dabei geht es um die spirituellen Bedürfnisse<br />

von Patient:innen. Wir haben verschiedene Religionen<br />

kennengelernt und beispielsweise über Essensvorschriften<br />

oder Gebetszeiten gelernt. Als Pflegepersonal ist man den<br />

Patient:innen am nächsten, daher ist es gut zu wissen, worauf<br />

man Rücksicht nehmen sollte“, erzählt Monika.<br />

▶ Bewerbungen für das<br />

Wintersemester 20<strong>23</strong>/24 laufen<br />

noch bis <strong>23</strong>. Juli 20<strong>23</strong><br />

▶ Abschluss: Bachelor of<br />

Science in Health Studies<br />

inkl. Berufsberechtigung<br />

▶ Mindeststudienzeit:<br />

6 Semester (Vollzeit)<br />

Das Bachelorstudium Gesundheits- und<br />

Krankenpflege wird an folgenden Standorten<br />

angeboten:<br />

→ FH Campus Wien, 1100 Wien<br />

→ Pflegeakademie der Barmherzigen Brüder<br />

Wien, 1020 Wien<br />

→ Vinzentinum Wien, 1030 Wien<br />

→ Wiener Gesundheitsverbund – Campus<br />

Donaustadt, 1220 Wien<br />

→ Wiener Gesundheitsverbund – Campus<br />

Favoriten, 1100 Wien<br />

→ Wiener Gesundheitsverbund – Campus<br />

Floridotower, 1210 Wien<br />

Während des Studiums profitieren Studierende<br />

zurzeit von der monatlichen Wiener<br />

Pflegeausbildungsprämie der Stadt Wien.<br />

www.waff.at/wiener-pflegeausbildungspraemie<br />

Mehr Infos zum<br />

Bachelor der<br />

Gesundheits- und<br />

Krankenpflege<br />

gibts hier


Zweimal Pandemie, zweimal Sitzenbleiben, zwei Perspektiven: Zwei Schülerinnen ziehen drei<br />

Jahre später eine Bilanz darüber, wie das Distance Learning ihre Zukunft beeinflussen wird.<br />

MEINUNG<br />

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NEUER STANDARD FÜR<br />

NACHHALTIGE SANIERUNG<br />

SITZENBLEIBEN NACH<br />

DER MATURA?<br />

Die Pandemie war ein Auf und Ab der Gefühle. Einerseits<br />

die schönste, andererseits auch die schlimmste Zeit, die<br />

man in seiner Jugend erleben konnte. Für mich war das eine<br />

komische und einzigartige Mischung aus beidem. Während<br />

des zweiten Lockdowns besuchte ich die 6. Klasse in einer<br />

AHS. Präsenzunterricht wurde zu Online Zoom-Meetings,<br />

Schulen durften nur mehr von Unterstufenschüler:innen, die<br />

Betreuung benötigen, besucht werden.<br />

Monatelang nur zu Hause vor dem PC zu hocken, Online-<br />

Unterricht zu haben und die Aufgaben zu erledigen, war<br />

nichts für mich. Statt die Aufgaben zu erledigen, zockte ich<br />

lieber die ganze Nacht durch. Das ließ mich auch oft den<br />

Unterricht verschlafen. Dadurch, dass ich nicht mehr an<br />

dem Unterricht teilgenommen habe, vernachlässigte ich die<br />

Schule extrem. Von dem Stoff bis zu den Tests und Schularbeiten<br />

habe ich nichts mehr mitbekommen. Bis mir klar<br />

wurde, dass ich so die Klasse wiederholen werden müsste,<br />

war es zu spät.<br />

Rückblickend bin ich froh, dass ich sitzengeblieben bin, da<br />

ich nochmal alles wiederholt habe und das auch sehr wichtige<br />

Teile der Zentralmatura sind. Momentan fühle ich mich,<br />

so wie auch viele in meinen Jahrgang, nicht bereit dafür. Ich<br />

bin zwar sitzen geblieben, der Stoff aber nicht.<br />

Allerdings ist es auch unfair, dass die jetzigen Maturant:-<br />

innen keine Erleichterung der Matura bekommen. Die<br />

Coronajahre haben vor allem diese Schüler:innen stark<br />

beeinflusst, da sie von den wichtigsten Jahren kaum was<br />

mitbekamen. Jeder hatte seine eigenen Probleme, manche<br />

hatten es schwer wegen einer toxischen Umgebung, andere<br />

verfielen in Depressionen. Wieder andere hatten wenigstens<br />

das Glück, ein eigenes Zimmer zu besitzen, während sich<br />

viele zu dritt eines geteilt haben. Es kann von uns einfach<br />

nicht erwartet werden, dass wir so tun, als wäre nichts<br />

gewesen und als hätten wir nicht eine bisher einzigartige<br />

Situation erlebt – diese Zeit hat uns zwar gezwungenermaßen<br />

auf unsere Zukunft vorbereitet, aber in Schulnoten kann<br />

man das nicht messen. Und Sitzenbleiben ist zwar in der<br />

Schule eine Option, im späteren Leben aber nicht mehr.<br />

Amira El Sadany ist 18 Jahre alt und besucht das BRGORG 15<br />

Henriettenplatz<br />

DAS WAR MEIN JAHR!<br />

Wir schreiben das Jahr 2020, ich bin gerade dabei, die vierte<br />

Klasse der Unterstufe zu wiederholen und das vorherige<br />

Schuljahr zu verdauen. Das letzte Jahr war eine Katastrophe,<br />

ich bin schon fertig genug, mental und körperlich. Während<br />

ich mich allmählich dazu bringe, mich endlich wieder zusammenzureißen,<br />

kommt aus irgendeiner Ecke dieses verdammte<br />

Corona hergekrochen. Wieso genau jetzt? Ich kann doch<br />

eh nicht mehr!<br />

Das Chaos der Welt bekomme ich als Schülerin sehr zu spüren<br />

und ich habe ganz stark die Befürchtung, dass ich nicht<br />

mehr rauskomme aus diesem Loch. Denn die Schule, wie<br />

auch der Rest der Welt, weiß gar nicht damit umzugehen.<br />

Alle sind gestresst: Eltern, Lehrer:innen, Schüler:innen. Aber<br />

überraschenderweise geht es mir gut. Nein, nicht nur gut,<br />

es ging mir nie besser, ich habe endlich mal keinen Stress.<br />

Ich chille zuhause und genieße die ganze Freizeit, die ich<br />

plötzlich habe. In der Zwischenzeit drehen alle durch, doch<br />

ich schaue meine Serien und schlafe, wann ich will. Einen<br />

geregelten Rhythmus habe ich auch nicht mehr, aber das<br />

ist mir egal, weil das Distance learning sowieso nicht richtig<br />

funktioniert. Denn die meisten Lehrer:innen sind vollkommen<br />

ahnungslos, was sie mit der neuen Technik tun sollen<br />

und richtige Online-Meetings gibt es fast nie. Während es<br />

anderen jetzt schlecht geht, da es so gut wie keinen sozialen<br />

Kontakt gibt, bin ich glücklich und frei. Vor allem im Kopf,<br />

raus darf ich ja nicht ohne plausiblen Grund. Für mich, als<br />

introvertierten Menschen, ist das das Paradies. Ich liebe es,<br />

alleine zu sein. Ich habe endlich eine Pause von allem. Ein<br />

Jahr lang geht es nur um mich.<br />

Die Schule läuft nicht besonders gut, was zählt, ist nur in<br />

die nächste Klasse aufzusteigen, egal wie und mit welchen<br />

Noten. Und die Lehrer:innen sind dieses Jahr besonders<br />

gnädig. Keine Hausübung, keine Tests, so wenig Schularbeiten<br />

wie möglich. Jackpot. Ja, wir kriegen Aufgaben, aber<br />

wenn die nicht erledigt werden, interessiert es keinen.<br />

Die Lehrer:innen haben schon längst aufgegeben. Während<br />

sie aufgegeben haben, bin ich dran geblieben: Vor allem an<br />

mir selbst. Denn 2020 war das Jahr meiner Regeneration.<br />

Seitdem bin ich wieder ich.<br />

Carolina Arena ist 18 Jahre alt und besucht das BRGORG 15<br />

Henriettenplatz<br />

© Zoe Opratko<br />

© LUKOIL<br />

Die neue Firmenzentrale von LUKOIL<br />

INTERNATIONAL am Wiener Schwarzenbergplatz<br />

ist bezugsfertig. Im Rahmen eines<br />

modernen High-Tech-Sanierungskonzepts<br />

wurden Klimaschutz, nachhaltige Bauweise<br />

und ökologisches Bewusstsein für die<br />

Umwelt optimal miteinander verknüpft.<br />

LUKOIL INTERNATIONAL hat für die Sanierung des<br />

historischen Bestandsgebäudes am Schwarzenbergplatz<br />

mehrere innovative Lösungsansätze kombiniert. Das<br />

sechsstöckige Gebäude aus dem Jahr 1905 – mit rund<br />

3.800 Quadratmetern Nutzfläche sowie knapp 550 Quadratmetern<br />

Freifläche – wurde um zwei Dachgeschoßebenen<br />

erweitert. Dabei standen Wiederverwertung<br />

und langfristige Nutzung als Eckpfeiler des nachhaltigen<br />

Bauens im Fokus, die sich direkt auf die effiziente<br />

Modernisierung von Altbauten übertragen lassen.<br />

Energie- und Gebäudeeffizienz<br />

mit hoher Funktionalität<br />

LUKOIL integrierte energiesparende und ökologische<br />

Maßnahmen, um den Mitarbeiter:innen ein angenehmes<br />

Arbeitsklima zu ermöglichen. Für die neue Firmenzentrale<br />

wurden eine Solaranlage, spezielle Lüftungs- und<br />

Sonnenschutz-Konzepte, eine Begrünungsstrategie<br />

für Indoor und Outdoor sowie Bienenstöcke am Dach<br />

umgesetzt. Auch der Vogelschutz wurde bedacht und<br />

Nistmöglichkeiten für Falken und Mauersegler am<br />

Gebäude realisiert. Technische Filteranlagen bereiten<br />

die Außenluft auf und durch die Platzierung ausgewählter<br />

Pflanzen direkt vor der Luftansaugung wird dieser<br />

Effekt verstärkt.<br />

Dachbegrünung für mehr Nachhaltigkeit<br />

Durch innovative Technologien und die Bepflanzung von<br />

Fassaden können Altbauten auch in puncto Klimaschutz<br />

deutlich aufgewertet und wichtige Ressourcen<br />

eingespart werden. Ein weiterer Fokus lag daher auf<br />

der Dachbegrünung, welche viel Potenzial in Hinblick<br />

auf die Kombination von Gebäudesanierungen und der<br />

Abschwächung des urbanen Hitzeinseleffekts bietet –<br />

mit Auswirkungen auf die Luftqualität hinsichtlich Feinstaub,<br />

VOC, CO2, Temperatur und Luftfeuchtigkeit.<br />

50 / MIT SCHARF /


KULTURA NEWS<br />

Klappe zu und Vorhang auf!<br />

Von Nada El-Azar-Chekh<br />

MEINUNG<br />

Gute Vibes<br />

Kürzlich unterhielt ich mich mit<br />

einem Bekannten, der schon lange<br />

an Mittelschulen unterrichtet, über<br />

die Unterschiede zwischen Millennials<br />

und der Generation Z. Er, der<br />

dieses Jahr seinen 50. Geburtstag<br />

feiert und zur Generation Boomer<br />

gehört, merkt einen riesigen Unterschied<br />

mit der Generation „Tiktok“<br />

– etwa bei der Frage: Welche Musik<br />

hört ihr gerne? Eigentlich einfach,<br />

würde man meinen. Die jüngere Gen<br />

Z kann jedoch weder Genres, noch<br />

Alben und noch weniger Artists nennen,<br />

sie zückt stattdessen ihr Smartphone,<br />

um das alles nachzusehen.<br />

Anstelle von Songs sind es nur mehr<br />

Sounds, die auf den Plattformen viral<br />

gehen. Auf die Frage, warum diese<br />

„Sounds“ gefallen, gibt es die wenig<br />

zufriedenstellende Antwort: Ich weiß<br />

nicht, das gibt mir halt gute Vibes.<br />

Subkulturen sind längst „Ästhetiken“<br />

geweicht, es herrscht die globale<br />

Social-Media-Kultur, die ständig<br />

immer kleinere Mikronischen hervorbringt.<br />

Doch wie überall gibt es auch<br />

hier Ausnahmen – Kids, die sehr<br />

wohl über ihren Musikgeschmack<br />

bestens im Bilde sind: Metal-Heads<br />

(oder generell Kids, die auf „alte“<br />

Musik stehen) und – jetzt kommts –<br />

K-Pop-Fans!<br />

el-azar@dasbiber.at<br />

Film-Tipp<br />

THE FIVE<br />

DEVILS<br />

Ausstellungstipp<br />

Science<br />

Fiction(s)<br />

Die große Jahresausstellung „Science<br />

Fiction(s) – Wenn es ein Morgen gäbe“ im<br />

Weltmuseum Wien präsentiert alternative<br />

Zukunftsszenarien zur Kritik der Gegenwart,<br />

Dekolonisierung und Heilung. Mit<br />

einem Fokus auf indigene, auf schwarze<br />

und muslimische Stimmen stehen die<br />

Perspektiven derer im Mittelpunkt, die oft<br />

aus westlichen Zukunftserzählungen ausgeschlossen<br />

sind. Bis zum 8. Oktober ist<br />

zudem die Installation “Space Mosque” von<br />

Saks Afridi im Theseustempel ausgestellt.<br />

Bis 9. Jänner 2024<br />

im Weltmuseum Wien.<br />

Die kleine Vicky (Sally Dramé) hat eine<br />

geheimnisvolle Gabe: Sie kann jeden Duft<br />

reproduzieren, dem sie begegnet. Als ihre<br />

entfremdete Tante plötzlich in die Stadt<br />

zurückkehrt, wird das junge Mädchen<br />

durch die Beschwörung ihres Dufts in eine<br />

Vergangenheit voller rätselhafter<br />

Familiengeheimnisse zurückversetzt.<br />

Ein mysteriöser Thriller von<br />

Regisseurin Léa Mysius mit der<br />

großartigen Adèle Exarchopoulos<br />

in der Rolle von Vickys Mutter<br />

Joanne.<br />

Seit 12. Mai in den Kinos.<br />

Podcast-Tipp:<br />

IM MUSEUM<br />

Kunst, kurz und bündig auf die<br />

Ohren: „Im Museum“ knöpft<br />

sich aktuelle Ausstellungen und<br />

Sammlungen in Wien vor und lässt<br />

Kurator:innen, Vermittler:innen,<br />

oder Sammler:innen selbst zu<br />

Wort kommen. Moderiert von Iris<br />

Borovčnik und Andreas Fischer.<br />

Alle Folgen gibt es hier:<br />

www.immuseum.at<br />

© Zoe Opratko, FCommeFilm TroisBrigandsProduction, Cara Romero, ALPHA<br />

© eSeL.at - Lorenz Seidler<br />

3 FRAGEN AN…<br />

MARKO MARKOVIĆ<br />

Der kroatische Künstler Marko Marković<br />

ist Frontmann von „Ausländer“, einem<br />

offenen Projekt für Musik-Performance<br />

und experimentelle Medienkunst.<br />

<strong>BIBER</strong>: „Ausländer“ wurde am 1. Mai 2018 gegründet. Warum heißt das<br />

Kollektiv überhaupt Ausländer?<br />

„Ausländer“ ist ein offenes Projekt für Musik-Performance und<br />

experimentelle Medienkunst, das Menschen mit unterschiedlichen<br />

Hintergründen zusammenbringt und die Zusammenarbeit mit anderen<br />

Individuen und Kollektiven begrüßt. Der Name „Ausländer“ ist<br />

ein selbstermächtigendes Statement, das sich gegen die abwertende<br />

Konnotation oder den so verwendeten Begriff wendet.<br />

Du hast keine Scheu, bei deinen Live-Performances körperlich zu werden<br />

– hast du jemals deine eigenen Grenzen überschritten?<br />

In meiner Arbeit stelle ich die Grenzen von Körper, Raum, Territorium<br />

und Zeit in Frage. Dementsprechend bin ich daran interessiert, sozial<br />

engagierte Kunst und Wissenschaft zu verbinden, da wir in einer sehr<br />

fortschrittlichen technologischen Zeit leben, die sich ihrer eigenen<br />

Kapazitäten nicht bewusst ist. Ich interessiere mich sehr für Aspekte<br />

der gegenseitigen Hilfe als Koexistenzbeziehungen zwischen Arten<br />

und basierend auf diesen Gedanken wurde das Projekt „Mutual Aid<br />

Orchestra“ zwischen Arten – in diesem Fall den großen Menschenaffen<br />

Orang-Utans und uns menschlichen Musikern von Ausländer – in<br />

Partnerschaft mit dem Tiergarten Schönbrunn beim Wienwoche-Festival<br />

2021 produziert. Die Kommunikation mit Tieren in Gefangenschaft<br />

war eine echte Herausforderung.<br />

Welche musikalischen und künstlerischen Einflüsse prägen dich?<br />

Ich bin in einer alternativen und punkigen Kultur aufgewachsen, mit<br />

musikalischen Einflüssen von Ramones, Sex Pistols, Exploited, Joy<br />

Division, Crass, Pixies und der Underground-Szene wie Paraf, KUD<br />

Idijoti, Kaos, Miladojka, SCH, Pere Ubu und dem Musikphänomen Ekatarina<br />

Velika. Komponisten wie Nina Simone und elektronische Musik<br />

wie Sven Väth und Moondog. In letzter Zeit, im letzten Jahr, höre ich<br />

Cumbia, denn Cumbia ist ein neuer Punk!<br />

52 / KULTURA /


DER QUOTEN-ALMANCI<br />

DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH, DAS<br />

SIND AUCH EURE WÄHLER:INNEN<br />

In den letzten Wochen drehte sich bei mir alles um die<br />

Politik in der Türkei. Die Konsequenzen des Erdbebens<br />

und der unterlassenen Prävention, die anstehenden<br />

Wahlen und gesellschaftspolitischen Konflikte innerhalb<br />

der Bevölkerung. Mein Entschluss, mich eine Weile<br />

zurückzuziehen, stand eigentlich fest. Ich habe mich<br />

genug angestrengt – und es hat nicht funktioniert. Nennt<br />

es kindliche Sturheit oder Trotz, aber die weitaus mehr<br />

als positiven Reaktionen auf die Wiederwahl Recep Tayyip<br />

Erdoğans hier in Österreich und Deutschland machen<br />

mich wütend und fassungslos. Was genau wird eigentlich<br />

gefeiert? Dass der Urlaub in Bodrum oder Çeşme dieses<br />

Jahr im Sommer noch günstiger wird, weil die<br />

Lira immer weiter fällt? Oder die Koalition mit<br />

einer islamisch-konservativen Partei, die der<br />

Meinung ist, Frauen müssten schnellstmöglich<br />

verheiratet werden, um Familien zu gründen<br />

und Kinder zu gebären? In den letzten Tagen<br />

habe ich mich geschämt (Quoten-)Almanci<br />

zu sein. Während wir hier von den Privilegien<br />

demokratischer Staaten profitieren, haben<br />

wir dort über das Schicksal von Millionen von Menschen<br />

mitentschieden, die erneut der Machtgeilheit eines<br />

Autokraten ausgesetzt sind, der die LGBTQIA+ Community<br />

von seinem Palast aus als unmoralisch und sittenlos<br />

bezeichnet, während sein Volk unter der Hyperinflation im<br />

Supermarkt zwei Mal darüber nachdenken muss, ob es<br />

sich Milchprodukte leisten kann.<br />

ERDOGAN WEISS, WIE ER DIE TÜRK:INNEN IN<br />

EUROPA FÜR SICH GEWINNT<br />

Nach ein paar Tagen der Cool-Down-Phase bin ich nun<br />

aber überzeugt, dass apolitisch zu sein und sich zurückzuziehen<br />

nicht die Lösung ist – vor allem nicht als privilegierte<br />

Deutsch-Türkin mit deutscher Staatsbürgerschaft. Es<br />

ist die Hälfte der Bevölkerung in der Türkei, die Erdogan<br />

nicht als Präsidenten wollte. Es ist nun wichtiger denn je,<br />

für die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen<br />

Von Özben Önal<br />

Kolumnistin Özben<br />

Önal ist euer „Quoten-<br />

Almanci“ – ein bisschen<br />

deutsch, ein bisschen<br />

türkisch, mit ein bisschen<br />

Liebe zu Wien. In ihrer<br />

Kolumne berichtet sie<br />

über Schönes, Schwieriges<br />

und Alltägliches.<br />

zu kämpfen.<br />

Eine Verantwortung tragen meiner Meinung nach auch<br />

Deutschland und Österreich für die Wahlergebnisse der<br />

europäischen Wahlberechtigten. Die politischen Narrative<br />

über unintegrierte Massen von migrantischen Menschen,<br />

die schon längst nicht mehr nur Hetze von rechtspopulistischen<br />

Parteien wie der FPÖ oder AfD sind, treiben<br />

die Türk:innen direkt in die Arme eines Faschisten. Denn<br />

er weiß genau, wie er Menschen adressiert, die mit dem<br />

Gefühl der Zugehörigkeit in Deutschland und Österreich<br />

zu kämpfen haben. Er fängt sie auf, indem er die Heuchelei<br />

der europäischen Staaten und ihren Rassismus<br />

adressiert. Er bietet ihnen die Alternative, aus<br />

Trotz den Nationalstolz in ihrem vermeintlichen<br />

Heimatland zu stärken. Erinnern wir uns an<br />

Mesut Özil und seinen Austritt aus der deutschen<br />

Nationalmannschaft – er klagte über den<br />

deutschen Fußballverband und Fans, die ihn als<br />

Deutschen sahen, wenn er Tore schoss und als<br />

Türken, wenn die Mannschaft verlor. Erdogan<br />

instrumentalisierte die empörten Reaktionen der<br />

Deutschen auf das Foto, das von ihm, Mesut Özil und İlkay<br />

Gündoğan auftauchte, und die Entscheidung Özils, in die<br />

Türkei zu ziehen, für seine Zwecke. Er entfachte innerhalb<br />

der türkischen Community ein Gefühl von Zusammenhalt.<br />

Von der Geschichte der deutschen bzw. österreichischen<br />

Ausbeutung von sogenannten „Gastarbeiter:innen“, die<br />

mit 10.500 Mark zurück in ihre Heimatländer geschickt<br />

werden sollten, bis zum heutigen Tag, an dem Politiker<br />

wie Mahrer oder Waldhäusl behaupten, Wien sei durch<br />

die migrantische Bevölkerung nicht mehr Wien, zieht sich<br />

eine ewig lange Spur der Ausgrenzung und des Rassismus<br />

durch die Zeit. Also Deutschland und Österreich, Tenor<br />

ist ab jetzt: Wenn wir uns über hupende Autokorsos und<br />

Türkei-Flaggen aufregen, dann sollten wir gleichzeitig<br />

auch reflektieren, welche Verantwortung wir tragen, wenn<br />

Wahlberechtigte in Überzahl einen Autokraten in der<br />

Türkei wählen. ●<br />

© Zoe Opratko<br />

Nachhaltig<br />

Ein Ö1 Dossier<br />

Ö1 Dossier<br />

Alle Ö1 Sendungen zum Thema, dauerhaft verfügbar<br />

oe1.oRF.at/nachhaltigleben<br />

Ö1 Podcast »Nachhaltig leben«<br />

Jeden zweiten Freitag um 11.55 Uhr in Ö1<br />

oe1.oRF.at/podcast<br />

Ö1 Klima-Newsletter<br />

Das wöchentliche Update zur Forschung;<br />

aus der Ö1 Wissenschaftsabteilung<br />

newsletter.extra.oRF.at<br />

Weitere Berichte und Projekte<br />

science.oRF.at<br />

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Mit freundlicher Unterstützung<br />

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