Kanzlei- Informations- und Abrechnungssystem - BRAK-Mitteilungen
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<strong>BRAK</strong>-Mitt. 5/2007 Aufsätze 195<br />
Es ist mehrals nurFormalie,sondernKernelementdes materiellen<br />
Entstehens einer Rüge, wie es sich genau in der Phase von<br />
Meinungsfestlegung bis zum Herausgehen des Bescheides zu<br />
verhalten hat.<br />
Um das Ergebnis ausdrücklich <strong>und</strong> äußerst klar vorweg darzutun:<br />
Alle mitwirkenden Mitglieder des Kollegiums müssen<br />
zwingend den gesamten Text dessen, was später als Rügebescheid<br />
herausgeht, mit Ausnahme der Unterschrift, inhaltlich<br />
vollständig <strong>und</strong> genauestens billigen, Wort für Wort, Zeichen<br />
für Zeichen, entweder einstimmig oder gemäß Mehrheitsentscheidung.<br />
Technisch mag dies ohne Originalunterschrift der<br />
Mitwirkenden auf einem Aktenexemplar geschehen können. 6<br />
Der textliche Inhalt muss vollständig <strong>und</strong> in allen Einzelheiten<br />
seiner endgültigen Formulierung Kollegialakt sein. Gr<strong>und</strong>lagen<br />
dafür sind die allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze des Verwaltungsverfahrensrechts,<br />
die zwingende Zuordnung der Rügekompetenz zu<br />
einem Kollegium, wie sich aus dem Umkehrschluss zu §73<br />
Abs. 3BRAO ergibt, imZusammenhang mit der Analyse, was<br />
eigentlich inhaltlich <strong>und</strong> zwingend inder Sache Bestandteil eines<br />
Rügebescheides ist.<br />
3. Bei der Berufsaufsicht handelt essich umein Verwaltungsverfahren,<br />
bei dem die allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrens<br />
zu beachten sind. Verwaltungsverfahrensrecht <strong>und</strong><br />
seine allgemeinen Regeln sind vielfältig. Welche davon anzuwenden<br />
sind, wird bisher nicht näher erörtert. 7<br />
Das Lehrbuch Verwaltungsrecht I, begründet von Wolff/Bachof,<br />
in der 10. Auflage neu bearbeitet von Stober (München 1994)<br />
erwähnt nur noch an einer Stelle den Begriff „Kollegialorgan“ 8 .<br />
Immerhin gibt erste Hinweise das geschriebene Verwaltungsverfahrensrecht:<br />
Nach §44Abs. 3Nr. 3VwVfG ist ein Verwaltungsakt<br />
immerhin nicht bereits deswegen schon nichtig, weil<br />
ein „durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss“<br />
den vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst habe. Ob<br />
die sich aus dem Umkehrschluss des §73Abs. 3BRAO ergebende<br />
Auffassung, die Ausübung des Rügerechts sei zwingend<br />
einemKollegium anvertraut, mit der Deutung vereinbaren lässt,<br />
es sei ein nur „zur Mitwirkung“ berufener Ausschuss, mag hier<br />
letztlich dahingestellt bleiben, würde eher wohl nur den überzeugen,<br />
der eine aus Praktikabilitätsgründen oder sonstiger<br />
Hierarchiezuneigung entsprechende nicht geschriebene monokratische<br />
Erlasskompetenz irgendeines Vertreters der Behörde<br />
als unumstößlich vorgegeben betrachtet, an der sich interpretativ<br />
die Kompetenzzuweisung zu einem Kollegium zu orientieren<br />
habe. Man wird aber jedenfalls nicht fehlgehen, dass selbst<br />
das Fehlen des Beschlusses eines nur zur Mitwirkung berufenen<br />
Ausschusses allemal zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes<br />
führt, mag §45 Abs. 1Nr. 4VwVfG hier sogar eine Heilungsmöglichkeit<br />
sehen. Unabhängig von der Frage der Praktikabilität,<br />
einen solchen Gremienbeschluss erst während des<br />
Verfahrens vor dem Anwaltsgericht nachzuholen; es wäre<br />
schon die Erfolgsaussicht eines solchen Versuchs skeptisch zu<br />
beurteilen.<br />
Zu Zeiten, in denen das zuvor genannte Lehrbuch noch ausführlicher<br />
<strong>und</strong> akribisch, wie bekannt, die feinsten Verästelungen<br />
des Verwaltungsrechts darstellte, gab es auch durchaus<br />
umfangreichere Darlegungen zum „Verwaltungsverfahren“,<br />
den allgemeinen Regeln hierzu, <strong>und</strong> speziell zum Verfahren eines<br />
Kollegiums.<br />
So äußert sich Wolff ausführlich zum förmlichen Verfahren kollegialer<br />
Behörden. 9 Insbesondere führt er aus, umeswörtlich<br />
zu zitieren: „Der Beschluss muss eine klare Entscheidung<br />
6 Peus, AnwBl. 2005, 524, 526 zu II 6, 526/527 zu III, insbesondere III<br />
4; s.a. 527, mit Fußnote 23zuRechtsprechung des AnwG Hamm.<br />
7Auch nicht bei Kopp, <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2007, 102, 104.<br />
8ImSachverzeichnis Seite 871, mit Hinweis auf §18 Rdnr. 4,dort<br />
ohne inhaltliche Aussage zum Verfahren eines Kollegialorgans.<br />
Peus, Rügebescheide als Kollegialhandeln<br />
über den Gegenstand des Verfahrens enthalten, mit Gründen<br />
<strong>und</strong> Rechtsmittelbelehrung versehen sein <strong>und</strong> den Beteiligten<br />
zugestellt werden.“ 10 Augenscheinlich, wie schon grammatikalisch<br />
<strong>und</strong> sprachlich eindeutig innerhalb dieses Satzes, spricht<br />
Wolff von dem „Beschluss“. An anderer Stelle wird unter der<br />
Rubrik „besonders schwerwiegende Fehler“, diezur Nichtigkeit<br />
führen (freilich nur evidenzabhängig), die sachliche Unzuständigkeit<br />
imweiteren Sinne erörtert. Als Beispiel für eine unzuständige<br />
Behörde anstelle der zuständigen Behörde desselben<br />
Rechtsträgers wird die funktionelle Unzuständigkeit erwähnt<br />
<strong>und</strong> definiert: „Vonihr (gemeint: funktionelle Unzuständigkeit)<br />
sprichtman,wenninnerhalbeiner BehördeFunktionen<br />
gleicher Ebene zwischen verschiedenen Organen oder Organteilen<br />
gesetzlich aufgeteilt sind <strong>und</strong> das hiernach unzuständige<br />
Organ anstelle des funktionell Zuständigen handelt, z.B. der<br />
Behördenvorstand anstelle eines Ausschusses …“. 11<br />
Das Risiko, den monokratischen Behördenleiter als „Vertreter“<br />
walten zulassen, ist danach nicht unerheblich. Wolff sagt zum<br />
Beschluss: „Er ist ein Verwaltungsakt (Bescheid), der im eigenen<br />
Namen des Kollegialorgans ergeht.“ Es zeichnet nicht<br />
irgendein „Vertreter“ des Vorstands oder der Abteilung, etwa<br />
gar ein Behördenchef, sondern der Vorsitzende 12 des Kollegiums.<br />
Die Zitate dürften zudeutlichen Ergebnissen führen.<br />
4. Das Rügerecht wird durch ein Kollegium ausgeübt. Anders<br />
ist im Wege des Umkehrschlusses §73 Abs. 3BRAO sinnvoll<br />
nicht zuverstehen. Hilfskonzipienten zu einer Entwurfsverfassung<br />
sind dort nicht vorgesehen.<br />
Es kommt nun darauf an, was imEinzelnen dazu gehört, im<br />
Sinne von §73Abs. 2 Nr. 4 BRAO „das Recht der Rüge zu<br />
handhaben“.<br />
5. Zur Handhabung des Rechts der Rüge gehört:<br />
Im Ausspruch wird ein „das Verhalten eines Rechtsanwalts“<br />
gerügt, § 74 Abs. 1 Satz 1 BRAO. Das Verhalten muss also<br />
identifiziert <strong>und</strong> präzisiert werden. Das muss sehr genau geschehen.<br />
Denn die „Pflichtverletzung“ darf nicht länger als 3<br />
Jahre zurückliegen, §74Abs. 2Satz 1,Variante 2BRAO. Im<br />
Verhältnis zum Gegenstand einer Anschuldigung bei Einleitung<br />
eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens muss auch feststellbar<br />
sein, ob es sich bei dem Verhalten um „dasselbe“ handelt,<br />
§115 a) Abs. 1Satz 1BRAO. Und ebenso mit gleicher Präzision<br />
muss bei der umgekehrten Reihenfolge, nämlich nach anwaltsgerichtlicher<br />
Aufhebung eines Rügebescheides, evtl. nach<br />
§115 a) Abs. 1Satz 2 BRAO festgestellt werden, ob danach<br />
noch ein anwaltsgerichtliches Verfahren „wegen desselben<br />
Verhaltens“ eingeleitet werden kann. Das Merkmal „wegen<br />
desselben Verhaltens“ spielt imÜbrigen noch mehrfach eine<br />
Rolle.<br />
In Rügebescheiden werden häufig mehrere Verhaltensweisen,<br />
„Pflichtverletzungen“ zur Gr<strong>und</strong>lage des Ausspruchs der Rüge<br />
gemacht. Sollte das Anwaltsgericht hiervon nicht alle, wohl<br />
aber einige Verhaltensweisen als Pflichtverletzungen ansehen<br />
<strong>und</strong> die Aufrechterhaltung der Rüge immer noch als gerechtfertigt,<br />
so wird sich gleichwohl möglicherweise die Frage stellen,<br />
ob in Zukunft die neue Vorbemerkung 2zum Gebührenverzeichnis,<br />
Anlage zu §195 Satz 1BRAO, dazu führt, dass nach<br />
der Proportion der nicht oder doch aufrechterhaltenen Vorwürfe<br />
zum Verhalten evtl. kostenmäßige Konsequenzen zu ziehen<br />
sind. Denn wenn nicht einfach eine „Rüge erteilt“ wird, son-<br />
9 Wolff ,Verwaltungsrecht III, 3. Aufl., München 1973, §157 Abs. 2,<br />
Seite 297 bis 302.<br />
10 Ebda., Seite 300.<br />
11 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., München 1974, §51<br />
Abs. 3c)5,Seite 431.<br />
12 Wolff ,Verwaltungsrecht III, 3. Aufl., §157 Abs. 2c)4,Seite 300.