Stahlreport 2023.06
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der Vorstand Jürgen Nusser, Paul Heil<br />
und ich. Ich war der Fahrer, es ging<br />
früh los, morgens um sieben Richtung<br />
München zum Beispiel. Ich hab beide<br />
abgeholt und die ganze Fahrt über<br />
wurde über die Branche und die Stahlmärkte<br />
diskutiert. Da habe ich versucht<br />
zu lernen, während ich fuhr.<br />
Also, da haben Dir dann nachher am<br />
Abend die Ohren geklingelt, aber da<br />
habe ich viel mitgenommen und ich<br />
habe einiges aufgesaugt.<br />
In den 20 Jahren ist im Markt ja<br />
einiges passiert, Auf und Ab, Höhen<br />
und Tiefen. Was waren besonders<br />
einschneidende Entwicklungen und<br />
Erlebnisse, im Positiven wie vielleicht<br />
im Negativen?<br />
Also, wenn ich so zurückdenke,<br />
waren es vor allem schwierige Situationen,<br />
die besonders herausragen.<br />
2009 ist uns zum Beispiel die Stahlhandelsstatistik<br />
von der EU gestrichen<br />
worden, das Statistische Bundesamt<br />
hatte die Maßgabe bekommen,<br />
sie einzustellen. Das war für uns ein<br />
Schlag ins Kontor. Wir haben sofort<br />
entschieden, dass wir diese Zahlen<br />
dennoch weiterhin brauchen.<br />
Und wenn es das Statistische Bundesamt<br />
nicht macht, müssen wir halt<br />
was selbst machen. Ich bin dann<br />
selbst zum Statistischen Bundesamt<br />
nach Bonn gefahren und habe dort<br />
lange mit dem zuständigen Abteilungsleiter<br />
gesprochen, einem sehr<br />
netten, fachkundigen Herrn. Der hat<br />
sich regelrecht gefreut, dass seine<br />
Statistik weitergeführt wird. Das<br />
ganze lief dann positiv weiter. Wir<br />
haben ein neutralen Dienstleister ins<br />
Boot geholt, weil wir im Verband ja<br />
keine unternehmensspezifischen<br />
Zahlen sehen dürfen. Seit 2009 sind<br />
die Zahlen nun verlässlich vergleichbar<br />
mit den Vorjahren. Und wir sind<br />
wesentlich schneller als das Statistische<br />
Bundesamt.<br />
Dann sind wir im Sommer 2014<br />
ganz böse von Reverse Charge<br />
erwischt worden, also von der Umkehr<br />
der Umsatzsteuerschuld für Stahlund<br />
Metallerzeugnisse. Da hatten wir<br />
richtig zu tun. Da haben wir rotiert<br />
und haben es innerhalb weniger<br />
Monate geschafft, dass die Regelung<br />
wieder zurückgenommen wurde. Das<br />
ist eine enorme Erleichterung für die<br />
Branche. Da haben wir auch von sehr,<br />
sehr vielen Mitgliedsunternehmen<br />
großes Lob bekommen, dass wir das<br />
geschafft haben, zusammen mit den<br />
Kollegenverbänden WGM und VDM.<br />
Wir haben in der zweiten Jahreshälfte<br />
2014 kaum andere Themen bespielt<br />
als Reverse Charge.<br />
Wie hat sich der Stahlhandel eigentlich<br />
in Deinen Augen heute verändert<br />
– verglichen mit damals?<br />
Ich denke, heute sind die Strukturen<br />
anders. Wir hatten früher noch einen<br />
größeren Einfluss der sogenannten<br />
Konzerngesellschaften. Das spiegelt<br />
sich auch in der Besetzung des<br />
BDS-Vorstandsrats, unserem Präsididium,<br />
wider. Der große Stahlhändler<br />
mit vielen Niederlassungen in<br />
Deutschland, der spielt immer noch<br />
eine wichtige Rolle. Aber meines<br />
Erachtens hat der Mittelstand in den<br />
letzten 15 bis 20 Jahren stark aufgeholt.<br />
Sehr viele Stahlhandelsunternehmen<br />
haben viel investiert, besonders<br />
in die Anarbeitung. Der<br />
Stahlhandel 2023 ist gerade beim<br />
Thema Service und Anarbeitung<br />
anders aufgestellt ist, als er das noch<br />
2003 war. Die Unternehmen sind<br />
natürlich auch digitaler geworden.<br />
Das war ein schleichender Prozess,<br />
der eigentlich schon in den frühen<br />
2000er-Jahren angefangen hat, der<br />
dann vor zehn Jahren Fahrt aufgenommen<br />
hat, und der noch längst<br />
nicht beendet ist.<br />
Und wenn Du in die Glaskugel guckst,<br />
wo siehst Du den Stahlhandel in 20<br />
Jahren? Wo glaubst du, geht die Entwicklung<br />
hin?<br />
Ich glaube, die Rolle des Stahlhandels<br />
ist in den letzten Jahren sogar<br />
noch wichtiger geworden und wird<br />
weiter wichtiger, weil es komplizierter<br />
wird. Wir haben beispielsweise<br />
aktuell ein großes Thema, das ist die<br />
Nachhaltigkeit, also dass auf den<br />
CO 2 -Fußabdruck von Stahlerzeugnissen<br />
geschaut wird, wie sie produziert<br />
werden, und dann auch nachher, wie<br />
sie gehandelt und weiterverarbeitet<br />
werden. Da kommt dann auch der<br />
Stahlhandel ins Spiel. Wir werden ab<br />
2026 das Thema CBAM haben, da<br />
kommt ein hoher administrativer Aufwand<br />
auf den Stahlhandel zu. Das ist<br />
auf der einen Seite lästig, das kostet<br />
Zeit und kostet Geld, aber dieser Service<br />
des Handels bringt seinen Kunden<br />
einen enormen Vorteil. Denn ich<br />
kann mir nicht vorstellen, dass ein<br />
Stahlverarbeiter sich zusätzlich auch<br />
noch mit dem Thema beschäftigen<br />
möchte. Er wird dann gerne seine Lieferanten,<br />
den Stahlhandel an seiner<br />
Seite haben, der sich darum kümmert.<br />
Eine letzte Frage noch: Was gefällt Dir<br />
eigentlich am Stahlhandel?<br />
Ich bin seit 20 Jahren dabei, da muss<br />
es mir wohl gefallen. Und das tut es<br />
auch. Erst mal gefällt mir unser Werkstoff.<br />
Wenn wir rausschauen, unsere<br />
Gebäude, unsere Autos, unsere Brücken,<br />
unsere Infrastruktur, das ist<br />
alles ist ohne Stahl nicht denkbar. Das<br />
hört sich zwar erstmal platt an, und<br />
das habe ich vor 20 Jahren sicher auch<br />
noch nicht so gesehen. Doch je länger<br />
ich mich damit beschäftige, desto<br />
mehr bin ich von diesem Werkstoff<br />
begeistert. Stahl hat eine Zukunft.<br />
Stahl ist nachhaltig, Stahl kann zu<br />
100 % recycelt werden. Und Stahl ist<br />
auf dem besten Wege, auch CO 2 -neutraler<br />
zu werden.<br />
Und ich mag die Menschen im<br />
Stahl. Ich habe den Eindruck, dass<br />
die Menschen im Stahlhandel – und<br />
auch die Kunden und die Hersteller<br />
– bodenständig sind, handfest, angenehm<br />
im Umgang, nicht abgehoben.<br />
Das mag ich an der Branche.<br />
Jörg, vielen Dank für das Gespräch.<br />
Frisch gebackener<br />
Wirtschaftsjurist:<br />
Im Juli 2003 trat Jörg<br />
Feger seine neue<br />
Stelle beim BDS an.<br />
<strong>Stahlreport</strong> 6|23<br />
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