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DER<br />
Christina Boss<br />
Christian Boss<br />
LEBENSVORHANG<br />
GEHT AUF
Impressum<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
© 2023 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel<br />
Projektleitung: Michael Martin<br />
Gestaltung: Siri Dettwiler<br />
Layout: Célestine Schneider<br />
ISBN: 978-3-7245-2663-6<br />
<strong>Der</strong> Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur<br />
mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.<br />
www.reinhardt.ch
Christina Boss<br />
Christian Boss<br />
DER<br />
LEBENSVORHANG<br />
GEHT AUF<br />
Friedrich Reinhardt Verlag
INHALTSVERZEICHNIS<br />
8MATTHIAS<br />
ACKERET<br />
48 28<br />
PATTI<br />
GIORGIO<br />
BEHR<br />
BASLER<br />
72<br />
BERNHARD<br />
BETSCHART<br />
120<br />
MICHAEL<br />
ELSENER<br />
158<br />
JAHN<br />
GRAF<br />
96<br />
NINA<br />
CHRISTEN<br />
138<br />
NADINE<br />
FÄHNDRICH<br />
176<br />
BEAT<br />
HEDINGER
198<br />
LINDA<br />
INDERGAND<br />
216<br />
FRANÇOIS<br />
LOEB<br />
238<br />
DANIEL<br />
MAIER<br />
258<br />
KILLIAN<br />
280<br />
PEIER<br />
MARCEL<br />
RUF<br />
300<br />
318<br />
LAZARO<br />
SCHALLER<br />
342<br />
JEREMY<br />
SEEWER<br />
DANIEL<br />
SCHÖNI<br />
362<br />
ANDREA<br />
ZOGG
VORWORT<br />
<strong>Der</strong> (Lebens-)Vorhang <strong>geht</strong> <strong>auf</strong><br />
<strong>Der</strong> Vorhang <strong>geht</strong> <strong>auf</strong> und schon beginnt<br />
das Kasperli-Theater. Hier dürfen Kasperli,<br />
sein Freund Sepp und seine Freundin<br />
Gretel natürlich nicht fehlen. Als das<br />
Krokodil plötzlich den Kasperli fressen<br />
möchte, wird es richtig spannend. Auch<br />
die Hexe Höckerbein kann dem Kasperli<br />
nichts anhaben. Am Ende <strong>geht</strong> doch alles<br />
gut aus.<br />
Zu Beginn jedes Theaterstückes wie auch<br />
jedes Lebens <strong>geht</strong> der Vorhang <strong>auf</strong> und<br />
während des Stückes wächst die Spannung.<br />
So nimmt jedes Leben seinen<br />
L<strong>auf</strong>. <strong>Der</strong> Mensch sucht Herausforderungen<br />
trotz dem Wissen, dass es Probleme<br />
und Krisen geben wird – jeder<br />
wird Begegnungen mit dem Krokodil<br />
oder mit der Hexe haben. Plötzlich und<br />
manchmal ganz unerwartet gibt es als<br />
Belohnung für den Mut, dem Krokodil<br />
in die Augen zu schauen oder der Hexe<br />
zu trotzen, Höhepunkte <strong>auf</strong> der Bühne<br />
des Lebens. Vielleicht gelingt sogar der<br />
Sprung ins Rampenlicht. Einer meiner<br />
Lehrer, Jesuit und Philosoph, schrieb<br />
mir vor bald 25 Jahren, als ich zum ordentlichen<br />
Professor und Chefarzt berufen<br />
wurde, folgende Weisheit: «An die<br />
Spitze zu kommen ist schwierig, aber<br />
vergiss nicht, an der Spitze zu bleiben<br />
wird noch viel schwieriger sein.» Wenn<br />
ich heute zurückblicke, kann ich diesen<br />
einfachen Satz vollumfänglich bestätigen:<br />
Ich habe die Anzahl Begegnungen<br />
mit dem Krokodil, mit der Hexe oder mit<br />
ganz anderen Wesen zum Glück nie gezählt.<br />
Wer im Rampenlicht steht, soll nach<br />
Meinung des Publikums auch sein Privatleben,<br />
oder zumindest einen Teil, offenlegen.<br />
Er setzt sich aus: dem Urteil<br />
von anderen, das oft unerbittlich ist.<br />
Er erhält Applaus, Bewunderung, dann<br />
wieder muss er Buh-Rufe einstecken, erhält<br />
böse Briefe, spürt Neid. Das Publikum<br />
sagt lautstark, was man anders machen<br />
soll, ja manchmal sogar, dass man<br />
anders sein solle. Es weiss alles besser,<br />
das muss ertragen werden. Hier öffnet<br />
sich unerbittlich das Maul des Krokodils.<br />
Die Zähne des Krokodils sind scharf.<br />
Wer sich <strong>auf</strong> die Bühne wagt, wird verletzlich.<br />
Er braucht Rückzugszonen.<br />
Genau wie im Theaterstück oder in der<br />
Oper: Das Publikum betrachtet das Drama<br />
von aussen. Wenn alles gut läuft,<br />
sieht alles einfach aus. <strong>Der</strong> Anspruch des<br />
Publikums steigt: Wer exzellent ist, soll
noch besser werden. Enttäuschungen,<br />
Rückschläge und Niederlagen zu ertragen,<br />
das braucht Kraft.<br />
Und irgendeinmal wird der Vorhang zugehen,<br />
manchmal nach einem Drama.<br />
Denken wir an Violetta, in einer der berühmtesten<br />
Opern von Verdi, «La Traviata».<br />
Violetta stirbt nach einem bewegten<br />
Leben an Tuberkulose und der<br />
Vorhang <strong>geht</strong> abrupt zu. Im Leben muss<br />
die Aufführung nicht tragisch enden:<br />
Happy End nach einer herausfordernden<br />
Karriere oder einem interessanten<br />
Leben – dann kommt die Ruhe. <strong>Der</strong> Applaus<br />
verklingt. Und wer Krokodil und<br />
Hexe besiegt hat, darf sich zufrieden<br />
zurücklehnen. Genau wie Kasperli am<br />
Ende des Theaterstückes.<br />
Dem Journalisten-Ehepaar Christian<br />
und Christina Boss ist es einmal mehr<br />
gelungen, aus einem eher unspektakulären<br />
Satz ein hochspannendes Szenario<br />
für ihr nächstes Buch zu entwickeln.<br />
Und so erzählen sie uns von bekannten<br />
Schweizer Persönlichkeiten aus Unterhaltung,<br />
Sport und Wirtschaft, die<br />
durch Talent, Fleiss, Willenskraft, aber<br />
auch Mut plötzlich dank ihrer Ausdauer<br />
ins Rampenlicht <strong>auf</strong>gestiegen sind.<br />
Nach ihren bisherigen Porträtbüchern<br />
«<strong>Der</strong> Weg ins Rampenlicht», «Im Tal der<br />
Tränen» und «Geschenkt wird dir gar<br />
nichts» stellt das vorliegende Buch eine<br />
würdige Fortsetzung des sehr produktiven<br />
Wirkens von Christian und Christina<br />
Boss dar. Mögen die Leserinnen und<br />
die Leser Freude an den sehr persönlichen,<br />
prägenden und auch bewegenden<br />
Geschichten der porträtierten Persönlichkeiten<br />
haben.<br />
Thierry Carrel<br />
Herzchirurg, Professor an den Universitäten<br />
Bern und Zürich<br />
7
MATTHIAS<br />
ACKERET<br />
Geboren<br />
9. September 1963<br />
Die glücklichen Eltern<br />
Remi und Anni Ackeret, Uhwiesen<br />
Zivilstand<br />
Ledig
JOURNALIST,<br />
VERLEGER,<br />
PUBLIZIST<br />
UND AUTOR<br />
Mein Lebensmotto<br />
Frei nach dem österreichischen Chansonnier<br />
André Heller: Ich will mich keinen<br />
Tag langweilen. Und sollte es trotzdem<br />
der Fall sein, kommt es auch gut.<br />
Mein Lebenstraum<br />
Ich hatte das Glück, dass sich viele<br />
Träume meiner Jugend erfüllten. So<br />
wollte ich immer einen eigenen Verlag<br />
und Bücher schreiben. Zudem wollte ich<br />
einmal bei einem Schawinski-Pionier-<br />
Projekt am Start dabei sein und journalistisch<br />
im Bundeshaus arbeiten, also<br />
den Duft der Macht riechen. All dies<br />
klappte. Zudem hatte ich das Glück, dass<br />
ich Martin Walser, meinen Lieblingsautor,<br />
persönlich kennenlernen durfte und in<br />
seinen Büchern erwähnt bin.<br />
Berufliche Ausbildung<br />
Studium und Abschluss in Rechtswissenschaften<br />
im Jahre 1991.<br />
1998 Promotion an der Universität Zürich<br />
mit einer Dissertation über «Das duale<br />
Rundfunksystem der Schweiz».<br />
Leuchtpunkte als Autor<br />
Für grosses Aufsehen sorgte 2021 sein<br />
Roman «SMS an Augusto Venzini».<br />
Das Buch erhielt ausnahmslos positive<br />
Kritiken. So schrieb Martin Walser im<br />
Südkurier: «Ich gestatte mir, begeistert<br />
zu sein.» Das Werk erschien innerhalb<br />
kürzester Zeit in der dritten Auflage.<br />
Matthias Ackeret publizierte noch vier<br />
weitere Romane.<br />
Das Sachbuch «Das Blocher-Prinzip»<br />
von 2007 ist in der Schweiz mit über<br />
40 000 verk<strong>auf</strong>ten Exemplaren ein<br />
Bestseller. 2021 erschien eine aktualisierte<br />
Fassung des Buches mit dem<br />
Kapitel «Wie verhalte ich mich in Krisensituationen?»<br />
Diese Neuerscheinung<br />
schaffte es, 14 Jahre nach der ersten<br />
Veröffentlichung, nochmals in die<br />
Schweizer Bestsellerliste. Mittlerweile<br />
ist die 10. Auflage <strong>auf</strong> dem Markt.<br />
9
DER VORHANG<br />
GEHT AUF<br />
Ein Blick zurück – vielsagend<br />
und mit prägendem Gehalt<br />
Remi Ackeret studierte einst Geschichte.<br />
Sein Interesse für diese spannende,<br />
weitläufige und tief in die Vergangenheit<br />
blickende Materie war ungebrochen, als<br />
er aus einem guten Grund seine berufliche<br />
Zukunft trotzdem in andere Bahnen<br />
lenkte. Da es in dieser Zeit zu wenig<br />
Schullehrer gab, war es ihm ein Leichtes,<br />
ins Reich der Pädagogen umzusatteln. Er<br />
wurde Sekundarlehrer, unterrichtete sogar<br />
seine eigenen Kinder Matthias und<br />
Regula, und genoss das wertvolle Ansehen<br />
eines überaus geschätzten «Paukers».<br />
In dieses Bild gehörte auch, dass<br />
sich die Schüler jeweils erheben mussten,<br />
wenn er ins Klassenzimmer eintrat.<br />
Das Thema Geschichte liess Remi Ackeret<br />
jedoch nie los. Insbesondere wenn es um<br />
sein Dorf ging, liess er seiner forschenden<br />
Ader komplett freien L<strong>auf</strong>. Doch<br />
auch in Bezug <strong>auf</strong> das historische Wissen<br />
rund um den Erdball zeigte er sich<br />
als wandelndes Lexikon. In seiner restlichen<br />
Freizeit betreute er das Wandernetz<br />
rund um Uhwiesen und war als Wanderleiter<br />
äusserst aktiv und beliebt.<br />
Seine Ehefrau Anni absolvierte in jungen<br />
Jahren eine Lehre bei der Zürcher Kantonalbank.<br />
Nach ihrer Heirat und den Geburten<br />
von Matthias (1963) und Regula<br />
(1966) übernahm sie die wichtige Aufgabe<br />
und Rolle einer klassischen und umsorgenden<br />
Hausmutter. Wenn sie Zeit<br />
fand, widmete sie sich dem Stricken und<br />
dem Sticken.<br />
Die ersten Gehversuche unternahm<br />
Matthias in Feuerthalen. Da der Vater in<br />
Uhwiesen eine Stelle als Lehrer annahm,<br />
wurde das Zügeln zur Pflicht. Schliesslich<br />
gehörte es damals dazu, dass der Herr<br />
Lehrer, der Herr Pfarrer und der Herr Gemeindeschreiber<br />
im Dorfe wohnen mussten.<br />
Dieser Logik entsprechend erwarb<br />
sich die Familie Ackeret in Uhwiesen ein<br />
schönes Eigenheim mit Umschwung.<br />
Richtig verwöhnt wurden der Sohn und<br />
die Tochter des Hauses durch die Mutter,<br />
wenn es um die Verteilung der Hausämtli<br />
ging. Einzig beim Abtrocknen nach dem<br />
Mittagessen mussten die beiden Kinder<br />
Hand anlegen. Dazu Tochter Regula: «Ich<br />
schlug vor und setzte mich sogar durch,<br />
dass ich an den geraden Tagen im Einsatz<br />
stand und Matthias an den ungeraden.»<br />
<strong>Der</strong> nette Knabe nahm die leicht fragliche<br />
Lösung widerstandslos zur Kenntnis.<br />
Überhaupt erinnert sich Regula lebhaft<br />
daran, dass ihre Streitversuche mit<br />
dem grossen Bruder immer schnell im<br />
Keim erstickten. « Matthias mied jede<br />
Auseinandersetzung, er wollte Frieden<br />
und zog sich bei einem herannahenden<br />
Gewitter stets rechtzeitig in sein Zimmer<br />
zurück.»<br />
Kein Streit, keine strafbaren Verfehlungen,<br />
kein Rasenmähen und kein Staubsaugen<br />
– das tönt verdächtig nach Langeweile.<br />
Gab es vielleicht ein ansehnliches<br />
Taschengeld, um sich immer wieder <strong>auf</strong><br />
Eink<strong>auf</strong>stour zu begeben? Nochmals Regula:<br />
«Einen Auftrag hatten Matthias<br />
und ich jedoch sehr zuverlässig zu erledigen:<br />
das Spazierenführen unseres<br />
Hundes. Irgendwann erhielten wir tatsächlich<br />
Sackgeld und das begann mit 10<br />
Rappen pro Woche. Obwohl wir im Dorf<br />
einen Volg hatten, wären wir nie <strong>auf</strong> die<br />
Idee gekommen, uns dort mit Süssigkeiten<br />
einzudecken. Diese Mode überliessen<br />
wir stets den anderen Kindern.»<br />
Matthias lebte zweifellos <strong>auf</strong> sehr kleinem<br />
Fuss. Grundsätzlich nahm er jede<br />
noch so minime Möglichkeit wahr, um<br />
seinen Sparstrumpf zu füllen. Viele<br />
10
Jahre später spürte er, dass er wohl damals<br />
einer höheren Eingebung gefolgt<br />
war. Das während der Jahre Angesparte<br />
half ihm nämlich in erster Linie, um sich<br />
einen grossen Traum zu erfüllen. Dazu<br />
später mehr …<br />
Eine regelmässige Aufwartung machten<br />
Matthias und Regula in der Sonntagsschule.<br />
Sie besuchten diese eigentlich<br />
nur aus dem einfachen Grund, weil praktisch<br />
alle Kinder dort anzutreffen waren.<br />
Nochmals Schwester Regula: «<strong>Der</strong> Sonntag<br />
wurde geehrt, indem wir uns immer<br />
in den schönsten Kleidern präsentierten.»<br />
Im ländlichen Dorf Uhwiesen hatte das<br />
Vereinsleben, wie es sich eben gehört,<br />
eine wichtige Funktion. Matthias schloss<br />
sich dem Turnverein an, übte fleissig<br />
nach den vorgegebenen Leitsätzen von<br />
Turnvater Jahn – frisch, fromm, fröhlich,<br />
frei – und nahm – obwohl sportlich untalentiert<br />
– an verschiedenen Turnfesten<br />
in der Region teil. Später war er auch<br />
im Ruderclub Schaffhausen, dem verschiedene<br />
Weltmeister und Olympiamedaillengewinner<br />
angehörten. Matthias<br />
zählte allerdings nicht zu diesen. Sein<br />
sportlicher Höhepunkt: Er agierte bei<br />
einer Trainingsfahrt von Weltmeister<br />
Hans-Konrad Trümpler notfallmässig<br />
als Steuermann.<br />
Weit weniger euphorisch tönt es, wenn<br />
man das musische Thema ins bunte Spiel<br />
bringt. Matthias im Originalton: «Mit<br />
dem Nichtspielen eines Instrumentes<br />
und mit dem Nichtsingen in einem Chor<br />
habe ich bestimmt eine Liebe verpasst.<br />
Doch vielleicht war es auch besser so. Ich<br />
spürte, dass in diesen Bereichen mein<br />
Talent leider begrenzt ist und ich mich<br />
mehr als Fan eigne.»<br />
1 Matthias mit seinen Eltern Remi und<br />
Anni bei der T<strong>auf</strong>e von Regula (1966)<br />
2 Schulstart: mit Schwester Regula vor<br />
dem Elternhaus in Uhwiesen (1969)<br />
11
Ein kurzer Seitenblick in den Bereich der<br />
Bestrafungen sei an dieser Stelle doch<br />
noch erlaubt. Wandern war bei der Familie<br />
Ackeret sehr hoch im Kurs. Es kam<br />
auch vor, dass man den Weg zusammen<br />
mit einer anderen Familie unter die<br />
Füsse nahm. Dabei bekamen die beiden<br />
Ackeret-Kinder ab und zu Anschauungsunterricht<br />
darüber, wie hart ein<br />
Strafmass überhaupt ausfallen kann.<br />
Beispielsweise, wenn der Vater der befreundeten<br />
Kinder plötzlich den Ledergurt<br />
löste und … den Rest kann man sich<br />
vorstellen. Dagegen war die Strafandrohung<br />
für Matthias und Regula richtiggehend<br />
human. Es hiess nämlich lediglich:<br />
Wenn ihr nicht lieb seid, kommt der<br />
Bölimaa.<br />
Das Wandern war zweifellos auch der<br />
Familie Ackerets Lust. Vor allem in den<br />
Herbstferien traf dieser Slogan den Nagel<br />
voll <strong>auf</strong> den Kopf. Durch die verschiedenen<br />
Destinationen wie Leukerbad, Grächen,<br />
Verbier, Pontresina, Evolène oder<br />
Sölden kam die Familie mit den unterschiedlichsten<br />
Naturschönheiten in<br />
Kontakt. Immer wurde dar<strong>auf</strong> geachtet,<br />
dass am ausgewählten Ort ein Hallenbad<br />
zur Verfügung stand. Die Entspannung<br />
im mehr oder weniger warmen Wasser<br />
liess die müden Glieder wieder munter<br />
werden, um am nächsten Tag zu neuen<br />
Herausforderungen loszumarschieren.<br />
Das Stichwort «Herausforderung» nehmen<br />
wir, wenn auch nicht mit Jubel, Trubel<br />
und Heiterkeit, in die Winterferien<br />
mit. Matthias erklärt:<br />
«Skifahren gehörte zu den Winterferien<br />
wie der Schnee zu dieser kalten Zeit. Obschon<br />
ich in Arosa sogar die Skischule<br />
besuchen durfte, war ich ein schlechter<br />
Pistenbenützer. <strong>Der</strong> Ehrgeiz war wohl<br />
da, doch das trug nicht dazu bei, dass ich<br />
schöne Kurven in den Schnee zaubern<br />
konnte. Im Gegenteil, meine Spezialität<br />
hiess: Stemmbogen. Erst viel später, als<br />
das Carving <strong>auf</strong>kam und die Skier weitgehend<br />
selber bestimmten, wie man Kurven<br />
fahren muss, wirkte ich etwas ästhetischer.»<br />
Die Reise nach Paris<br />
Ein besonderes und prägendes Ferienerlebnis<br />
durfte Matthias als 13-Jähriger<br />
erfahren und in sich <strong>auf</strong>nehmen.<br />
Zusammen mit dem Vater und der<br />
Schwester liess er sich per Bahn zu einer<br />
Städtereise nach Paris ch<strong>auf</strong>fieren. Das<br />
beherbergende Hotel «Suffren La Tour»<br />
stand ganz in der Nähe des Eiffelturms<br />
und erweckte im Buben einen tiefen<br />
Eindruck. Während dieser Tage konnte<br />
Matthias vom grossen Wissen seines<br />
Französischlehrers, eben vom Vater,<br />
profitieren. Beispielsweise besuchten sie<br />
das Grab von Napoleon und andere berühmte<br />
Sehenswürdigkeiten. Bei diesem<br />
Abstecher in die Stadt an der Seine geschah<br />
mit dem Burschen einiges. Einerseits<br />
wurde das Geschichtsbewusstsein<br />
seines Vaters nachhaltig <strong>auf</strong> ihn übertragen<br />
und andererseits verliebte er sich in<br />
die französische Sprache, in die französische<br />
Filmwelt um Jean-Paul Belmondo<br />
und in die französische Musik. Diese<br />
Liebe ging derart tief, dass Matthias<br />
es sich nicht nehmen liess, mehrfach das<br />
Grab seines Lieblingssängers Joe Dassin<br />
in Los Angeles oder zwei Abschieds-<br />
«WENN IHR<br />
NICHT LIEB<br />
SEID,<br />
KOMMT DER<br />
BÖLIMAA.»<br />
12
konzerte von Michel Sardou zu besuchen.<br />
Zudem nahm er am 11. Dezember<br />
2017 an der Beerdigung der Rock-Ikone<br />
Johnny Hallyday <strong>auf</strong> den Champs-Elysees<br />
teil, als wohl einziger Schweizer, wie<br />
Matthias Ackeret schmunzelnd betont.<br />
Dafür mit einer Million französischen<br />
Zuschauern und drei Staatspräsidenten<br />
– die grösste Abdankung eines Entertainers<br />
überhaupt. «Hallyday war ein Weltstar,<br />
aber nur bis Basel», sagt Matthias.<br />
Sehen wir das richtig, wenn wir annehmen,<br />
dass in Ihrem Zimmer ein Poster<br />
dieses Künstlers hing? «Nein, da hingen<br />
Bilder von Jean-Paul Belmondo, Marilyn<br />
Monroe und den Gemälden von Salvador<br />
Dalí.. Über meinem Schreibtisch hatte<br />
ich einen Schweizer-Illustrierten-Artikel<br />
mit einer Aufnahme von Schawinskis<br />
Antenne <strong>auf</strong> dem Pizzo Groppera. Das<br />
war irgendwie karrierebestimmend.»<br />
Traumberuf: Kabarettist<br />
<strong>Der</strong> Vater von Matthias war im Dorf Uhwiesen<br />
eine Lehrer-Legende. Sein Beliebtheitsgrad<br />
war derart hoch, dass Eltern,<br />
welche durch seine Schul-Mühle<br />
gegangen waren, alles daransetzten, damit<br />
auch ihre Kinder beim legendären<br />
Schulmeister die harte Bank drücken<br />
durften. Dass er, noch von altem Schrot<br />
und Korn, bis in die frühen 80er-Jahre<br />
gelegentlich leichte Kopfnüsse verteilte,<br />
gehörte einfach zu seiner Unterrichtungsart<br />
und wurde – als er dies dem<br />
Zeitgeist entsprechend abschaffte – von<br />
den Betroffenen zurückgewünscht.<br />
Matthias spürte hie und da schon, dass<br />
es nicht ganz einfach war, als Lehrerssohn<br />
durchs Leben zu gehen. Gelitten<br />
hat er deswegen jedoch nie wirklich:<br />
«<strong>Der</strong> Vater als mein Lehrer und ich als<br />
sein Schüler wurde zu einer Art Rollenspiel.<br />
Die Tatsache, dass er zu mir eher<br />
strenger war als zu meinen Mitschülern,<br />
ist nicht von der Hand zu weisen. In der<br />
Schule war er mein Lehrer und zu Hause<br />
mein Vater. Das waren ganz klar zwei verschiedene<br />
Paar Stiefel.»<br />
Obwohl Matthias ein durchschnittlicher<br />
Schüler war, blieb er praktisch immer<br />
<strong>auf</strong> Tuchfühlung mit den Guten. Als geborener<br />
Kämpfer war ihm klar, dass es,<br />
wenn es nicht rund und gewünscht lief,<br />
nur einen Weg gab: Arbeiten, lernen und<br />
nochmals arbeiten. Immer wieder spürte<br />
er im trauten Heim eine ganz besondere,<br />
unausgesprochene Stimmung: den<br />
allseitigen Ehrgeiz, dass er an die Kanti<br />
gehen kann.<br />
So weit war es noch nicht. Obwohl<br />
Matthias bereits als Elfjähriger wusste,<br />
dass er einmal in die grosse, weite und<br />
vielfältige Welt der Medien eintauchen<br />
wollte, musste er den Weg zum Berufsberater<br />
<strong>auf</strong> sich nehmen. Dieser machte<br />
kein langes Federlesen und empfahl ihm,<br />
weil er ja sehr gerne lese, den Beruf eines<br />
Buchhändlers zu lernen. Matthias nahm<br />
diese Botschaft zur Kenntnis – mehr<br />
nicht. Ein Entscheid war in der Zwischenzeit<br />
jedoch längst gefallen. Obwohl er als<br />
Zehnjähriger ein grosser Fan von Emil<br />
war, verdrängte er seinen Bubentraum,<br />
Kabarettist zu werden, endgültig. <strong>Der</strong><br />
einfache Grund: Sein verborgenes journalistisches<br />
Potenzial zeichnete sich bereits<br />
viel früher ab. <strong>Der</strong> beste Beweis dafür:<br />
Als Zwölfjähriger gewann Matthias<br />
nämlich den Limerick-Wettbewerb der<br />
Radiosendung «Oder» mit Hans Gmür<br />
<strong>auf</strong> Radio DRS 1. Das Preisgeld betrug<br />
stolze 20 Franken. Viel wichtiger war für<br />
ihn allerdings, dass diese Sendung jeweils<br />
über eine Million Zuhörer hatte und die<br />
Grossen der Radiowelt, Hans Gmür, Max<br />
Rüeger und Ueli Beck, seinen Fünfzeiler<br />
zu dritt im Radio vortrugen. Das war eine<br />
spezielle Erfahrung: «Niemals mehr wurde<br />
ich <strong>auf</strong> eine Sendung mehr angespro-<br />
13
chen wie <strong>auf</strong> diesen Wettbewerb. In den<br />
Siebzigern hörte jeder Radio DRS 1. Im<br />
Dorf bekam ich dadurch fast den Stellenwert<br />
eines Schwingerkönigs. Das war für<br />
mich zweifelsohne ein Schlüsselerlebnis<br />
und weckte in mir mit Sicherheit unterschwellig<br />
den Drang, in der Öffentlichkeit<br />
zu stehen.» Für einmal zeigte der als<br />
bescheiden, neugierig, fleissig, generös,<br />
kultiviert, belesen, hilfsbereit und zuvorkommend<br />
beschriebene Wortjongleur<br />
ein anderes Gesicht.<br />
Ursprünglich hatten die Eltern für ihren<br />
Sohn Matthias den Wunsch, dass er<br />
einen soliden Beruf wählen solle. Die<br />
Mutter sah ihn bereits als Notar, der Vater<br />
hingegen als Historiker.<br />
Für den gut erzogenen Burschen aus<br />
einer rechtschaffenen Familie war es sicherlich<br />
ein Anliegen, mehr noch ein<br />
Herzenswunsch, dass die Kirche im Dorf,<br />
beziehungsweise im Familienverbund,<br />
blieb. Er absolvierte die Kanti, studierte<br />
danach brav, wurde Jurist, doktorierte<br />
sogar, nicht zuletzt, um seinem Vater<br />
– dem Dorflehrer – zu gefallen. Als Entschädigung<br />
für seine Kürzest-Militärkarriere,<br />
die nur drei Wochen dauerte<br />
und wegen Asthma abgebrochen wurde.<br />
Gleichzeitig wusste er, dass er niemals<br />
als Jurist arbeiten würde. Vielleicht, wir<br />
vermuten es ganz leise, diente das angestrebte<br />
und erreichte Doktorat noch<br />
einem anderen Zweck: Matthias wollte<br />
sich und der ganzen Welt beweisen, dass<br />
er eine ganze Menge <strong>auf</strong> dem Kasten hat.<br />
Wenn Matthias heute sagt, dass man<br />
das Leben nicht durch und durch planen<br />
kann, spricht er aus einer reichen Erfahrung.<br />
Bereits beim Abschluss seines Jura-Studiums<br />
musste er erleben, dass man<br />
plötzlich massiv unter Druck geraten<br />
kann. Nachdem er bei der ersten Teilprüfung<br />
durchgefallen war, wurde der 1. Juli<br />
1 Matthias <strong>auf</strong> dem Auto von Roger Schawinski<br />
vor dem Sendestudio in Como<br />
(1983)<br />
2 Interview mit Bernhard Russi am Radio-<br />
Moderationswettbewerb im Jahre 1983.<br />
Das war der Startschuss zur Radiokarriere<br />
14
1991 zu seinem Schicksalstag. Top oder<br />
Flop. Er musste bei der allerletzten und<br />
alles entscheidenden Prüfung im Aktienrecht<br />
eine Note 4,5 erreichen, um überhaupt<br />
weiterzukommen. Ein Absturz<br />
hätte verheerende Folgen gehabt: Abweisung<br />
von der Universität Zürich und<br />
Neubeginn an einer anderen Lehrstätte.<br />
«Das wäre für mich der Horror gewesen»,<br />
sagt er heute rückblickend.<br />
Ein Lied von Julio Iglesias<br />
Obwohl ihm die Juristerei immer mehr<br />
zur Qual wurde, überliess er nichts<br />
dem Zufall. Während eines ganzen Jahres<br />
bereitete er sich <strong>auf</strong> diesen wichtigen<br />
Moment vor und nahm sogar autogenes<br />
Training, um sich vorzustellen,<br />
wie ihm der Unirektor irgendwann das<br />
Diplom überreiche. Vor jeder Prüfung<br />
hörte er immer dasselbe Lied von Julio<br />
Iglesias und erklärte es zu seinem absoluten<br />
Glücksbringer. Es wirkte. Äusserst<br />
knapp bestand er die Prüfung und wurde<br />
Jurist. «<strong>Der</strong> 1. Juli 1991 war der wichtigste<br />
Tag in meinem Berufsleben», sagt<br />
Matthias Ackeret. «Wäre ich durchgefallen,<br />
hätte ich viel anderes verpasst, wie<br />
beispielsweise den Start bei TeleZüri.»<br />
Dieses zukunftsträchtige Ereignis liess<br />
Matthias Ackeret im Jahre 2016, wohlverstanden<br />
nach 25 Jahren, bei einem<br />
Aufenthalt in Antibes nochmals Revue<br />
passieren. Einer Eingebung gehorchend,<br />
schrieb er seinem damaligen Professor<br />
Peter Forstmoser, «dem George Clooney<br />
der Juristen», einen verspäteten Dankesbrief.<br />
Diese wohl einmalige Bezeugung<br />
rührte Professor Forstmoser offenbar.<br />
Er beantwortete das überraschende<br />
Schreiben umgehend, allerdings mit dem<br />
klaren Hinweis, dass sie sich nicht näher<br />
gekannt hätten, nur die Leistung gezählt<br />
habe und damit eine «Vetterliwirtschaft»<br />
total auszuschliessen sei.<br />
Völlig ungeplant war auch, dass der gute<br />
Matthias die Autoprüfung in zwei Anläufen<br />
hinter sich bringen musste. Beim<br />
ersten Versuch 1986 war ihm der Wettergott<br />
nicht hold, er liess es plötzlich kräftig<br />
schneien und … Matthias fand den<br />
Hebel für den Scheibenwischer nicht <strong>auf</strong><br />
Anhieb.<br />
Wenn wir schon beim Erzählen von Pleiten,<br />
Pech und Pannen sind, geben wir<br />
einem anderen Fauxpas den nötigen<br />
Raum. Matthias war im Frühjahr 2018<br />
bei den Rotariern in Einsiedeln zu Gast,<br />
um diese mit einem Referat zu erfreuen.<br />
Das freundliche Angebot, sich bei<br />
einem Umtrunk zu erquicken und erlaben,<br />
wies Matthias freundlich und bestimmt<br />
zurück: Wer fährt – trinkt nicht.<br />
Trotz einem Alkoholgehalt von 0,0 streifte<br />
er <strong>auf</strong> dem Heimweg, <strong>auf</strong> der Höhe von<br />
Horgen, eine Leitplanke. Eine kleine Un<strong>auf</strong>merksamkeit<br />
war der Grund. Dummerweise<br />
schlug in diesem Moment das<br />
Juristenherz derart stark, dass er umgehend<br />
die Polizei informierte. Zwar fanden<br />
die Gesetzeshüter keine schadhaften<br />
Spuren, liessen Matthias Ackeret<br />
dennoch in ein Verfahren rauschen, und<br />
die Folgen waren für den Ehrlichen frappant:<br />
hohe Busse wegen Nichtbeherrschen<br />
des Fahrzeuges und Ausweisentzug<br />
für einen Monat. Dazu ganz kurz: Die<br />
Handlungen des Lebens sind manchmal<br />
wirklich unergründlich.<br />
Autofahren und Matthias –<br />
eine Dramaturgie mit Potenzial<br />
zum Schmunzeln<br />
Die allererste Solofahrt, nach erfolgreicher<br />
Prüfung, wird garantiert in die<br />
Memoiren des Burschen eingehen. Wir<br />
hören gespannt zu: «Als Neufahrer mutterseelenalleine<br />
unterwegs zu sein, habe<br />
ich damals wirklich sehr unterschätzt.<br />
Je länger die Fahrt dauerte, je nervöser<br />
15
wurde ich. Dann gelang mir in Frauenfeld<br />
und in einem Parkhaus das kleine Kunststück,<br />
indem ich es fertigbrachte, durch<br />
die Ausfahrt ins Parkhaus hineinzufahren.<br />
Beim Manövrieren wollte ich den<br />
Aussen-Rückspiegel richten und hatte<br />
diesen unmittelbar danach abgebrochen<br />
in der Hand. Seither weiss ich genau,<br />
dass der Spruch ‹vom Lehrgeld bezahlen›<br />
nicht aus der Luft gegriffen ist.<br />
Zugegeben, sonst war ich stets unfallfrei<br />
unterwegs. Zwei Peinlichkeiten musste<br />
ich dennoch über mich ergehen lassen:<br />
Beide Male blieb ich <strong>auf</strong> der Autobahn<br />
stecken, weil der Tank leer war …»<br />
Logisch, dass die verschiedenen Eskapaden<br />
des Studenten Ackeret dem wohlgelobten<br />
Sparsamkeitsgedanken nicht<br />
förderlich waren. Um sich finanziell<br />
trotzdem gut über Wasser halten zu können,<br />
hiess das Zauberwort: Ferienjobs.<br />
In der Migros Neuhausen arbeitete<br />
Matthias in der Metzgerei-Abteilung, obwohl<br />
er überzeugter Vegetarier war, und<br />
sogar bei der Firma Elektro Brütsch wurde<br />
ihm nicht gekündigt, obwohl er hie<br />
und da die Lötstellen verwechselte. Im<br />
Jahre 1982, während der Fussball-Weltmeisterschaft<br />
in Spanien, fand Matthias<br />
mit der Firma Waro einen guten, temporären<br />
Arbeitgeber und mit Herrn Lang<br />
einen geduldigen Chef. Seine Aufgabe<br />
bestand darin, Gestelle mit Waren <strong>auf</strong>zufüllen.<br />
Die taktischen Finessen, das<br />
Alte wird zuvorderst und gut sichtbar<br />
platziert – in der Fachsprache «ä Schnorre<br />
mache» –, lassen ihn heute noch nicht<br />
los. Immer wieder ertappt er sich dabei,<br />
dass er in einem Laden einen kritischen<br />
Blick über die Gestelle schweifen lässt.<br />
Kein Ruhmesblatt verdiente sich<br />
Matthias, als es ums Erfassen der Lagerbestände<br />
gegangen war. Er bekam<br />
den überblickbaren Auftrag, die herumstehenden<br />
Kinderwagen zu zählen und<br />
16<br />
<strong>auf</strong> einer speziellen Tabelle einzutragen.<br />
Kein Problem, er notierte – ohne lange zu<br />
schauen – die Zahl 4, um Minuten später<br />
mit dunkelroter Gesichtsfarbe im Kreis<br />
der Mitarbeitenden zu stehen. Tatsächlich<br />
stellte der Chef fest, dass es in Wirklichkeit<br />
fünf Kinderwagen waren.<br />
«Natürlich wäre ich am liebsten in einem<br />
Mausloch verschwunden. Die Situation<br />
war mehr als peinlich. Ich lernte daraus,<br />
dass man auch die kleinsten Details immer<br />
mit viel Sorgfalt pflegen muss.»<br />
<strong>Der</strong> mutige Auftritt mit dem<br />
Heiratsantrag<br />
Matthias Ackeret und sein Freund Beat<br />
Merz waren der Schule noch lange nicht<br />
entwachsen, als sie alle möglichen Arten<br />
austesteten, um ins Rampenlicht zu gelangen.<br />
Sie lernten die Texte des überall<br />
bekannten Cabaret Rotstift auswendig,<br />
spürten jedoch schnell, dass mit dem<br />
Kopieren die Welt nicht erobert werden<br />
konnte. Matthias wählte sich in der Folge<br />
einen kleineren Kreis von Schaulustigen<br />
aus und unterhielt die Dorfkinder<br />
mit Kasperlitheater. Weil dieses Unternehmen<br />
gut klappte, wurde er eine Spur<br />
frecher, beschaffte sich einen Zauberkasten,<br />
scheiterte aber. Ganz offensichtlich<br />
war seine Fingerfertigkeit zu wenig brillant,<br />
um die Tricks in Vollendung darzubieten.<br />
Leider kam es immer wieder vor,<br />
dass der Zauber-Schwindel schnell und<br />
schon von Weitem sichtbar wurde – ein<br />
Flop.<br />
«NATÜRLICH<br />
WÄRE ICH AM<br />
LIEBSTEN IN<br />
EINEM MAUS-<br />
LOCH VER-<br />
SCHWUNDEN.»
Längst war für Matthias sonnenklar,<br />
dass ihm ein Medium ganz besonders<br />
imponierte, und dieses ihn wie ein Lockvogel<br />
dauernd <strong>auf</strong> Trab hielt: das Radio.<br />
Ermunternd war für ihn, dass er in der<br />
Schule aus dem Stegreif Referate vortragen<br />
konnte. Zudem hatte er realisiert,<br />
dass man als Radiomann schnell eine<br />
grosse Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> sich lenken<br />
kann und der Bekanntheitsgrad explosiv<br />
in die Höhe schnellt.<br />
Es war im Sommer 1983, als am Unterstadtfest<br />
in Schaffhausen das örtliche<br />
Radiogeschäft «Radio Keiser» einen Moderations-Wettbewerb<br />
ausschrieb, bei<br />
welchem Moderatoren für das geplante<br />
Radio Munot, das gegen Jahresende seinen<br />
Betrieb <strong>auf</strong>nehmen würde, gesucht<br />
wurden. Matthias zögerte nicht und meldete<br />
sich an.<br />
«Vor der St. Johann-Kirche war ein grosser<br />
Stand <strong>auf</strong>gestellt, in welchem der alles<br />
entscheidende Final ausgetragen<br />
wurde. Mir wurden als Gesprächspartner<br />
der Skistar Bernhard Russi und die äusserst<br />
beliebte SRF-Fernseh-Ansagerin<br />
Marie-Therese Gwerder, das ‹TV-Schätzchen<br />
der Nation›, zugewiesen. Aufsehen<br />
erregte in allererster Linie, dass ich Marie-Therese<br />
Gwerder keck zu ihren vielen<br />
Heiratsanträgen befragte. Das galt<br />
damals als frech und mutig. Am Ende<br />
gewann ich den Wettbewerb. <strong>Der</strong> erste<br />
Preis: Eine Reise nach Como zum damaligen<br />
Piratensender Radio 24, wo ich völlig<br />
euphorisch vor dem Auto von Roger<br />
Schawinski posierte, sowie ein Volontariat<br />
bei Radio Munot, das ich unmittelbar<br />
nach der Matura einlöste.»<br />
<strong>Der</strong> rasende Journalist<br />
Doch bereits vorher, jedoch ebenfalls<br />
während des Studiums, machte Matthias<br />
in einer anderen Art <strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam:<br />
als rasender Journalist.<br />
Seinen ersten Artikel schrieb Matthias<br />
für die «Schaffhauser AZ». Es war im Dezember<br />
1981, als die Ballonhalle der Kantonsschule<br />
Schaffhausen platzte und beinahe<br />
einige junge Menschen unter sich<br />
begrub. Kantischüler Matthias Ackeret<br />
war vor Ort und schrieb für die Arbeiterzeitung<br />
seinen ersten Zeitungsartikel.<br />
Das im richtigen Moment «Vor-Ort-sein»<br />
lag offenbar in seinen Genen und prägte<br />
sein journalistisches Verständnis.<br />
«Ganz vorne und trotzdem daneben»,<br />
wie es sein Urfreund Manfred Klemann<br />
formulierte. 1989 war Matthias wenige<br />
Tage vor dem Mauerfall in Ostberlin<br />
und wurde an einer «Mauer-muss-weg»-<br />
Demo vom westdeutschen Politstar der<br />
Grünen, Petra Kelly, als «mutiger Ossi»<br />
gefeiert. 1997 weilte er in Hong-Kong,<br />
als die Stadt an die Chinesen übergeben<br />
wurde, 2007 war er wenige Minuten<br />
nach Christoph Blochers Abwahl in<br />
dessen Büro, 2008 bei der Inauguration<br />
von Barack Obama in Washington. Absolut<br />
unglaublich tönt die folgende wahre<br />
Story: Matthias war bei Trumps Wahlfeier,<br />
ohne dafür eingeladen zu sein. Er<br />
spazierte zusammen mit seinen Freunden<br />
Manfred Klemann und Oliver Prange<br />
frischfröhlich ins New Yorker Hotel<br />
«Hilton Midtown», wo sich Trumps Parteifreunde<br />
versammelten und harrte der<br />
Dinge, die kommen würden. Eine, zwei,<br />
fünf Stunden blieb er vor den <strong>auf</strong>gestellten<br />
Fernsehern sitzen. Irgendwann wurde<br />
klar, dass die Überraschung glückte<br />
und Trump zum neuen Präsidenten gewählt<br />
wurde. Das Ausharren lohnte sich,<br />
kurz nach Mitternacht verwandelte sich<br />
das Hotel in ein Tollhaus, in das man von<br />
aussen nicht mehr kam. Die meisten Medienvertreter<br />
aber sassen während dieser<br />
Zeit in Hillary Clintons Wahlquartier,<br />
wenige hundert Meter entfernt, oder in<br />
Washington, wo gar nichts passierte.<br />
17
«DER LEBENSVORHANG GEHT AUF –<br />
DIE SPANNUNG WÄCHST.»<br />
Rein theoretisch haben in der wohlhabenden Schweiz alle Menschen<br />
ähnlich gute Chancen <strong>auf</strong> ein erfolgreiches, harmonisches<br />
Berufs- und Privatleben. Doch das Autorenpaar Christina und<br />
Christian Boss erbringt in seinem jüngsten Werk den Nachweis,<br />
dass sich punkto Talent, Fleiss, Mut und Risiko deutliche Unterschiede<br />
<strong>auf</strong>tun.<br />
Mit viel Tiefgang porträtiert das Autorenpaar 18 Schweizer Persönlichkeiten,<br />
die mit speziellen Charaktereigenschaften den<br />
Weg ins öffentliche Bewusstsein gefunden haben oder in ihren<br />
teils ungewöhnlichen Tätigkeitsfeldern bis an die Weltspitze gekommen<br />
sind. Es sind dies:<br />
Matthias Ackeret<br />
Patti Basler<br />
Giorgio Behr<br />
Bernhard Betschart<br />
Nina Christen<br />
Michael Elsener<br />
Nadine Fähndrich<br />
Jahn Graf<br />
Beat Hedinger<br />
Linda Indergand<br />
François und Nicole Loeb<br />
Daniel Maier<br />
Killian Peier<br />
Marcel Ruf<br />
Lazaro Schaller<br />
Daniel Schöni<br />
Jeremy Seewer<br />
Andrea Zogg<br />
ISBN 978-3-7245-2663-6