RhPfalz_Juni_2023
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Verbraucher<br />
Zeitung <strong>Juni</strong> <strong>2023</strong><br />
21<br />
Rentenparadies Österreich?<br />
Die Alpenrepublik hat eine Erwerbstätigenversicherung und beindruckt mit einem hohen Rentenniveau<br />
Österreich wird häufig als Rentenparadies<br />
bezeichnet. Auch der<br />
Sozialverband VdK zieht das<br />
Nachbarland gerne als Vorbild<br />
heran.<br />
Das sogenannte österreichische<br />
Pensionssystem beeindruckt durch<br />
die Höhe der ausgezahlten Renten.<br />
Rentnerinnen und Rentner erhalten<br />
in Österreich 14-mal im Jahr<br />
ihre Rente ausgezahlt, darin eingeschlossen<br />
ist eine Zahlung jeweils<br />
zum Sommerurlaub und zu<br />
Weihnachten.<br />
Wie ist das möglich? Die Voraussetzungen<br />
in Deutschland und in<br />
Österreich sind bei der Bevölkerungsstruktur<br />
und beim Bruttoinlandsprodukt<br />
durchaus vergleichbar,<br />
allerdings ist das gesamte<br />
Rentenniveau in der Alpenrepublik<br />
erheblich höher als in Deutschland.<br />
Geringeres Armutsrisiko<br />
Zum Sommerurlaub gibt es eine zusätzliche Rentenauszahlung.<br />
Lag im Jahr 2018 beispielsweise<br />
die durchschnittliche Rente für<br />
Männer in Deutschland bei rund<br />
1272 Euro, konnte sich der österreichische<br />
Rentner über fast 700<br />
Euro im Monat mehr freuen: Er<br />
bekam 1965 Euro Rente. Die<br />
durchschnittliche Rente für Frauen<br />
in Deutschland lag im Jahr 2018<br />
bei 792 Euro im Monat, in Österreich<br />
bei rund 1229 Euro.<br />
Vergleicht man das Armutsrisiko<br />
im Alter in beiden Ländern, so<br />
werden die Vorteile des österreichischen<br />
Modells deutlich: Die<br />
Armutsquote bei den über 65-Jährigen<br />
liegt in Österreich bei 13,9,<br />
in Deutschland hingegen bei 18,9<br />
Prozent.<br />
Ein System für alle<br />
Ein ausschlaggebender Grund<br />
für das hohe Rentenniveau: Der<br />
Rentenbeitragssatz ist in Österreich<br />
erheblich höher: Er liegt bei<br />
22,8 Prozent des Bruttogehalts. In<br />
Deutschland liegt er bei nur 18,6<br />
Prozent. Dazu kommt ein wichtiger<br />
Unterschied: Österreich hat<br />
eine Erwerbstätigenversicherung.<br />
Jeder, der dort arbeitet, zahlt in das<br />
einzige staatliche System der Alterssicherung<br />
ein.<br />
Im Gegensatz dazu gibt es in<br />
Deutschland verschiedene staatliche<br />
Systeme der Alterssicherung,<br />
beispielsweise die Deutsche Rentenversicherung,<br />
in die alle sozialversicherungspflichtig<br />
arbeitenden<br />
Angestellten einzahlen, und die<br />
Pensionskasse, die für die komplett<br />
Foto: picture alliance/imageBROKER/Stefan Kiefer<br />
aus Steuergeldern finanzierte Alterssicherung<br />
von Beamtinnen und<br />
Beamten zuständig ist.<br />
Weitere Faktoren stärken das<br />
österreichische System: Die österreichische<br />
Bevölkerung ist jünger,<br />
vor allem durch eine höhere Einwanderungsquote<br />
zu Beginn des<br />
Jahrtausends bedingt.<br />
Haben Arbeitnehmerinnen und<br />
Arbeitnehmer in Deutschland<br />
schon nach fünf Jahren eine Rentenanwartschaft,<br />
müssen Berufstätige<br />
in Österreich allerdings 15<br />
Jahre sozialversicherungspflichtig<br />
arbeiten, damit sie eine Anwartschaft<br />
erhalten. Dazu hat Österreich<br />
sich zum Anfang des Jahrtausends<br />
entschieden, das Beamtensystem<br />
zu verkleinern und<br />
umzubauen: Seit 2005 zahlen neue<br />
Beamtinnen und Beamte in die<br />
allgemeine Rentenversicherung<br />
ein. Selbstständige wurden schon<br />
längst zwischen 1958 und 1997 in<br />
das Rentensystem einbezogen.<br />
Starkes Fundament<br />
Der VdK fordert seit Jahren, dass<br />
alle Erwerbstätigen in Deutschland<br />
in die gesetzliche Rentenversicherung<br />
einzahlen. VdK-Präsidentin<br />
Verena Bentele sagt: „Wirkliche<br />
Solidarität bei der Rente<br />
heißt: Alle für alle.“<br />
Bisher fehlt der politische Wille<br />
für eine umfassende Reform. Anstatt<br />
die Anzahl der Versicherten<br />
erheblich zu vergrößern und damit<br />
die Finanzierung auf eine breite<br />
Basis zu heben, favorisiert die Regierung<br />
eine andere Art der Rentenfinanzierung.<br />
Nach Plänen des Finanzministeriums<br />
soll ein Kapitalstock mit<br />
Aktien aufgebaut werden: Ab Mitte<br />
der 2030er-Jahren sollen diese<br />
Erträge die Beitragssatzentwicklung<br />
stabilisieren. Der VdK sieht<br />
nicht, dass das sogenannte Generationenkapital<br />
auf Dauer hilft.<br />
Eine breite Basis von Erwerbstätigen,<br />
die das System stützen, wäre<br />
nachhaltiger. Julia Frediani<br />
Leihen ist das neue Kaufen<br />
In immer mehr Städten bieten Bibliotheken auch Werkzeug und Alltagsgegenstände an<br />
Einen Bohrer oder einen akkubetriebenen<br />
Fensterwischer<br />
braucht man nicht jeden Tag. Die<br />
Geräte sind teuer und nehmen<br />
Platz weg – vor allem, wenn die<br />
Wohnung klein ist. Warum also<br />
nicht leihen statt kaufen? In immer<br />
mehr Städten und Gemeinden gibt<br />
es eine Bibliothek der Dinge.<br />
In vielen Städten und Gemeinden gibt es mittlerweile die Möglichkeit,<br />
sich allerlei Gegenstände auszuleihen, wie hier in der Bibliothek in Süßen.<br />
In Karlsruhe zum Beispiel nennt<br />
sich diese Bibliothek „leih.lokal“<br />
und wurde im Jahr 2018 von der<br />
dortigen Bürgerstiftung gegründet.<br />
Wie Mitarbeiter Rick Schmidt berichtet,<br />
steigt die Nachfrage stetig:<br />
„Alleine im April dieses Jahres<br />
hatten wir 470 Ausleihen. Letztes<br />
Jahr im April waren es noch 262.“<br />
Sämtliche Gegenstände sind<br />
Sachspenden. Mittlerweile umfasst<br />
das Sortiment rund 1000 Dinge –<br />
vom Beamer über Kindertragen<br />
und Waffeleisen bis hin zu Nähmaschinen.<br />
Angenommen wird<br />
jedoch nicht alles. Das liegt zum<br />
einen daran, dass nur begrenzt<br />
Platz zur Verfügung steht, zum<br />
anderen, dass manche Sachen selten<br />
nachgefragt werden.<br />
„Wir versuchen, ein möglichst<br />
breites Sortiment anzubieten, das<br />
aber auch praktikabel bleibt“, erklärt<br />
Schmidt. „Eben die Dinge,<br />
die man nicht jeden Tag braucht,<br />
aber manchmal doch gerne nutzt.“<br />
Besonders beliebt sind Bohrmaschinen<br />
und anderes Werkzeug.<br />
Die Ausleihe beim „leih.lokal“<br />
finanziert sich ausschließlich über<br />
Spenden und ist für die Nutzerinnen<br />
und Nutzer kostenlos. Diese<br />
müssen einen Antrag ausfüllen<br />
und Name, E-Mail-Adresse und<br />
Telefonnummer angeben. „Wir<br />
prüfen auch, ob die Person über 18<br />
Jahre alt ist“, sagt Schmidt. Um<br />
sicherzugehen, dass die Sachen<br />
wieder zurückgebracht werden,<br />
wird ein Pfand erhoben, das etwa<br />
dem Wert des Gegenstands entspricht.<br />
Schöner Nebeneffekt der<br />
Ausleihe: Viele Nutzerinnen und<br />
Nutzer engagieren sich mittlerweile<br />
selbst ehrenamtlich bei der Bürgerstiftung.<br />
Die „Mitmach-Bar“ in Münster<br />
ist ein Kooperationsprojekt der<br />
Volkshochschule und der Stadtbücherei.<br />
Ausgeliehen werden können<br />
technische Geräte, Werkzeug<br />
und vieles mehr. Dazu zählen<br />
beispielsweise Dia- Digitalisierer,<br />
Teleskope, programmierbare Roboter,<br />
aber auch Bohrmaschinen<br />
und Energiekosten-Mess geräte.<br />
Außerdem verfügt die Bibliothek<br />
über viele Musikinstrumente. Wer<br />
sich etwa überlegt, ein Keyboard<br />
anzuschaffen, kann es hier erst<br />
einmal ausprobieren.<br />
Nachhaltig und sozial<br />
„Die Bibliothek der Dinge stößt<br />
bei allen Beteiligten auf viel Begeisterung“,<br />
erklärt Jan Frederik<br />
Schmees, kommissarischer Leiter<br />
der Stadtbücherei. „Gerade die Aspekte<br />
der Teilhabe und der Nachhaltigkeit<br />
kommen dabei gut an.“<br />
In Bochum ist die „Bib der Dinge“<br />
ein Projekt des Phase 4-<br />
Foto: imago/Horst Rudel<br />
Instituts. Neben dem Umweltschutz<br />
ist dem Institut auch der<br />
soziale Aspekt wichtig. „Alle, ungeachtet<br />
ihres Einkommens, haben<br />
Zugang zu einem großen Spektrum<br />
an Dingen. Denn wie in einer<br />
Bibliothek braucht man nur einen<br />
geringen Jahresbeitrag zahlen“,<br />
heißt es auf der Webseite.<br />
Seit 2019 beherbergt auch die<br />
Stadtbibliothek Rosenheim eine<br />
solche Bibliothek. Frei nach dem<br />
Motto „Ich brauche nicht die<br />
Bohrmaschine, ich brauche das<br />
Loch in der Wand“ gibt es hier jede<br />
Menge Werkzeug. Hinzu kommen<br />
Spiele, Musikinstrumente und<br />
neueste technische Geräte, wie ein<br />
Iris Pen, um Texte einszuscannen,<br />
und eine Virtual-Reality- Brille für<br />
Video spiele. Besonders gefragt<br />
sind das Stand-Up-Board mit Paddel,<br />
die Nähmaschine und eine<br />
TV-Konsole.<br />
Um sich etwas auszuborgen, benötigt<br />
man einen gültigen Büchereiausweis.<br />
Sämtliche Dinge sind, wie<br />
bei den anderen Bibliotheken<br />
auch, auf der Webseite aufgelistet.<br />
Ist ein Gegenstand bereits verliehen,<br />
kann man sich dafür vormerken<br />
lassen. Annette Liebmann<br />
Info<br />
Eine Übersicht über Bibliotheken<br />
der Dinge in Deutschland und<br />
Österreich findet man hier:<br />
https://connect.oclc.org/<br />
bib-der-dinge<br />
Fristverlängerung bei<br />
Entschädigungen<br />
Menschen, die wegen einvernehmlicher<br />
homosexueller Handlungen<br />
zwischen 1945 und 1994 verurteilt<br />
wurden, stehen nach heutiger<br />
Rechtssprechung Entschädigungen<br />
zu.<br />
Die Frist, mit der diese Entschädigungen<br />
geltend gemacht werden<br />
können, ist um fünf Jahre bis zum<br />
21. Juli 2027 verlängert worden.<br />
Das teilte das Bundesamt für Justiz<br />
(BfJ) mit. Der Gesetzgeber hatte<br />
bereits im Jahr 2017 alle Verurteilungen<br />
nach den Paragraphen 175,<br />
175a in der Bundesrepublik und<br />
nach Paragraph 151 des Strafgesetzbuchs<br />
der DDR aufgehoben<br />
und alle Betroffenen rehabilitiert.<br />
Seitdem können Betroffene für<br />
Verurteilungen und Freiheitsentziehung<br />
eine Entschädigung beim<br />
Bundesjustizamt beantragen.<br />
Eingriff in Grundrechte<br />
Auch ohne Verurteilungen wurde<br />
massiv in die Grundrechte der<br />
Menschen, beispielsweise durch<br />
Ermittlungsverfahren oder Untersuchungshaft,<br />
eingegriffen und<br />
damit für Stigmatisierungen gesorgt.<br />
Auch die dadurch entstandenen<br />
Nachteile können vom BfJ<br />
entschädigt werden. Die Antragsformulare<br />
gibt es auf der Webseite<br />
des Bundesamts für Justiz und<br />
unter der Telefon (02 28) 99410-40.<br />
Formulare können auch per Post<br />
verschickt werden. <br />
juf<br />
www.bundesjustizamt.de/<br />
rehabilitierung