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Mixology Issue #115 – Bourbon, aber anders

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MIXOLOGY <strong>–</strong> MAGAZIN FÜR BARKULTUR 3.2023<br />

3/ 2023 — 21. Jahrgang<br />

Einzelverkaufspreis: [D] 11,00 € — [A, LUX] 12,00 € — [CH] 12,50 CHF<br />

MODERNE<br />

BOURBON<br />

COCKTAILS<br />

GEFANGEN<br />

IN DER KLASSIK<br />

BARS IN<br />

DÜSSEL<br />

DORF<br />

KANN DIE KÖ<br />

COCKTAILS?<br />

DER BESTE<br />

LONDON<br />

DRYGIN<br />

WACHOLDER IST<br />

NICHT TOT


Bars & Menschen<br />

NEUE BARS 18<br />

ERST HÖREN, DANN TRINKEN:<br />

DAS »NEIRO« IN BERLIN<br />

.................................................................................................................<br />

AUF EIN GLAS MIT … 24<br />

Dominik Falger Zwischen Zahlen und<br />

klarem Eis<br />

.................................................................................................................<br />

NACHTRAUSCHEN 28<br />

IN DER »AFRICA« JENSEITS VON AFRIKA<br />

.................................................................................................................<br />

STADTGESCHICHTEN 32<br />

Kö’cktails & Mehr? Bars in Düsseldorf<br />

.................................................................................................................<br />

TRINKWELT 70<br />

MEHRHEITLICH BIER IN ISRAEL<br />

.................................................................................................................<br />

MIXOLOGY ON THE ROAD 82<br />

Das Licht. In Beirut. Irgendwie<br />

.................................................................................................................<br />

TIEFENRAUSCH 92<br />

Die Gifte von Frédéric Schwildens »Toxic Man«<br />

FLÜSSIGES<br />

MIXTUR 6<br />

Neuheiten für die Bar. Frisch geschüttelt<br />

.................................................................................................................<br />

ZEHN 14<br />

Dem <strong>Bourbon</strong> auf die Fakten geschaut<br />

.................................................................................................................<br />

FOOD & DRINK 22<br />

Babylonische, maritime Tatar-Vielfalt<br />

.................................................................................................................<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM 42<br />

Wichtiger denn je: der beste London Dry Gin<br />

.................................................................................................................<br />

COCKTAIL 50<br />

<strong>Bourbon</strong>-Drinks. Oder: die altmodische Falle<br />

.................................................................................................................<br />

SPIRITUOSE 58<br />

Die kognitive Dissonanz des Vodkas<br />

.................................................................................................................<br />

42 MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

Die Wacholder-Skala<br />

Das Abflauen des langen Gin-Booms<br />

lässt ihn wieder mehr ins Zentrum<br />

rücken: London Dry Gin bleibt eine<br />

tragende Säule der Bar. Der crisp-würzige,<br />

charakteristische Nachkomme<br />

des Genever erzählt noch immer die<br />

wahren Gin-Geschichten. Das Taste<br />

Forum nimmt den Sommer zum Anlass,<br />

die wichtigsten großen Brands und einige<br />

deutsche Newcomer zu bewerten.<br />

32<br />

STADTGESCHICHTEN<br />

»Der verpeilte<br />

Cousin«<br />

Düsseldorf ist kleiner als der<br />

ewige Rivale Köln, <strong>aber</strong> streng<br />

genommen deutlich weltläufiger.<br />

Die Stadt am Rhein hat in<br />

Sachen Kunst, Kultur, Fashion<br />

und auch Gastronomie Einiges<br />

zu bieten. Hinzu kommt die<br />

einzigartige japanische Community<br />

der Stadt. Auch Bars haben<br />

eine reiche Tradition in der<br />

»Modestadt«, dennoch bleibt<br />

sie laut Eigendiagnose »der<br />

verpeilte Cousin der deutschen<br />

Barszene«. Unser Autor hat näher<br />

hingeschaut und darf diese<br />

These widerlegen.<br />

82 MIXOLOGY ON THE ROAD<br />

Licht (und viel Schatten)<br />

in Beirut<br />

Das »Paris des Nahen Ostens« ist eine der ältesten,<br />

kulturell bedeutsamsten Städte der Welt. Doch<br />

Beirut wird geschunden, und das seit Jahrzehnten.<br />

Gelegen im Zentrum zahlreicher regionaler und<br />

globaler Konflikte, wird die Schönheit immer<br />

weiter zerstört, zuletzt durch die Explosions-Katastrophe<br />

von 2020. Doch Beirut wehrt sich, denn die<br />

Menschen bleiben dort, bleiben kreativ, bleiben<br />

resilient. Unser Autor war zu Gast und hat mit<br />

den wichtigsten Protagonist:innen der dortigen<br />

Barszene gesprochen. Und natürlich getrunken.<br />

4


50 COCKTAIL<br />

Gefangen in<br />

der eigenen Größe?<br />

<strong>Bourbon</strong> ist ein Dreh- und Angelpunkt<br />

der klassischen Mixkultur.<br />

Er ist die Basis von Old Fashioned<br />

und Whiskey Sour in ihrer traditionellen<br />

Ausprägung. Ohne ihn<br />

geht nichts. Doch so viel Ehrfurcht<br />

kann auch in Erstarrung und<br />

Stagnation umschlagen. Roland<br />

Graf stellt für uns die Frage: Hat<br />

<strong>Bourbon</strong> ein Problem mit seiner<br />

Größe? Trauen sich Bars, ihn auch<br />

in wirklich »neuen« Drinks zu<br />

inszenieren? Oder tappt er immer<br />

wieder in die altmodische Falle?<br />

24<br />

AUF EIN GLAS MIT …<br />

… Dominik M. Falger<br />

Eine Bar nach dem ausgewiesenen Heavy<br />

Drinker David Embury zu benennen, kann auch<br />

falsche Assoziationen auslösen. Doch Dominik<br />

Falger geht es mit seiner »Embury Bar« in<br />

Frankfurt zwar um stabile Drinks, nicht jedoch<br />

um sinnlosen Rausch. Stattdessen hat unser Autor<br />

Gabriel Daun im Gespräch mit Falger einen<br />

Mann erlebt, dem es gelingt, einen nüchternen,<br />

präzisen unternehmerischen Geist mit absoluter<br />

Begeisterung für die Bar zu verbinden.<br />

58 SPIRITUOSE<br />

Die Dissonanz des Vodkas<br />

Vodka ist immer da. Vodka ist nicht aus der Bar<br />

zu denken. Vodka zahlt die Rechnungen. Vodka<br />

kann mit allem. Vodka ist too big to fail. Vodka ist<br />

und kann ziemlich viel, bleibt <strong>aber</strong> aus ideeller<br />

und kultureller Sicht doch immer ein Zaungast<br />

der Barkultur. Daran ist nichts schlimm. Doch<br />

es stellt sich die Frage, wie viel eigene Identität eigentlich<br />

in Vodka steckt <strong>–</strong> oder ob sie immer nur<br />

in den von ihm getragenen Drinks steckte. Und<br />

auch die alkoholfreie Zukunft wird es ihm nicht<br />

leicht machen. Das Dossier von Nils Wrage.<br />

BACK TO BASICS 64<br />

INS »CAFÉ ROYAL«. ABER ES GIBT<br />

MEHR ALS KAFFEE<br />

.................................................................................................................<br />

HOW TO COCKTAIL 69<br />

Der perfekte Continental Sour<br />

.................................................................................................................<br />

ALCHEMIST 74<br />

Personalführung zwischen digital und analog<br />

.................................................................................................................<br />

FOUR OF A KIND 79<br />

Skandinavischer Vodka im Vergleich<br />

.................................................................................................................<br />

WHISK(E)Y NEWS 80<br />

Neuheiten rund um Roggen, Mais und Torf<br />

.................................................................................................................<br />

KAFFEE 86<br />

No Sleep Til Decaf<br />

.................................................................................................................<br />

KAFFEENOTIZEN 89<br />

Innovatives aus dem Kaffeekosmos<br />

Rubriken & Kolumnen<br />

TRIAL & ERROR 20<br />

ROTHKO STATT ROKOKO. VON DER<br />

REDUKTION<br />

.................................................................................................................<br />

DIE DOSE IN ZAHLEN 21<br />

Red Bull<br />

.................................................................................................................<br />

DIE FLASCHE IN ZAHLEN 47<br />

Ferdinand’s Rosé Vermouth<br />

.................................................................................................................<br />

KLIMEKS KAUFBEFEHL 68<br />

Mal ordentlich Riesling müllern<br />

.................................................................................................................<br />

MUSIK 90<br />

Leslie Feist wird vorhersehbar<br />

.................................................................................................................<br />

INTERIOR 94<br />

Bar statt Altar in Tel Aviv<br />

.................................................................................................................<br />

VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE 96<br />

<strong>Mixology</strong> Bar Awards<br />

.................................................................................................................<br />

IMPRESSUM & KOMMENDE THEMEN 98<br />

5


NEUE BARS<br />

ERST HÖREN.<br />

Die »Bar Neiro« in Berlin nimmt den globalen Trend<br />

um Listening Bars auf, sieht sich <strong>aber</strong> ebenso dezidiert<br />

als Cocktailbar. Unsere Autorin mit einem kleinen<br />

Überblick über ein Phänomen der Entschleunigung.<br />

BAR NEIRO<br />

Ohmstraße 11<br />

10179 Berlin<br />

@bar.neiro<br />

DANN<br />

TRINKEN<br />

Text Sarah Liewehr<br />

Wan gen shou tsubusu () <strong>–</strong> das<br />

heißt übersetzt: weniger sprechen, mehr zuhören.<br />

Das macht als Lebensmotto Sinn, beschreibt<br />

<strong>aber</strong> im konkreten Fall das Konzept<br />

der japanischen Kissas, der »Musikcafés«. Kissas<br />

kamen in den 1950er-Jahren auf und wurden<br />

zu einem erfolgreichen Export-Produkt:<br />

Von Metropolen wie New York bis nach London<br />

finden sich jetzt Listening Bars, in denen<br />

es auf die Ohren und in die Gläser gibt.<br />

Unlängst hat auch in Berlin mit der Bar<br />

Neiro eine neue Listening Bar eröffnet, die<br />

sich in Kreuzberg im zweiten Hof und dritten<br />

Stock eines Altbaus nicht ganz leicht zu finden<br />

gibt. Barbetreiber Erik Breuer hat sich dafür<br />

18


FOOD & DRINK<br />

#3<br />

22<br />

VON URZEITKREBSEN<br />

UND BABYLONISCHER<br />

ARTENVIELFALT


AUF EIN GLAS MIT …<br />

»S O<br />

VERFEINERT MAN<br />

PERMANENT«<br />

Text & Interview Gabriel Daun<br />

Fotos Michael Krug<br />

Dominik M. Falger ist in der Szene<br />

vor allem für zwei Dinge bekannt: für<br />

Akribie bei den Zahlen und als deutsche<br />

Benchmark in Sachen klarem<br />

Eis. Was dabei oft vergessen wird, ist<br />

seine ungebrochene, passionierte Begeisterung<br />

für gelebte Barkultur. Wir<br />

haben ihn zum Gespräch getroffen.<br />

24


Wer seine Bar nach dem vielleicht trinkfreudigsten,<br />

in jedem Fall barkulturell wichtigsten<br />

New Yorker Rechtsanwalt benennt und jede<br />

Woche endlose Stunden für klare Eiswürfel<br />

aufwendet, hat eine Bar-Leidenschaft, die sich<br />

so nur selten findet. Seit inzwischen über sechs<br />

Jahren betreibt Dominik M. Falger seine Embury<br />

Bar in Frankfurt. Höchste Zeit für einen<br />

Lokaltermin.<br />

Lieber Dominik, ich habe dich um einen<br />

Drink gebeten, den du als repräsentativ für die<br />

Embury Bar erachtest. Was trinken wir und<br />

inwiefern ist er typisch für deine Bar?<br />

Dominik Falger: Wir trinken einen Doctor<br />

Strange, einen unserer Signatures: Batavia<br />

Arrack, Swedish Punch, hausgemachter Parakresse-Likör,<br />

Earl-Grey-Shrub, Sandelholztinktur,<br />

Chocolate Bitters. Die Embury Bar ist ein<br />

zeitloses, klassisches Barkonzept, ein Ort, der<br />

unabhängig von Trends sein soll. Wenn man<br />

sich mit klassischen Drinks ausein<strong>anders</strong>etzt,<br />

stolpert man zwangsläufig auch über Drinks<br />

mit Batavia Arrack. Wir listen einerseits Klassiker<br />

auf der Karte, andererseits Drinks, die zwar<br />

der Klassik folgen, <strong>aber</strong> dennoch from scratch<br />

Doctor Strange<br />

3,5 cl Batavia Arrack (van Oosten),<br />

2,5 cl Parakresse-Likör, hausgemacht<br />

(alternativ Faradai), 1,5 cl Swedish Punsch,<br />

1 cl Earl-Grey-Shrub, hausgemacht,<br />

2 Sprühstöße Salzlösung (20 %), 1 Sprühstoß<br />

Chocolate-Bitters-Blend<br />

Zutaten im Rührglas mischen und auf<br />

Eiswürfeln gründlich kaltrühren. In einen<br />

vorgekühlten Tumbler auf einen klaren<br />

Eiswürfel abseihen und mit etwas frisch<br />

gemahlener Muskatnuss garnieren.<br />

von uns ausgearbeitet wurden. Punches, als<br />

Vorläufer des Cocktails, gehören für uns in<br />

dieser Überlegung dazu. Wir wollten etwas abseits<br />

von Rack Punch, Ruby Punch oder Bills<br />

Dawson Punch anbieten.<br />

Also weniger ein Drink, der so auch in David<br />

Emburys Buch zu finden sein könnte.<br />

Stimmt, vielleicht einmal abgesehen davon,<br />

dass er ebenfalls ziemlich spirit forward ist.<br />

Embury ist der Namenspatron dieser Bar, weil<br />

er in meiner eigenen professionellen Biografie<br />

eine große Rolle gespielt hat. Während meiner<br />

Hotelfachausbildung bin ich auf sein Buch gestoßen.<br />

Da es keinen Reprint gab, kaufte ich<br />

eine Erstausgabe des Buchs antiquarisch für<br />

256,92 Dollar. Aus heutiger Sicht ein Schnapper,<br />

damals war das für mich sehr viel Geld.<br />

Meine erste Barbuch-Rarität! Es hat mich seitdem<br />

immer begleitet und ich habe es immer<br />

wieder zur Hand genommen. Ich fand, dass<br />

Embury ein schöner Name für eine Bar wäre,<br />

einprägsam und einer, der auch für jemanden<br />

gut funktioniert, der nicht weiß, wer Embury<br />

war. Als ich irgendwann um 2012 herum recherchierte,<br />

fand ich heraus, dass es noch keine<br />

Bar unter diesem Namen gab. Da ließ ich<br />

mir die Namensrechte für Europa sichern.<br />

Es geht also in erster Linie nicht um Emburys<br />

Auffassung, wie ein Drink zubereitet werden<br />

sollte? Man denke an seine Schlüsseldrinks und<br />

8-2-1-Rezepturen.<br />

Vor allem geht es darum, jedem Gast eine gute<br />

Zeit zu bereiten. Egal ob mit einem Cocktail,<br />

einem Highball, einer Spirituose oder einem<br />

Glas Champagner. Embury ist ja auch niemals<br />

ein Bartender gewesen, sondern jemand, der<br />

einfach gerne gut getrunken hat. Jemand mit<br />

einem Qualitätsanspruch; und zwar bereits<br />

1948. The Fine Art of Mixing Drinks verstehe<br />

ich als ein Buch, das die Drinks aus der Mitte<br />

der Zwanziger- bis in die späten Vierzigerjahre<br />

zusammenfasst. Und dabei einen Qualitätsanspruch<br />

etabliert hat.<br />

Qualität spielt eine übergeordnete Rolle bei<br />

euch.<br />

Wer als Bar lange bestehen möchte, muss qualitativ<br />

hochwertig arbeiten. Das kann ich als<br />

Inh<strong>aber</strong> selbst bestimmen. Es ist meine Aufgabe<br />

als Betreiber, diesen Anspruch in die Wirtschaftlichkeit<br />

zu transportieren, sodass es im<br />

regulären Barbetrieb umsetzbar ist. Diese Bar<br />

ist, auch wenn es nicht geplant war, ein Stück<br />

weit zu einer High-Volume-Bar geworden.<br />

Wie begegnet ihr dem?<br />

Erstens haben wir eine Klingel installiert. Außerdem<br />

wenden wir moderne Techniken auch<br />

in der Vorbereitung an, um abends schneller<br />

am Gast sein zu können. Eine klassische Bar<br />

zu betreiben, dabei <strong>aber</strong> dennoch eine Zentrifuge,<br />

Sous Vide oder Soxhlet-Extraktion anzuwenden,<br />

ist für uns kein Widerspruch. Wir<br />

kommunizieren das <strong>aber</strong> nicht oft nach außen,<br />

zumindest nicht, wenn niemand fragt. Mir<br />

geht es nicht darum, alles selbst zu machen,<br />

<strong>aber</strong> wenn es eine Zutat nicht in für uns zufriedenstellender<br />

und bezahlbarer Qualität gibt,<br />

stellen wir sie lieber selbst her. Etwa unseren<br />

Falernum oder einen Kaffeelikör und ein Vodka-Re-Destillat<br />

für unseren Espresso Martini,<br />

der für sich selbst spricht <strong>–</strong> wir verkaufen pro<br />

Jahr über 3700 davon.<br />

Du bist bekannt <strong>–</strong> das behaupte ich einfach<br />

mal <strong>–</strong> für klares Eis. Wie kam es dazu?<br />

Mir war immer klar, dass ich, wenn ich irgendwann<br />

einmal eine eigene Bar haben sollte, nur<br />

klares Eis verwenden möchte. Im dutch Kills<br />

in New York ging das ja bereits 2008 auch. Mir<br />

gefiel das immer, nicht nur des optischen Aspekts<br />

wegen. Das wird auch zu oft vergessen:<br />

Viele Gäste sagen mir, unser Eis sei so schön.<br />

Ich antworte dann immer, dass das ein netter<br />

Nebeneffekt ist, <strong>aber</strong> nicht der Grund, warum<br />

wir das machen. Es geht darum, dass der<br />

Drink am Ende der Zubereitung on point ist<br />

und diesen Zustand möglichst lange halten<br />

können soll. Optik ist dabei lediglich ein netter<br />

Nebeneffekt.<br />

Und da es in Frankfurt keine Möglichkeit<br />

gab, Eis, das deinen Qualitätsvorstellungen<br />

entsprach, zu kaufen, sahst du dich gezwungen,<br />

es selbst herzustellen?<br />

Clear Ice ist teuer in der Herstellung. Es zu<br />

produzieren kostet wahnsinnig viel Manpower<br />

und Energie. Das ist einer der Gründe, warum<br />

ein Drink bei uns vielleicht etwas mehr kostet.<br />

Der Aufwand ist immens, und ganz ehrlich:<br />

Wenn ich an den Bedarf denke, den wir hier<br />

mittlerweile haben, und an die Zeit, die wir in<br />

die Produktion investieren <strong>–</strong> ich würde es auch<br />

kaufen, wenn ich könnte!<br />

Kannst du <strong>aber</strong> nicht. Dafür vertreibst du<br />

deine eigenen Ice-Block-Maker auch an andere<br />

Bars.<br />

Das Projekt, eigene Block-Maker fertigen zu<br />

lassen und zu verkaufen, entstand, als mir klar<br />

wurde, dass ein Import aus den USA und ein<br />

anschließender nötiger Umbau der Geräte zu<br />

teuer gewesen wäre. Dann habe ich es halt<br />

selbst gemacht. In Frankfurt schien mir das<br />

möglich, da wir hier viele Gäste haben, die ger-<br />

25


STADTGESCHICHTEN<br />

DIE LEICHTIGKEIT<br />

des verpeilten Cousins<br />

Text Frederik Wußler<br />

Foto: Liam Martens via unsplash<br />

32


Direkt mal die erste steile These raushauen: Düsseldorf hat Köln<br />

inzwischen eingeholt in Sachen Barkultur. Bemerkenswert ist nicht nur<br />

die Vielfalt der Konzepte, sondern auch, wie ausdrücklich sich die Ge stalter<br />

der Düsseldorfer Szene von den muffigen Blingbling-Klischees der<br />

Stadt abgrenzen. Von einer Barszene, die sich ihren Charakter nicht nur<br />

erhält, sondern ihn kräftig ausbaut. Und selbst drüber schmunzelt.<br />

»Düsseldorf, du schöne Perle am Rhein«, trällert<br />

es im Text eines Karnevalslieds. Mit knapp<br />

über 600.000 Einwohnern bei Weitem keine<br />

Kleinstadt, <strong>aber</strong> eben auch keine international<br />

konkurrierende Millionenmetropole. Und<br />

obwohl Düsseldorf in Sachen Kunst, Kultur<br />

und Gastronomie so unglaublich viel zu bieten<br />

hat, wecken meist ausschließlich Altbier,<br />

Fortuna und Karneval das kollektive Interesse.<br />

Hier lebt die größte japanische Gemeinde<br />

Deutschlands. Hier steht der viertgrößte deutsche<br />

Flughafen. Hier geht die Schickeria in<br />

Deutschlands zweitreichster Stadt an der Königsallee<br />

Kaviar löffeln. Und hier gibt es eine<br />

kreative, lebendige Barkultur, die bisweilen in<br />

der nationalen Barszene wenig Aufmerksamkeit<br />

erhascht.<br />

Eines ist dann allerdings dennoch überregional<br />

bekannt: Düsseldorf hat Die längste Theke der<br />

Welt. Es kommt vor, dass man von herumirrenden<br />

Touristen in Citynähe angesprochen wird,<br />

ob man wüsste, wo sich diese Theke denn befände.<br />

Immer knifflig, da der Slogan metaphorisch<br />

gemeint ist und die imaginäre Addition<br />

aller Bar- und Kneipentresen der gut 250 Lokale<br />

der Altstadt meint. Die Liebe zur feuchtfröhlichen<br />

Leichtigkeit liegt den Rheinländern tief<br />

in der Mentalität verankert und die Vielzahl an<br />

Trinkstätten erfüllt den Düsseldorfer mit Stolz.<br />

Da wundert es nicht, dass die gehobenen Bars<br />

der Stadt eine der bedeutendsten und vielseitigsten<br />

Rollen der Düsseldorfer Seele spielen.<br />

Der von jungen Kollegen der Stadt als »Sensei<br />

of Drinks« titulierte David Rippen gehört<br />

mit seiner 2013 gegründeten Squarebar im<br />

nördlichen Stadtteil Derendorf in der hiesigen<br />

Barszene zu den Grandseigneurs. Das denkmalgeschützte<br />

Gebäude diente einst als Quartier<br />

für Mitarbeitende von ThyssenKrupp.<br />

Das Konzept der Bar ist wie Rippen selbst,<br />

sympathisch, offen und von Grund auf bodenständig.<br />

Die Square versteht sich als Teil der<br />

Gemeinschaft, als ein lokaler Treffpunkt für<br />

alle Schichten in gemütlich entschleunigter<br />

Wohnzimmer-Atmosphäre. Das bestätigt sich,<br />

da Rippen auf seiner Terrasse sitzend alle fünf<br />

Minuten vorbeigehende Bekannte grüßt. Das<br />

Innere der Bar erinnert an einen urigen used<br />

look der 20er. Der originale, in die Jahre gekommene<br />

Fliesenspiegel, ein Patchwork aus<br />

verschiedensten Gegenständen der Vormieter,<br />

Fransen-Barhocker und der dunkle Tresen<br />

machen die kleine viereckige Bar unglaublich<br />

charmant. Rippen steht zusammen mit seiner<br />

Barchefin Lucrezia Mascheri noch oft selbst<br />

hinterm Tresen. Die Karte gibt alle gängigen<br />

Klassiker her, besticht <strong>aber</strong> besonders mit kreativen,<br />

vorbildlich balancierten Eigenkreationen<br />

auf einer wechselnden Plüsch-Karte, die<br />

Freundschaftsbuch heißt und eine Mischung<br />

aus handgeschriebenen Texten und Fotos ist.<br />

»Hier kommen Kaviar und Mettbrötchen zusammen«,<br />

sagt er. Es ist eine Bar auf Augenhöhe,<br />

in der die Menschen und die Qualität der<br />

Cocktails im Vordergrund stehen.<br />

»Ey, einfach ’n funky Laden«<br />

Im angrenzenden Stadtteil Pempelfort, ganze<br />

zwölf Gehminuten entfernt, liegt die LiQ Bar.<br />

Einst eine feudale Institution mit geschlossener<br />

Tür, Barpersonal im weißen Hemd samt<br />

Fliege und beachtlicher Champagnerkarte,<br />

war sie <strong>aber</strong> nicht nur Treffpunkt für die Düsseldorfer<br />

Schickeria, sondern auch der Startschuss<br />

für zeitgemäße Mixkunst in der Stadt.<br />

Nach der Schließung hat Rippen sie 2022<br />

übernommen und sich ein Stück Jugend-Nostalgie<br />

zurückgeholt: Die »alte« LiQ war hier<br />

seine erste Station als Bartender. Nostalgie ist<br />

ein gutes Stichwort, denn das Konzept greift<br />

den Lifestyle der 80er-Jahre auf. Fachlich und<br />

geschmacklich vermag man die 80er ja gerne<br />

komplett aus den Erinnerungen zu löschen,<br />

33


42


MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

DER<br />

NEUE ALTE<br />

STANDARD<br />

London Dry Gin war und ist der<br />

Gin der Bar. Boom und Hype<br />

mögen ihn für breite Verbraucherschichten<br />

etwas in den<br />

Hintergrund gedrängt haben.<br />

Doch in der professionellen<br />

Bar führt kein Weg an dem<br />

straighten, crispen Wacholdergeist<br />

vorbei. Und auch hier<br />

hat sich der Markt vergrößert.<br />

Das Taste Forum nimmt das<br />

aktuelle Angebot an London<br />

Dry Gin unter die Lupe.<br />

Text & Tastingleitung<br />

Maria Gorbatschova<br />

Illustration Constantin Karl<br />

Für einen Bartender ist Gin nahezu immer<br />

ein Teil des Arbeitsalltags. In vielen Bars<br />

dürfte Gin die meistverkaufte Spirituose sein.<br />

Drinks wie Gin & Tonic, Negroni oder Gin Basil<br />

Smash werden von Gästen beim Barbesuch<br />

vorausgesetzt. In dieser Ausgabe des Taste Forums<br />

geben wir eine Übersicht über die barrelevante<br />

Kategorie London Dry, die zwar sehr<br />

häufig gepourt, eigentlich <strong>aber</strong> viel zu selten<br />

pur verkostet wird.<br />

Der Gin, den wir heute kennen, ist im Grunde<br />

genommen ein mit Wacholder und anderen<br />

Botanicals aromatisierter Vodka. Doch wie<br />

wurde er dazu? Dafür lohnt ein Blick in die<br />

Historie. Wacholder ist eine Pflanzengattung<br />

aus der Familie der Zypressengewächse, für<br />

medizinische Zwecke wird er seit über 3500<br />

Jahren eingesetzt. Erste alkoholische Tinkturen<br />

damit gab es bereits im Mittelalter. Die<br />

Destillation steckte in den Kinderschuhen<br />

und brachte eher scharfe, unreine alkoholische<br />

Lösungen hervor, mit denen man Heilkräuter<br />

haltbar machte. Nicht gerade etwas, das man<br />

genussvoll konsumieren würde. Den wichtigsten<br />

Schritt von diesen Tinkturen zum heutigen<br />

Gin gingen Destillateure in Belgien, Holland<br />

und im Norden Frankreichs, die Genever im<br />

16. Jahrhundert populär machten.<br />

Die Spirituose genoss schon bald ein hohes<br />

Ansehen, auch beim nördlichen Nachbarn<br />

Großbritannien. Genever ist ein begehrtes Mitbringsel<br />

aus niederländischen Hafenstädten.<br />

Zudem machten sich britische Soldaten mit<br />

dem Getränk vertraut, als sie zusammen mit<br />

den Niederländern im Achtzigjährigen Krieg<br />

gegen Spanien kämpften. Sie tranken sich vor<br />

den Gefechten mit Genever Mut an, Dutch<br />

Courage wurde Genever daher von den Briten<br />

genannt. Britische Destillateure versuchten,<br />

die beliebte Spirituose zu kopieren. Dazu<br />

fehlten ihnen das Wissen und die richtigen<br />

Zutaten <strong>–</strong> der etwas misslungene Versuch wird<br />

unter dem Namen Geneva, kurz Gin, bekannt.<br />

Die größten Unterschiede zwischen Genever<br />

und dem Gin, den wir heute kennen, sind<br />

die verwendeten Destillate. Klassischer Genever<br />

basiert auf malzigem Getreidebrand, ungelagertem<br />

Whisky sozusagen, geblendet mit<br />

einem Wacholderdestillat. Bei Gin ist die Basisspirituose<br />

dagegen möglichst neutraler Alkohol,<br />

New-Western-Spielereien wie Traubenbrand-Gins<br />

seien hier der Einfachheit halber<br />

ausgeklammert. Das macht klassischen Genever<br />

wesentlich anspruchsvoller in der Herstellung,<br />

sein volles, malziges Aroma erhält er vor<br />

allem durch die Qualität der Brände. Gin entwickelte<br />

sich durch die mangelnden Fähigkeiten<br />

der britischen Brenner davon weg, hin zum<br />

aromatisierten Neutralalkohol. Anfang des 18.<br />

Jahrhunderts war Gin meist stark gesüßt und<br />

enthielt minderwertige Zutaten, selbst der<br />

Wacholder wurde teils durch Terpentin [sic!]<br />

imitiert. Genever war zu der Zeit eine hochwertige<br />

Premium-Spirituose, Gin hingegen konnten<br />

sich auch die Ärmsten der Armen leisten.<br />

Die harten Lebensbedingungen zu Beginn<br />

der Industrialisierung wurden in den Slums<br />

in Gin ertränkt. Die so ausgelöste soziale und<br />

gesundheitspolitische Katastrophe ging als Gin<br />

Craze in die Geschichtsbücher ein. Jahrzehntelang<br />

versuchte die britische Regierung, mit<br />

immer neuen »Gin Acts« der Lage Herr zu<br />

werden <strong>–</strong> doch erfolglos. Bis zum Ende des 19.<br />

Jahrhunderts blieb Gin das Getränk der Armen<br />

Londons. Was sich langsam änderte, war<br />

die Qualität der Spirituose. Einige Brenner<br />

schließlich wurden in den 1890er-Jahren für<br />

qualitativ hochwertigen Gin bekannt, Hersteller<br />

wie Tanqueray und Gordon’s füllten ihre<br />

Produkte erstmals in gelabelten Flaschen ab<br />

und etablierten so den Marken-Gedanken auch<br />

beim Gin.<br />

43


COCKTAIL<br />

DIE<br />

ALTMODISCHE<br />

FALLE<br />

Text Roland Graf<br />

Fotos Jule Felice Frommelt<br />

Drink-Design Dominique M. Krauss<br />

Wenn sich die Spirituosen des<br />

Abi-Jahrgangs 1900 zum Klassentreffen<br />

einfinden, ist es der<br />

sichere Lacher: Wie heißt dein<br />

Signature Drink noch mal? Ah<br />

ja, Old Fashion ed <strong>–</strong> das passt<br />

zu dir! <strong>Bourbon</strong> mag sich einen<br />

Platz im Tumbler erkämpft<br />

haben. Doch was kann das US-<br />

Karamell-Bonbon mixologisch?<br />

PAPER PLANE<br />

Sam Ross, New York, ca. 2007<br />

2,5 cl <strong>Bourbon</strong><br />

2,5 cl Aperol<br />

2,5 cl Amaro (orig. Montenegro)<br />

2,5 cl frischer Zitronensaft<br />

GLAS: Coupette / Nick & Nora<br />

GARNITUR: Zitronenzeste<br />

ZUBEREITUNG: Zutaten im Shaker<br />

mischen, mit Eiswürfeln auffüllen und<br />

kräftig schütteln. Doppelt ins vorgekühlte<br />

Glas abseihen. Mit der Zeste<br />

parfümieren und diese wahlweise mit<br />

ins Glas geben.<br />

50


51


SPIRITUOSE<br />

2020<br />

too big<br />

to<br />

fail<br />

Espresso Martini<br />

Moscow Mule<br />

2010<br />

1940<br />

»Brand Star«<br />

Channing Tatum<br />

(Born and Bred)<br />

Smirnoff goes<br />

Hollywood<br />

1950<br />

2000<br />

Sex And The City<br />

Vodka Martini<br />

1960<br />

it<br />

smell<br />

1990<br />

Cosmopolitan<br />

1980<br />

1970<br />

s<br />

Screwdriver<br />

taste, no<br />

no<br />

Text Nils Wrage<br />

hless<br />

les<br />

e<br />

tleaves you brea<br />

Collage: Editienne<br />

58


Die<br />

Eine Bar ohne Vodka ist unvorstellbar.<br />

Dennoch ist Vodka an der Bar in gewisser<br />

Weise immer ein ideeller Zaungast<br />

geblieben, der den anderen beim Spielen<br />

zusieht und wenig eigene Akzente setzt.<br />

Könnte ihm das auf die Füße fallen? Eine<br />

historische Nabelschau zwischen Gestern,<br />

Heute und Morgen.<br />

GESTERN<br />

MORGEN<br />

59


DIE<br />

KRÖNUNG<br />

Coverbild: Aus »Café Royal Cocktail Book Coronation Edition«, 1937


BACK TO BASICS<br />

Text Gabriel Daun<br />

Mit seinem »Café Royal<br />

Cocktail Book« legte<br />

William J. Tarling 1937 auf<br />

beeindruckende Weise<br />

Zeugnis darüber ab, wie<br />

modern die europäischen<br />

Bars inzwischen arbeiteten<br />

<strong>–</strong> und wie sehr sie<br />

den Ton gegenüber den<br />

USA angaben, die sich<br />

noch von der Prohibition<br />

erholten. Und Tarlings<br />

Buch war das mutmaßlich<br />

erste westliche<br />

Cocktailbuch, in dem<br />

Tequila eine Rolle spielt.<br />

Und gar keine kleine.<br />

Auf unserer Safari zur Betrachtung einiger<br />

der bedeutsamsten Barbücher des 20. Jahrhunderts<br />

müssen wir nach unserem Abstecher<br />

nach Paris, den wir in der vergangenen Ausgabe<br />

unternommen haben, wieder zurück auf<br />

die Insel reisen. Es ist 1937. Am 12. Mai wird<br />

Prinz Albert, zärtlich Bertie genannt, als George<br />

VI in der Westminster Abbey zum britischen<br />

König gekrönt, obwohl er dieses Amt<br />

als schüchterner, stotternder Mann niemals<br />

angestrebt hatte. Da sich sein älterer Bruder<br />

Edward <strong>–</strong> eigentlicher rechtmäßiger Thronfolger<br />

<strong>–</strong> <strong>aber</strong> in die bürgerliche und darüber hinaus<br />

geschiedene (!) Wallis Simpson verliebt<br />

hatte, er der Liebe gegenüber der Krone den<br />

Vorzug gab und deshalb nach kurzer Regierungszeit<br />

abdankte, sah sich Albert plötzlich in<br />

der Pflicht. Nur infolgedessen sollte übrigens<br />

später seine älteste Tochter Elisabeth auf den<br />

Thron folgen dürfen, auf dem sie bis zu ihrem<br />

Tode letzten Herbst über 70 Jahre lang saß <strong>–</strong><br />

überdeutlich länger als ihr Onkel.<br />

Ja, ja, schon spannend, diese Königshäuser.<br />

Kein Wunder, dass Druckerzeugnisse, die auf<br />

dünneres Papier als das, welches Sie gerade in<br />

den Händen halten, gedruckt werden, nach<br />

wie vor mehr als passablen Absatz finden und<br />

die finale Staffel der Serie The Crown von so<br />

manchem fieberhaft erwartet wird. Allerdings<br />

nicht unbedingt von mir. Ich bin kein Adelsexperte,<br />

will es auch nicht werden und bewerbe<br />

mich hiermit ausdrücklich nicht um die Kommentatoren-Stelle<br />

für die nächste Krönungsfeier,<br />

bei der William dann vermutlich den<br />

Staffelstab übernimmt.<br />

Um einen William soll es <strong>aber</strong> auch hier und<br />

heute gehen, und zwar um William J. Tarling,<br />

den Bartender, der <strong>–</strong> ebenfalls 1937 <strong>–</strong> ein<br />

Buch veröffentlichte, das für jeden Bartender<br />

relevanter sein dürfte als die britische Thronfolge:<br />

Das Café Royal Cocktail Book, Untertitel<br />

<strong>–</strong> und hier schließt sich der Kreis in dieser<br />

Einleitung: The Coronation Edition.<br />

Es gibt übrigens keine andere Edition dieses<br />

Buches. Die Krönungsausgabe ist die einzige.<br />

Vermutlich um Bertie zu ehren, der ein<br />

Stammgast in der Bar des mondänen Café<br />

Royal, einem Hotel auf der Regent Street, gewesen<br />

sein soll <strong>–</strong> zusammen mit anderen Personen<br />

wie (nicht besonders überraschend, denn<br />

irgendwie so gut wie immer vertreten, wenn<br />

es irgendwo etwas zu trinken gibt:) Winston<br />

Churchill und Virginia Woolf. Der Bartender<br />

ihres Vertrauens: W. J. Tarling.<br />

Teilen und Tauschen statt<br />

Divide et Impera<br />

Auch wenn die Prohibition in den USA vier<br />

Jahre zuvor geendet hatte, war Europa 1937<br />

nach wie vor der Ort, an dem es sich noch wesentlich<br />

besser trinken ließ <strong>–</strong> die meisten guten<br />

amerikanischen Bartender waren immer noch<br />

in Europa. Zu nachhaltig war die Trinkkultur<br />

durch das noble Experiment auf der anderen<br />

Seite des Großen Teiches zerstört worden und<br />

musste nun erst mühsam wieder aufgebaut<br />

werden. In Old Europa jedoch florierte die<br />

Barkultur: 1934 hatte sich die United Kingdom<br />

Bartenders’ Guild formiert, um dem Berufsstand<br />

in Großbritannien weiteres Ansehen<br />

und noch mehr Professionalität angedeihen<br />

zu lassen. Gründungsmitglieder u. a.: Harry<br />

Craddock und W. J. Tarling. Tarling, damals<br />

Headbartender des Café Royal, wurde um 1950<br />

herum der Präsident der UKBG und war später<br />

auch einer der Gründer der International<br />

Bartenders Association (I.B.A.) sowie deren<br />

erster Präsident. Er lebte <strong>–</strong> so viel Vita muss<br />

sein <strong>–</strong> von 1904 bis 1998.<br />

Natürlich war ich nicht dabei, <strong>aber</strong> ich habe<br />

immer den Eindruck, als ob die späten Dreißigerjahre<br />

bei Bartendern Europas <strong>–</strong> und in<br />

England insbesondere <strong>–</strong> eine energetische Zeit<br />

gewesen sind, wenn man den Zweiten Weltkrieg<br />

einmal ausblendet. Ein wenig vergleichbar<br />

vielleicht mit den Nullerjahren unseres<br />

Jahrhunderts. Woran ich das festmache? Als<br />

Bartender vor 15 Jahren die klassischen Drinks<br />

neu entdeckten, schlossen sich kurz darauf die<br />

ersten Eigenkreationen an, auch ganz ohne<br />

eine Competition zum Anlass zu haben. Viele<br />

dieser Neuschöpfungen schafften es dann<br />

auch auf die Karten anderer Bars im deutschsprachigen<br />

Raum. Immer <strong>–</strong> das war Ehrensache<br />

<strong>–</strong> unter Nennung des Urhebers. So auch in<br />

Tarlings Buch. Für mich Merkmal einer Zeit,<br />

in der Bartender sich nicht nur respektieren,<br />

sondern ihre Gedanken und Rezepte auch teilen<br />

und tauschen. In seinem Buch finden sich<br />

zahlreiche Rezepte mit einer Urheberangabe.<br />

Ich vermute, dass es sich bei den Bartendern<br />

großteils um andere Mitglieder der UKBG<br />

65


70<br />

TRINKWELT


DINOSAURIER-<br />

BIER IM HEILIGEN<br />

LAND<br />

Es geht um ein Land, das sich<br />

dramatisch wandelt. Das geprägt<br />

ist von inneren Konflikten und<br />

existenziellen Bedrohungen. Das<br />

progressiv, divers und von der<br />

politischen Reaktion zugleich bedroht<br />

ist. Das bleibt nicht ohne Folgen für<br />

die Kultur des Trinkens und Ausgehens.<br />

Eine Bestandsaufnahme.<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Illustrationen Inga Israel<br />

Hip und heilig ist ein oft bemühter Claim,<br />

wenn die Rede auf Israel kommt. Das ist einprägsam<br />

wie arm, <strong>aber</strong> sexy. Es erlaubt mit nur<br />

zwei Adjektiven einen Eindruck von einem<br />

Land, einer Stadt oder sonstigen Weltgegend<br />

zu imaginieren. Jedenfalls ist es exzellentes<br />

Marketing, das bei näherer Betrachtung <strong>–</strong> naturgemäß<br />

<strong>–</strong> an der Komplexität des erfassten<br />

Phänomens scheitert. Das trifft exemplarisch<br />

auf Israel zu, das sich täglich einem existenziellen<br />

Kampf ausgesetzt sieht. Umgeben von Gegnern<br />

und eliminatorischen Feinden. Weltweit<br />

bedroht von Antisemitismus, der sich hinter<br />

dämonisierend-verschwörerischer Israelkritik<br />

camoufliert. Eine Trope, die bereits lexikalischen<br />

Eingang gefunden hat. Wer kennt sie<br />

nicht, die völlig neutrale Terminologie »Nordkoreakritik«<br />

und »Deutschlandkritik«. Wer im<br />

politischen Gefecht pauschal »Israel« sagt, zielt<br />

meist auf die Juden.<br />

Die israelische Gesellschaft ist aus sich heraus<br />

seit der Gründung des eigenen Staates (ein<br />

sonst auf der Welt oft beiläufig zur Kenntnis<br />

genommenes Ereignis) eine einzige Israelkritik.<br />

Dem Usus demokratischer Gesellschaften<br />

folgend, liegen die verschiedenen politischen<br />

Lager und diese wiederum mit den religiösen<br />

im Clinch und ringen um den einzuschlagenden<br />

Kurs. Im Parlament sitzen Vertreter von<br />

israelischen Ar<strong>aber</strong>n, die wiederum an der letzten<br />

Regierung beteiligt waren. Ein Richter an<br />

Israels Oberstem Gericht, der daran beteiligt<br />

war, den ehemaligen israelischen Staatspräsidenten<br />

Katzav unter anderem wegen Vergewaltigung<br />

zu sieben Jahren Haft zu verurteilen,<br />

war christlicher Ar<strong>aber</strong>. Sein Nachfolger ist<br />

muslimischer Ar<strong>aber</strong>. Um jenes Oberste Gericht<br />

entzündet sich gerade <strong>–</strong> ausgelöst durch<br />

Pläne rechts-religiöser Akteure der aktuellen<br />

Regierung, mit einer Justizreform dessen<br />

Macht und somit die Gewaltenteilung zu beschneiden<br />

<strong>–</strong> ein gesellschaftlicher Großkampf.<br />

Er umfasst die Zivilgesellschaft, reicht <strong>aber</strong> bis<br />

hinein in die Armee, die sich kritisch zu den<br />

Plänen geäußert hat.<br />

Israel steht im 75. Jahr seines Bestehens an<br />

einem Scheideweg und erlebt die wohl fundamentalste<br />

innenpolitische Krise. Es steht nicht<br />

weniger auf dem Spiel als der Erhalt einer liberalen,<br />

rechtsstaatlichen Demokratie. Denn<br />

eines ist an Israel bis heute faszinierend: Wie<br />

schafft es ein Land angesichts täglicher Auslöschungsdrohungen<br />

von außen, Raketenbeschuss,<br />

Terroranschlägen und heftiger innerer<br />

Polarisierung, nicht in einen biblischen Ma-<br />

71


MIXO ON THE ROAD<br />

DIE SACHE<br />

MIT DEM LICHT<br />

Foto: Martin Stein<br />

82


Foto: Jad Ballout<br />

Krieg, Zerstörung, Gewalt, Verfall.<br />

Beirut ist in der westlichen<br />

Welt fast immer ein Symbol für<br />

Schlimmes. Damit liegt man leider<br />

oft auch richtig, doch Beirut, einst<br />

»Paris des Nahen Ostens« genannt,<br />

ist auch eine Stadt von Genuss,<br />

Resilienz, Freiheit, Exzess und<br />

Toleranz. Gebeutelt wird die Stadt<br />

auch heute noch, zuletzt durch das<br />

entsetzliche Unglück von 2020.<br />

Doch die Menschen trotzen dem<br />

Grauen, indem sie sich ihre Stadt<br />

nicht wegnehmen lassen. Und<br />

sich selbst der Stadt nicht wegnehmen<br />

lassen. Ein Lagebericht.<br />

Text Martin Stein<br />

Ein Trip nach Beirut schreit ja im Grunde<br />

nach schamloser Selbstüberhöhung. Gut, hier<br />

also meine Einleitung, explizit mit Blick auf<br />

den Claas-Hendrik-Relotius-Journalistenpreis<br />

ausformuliert: Das dunkle Auge des Mädchens<br />

glänzt tränenschwer, als ihr Blick den<br />

Menschen folgt, die gleichgültig das Flugzeug<br />

mit den fremden, ihr jedoch so vertrauten<br />

Schriftzeichen besteigen. Über dem Lärm der<br />

vielen Menschen, der Flugzeugturbinen und<br />

der Durchsagen klingen leise aus der Ferne die<br />

sanften Töne der Hirtenschalmei …<br />

Etwas prosaischer könnte man damit beginnen,<br />

dass es zumindest von München aus keine<br />

Direktflüge gibt, was der journalistischen<br />

Bequemlichkeit entgegensteht und alles ein<br />

klein wenig umständlicher und spürbar teurer<br />

macht <strong>–</strong> ein wichtiger Faktor für ein Land,<br />

das grundsätzlich natürlich gerne den ein oder<br />

anderen Touristendollar einnehmen würde.<br />

Ansonsten bedeutet eine Reise in ferne Länder<br />

ja oft auch eine Reise mehr über kulturelle<br />

als über geographische Grenzen hinweg, und<br />

im Anflug auf Beirut deutete sich das erstmals<br />

durch die Mitreisende jenseits des Mittelgangs<br />

an, die sich nicht anschnallen wollte und den<br />

Gurt nur irgendwie unter den Arm klemmte.<br />

Gut, dachte ich mir, meine Oma hat das damals<br />

bei meinem Papa im Auto ganz genauso<br />

gemacht; vielleicht ist die Gurtpflicht gerade<br />

vom Krieg geprägten Generationen schwer zu<br />

vermitteln.<br />

Drängeln & Wimmeln im<br />

Angesicht der Zerstörung<br />

Das Flugzeug hat noch nicht einmal die Landebahn<br />

verlassen, als die Dame bereits aufgestanden<br />

ist und, mühsam die Balance haltend,<br />

im Gepäckfach nach ihren Habseligkeiten<br />

kramt. Niemanden scheint das besonders zu<br />

kümmern. 50 Meter vor dem Gate sieht es im<br />

Flugzeug dann aus wie auf der Titanic beim<br />

Kampf ums letzte Rettungsboot. Wir zeichnen<br />

ein imaginäres Wimmelbild der Szene und<br />

spielen Finde den Alman. Als mein Sitznachbar<br />

zur Linken wortlos versucht, über mich<br />

drüberzuklettern, erprobe ich erfolgreich die<br />

internationale Durchschlagskraft des bayerischen<br />

Fluches, erhebe mich <strong>aber</strong> schließlich<br />

doch, um dann eben noch zehn Minuten dicht<br />

gedrängt mit allen übrigen Passagieren herumzustehen.<br />

Auch in Beirut kommt man erst aus<br />

dem Flugzeug, wenn die Türen aufgehen. Aha,<br />

denkt sich der Kulturanthropologe in mir, dem<br />

Libanesen pressiert es anscheinend.<br />

Auch wenn ich es auch später immer wieder<br />

erstaunt beobachte, wie sich etwa ältere Männer<br />

an der Kasse vordrängeln, nur um danach<br />

wieder drei Stunden auf ihrem Caféhausstuhl<br />

herumzusitzen <strong>–</strong> es ist nicht der Mangel an der<br />

urdeutschen Tugend, geduldig in einer Schlange<br />

zu stehen, der mich hierher geführt hat.<br />

Beirut ist eine Stadt mit einer dreieinhalbtausendjährigen<br />

Geschichte, von der besonders<br />

im westlichen Ausland meist wenig mehr<br />

bekannt ist als die Aneinanderreihung von<br />

Konflikten und Katastrophen der vergangenen<br />

Jahrzehnte. Trauriger Höhepunkt der vergangenen<br />

Jahre war 2020 die Explosion von 2750<br />

Tonnen Ammoniumnitrat in einem Hafenlagerhaus,<br />

das dort nach einer Beschlagnahmung<br />

trotz der bekannten Gefahr sieben Jahre vor<br />

sich hin gammeln durfte. Die Druckwelle fegte<br />

über die Stadt hinweg, verwüstete weite Teile<br />

und forderte über 200 Todesopfer. Wenn sich<br />

das Schlagwort vom Paris des Nahen Ostens<br />

schon mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in<br />

den 1970ern erledigt hatte, dann schien diese<br />

Katastrophe auch den letzten Rest von Lebensfreude<br />

ein für alle mal begraben zu haben:<br />

Gerade das Hafenviertel mit seinen zahllosen<br />

Bars und Restaurants wurde extrem in Mitleidenschaft<br />

gezogen. »Es war einmal und kommt<br />

nie wieder«, titelte auch Manfred Klimek anschließend<br />

hier bei <strong>Mixology</strong>.<br />

Jad Ballout, der sich auch von der<br />

jüngsten Katastrophe nicht aus<br />

Bar-Beirut vertreiben ließ<br />

Die tausend Aufnahmen<br />

der Explosion<br />

Jad Ballout, der wohl bekannteste Bartender<br />

Beiruts, hatte es mit seinem Electric Bing<br />

Sutt bereits nach kurzer Zeit in die begehrte<br />

Liste der World’s 50 Best Bars gebracht, und<br />

zwar als einziger Vertreter des Nahen Ostens.<br />

Er zeigt mir die Aufnahmen der Sicherheitskamera,<br />

in denen zu sehen ist, wie die Detonation<br />

die Fenster ins Lokal fegt, die Gäste von<br />

den Beinen holt und die Szenerie in Schutt<br />

und Asche hüllt. Das Internet ist voller Videos<br />

vom Ereignis, aus allen Blickwinkeln, von Booten<br />

und Balkonen aus und von der Straße, und<br />

von Menschen, die sich gerade anlässlich anderer,<br />

schönerer Ereignisse gefilmt haben: bei<br />

ihrer Hochzeit, bei Geburtstagen, beim Spielen<br />

mit den Kindern …<br />

Das Electric Bing Sutt gibt es nicht mehr, das<br />

Haus ist einsturzbedroht. Als ich Tage später<br />

nachts einsteige, wirkt eine einsame leere Flasche<br />

Sake auf dem alten Tresen wie ein Grabmal<br />

über der Leiche einer Bar. Es war einmal<br />

und kommt nie wieder?<br />

Ich bin nicht hierher gereist, um in Ruinen<br />

nach Scherben zu suchen, sondern weil mir<br />

Freunde auf Zypern erzählt hatten, dass Beirut<br />

eine sehr lebendige, sehenswerte Stadt sei,<br />

ganz abseits von irgendwelchen Vorstellungen<br />

von Katastrophentourismus. Meine Neugierde<br />

war geweckt, auch wenn später noch die Geschichte<br />

eines Disputes mit einem Taxifahrer<br />

erzählt wurde, bei dem mit einer Schusswaffe<br />

argumentiert worden war.<br />

83


MIXOLOGY <strong>–</strong> MAGAZIN FÜR BARKULTUR 3.20 23

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