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RhPfalz_Juni_2023

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10 Zeitung Mai <strong>2023</strong> Generationen<br />

Die Welt von Pippi, Jim und Emil<br />

Einige Kinderbuchklassiker prägen ein Leben lang<br />

Kinder bekommen eine Stimme<br />

Kommunen wählen Nachwuchsbürgermeister<br />

Wer an seine Kindheit denkt, wird<br />

sich an die eigenen Lieblingsbücher<br />

gut erinnern können. Welche<br />

Literatur hat Heranwachsende<br />

in den letzten Jahrzehnten besonders<br />

geprägt? Darüber hat die<br />

VdK-ZEITUNG mit Dr. Christiane<br />

Raabe, Direktorin der Internationalen<br />

Jugendbibliothek (IJB), gesprochen.<br />

Die Expertin erklärt<br />

auch, was ein gutes Kinderbuch<br />

ausmacht, das einen vielleicht<br />

ein Leben lang begleitet.<br />

Schloss Blutenburg am nordwestlichen<br />

Stadtrand von<br />

München hat eine malerische<br />

Lage mit Schwanensee<br />

und spätmittelalterlicher<br />

Bauweise.<br />

Der Ort zieht jedoch vor<br />

allem deshalb so viele<br />

Besucherinnen und Besucher<br />

aus allen Ländern der<br />

Erde an, weil er die weltweit<br />

größte Sammlung für<br />

Internationale Kinder- und<br />

Jugendliteratur beherbergt.<br />

Diese wurde 1949 von Jella<br />

Lepman gegründet.<br />

Direktorin dieser Institution<br />

ist Dr. Christiane Raabe. Wenn sie<br />

die Kinderliteratur der vergangenen<br />

90 Jahre bis heute betrachtet,<br />

fällt ihr als Erstes „Emil und die<br />

Detektive“ (1929) von Erich Kästner<br />

ein: „Dieser spannende Großstadtkrimi<br />

über eine Kinderbande,<br />

die einen Dieb jagt, war für Generationen<br />

prägend und wird bis<br />

heute immer wieder neu variiert.“<br />

In der Nachkriegszeit fanden<br />

die Geschichten der schwedischen<br />

Autorin Astrid Lindgren<br />

ihren Weg von Skandinavien<br />

bis in die deutschen<br />

Kinderzimmer – allen voran die<br />

drei Pippi-Langstrumpf-Romane,<br />

die in deutscher Übersetzung zwischen<br />

1949 und 1951 erschienen<br />

sind. „Es geht um das starke Kind,<br />

das freie Mädchen, das sich außerhalb<br />

der bürgerlichen Regeln bewegt<br />

und übermenschliche Kräfte<br />

hat. Pippi hat unglaubliche Einfälle.<br />

Das macht das Lesen einfach<br />

zum Genuss“, betont die<br />

Kinderbuch- Kennerin. Ebenfalls<br />

viel Spaß bereiten jungen Leserinnen<br />

und Lesern Lindgrens Geschichten<br />

über „Michel“, jenen<br />

Jungen aus dem Dorf Lönneberga,<br />

der so viel Unsinn macht.<br />

Kasperl-Puppen<br />

Ein weiterer wichtiger Autor ist<br />

Otfried Preußler: „Im Kinderbuchklassiker<br />

‚Der Räuber Hotzenplotz‘<br />

von 1962 werden Kasperl -Puppen<br />

literarisch zum Leben erweckt.<br />

Damals waren Kasperltheater-<br />

Aufführungen weit verbreitet“, erklärt<br />

Raabe. Besonders mag sie die<br />

Figur des Zauberers Petrosilius<br />

Zwackelmann. „Seine Lieblingsspeise<br />

sind Kartoffeln. Doch obwohl<br />

er magische Kräfte hat, kennt<br />

er keinen Zauberspruch, der ihm<br />

das Kartoffelschälen erleichtern<br />

würde. Deshalb verlangt er, dass<br />

Kasperl diese anstrengende Küchenarbeit<br />

für ihn übernimmt“,<br />

erinnert sich die Expertin.<br />

„Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“<br />

(1960) von Michael<br />

Ende zählt bis heute zu den beliebtesten<br />

Vorlesegeschichten für Kinder:<br />

„Vor allem die fantastische<br />

Weltreise macht diesen Roman zu<br />

etwas Besonderem. So etwas gab<br />

es vorher nicht in Kinderbüchern“,<br />

sagt Raabe.<br />

Auf dem deutschen Kinderbuchmarkt<br />

möchte sie „Timm<br />

Thaler oder Das verkaufte Lachen“<br />

von James Krüss nicht missen.<br />

„Das ist ebenfalls ein wunderbares<br />

Kinderbuch, das prägend war und<br />

gerade wieder neu verfilmt wurde“,<br />

so die Expertin.<br />

Für den süddeutschen<br />

Raum müsse man auch<br />

den „Pumuckl“ von<br />

Ellis Kaut nennen:<br />

„Der Kobold, der<br />

die Werkstatt von<br />

Schreinermeister<br />

Illustration: Oetinger/Rolf Rettich<br />

Eder durcheinanderbringt, ist sehr<br />

bekannt und beliebt.“<br />

Wer Michael Endes Buch „Momo“<br />

(1973) gelesen hat, wird die<br />

Geschichte ein Leben lang als<br />

Erinnerungsschatz in sich tragen.<br />

Das Werk feiert in diesem Jahr<br />

50-jähriges Jubiläum. Der Schauplatz<br />

ist ein Amphitheater, in dem<br />

das Mädchen Momo haust. „Die<br />

unheimlichen Zeitdiebe sind ein<br />

spannendes Element. In der komplexen<br />

Erzählung wird eine Form<br />

von Achtsamkeit beschrieben, die<br />

nach wie vor aktuell ist“, betont<br />

Raabe.<br />

Dass die Expertin auch mal bis<br />

ins späte 19. Jahrhundert zurückschaut,<br />

liegt am Erfolgsautor Karl<br />

May. „Für viele Menschen der<br />

älteren Generation war er<br />

bedeutsam. Die Indianer-Geschichten<br />

rund<br />

um Winnetou sind vor<br />

allem von Jugendlichen verschlungen<br />

worden“, sagt die<br />

IJB-Direktorin.<br />

Zu den erfolgreichsten Kinderbuchreihen<br />

gehören zudem<br />

die „Fünf Freunde“-Bände, die<br />

ursprünglich aus der Feder von<br />

Enid Blyton stammen. Später wurde<br />

die Serie von zwei anderen<br />

Autorinnen fortgesetzt. Überhaupt<br />

sind Bücher, die in<br />

Fortsetzungen erscheinen,<br />

auch heute sehr gefragt. Man<br />

denke nur an „Harry Potter“<br />

von Joanne K. Rowling. Der erste<br />

Band ist vor 25 Jahren erschienen<br />

und hat die junge Generation<br />

enorm beeinflusst.<br />

Wie ist es den Autorinnen und<br />

Autoren gelungen, dass aus ihren<br />

Büchern Klassiker wurden? „Es ist<br />

eine Kunst, gute Kinderbücher zu<br />

schreiben. Die genannten Schriftstellerinnen<br />

und Schriftsteller<br />

nehmen Kinder ernst. Sie können<br />

sich in die kindliche Welt einfühlen<br />

und lassen autonome Kinderfiguren<br />

zu den jungen Leserinnen<br />

und Lesern sprechen“, sagt Raabe.<br />

Meistens seien gute Erzählungen<br />

humorvoll. Obendrein werden<br />

originelle Handlungen transportiert,<br />

die selbst Erwachsene überraschen.<br />

In der Sprache sind die<br />

Bücher nicht zu simpel erzählt,<br />

sondern bieten immer mal wieder<br />

überraschende Bilder für eine Szene<br />

oder ein Gefühl. „Eine chronologische<br />

Handlung ist langweilig“,<br />

ist Raabe überzeugt. Toll sei es<br />

deshalb, wenn sich die Geschichte<br />

wie ein Puzzle zusammensetzt<br />

– etwa, indem Rückblenden eingesetzt<br />

werden.<br />

Neuentdeckungen<br />

Neben den Klassikern gibt es<br />

viele aktuelle Neuentdeckungen.<br />

So empfiehlt Christiane Raabe die<br />

schwedische Autorin Frida<br />

Nilsson: „Auch in ihren<br />

Büchern sind eigenwillige<br />

Kinderfiguren zu<br />

finden.“<br />

Doch lesen kann man<br />

nur das, was übersetzt<br />

ist. Auf dem heimischen<br />

Buchmarkt gibt es vor allem<br />

Übersetzungen von Büchern<br />

aus Amerika oder<br />

England. „Werke aus Polen<br />

oder Frankreich werden dagegen<br />

kaum übersetzt. Und es gibt so<br />

gut wie keine Bücher aus dem<br />

Türkischen oder Japanischen“,<br />

bedauert Raabe. Die IJB habe<br />

einen guten Überblick über das,<br />

was in der Welt an Kindergeschichten<br />

erzählt wird. Daher sei<br />

es Aufgabe der IJB, den Verlagen<br />

Bücher ans Herz zu legen, die noch<br />

nicht ins Deutsche übertragen<br />

worden sind. Die Expertinnen und<br />

Experten der Jugendbibliothek<br />

übersetzen Auszüge aus den Büchern<br />

von hierzulande unbekannten<br />

Autorinnen und Autoren und<br />

laden diese in Schulklassen ein.<br />

Elisabeth Antritter<br />

www.ijb.de<br />

Illustration: F.J. Tripp/Mathias Weber/Thienemann Verlag<br />

Philip Baltrusch nahm an der Wahl des Kinderbürgermeisters in der Gemeinde<br />

Grambow teil.<br />

Foto: picture alliance/dpa/Jens Büttner<br />

Wie sähe unsere Gesellschaft aus,<br />

wenn Kinder und Jugendliche in<br />

der Politik ein Wörtchen mitreden<br />

könnten? Bei den großen Zukunftsthemen<br />

wird oft über die Köpfe der<br />

jungen Menschen hinweg entschieden.<br />

Mut machen Beispiele in<br />

den Kommunen, wo Heranwachsende<br />

in die politische Arbeit eingebunden<br />

werden.<br />

Wenn Politikerinnen und Politiker<br />

über die gesetzliche Rente oder<br />

den Klimaschutz entscheiden,<br />

stellen sie Weichen für das Leben<br />

der Menschen in zehn, 20 oder 40<br />

Jahren. Dann sind die Entscheiderinnen<br />

und Entscheider oft nicht<br />

mehr in der Verantwortung. Mit<br />

den Auswirkungen müssen die<br />

jungen Leute von heute leben. Viele<br />

wünschen sich deshalb, mehr<br />

Einfluss nehmen zu können.<br />

Ein Ausnahme, dass auch ohne<br />

Wahlrecht oder politisches Mandat<br />

etwas bewegt werden kann, ist<br />

die Protestbewegung „Fridays For<br />

Future“. Sie hat ihren Ursprung in<br />

Schülerstreiks für eine schnellere<br />

Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen.<br />

Daraus entwickelte sich<br />

eine globale Bewegung, deren<br />

Aushängeschild Greta Thunberg<br />

geworden ist. Ihr gelingt es, zu<br />

polarisieren. Damit zieht sie das<br />

öffentliche Interesse auf sich. Die<br />

Art und Weise gefällt nicht jedem,<br />

aber der Sache beschert sie damit<br />

eine große Aufmerksamkeit.<br />

Doch es muss nicht um die großen<br />

Themen gehen. Immer mehr<br />

Initiativen auf der lokalen Ebene<br />

verleihen Kindern und Jugendlichen<br />

in der Politik eine Stimme.<br />

Die Gemeinde Grambow in Mecklenburg-Vorpommern<br />

machte zum<br />

Beispiel kürzlich Schlagzeilen,<br />

weil erstmals mit dem zwölfjährigen<br />

Ole Prokein ein Kinder- und<br />

Jugendbürgermeister gewählt wurde,<br />

der die Anliegen junger Menschen<br />

besser in die Gemeinde<br />

einbringen soll. Der Ort zählt<br />

knapp 700 Einwohner, darunter<br />

sind mit 130 Kindern und Jugendlichen<br />

viele junge Menschen. 68<br />

Kinder waren wahlberechtigt. Ole<br />

Prokein war einziger Kandidat und<br />

bekam über 90 Prozent der Stimmen.<br />

Sein erstes Projekt hat er<br />

bereits umgesetzt: Es wird eine<br />

Kinderdisco geben.<br />

Geräte für den Spielplatz<br />

Anderswo können Heranwachsende<br />

schon länger mitgestalten.<br />

Im thüringischen Thalheim wurde<br />

2018 ein Kinderbürgermeisterinnen-Duo<br />

gewählt. Die Nachwuchspolitikerinnen<br />

entschieden bei der<br />

Auswahl von Geräten für den örtlichen<br />

Kinderspielplatz mit und<br />

brachten sich bei anderen Kinderund<br />

Jugendprojekten ein. Die Gemeinde<br />

unterstützt die Arbeit mit<br />

jährlich 2000 Euro.<br />

Auch wenn es eher um kleinere<br />

Veränderungen geht, betont Sylvia<br />

Schlicke, die im Rathaus von Thalheim<br />

zuständig für Bürgerbeteiligung<br />

und Stadtentwicklung ist:<br />

„Die Kinder fühlen sich ernst genommen,<br />

und ihre Vorschläge<br />

werden diskutiert.“ Das sei für alle<br />

ein großer Gewinn.<br />

cis

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