50 Jahre LK Festschrift-Druck-2te Auflage
Die Festschrift zur 50-Jahre-Landkreis-Rhön-Grabfeld-Feier
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<strong>50</strong><br />
LANDKREIS<br />
RHÖN-GRABFELD<br />
DIE FESTSCHRIFT<br />
JAHRE<br />
1
<strong>50</strong> JAHRE<br />
RHÖN-GRABFELD<br />
Der Landkreis mit Weitblick.
4
5
IMPRESSUM<br />
Herausgeber<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
Spörleinstraße 11<br />
97616 Bad Neustadt a.d.Saale<br />
Verleger<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
Spörleinstraße 11<br />
97616 Bad Neustadt a.d.Saale<br />
Redaktion & Layout<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
2. <strong>Auflage</strong>, Mai 2023<br />
<strong>Druck</strong><br />
<strong>Druck</strong>erei Mack GmbH & Co. KG<br />
Mellrichstadt<br />
<strong>Auflage</strong><br />
7<strong>50</strong> Stück<br />
Fotohinweise<br />
Seiten 11, 17, 23, 73, 92-93, 108-109,<br />
125, 141, 175: ©stock.adobe.com<br />
Genderhinweis: Aus Gründen der<br />
besseren Lesbarkeit wird auf eine<br />
geschlechtsneutrale Differenzierung<br />
in den Artikeln verzichtet. Entsprechende<br />
Begriffe gelten im Sinne der<br />
Gleichbehandlung grundsätzlich<br />
für alle Geschlechter. Die verkürzte<br />
Sprachform beinhaltet keine Wertung.
INHALTSVERZEICHNIS<br />
7<br />
Grußwort Thomas Habermann, Landrat Rhön-Grabfeld ....................................8<br />
Grußwort Dr. Markus Söder, Bayer. Ministerpräsident ................................... 14<br />
Grußwort Prof. Dr. Dr. Reinhard Heydenreuter ............................................... 16<br />
Grußwort Johann Böhm, Landtagspräsident a.D. .......................................... 20<br />
Landräte und Kreistagsmitglieder ab 1972 ..................................................... 26<br />
Der 1972 gebildete neue Landkreis heißt Rhön-Grabfeld<br />
und bekommt seinen Sitz in Bad Neustadt ..................................................... 46<br />
Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld von 1973 bis 2023 ...................................... 76<br />
Die Entwicklung der Liegenschaften des Landkreises<br />
im Bau- und Umweltbereich ............................................................................. 96<br />
Der Wandel in der stationären Gesundheitsversorgung<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld ........................................................................... 112<br />
Der Landkreis als Region ................................................................................ 126<br />
Starke Kultur. Neue Wege in der Kulturarbeit ............................................... 144<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> Wiedervereinigung....................................................................158<br />
Mensch, Natur, Einklang das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön .............. 172<br />
Blick in die Zukunft - eine Frage an ChatGPT! .............................................. 178
GRUSSWORT<br />
THOMAS HABERMANN<br />
LANDRAT RHÖN-GRABFELD<br />
8 DIE REFORM VON 1972<br />
HAT DIE WIRTSCHAFT<br />
LICHKEIT UND EFFIZIENZ<br />
DER VERWALTUNG<br />
DEUTLICH GESTEIGERT.<br />
Die Gebietsreform vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n wurde<br />
im letzten Jahr in den meisten<br />
Landkreisen in Bayern bereits gebührend<br />
gefeiert. Wir im Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld begehen das besondere Jubiläum<br />
im Jahr 2023, schließlich war<br />
die Namensgebung erst am 1. Mai<br />
1973 offiziell abgeschlossen.<br />
„Die große Kreisgebietsreform vor <strong>50</strong><br />
<strong>Jahre</strong>n hat sich bis heute bestens bewährt“:<br />
Bayerns Innen- und Kommunalminister<br />
Joachim Herrmann hat es<br />
bei der zentralen Jubiläumsveranstaltung<br />
für die Gebietsreform in Erlangen<br />
herausgestellt. „Bayern hat sich<br />
damals für eine Reform mit Augenmaß<br />
entschieden, für einen<br />
‚bürgerfreundlichen Weg‘ mit<br />
überschaubaren, aber dennoch<br />
leistungsfähigen Verwaltungseinheiten,<br />
nach der Devise:<br />
so leistungsstark wie möglich<br />
und so groß wie nötig. Heute ist
Bayern mit seinen 71 Landkreisen und<br />
25 kreisfreien Städten ein bestens<br />
etabliertes, solides und gleichzeitig<br />
modernes wie leistungsfähiges Land.“<br />
Der damalige Ministerpräsident Dr.<br />
Alfons Goppel und der damalige Innenminister<br />
Dr. Bruno Merk haben<br />
mit Weitblick und Standhaftigkeit die<br />
Reform auf den Weg gebracht und begleitet.<br />
Der Erfolg spricht für sich. Die<br />
Reform von 1972 hat die Wirtschaftlichkeit<br />
und Effizienz der Verwaltung<br />
deutlich gesteigert.<br />
Gemeinsam wurden auch im Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld eine leistungsfähige<br />
und bürgerfreundliche Verwaltung<br />
und verschiedene Eigenbetriebe<br />
aufgebaut, die mit den immer komplexer<br />
werdenden Anforderungen<br />
Schritt halten. Infrastruktur und Wirtschaftsstandort<br />
wurden sukzessive<br />
ausgebaut. Und das inmitten einer<br />
einmaligen Kulturlandschaft mit hoher<br />
Lebensqualität und bezahlbarem<br />
Wohnraum. Unsere Schulen bieten ein<br />
hervorragendes Lernumfeld. Themen<br />
wie Natur- und Klimaschutz, Digitalisierung,<br />
Regionalentwicklung und<br />
Soziales sind weitere wichtige Aufgabengebiete,<br />
die sich in den letzten <strong>50</strong><br />
<strong>Jahre</strong>n stetig weiterentwickelt haben.<br />
Die drei Altkreise Bad Neustadt, Mellrichstadt<br />
und Bad Königshofen sind<br />
in den vergangenen fünf Jahrzehnten<br />
hervorragend zusammengewachsen.<br />
Heute ist bis auf die Kfz-Kennzeichen<br />
KÖN, MET und NES nichts mehr von<br />
den Gebietsgrenzen zu spüren. Als<br />
Landrat erlebe ich ein positiv geprägtes<br />
Zugehörigkeitsgefühl im Landkreis.<br />
Wir leben in einem Flächenlandkreis,<br />
der die drei Länder Bayern,<br />
Hessen und Thüringen verbindet. Die<br />
Bürgerinnen und Bürger in der Rhön<br />
und im Grabfeld sind sich ihrer Identität<br />
bewusst und sind mit ihren Le-<br />
9
10<br />
bensgewohnheiten fest verwurzelt<br />
in der Heimat. Ich bin gerne unterwegs<br />
bei den Menschen im Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld.<br />
In guter interkommunaler Abstimmung,<br />
auch mit den Städten und<br />
Gemeinden und mit den Nachbarlandkreisen,<br />
werden Projekte angestoßen,<br />
die unsere Region positiv<br />
entwickeln. Die Menschen denken<br />
ohnehin nicht in Grenzen. Für sie<br />
ist es wichtig, in ihren unterschiedlichen<br />
Lebenssituationen individuelle<br />
Unterstützung in allen Bereichen<br />
der Daseinsvorsorge zu finden, die<br />
den Behördengang erleichtert. Dies<br />
gelingt im Verbund der Städte und<br />
Gemeinden mit dem Landkreis bestens.<br />
Wir sind eine größere Solidargemeinschaft<br />
und daher war die Bildung<br />
des neuen Landkreises genau<br />
richtig.<br />
In kommunaler Zusammenarbeit<br />
bieten sich immer wieder Möglichkeiten<br />
zur gemeinsamen, effizienteren<br />
und kostensparenden Aufgabenerfüllung.<br />
So wurden Kräfte<br />
und Mittel gebündelt und das Leistungsangebot<br />
für die Bürgerinnen<br />
und Bürger und die Wirtschaft verbessert.<br />
Darüber hinaus haben Synergieeffekte<br />
die Haushaltslage der<br />
beteiligten Kommunen entlastet.<br />
Ein positives Beispiel kommunaler<br />
Zusammenarbeit ist die Gründung<br />
des Kommunalunternehmens des<br />
Landkreises Rhön-Grabfeld, das<br />
sich als Dienstleister für die Bürgerinnen<br />
und Bürger rund um die<br />
Abfallbeseitigung versteht. Aus<br />
heutiger Sicht waren deshalb die<br />
Umstrukturierungen in der Gesundheitsversorgung<br />
in den letzten 20<br />
<strong>Jahre</strong>n notwendig und sinnvoll. Nur<br />
so war es möglich, eine Kreisklinik<br />
funktional in den Campus der Rhön-<br />
Klinikum AG zu integrieren und die<br />
stationäre Gesundheitsversorgung<br />
auf sehr hohem Niveau im Landkreis<br />
zu sichern.<br />
Die Stärkung des ländlichen Raums<br />
bleibt ein wichtiges politisches Ziel.<br />
Mit den positiven Erfahrungen innerhalb<br />
der kommunalen Familie<br />
braucht es auch in Zukunft eine<br />
enge und zielführende Zusammenarbeit.<br />
Gerade die Digitalisierung<br />
der Verwaltungsleistungen muss<br />
auch in den Kommunen konsequent
umgesetzt werden. Die Gründung<br />
der Interkomm-IT Rhön-Grabfeld<br />
GmbH ist ebenfalls eine gemeinsame<br />
Lösung für das höchste Maß<br />
an Effizienz und Mitbestimmungsrecht<br />
für alle beteiligten Verwaltungen<br />
beim Thema Datensicherheit<br />
und technische Betreuung.<br />
Die Gründung der Kulturagentur<br />
sowie die Etablierung des Kulturzentrums<br />
Kloster Wechterswinkel<br />
waren wichtige Meilensteine für<br />
den Landkreis, um eine hochwertige<br />
Kunst- und Kulturlandschaft zu<br />
sichern.<br />
Als Teil des UNESCO-Biosphärenreservats<br />
Rhön sind wir eine weltweite<br />
Modellregion, deren Ziel es ist,<br />
eine Region zu bewohnen, ohne sie<br />
zu verbrauchen. Es wundert daher<br />
nicht, dass unser Naturschutzgebiet<br />
Lange Rhön das größte bayerische<br />
Naturschutzgebiet jenseits der Alpen<br />
ist und der Anteil an ökologisch<br />
bewirtschafteten Flächen weit über<br />
dem Bundesdurchschnitt liegt.<br />
Die Feierlichkeiten zum Jubiläum<br />
„<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> Landkreis Rhön-Grabfeld“<br />
sollen das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
in unserer Heimat<br />
weiter stärken. Veranstaltungsorte<br />
werden mit Bezug auf die Altlandkreise<br />
die Städte Bad Neustadt/<br />
Saale, Mellrichstadt und Bad Königshofen<br />
sein. Alle Bürgerinnen<br />
und Bürger sind herzlich zum Festabend<br />
am Donnerstag, 4. Mai, in<br />
die Stadthalle Bad Neustadt/Saale<br />
eingeladen. Wir freuen uns auf den<br />
Besuch unseres Ministerpräsidenten<br />
Dr. Markus Söder. Mit Prof. Dr.<br />
Reinhard Heydenreuther haben wir<br />
einen weiteren Ehrengast gewonnen,<br />
der die Geschichte der bayerischen<br />
Landkreise einmal mehr hintergründig<br />
darlegen wird. Eberhard<br />
Schellenberger wird durch das Programm<br />
führen und unser Landtagspräsident<br />
a.D. Johann Böhm wird<br />
als Zeitzeuge zu Wort kommen.<br />
Die Menschen im Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld stehen in ihren Gemeinden<br />
für Tradition und Moderne, sie<br />
engagieren sich ehrenamtlich und<br />
prägen die örtliche Gemeinschaft.<br />
Viele sind wichtige Stützen in Familie,<br />
Beruf und Ehrenamt. Gerade<br />
die Corona-Pandemie, aber auch<br />
11
12<br />
andere Herausforderungen haben<br />
gezeigt, wie wir weltoffen im Miteinander<br />
zusammenstehen und<br />
mühelos helfen und zupacken. Im<br />
Rahmen unseres zweijährigen Ehrenamtsempfangs<br />
wollen wir im<br />
Herbst 2023 das vielfältige ehrenamtliche<br />
Engagement im Landkreis<br />
erneut entsprechend würdigen.<br />
Der Landkreis benötigt weiter eine<br />
engagierte Bürgerschaft, die Kultur,<br />
Sport, Kirchen, Umwelt, Politik und<br />
viele weitere Bereiche trägt und<br />
prägt. Gemeinschaftliches Zusammenarbeiten<br />
in Beruf und Freizeit,<br />
mehr Miteinander und Verständnis<br />
sind zukünftig wichtiger denn je. Solidarität<br />
im Kleinen und Großen verdienen<br />
Anerkennung und Respekt.<br />
Daher gilt es, das Ehrenamt weiter<br />
zu fördern und zu unterstützen.<br />
Eine gesunde Gesellschaft braucht<br />
Menschen, die sich für wichtige<br />
Themen und Aufgaben begeistern<br />
und mitgestalten. Schließlich müssen<br />
wir als Gesellschaft immer wieder<br />
gemeinsam unsere Krisen und<br />
Aufgaben meistern. Waren es zu<br />
Zeiten meiner Vorgänger Dr. Karl<br />
Grünewald und Dr. Fritz Steigerwald<br />
die Ölkrise, die Wiedervereinigung<br />
oder die Arbeitsmarktkrise in den<br />
1990ern, so stellen uns aktuell die<br />
Klimakrise, der Ukraine-Krieg sowie<br />
die Folgen der Corona-Pandemie<br />
vor bedeutende Aufgaben.<br />
Wir wollen mit Mut und Zuversicht<br />
gemeinsam den erfolgreichen Weg<br />
fortsetzen. Unser Ziel ist es, wirtschaftsstark,<br />
liebenswert, offen,<br />
nachhaltig und gut vernetzt zu<br />
sein und dabei weiterhin nah an<br />
den Menschen zu bleiben. Für die<br />
Zukunft wünsche ich allen Bürgerinnen<br />
und Bürgern alles Gute und<br />
einen gemeinsamen Blick nach vorne.<br />
Wir haben eine lebens- und liebenswerte<br />
Heimat und das soll so<br />
bleiben. Gott schütze uns!<br />
In herzlicher und dankbarer Verbundenheit<br />
Ihr<br />
Thomas Habermann<br />
Landrat
13
GRUSSWORT<br />
DR. MARKUS SÖDER<br />
DER BAYERISCHE MINISTERPRÄSIDENT<br />
14<br />
Einen herzlichen Gruß an die Bürgerinnen<br />
und Bürger! Heuer feiern sie<br />
ein schönes Jubiläum. Fünfzig <strong>Jahre</strong><br />
Landkreis Rhön-Grabfeld sind<br />
fünfzig <strong>Jahre</strong> einer guten Entwicklung<br />
ihrer Heimat.<br />
WIR FRANKEN<br />
HALTEN ZUSAMMEN!<br />
Die Gebietsreform von 1972 hat<br />
den Freistaat modernisiert. Auch<br />
an der Fränkischen Saale wurde die<br />
Zugehörigkeit mancher Kommune<br />
neu gegliedert. Die Verwaltung<br />
wurde gestrafft, die gemeindliche<br />
Verantwortung wurde gestärkt.<br />
Das hat die Gleichwertigkeit der<br />
Lebensverhältnisse in Stadt und<br />
Land spürbar verbessert. Diese<br />
Reform findet ihre Fortsetzung in<br />
der Bayerischen Heimatstrategie.<br />
Als Instrument aktiver Strukturpolitik<br />
bringt sie die Lebensqualität<br />
weiter voran. Fundament der<br />
Reform ist die Liebe zur Heimat.<br />
Gerade auch im Landkreis Rhön-
Grabfeld fühlen sich die Menschen<br />
ihrer Herkunft verbunden. Zugleich<br />
sind sie zukunftsorientiert. Das<br />
zeigt sich etwa am Breitbandausbau.<br />
Ihre Kraft aber schöpfen sie<br />
aus der Geborgenheit, die sie in der<br />
Heimat finden – gerade in Zeiten<br />
vielfältiger, oft globaler Herausforderungen.<br />
15<br />
Dank und Anerkennung gelten den<br />
Persönlichkeiten, die den Land<br />
kreis Rhön-Grabfeld zu einem Erfolgsmodell<br />
gemacht haben. Die<br />
besten Wünsche seinen Menschen!<br />
Wir Franken halten zusammen!<br />
Dr. Markus Söder<br />
Der Bayerische Ministerpräsident
GRUSSWORT<br />
PROF. DR. DR.<br />
REINHARD HEYDENREUTER<br />
16<br />
ICH WERDE MICH<br />
BEMÜHEN, AUCH DIE<br />
HISTORISCHE SEELE<br />
DES LANDKREISES<br />
RHÖN-GRABFELD ZU<br />
ERKUNDEN.<br />
Als 1802 bayerische Soldaten und<br />
bayerische Beamte im Vorgriff<br />
auf den Reichsdeputationshauptschluss<br />
in das Gebiet des Fürstbistums<br />
Würzburg einrückten und dabei<br />
auch die Würzburger Amtstädte<br />
Bischofsheim, Königshofen, Mellrichstadt<br />
und Neustadt an der Saale,<br />
die historischen Kerngebiete des<br />
heutigen Landkreises Rhön-Grabfeld,<br />
besetzten, versuchten sie, dem<br />
Gebiet seine Seele und seine Vergangenheit<br />
zu nehmen. Niemand<br />
sollte sich mehr daran erinnern,<br />
dass man unter dem Krummstab<br />
des Würzburger Fürstbischofs gut<br />
und liberal leben konnte. Alles hatte<br />
sich den weiß-blauen, von Freimaurern<br />
wie Zentner und Montgelas<br />
diktierten bayerischen Regierungsmaßnahmen<br />
unterzuordnen. Nach<br />
französischem Vorbild wurden<br />
1804 wie überall im Kurfürstentum<br />
Bayern und seinen neu erworbenen
Gebieten Landgerichte zurechtgeschneidert,<br />
darunter eben auch Bischofsheim,<br />
Königshofen, Mellrichstadt<br />
und Neustadt. Alles sollte nun<br />
kurfürstlich bayerisch werden, vor<br />
allem auch, um die gigantischen<br />
Schulden des vor dem Bankrott stehenden<br />
Kurfürstentums zu decken.<br />
Deshalb löste man auch die Klöster<br />
auf, in Altbayern und in den neu erworbenen<br />
Gebieten, darunter auch<br />
das Zisterzienserstift Maria Bildhausen<br />
mit seinen reichen Besitzungen<br />
im heutigen Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld. Der Kurfürst von Bayern<br />
übernahm den Titel eines Herzogs<br />
von Franken, den die Fürstbischöfe<br />
seit dem hohen Mittelalter geführt<br />
hatten, und das fränkische Herzogsschwert<br />
wurde nach München<br />
in die Schatzkammer gebracht, wo<br />
es heute noch unberechtigterweise<br />
liegt. Selbst aus den Wappen der<br />
Würzburger Städte und Märkte entfernte<br />
man das Weiß und Rot der<br />
Würzburger Farben und ersetzte<br />
es durch Weiß und Blau. Erst sehr<br />
viel später hat Franken wenigstens<br />
bruchstückhaft seine Identität wiedererlangt,<br />
als König Ludwig I. 1835<br />
in das neue Königswappen auch<br />
den Würzburger Rechen, das Wappen<br />
des Fürstbistums, als Symbol<br />
für Franken einfügen ließ. Als fränkischer<br />
Rechen ist er im Wappen<br />
des Freistaats Bayern bis heute das<br />
Symbol für Franken geblieben.<br />
Als in Oberbayern geborener Landeshistoriker,<br />
Jurist und ehemals<br />
in München residierender bayerischer<br />
Beamter fühle ich mich in<br />
der Nachfolge der reformwütigen<br />
und geschichtsblinden Beamten<br />
Zentner und Montgelas mitschuldig<br />
am Raub der unterfränkischen<br />
Seele. Es war der sich so überlegen<br />
fühlende unselige Geist der Gleich-<br />
17
18<br />
macherei und des aufklärerischen<br />
Fortschrittsglaubens, der hochmütig<br />
über die Menschen hinweg alte<br />
Strukturen zerstörte und bis heute<br />
zerstört. Die Argumente der Gleichmacher<br />
sind uns bis heute geläufig:<br />
„Effizienz“, „Verbesserung der Lebensverhältnisse“,<br />
„Vereinfachung<br />
der Strukturen“.<br />
Schaut man hinter die Kulissen, so<br />
findet man vielfach nur Profit- und<br />
Karrieredenken, Neid und Besserwisserei,<br />
gepaart mit einem völligen<br />
Mangel an geschichtlichen<br />
Zusammenhängen und seelischen<br />
und menschlichen Befindlichkeiten.<br />
Und darüber hinaus: Wer meint,<br />
Effizienz und straffe hierarchische<br />
Strukturen seien der Dreh- und Angelpunkt<br />
aller organisatorischen<br />
Weisheit, ist meist ein Feind der Demokratie.<br />
Ich bin als Landeshistoriker quasi<br />
beruflich verpflichtet, die Seele Bayerns,<br />
die Seele seiner Landschaften<br />
und seiner Bewohner zu suchen<br />
und zu erklären. Und ich werde<br />
mich bemühen, auch die historische<br />
Seele des Landkreises Rhön-<br />
Grabfeld zu erkunden, um etwas<br />
gutzumachen, was die bayerischen<br />
Beamten seit 1802 in Franken angerichtet<br />
haben. Um die Seele eines<br />
Landes und einer Landschaft zu erfassen,<br />
muss man sich vor allem<br />
in die Geschichte vertiefen, auch<br />
in die Geschichte von Landkreisen,<br />
von Städten und Gemeinden. Indem<br />
wir uns klarmachen, woher wir<br />
kommen und warum wir so sind,<br />
finden wir auch heraus, was es mit<br />
einem zunächst so abstrakten Gebilde<br />
wie einem Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld auf sich hat. Auch er hat<br />
eine Seele, eine Seele, die geprägt<br />
ist von seiner großartigen Integrationskraft<br />
an den Grenzen vieler<br />
Herrschaftsgebiete. Dieser Landkreis<br />
hat nicht nur fürstbischöfliche<br />
Landesherrn aus Würzburg oder<br />
Fulda oder protestantische herzogliche<br />
Landesherrn aus Thüringen<br />
in seinen historischen Genen,<br />
sondern auch adelige Reichsritter,<br />
bedeutende Klöster, stolze Bürger,<br />
Ganerbschaften mehrerer Herren,<br />
jüdische Gemeinden; kurzum: ein<br />
politisches und menschliches Miteinander<br />
und Nebeneinander und<br />
eine Integrationskraft, wie es ganz
selten in Bayern, ja in Deutschland<br />
zu finden ist. Deshalb freue ich<br />
mich, dass dieser bemerkenswerte<br />
Landkreis den Versuch unternimmt,<br />
auch seine neueste Geschichte aufzuarbeiten.<br />
Ich werde am 4. Mai 2023, wenn<br />
der Landkreis sein Jubiläum feiert,<br />
der Frage nachgehen, wie es zur Bildung<br />
unserer heutigen Landkreise<br />
gekommen ist. Welche äußeren Ereignisse,<br />
welche Ideen und welche<br />
Personen steckten hinter all den<br />
„Gebietsreformen“ des 19. und 20.<br />
Jahrhunderts und wie können wir<br />
uns in die „Seele“ eines jeden Landkreises<br />
versetzen, insbesondere<br />
auch in die Seele dieses besonderen<br />
Landkreises Rhön-Grabfeld?<br />
Ich wünsche dem Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld und dieser Veröffentlichung<br />
viel Erfolg auf dem nicht<br />
immer einfachen Weg in die Vergangenheit.<br />
Prof. Dr. Dr. Reinhard Heydenreuter<br />
19
GRUSSWORT<br />
JOHANN BÖHM<br />
LANDTAGSPRÄSIDENT A.D.<br />
20 MANCHEM ANFANG<br />
WOHNT EIN<br />
SCHAUER INNE.<br />
Im Zuge der Wiedervereinigung<br />
Deutschlands hieß es: Es kommt<br />
zusammen, was zusammen gehört.<br />
Im Zuge der Kreisreform in<br />
Bayern – also schon 18 <strong>Jahre</strong> vorher<br />
– hätte man in unserem Raum<br />
dieselbe Feststellung treffen können.<br />
Da kam nämlich zusammen,<br />
was zusammen gehörte: die Altlandkreise<br />
Bad Neustadt, Königshofen<br />
und Mellrichstadt; hinzu kamen<br />
noch die Gemeinden Burglauer und<br />
Strahlungen. Im Jahr 1972 wurde<br />
also ein „vereinigter Großkreis“ geboren,<br />
der ein Jahr später auf den<br />
Namen „Rhön-Grabfeld“ getauft<br />
wurde. Die drei Altlandkreise hatten<br />
ortsbezogene Namen. Der „Neue“<br />
gab sich einen Namen mit Landschaftsbezug.<br />
Das passte. Er präsentierte<br />
sich nicht unter dem Namen<br />
des Kreissitzes, sondern als<br />
lebendiger Landschaftsraum. Er ist<br />
eingebettet zwischen der Rhön im
Westen und den Haßbergeausläufern<br />
bzw. den Gleichbergen im Osten.<br />
Wer von den Kreuzberghängen<br />
den Blick in Richtung Sonnenaufgang<br />
wirft, sieht eine harmonisch<br />
wellige Tal-Landschaft mit den<br />
Rhön-Gegenpolen der Gleichberge<br />
vor sich liegen. Vom Westen –<br />
wo die Nord-Süd-Ausdehnung des<br />
Kreisgebietes erheblich größer als<br />
im Osten ist – fließen Streu, Els und<br />
Brend in die Kreismitte. Vom Osten<br />
her kommt die Saale, die – durch<br />
die „thüringische“ Milz verstärkt<br />
– die drei Flüsschen des Westens<br />
aufnimmt. Durch diese Zuflüsse<br />
bereichert, verändert sie ihren Kurs<br />
nach Süden und strömt dem Main<br />
zu. Die Grenzen des Landkreises zu<br />
Thüringen im Norden und zu Hessen<br />
im Westen sind zusammen fast<br />
länger als die ins übrige Bayern.<br />
Aber die Topographie Rhön-Grabfelds<br />
öffnet sich in Richtung des<br />
„Mutterlandes“ Bayern. Menschen<br />
werden seit eh und je von der Landschaft<br />
geprägt, in der sie leben. So<br />
erhielten auch die Rhön-Grabfelder<br />
trotz der Vielgestaltigkeit der Kleinräume<br />
des Kreisgebiets eine eigenständige<br />
Prägung.<br />
Ich war in den <strong>Jahre</strong>n 1969 bis<br />
1973 juristischer Staatsbeamter<br />
am Landratsamt in Bad Neustadt,<br />
das dann zum Landratsamt Rhön-<br />
Grabfeld wurde. In einer nicht gerade<br />
unmaßgeblichen Stelle habe<br />
ich also das Entstehen des neuen<br />
Landkreises miterlebt. Es gab zwar<br />
Reibereien in der Öffentlichkeit und<br />
Winkelzüge im Hintergrund; aber<br />
sie führten nicht zu Auswüchsen.<br />
„Vereinigt“ waren ab 1972 die drei<br />
Landkreise; aber „vereint“ waren<br />
sie noch nicht. Die Zeichen zeigten<br />
eher auf Sturm als auf ruhige<br />
Wetterlage. Der Altlandkreis Bad<br />
Neustadt stellte fast die Hälfte der<br />
Einwohner des Kreises. Er war auch<br />
wirtschaftlich der stärkere Teil (Bad<br />
Neustadt war seinerzeit viertgrößter<br />
Industriestandort Unterfrankens).<br />
Weniger die Bevölkerung<br />
als die politischen Repräsentanten<br />
aus Königshofen und Mellrichstadt<br />
fühlten sich in „dieses dominante<br />
Bad Neustadt“ einverleibt und befürchteten<br />
dessen Vormachtstellung.<br />
Bei der Kreistagswahl 1972<br />
breitete sich daher in KÖN und MET<br />
Furcht aus, als Minderheit an die<br />
Wand gedrückt zu werden. Nicht<br />
21
22<br />
der Zusammenhalt im Großkreis,<br />
sondern der enge Schulterschluss<br />
in ihren Kreisteilen wurde zur Parole.<br />
Die Folge dessen war: Der Landratskandidat<br />
aus NES fiel gegen<br />
den – kurz vor der Pensionierung<br />
stehenden – Kandidaten aus KÖN<br />
durch; von den <strong>50</strong> Kreistagsmandaten<br />
gingen 20 nach KÖN, 19 nach<br />
MET und nur 11 nach NES. War das<br />
ein schlechter Start für den Großkreis?<br />
Dieser „Sieg“ für die kleineren<br />
Geschwister KÖN und MET war für<br />
die „Neustädter“ – die nicht lokal,<br />
sondern regional gewählt hatten –<br />
deprimierend, für die Königshöfer<br />
und die Mellrichstädter genugtuend.<br />
Im Raum KÖN und MET förderte<br />
er das Selbstbewusstsein und<br />
ließ den gekränkten Stolz vergessen.<br />
Das Gefühl, nicht mehr Herr<br />
im eigenen Haus zu sein, schwand.<br />
Das Bewusstsein, auf Augenhöhe<br />
mitwirken zu können, ließ die alten<br />
Vorbehalte schwinden. Was also<br />
zunächst als Rückschritt ins alte<br />
Kreisdenken erschien, erwies sich<br />
aus späterer Sicht betrachtet als<br />
Heilungsprozess, der alte Wunden<br />
vernarben ließ.<br />
Als der Pulverdampf des Wahlkampfes<br />
verzogen war, sah man die<br />
wahren Verhältnisse klarer. Manche<br />
klebten noch an alten Vorstellungen<br />
oder auch „Pfründen“. Aber der<br />
Großteil der Kreisbürger blickte in<br />
die Zukunft. Die Jugend marschierte<br />
an der Spitze der Reformkräfte.<br />
Die drei alten Kreisjugendringe<br />
hatten keinerlei Probleme mit dem<br />
Zusammenschluss. Sie konstituierten<br />
sich sofort zu einer Einheit. Als<br />
gewählter Vorsitzender des neuen<br />
Kreisjugendrings Rhön-Grabfeld tat<br />
ich das Meinige, alle Wege in Richtung<br />
Gemeinsamkeit zu öffnen.<br />
Die älteren Jahrgänge waren etwas<br />
zögerlicher. Aber Proteste löste die<br />
Kreisreform in keiner Weise aus. Für<br />
nahezu die Hälfte der Kreisbürger,<br />
nämlich die Bewohner des Altlandkreises<br />
NES, änderte sich organisatorisch<br />
ohnehin nichts; sie mussten<br />
sich nicht an ein neues Landratsamt<br />
gewöhnen (den Strahlungern<br />
ist das Landratsamt viel näher gerückt).<br />
Aus den anderen Landkreisteilen<br />
pendelten viele als Arbeitnehmer<br />
täglich in die Kreisstadt ein;<br />
der Weg nach Bad Neustadt war<br />
ihnen keineswegs fremd. So fügte
sich die überwiegende Mehrheit der<br />
Kreisbürger in die Reform.<br />
Diese hatte übrigens auch eine<br />
Stimmkreisänderung zur Folge, die<br />
die Einheit des neuen Kreises festigte.<br />
Hatten bisher die Altlandkreise<br />
KÖN und MET zu einem Stimmkreis<br />
entlang der Zonengrenze, der<br />
Altlandkreis NES zum Stimmkreis<br />
Bad Kissingen gehört, so bildete<br />
von nun an der Großkreis einen<br />
eigenen Stimmkreis. Landkreis und<br />
Stimmkreis (der Stimmkreis als Organisationseinheit<br />
für Landtags-,<br />
Bezirkstags- und Bundestagswahlen)<br />
wurden deckungsgleich. Dieser<br />
Umstand stabilisierte den Großkreis<br />
zusätzlich und ließ eine gefestigte<br />
Rhön-Grabfeld-Identität entstehen.<br />
Leider wurde die Deckungsgleichheit<br />
durch eine erneute Stimmkreisreform<br />
2003 wieder aufgelöst.<br />
1974 wählten mich die Kreisbürger<br />
in den Bayerischen Landtag.<br />
Damit wurde ich zum Vertreter des<br />
Landkreises im Parlament. Das<br />
trug mir besondere Verantwortung<br />
gegenüber „Land und Leuten“ von<br />
Rhön-Grabfeld auf. Dessen Gebiet<br />
war das „Nordkap Bayerns“; hier<br />
erreichte das Land seine weiteste<br />
Ausdehnung nach Norden. Es stieß<br />
an die 110 km lange Barriere der<br />
Zonengrenze, die den Kreis zum<br />
„Zonenrandgebiet“ machte. Da war<br />
es notwendig, den Blick Münchens<br />
auf unser Gebiet zu richten und dort<br />
nicht nur Verständnis zu wecken,<br />
sondern auch finanzielle Quellen zu<br />
erschließen. Diese Hilfe zur Selbsthilfe<br />
hat der Landkreis genutzt. Er<br />
rüstete schulisch auf; Kindern und<br />
Jugendlichen sollten Bildungs- und<br />
Entwicklungschancen gegeben<br />
werden. Aus dem Niedergang des<br />
Bäderwesens erwuchsen – nicht<br />
von allein, sondern durch Initiative<br />
tatkräftiger Persönlichkeiten – neue<br />
Chancen. Sie wendeten die Not, taten<br />
also das „Notwendige“, indem<br />
sie die darbenden Sanatorien in<br />
zukunftsträchtige Krankenhäuser<br />
umwandelten. Herr Münch von der<br />
Guttenbergischen Verwaltung war<br />
Ideengeber. Als Vorsitzender des<br />
Gesundheitsausschusses im Landtag<br />
konnte ich ihm zur Seite stehen.<br />
Hieß es in München am Anfang<br />
noch „Eine Herzklinik auf der grünen<br />
Wiese – das ist illusorisch“, so<br />
gab es später Zustimmung. Und als<br />
23
24<br />
es um die Frage ging, wo die für Unterfranken<br />
vorgesehene Einrichtung<br />
für Schlaganfallpatienten errichtet<br />
werden sollte, blieb der Landkreis<br />
erfolgreich. Warum weise ich darauf<br />
hin? Es gibt zwei Krankheiten,<br />
bei denen schnellste Behandlung<br />
notwendig ist: Das sind Herzinfarkt<br />
und Schlaganfall. Wir im Landkreis<br />
haben die kürzesten Wege zu diesen<br />
Einrichtungen. Es hat sich also<br />
im einstigen Zonenrand-Landkreis<br />
viel zum Positiven gewendet.<br />
Auf dieser „Gewinnliste“ steht nicht<br />
zuletzt die Tatsache, dass die Zonengrenze<br />
fiel. Bayern und Thüringen<br />
stehen wieder in fruchtbarem<br />
Austausch. Diesen Gewinn haben<br />
wir nicht selbst erarbeitet, aber wir<br />
haben ihn nach entbehrungsreichen<br />
<strong>Jahre</strong>n wohl verdient (dass<br />
der Landkreis 2003 wieder in zwei<br />
Stimmkreise aufgeteilt wurde, war<br />
bitter).<br />
In der Kreisreform sind in unserem<br />
Gebiet drei Kreise „zusammengekommen“.<br />
Würden sie auch „zusammenwachsen“,<br />
war die Frage.<br />
Ich denke: Das ist erfolgt. Wir alle in<br />
Rhön-Grabfeld dürfen uns darüber<br />
freuen.
LANDRÄTE UND<br />
KREISTAGSMITGLIEDER<br />
SEIT 1972<br />
26<br />
LANDRAT IM<br />
ALTLANDKREIS<br />
BAD NEUSTADT<br />
LANDRAT IM<br />
ALTLANDKREIS<br />
MELLRICHSTADT<br />
Gottfried Miller<br />
1963 - 1972<br />
LANDRAT IM<br />
ALTLANDKREIS<br />
BAD KÖNIGSHOFEN<br />
Alfred Hauser<br />
1951 - 1972<br />
Dr. Karl Grünewald<br />
1952 -<br />
1972
LANDRÄTE IM LANDKREIS<br />
RHÖN-GRABFELD<br />
27<br />
Dr. Karl<br />
Grünewald<br />
1972 - 1976<br />
Dr. Fritz<br />
Steigerwald<br />
1976 - 2003<br />
Thomas Habermann<br />
2003 - heute
KREISRÄTE 1972-1978<br />
CSU Oskar Adam<br />
28<br />
CSU Hans Albert<br />
CSU Erich Bach<br />
CSU Hilmar Braun<br />
CSU Adolf Büttner<br />
CSU Ludwig Dietz<br />
CSU Hermann Dürbeck<br />
CSU Paul Goebels<br />
CSU Raimund Goldbach<br />
CSU Elmar Griebel<br />
CSU Karl Groenen<br />
CSU Edmund Grom<br />
CSU Ernst Härter<br />
CSU Oskar Herbig<br />
CSU Alex Hösl<br />
CSU Eugen Köhler<br />
CSU Georg Lierheimer<br />
CSU Ferdinand Müller<br />
CSU Hans Repp<br />
CSU Rudolf Reß<br />
CSU Josef Scheuplein<br />
CSU Dr. Theo Schleicher<br />
CSU Elfriede Siegel<br />
CSU Franz Söder<br />
CSU Anton Türk<br />
CSU Georg Türk<br />
CSU Josef Volkmuth<br />
CSU Walter Wehner<br />
CSU Gertrud Werp<br />
FDP Hermann Koch<br />
FREIE WÄHLER Werner Artus<br />
FREIE WÄHLER Hans-Ulrich Dill<br />
FREIE WÄHLER Hans Imkeller<br />
FREIE WÄHLER Joachim Kolonat<br />
FREIE WÄHLER Hermann Krämer<br />
FREIE WÄHLER Andreas Kuhn<br />
FREIE WÄHLER Wolfgang Mack<br />
FREIE WÄHLER Friedrich, sen. Spatz<br />
FREIE WÄHLER Vitus Streit<br />
FREIE WÄHLER Dr. Hubert Widenmayer<br />
FREIE WÄHLER Wilhelm Zirkel<br />
SPD Johannes Brandt<br />
SPD Andreas Feldner<br />
SPD Walter Graumann bis 30.08.72<br />
SPD Raimund Hennig<br />
SPD Arthur Hofmann<br />
SPD Franz Jahrsdörfer ab 30.08.72<br />
SPD Günter Maisch<br />
SPD Gerhard Schätzlein<br />
SPD Kurt Zühlke<br />
Dr. Heinz Helm
Frauen-/Männeranteil Kreistag 1972-1978<br />
29<br />
2<br />
48<br />
Männer<br />
Frauen<br />
Der Wechsel von Kreistagsmitgliedern<br />
innerhalb einer Wahlperiode aufgrund<br />
von Todesfall oder vorzeitiger Amtsniederlegung<br />
ist unberücksichtigt.
KREISRÄTE 1978-1984<br />
30<br />
CSU Oskar Adam<br />
CSU Rudi Böhland bis 28.07.80<br />
CSU Johann Böhm<br />
CSU Hilmar Braun<br />
CSU Günter Burger<br />
CSU Adolf Büttner<br />
CSU Hermann Dürbeck bis 1982<br />
CSU Karl Fiedler<br />
CSU Kurt Geis<br />
CSU Paul Goebels<br />
CSU Johannes Gottfried<br />
CSU Elmar Griebel<br />
CSU Karl Groenen<br />
CSU Edmund Grom<br />
CSU Ernst Härter<br />
CSU Oskar Herbig<br />
CSU Günter Heußner<br />
CSU Egon Köhler<br />
CSU Walter Leirich<br />
CSU Georg Lierheimer<br />
CSU Werner Luft<br />
CSU Oskar Mangold<br />
CSU Kurt Mauer<br />
CSU Ferdinand Müller<br />
CSU Ludwig Müller<br />
CSU Hans Repp<br />
CSU Josef Scheuplein<br />
CSU Elfriede Siegel<br />
CSU Franz Söder<br />
CSU Anton Türk<br />
CSU Georg Türk<br />
CSU Josef Volkmuth<br />
CSU Walter Wehner<br />
CSU Gertrud Werp<br />
CSU Klaus Wiesner<br />
FDP Werner Becker<br />
FREIE WÄHLER Werner Artus<br />
FREIE WÄHLER Kurt Baer<br />
FREIE WÄHLER Willy Damm<br />
FREIE WÄHLER Hans Imkeller bis 1983<br />
FREIE WÄHLER Dr. Hans-Werner Lindeken bis 1983<br />
FREIE WÄHLER Wolfgang Mack<br />
FREIE WÄHLER Rosemarie Preh<br />
FREIE WÄHLER Günter Schmitt<br />
FREIE WÄHLER Friedrich, sen. Spatz<br />
FREIE WÄHLER Vitus Streit<br />
FREIE WÄHLER Dr. Hubert Widenmayer<br />
FREIE WÄHLER Wilhelm Zirkel<br />
SPD Klaus Ginkel<br />
SPD Walter Graumann<br />
SPD Raimund Henning<br />
SPD Arthur Hofmann<br />
SPD Bernd Roggenkamp<br />
SPD Gerhard Schätzlein<br />
SPD Alfred Schmitt<br />
SPD Kurt Zühlke
Frauen-/Männeranteil Kreistag 1978-1984<br />
31<br />
3<br />
53<br />
1 2
KREISRÄTE 1984-1990<br />
32<br />
CSU Hans Albert<br />
CSU Johann Böhm<br />
CSU Hilmar Braun<br />
CSU Adolf Büttner<br />
CSU Josef Demar<br />
CSU Ludwig Dietz<br />
CSU Rudolf Erhard<br />
CSU Karl Fiedler<br />
CSU Kurt Geis<br />
CSU Raimund Goldbach<br />
CSU Elmar Griebel<br />
CSU Karl Groenen<br />
CSU Edmund Grom<br />
CSU Ernst Härter<br />
CSU Gebhard Hartung<br />
CSU Oskar Herbig<br />
CSU Günther Heußner<br />
CSU Anni Jung<br />
CSU Hildegard Kirchner<br />
CSU Helmut Krämer<br />
CSU Georg Lierheimer<br />
CSU Oskar Mangold<br />
CSU Kurt Mauer<br />
CSU Ferdinand Müller<br />
CSU Hans Repp<br />
CSU Roland Reß<br />
CSU Helmut Ressel<br />
CSU Josef Schlagbauer<br />
CSU Peter Schön<br />
CSU Alfons Stuhl<br />
CSU Anton Türk<br />
CSU Georg Türk<br />
CSU Kurt Urban<br />
CSU Josef Volkmuth<br />
CSU Walter Wehner<br />
CSU Klaus Wiesner<br />
FREIE WÄHLER Werner Artus<br />
FREIE WÄHLER Kurt Baer<br />
FREIE WÄHLER Werner Hey<br />
FREIE WÄHLER Walter Koch<br />
FREIE WÄHLER Hermann Krämer<br />
FREIE WÄHLER Wolfgang Mack<br />
FREIE WÄHLER Rosemarie Preh<br />
FREIE WÄHLER Günter Schmitt<br />
FREIE WÄHLER Friedrich Spatz, sen.<br />
FREIE WÄHLER Gerhard Weigand<br />
FREIE WÄHLER Dr. Hubert Widenmayer<br />
SPD Arthur Hofmann<br />
SPD<br />
Klaus Ginkel<br />
SPD<br />
Walter Graumann<br />
SPD<br />
Hans Hartmann<br />
SPD<br />
Raimund Hennig<br />
SPD<br />
Franz Jahrsdörfer<br />
SPD<br />
Marlies Landgraf<br />
SPD<br />
Lore Neugebauer<br />
SPD<br />
Gerhard Schätzlein<br />
SPD<br />
Waldemar Wiener<br />
Dr. Hartmut Hoffmann<br />
Alfred Schmitt<br />
Dr. Heinrich Wagner
Frauen-/Männeranteil Kreistag 1984-1990<br />
33<br />
4<br />
56<br />
Männer<br />
Frauen
KREISRÄTE 1990-1996<br />
34<br />
CSU Clemens Behr<br />
CSU Johann Böhm<br />
CSU Hilmar Braun<br />
CSU Günter Burger<br />
CSU Adolf Büttner<br />
CSU Ludwig Dietz<br />
CSU Rudolf Erhard<br />
CSU Karl Fiedler<br />
CSU Kurt Geis<br />
CSU Raimund Goldbach<br />
CSU Karl Groenen<br />
CSU Edmund Grom<br />
CSU Ernst Härter<br />
CSU Oskar Herbig<br />
CSU Günter Heußner<br />
CSU Franz Juli<br />
CSU Anni Jung<br />
CSU Hildegard Kirchner<br />
CSU Helmut Krämer<br />
CSU Georg Lierheimer<br />
CSU Armin-Peter Lommel<br />
CSU Oskar Mangold<br />
CSU Kurt Mauer<br />
CSU Stilla May<br />
CSU Hans Repp<br />
CSU Roland Reß<br />
CSU Josef Schlagbauer<br />
CSU Peter Schön<br />
CSU Hubert Storath<br />
CSU Peter Suckfüll<br />
CSU Marita Urban<br />
CSU Josef Volkmuth<br />
CSU<br />
Gisela Wagner<br />
FDP Dr. Bernd Hahn<br />
FDP Wolfgang Hösch<br />
FREIE WÄHLER Wolfgang Abschütz<br />
FREIE WÄHLER Werner Hey<br />
FREIE WÄHLER Wolfgang Hoesch<br />
FREIE WÄHLER Walter Koch<br />
FREIE WÄHLER Dr. Rainer Kochinki<br />
FREIE WÄHLER Wolfang Mack<br />
FREIE WÄHLER Rosemarie Preh<br />
FREIE WÄHLER Dr. Wolfgang Schneider<br />
FREIE WÄHLER Friedrich Spatz jun.<br />
FREIE WÄHLER Dr. Hubert Widenmayer<br />
FWG Manfred Dietz<br />
FWG Rudolf Glaesner<br />
GRÜNE Hans Schönberg<br />
SPD Klaus Ginkel<br />
SPD Walter Graumann<br />
SPD Hans Hartmann<br />
SPD Arthur Hofmann<br />
SPD Franz Jahrsdörfer<br />
SPD Marlies Landgraf<br />
SPD Lore Neugebauer<br />
SPD Gerhard Schätzlein<br />
SPD Wolfgang Steube<br />
SPD Johann Treubert<br />
SPD Waldemar Wiener<br />
WI KÖN Dr. Jörg Fliegauf<br />
Annemarie Schönberg
Frauen-/Männeranteil Kreistag 1990-1996<br />
35<br />
8<br />
52<br />
Männer<br />
Frauen
KREISRÄTE 1996-2002<br />
36<br />
CSU Clemens Behr<br />
CSU Stephan Biedermann<br />
CSU Johann Böhm<br />
CSU Günter Burger<br />
CSU Adolf Büttner<br />
CSU Josef Demar<br />
CSU Rudolf Erhard<br />
CSU Karl Fiedler<br />
CSU Kurt Geis<br />
CSU Karl Groenen<br />
CSU Thomas Habermann<br />
CSU Udo Jahrsdörfer<br />
CSU Franz Juli<br />
CSU Anni Jung<br />
CSU Oskar Kaiser<br />
CSU Margot Kaufmann<br />
CSU Inge Keßler<br />
CSU Hildegard Kirchner<br />
CSU Richard Knaier<br />
CSU Helmut Krämer<br />
CSU Georg Lierheimer<br />
CSU Armin-Peter Lommel<br />
CSU Oskar Mangold<br />
CSU Kurt Mauer<br />
CSU Stilla May<br />
CSU Roland Reß<br />
CSU Josef Schlagbauer<br />
CSU Peter Schön<br />
CSU Friedrich-Wilhelm Spatz, jun.<br />
CSU Peter Suckfüll<br />
CSU Marita Urban<br />
CSU Gisela Wagner<br />
CSU Helmut Will<br />
FDP Wolfgang Hoesch<br />
FREIE WÄHLER Lorenz Albert<br />
FREIE WÄHLER Bruno Altrichter<br />
FREIE WÄHLER Burgunde Bahr<br />
FREIE WÄHLER Manfred Dietz<br />
FREIE WÄHLER Rudolf Glaesner<br />
FREIE WÄHLER Werner Hey<br />
FREIE WÄHLER Dr. Rainer Kochinki<br />
FREIE WÄHLER Werner Ortloff<br />
FREIE WÄHLER Dietmar Roßhirt<br />
GRÜNE Gottfried Fauser<br />
GRÜNE Siglinde Fröhlich<br />
GRÜNE Siegfried Fuchs<br />
GRÜNE Waldemar Manger<br />
GRÜNE Hans Schöneberg<br />
SPD Albrecht Finger<br />
SPD Egon Friedel<br />
SPD Klaus Ginkel<br />
SPD Walter Grauman<br />
SPD Vilmar Herden<br />
SPD Marlies Landgraf<br />
SPD Gerhard Schätzlein<br />
SPD Ulrike Stanek<br />
SPD Wolfgang Steube<br />
SPD Johann Treubert<br />
SPD Waldemar Wiener<br />
SPD Angelika Wilimsky<br />
WI KÖN Dr. Jörg Fliegauf
Frauen-/Männeranteil Kreistag 1996-2002<br />
37<br />
12<br />
48<br />
Männer<br />
Frauen
KREISRÄTE 2002-2008<br />
38<br />
CSU Reinhold Albert<br />
CSU Martin Balling<br />
CSU Clemens Behr<br />
CSU Stephan Biedermann<br />
CSU Adolf Büttner<br />
CSU Gottfried Christ<br />
CSU Josef Demar<br />
CSU Hubert Dörr<br />
CSU Birgit Erb<br />
CSU Kurt Geis<br />
CSU Mathias Gerstner<br />
CSU Helmut Gröschel<br />
CSU Thomas Habermann<br />
CSU Udo Jahrsdörfer<br />
CSU Anton Joachim<br />
CSU Franz Juli<br />
CSU Anni Jung<br />
CSU Oskar Kaiser<br />
CSU Inge Keßler<br />
CSU Richard Knaier<br />
CSU Georg Lierheimer<br />
CSU Armin Lommel<br />
CSU Dr. Christian Machon<br />
CSU Kurt Mauer<br />
CSU Bernhard Müller<br />
CSU Johanna Saal-Unsleber<br />
CSU Peter Schön<br />
CSU Georg Seiffert<br />
CSU Gisela Sendner<br />
CSU Friedrich Spatz<br />
CSU Peter Suckfüll<br />
CSU Gisela Wagner<br />
CSU Dr. Bernd Weiß<br />
CSU Markus Werner<br />
CSU Helmut Will<br />
CSU Annemarie Zeisner<br />
CSU<br />
Wolfgang Ullrich<br />
FDP Wolfgang Hoesch<br />
FREIE WÄHLER Lorenz Albert<br />
FREIE WÄHLER Bruno Altrichter<br />
FREIE WÄHLER Burgunde Bahr<br />
FREIE WÄHLER Peter Bulheller<br />
FREIE WÄHLER Manfred Dietz<br />
FREIE WÄHLER Anna Maria Drescher<br />
FREIE WÄHLER Rudolf Glaesner<br />
FREIE WÄHLER Bernhard Mosandl<br />
FREIE WÄHLER Werner Ortloff<br />
FREIE WÄHLER Irmgard Seifert<br />
GRÜNE Karl Breitenbücher<br />
GRÜNE Gottfried Fauser<br />
GRÜNE Siglinde Fröhlich<br />
SPD Albrecht Finger<br />
SPD Egon Friedel<br />
SPD Walter Graumann<br />
SPD Angelika Keil-Fuchs<br />
SPD Marlies Landgraf<br />
SPD Wolfgang Steube<br />
SPD Sabine Stührmann<br />
SPD Johann Treubert<br />
SPD Monika Verchov<br />
SPD Angelika Wilimsky<br />
Wi KÖN Dr. Jörg Fliegauf<br />
WI KÖN Karl-Heinz Schönefeld
Frauen-/Männeranteil Kreistag 2002-2008<br />
39<br />
16<br />
44<br />
Männer<br />
Frauen
KREISRÄTE 2008-2014<br />
40<br />
CSU Reinhold Albert<br />
CSU Martin Balling<br />
CSU Udo Baumann<br />
CSU Petra Bieber<br />
CSU Stephan Biedermann<br />
CSU Cornelia Dahinten<br />
CSU Josef Demar<br />
CSU Hubert Dörr<br />
CSU Birgit Erb<br />
CSU Alois Gensler<br />
CSU Mathias Gerstner<br />
CSU Gabriele Gröschel<br />
CSU Thomas Helbling<br />
CSU Christof Herbert<br />
CSU Franz Juli<br />
CSU Ulrike Kehm<br />
CSU Inge Keßler<br />
CSU Norbert Klein<br />
CSU Richard Knaier<br />
CSU Axel Kochinki<br />
CSU Friedolin Link<br />
CSU Dr. Christian Machon<br />
CSU Kurt Mauer<br />
CSU Bernhard Müller<br />
CSU Johanna Saal-Unsleber<br />
CSU Ruth Scheublein<br />
CSU Friedrich Spatz<br />
CSU Peter Suckfüll<br />
CSU Dr. Bernd Weiß<br />
CSU Bruno Werner<br />
CSU Markus Werner<br />
CSU Helmut Will<br />
CSU Annemarie Zeisner<br />
FDP Erich Gutermuth<br />
FDP Wolfgang Hoesch<br />
FDP Hartmut Rausch<br />
FREIE WÄHLER Bruno Altrichter<br />
FREIE WÄHLER Werner Angermüller<br />
FREIE WÄHLER Peter Bulheller<br />
FREIE WÄHLER Manfred Dietz<br />
FREIE WÄHLER Anna Maria Drescher<br />
FREIE WÄHLER Rudolf Glaesner<br />
FREIE WÄHLER Werner Ortloff<br />
FREIE WÄHLER Edeltraut Rapp<br />
FREIE WÄHLER Irmgard Seifert<br />
FREIE WÄHLER Georg Straub<br />
FREIE WÄHLER Eberhard Streit<br />
FREIE WÄHLER Ulrich Waldsachs<br />
FREIE WÄHLER Thomas Wirsing<br />
GRÜNE Karl Breitenbücher<br />
GRÜNE Gottfried Fauser<br />
GRÜNE Siglinde Fröhlich<br />
GRÜNE Cornelia Müller<br />
GRÜNE Birgit Zirkelbach<br />
SPD Albrecht Finger<br />
SPD Egon Friedel<br />
SPD Angelika Keil-Fuchs<br />
SPD Marlies Landgraf<br />
SPD Dr. Friedrich Oehm<br />
SPD Ulrike Stanek<br />
SPD Sabine Stührmann<br />
SPD Angelika Wilimsky<br />
WI KÖN Dr. Jörg Fliegauf<br />
WI KÖN Hartmut Eppler<br />
WI KÖN Karl-Heinz Schönefeld
Frauen-/Männeranteil Kreistag 2008-2014<br />
41<br />
20<br />
40<br />
Männer<br />
Frauen
KREISRÄTE 2014-2020<br />
42<br />
CSU Reinhold Albert<br />
CSU Udo Baumann<br />
CSU Stephan Biedermann<br />
CSU Cornelia Dahinten<br />
CSU Josef Demar<br />
CSU Juliane Demar<br />
CSU Hubert Dörr<br />
CSU Birgit Erb<br />
CSU Alois Gensler<br />
CSU Mathias Gerstner<br />
CSU Gabriele Gröschel<br />
CSU Thomas Helbling<br />
CSU Christof Herbert<br />
CSU Jürgen Heusinger<br />
CSU Norbert Klein<br />
CSU Richard Knaier<br />
CSU Matthias Liebst<br />
CSU Friedolin Link<br />
CSU Dr. Christian Machon<br />
CSU Steffen Malzer<br />
CSU Bernhard Müller<br />
CSU Bernd Roßmanith<br />
CSU Ruth Scheublein<br />
CSU Stefan Schmöger<br />
CSU Friedrich Spatz<br />
CSU Bastian Steinbach<br />
CSU Peter Suckfüll<br />
CSU Bruno Werner<br />
CSU Rudolf Zehe<br />
CSU Annemarie Zeisner<br />
FDP Hartmut Rausch<br />
FDP Dr. Thomas Smolin<br />
FREIE WÄHLER Bruno Altrichter<br />
FREIE WÄHLER Peter Bulheller<br />
FREIE WÄHLER Thomas Dietz<br />
FREIE WÄHLER Stefan Hippeli<br />
FREIE WÄHLER Werner Ortloff<br />
FREIE WÄHLER Gerald Pittner<br />
FREIE WÄHLER Peter Schön<br />
FREIE WÄHLER Irmgard Seifert<br />
FREIE WÄHLER Eberhard Streit<br />
FREIE WÄHLER Egon Sturm<br />
FREIE WÄHLER Ulrich Waldsachs<br />
GRÜNE Karl Breitenbücher<br />
GRÜNE Winfried Christ<br />
GRÜNE Klara May<br />
GRÜNE Dagmar Richter<br />
GRÜNE Klaus Schmitt<br />
GRÜNE Birgit Zirkelbach<br />
SPD Lara Albert<br />
SPD Albrecht Finger<br />
SPD Egon Friedel<br />
SPD Matthias Kihn<br />
SPD Dr. Friedrich Oehm<br />
SPD Thorsten Raschert<br />
SPD Sabine Stührmann<br />
SPD René van Eckert<br />
SPD Angelika Wilimsky<br />
WI KÖN Hartmut Eppler<br />
WI KÖN Jens Konrad<br />
WI KÖN Karl-Heinz Schönefeld
Frauen-/Männeranteil Kreistag 2014 - 2020<br />
43<br />
13<br />
47<br />
Männer<br />
Frauen
KREISRÄTE 2020-2026<br />
44<br />
CSU Karola Back<br />
CSU Eva Böhm<br />
CSU Thomas Bruckmüller<br />
CSU Cornelia Dahinten<br />
CSU Josef Demar<br />
CSU Juliane Demar<br />
CSU Birgit Erb<br />
CSU Thomas Fischer<br />
CSU Angelika Götz<br />
CSU Gabriele Gröschel<br />
CSU Christiane Hanshans<br />
CSU Thomas Helbling<br />
CSU Christof Herbert<br />
CSU Jürgen Heusinger<br />
CSU Matthias Liebst<br />
CSU Steffen Malzer<br />
CSU Daniela Mültner<br />
CSU Sonja Reubelt<br />
CSU Ruth Scheublein<br />
CSU Martin Schmitt<br />
CSU Stefan Schmöger<br />
CSU Georg Seiffert<br />
CSU Anja Seufert<br />
CSU Bastian Steinbach<br />
CSU Peter Suckfüll<br />
CSU Frank Vetter<br />
CSU Bruno Werner<br />
CSU Annemarie Zeisner<br />
DIE LINKE Matthias Freund<br />
FDP Dr. Helmut Klum<br />
FDP Karl Schenk Graf von Stauffenberg<br />
FREIE WÄHLER Bruno Altrichter<br />
FREIE WÄHLER Thomas Dietz<br />
FREIE WÄHLER Frank Helmerich<br />
FREIE WÄHLER Michael Kraus<br />
FREIE WÄHLER Julian Lörzel<br />
FREIE WÄHLER Gerald Pittner<br />
FREIE WÄHLER Sonja Rahm<br />
FREIE WÄHLER Irmgard Seifert<br />
FREIE WÄHLER Georg Straub<br />
FREIE WÄHLER Eberhard Streit<br />
FREIE WÄHLER Egon Sturm<br />
FREIE WÄHLER Ulrich Waldsachs<br />
FREIE WÄHLER Michael Werner<br />
GRÜNE Karl Breitenbücher<br />
GRÜNE Daniel Doser<br />
GRÜNE Jutta Helm<br />
GRÜNE Carmen-Sita Kronester<br />
GRÜNE Klara May<br />
GRÜNE Eberhard Räder<br />
GRÜNE Birgit Reder-Zirkelbach<br />
GRÜNE Yatin Shah<br />
SPD Elke Bassil<br />
SPD Albrecht Finger<br />
SPD Egon Friedel<br />
SPD Thorsten Raschert<br />
SPD René van Eckert<br />
WI KÖN Michael Custodis<br />
WI KÖN Hartmut Eppler<br />
WI KÖN Gerald Kneuer
Frauen-/Männeranteil Kreistag 2020-2026<br />
45<br />
20<br />
40<br />
Männer<br />
Frauen
REINHOLD ALBERT<br />
46 „ES ENTSTAND EINE<br />
TOPOGRAPHISCH<br />
SINNVOLLE EINHEIT!“ 1<br />
Vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n wurde es offiziell:<br />
Der 1972 gebildete neue Landkreis<br />
heißt Rhön-Grabfeld und bekommt<br />
seinen Sitz in Bad Neustadt<br />
Rhön-Grabfeld: Seit 1. Mai 1973<br />
führt der 1972 im Rahmen der<br />
Kreisgebietsreform in Bayern gebildete<br />
neue Landkreis diesen Namen.<br />
Er besteht aus den drei Altlandkreisen<br />
Bad Neustadt an der<br />
Saale, Königshofen im Grabfeld und<br />
Mellrichstadt sowie der bis dahin<br />
zum Landkreis Bad Kissingen gehörenden<br />
Gemeinde Strahlungen. Bad<br />
Neustadt ist zudem nach einem Beschluss<br />
des Bayerischen Landtags<br />
Sitz der Kreisverwaltung, nachdem<br />
sich zuvor der Kreistag mehrheitlich<br />
dafür ausgesprochen hatte. 2<br />
1 Johann Böhm: <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> Gebietsreform – Ein Rückblick.<br />
In: Bayerischer Gemeindetag 11/2022, S. 358<br />
2 Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr.<br />
9/1973: Verordnung zur Bestimmung der Namen<br />
des Landkreises und der Sitz der Kreisverwaltungen<br />
vom 10. April 1973. Name Rhön-Grabfeld,<br />
Sitz Bad Neustadt. Diese Verordnung tritt am 1.
Die Gemeinde Burglauer kam am<br />
1. Mai 1978 aus dem Landkreis Bad<br />
Kissingen zum Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld noch dazu.<br />
Bezirksämter waren Vorgänger der<br />
Landkreise<br />
Die Uniform des königlichen Bezirksamtmanns<br />
von Königshofen aus dem<br />
19. Jahrhundert. Sie war einst im<br />
Grabfeld-Museum in Bad Königshofen<br />
ausgestellt. Fotos und Repros: Archiv<br />
Reinhold Albert<br />
1852 konnte nach der 1848/49 erfolgten<br />
Auflösung der Patrimonialund<br />
Herrschaftsgerichte die rechtliche<br />
Grundlage für die Bezirksämter<br />
als mittlere der drei kommunalen<br />
Ebenen in Bayern geschaffen werden.<br />
Aus ihnen gingen später die<br />
Landkreise hervor. Sie wurden damals<br />
im Sprengel der Landgerichte<br />
gebildet. 1862 wurden dann die<br />
Aufgaben der Landgerichte auf die<br />
Rechtsprechung beschränkt, doch<br />
bestanden sie mit ihren bisherigen<br />
Sprengeln fort. Jetzt wurden die<br />
bayerischen Bezirksämter als reine<br />
Verwaltungsbehörden installiert.<br />
Der Amtsvorstand führte den Titel<br />
„Königlicher Bezirksamtmann“.<br />
Er war, wie zuvor der Landrichter,<br />
für die Bevölkerung in seinem Bezirk<br />
der staatliche Repräsentant<br />
und bildete in etwa vergleichbar<br />
mit dem heutigen Landrat die Brücke<br />
zwischen dem staatlichen und<br />
kommunalen Bereich. 3 Viele neue<br />
Bezirksämter erhielten 1862 erheblich<br />
größere Außenbezirke und so<br />
standen 249 Landgerichten nunmehr<br />
142 Bezirksämter gegenüber.<br />
47<br />
Mai 1973 in Kraft. Gez.: Der Bayer. Ministerpräsident,<br />
i. A. Dr. Held, Justizminister<br />
3 URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/<br />
Lexikon/Gebietsreform (Julia Mattern)
48<br />
Dem neuen Bezirksamt Königshofen<br />
wurde z. B. der Landgerichtsbezirk<br />
Hofheim zugewiesen. Die<br />
Bezirksämter blieben zahlenmäßig<br />
bis zur Landkreisgebietsreform<br />
1972 nahezu unverändert. 4 Lediglich<br />
im Jahr 1900 wurde in Hofheim<br />
ein eigenständiges Bezirksamt mit<br />
41 Gemeinden eingerichtet und von<br />
Königshofen abgetrennt. 5<br />
Erste Ansätze einer Gebietsreform<br />
Die erste bayerische Gemeindeordnung<br />
von 1869 brachte einen echten<br />
Fortschritt. Erstmals wurde das<br />
Recht der Selbstverwaltung der Gemeinden<br />
deutlich formuliert. 6 Eine<br />
sehr weitgehende, doch mitunter<br />
auch einschränkende Staatsaufsicht<br />
blieb jedoch erhalten. <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
geschah nun nichts mehr.<br />
Bereits 1878 war eine Gebietsreform<br />
versucht worden. Am Beispiel<br />
des Bezirksamts Königshofen im<br />
4 Wolfgang Renner: Geschichte der bayerischen<br />
Landkreise. In: Unser Landkreis Rhön-Grabfeld,<br />
erschienen in der Schriftenreihe über Landkreise<br />
und kreisfreie Städte in Bayern, Bamberg 1986,<br />
S. 21<br />
5 Herbert Kössler: Historischer Atlas, Teil Hofheim i.<br />
Ufr., München 1964, S. 159<br />
6 URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/<br />
Lexikon/Gemeindeverfassung_<br />
Grabfeld sei dies dargestellt. Es<br />
sollten sog. Bürgermeistereien gebildet<br />
werden. Nach Artikel 6 der<br />
Gemeindeordnung hätten mehrere<br />
benachbarte Gemeinden in einer<br />
Bürgermeisterei vereinigt werden<br />
können. So sollten damals z. B.<br />
Saal und Wülfershausen oder Großbardorf,<br />
Sulzfeld und Leinach oder<br />
Sulzdorf, Serrfeld und Schwanhausen<br />
zusammengeschlossen werden.<br />
Doch die Gemeinden ignorierten<br />
den Vorschlag des königlichen<br />
Bezirksamtmanns Poesl. 7<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-<br />
1918) trat nach der Gründung<br />
der Weimarer Republik 1919 das<br />
Bayerische Selbstverwaltungsgesetz<br />
in Kraft. Es brachte eine<br />
moderne demokratische Lösung<br />
der Gemeindeverwaltung. 8 Der<br />
gewählte Stadt- bzw. Gemeinderat<br />
war nun das alleinige Vertretungs-<br />
und Verwaltungsorgan der<br />
Gemeinde und gab diesem damit<br />
eine sehr starke Stellung. Den nun-<br />
7 Amts- und Privat-Anzeiger des Bezirksamts Königshofen<br />
i. Gr. vom 9.9.1878<br />
8 Günther U. Müller: Die neuen Landkreise Bayerns.<br />
In: Unser Landkreis Rhön-Grabfeld, München<br />
1980, S. 15
mehrigen Bezirken, den späteren<br />
Landkreisen, wurde als Körperschaft<br />
des öffentlichen Rechts das<br />
Recht der Selbstverwaltung nach<br />
Maßgabe der Gesetze eingeräumt.<br />
Den Staatsbehörden blieb also nur<br />
noch die Rechtsaufsicht. Ein entsprechendes<br />
Wahlgesetz brachte<br />
außerdem die Wahl der Bezirksräte<br />
(heute Kreisräte) durch das Volk. 9<br />
Die Gleichschaltungsgesetze der<br />
nationalsozialistischen Machthaber<br />
von 1933 und die Deutsche Gemeindeordnung<br />
von 1935 beseitigten<br />
jedoch diese Errungenschaften<br />
wieder. In diesen wurde festgelegt,<br />
dass nun Beauftragte der Nationalsozialistischen<br />
Arbeiterpartei<br />
(NSDAP) Bürgermeister und Gemeinderäte<br />
bestimmten. Eine Wahl<br />
durch die Bürger entfiel. Der Bürgermeister<br />
war nach dem Führerprinzip<br />
alleiniger Leiter der Gemeinde.<br />
Den Gemeinderäten oblag lediglich<br />
die Rolle eines Beratergremiums. 10<br />
Gemäß der Verordnung über den<br />
Neuaufbau des Reiches vom 28.<br />
November 1938 musste sich das<br />
bayerische Bezirksamt die Umtaufe<br />
9 Renner (1986), S. 28<br />
10 https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/<br />
Lexikon/Gebietsreform<br />
in „Landratsamt“ gefallen lassen,<br />
mit der die Umbenennung des Vorstands<br />
in „Landrat“ und des Bezirks<br />
in „Landkreis“ in Angleichung an die<br />
preußischen Bezeichnungen verbunden<br />
war. 11 Diese Umbenennung<br />
ist erhalten geblieben.<br />
Die Entwicklung nach 1945<br />
Die Landkreisordnung vom 18. Februar<br />
1946 brachte dann nach Beendigung<br />
des Zweiten Weltkriegs<br />
gegenüber der Bezirksordnung der<br />
Weimarer Republik eine Neuerung:<br />
Der Landrat blieb zwar wie bisher<br />
Vorsitzender des Kreistags, übernahm<br />
aber wieder den Vorsitz im<br />
Kreisausschuss und wurde zugleich<br />
durch seine Wahl durch den<br />
Kreistag Vorsitzender des staatlichen<br />
Landratsamtes. Seit dem<br />
Inkrafttreten der neuen Landkreisordnung<br />
vom 16. Februar 1952<br />
wird der Landrat durch das Volk gewählt.<br />
12 Landrat und Landratsamt<br />
üben jeweils eine Doppelfunktion<br />
aus: Beide sind Organe der staatlichen<br />
Verwaltung einerseits und<br />
11 URL: http://www.verfassungen.de/de33-45/neuaufbau34-v3.htm<br />
12 https://www.verkuendung-bayern.de/files/<br />
gvbl/1952/05/gvbl-1952-05.pdf<br />
49
<strong>50</strong><br />
auch der Kommunalverwaltung des<br />
Landkreises andererseits, sowohl<br />
in der unteren staatlichen Verwaltung<br />
tätig als auch in der Kommunalverwaltung<br />
des Kreises. 13<br />
Die Gemeindeordnung von 1952,<br />
die den Ausbau demokratischer<br />
Verwaltungsstrukturen förderte,<br />
führte Elemente der direkten Demokratie<br />
ein: So müssen die Gemeinden<br />
mindestens<br />
In den<br />
1970er <strong>Jahre</strong>n entstandene<br />
Ansichtskarte der Landkreisstädte aus<br />
der Ansichtskartensammlung Elfriede<br />
Herda (Ostheim vor der Rhön), und zwar<br />
Bad Neustadt.<br />
13 Mattern, Julia: Dörfer nach der Gebietsreform –<br />
Die Auswirkungen der kommunalen Neuordnung<br />
auf kleine Gemeinden in Bayern (1978-2008),<br />
Regensburg 2020, S. 16<br />
einmal jährlich eine Bürgerversammlung<br />
abhalten, um dem Partizipations-<br />
und Mitberatungsrecht<br />
der Bürger nachzukommen.<br />
Die Gebietsreform in Bayern<br />
1969 bis 1978<br />
1962 wurde ein neuer Versuch für<br />
eine Gemeindegebietsreform u.<br />
a. im Grabfeld gestartet. Bei einer<br />
Dienstbesprechung der Bürgermeister<br />
sollte dieses Thema abschließend<br />
behandelt werden. Doch<br />
an einer Zusammenlegung von<br />
Gemeinden, wie sie die Regierung<br />
von Unterfranken zur Verwaltungsvereinfachung<br />
anstrebte, bestand<br />
keinerlei Interesse. Die in Frage<br />
kommenden Gemeinden, wie z. B.<br />
Ober- und Untereßfeld, Aub und Gabolshausen<br />
oder Königshofen und<br />
Ipthausen, lehnten eine Zusammenlegung<br />
rundweg ab. 14<br />
Die Zeit drängte und Ende der<br />
1960er <strong>Jahre</strong> galt es, endlich<br />
sprichwörtlich Nägel mit Köpfen<br />
zu machen. Und so begann 1969<br />
in Bayern eine Gebietsreform, die<br />
14 Erinnerungen von Bürgermeister Hans Albert im<br />
Archiv Reinhold Albert
ihren Namen verdiente. Diese basierte<br />
auf Vorarbeiten und Vorstellungen,<br />
die mehrere Jahrzehnte<br />
zurückreichten. Ein wichtiger Gedanke<br />
war die Vorstellung der Verwaltungsvereinfachung,<br />
die bereits<br />
aus den 1920er <strong>Jahre</strong>n stammte<br />
und von der Arbeitsgemeinschaft<br />
für Staatsvereinfachung in Bayern<br />
Mitte der 19<strong>50</strong>er <strong>Jahre</strong> aufgegriffen<br />
wurde. 15 Diese nach ihrem Leiter<br />
Ottmar Kollmann (1886-1969) benannte<br />
Gruppe erarbeitete ein ausführliches<br />
Gutachten. Ähnliche Anstöße<br />
gab auch 1959 der damalige<br />
bayerische Staatsminister des Innern<br />
und spätere Ministerpräsident<br />
Alfons Goppel (1905-1991), der für<br />
eine territoriale Verwaltungsvereinfachung<br />
eintrat.<br />
Ein Maßstab für die Gebietsreform<br />
war die Idee vom System der zentralen<br />
Orte, die der Geograph Walter<br />
Christaller (1893-1969) 16 in den<br />
15 Mattern (2020), S. 19<br />
16 Christaller entwickelte in seinem Hauptwerk „Die<br />
zentralen Orte in Süddeutschland von 1933“<br />
eine Theorie der zentralen Orte, die im NS-Staat<br />
von der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung<br />
für die Raumplanung herangezogen<br />
wurde. Er war von 1940 bis 1945 Mitarbeiter im<br />
Amt Planung und Boden im Stabshauptamt des<br />
Reichskommissars für die Festigung des deutschen<br />
Volkstums. Christaller pries das Modell<br />
1930er <strong>Jahre</strong>n entworfen hatte. Für<br />
eine Neuordnung der Kommunen in<br />
Bayern waren diese Ideen von großer<br />
Bedeutung, konnte damit doch<br />
überlegt werden, welche Funktionen<br />
zukünftige, neugebildete Gemeinden<br />
haben sollten. So legten<br />
die Planer im neugeschaffenen<br />
Bayerischen Staatsministerium für<br />
Landesentwicklung und Umweltfragen<br />
die zentralen Orte in Bayern<br />
sowohl für die beginnende Gebietsreform<br />
als auch für die Aufstellung<br />
eines Landesentwicklungsprogramms<br />
ab 1969 fest. 17<br />
Nach seinem ersten Vorstoß in<br />
Richtung Gebietsreform 1959 noch<br />
als bayerischer Staatsminister des<br />
Innern, kündigte Ministerpräsident<br />
Alfons Goppel in seiner Regierungserklärung<br />
am 25. Januar 1967 eine<br />
der zentralen Orte, nach dem diese hierarchisch<br />
nach ihren Versorgungsangeboten klassifiziert<br />
werden und jedes Oberzentrum von einem Ring<br />
von Mittelzentren umgeben ist, die ihrerseits<br />
wiederum von einem Ring von Unterzentren<br />
umgeben sind, als Umsetzung des „Führerprinzips“<br />
in der Raumordnung. In der Nachkriegszeit<br />
war Christaller freischaffender Geograph und<br />
gründete 19<strong>50</strong> zusammen mit Emil Meynen den<br />
Deutschen Verband für Angewandte Geographie<br />
(DVAG). Das Modell der zentralen Orte wurde zur<br />
Grundlage für die Raumplanung in der Bundesrepublik<br />
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
17 Mattern (2020), S. 20/21<br />
51
52<br />
grundlegende Gebietsreform an.<br />
Unter dem bayerischen Staatsminister<br />
des Innern Bruno Merk (1922-<br />
2013) trat nun eine Arbeitsgruppe<br />
zur Kommunalverwaltungsreform<br />
zusammen, die 1968 ihre Resultate<br />
präsentierte.<br />
Die Gebietsreform in Bayern basierte<br />
nicht auf den Vorstellungen einer<br />
wissenschaftlichen Kommission,<br />
wie das in anderen deutschen Ländern<br />
der Fall war, sondern auf mehreren<br />
Gutachten und Meinungen<br />
verschiedener Gruppen aus Politik,<br />
Verwaltung und Wissenschaft. Diese<br />
waren auf Grundlagen wie der<br />
Vorstellung einer Verwaltungsvereinfachung<br />
und eines zentralörtlichen<br />
Systems zu der Überzeugung<br />
gelangt, dass in Bayern eine Gebietsreform<br />
durchgeführt werden<br />
sollte. 18 Bedingt war dies durch die<br />
seit den 19<strong>50</strong>er <strong>Jahre</strong>n stark gewandelten<br />
Lebensverhältnisse im ländlichen<br />
Raum. Die Bürger hatten nun<br />
nicht nur gestiegene Ansprüche an<br />
die Verwaltung, sondern die öffentlichen<br />
Aufgaben waren auch deutlich<br />
18 Mattern (2020), S. 22<br />
ausgeweitet worden, was besonders<br />
kleine Gemeinden mit ihren wenig<br />
geschulten Verwaltungskräften und<br />
den ehrenamtlichen Bürgermeistern<br />
überforderte. Bestes Beispiel<br />
dafür ist, dass der Schreiber dieses<br />
Aufsatzes bereits im Alter von 13<br />
<strong>Jahre</strong>n Gemeindeschreiber seines<br />
Vaters Hans Albert, Bürgermeister<br />
in Sternberg im Grabfeld, war.<br />
Die finanzielle Ausstattung der Landgemeinden<br />
bisher war viel zu gering,<br />
der Einsatz moderner Technik nicht<br />
rentabel durchführbar. Es wurde<br />
festgestellt, dass viele Gemeinden<br />
und Kreise zu klein und zu schwach<br />
an Einwohnern und Finanzen wären,<br />
um die gestellten Aufgaben, aber<br />
auch Anforderungen, die in Zukunft<br />
zu erwarten seien, bewältigen zu<br />
können. Das war im Wesentlichen<br />
die Argumentationskette der Reformer<br />
und Planer der Ministerialverwaltung,<br />
nicht der Bewohner dieser<br />
Gemeinden und Kreise. Es bleibt<br />
festzustellen: Von den Kommunen<br />
war der Anstoß zur Gebietsreform<br />
nicht ausgegangen. Doch die politischen<br />
Entscheidungsträger waren<br />
sich einig darüber, dass die großen
Ziele der Reform sein mussten:<br />
• Steigerung von Effektivität und<br />
Wirtschaftlichkeit der Verwaltung<br />
durch den Einsatz von<br />
hauptamtlichem Personal und<br />
modernen Hilfsmitteln<br />
• Größere Bürgernähe durch die<br />
Verlagerung staatlicher Aufgaben<br />
von den Landkreisen<br />
auf die künftig finanziell besser<br />
ausgestatteten Gemeinden<br />
Insgesamt sollte die kommunale<br />
Selbstverwaltung auf allen Ebenen<br />
gestärkt werden. Vor allem die Lebensverhältnisse<br />
im ländlichen<br />
Raum galt es zu verbessern, denn<br />
die Bürger hätten ein Recht darauf,<br />
überall auf dem Land gleichwertige<br />
Lebensbedingungen wie in den<br />
Städten vorzufinden. Unausgesprochen<br />
sollte damit auch der Abwanderung<br />
vom Land in die Städte entgegengesteuert<br />
werden. Mit diesen<br />
gleichwertigen Lebensbedingungen<br />
waren Bildungseinrichtungen<br />
wie Kindergärten und Schulen, Versorgungssysteme<br />
für Wasser und<br />
Abwasser, Sportstätten oder auch<br />
Verkehrsinfrastrukturen gemeint.<br />
53<br />
In den 1970er <strong>Jahre</strong>n entstandene Ansichtskarten der Landkreisstädte aus der<br />
Ansichtskartensammlung Elfriede Herda (Ostheim vor der Rhön), und zwar Bad<br />
Königshofen.
54<br />
Erst die Landkreis-, dann die Gemeindegebietsreform<br />
Weitere Zielvorstellungen und Kriterien<br />
formulierten die Reformer im<br />
Staatsministerium des Inneren vor<br />
allem für die beiden großen Reformen:<br />
die der Landkreise und kreisfreien<br />
Städte sowie die Gemeindegebietsreform.<br />
Die Neuabgrenzung<br />
der sieben bayerischen Bezirke<br />
ging relativ reibungslos über die<br />
Bühne. Als einzige numerische Vorgabe<br />
für die Kreis- und Gemeindegebietsreform<br />
legten die Planer<br />
jeweils Einwohnerzahlen fest. Bei<br />
den Landkreisen stellten sich die<br />
Reformer nach Untersuchungen zur<br />
optimalen Größe dieser Gebietskörperschaften<br />
eine Einwohnerzahl<br />
von 80.000 Menschen vor, bei den<br />
kreisfreien Städten eine Einwohnerzahl<br />
zwischen 25.000 und <strong>50</strong>.000<br />
Personen. Eigenständige Gemeinden<br />
sollten mindestens 5.000 Einwohner<br />
haben, Mitgliedsgemeinden<br />
von Verwaltungsgemeinschaften<br />
mindestens 1.000 Einwohner. Das<br />
Modell der Verwaltungsgemeinschaft<br />
hatte Bayern mit dem 1. Gesetz<br />
zur Stärkung der kommunalen<br />
Selbstverwaltung vom 27. Juli 1971<br />
neu in der bayerischen Kommunallandschaft<br />
verankert.<br />
Während der Einwohnerrichtwert<br />
bei der Kreisreform von großer Bedeutung<br />
war, wurde dieser bei der<br />
Gemeindereform nach zum Teil<br />
heftiger Kritik eher nachlässig behandelt<br />
und im Laufe der Reformphase<br />
verkleinert, so dass schließlich<br />
auch Gemeinden mit rund<br />
2.000 Einwohnern und teilweise<br />
noch weniger eine eigenständige<br />
Gemeinde ohne Mitgliedschaft in<br />
der Verwaltungsgemeinschaft bilden<br />
konnten. 19<br />
Weitere Ziele der Kreisgebietsreform<br />
waren die Einheit von Lebens-,<br />
Verwaltungs- und Investitionsraum<br />
und die Einräumigkeit der Verwaltung,<br />
was bedeutete, dass die verschiedenen<br />
Behörden und Gerichte<br />
den gleichen Zuständigkeitsbereich<br />
haben sollten. Ferner sollte die Ausdehnung<br />
des neuen Kreises nur so<br />
weit gehen, dass es jedem Bewohner<br />
möglich sei, mit den vorhandenen<br />
öffentlichen Verkehrsmitteln<br />
19 Mattern (2022), S. 22
einen Besuch im Landratsamt an<br />
höchstens einem halben Tag zu<br />
verwirklichen. Außerdem galt es,<br />
kulturelle, historische und stammesmäßige<br />
Zusammenhänge zu<br />
berücksichtigen.<br />
1967 stellte der bayerische Ministerpräsident<br />
Alfons Goppel dann<br />
in einer Regierungserklärung verschiedene<br />
Pläne und Planungen für<br />
das Land vor. Neben der Gebietsreform<br />
waren das so unterschiedliche<br />
Vorhaben wie ein Schulentwicklungs-,<br />
ein Krankenhausbedarfs-,<br />
ein Gesamtverkehrs- und ein Marktstrukturplan<br />
sowie weitere Pläne,<br />
die alle Teile einer großangelegten<br />
Landesentwicklungsplanung für<br />
ein optimales Wachstum von Staat<br />
und Gesellschaft sein sollten, wie<br />
Goppel in seinem Aufsatz „Ein Land<br />
plant seine Zukunft“ 1971 teilweise<br />
bereits im Rückblick selbstbewusst<br />
erklärte. 20<br />
Den Startschuss für Gebietsreformen<br />
in der Bundesrepublik<br />
Deutschland gab im April 1965 das<br />
20 Ernst Schmacke: Bayern auf dem Weg in das Jahr<br />
2000, Düsseldorf 1990<br />
Bundesraumordnungsgesetz, nach<br />
dem mehrere Länder begannen,<br />
entsprechende Beratergremien zu<br />
bilden und Planungen auf den Weg<br />
zu bringen. Die Gemeindefinanzreform,<br />
die die kommunalen Finanzen<br />
kräftigen sollte, war 1969 der<br />
Startschuss für die Gebietsreform<br />
in Bayern, ebenso wie ein Gesetz<br />
zur Änderung des Finanzausgleichgesetzes<br />
vom 24. März 1969. Darin<br />
förderte der Freistaat nun Zusammenschlüsse<br />
von Gemeinden.<br />
Zunächst wandten sich die Reformer<br />
im Innenministerium nach<br />
der Bezirksgebietsreform jedoch<br />
der Landkreisreform zu, die mit<br />
erhöhter Geschwindigkeit bis zur<br />
Kommunalwahl 1972 durchgeführt<br />
sein sollte. Mit der einfacher erscheinenden<br />
Landkreisreform wollte<br />
man das Reformwerk frühzeitig<br />
absichern, bevor die wohl kompliziertere<br />
Gemeindegebietsreform<br />
durchgesetzt werden sollte.<br />
Für die Landkreisreform erarbeiteten<br />
1970/71 die Arbeitsgruppe „Gebietsreform“<br />
im Innenministerium,<br />
bestehend vor allem aus Vertretern<br />
der Verwaltung, sowie die sieben<br />
55
56<br />
Bezirksregierungen Vorschläge für<br />
die Neugliederung der Landkreise.<br />
Anhand dieser Ausarbeitungen erstellte<br />
das Innenministerium einen<br />
Gesamtplan, den es den Gemeinden,<br />
Kreisen und Bezirken in zwei<br />
Anhörungsverfahren vorlegte. 21<br />
Im November 1970 fanden in Bayern<br />
Landtagswahlen statt. In seiner<br />
am 27. Januar 1971 gehaltenen Regierungserklärung<br />
begründete der<br />
im Amt bestätigte Ministerpräsident<br />
Alfons Goppel eine Gebietsreform<br />
wie folgt: 22 „Mit einer Kommunalreform<br />
will die Staatsregierung<br />
ihre Politik, in Stadt und Land möglichst<br />
wertgleiche Lebensbedingungen<br />
zu schaffen, fortführen. Ziel der<br />
Reform ist es, durch den Zusammenschluss<br />
von Gemeinden und<br />
Landkreisen zu leistungsfähigeren<br />
kommunalen Körperschaften zu<br />
kommen. Landkreise sollen künftig<br />
so groß sein, dass sie die notwendigen<br />
kostspieligen Investitionen betriebswirtschaftlich<br />
sinnvoll tätigen<br />
können. Sie sollen eine Einheit von<br />
21 Mattern (2022), S. 33<br />
22 URL: https://www.bayern.landtag.de/www/Elan-<br />
TextAblage_WP07/Protokolle/<br />
Lebens- und Verwaltungsraum darstellen.<br />
Bei der Neugliederung der<br />
Landkreise werden die kulturellen,<br />
historischen und sonstigen Bindungen<br />
berücksichtigt werden.“<br />
Die Durchführung der Landkreisreform<br />
beschloss der Landtag<br />
schließlich am 9. November 1971.<br />
Am 27. Dezember 1971 trat dann<br />
die Verordnung über die Neugliederung<br />
Bayerns in Landkreise und<br />
kreisfreie Städte in Kraft. Damit<br />
reduzierte sich am 1. Juli 1972 die<br />
Zahl der Landkreise von 143 auf 71,<br />
die Zahl der kreisfreien Städte von<br />
48 auf 25.<br />
Der neue Landkreis im Norden Bayerns<br />
(über seinen endgültigen Namen<br />
Bad Neustadt oder Rhön-Grabfeld<br />
wurde erst später entschieden)<br />
setzte sich zusammen aus den bisherigen<br />
Landkreisen<br />
• Bad Neustadt (31 Gemeinden,<br />
rund 332 Quadratkilometer,<br />
36.153 Einwohner)<br />
• Königshofen i. Grabfeld<br />
(31 Gemeinden, rund 280 Quadratkilometer,<br />
17.722<br />
Einwohner)
• Mellrichstadt (22 Gemeinden,<br />
rund 301 Quadratkilometer,<br />
23.434 Einwohner)<br />
• Hinzu kam die bis dahin zum<br />
Nachbarlandkreis Bad Kissingen<br />
gehörenden Gemeinde<br />
Strahlungen (752 Einwohner)<br />
Der neue Landkreis wies nun eine<br />
Fläche von 1.008 Quadratkilometern<br />
und eine Einwohnerzahl von<br />
78.061 auf. Die Gemeinde Burglauer<br />
mit 1.220 Einwohnern kam dann<br />
noch zum 1. Mai 1978 aus dem<br />
Landkreis Bad Kissingen zum Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld.<br />
57<br />
Grafik von Jutta Glöckner, entnommen der 2012 erschienenen Sonderausgabe der<br />
Tageszeitung Main-Post, Würzburg, Lokalausgabe Rhön-Grabfeld, mit dem Titel:<br />
„Gebietsreform im Landkreis Rhön-Grabfeld“.
58<br />
Was bringt uns der Großlandkreis<br />
Rhön-Grabfeld?<br />
Der ehemalige Landtagspräsident<br />
und langjährige Abgeordnete des<br />
Landkreises Rhön-Grabfeld, Johann<br />
Böhm (er gehörte von 1974<br />
bis 2003 dem Bayer. Landtag an),<br />
erinnert sich, dass die Gebietsreform<br />
zu Beginn der 1970er <strong>Jahre</strong><br />
eine der meistdiskutierten staatlichen<br />
Zielsetzungen war. Er war von<br />
Frühjahr 1969 bis Juli 1973 als juristischer<br />
Staatsbeamter am Landratsamt<br />
Bad Neustadt tätig und als<br />
solcher tief in die Bemühungen um<br />
eine sinnvolle Neuordnung in seinem<br />
Wirkungskreis eingebunden. 23<br />
„Was bringt uns der Großlandkreis<br />
Rhön-Grabfeld?“ Diese Frage stellten<br />
sich im Vorfeld der am 1. Juli<br />
1972 verwirklichten Kreisgebietsreform<br />
vor allem die Bürger der<br />
Landkreise Mellrichstadt und Königshofen.<br />
24 Sie fürchteten nicht<br />
ganz unberechtigt eine gewisse<br />
23 Johann Böhm: <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> Gebietsreform – Ein<br />
Rückblick. In: Bayerischer Gemeindetag 11/2022,<br />
S. 356 f.<br />
24 Georg Stock/Alfred Kordwig: Vor 40 <strong>Jahre</strong>n: Sorge<br />
um den Lebensnerv der Stadt – Diskussionen<br />
um die ehemaligen Kreisstädte Mellrichstadt<br />
und Königshofen. In: 40 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld, Beilage zu den Tageszeitungen<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld 2012<br />
Abwertung ihrer Städte, während<br />
Bad Neustadt als Kreisstadt besonders<br />
profitiere. Es versteht sich<br />
von selbst, dass bei den Informationsveranstaltungen<br />
stets lebhaft<br />
diskutiert wurde. So wurde u. a. ein<br />
Ausgleich für den Zentralitätsverlust<br />
von Königshofen und Mellrichstadt<br />
gefordert. Der Vorsitzende<br />
der Mellrichstädter CSU, Ferdinand<br />
Müller, sorgte sich etwa bei einer<br />
Wahlveranstaltung im Juni 1972:<br />
„Wir sind in ernster Sorge, dass der<br />
Lebensnerv unserer Stadt gelähmt<br />
wird.“ Dahingegen versprach der<br />
CSU-Landratskandidat Gottfried<br />
Miller, sich dafür einzusetzen, dass<br />
„der Lebensnerv nicht gelähmt, sondern<br />
gestärkt wird“. Er bekräftigte,<br />
auf die Folgeaspekte der Landkreisreform<br />
eingehend, dass die Sorgen<br />
in Mellrichstadt und Königshofen<br />
ernst genommen werden, warnte<br />
aber zugleich vor übertriebenen Formulierungen<br />
wie „sterbender Landkreis“<br />
oder ähnlichem. Bereits in einem<br />
Interview hatte Miller in seiner<br />
Funktion als Landrat des Kreises<br />
Bad Neustadt in den Lokalzeitungen<br />
am 3. Januar 1972 ausführlich<br />
Stellung genommen und engagiert
für den neuen Landkreis geworben.<br />
25 Mellrichstadts Bürgermeister<br />
Oskar Herbig (1924-1998) forderte<br />
eine Funktionstrennung, und zwar<br />
Bad Neustadt als Industrie-, Königshofen<br />
als Kur- und Mellrichstadt als<br />
Verwaltungsmetropole. 26 Raimund<br />
Hennig (1922-2022), langjähriger<br />
SPD-Stadt- und Kreisrat, erinnerte<br />
sich: 27 „Die Gebietsreform haben<br />
die Einwohner der Altlandkreise<br />
Königshofen und Mellrichstadt als<br />
aufgedrängt empfunden, sie hatten<br />
die schlimmsten Befürchtungen!“<br />
Es hieß, der Zusammenschluss<br />
werde finanzielle Vorteile bringen,<br />
denn man müsse nicht drei Landräte<br />
und drei Verwaltungen bezahlen,<br />
alles werde zentralisiert.<br />
Es war freilich nicht zu verkennen,<br />
dass es für die Bürger der Altland-<br />
25 Geburtsjahr des Rhön-Grabfeld-Kreises begann –<br />
Interview mit Bad Neustadts Landrat Gottfried<br />
Miller. In den Tagezeitungen Bote vom Grabfeld,<br />
Rhön- und Saalepost, Rhön und Streubote vom<br />
3.1.1972<br />
26 Brigitte Gbureck: 40 <strong>Jahre</strong> Erfolgsgeschichte –<br />
Helmut Will, Alt-Bürgermeister und stv. Landrat.<br />
In: 40 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform im Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld, Beilage zu den Tageszeitungen im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld 2012<br />
27 Regina Vossenkaul: „Die schlimmsten Befürchtungen<br />
– Raimund Hennig berichtet von der Kreisreform<br />
vor 40 <strong>Jahre</strong>n. In: 40 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform<br />
Rhön-Grabfeld 2012<br />
kreise Königshofen und Mellrichstadt<br />
erst einmal größere Umstände<br />
mit sich brachte, wenn sie<br />
Behördengänge zu erledigen hatten.<br />
Ein großer Teil der Haushalte<br />
hatte kein Telefon und man war<br />
nicht so mobil wie heute. Ein Besuch<br />
beim Bauamt, beim Sozialoder<br />
Gesundheitsamt war für viele<br />
Leute, besonders aus den weiter<br />
entfernten Gemeinden, eine Tagesreise.<br />
Eine Bündelung der Verwaltung<br />
wurde zwar unterstützt, aber<br />
es ging auch die Furcht um, dass<br />
der neue Landkreis als Zonenrandgebiet<br />
wirtschaftlich größere Nachteile<br />
erfahren könnte.<br />
Königshofen und Mellrichstadt verloren<br />
dann tatsächlich zahlreiche<br />
Arbeitsplätze und damit Steuereinnahmen.<br />
Die Amtsgerichte wurden<br />
verlegt, ebenso Bau-, Sozial-, Gesundheits-,<br />
Veterinär- und Schulämter<br />
– alles kam nach Bad Neustadt.<br />
Damit endete für die Bürger<br />
aus dem Grabfeld und der Rhön die<br />
Zeit, in der sie die Verwaltungsangestellten<br />
persönlich kannten und<br />
Tür an Tür mit ihnen lebten. In Bad<br />
Neustadt standen sie überwiegend<br />
59
60<br />
fremden Personen gegenüber. Mit<br />
viel Überredungskunst wurde wenigstens<br />
eine Kfz-Anmeldestelle in<br />
Königshofen eingerichtet.<br />
Der ehemalige Fremdenverkehrsreferent<br />
des Landkreises, Werner<br />
Zeise, konstatierte: 28 „Die Gebietsreform<br />
war im Grunde ein Thema,<br />
das weniger die Herzen der Bürger<br />
berührte als die der kommunalpolitischen<br />
Mandatsträger.“ Das<br />
dokumentiert, dass es weniger die<br />
Bürger, sondern vielmehr die Amtsträger<br />
waren, die opponierten.<br />
Dass die Zusammenfassung der<br />
Landkreise laut Aussagen vieler<br />
Landkreispolitiker nicht immer auf<br />
Gegenliebe stieß, versteht sich von<br />
selbst. Während man sich jedoch<br />
mit der neuen Konstellation der drei<br />
alten Landkreise relativ schnell abgefunden<br />
hatte, blieb der Standort<br />
des Verwaltungssitzes eine heiß<br />
umkämpfte Angelegenheit. Da<br />
Mellrichstadt schon verschiedene<br />
Behörden beherbergte, wollte die<br />
Stadt unbedingt Verwaltungszent-<br />
rum des neuen Kreises werden.<br />
Während im August 1971 der Kreistag<br />
des Landkreises Mellrichstadt<br />
ablehnte, dass Bad Neustadt Sitz<br />
des neuen Landkreises werden soll,<br />
votierten damals schon die Kreistage<br />
der Landkreise Königshofen im<br />
Grabfeld und Bad Neustadt dafür. 29<br />
Nachdem das ganze Vorhaben in<br />
einem relativ kurzen Zeitraum über<br />
die Bühne gebracht werden sollte,<br />
verabschiedete 1971 die Bürgermeisterversammlung<br />
des Landkreises<br />
Mellrichstadt eine Resolution,<br />
in der es um Fristverlängerungen<br />
ging. Darin wurde auch die Angst<br />
vor Benachteiligungen bei Förderungen<br />
der einzelnen Gemeinden<br />
zum Ausdruck gebracht.<br />
Der staatliche Eingriff vollzog sich<br />
zumeist in einer von der Einsicht<br />
in die Notwendigkeit geprägten Atmosphäre,<br />
aber auch in erbitterten<br />
Auseinandersetzungen. Ostheims<br />
ehemaliges Stadtoberhaupt und<br />
einstiger Bezirksrat Adolf Büttner<br />
war damals Kreisvorsitzender der<br />
28 Eckhard Heise: Den „Stein der Weisen“ entdeckt<br />
– Werner Zeise schildert den Ablauf der Gebietsreform<br />
29 Bote vom Grabfeld, Ausgabe vom 17.11.1972:<br />
Wie soll das Kind heißen und von wo verwaltet<br />
werden?
Jungen Union. 30 Der Nachwuchsorganisation<br />
ging die Reform sogar<br />
nicht weit genug, erinnerte er sich.<br />
Während die älteren Mitglieder der<br />
CSU für eine Zusammenfassung<br />
der drei Landkreise Mellrichstadt,<br />
Bad Königshofen und Bad Neustadt<br />
plädierten, wollten die jungen<br />
Christsozialen sogar noch den<br />
Landkreis Bad Kissingen mit ins<br />
Boot holen. Für diesen Vorschlag<br />
konnten sie aber niemanden recht<br />
begeistern, vor allem, weil der damalige<br />
Bundestagsabgeordnete<br />
Alex Hösl (1919-1977) aus Nordheim<br />
eine andere Linie vertrat und<br />
durchzusetzen wusste. In diesem<br />
Zusammenhang berichtete Altbürgermeister<br />
und ehemaliger SPD-<br />
Kreisrat Gerhard Schätzlein, auch<br />
auf Kreisebene sei die Diskussion<br />
eher leidenschaftslos verlaufen.<br />
Vor allem angesichts eines übermächtigen<br />
Alex Hösl, der alle Fäden<br />
in der Hand hielt. Es habe auch für<br />
die SPD keine Alternative für eine<br />
Zusammenlegung der drei Landkreise<br />
gegeben.<br />
30 Eckhard Heise: Mit Leichenhäusern Zugeständnisse<br />
erkauft. In: 40 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld, Beilage zu den Tageszeitungen<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld 2012<br />
Viel Diplomatie sei im Vorfeld der<br />
Reform notwendig gewesen, damit<br />
sich bei der Kreiszusammenlegung<br />
niemand benachteiligt vorkam, erinnert<br />
sich der ehemalige Senator<br />
Karl Groenen. Im Grunde bereitete<br />
auch weniger das Reformwerk Sorgen,<br />
sondern die Zukunft als Zonenrandgebiet<br />
und wie es weiter gehe<br />
zwischen Ost und West. 31 Der Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld hatte immerhin<br />
rund 110 km gemeinsame Grenze<br />
mit dem als Folge des Zweiten<br />
Weltkriegs entstandenen zweiten<br />
deutschen Staat, der Deutschen<br />
Demokratischen Republik (DDR).<br />
Diese hatte einen nahezu unüberwindlichen<br />
sog. Eisernen Vorhang<br />
mit Minenfeldern, Todesschussautomaten<br />
und Schießbefehl entlang<br />
ihrer Grenze installiert, um die<br />
eigenen Leute an der Flucht in den<br />
Westen zu hindern.<br />
Die erste Kreistagswahl<br />
In Zusammenhang mit der ersten<br />
Wahl des neuen Kreistags 1972 berichtete<br />
der Landratskandidat der<br />
31 Ebd.<br />
61
62<br />
CSU, Gottfried Miller (1923-2018): 32<br />
„Mir ging es darum, das neue Kreisbewusstsein<br />
herauszustellen. Deshalb<br />
forderten wir die Bürger des<br />
Altlandkreises Bad Neustadt auch<br />
auf, Kandidaten für den Kreistag<br />
aus dem gesamten Angebot zu<br />
wählen.“ Die Bürger der Altlandkreise<br />
Königshofen und Mellrichstadt<br />
wählten aber aus den 170 zur Wahl<br />
stehenden Personen ihre Kandidaten,<br />
während die Bad Neustädter<br />
sich mehr an der Parteizugehörigkeit<br />
orientierten. So waren im ersten<br />
Kreistag speziell die Mitglieder aus<br />
diesen Bereichen stark vertreten.<br />
Von den <strong>50</strong> Sitzen im neuen Kreistag<br />
gingen lediglich 11 nach Bad<br />
Neustadt, die restlichen Mandate<br />
teilten sich Königshofen (20) und<br />
Mellrichstadt (19). Zeitzeuge Raimund<br />
Hennig: „In den ersten sechs<br />
<strong>Jahre</strong>n haben wir im Kreisrat die<br />
Bad Neustädter häufig überstimmt.<br />
So stammten am Ende viele Kreisräte<br />
aus Mellrichstadt und Königshofen<br />
und konnten einiges durch-<br />
32 Hanns Friedrich: Miller: „Alle Wasser fließen nach<br />
Neustadt – Gottfried Miller blickt auf das Jahr<br />
1972 zurück. In: 40 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld, Beilage zu den Tageszeitungen<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld 2012<br />
setzen, wenn sie sich einig waren,<br />
was den Bad Neustädtern nicht so<br />
gut gefiel.“<br />
Dr. Karl Grünewald (1911-1976),<br />
bisher Landrat im Altlandkreis Königshofen,<br />
der für die Freien Wähler<br />
antrat, wurde erster Landrat des<br />
neuen Landkreises Rhön-Grabfeld.<br />
Er gewann mit 52 % der Stimmen<br />
gegen Gottfried Miller (CSU).<br />
Dass bei diesen Mehrheitsverhältnissen<br />
Spannung bei der Wahl des<br />
Kreissitzes und vor allem auch des<br />
Namens des neuen Landkreises<br />
aufkam, versteht sich von selbst.<br />
Schließlich siegte aber die Einsicht,<br />
dass nur Bad Neustadt als größte<br />
Stadt als Sitz für die Kreisverwaltung<br />
infrage komme. Gottfried Miller<br />
stellte fest: „Alle Wasser fließen<br />
nach Bad Neustadt und so blieb der<br />
Sitz der Landkreisverwaltung hier.“<br />
Weiterer Streitpunkt war der Name<br />
des Landkreises. Statt „Landkreis<br />
Bad Neustadt“, beschloss der Kreistag<br />
mehrheitlich, dass der neue<br />
Landkreis die Bezeichnung „Rhön-<br />
Grabfeld“ erhalten soll. Der Name<br />
Rhön-Saalekreis stand nicht zur
Debatte, denn es wurde bekannt,<br />
dass sich der neu gebildete Landkreis<br />
Bad Kissingen evtl. so nennen<br />
würde.<br />
Doch lassen wir nun die offiziellen<br />
Unterlagen sprechen:<br />
Sitzung des Kreistags Bad Neustadt<br />
am 21. November 1972<br />
In einer historischen Sitzung des<br />
neu gewählten Kreistags Bad Neustadt<br />
am 21. November 1972 erklärte<br />
Landrat Dr. Karl Grünewald,<br />
dass der Kreistag eine Stellungnahme<br />
darüber abzugeben habe, in<br />
welcher Stadt des Kreisgebiets der<br />
Sitz des Landratsamtes sein soll. 33<br />
Die am 1. Juli 1972 in Kraft getretene<br />
Gebietsreform mache eine solche<br />
Klärung zwingend notwendig.<br />
Er schränkte ein, zu entscheiden<br />
hätte dies aber letztendlich die bayerische<br />
Staatsregierung, für deren<br />
Erlass einer Rechtsverordnung aber<br />
die Stellungnahme des Kreistags<br />
Gewicht habe.<br />
Als vorläufiger Sitz des Landratsamtes<br />
und der Landkreisverwal-<br />
33 Sitzungsprotokoll des Kreistags Rhön-Grabfeld<br />
vom 21.11.1972<br />
tung war von der Staatsregierung<br />
bereits die Stadt Bad Neustadt a.<br />
d. Saale favorisiert worden, weil sie<br />
sich von ihrer geografischen Lage<br />
her, durch die Größe der Einwohnerzahl<br />
und durch das Vorhandensein<br />
der für eine Kreisstadt notwendigen<br />
Einrichtung als Sitz des Landratsamtes<br />
geradezu anbiete. Dies wurde<br />
bereits in einem Gesetzblatt 34<br />
am 27. Dezember 1971 bekannt gegeben.<br />
Darin ist u. a. vermerkt:<br />
• „Landkreis Bad Neustadt a. d.<br />
Saale mit dem Sitz der Kreisverwaltung<br />
in Bad Neustadt a.<br />
d. Saale<br />
• das Gebiet der Gemeinde<br />
Strahlungen des bisherigen<br />
Landkreises Bad Kissingen,<br />
• das Gebiet des bisherigen<br />
Landkreises Bad Neustadt a. d.<br />
Saale,<br />
• das Gebiet des bisherigen<br />
Landkreises Königshofen i.<br />
Grabfeld,<br />
34 Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 26/1971: Verordnung<br />
zur Neugliederung Bayerns in Landkreise<br />
und kreisfeie Städte vom 27. Dezember 1971,<br />
unter § 28 Nr. 3<br />
63
64<br />
• das Gebiet des bisherigen<br />
Landkreises Mellrichstadt.“<br />
Trotz dieser Sachlage bleibe es<br />
aber, so Grünewald, den Vertretern<br />
der bisherigen Kreisstädte Mellrichstadt<br />
und Königshofen unbenommen,<br />
gewichtige Argumente für ihre<br />
Bestimmung zum Kreissitz ins Feld<br />
zu führen, weil in diesen Städten<br />
vor dem Inkrafttreten der Gebietsreform<br />
alle Einrichtungen der Daseinsvorsorge<br />
geschaffen wurden,<br />
die die Lebensqualität in diesen<br />
Räumen verbessern konnten. Die<br />
Entwicklung dieser Städte sei nun<br />
durch Maßnahmen der Gebietsreform<br />
jäh unterbrochen. Aus diesem<br />
Grund befürchte die Bevölkerung<br />
zu Recht, dass die an und für sich<br />
schwache Struktur des grenznahen<br />
Raumes erheblich beeinträchtigt<br />
werde. Es sei zu befürchten, dass<br />
mit dem Abzug der Verwaltungsbehörden<br />
der unteren Ebene eine<br />
noch verstärkte Abwanderung einsetze,<br />
die den Bestand der bisherigen<br />
Kreisstädte Mellrichstadt und<br />
Königshofen bedenklich gefährde.<br />
Die Stadt Bad Neustadt, die auf<br />
Grund ihrer geografischen Lage ohnehin<br />
begünstigt sei, werde einen<br />
Sog auf die Nachbarstädte ausüben,<br />
weil nicht nur das Landratsamt,<br />
sondern mit Sicherheit auch<br />
andere Behörden aus dem Umland<br />
abgezogen und in Bad Neustadt<br />
angesiedelt werden. Landrat Grünewald<br />
forderte die Staatsregierung in<br />
diesem Zusammenhang dazu auf,<br />
für die Folgen des Zentralitätsverlustes<br />
einen wirksamen Ausgleich<br />
zu schaffen.<br />
Der Mellrichstädter Bürgermeister<br />
und Kreisrat Oskar Herbig eröffnete<br />
die Aussprache. Er verwies<br />
auf einen Beschluss seines Stadtrates,<br />
dass die Stadt Mellrichstadt<br />
den Sitz des Landratsamtes erhält,<br />
da zu befürchten sei, dass sich<br />
die Stadt und ihr Umland von dem<br />
durch den Abzug des Landratsamtes<br />
eingetretenen Schaden nicht erholen<br />
werde. Ein Ausgleich für den<br />
Verlust wäre einfach nicht möglich.<br />
Dem widersprach Bad Neustadts<br />
Bürgermeister und Kreisrat Paul<br />
Goebels. Eine Verlegung des Kreissitzes<br />
nach Mellrichstadt liege nicht<br />
im Interesse des weitaus größten<br />
Teiles der Kreisbevölkerung, zu-
65<br />
In den 1970er <strong>Jahre</strong>n entstandene Ansichtskarten der Landkreisstädte aus der Ansichtskartensammlung<br />
Elfriede Herda (Ostheim vor der Rhön), und zwar Mellrichstadt.<br />
mal 87 % der Kreisbevölkerung in<br />
einem Umkreis von 20 km um Bad<br />
Neustadt wohnten, das zudem eine<br />
zentrale Lage aufweise. Letzteres<br />
betonten ebenfalls sowohl die<br />
Kreisräte Anton Türk aus Oberstreu,<br />
Eugen Köhler aus dem Milzgrund<br />
und Bürgermeister Hans Repp aus<br />
Bischofsheim. Kreisrat Franz Jahrdörfer<br />
aus Königshofen stellte fest,<br />
dass die Bevölkerung des Grabfelds<br />
kein Verständnis aufbringen<br />
würde, den Kreissitz nach Mellrichstadt<br />
zu verlegen. Vielmehr plädiere<br />
er, ebenso wie Königshofens Bürgermeister<br />
und Kreisrat Wolfgang<br />
Mack, für einen Kreissitz in Bad<br />
Neustadt. Mack beantragte zudem,
66<br />
bei der Beschlussfassung verbindlich<br />
festzulegen, dass die Städte<br />
Königshofen und Mellrichstadt für<br />
den Verlust, den sie im Zuge der<br />
Kreisreform erlitten, so stark gefördert<br />
werden, dass die Aufwärtsentwicklung<br />
in diesen Randbereichen<br />
keine Unterbrechung erfahre.<br />
Landrat Dr. Karl Grünewald ließ<br />
schließlich über folgenden Beschlussantrag<br />
abstimmen:<br />
Als Sitz der Landkreisverwaltung<br />
wird die Stadt Bad Neustadt a. d.<br />
Saale in Vorschlag gebracht. Dieser<br />
Beschluss ergeht in der Erwartung,<br />
dass die bisherige Kreisstadt Mellrichstadt<br />
als Teilentschädigung für<br />
erlittenen Zentralitätsverlust eine<br />
ihrem bisherigen Landratsamt hinsichtlich<br />
der Beschäftigtenzahl<br />
gleichwertige Dienststelle oder öffentliche<br />
Einrichtung, z. B. die Zentralstelle<br />
für Ordnungsstraßen im<br />
Straßenverkehr, zugewiesen erhält<br />
und der bisherigen Kreisstadt Königshofen<br />
die Entwicklung zur Kurund<br />
Schulstadt durch Sonderförderungsmaßnahmen<br />
ermöglicht wird.<br />
Der Landkreis wird seinerseits bemüht<br />
sein, dass bei Durchführung<br />
kommunaler Baumaßnahmen und<br />
Schaffung kreiseigener Einrichtungen,<br />
z. B. neuer Schulen, die bisherigen<br />
Kreisstädte weitgehend berücksichtigt<br />
werden, um auch auf<br />
diese Weise dazu beizutragen, den<br />
Zentralitätsverlust zu mindern.<br />
Der Kreistag ist sich seiner besonderen<br />
Verantwortung bewusst, die<br />
er gegenüber den strukturschwachen<br />
Gebieten und ihrer bisherigen<br />
Kreisstädte übernommen hat. Der<br />
Kreistag erwartet aber insbesondere<br />
von der Bayer. Staatsregierung,<br />
dass sie in Bezug auf den in Aussicht<br />
gestellten Zentralitätsverlustausgleich<br />
auch zu ihrem Versprechen<br />
steht.“<br />
Der Kreistag votierte mit 32 zu 15<br />
Stimmen für diesen Beschlussvorschlag<br />
– und damit wurde festgelegt,<br />
dass Bad Neustadt Sitz des<br />
Landratsamtes wird.<br />
Bad Neustadt oder Rhön-Grabfeld?<br />
Kontrovers diskutiert wurde bei der<br />
historischen Kreistagssitzung am<br />
21. November 1972 auch, welchen<br />
Namen der neue Landkreis erhalten<br />
soll. Landrat Karl Grünewald wies
in diesem Zusammenhang ebenfalls<br />
darauf hin, dass der Kreistag<br />
nach dem Willen der Staatsregierung<br />
einen Vorschlag für die Namensgebung<br />
des Landkreises zu<br />
unterbreiten habe. Die endgültige<br />
Entscheidung behielt sich aber der<br />
bayerische Landtag vor. Der Kreisausschuss<br />
hatte bereits in einer<br />
Sitzung am 23. August 1972 empfohlen,<br />
dem neuen Landkreis den<br />
Namen „Rhön-Grabfeld-Kreis“ zu<br />
geben.<br />
Zuvor hatte schon der Kreistag des<br />
ehemaligen Landkreises Bad Neustadt<br />
dem Vorschlag der Staatsregierung,<br />
den Landkreis „Bad Neustadt<br />
a. d. Saale“ zu benennen,<br />
zugestimmt, jedoch seine Bereitschaft<br />
bekundet, auch die Benennung<br />
„Rhön-Grabfeld-Kreis“ gut zu<br />
heißen. Die bisherigen Kreistage<br />
der Landkreise Königshofen und<br />
Mellrichstadt hatten sich ebenfalls<br />
für Rhön-Grabfeld ausgesprochen.<br />
Kreisrat Oskar Herbig unterstrich<br />
in der Kreistagssitzung vom 21.<br />
November 1972, dass mit der Bezeichnung<br />
Rhön-Grabfeld die Rhön<br />
als Fremdenverkehrsgebiet angesprochen<br />
werde und der Name eine<br />
bessere Aussagekraft über den<br />
Landkreis habe als die Ortsbezeichnung<br />
Bad Neustadt. Dem widersprach<br />
Kreisrat Elmar Griebel, denn<br />
der Landkreisname Bad Neustadt<br />
habe sich bereits eingebürgert. Die<br />
Stadt habe zudem wegen ihres Kurbetriebs<br />
und ihrer industriellen Bedeutung<br />
bei Gebiets- und Ortsfremden<br />
einen guten Klang.<br />
Kreis- und Bezirksrat Adolf Büttner<br />
unterstrich, die Bezeichnung<br />
Rhön-Grabfeld biete die Gewähr für<br />
eine möglichst rasche Integration<br />
der bisherigen drei Kreise und mindere<br />
den Eindruck, dass sich die<br />
Stadt Bad Neustadt zum absoluten<br />
Schwerpunkt des neuen Landkreises<br />
herausbilde. Kreisrat Josef<br />
Scheuplein bat, zu bedenken, dass<br />
Schwierigkeiten entstünden, wenn<br />
der Landkreis einen Namen erhalte,<br />
der im Kfz-Kennzeichen keinen Niederschlag<br />
finde. Dies könne aber, so<br />
der Landrat, kein Hinderungsgrund<br />
sein, da die Staatsregierung keine<br />
Einwände gegen geographische Namen<br />
geltend mache. Mit 29:18 Stimmen<br />
votierte der Kreistag schließlich<br />
für den Namen Rhön-Grabfeld.<br />
67
68<br />
1. Sitz der Kreisverwaltung<br />
Die Neugliederungsverordnung hat<br />
die Stadt Bad Neustadt a. d. Saale<br />
zum vorläufigen Sitz der Kreisverwaltung<br />
bestimmt. Der Kreistag<br />
hat mit 32:15 Stimmen beschlossen,<br />
diese Stadt als Kreissitz vorzuschlagen.<br />
Ossi Krapf (1922-1996) gestaltete zusammen<br />
mit dem Kulturreferenten Dr.<br />
Heinrich Mehl Mitte der 1970er <strong>Jahre</strong><br />
den ersten Prospekt des Landkreises<br />
Rhön-Grabfeld.<br />
Entscheidung des Bayer. Landtags<br />
Der Bayerische Landtag beschloss<br />
dann am 14. Februar 1973 35 , dass<br />
der Landkreis den Namen Rhön-<br />
Grabfeld erhält und seinen Sitz in<br />
Bad Neustadt an der Saale hat. Die<br />
Begründung lautete:<br />
Die Staatsregierung hält an der<br />
Stadt Bad Neustadt a. d. Saale als<br />
Kreissitz fest. Die Stadt liegt am<br />
Südrand des Landkreisgebietes<br />
verkehrszentral zu den westlichen,<br />
nördlichen und östlichen Teilräumen,<br />
von denen sie über die Bundesstraßen<br />
19 und 279 erreicht<br />
werden kann. Sie ist die einwohnerstärkste<br />
Stadt im Landkreis und<br />
bildet den natürlichen wirtschaftlichen<br />
und verwaltungsmäßigen<br />
Schwerpunkt in diesem nördlichen<br />
Teil Unterfrankens. Entsprechend<br />
ihrer hohen zentralörtlichen Bedeutung<br />
soll sie als Mittelzentrum eingestuft<br />
werden.<br />
35 14.2.1973 Bayer. Landtag 7. Wahlperiode <strong>Druck</strong>sache<br />
7/3863: Verordnung zur Bestimmung<br />
der Namen der Landkreise und der Sitze der<br />
Kreisverwaltungsbehörden; § 6 Regierungsbezirk<br />
Unterfranken<br />
2. Name des Landkreises<br />
Die Neugliederungsverordnung hat<br />
als vorläufigen Namen des Landkreises<br />
„Bad Neustadt a. d. Saale“
festgelegt. Der Kreistag hat mit<br />
29:18 Stimmen beschlossen, der<br />
Staatsregierung den Namen „Rhön-<br />
Grabfeld-Kreis“ zu empfehlen.<br />
Die Staatsregierung folgt dem Vorschlag<br />
des Kreistags, weil der Name<br />
die wesentlichen Landschaften des<br />
neuen Kreisgebiets nennt. Zwar erstreckt<br />
sich die Rhön auch auf den<br />
benachbarten Landkreis Bad Kissingen<br />
und das Land Hessen; ihre Interessen<br />
werden aber durch die Benennung<br />
des neuen Landkreises nach<br />
diesem Gebirge nicht beeinträchtigt.<br />
Um die unschöne Wiederholung<br />
des Wortes „Kreis“ zu vermeiden,<br />
soll der Name des Landkreises nur<br />
„Rhön-Grabfeld“ lauten.<br />
Das Landkreiswappen<br />
Das Kreisbewusstsein galt es insbesondere<br />
durch ein neues Landkreiswappen<br />
zu stärken. In einer<br />
Sitzung des Kreistags Rhön-Grabfeld<br />
am 24. Januar 1975 informierte<br />
Landrat Dr. Karl Grünewald daher<br />
die Mitglieder des Kreistags, dass<br />
eine Reihe von Vorschlägen für<br />
das neue Kreiswappen einging. Es<br />
sei die Aufgabe, so Grünewald, ein<br />
neues Wappen zu schaffen, das der<br />
geschichtlichen Entwicklung der<br />
ehemaligen drei Landkreise Rechnung<br />
trage. Es wurden mehrere Variationen<br />
erörtert. So waren u. a. ein<br />
Heilbrunnen, der fränkische Rechen<br />
oder das Henneberger Wappen Bestandteil<br />
der Entwürfe. Schließlich<br />
fand der von Oberschulrat a. D. und<br />
Kreisheimatpfleger Heinrich Hirsch<br />
vorgeschlagene und von Graphiker<br />
Ossi Krapf (Würzburg) ausgearbeitete<br />
Entwurf eine Mehrheit.<br />
69<br />
Das neue Landkreiswappen informiert<br />
gewissermaßen in Kurzfassung<br />
über die geschichtlichen Hintergründe<br />
und die geographischen<br />
Gegebenheiten im Landkreis. Die<br />
waagerechte Zweiteilung des<br />
Wappens durch ein silbernes Wellenband<br />
deutet in mehrfacher Beziehung<br />
auf „Wasser“ hin: auf die
70<br />
Fränkische Saale, die bei Alsleben<br />
und Obereßfeld entspringt und sich<br />
windungsreich durch unser Gebiet<br />
hindurch schlängelt; auf die zahlreichen<br />
Flüsschen und Bäche, wie<br />
Milz, Streu oder Brend, aber auch<br />
auf die Heilquellen, welche die<br />
Städte Bad Königshofen im Grabfeld<br />
und Bad Neustadt an der Saale<br />
zu bekannten Heilbädern machten.<br />
Schließlich symbolisiert das silberne<br />
Wellenband auch die landschaftliche<br />
Zweiteilung des Landkreises<br />
in die Rhön und das Grabfeld.<br />
In der oberen Hälfte des Wappens<br />
befindet sich eine Krone – sie ist<br />
das Symbol für das ehemalige Königsgut<br />
im Grabfeld, Königshofen,<br />
und auch für die Kaiserpfalz Salz,<br />
die in unmittelbarer Nähe des heutigen<br />
Bad Neustadt lag. Die drei<br />
Kreuze in der unteren Wappenhälfte<br />
stellen den Bezug zum Wahrzeichen<br />
der Rhön her, dem Kreuzberg.<br />
Dieser ist seit Jahrhunderten ein<br />
Ziel der Wallfahrer und Wanderer.<br />
Krone und Kreuz im Landkreiswappen<br />
weisen im Übrigen auch auf die<br />
historische Bedeutung hin, die die<br />
kirchlichen und weltlichen Landesherren<br />
(im Wesentlichen die Herren<br />
von Henneberg und das Würzburger<br />
Hochstift) für unser Gebiet hatten.<br />
Die im Wappen vorkommenden<br />
Farben weiß und rot sind die Farben<br />
Frankens, denn die Besiedelung<br />
durch die Franken war für das<br />
gesamte Landkreisgebiet von entscheidender<br />
Bedeutung. Das Grün<br />
nimmt Bezug auf den Waldreichtum.<br />
Mit Schreiben vom 17. August 1976<br />
genehmigte der unterfränkische Regierungspräsident<br />
Philip Meyer das<br />
neue Wappen. Die offizielle Wappenbeschreibung<br />
lautet: „Durch<br />
einen erhöhten silbernen Wellenbalken<br />
geteilt von Rot und Grün; oben<br />
eine goldene Laubkrone, unten auf<br />
silbernem Dreiberg drei silberne<br />
Kreuze. Die Zweiteilung soll den<br />
neuen Landkreis-Doppelnamen<br />
„Rhön-Grabfeld“ verdeutlichen.“<br />
Die neue Landkreisfahne zeigt drei<br />
Streifen in der Farbenfolge Rot-<br />
Weiß-Grün. Sie muss mit dem Landkreiswappen<br />
geführt werden.
Einwohnerzahlen der zurückliegenden<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
Nachdem die drei Landkreise Bad<br />
Neustadt, Mellrichstadt und Königshofen<br />
im Grabfeld zum 1.7.1972<br />
im Rahmen der Kreisgebietsreform<br />
vereinigt wurden, betrug die<br />
Einwohnerzahl 78.061, und als<br />
der Landkreis offiziell den Namen<br />
Rhön-Grabfeld am 1.5.1973 erhielt,<br />
waren es 78.1<strong>50</strong>.<br />
Bevor die Gemeinde Burglauer am<br />
1.5.1978 Bestandteil Rhön-Grabfelds<br />
wurde, zählte der Landkreis<br />
76.426, danach 77.585 Einwohner.<br />
Erstmals am 30.6.1990 wurden mit<br />
80.766 Einwohnern über 80.000<br />
Personen im Landkreis gezählt.<br />
Die höchste Einwohnerzahl wies<br />
der Landkreis Rhön-Grabfeld am<br />
31.12.1999 mit 87.076 Einwohnern,<br />
die geringste am 31.12.1977 mit<br />
76.426 Einwohnern auf.<br />
Am 31.12.2013 fiel die Einwohnerzahl<br />
erstmals wieder unter 80.000.<br />
Jetzt wurden 79.965 Einwohner<br />
gezählt. Kontinuierlich zwischen<br />
79.000 und 80.000 blieb die Zahl<br />
der Bewohner im Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld zwischen 2013 und 2021.<br />
Erst zum 30.6.2022 wurden wieder<br />
mehr als 80.000 Einwohner gezählt.<br />
Gegenwärtig zählt der Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld 80.340 Einwohner. 36<br />
Eine erste Bilanz<br />
Trotz aller Geburtswehen entwickelte<br />
sich sehr schnell in der Bevölkerung<br />
des neuen Landkreises Rhön-<br />
Grabfeld ein „Kreisbewusstsein“,<br />
das Gefühl der Zusammengehörigkeit,<br />
der Schicksalsgemeinschaft.<br />
Damit war dem schon frühzeitigen<br />
Bemühen der Kreispolitik, die Gemeinsamkeiten<br />
zu fördern und Unterschiede<br />
auszugleichen, ein erster<br />
Erfolg beschieden.<br />
Gründe für das rasche Zusammenwachsen<br />
waren aber auch darin<br />
zu sehen, dass sich der Landkreis<br />
über Gebiete erstreckt, die in ihrer<br />
vielhundertjährigen Entwicklung<br />
bei wechselhaften, zeitweisen verwirrenden<br />
Besitzverhältnissen immer<br />
wieder eine schicksalhafte<br />
geschichtliche Verflochtenheit be-<br />
36 Einwohnerzahlen des Landkreises Rhön-Grabfeld<br />
von 1972-2022, vom LRA Rhön-Grabfeld z. V.<br />
gestellt<br />
71
72<br />
Landkreiskarte von 1972<br />
wiesen. Wie geschichtsträchtig der<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld ist, erfährt<br />
man auf Schritt und Tritt, allenthalben<br />
werden die Zeugen historischer<br />
Tradition sichtbar: Burgen, Ruinen,<br />
Kirchen, Kapellen, schmucke Dörfer<br />
mit artenreichen Fachwerkhäusern,<br />
zahllose kunstvoll gestaltete Bildstöcke,<br />
da und dort auch Brunnen,<br />
Wegkreuze und Grabdenkmäler der<br />
hier einstmals herrschenden und oft<br />
heute noch bestehenden Adelsgeschlechter.<br />
Nicht zu vergessen das<br />
ausgeprägte Brauchtum und das<br />
reichhaltige Kunst- und Musikschaffen.<br />
Gottfried Miller erinnerte sich<br />
2012: 37 „Mir war klar, dass es eine<br />
ganze Generation braucht, bis Rhön-<br />
Grabfeld zusammengewachsen ist.<br />
Die Stimmung in den drei ehemali-<br />
37 Hanns Friedrich: Miller: „Alle Wasser fließen nach<br />
Neustadt – Gottfried Miller blickt auf das Jahr<br />
1972 zurück. In: 40 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld, Beilage zu den Tageszeitungen<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld 2012
gen Landkreisen war stark geteilt. In<br />
Mellrichstadt und Königshofen wurde<br />
der Verlust der Landratsämter<br />
immer wieder beklagt.“ Ergänzend<br />
fügte Raimund Hennig hinzu: „Die<br />
schlimmsten Befürchtungen der<br />
Bürger sind nicht eingetroffen. Sie<br />
hatten Angst, künftig in einer sterbenden<br />
Stadt zu wohnen, im Grabfeld<br />
zu viele Einwohner zu verlieren<br />
und langsam auszubluten. Das ist<br />
zum Glück nicht geschehen!“<br />
Landrat Dr. Fritz Steigerwald (er<br />
folgte 1976 als Landrat dem 1975<br />
verstorbenen Dr. Karl Grünewald<br />
und war bis 2003 im Amt, bevor<br />
Thomas Habermann sein Nachfolger<br />
wurde) schrieb 1979 im ersten<br />
Rhön-Grabfelder Heimatjahrbuch<br />
38 , das bis in unsere Tage ein<br />
Bindeglied des seit nunmehr einem<br />
halben Jahrhundert bestehenden<br />
Landkreises Rhön-Grabfeld ist:<br />
„Trotz der mit aller Heftigkeit geführten<br />
Diskussion über Sinn und<br />
Zweck sowie Zweckmäßigkeit der<br />
Reform der Kreisebene in der rela-<br />
tiv kurzen Zeit von Januar 1971 an<br />
und erheblicher Widerstände waren<br />
die Ergebnisse insgesamt gesehen<br />
erfreulich. Schon im Februar 1973<br />
konnte der Bayer. Staatsminister<br />
des Innern berichten, dass die Bevölkerung<br />
die Kreisreform akzeptiert<br />
hat und Umstellungsschwierigkeiten<br />
nennenswerter Art dabei<br />
nicht aufgetreten sind. Diese Aussage<br />
kann auch für die Situation<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld gelten,<br />
der heute eine Einheit ist.“<br />
Eine Bilanz zog 1998, also 25 <strong>Jahre</strong><br />
nach dem Zustandekommen der<br />
Kreisgebietsreform, der Kulturreferent<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld,<br />
Josef Kuhn (1918-2005), im<br />
Heimatjahrbuch: 39 „Es kann nicht<br />
geleugnet werden, dass es innerhalb<br />
der Bevölkerung kaum Befürworter<br />
dieser Lösung gab. Es ist dem damaligen<br />
Landrat Dr. Karl Grünewald<br />
und den beiden Abgeordneten Alex<br />
Hösl (MdB) und Hermann Dürbeck<br />
(MdL) zu verdanken, dass man sich<br />
letzten Endes mit ihr abfand. Trotz-<br />
73<br />
38 Dr. Fritz Steigerwald: Der Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
und seine Gemeinden in der Reform. In: Heimatjahrbuch<br />
Rhön-Grabfeld 1979, S. 16 f.<br />
39 Josef Kuhn: 25 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform – Ein Rückblick.<br />
In: Heimatjahrbuch Rhön-Grabfeld 1998,<br />
S. 14 ff.
74<br />
dem ist es erstaunlich, dass dieser<br />
Zusammenschluss ohne größere<br />
Hemmnisse gelang. Freilich war es,<br />
neben der Überzeugungsarbeit der<br />
genannten Persönlichkeiten, auch<br />
die eine oder andere Mitgift, mittels<br />
derer die Eheschließung schmackhafter<br />
gemacht wurde. Dazu gehörte,<br />
dass man Mittel und Wege gefunden<br />
hatte, den Zentralitätsverlust<br />
der ehemaligen Kreisstädte durch<br />
besondere Maßnahmen wenigstens<br />
einigermaßen auszugleichen. Dazu<br />
gehören Krankenhäuser, Schulen,<br />
Behördenstellen oder auch im Falle<br />
von Bad Königshofen die Förderung<br />
des Fremdenverkehrs durch die Anerkennung<br />
als Badestadt. Bei alledem<br />
ist positiv zu werten, dass die<br />
drei Altlandkreise in vielfacher Beziehung<br />
ihre Eigenart und ihr jeweiliges<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
in das neue Gefüge hinübergerettet<br />
haben, ohne dem wachsenden Kreisbewusstsein<br />
Schaden zuzufügen.“<br />
Anlässlich des 40-jährigen Bestehens<br />
des Landkreises 2012 schrieb<br />
Landrat Thomas Habermann: 40<br />
40 Thomas Habermann: Landkreis hat sich gut positioniert.<br />
In: 40 <strong>Jahre</strong> Gebietsreform im Landkreis<br />
„Unser Landkreis ist in den vergangenen<br />
40 <strong>Jahre</strong>n sehr gut zusammengewachsen<br />
und kann auf<br />
eine äußerst positive Entwicklung<br />
zurückschauen. Ein Blick in unsere<br />
Zukunft gibt keinen Anlass zur<br />
Sorge, denn der Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld hat sich gut positioniert<br />
und ist durch seine innovativen<br />
und beständigen Unternehmen, die<br />
hervorragende Infrastruktur, die Zusammenarbeit<br />
mit starken Partnern<br />
sowie dem ausgewogenen Verhältnis<br />
zwischen wirtschaftlicher Entwicklung<br />
und der Erhaltung unseres<br />
natürlichen Lebensraumes bestens<br />
für Herausforderungen der Zukunft<br />
aufgestellt.“<br />
Johann Böhm, langjähriger Stimmkreisabgeordneter<br />
Rhön-Grabfelds<br />
im Bayer. Landtag und von 1994 bis<br />
2003 dessen Präsident, konstatierte<br />
anlässlich des <strong>50</strong>. Jubiläums der<br />
Gebietsreform 2022, dass 1972 mit<br />
dem Landkreis Rhön-Grabfeld, eingebettet<br />
zwischen Rhön und Haßbergen,<br />
eine topographisch sinnvolle<br />
Einheit entstand.<br />
Rhön-Grabfeld, Beilage zu den Tageszeitungen<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld 2012
75
BEVÖ<strong>LK</strong>ERUNGS- UND WIRTSCHAFTS-<br />
ENTWICKLUNG DES LANDKREISES<br />
RHÖN-GRABFELD VON 1973 BIS 2023<br />
DR. JÖRG GEIER<br />
76<br />
ÜBERRASCHUNG:<br />
RHÖN-GRABFELD WÄCHST<br />
Rhön-Grabfeld ist seit seiner Gründung<br />
gewachsen. Die amtliche<br />
Einwohnerstatistik zählte am 01.<br />
Juni 1973 eine Anzahl von 78.061<br />
Einwohnern. 41 Am 01. Juni 2022<br />
wurden amtlich 80.340 Einwohner<br />
gezählt. 42 Ein Zuwachs um mehr als<br />
2.000 Personen. Dieses Fazit lässt<br />
aufhorchen, suggerieren Nachrichten<br />
doch, der ländliche Raum<br />
schrumpfe oder blute gar aus. So<br />
wies die Main-Post zuletzt im Januar<br />
2022 in einem Artikel darauf<br />
hin, dass die Bevölkerung im Jahr<br />
2022 und in den folgenden <strong>Jahre</strong>n<br />
drastisch sinken würde, und berief<br />
sich auf eine Prognose des Statistischen<br />
Landesamtes. 43 Die amt-<br />
41 Landratsamt Rhön-Grabfeld, Einwohnermeldedaten<br />
1973.<br />
42 Landratsamt Rhön-Grabfeld, Einwohnermeldedaten<br />
2022.<br />
43 Pfeuffer, Thomas (2022): Rhön-Grabfelder werden<br />
weniger, älter und internationaler. IN: Main-Post
lichen Einwohnermeldezahlen der<br />
landkreisangehörigen Kommunen<br />
belegen jedoch, dass die Bevölkerungsanzahl<br />
von 2021 auf 2022 von<br />
79.452 auf 80.340 anstieg. Eine signifikant<br />
hohe Zuwachsrate. Auch<br />
die überregionalen Medien neigen<br />
zur Ignoranz der faktischen Zahlen<br />
und produzieren Sendungen wie<br />
„Der Ort, an dem keiner wohnen<br />
will“ 44 und skizzieren eine schrumpfende<br />
Gesellschaft, die es so nicht<br />
gibt.<br />
Richtig ist: Deutschlands natürliche<br />
Bevölkerung ist rückläufig. Das bedeutet,<br />
dass die Geburtenzahlen<br />
rückläufig sind. Dem gegenüber<br />
stehen aber Zuwanderungszahlen,<br />
die statistisch nicht nur genügen,<br />
um die ausbleibenden Geburten zu<br />
kompensieren, sondern deutschlandweit<br />
auch einen Bevölkerungsanstieg<br />
bedingen; dies gilt für das<br />
Zuwanderungsland Bayern in bevom<br />
26. Januar 2022.<br />
URL: https://www.mainpost.de/regional/rhoengrabfeld/rhoen-grabfelder-werden-weniger-aelterund-internationaler-art-10718065<br />
44 Bayerischer Rundfunk (2014): ausgerechnet. Der<br />
Ort, an dem keiner wohnen will.<br />
URL: https://www.br.de/mediathek/video/ausgerechnet-der-ort-an-dem-keiner-wohnen-willav:585d9fed3e2f290012954dab<br />
sonderem Maße. Dieser Anstieg<br />
verteilt sich jedoch nicht gleichmäßig,<br />
sondern konzentriert sich auf<br />
ausgewählte Regionen in Deutschland,<br />
die eine überdurchschnittliche<br />
Attraktivität aus Sicht der<br />
Zuwanderergruppen ausstrahlen.<br />
Typische Zuwanderergebiete sind<br />
die dynamischen Wirtschaftsmetropolen<br />
der Bundesrepublik wie<br />
die Metropolregionen Frankfurt,<br />
München und Hamburg. Aber auch<br />
ländliche Regionen zählen zu den<br />
Gewinnern, so auch Rhön-Grabfeld.<br />
So berichtete der Focus im November<br />
2022, dass die Rhön-Grabfelder<br />
Kreisstadt Bad Neustadt a. d. Saale<br />
inklusive ihres Umlandes zur bundesweit<br />
zweit-attraktivsten Stadt<br />
für Senioren gehöre. 45 Dementsprechend<br />
erklärt sich ein bundesweit<br />
überdurchschnittlicher Zuzug<br />
der Bevölkerungsgruppe der über<br />
65-Jährigen. Rhön-Grabfeld profitiert<br />
dabei nicht nur von Neuzuwanderern,<br />
sondern erlebt eine starke<br />
45 Focus (2022): Norden, Süden, Osten oder Westen?<br />
4 Grafiken zeigen, wo Senioren in Deutschland<br />
am besten leben.<br />
URL: https://www.focus.de/perspektiven/<br />
norden-sueden-osten-oder-westen-4-grafikenzeigen-wo-senioren-in-deutschland-am-bestenleben_id_180377119.html<br />
77
78<br />
Tendenz der Rückkehrwilligen. Viele<br />
Menschen, die ihr Berufsleben in<br />
europäischen Verdichtungsräumen<br />
gelebt haben, kehren nach ihrer aktiven<br />
Berufslaufbahn zurück in ihre<br />
Heimat. Aber nicht nur die Senioren<br />
suchen den ländlichen Raum.<br />
Schon vor der Corona-Pandemie<br />
zeichneten sich Tendenzen der<br />
Suburbanisierung und der Deurbanisierung<br />
ab. 46 So verzeichnet das<br />
Ruhrgebiet, Deutschlands größter<br />
Verdichtungsraum, rückläufige<br />
Zahlen, in Rhön-Grabfeld hingegen<br />
ist ein Wachstum nachweisbar.<br />
Diese Entwicklung kommt nicht<br />
überraschend, denn im Wettbewerb<br />
der Regionen Europas und Deutschlands<br />
zeigt sich bereits seit 2008,<br />
dass Rhön-Grabfelds Wirtschaftsdynamik<br />
überdurchschnittlich<br />
ist. Der Landkreis gilt als Hidden<br />
Champion – ein Geheimtipp, der<br />
nicht allzu geheim ist, da bundesweite<br />
Medien wie die Bild-Zeitung,<br />
das Handelsblatt und große Tageszeitungen<br />
immer wieder über Ran-<br />
46 ARD (2022): Meldung der Tagesschau vom<br />
05.12.2022: Viele Menschen verlassen die Großstädte.<br />
URL: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/abwanderung-grossstaedte-101.html<br />
kings wie den Zukunftsatlas und<br />
die Lebenswertstudie berichten. 47<br />
So zählt Rhön-Grabfeld seit <strong>Jahre</strong>n<br />
zu den Top-Aufsteigern unter den<br />
kreisfreien Städten und Landkreisen<br />
der Bundesrepublik Deutschland,<br />
wie u. a. der Zukunftsatlas<br />
2016 belegt. 48<br />
47 Steinle, Wolfgang J. (2014): Focus Lebenswertstudie<br />
Deutschland. Die 402 Kreise und kreisfreien<br />
Städte im Vergleich. Köln.<br />
48 Prognos AG: Zukunftsatlas 2016 – das Ranking für<br />
Deutschlands Regionen. Berlin.<br />
URL: https://www.prognos.com/sites/default/<br />
files/2021-02/prognos_zukunftsatlas_2016_auf_<br />
einen_blick.pdf
79<br />
Abbildung 1: Die 10 Aufsteiger: Rang 2016 gegenüber 2004<br />
Quelle: Zukunftsatlas 2016, Seite 9.
80<br />
Der Blick auf die Einwohnerstatistik<br />
Bei genauerer Betrachtung der regionalen<br />
Einwohnerstatistik lassen<br />
sich seit 1973 Fluktuationen erkennen,<br />
die auf überregionale, zum Teil<br />
globale und gesamtgesellschaftliche<br />
Phänomene zurückzuführen<br />
sein dürften. Zum einen wirken globale<br />
Krisen auf die globale Bevölkerungsmobilität<br />
ein und beeinflussen<br />
so Wanderungsbewegungen. Zum<br />
anderen vollzieht sich der demographische<br />
Wandel überall in der Europäischen<br />
Union. Regional um einige<br />
<strong>Jahre</strong> versetzt zeigt sich, dass die<br />
Generation der sogenannten Baby-<br />
Boomer, d. h. der Menschen in Europa<br />
und Nordamerika, die im Nachkriegszeitraum<br />
bis 1964 geboren<br />
wurden und besonders geburtsstarken<br />
Jahrgängen angehören, im Verhältnis<br />
kinderarm geblieben ist und<br />
sich die Struktur der Bevölkerungsverteilung<br />
deutlich verändert hat. 49<br />
Die ursprünglich als Pyramiden abgebildeten<br />
Bevölkerungsstatistiken<br />
wurden im Laufe der Jahrzehnte<br />
immer mehr zur urnenartigen Säule,<br />
so auch in Rhön-Grabfeld. Die<br />
eigentliche Bevölkerungsentwicklung<br />
des Landkreises folgt seit den<br />
1970er <strong>Jahre</strong>n insgesamt einem<br />
Aufwärtstrend und entspricht damit<br />
der gesamtdeutschen Entwicklung.<br />
Wie überall in der Bundesrepublik<br />
sind auch in der regionalen Statistik<br />
die klassischen „Peaks“, wie die<br />
Ölkrise zu Beginn der 1970er <strong>Jahre</strong><br />
und vor allem der Fall des Eisernen<br />
Vorhangs im Jahr 1989, ablesbar.<br />
49 von Becker, Bernhard (2014): Babyboomer. Die<br />
Generation der vielen. Frankfurt 2014.
81<br />
Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld seit<br />
1973<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach harmonisierten<br />
Einwohnermeldedaten der<br />
kreisangehörigen Gemeinden des Landkreises<br />
Rhön-Grabfeld. <strong>50</strong><br />
So setzt der Prozess der Wiedervereinigung<br />
und die Öffnung der Staa-<br />
<strong>50</strong> Der Landkreis Rhön-Grabfeld wurde in seiner<br />
Gebietskulisse nach seiner Gründung modifiziert<br />
und bis 1978 um die Gemeinden Strahlungen<br />
und Burglauer ergänzt. Die hier erwähnten Zahlenreihen<br />
rechnen die Gemeindewerte der beiden<br />
Kommunen Strahlungen und Burglauer gleich<br />
mit ein, um die zeitlichen Entwicklungspfade einheitlich<br />
darstellen zu können.<br />
ten Osteuropas auch für Rhön-Grabfeld<br />
Zeichen. Der einstige Landkreis<br />
im Zonenrandgebiet rückt ins räumliche<br />
Zentrum der vergrößerten<br />
Bundesrepublik und profitiert vom<br />
Zuzug aus den neuen Bundesländern<br />
und aus Osteuropa. In dieser<br />
Zeit der innereuropäischen Wanderungsbewegung<br />
erlebt der Landkreis<br />
mit 86.928 gemeldeten Einwohnern<br />
am 01. Juni 1999 seinen<br />
vorläufigen Spitzenwert. In den folgenden<br />
<strong>Jahre</strong>n schrumpft der Landkreis<br />
im deutschlandweiten Trend<br />
gleichsam wieder, unterschreitet<br />
aber selbst in Folge der Weltfinanz-
82<br />
krise 2007/08 nicht das Niveau<br />
vom 01. Juni 1989. Der damalige<br />
Wert von 78.389 Einwohnern wird<br />
zu keiner Zeit unterschritten. Dies<br />
belegt, dass ein grundsätzliches<br />
Bevölkerungswachstum, bereinigt<br />
um das vom Fall des Eisernen Vorhangs<br />
ausgelöste Migrationsgeschehen,<br />
festgestellt werden kann.<br />
In einer mehrjährigen Phase der<br />
Stagnation zeichnet sich 2022 ein<br />
Bevölkerungsanstieg ab, der am 01.<br />
Juni 2022 eine Einwohnerzahl von<br />
80.340 zählen lässt. 51 Dieser Wert<br />
ist zum einen das Ergebnis einer<br />
leichten Zuwanderung, teils aufgrund<br />
von weltweiten Flüchtlingsbewegungen,<br />
teils als Resultat der<br />
Mobilität von Arbeitssuchenden.<br />
Zum anderen lässt sich dieser Positivtrend<br />
mit einer wachsenden Geburtenzahl<br />
erklären.<br />
Der Blick auf die Entwicklung der<br />
Arbeitswelt<br />
Die vorgenannte Positiventwicklung<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld<br />
lässt sich auch mit Blick auf<br />
die harmonisierten Daten der<br />
Arbeitsmarktstatistiken ablesen.<br />
Auch die absolute Anzahl an sozialsteuerpflichtigen<br />
Arbeitsplätzen ist<br />
von rund 35.900 im Jahr 1970 auf<br />
43.800 im Jahr 2021 angestiegen.<br />
Einem Anstieg von knapp 2.000 Einwohnern<br />
steht ein Anstieg von fast<br />
8.000 Arbeitsplätzen gegenüber,<br />
und das, obgleich sich die Anzahl<br />
der Rentner in den letzten <strong>Jahre</strong>n<br />
stetig erhöht hat.<br />
51 Landratsamt Rhön-Grabfeld, Einwohnermeldedaten<br />
2022.
83<br />
Abbildung 3: Entwicklung der Anzahl der<br />
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld seit<br />
1970<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach harmonisierten<br />
Daten des Statistischen<br />
Landesamtes Bayern 2022.<br />
Dieser starke Anstieg ist zum einen<br />
der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
Rhön-Grabfelds zu verdanken und<br />
zum anderen dem gesamtgesellschaftlichen<br />
Wandel. In den letzten<br />
fünf Dekaden hat die Rolle der Frau<br />
stark zugenommen. Auch in Rhön-<br />
Grabfeld wächst die Anzahl der Arbeitsplätze<br />
geschlechterspezifisch<br />
unterschiedlich. Der Anzahl der<br />
Arbeitnehmerinnen wächst stärker<br />
als die Anzahl der Arbeitnehmer.<br />
Mit einem Anteil von 62,4 % bei den<br />
Arbeitnehmerinnen entspricht der<br />
Landkreis damit voll dem bayerischen<br />
Trend.
84<br />
Abbildung 4: Beschäftigungsquoten<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld von 2007<br />
bis 2022<br />
Quelle: Bundesministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend 2023.<br />
Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigten bezieht<br />
sich indes nicht nur auf Vollzeitarbeitsplätze.<br />
Der absolute Anstieg<br />
der Arbeitsplatzzahlen resultiert<br />
auch aus der gesellschaftlichen<br />
Entwicklung heraus, dass immer<br />
mehr Menschen Teilzeitstellen<br />
wahrnehmen. Diese Entwicklung ist<br />
ein typischer Trend, der bundesweit<br />
- regional in unterschiedlicher Ausprägung<br />
- feststellbar ist. Bundesweit<br />
arbeiteten im Jahr 2010 rund<br />
64 % der sozialversicherungspflichtig<br />
beschäftigten Mütter in Teilzeit.<br />
Zehn <strong>Jahre</strong> später wuchs der Anteil<br />
auf rund 66 %. Die Werte der Väter<br />
stiegen bundesweit im selben<br />
Zeitraum von 5 auf 7 %. 52 In Rhön-<br />
Grabfeld ist der Anteil der Mütter in<br />
52 Statistisches Bundesamt (2022): 66 % der erwerbstätigen<br />
Mütter arbeiten Teilzeit, aber nur 7<br />
% der Väter. Pressemitteilung Nr. N 012 vom 7.<br />
März 2022. Wiesbaden.
Teilzeitbeschäftigung mit 55,3 % im<br />
Beispieljahr 2019 niedriger. Überraschenderweise<br />
kompensiert der<br />
Wert der teilzeitbeschäftigten Väter<br />
mit 11 % klar den Wert, zeigt aber<br />
eine Signifikanz gegenüber dem<br />
bundesdeutschen Durchschnittswert<br />
im Vergleichszeitraum, für<br />
den es keine stichhaltige Erklärung<br />
zu geben scheint. Eine ähnliche<br />
Verteilung mit überdurchschnittlicher<br />
Quotierung bei den Vätern ist<br />
eigentlich ein Merkmal in urbanen<br />
Räumen und ein Ausreißer im ländlich<br />
geprägten Umfeld.<br />
Entwicklung der Branchenstruktur<br />
Der strukturelle Blick auf den Arbeitsmarkt<br />
lässt nicht nur Rückschlüsse<br />
auf die gesellschaftlichen<br />
und demografischen Entwicklungen<br />
zu, sondern gibt auch Hinweise<br />
auf die Systemtransformation der<br />
Arbeitswelt. Seit den Nachkriegsjahren<br />
erleben wir in Deutschland<br />
eine Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft.<br />
Automatisierungen<br />
und Effizienzsteigerungen<br />
in der Landwirtschaft und im produzierenden<br />
Gewerbe sorgen für<br />
einen relativen und absoluten Zuwachs<br />
der Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor.<br />
Erwartungsgemäß schrumpft die<br />
Anzahl der Arbeitnehmer im primären<br />
Sektor. Entgegen des Trends<br />
stagniert jedoch der Arbeitsmarkt<br />
im sekundären Sektor. Dies weist<br />
auf den Charakter Rhön-Grabfelds<br />
als industriell starker Wirtschaftsstandort<br />
hin.<br />
85
86<br />
Abbildung 5: Entwicklung der Erwerbstätigen<br />
in Rhön-Grabfeld nach Sektoren<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach harmonisierten<br />
Daten des Bayerischen<br />
Landesamtes für Statistik 2022.<br />
Entlang der Entwicklungsachse<br />
A71, die zweifelsohne die bleibende<br />
Wirtschaftsstärke im Landkreis<br />
positiv umrahmt, bilden große,<br />
langjährig erfolgreiche Akteure die<br />
Basis der Stabilität. So feierten alleine<br />
2019 jeweils die drei großen,<br />
mittelständisch geführten Unternehmen<br />
Jopp, Preh und Reich ihr<br />
100-jähriges Bestehen. Wie der<br />
Landkreis selbst, passten sich<br />
die Unternehmen immer wieder<br />
den dynamischen Anforderungen<br />
des Marktes an und entwickelten<br />
sich. So produzierte zum Beispiel<br />
das Mellrichstädter Unternehmen<br />
Reich zu Zeiten der Landkreisgründung<br />
Fahrradklingeln. Inzwischen<br />
werden in den Werkhallen
87<br />
Abbildung 6: Entwicklungszentrum der<br />
Jopp GmbH im Sommer 2019 in<br />
Bad Neustadt<br />
Quelle: Jopp GmbH, Entwicklungszentrum,<br />
Marius Ballasus, 2019.<br />
hochkomplexe Fahrzeug- und<br />
Werkzeugkomponenten entwickelt<br />
und produziert. 53 Diese Änderung<br />
der Produktion im Sinne dynami-<br />
53 Reich, André und Reich, Nina (HRSG/ 2019): Das<br />
Familienunternehmen Reich – eine Zeitreise<br />
durch 100 <strong>Jahre</strong>. Mellrichstadt.<br />
scher Marktanpassungsstrategien<br />
lässt sich auch in den anderen großen<br />
Unternehmen in Rhön-Grabfeld<br />
beobachten. 54 So werden auch die<br />
Jopp-Werke in Bad Neustadt kontinuierlich<br />
modernisiert und erleben<br />
mit der Einweihung des neuen<br />
Entwicklungszentrums der Jopp<br />
GmbH am Standort Bad Neustadt<br />
im 100. Jahr der Firmengeschichte<br />
ein vorläufiges Highlight.<br />
54 Büchs, Hubert und Kritzer, Stefan (2019): 100<br />
<strong>Jahre</strong> Jopp in Bad Neustadt. Mellrichstadt.
88<br />
Zeitgleich entwickelt sich das Bad<br />
Neustädter Unternehmen Preh von<br />
einem Zulieferer für die TV- und Radioelektronik<br />
zu einem Automotive-<br />
Konzern, der weltweit über 7.000<br />
Mitarbeiter beschäftigt und mit<br />
einem <strong>Jahre</strong>sumsatz von 1,34 Mrd.<br />
Euro inzwischen den Sprung in die<br />
Riege der multinationalen Player<br />
vollzogen hat. Dieser wirtschaftliche<br />
Erfolg lässt sich auch baulich<br />
am Werkgelände des Firmensitzes<br />
Preh ablesen. Stetige Modernisierungsmaßnahmen<br />
und Erweiterungen<br />
dokumentieren das Wachstum.<br />
Abbildung 7: Das im Jahr 2018 eröffnete<br />
Entwicklungszentrum der Firma Preh<br />
GmbH<br />
Quelle: Preh GmbH, Entwicklungszentrum,<br />
Ronald Schaare, 2019.<br />
Erfreulich ist die Tatsache, dass sich<br />
der Fortschritt im Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld nicht nur auf einen Standort<br />
konzentriert, sondern auch in<br />
kleineren Ortschaften jenseits der<br />
Hauptverkehrswege dokumentiert<br />
werden kann. Ein gutes Beispiel für<br />
die dezentrale Entwicklung ist das
89<br />
Gewerbegebiet Großbardorf. Hier<br />
finden Handwerk, Maschinenbau<br />
und Bioenergieerzeugung gleichsam<br />
Entwicklungsraum und stoßen<br />
dabei auf deutschlandweite Beachtung,<br />
da es vor Ort vorbildlich gelingt,<br />
den Ausbau von regenerativen<br />
Energien zeitgleich zur wirtschaftlichen<br />
Expansion zu gestalten. 55<br />
55 Wienand, Alisa (2022): Keine Energie-Sorgen:<br />
Großbardorf ist unabhängig von Erdgas. TV-Beitrag<br />
des Bayerischen Rundfunks vom 08. Juli<br />
2022.<br />
URL: https://www.br.de/nachrichten/bayern/keine-energie-sorgen-grossbardorf-ist-unabhaengigvon-erdgas,TAvSszE<br />
Abbildung 8: Das Gewerbegebiet von<br />
Großbardorf im Grabfeld<br />
Quelle: Landkreis Rhön-Grabfeld/<br />
©Dr. Jörg Geier<br />
Auch andere mittelständisch geprägte<br />
Unternehmen wie Caldatrac,<br />
Steinbach und Kunert investieren<br />
stetig und agieren zunehmend wissensintensiv.<br />
Während Rhön-Grabfeld<br />
zu seinen Gründungstagen in<br />
den 1970ern bis in die 1990er <strong>Jahre</strong><br />
hinein als Raum mit wirtschaftlicher<br />
Strukturschwäche klassifiziert wer-
90<br />
den konnte 56 , erfährt der Landkreis<br />
vor allem entlang seiner Entwicklungsachse<br />
eine hohe Dynamik. So<br />
entwickelten sich einige Gewerbegebiete<br />
in den letzten <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n äußerst<br />
dynamisch. Das interkommunale<br />
Gewerbegebiet der Gemeinden<br />
Salz und Niederlauer wächst stetig,<br />
ebenso wie das Gewerbegebiet Loh<br />
in Mellrichstadt. Hierbei ist festzustellen,<br />
dass die Gewerbegebiete<br />
keine Monostrukturen darstellen,<br />
56 Gutsche, Heimar, Pokorny, Doris, Schuster,<br />
Hans-Jürgen et.al. (1995): Biosphärenreservat<br />
Rhön. Rahmenkonzept für Schutz, Pflege und<br />
Entwicklung. Radebeul.<br />
Abbildung 9: Luftaufnahme des<br />
Gewerbegebietes Loh in Mellrichstadt<br />
Quelle: Landkreis Rhön-Grabfeld/<br />
©Dr. Jörg Geier<br />
sondern einen breit aufgestellten<br />
Branchenmix aus Produktion, Logistik<br />
und Handel aufweisen.<br />
Die Unternehmen bauen zielstrebig<br />
Abteilungen für die Bereiche Forschung<br />
und Entwicklung aus und<br />
positionieren sich wettbewerbsfähig<br />
auf dem Weltmarkt. Auch die
91<br />
Rhön-Grabfelder Standorte großer,<br />
multinational operierender Unternehmen<br />
passen sich immer wieder<br />
an und verändern ihre Produktportfolios.<br />
Die Siemens AG etablierte<br />
beispielsweise im Jahr 2017 die<br />
„Digitale Arena“ als konzerneigenen<br />
Showroom für neue Wege der<br />
industriellen, digitalisierten Produktion.<br />
57<br />
57 Geier, Jörg (2022): Bad Neustadt a. d. Saale – die<br />
Erste Bayerische Modellstadt für Elektromobilität.<br />
IN: Bayerischer Landesverein für Heimatpflege<br />
e.V.: Schönere Heimat, Jahrgang 111, Heft<br />
2, S. 107-113.<br />
Abbildung 10: Digitale Arena der Firma<br />
Siemens am Standort Bad Neustadt<br />
Quelle: Siemens AG, Digitale Arena,<br />
Anja Schmidt, 2023.<br />
Mit der Gründung des Technologietransferzentrums<br />
für Elektromobilität<br />
im <strong>Jahre</strong> 2012 avancierte die<br />
Kreisstadt Bad Neustadt zum Hochschulstandort.<br />
Angegliedert an die<br />
Technische Hochschule Würzburg-<br />
Schweinfurt, bindet das Institut vornehmlich<br />
die regionale Wirtschaft<br />
in Forschungs- und Entwicklungs-
92<br />
projekte ein und sucht sich immer<br />
wieder neue Aufgaben in den Bereichen<br />
Batteriemanagement und<br />
Leistungselektronik. Der Aktionsradius<br />
der Hochschuleinrichtung in<br />
Rhön-Grabfeld reicht jedoch weit,<br />
so dass die regionale Verankerung<br />
der internationalen Vernetzung keinesfalls<br />
im Wege steht. Nicht nur in<br />
anwendungsbezogenen, sondern<br />
auch in akademischen Themen arbeitet<br />
man von Rhön-Grabfeld aus<br />
international. 58<br />
Entsprechend der hinzugewonnenen<br />
Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte<br />
überrascht es nicht,<br />
dass sich die Anzahl der Arbeitsplätze<br />
im Dienstleistungssegment<br />
in den vergangenen fünf Dekaden<br />
mehr als verdoppelt hat, wie Abbildung<br />
5 darstellt. Die zunehmende<br />
Teilzeitquote, die in der Verwaltung<br />
und im Handel ebenfalls zu beobachten<br />
ist, fördert den Bedeutungs-<br />
58 Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt<br />
(2023): Technologietransferzentrum Elektromobilität:<br />
die ersten Doktortitel im Bereich Batteriesysteme.<br />
Pressemeldung vom 10. Januar 2023.<br />
URL: https://www.thws.de/service/news-presse/<br />
pressemeldungen/thema/technologietransferzentrum-elektromobilitaet-die-ersten-doktortitelim-bereich-batteriesysteme/<br />
gewinn des tertiären Sektors auf<br />
dem Arbeitsmarkt. Bei all der positiven<br />
Entwicklung im produzierenden<br />
Gewerbe, gibt jedoch ein Blick auf<br />
einige Branchen, vor allem auf das<br />
Handwerk, Anlass zur Sorge. Und<br />
das, obwohl die Unternehmen fachlich<br />
und technisch auf sehr hohem<br />
Niveau agieren. Der zunehmende<br />
Mangel an Arbeitskräften schlägt<br />
sich im Gesundheitswesen, im Gastronomiebereich,<br />
dem Beherbergungsgewerbe<br />
und im Handwerk<br />
im Besonderen nieder. So haben<br />
sich die Zahlen der Auszubildenden<br />
im Handwerk alleine von 1991 bis<br />
2021 nahezu halbiert.<br />
Während man mit Blick auf die Datenlage<br />
bis Mitte der 1990er <strong>Jahre</strong><br />
von stabilen, im Trend liegenden<br />
Werten ausgehen konnte, schwindet<br />
kurz vor der Jahrtausendwende<br />
erkennbar das Interesse an handwerklichen<br />
Berufen. Der durch den<br />
demografischen Wandel ausgelöste<br />
Mangel an Auszubildenden<br />
macht sich besonders im Handwerk<br />
bemerkbar, während andere wirtschaftliche<br />
Sparten durchaus weiterhin<br />
auf ihren jeweiligen Niveaus
93<br />
Abbildung 11: Regionale Entwicklung der Auszubildenden im Handwerk seit 1971<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach harmonisierten, statistischen Daten der<br />
Handwerkskammer für Unterfranken, 2023.<br />
ausbilden können. Der Mangel manifestiert<br />
sich im Handwerk und<br />
man geht mittlerweile davon aus,<br />
dass die Begeisterung für körperliche<br />
Arbeit überdurchschnittlich<br />
schrumpfte. 59 Da Rhön-Grabfeld<br />
und ganz Unterfranken traditionell<br />
mittelständisch geprägt sind, hat<br />
59 Riedl, Markus (2019): Erfolglose Azubi-Suche: Woran<br />
Betriebe scheitern. IN: Deutsche Handwerkszeitung<br />
vom 13. November 2019.<br />
das Handwerk in seiner Bedeutung<br />
für den regionalen Arbeitsmarkt<br />
eine signifikant über dem bundesdeutschen<br />
Durchschnitt liegende<br />
Relevanz.<br />
So haben regionale Vertreter des<br />
Tourismus und der Gesundheitsbranche<br />
längst damit begonnen,<br />
den fehlenden Arbeitskräftebedarf<br />
durch externes Potenzial zu decken.<br />
Unternehmen wie das Rhön
94<br />
Park Hotel bei Hausen/Roth oder<br />
die Rhön-Klinikum AG wenden professionelle<br />
Recruiting-Methoden<br />
an, um Arbeitskräfte aus dem Ausland<br />
für vakante Stellen in Rhön-<br />
Grabfeld zu interessieren. 60 So<br />
leisten einige der größeren Player<br />
in den besonders betroffenen Branchen<br />
Pionierarbeit und initiieren<br />
einen Zuzug von Arbeitskräften, der<br />
sich mittelfristig positiv auf die Bevölkerungsstatistik<br />
auswirken kann<br />
und einer natürlichen Schrumpfung<br />
im Zuge der demografischen Entwicklung<br />
durchaus effektiv entgegenwirken<br />
kann.<br />
Abschließend weicht die Überraschung<br />
der Gewissheit:<br />
Rhön-Grabfeld wächst.<br />
60 Knauer, Nina (2020): Indische Pflegekräfte verstärken<br />
Team des Campus Bad Neustadt. IN:<br />
Main-Ppost vom 16. April 2020.
95
DIE ENTWICKLUNG DER LIEGEN-<br />
SCHAFTEN DES LANDKREISES IM<br />
BAU- UND UMWELTBEREICH<br />
MANFRED ENDRES<br />
96<br />
DIE HERAUSFORDERUNGEN<br />
WERDEN NEUE<br />
MASSNAHMEN UND<br />
METHODEN ERFORDERN.<br />
Nach der Landkreisordnung haben<br />
die Landkreise das Recht und damit<br />
verbunden die Aufgabe, überörtliche<br />
Angelegenheiten, deren Bedeutung<br />
über das Kreisgebiet nicht hinausgeht,<br />
im Rahmen der Gesetze zu<br />
ordnen und zu verwalten 1 . Grundsätzlich<br />
sind dies die öffentlichen<br />
Aufgaben, die über die Zuständigkeit<br />
und das Leistungsvermögen<br />
der kreisangehörigen Gemeinden<br />
hinausgehen. Deshalb müssen die<br />
Landkreise die öffentlichen Einrichtungen<br />
schaffen, die für das wirtschaftliche,<br />
soziale und kulturelle<br />
Wohl ihrer Einwohner erforderlich<br />
sind 2 . So sind in der Landkreisordnung<br />
u. a. die Straßenverwaltung,<br />
die Feuersicherheit und das Gesundheitswesen<br />
namentlich genannt.<br />
1 Art. 1 Bayerische Landkreisordnung (<strong>LK</strong>rO)<br />
2 Art. 51 Abs. 1 <strong>LK</strong>rO
Darüber hinaus gibt es noch weitere<br />
Aufgaben, die in Fachgesetzen – wie<br />
z. B. dem Bayerischen Naturschutzgesetz<br />
– dem Landkreis zugeordnet<br />
sind. Um diese Aufgaben zu erfüllen,<br />
musste bzw. muss der Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld zahlreiche Einrichtungen<br />
schaffen und unterhalten.<br />
Folglich verfügt der Landkreis über<br />
zahlreiche Liegenschaften, auf<br />
denen zur Aufgabenerfüllung kreiseigene<br />
Einrichtungen betrieben werden.<br />
Naturgemäß bedingt dies eine<br />
umfangreiche Grunderwerbs- und<br />
Bautätigkeit.<br />
Im folgenden Beitrag, der keinen<br />
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt,<br />
soll ein Überblick über die<br />
Liegenschaften des Landkreises<br />
gegeben werden, wobei der Fokus<br />
auf den Bau- und Umweltbereich<br />
gerichtet ist.<br />
Baumaßnahmen zur Herstellung<br />
einer leistungsfähigen Landkreisverwaltung<br />
Nach der Zusammenlegung der drei<br />
Landkreise Königshofen, Mellrichstadt<br />
und Bad Neustadt war es eine<br />
der ersten Aufgaben, die bis zur Gebietsreform<br />
bestehenden Kreiseinrichtungen<br />
(die es in der Regel in<br />
dreifacher Ausführung gab), soweit<br />
es sinnvoll und möglich erschien,<br />
so zusammenzuführen, dass zeitgemäße<br />
neue Strukturen entstehen<br />
konnten. Als erstes galt es, die<br />
Landkreisverwaltung zu vereinen,<br />
was nach dem Abschluss der Landkreisgebietsreform<br />
zielstrebig angegangen<br />
wurde.<br />
Im Kreistag des neuen Landkreises<br />
wurde zunächst eine Bestandsaufnahme<br />
durchgeführt, was an<br />
Kreiseinrichtungen in den drei Altlandkreisen<br />
vorhanden war. Beim<br />
Lesen des Protokolls der Kreistagssitzung<br />
vom 30. August 1972, die in<br />
Bad Königshofen stattfand, meint<br />
man, den Stolz von Landrat Dr. Karl<br />
Grünewald zu spüren, welche modernen<br />
und gut geführten Kreiseinrichtungen<br />
in dem bisher von ihm<br />
geführten Landkreis Königshofen<br />
vorhanden sind 3 .<br />
Nachdem die Entscheidung getroffen<br />
war, das Landratsamt und an-<br />
3 Protokoll der Kreistagssitzung vom 30.08.1972<br />
TOP 1<br />
97
98<br />
dere Verwaltungseinrichtungen in<br />
der Kreisstadt Bad Neustadt anzusiedeln<br />
4 , war eine wichtige kommunalpolitische<br />
Aufgabe, abzuklären,<br />
wie die ehemaligen Kreisstädte Bad<br />
Königshofen und Mellrichstadt für<br />
den Verlust an Zentralität einen Ausgleich<br />
erhalten können. So wurde<br />
als Ziel für Bad Königshofen formuliert,<br />
die Stadt zur Kur-, Fremdenverkehrs-<br />
und Schulstadt auszubauen.<br />
Die ehemalige Kreisstadt Mellrichstadt<br />
sollte als Standort zentraler<br />
Behörden für den Verlust des Landratsamtes<br />
entschädigt werden 5 .<br />
Die nicht mehr benötigten Gebäude,<br />
in denen die Landratsämter in<br />
Bad Königshofen und Mellrichstadt<br />
untergebracht waren, wurden im<br />
Laufe der <strong>Jahre</strong> an die neu gegründeten<br />
Verwaltungsgemeinschaften<br />
veräußert und dienten damit weiter<br />
der öffentlichen Verwaltung. In<br />
Mellrichstadt hat die Verwaltungsgemeinschaft<br />
bis heute ihr Domizil<br />
im einstigen Landratsamt in der<br />
Hauptstraße 4.<br />
4 Protokoll der Kreistagssitzung vom 21.11.1972<br />
TOP 1<br />
5 Protokoll der Kreistagssitzung vom 28.02.1973<br />
TOP 2<br />
Das Bestreben der Landkreisführung<br />
war stets, die Verwaltung<br />
möglichst zentral und zusammengefasst<br />
unterzubringen. Hierzu<br />
wurden im Umgriff des Landratsamtes<br />
in der Spörleinstraße in Bad<br />
Neustadt mehrere Käufe getätigt<br />
und Erweiterungsmaßnahmen<br />
durchgeführt.<br />
Ein erster Schritt war der Erwerb<br />
des ehemaligen Juliusspitals in<br />
der Roßmarktstraße 6 . Das Gebäude<br />
wurde in der darauffolgenden Zeit<br />
saniert und diente zunächst zur<br />
Unterbringung des Bauamtes und<br />
der Technischen Bauabteilung des<br />
Landratsamtes. Später wurde das<br />
historische Gebäude vom Jugendamt<br />
bezogen.<br />
Ab dem Jahr 1993 gab es Überlegungen<br />
zur Umgestaltung des in<br />
die <strong>Jahre</strong> gekommenen Eingangsbereiches<br />
des Landratsamtes.<br />
Im Jahr 1994 fasste der Kreisausschuss<br />
den Beschluss für die<br />
Durchführung der Baumaßnahme.<br />
Der Maßnahmenumfang wurde<br />
1995 noch erweitert und mit einer<br />
6 Protokoll Kreisausschuss vom 25.06.1985, TOP 18
Aufstockung des Verbindungsbaus<br />
wurden zusätzliche Büroflächen<br />
geschaffen. Ergebnis dieser Baumaßnahme<br />
ist u. a. der markante<br />
Glasbau am Haupteingang, der des<br />
Öfteren auch als „Lippenstift“ bezeichnet<br />
wurde.<br />
Eine wichtige Maßnahme zur Linderung<br />
der chronischen Raumnot war<br />
der Ankauf von Büroflächen im geplanten<br />
Ämtergebäude in der Roßmarktstraße,<br />
der 1997 beschlossen<br />
wurde 7 . Um die Anbindung des<br />
Ämtergebäudes an das Haupthaus<br />
zu verbessern, wurde im Jahr 1998<br />
damit begonnen, eine Verbindungsbrücke<br />
zwischen den beiden Gebäudetrakten<br />
zu schaffen. Dieses<br />
Bauwerk, das von Spöttern mitunter<br />
auch als „höhere Beamtenlaufbahn“<br />
betitelt wird, stellt ein weiteres architektonisches<br />
Ausrufezeichen in Bad<br />
Neustadts Innenstadt dar. Die Bauträgerin<br />
für das Ämtergebäude meldete<br />
bereits kurz nach Fertigstellung<br />
des Gebäudes Insolvenz an. Nach<br />
langwierigen Verhandlungen übernahm<br />
der Landkreis als Hauptnutzer<br />
schließlich die Liegenschaft.<br />
7 Protokoll Kreisausschuss vom 28.01.1997, TOP 19<br />
Die letzte große Erweiterungsmaßnahme<br />
– der Anbau an das bestehende<br />
Landratsamt – liegt erst<br />
einige <strong>Jahre</strong> zurück, wobei dies<br />
eine lange Vorgeschichte hatte. So<br />
fasste der Kreisausschuss bereits<br />
im Jahr 1994 einen Beschluss für<br />
den Erwerb der dem Landratsamt<br />
benachbarten Gebäude in der Weingasse<br />
2 und in der Spörleinstraße<br />
9 8 . Der Kauf kam allerdings damals<br />
nicht zustande. Bedingt durch den<br />
oben erwähnten Ankauf von Büroflächen<br />
im Ämtergebäude Ende der<br />
90er <strong>Jahre</strong> wurde dieses Vorhaben<br />
nicht mit oberster Priorität weiterverfolgt.<br />
Als sich im Jahr 2004<br />
wieder die Möglichkeit zum Ankauf<br />
ergab, zögerten die Landkreisverantwortlichen<br />
nicht und erwarben die<br />
Grundstücke 9 , um der sich damals<br />
schon wieder abzeichnenden Platznot<br />
zu begegnen. Es dauerte aber<br />
noch bis 2015, ehe der Abbruch der<br />
alten Gebäude durchgeführt werden<br />
konnte und anschließend (nach<br />
Durchführung umfangreicher Untersuchungen<br />
auf vorhandene Bodendenkmäler)<br />
der Neubau begann.<br />
8 Protokoll Kreisausschuss vom 01.06.1994, TOP 22<br />
9 Protokoll Kreisausschuss vom 11.10.2004, TOP 7.1<br />
99
100<br />
Nach zweijähriger Bauzeit konnte<br />
der neue Anbau im Juni 2018 offiziell<br />
eingeweiht werden.<br />
Nach heutigem Stand unterhält der<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld acht Verwaltungsgebäude<br />
im Stadtgebiet<br />
von Bad Neustadt, in denen die Landkreisaufgaben<br />
erledigt werden. Vor<br />
allem die zentrale Lage des Landratsamtes<br />
in der Spörleinstraße 11<br />
mit seinen Nebenstellen in der Roßmarktstraße<br />
<strong>50</strong> (Jugendamt) und in<br />
der Roßmarktstraße 42 (Ämtergebäude)<br />
trägt zu einer Belebung der Innenstadt<br />
in Bad Neustadt bei. Weitere<br />
bedeutende Nebenstellen in nicht<br />
ganz so zentraler Lage befinden sich<br />
in der Siemensstraße 10, wo die Zulassungsstelle<br />
untergebracht ist, und<br />
in der Hedwig-Fichtel-Straße 12, in<br />
der das Jobcenter residiert. Die Interkomm-IT<br />
als zentraler IT-Dienstleister<br />
für den Landkreis und die Gemeinden<br />
hat in der Kolpingstraße 10 ein neues<br />
Domizil gefunden. Komplettiert wird<br />
die Auflistung durch das Schulamt<br />
mit Medienzentrum in der Martin-Luther-Straße<br />
10 und die Außenstelle<br />
des Gesundheitsamtes in der Martin-<br />
Luther-Straße 12.<br />
Anders als bei den Verwaltungsgebäuden<br />
ist der Bestand des Landkreises<br />
an Wohngebäuden vernachlässigbar.<br />
Da es dem Landkreis<br />
nicht erlaubt ist, eigene Wohnungsbaugesellschaften<br />
zu betreiben,<br />
wurden die meisten Wohnanwesen,<br />
die sich im Eigentum des Landkreises<br />
befanden, im Laufe der <strong>Jahre</strong><br />
veräußert, so dass sich heute neben<br />
verschiedenen Hausmeisterund<br />
Betriebsleiterwohnungen nur<br />
noch drei Wohnanwesen im Eigentum<br />
des Landkreises befinden.<br />
Trotz der mitunter sehr aufwändigen<br />
Erweiterungsmaßnahmen<br />
ist es zu keinem Zeitpunkt in den<br />
letzten <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n gelungen, die gesamte<br />
Landkreisverwaltung an einem<br />
Ort zusammenzufassen. Zum<br />
einen lag dies an dem begrenzten<br />
Platzangebot in der Altstadt von<br />
Bad Neustadt; in erster Linie sorgten<br />
aber die ständig zunehmenden<br />
Aufgaben und die parallel dazu steigenden<br />
Anforderungen dafür, dass<br />
im Landratsamt unentwegt Platznot<br />
herrschte.
Bau und Unterhaltung der Landkreisschulen<br />
Nach den Regelungen des Bayerischen<br />
Schulfinanzierungsgesetzes<br />
tragen die Landkreise im Wesentlichen<br />
den Sachaufwand für die Berufs-<br />
und weiterführenden Schulen,<br />
die nicht in der Trägerschaft von<br />
kreisangehörigen Gemeinden stehen<br />
10 . Deshalb sind die Schulgrundstücke<br />
im Eigentum und damit in<br />
der Obhut des Landkreises, der für<br />
den Bau und den Unterhalt dieser<br />
Einrichtungen zu sorgen hat.<br />
Derzeit hat der Landkreis zehn<br />
Schulen in seiner Trägerschaft, für<br />
die ihm der Sachaufwand obliegt:<br />
• Berufsfachschule für Holzbildhauer<br />
in Bischofsheim<br />
• Hauswirtschaftsschule in<br />
Bischofsheim<br />
• Berufsfachschule für Musik mit<br />
dem Schlaginstrumentenhaus<br />
in Bad Königshofen<br />
• Gymnasium in<br />
Bad Königshofen<br />
• Dr.-Karl-Grünewald-Realschule<br />
in Bad Königshofen<br />
• Martin-Pollich-Gymnasium in<br />
Mellrichstadt<br />
• Rhön-Gymnasium in<br />
Bad Neustadt<br />
• Jakob-Preh-Berufsschule in<br />
Bad Neustadt, die auch Kommunale<br />
Meisterschule für<br />
Schneid- und Schleiftechnik<br />
(Fachschule), die Staatl. Fachschule<br />
für Elektrotechnik, die<br />
Staatl. Fachschule für Fahrzeugtechnik<br />
u. Elektromobilität<br />
sowie das Technologietransferzentrum<br />
für Elektromobilität<br />
der Technischen Hochschule<br />
Würzburg-Schweinfurt beherbergt<br />
• Wirtschaftsschule in Bad Neustadt<br />
• Fachoberschule und Berufsoberschule<br />
(FOS/BOS) in Bad<br />
Neustadt<br />
101<br />
10 Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BaySchFG
102<br />
Neben den reinen Schulgebäuden<br />
unterhält der Landkreis diverse,<br />
für den Schulbetrieb notwendige<br />
Nebenanlagen, wie z. B. die Schulsportplätze<br />
und Dreifachturnhallen<br />
in Bad Königshofen und Bad Neustadt,<br />
die Einfachturnhalle in Mellrichstadt<br />
sowie einige Hausmeisterwohnungen.<br />
Nicht fehlen darf<br />
in dieser Auflistung das vom Landkreis<br />
betriebene Schulschwimmbad<br />
in Bad Königshofen, ohne das<br />
der Schwimmunterricht im Grabfeld<br />
nicht mehr angeboten werden<br />
könnte.<br />
Anders als bei den Verwaltungsgebäuden<br />
ist in einigen Schulbereichen<br />
noch bis heute die historisch<br />
gewachsene Struktur erkennbar. So<br />
werden in den ehemaligen Kreisstädten<br />
die klassischen weiterführenden<br />
Schulen wie Realschule und<br />
Gymnasium vorgehalten und (mit<br />
Ausnahme der Realschulen in Mellrichstadt<br />
und Bad Neustadt) vom<br />
Landkreis unterhalten. Die Trägerschaft<br />
für das Rhön-Gymnasium<br />
ging allerdings erst 2007 von der<br />
Stadt Bad Neustadt auf den Landkreis<br />
über. Die ehemaligen Berufsschulen<br />
in Bad Königshofen und<br />
Mellrichstadt sind dagegen nicht<br />
mehr vorhanden. Die Schulgebäude<br />
wurden anderen Nutzungen zugeführt.<br />
So dient die ehemalige<br />
Berufsschule in Mellrichstadt heute<br />
als Gemeinschaftsunterkunft für<br />
Flüchtlinge und beherbergt darüber<br />
hinaus eine Außenstelle der Regierung<br />
von Unterfranken.<br />
In regelmäßigen Abständen wurden<br />
an den Landkreisschulen die notwendig<br />
werdenden, oftmals sehr<br />
aufwendigen Sanierungs- und Erweiterungsmaßnahmen<br />
durchgeführt.<br />
Nicht selten waren derartige<br />
Maßnahmen auch wegen gesetzlich<br />
verordneten, höheren Anforderungen<br />
unumgänglich.<br />
Eines der größten Schulbauvorhaben<br />
war der Neubau der Staatlichen<br />
Realschule Bad Königshofen, mit<br />
dem im Jahr 1971 begonnen wurde.<br />
Nach dreijähriger Bauzeit konnte<br />
das neue Gebäude im Jahr 1974<br />
bezogen werden. Als im März 1977<br />
auch die benachbarte Dreifachturnhalle<br />
fertiggestellt war, wurde am<br />
14. Mai 1977 die Einweihung des
Gesamtkomplexes gefeiert. Allerdings<br />
konnte der Schulgründer,<br />
Landrat Dr. Grünewald, dies nicht<br />
mehr miterleben, da er im Frühjahr<br />
1976 verstarb. Angesichts seiner<br />
Verdienste um die Schule erhielt<br />
diese 1997 den Namen Dr.-Karl-Grünewald-Schule.<br />
An allen Schulen des Landkreises<br />
waren in den vergangenen <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
nicht nur aufgrund steigender<br />
Schülerzahlen rege Bautätigkeiten<br />
im Gange. Neben den stets notwendig<br />
werdenden Sanierungsmaßnahmen<br />
lösten die schon erwähnten<br />
neuen Aufgaben und zusätzliche<br />
Anforderungen viele Baumaßnahmen<br />
aus. So führte das Investitionsprogramm<br />
„Zukunft, Bildung<br />
und Betreuung“, mit dem der Einstieg<br />
in die Ganztagesbetreuung an<br />
den Schulen einherging, in den drei<br />
Gymnasien des Landkreises Anfang<br />
des neuen Jahrtausends zur<br />
Errichtung von Funktionsgebäuden,<br />
um Schulküchen, Speisesäle und<br />
Aufenthaltsräume unterzubringen.<br />
Mit Hilfe staatlicher Konjunkturprogramme<br />
konnten umfangreiche<br />
energetische und sonstige Sanierungen<br />
an den Schulgebäuden<br />
durchgeführt werden.<br />
Der Landkreis Rhön-Grabfeld hat<br />
seit seinem Bestehen ein großes<br />
Augenmerk auf ein leistungsstarkes<br />
und gut funktionierendes Schulwesen<br />
gelegt. Nicht zuletzt deshalb<br />
beherbergt er heute Bildungseinrichtungen<br />
mit überörtlicher und<br />
– betrachtet man die Ausbildungszweige<br />
der Jakob-Preh-Berufsschule<br />
– sogar bundesweiter Bedeutung.<br />
Diese Einrichtungen hat sich<br />
der Landkreis im wahrsten Sinne<br />
des Wortes einiges kosten lassen.<br />
Voraussetzung für die gelungenen<br />
Anstrengungen war der stets herrschende<br />
Konsens unter den Verantwortlichen,<br />
dass Investitionen<br />
in die Bildung Investitionen in die<br />
Zukunft sind. Damit zeigt sich der<br />
Landkreis gut aufgestellt, um auch<br />
die künftigen Herausforderungen<br />
zu meistern.<br />
Der Aufbau eines leistungsfähigen<br />
Kreisstraßennetzes<br />
Ein nicht unwesentlicher Teil der<br />
Landkreisliegenschaften besteht<br />
aus den Straßengrundstücken, die<br />
103
104<br />
das Kreisstraßennetz bilden. Die<br />
Kreisstraßen dienen nach der Einteilung<br />
im Bayerischen Straßenund<br />
Wegegesetz dem überörtlichen<br />
Verkehr innerhalb eines Landkreises,<br />
dem Verkehr zwischen benachbarten<br />
Landkreisen und kreisfreien<br />
Gemeinden oder dem erforderlichen<br />
Anschluss von Gemeinden an<br />
das überörtliche Verkehrsnetz 11 .<br />
Nach der Landkreisgründung 1972<br />
war eine der wesentlichen Aufgaben<br />
der Tiefbauverwaltung, die<br />
neue Struktur des Landkreises auch<br />
beim Kreisstraßennetz nachzuvollziehen.<br />
So änderte sich infolge neu<br />
entstehender Verkehrsverbindungen<br />
des Öfteren die Verkehrsbedeutung<br />
einer Straße, was sich in einer<br />
Vielzahl von Umstufungen von<br />
Straßen (zumeist die Aufstufung<br />
von Gemeindeverbindungsstraßen<br />
zu Kreisstraßen) bemerkbar machte.<br />
So wurden beispielsweise im<br />
Jahr 1973 die Salzforststraße 12 , die<br />
Gemeindeverbindungsstraße Groß-<br />
eibstadt-Aubstadt-Ottelmannshau-<br />
11 Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz<br />
(BayStrWG)<br />
12 Protokoll der Kreistagssitzung vom 04.01.1973,<br />
TOP 10<br />
sen 13 , die Gemeindeverbindungsstraße<br />
Fladungen-Stetten 14 und<br />
die Gemeindeverbindungsstraße<br />
Gabolshausen-Untereßfeld-Obereßfeld<br />
15 zur Kreisstraße aufgestuft.<br />
Die Tiefbauverwaltung des Landratsamtes<br />
hat im Wesentlichen die<br />
Aufgabe, das Kreisstraßennetz des<br />
Landkreises in einem funktionsfähigen<br />
Zustand zu erhalten und die<br />
Verkehrssicherheit zu gewährleisten.<br />
Vor allem im Bereich der Verkehrssicherheit<br />
haben sich beim<br />
Straßenbau die Anforderungen, die<br />
in unzähligen Richtlinien und technischen<br />
Regelwerken niedergelegt<br />
sind, laufend gesteigert. Dies führte<br />
dazu, dass jede Sanierungsmaßnahme<br />
an einer in die <strong>Jahre</strong> gekommenen<br />
Kreisstraße mit einem<br />
großen Aufwand verbunden war,<br />
da neben der anstehenden Instandsetzung<br />
die Straße den aktuell bestehenden<br />
Ausbaustandards angepasst<br />
werden musste. In der Folge<br />
13 Protokoll der Kreistagssitzung vom 22.01.1973,<br />
TOP 3<br />
14 Protokoll der Kreistagssitzung vom 18.06.1973,<br />
TOP 2<br />
15 Protokoll der Kreistagssitzung vom 26.11.1973,<br />
TOP 6
war praktisch für jede Ausbaumaßnahme<br />
ein entsprechender Grunderwerb<br />
erforderlich, da auf den<br />
vorhandenen Straßengrundstücken<br />
eine richtliniengetreue Bauausführung<br />
nicht möglich war. Grund und<br />
Boden wurde aber auch benötigt,<br />
um Ausgleichsflächen für naturschutzfachlich<br />
notwendige Ausgleichs-<br />
und Ersatzmaßnahmen<br />
bereitstellen zu können. Schließlich<br />
wurden auch landwirtschaftliche<br />
Grundstücke erworben, um den betroffenen<br />
Anliegern Tauschflächen<br />
anbieten zu können.<br />
Trotz der Vielzahl der notwendigen<br />
Grunderwerbsfälle – in den<br />
70er und 80er <strong>Jahre</strong>n gab es kaum<br />
eine Sitzung des Kreisausschusses,<br />
in der nicht der Grunderwerb<br />
von Kreisstraßen auf der Tagesordnung<br />
stand – wurden für den<br />
Bau bzw. Ausbau von Kreisstraßen<br />
bis heute kaum Enteignungsverfahren<br />
notwendig, da fast immer<br />
eine Einigung mit den Eigentümern<br />
erzielt werden konnte. Landrat Dr.<br />
Steigerwald gab in seiner Amtszeit<br />
stets die Anweisung, dass eine<br />
Kreisstraße nur gebaut wird, wenn<br />
der dafür notwendige Grunderwerb<br />
freihändig möglich ist. Solange dies<br />
nicht gelang, wurde die Maßnahme<br />
zurückgestellt. Dies wurde auch so<br />
publiziert, um einen öffentlichen<br />
<strong>Druck</strong> auf die betroffenen Grundeigentümer<br />
zu erzeugen. Nicht selten<br />
führte dies schließlich doch noch<br />
zu einer gütlichen Einigung. Vermutlich<br />
wird auch dieser Umstand<br />
Landrat Dr. Steigerwald am Ende<br />
seiner Amtszeit zu seiner Aussage<br />
vor dem Kreistag bewogen haben,<br />
dass der Kreisstraßenausbau mehr<br />
als befriedigend voranschritt 16 .<br />
Eine der herausragenden Straßenbaumaßnahmen<br />
war der Ausbau<br />
der NES 3 zur Verbindungsspange<br />
zwischen Herschfeld und dem Anschluss<br />
an die ehemalige Bundesstraße<br />
B 19 in Bad Neustadt. Zu<br />
nennen sind auch der Ausbau der<br />
NES 10 von Bischofsheim zum<br />
Kloster Kreuzberg Mitte der 70er<br />
<strong>Jahre</strong> oder der Ausbau der NES<br />
18 bei Salz Ende der 90er <strong>Jahre</strong>, in<br />
dessen Zuge auch die Bahnbrücke<br />
erneuert wurde. Nicht unerwähnt<br />
16 Protokoll der Kreistagssitzung vom 02.07.2003,<br />
TOP 5 (S. 11)<br />
105
106<br />
bleiben kann natürlich der Neubau<br />
des Teilstücks der NES 20 von<br />
Herschfeld bis zum Anschluss an<br />
die B 279, die wiederum als Zubringer<br />
zur Bundesautobahn A 71 dient.<br />
Durch diese Baumaßnahme wurde<br />
der neu errichtete Campus des<br />
Rhön-Klinikums bedarfsgerecht<br />
an das überörtliche Straßennetz<br />
angebunden. Die Straßenbaumaßnahme<br />
diente aber auch dem Bad<br />
Neustädter Ortsteil Herschfeld, um<br />
diesen vom Durchgangsverkehr,<br />
insbesondere vom Anliegerverkehr<br />
zum Klinikum, zu entlasten. Anfang<br />
November 2015 wurde mit den<br />
Bauarbeiten begonnen, die offizielle<br />
Verkehrsfreigabe fand am 22. Mai<br />
2017 statt.<br />
Aktuell verfügt der Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld über ein Kreisstraßennetz<br />
mit einer Gesamtlänge von 330,957<br />
km und 72 Brückenbauwerken. Das<br />
Kreisstraßennetz umfasst mit seinen<br />
Nebenanlagen eine Gesamtfläche<br />
von 357,40 ha 17 . Grunderwerb<br />
für den Naturschutz<br />
Die Bedeutung des Naturschutzes<br />
und vor allem des Artenschutzes<br />
als Teilbereich des naturschutzfachlichen<br />
Aufgabenspektrums hat<br />
sich in den vergangenen <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
immens gesteigert, was sich nicht<br />
nur im erhöhten Personalbestand<br />
der Unteren Naturschutzbehörde<br />
am Landratsamt zeigt. So wurde<br />
der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen<br />
als Staatsziel in die<br />
Bayerische Verfassung aufgenommen<br />
und dem Staat wie den Gemeinden<br />
und Körperschaften des<br />
öffentlichen Rechts diese Aufgabe<br />
zugewiesen 18 . Das Bayerische Naturschutzgesetz<br />
verpflichtet den<br />
Staat, die Gemeinden und die Landkreise,<br />
ihre Grundstücke im Sinn<br />
der Ziele und Grundsätze des Naturschutzes<br />
und der Landschaftspflege<br />
zu bewirtschaften 19 .<br />
Hinter diesen gesetzlichen Vorgaben<br />
steckte die Erkenntnis, dass<br />
die Naturschutzziele viel besser erreicht<br />
werden können, wenn für den<br />
Naturschutz besonders wertvolle<br />
Bereiche in öffentliches Eigentum<br />
überführt und anschließend unter<br />
17 Quelle: Landratsamt Rhön-Grabfeld, Tiefbauverwaltung<br />
18 Art. 141 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung<br />
19 Art. 1 S. 2 Bayer. Naturschutzgesetz (BayNatSchG)
öffentlicher Kontrolle naturschonend<br />
bewirtschaftet werden.<br />
Aus dieser Kenntnis heraus wurde<br />
ab 1979 u. a. das Förderprogramm<br />
„Errichtung und Sicherung<br />
schutzwürdiger Teile von Natur und<br />
Landschaft mit gesamtstaatlich<br />
repräsentativer Bedeutung“ unter<br />
Federführung des Bundeslandwirtschaftsministeriums<br />
aufgelegt.<br />
Dieses Programm erlangte für den<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld große Bedeutung,<br />
als das Naturschutzgebiet<br />
„Lange Rhön“ per Verordnung 20 im<br />
Jahr 1982 ausgewiesen wurde. Im<br />
Zuge der Erarbeitung und Umsetzung<br />
des Pflege- und Entwicklungsplanes<br />
für das Naturschutzgebiet<br />
wurde das Förderprojekt „Hohe<br />
Rhön“ mit den zuvor erwähnten<br />
Bundesmitteln entwickelt und umgesetzt.<br />
In der Maßnahmenbeschreibung<br />
des Bundeslandwirtschaftsministeriums<br />
ist aufgeführt:<br />
„Wegen ihrer landschaftlichen Einzigartigkeit<br />
und der Vielfalt ihrer<br />
Tier- und Pflanzenwelt ist ein großer<br />
Teil der Rhön als nationalparkwürdig<br />
anzusehen. Im Zuge der För-<br />
20 Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl) 1982,<br />
S. 251<br />
derungsmaßnahmen sollen die aus<br />
vegetationskundlicher Sicht wertvollsten<br />
und gefährdetsten Gebiete<br />
angekauft und – wie bei allen anderen<br />
Projekten auch – unter Naturschutz<br />
gestellt werden. Außerdem<br />
sollen Waldbestände den Lebensraumansprüchen<br />
des Birkwildes<br />
entsprechend gestaltet werden.<br />
Ziel ist es ferner, den für die Rhön<br />
typischen „Offenlandcharakter“ zu<br />
erhalten.“ 21<br />
Durch das große Engagement der<br />
beteiligten Stellen und die Unterstützung<br />
durch die Landkreisführung<br />
bzw. die Kreisgremien konnte<br />
der Landkreis in den 80er <strong>Jahre</strong>n<br />
über 1.300 Flächen erwerben. In<br />
den 90er <strong>Jahre</strong>n kamen nochmals<br />
über 400 Grundstücke dazu. Neben<br />
dem Flächenankauf wurden auch<br />
sog. „biotoplenkende Maßnahmen“<br />
wie die Räumung illegaler Fichtenaufforstungen<br />
oder Entbuschungsmaßnahmen<br />
über das Bundesprogramm<br />
gefördert. Ende 2017 hatte<br />
der Landkreis Rhön-Grabfeld 1.668<br />
unbebaute Flurstücke mit einer Ge-<br />
21 Infobroschüre des Bundesministers f. Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Forsten, Bonn, 01.01.1986,<br />
S. 20<br />
107
108<br />
Eröffnung der NES 20 im Jahr 2017; Quelle: LRA/ Detlef Manger<br />
samtfläche von 1.094 ha in seinem<br />
Eigentum. Der überwiegende Teil<br />
dieser Flächen liegt im Naturschutzgebiet<br />
„Lange Rhön“, vornehmlich<br />
in den Gemarkungen Oberelsbach<br />
und Weisbach 22 .<br />
Diese Vielzahl an Grundstücken<br />
kann der Landkreis natürlich nicht<br />
selbst bewirtschaften. Deshalb<br />
22 Quelle: Landratsamt Rhön-Grabfeld, Untere Naturschutzbehörde<br />
wurden die landwirtschaftlich nutzbaren<br />
Flächen an Landwirte mit der<br />
Maßgabe verpachtet, diese in das<br />
Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm<br />
zu bringen. So kann die<br />
naturverträgliche Nutzung dieser<br />
Flächen sichergestellt werden. Dies<br />
hat zweifellos mit dazu beigetragen,<br />
dass der Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
bayernweit führend ist, was den Bestand<br />
an Flächen im Vertragsnaturschutzprogramm<br />
angeht.
Ausblick<br />
Die in diesem Beitrag beschriebene<br />
Zunahme an öffentlichen Aufgaben,<br />
die die Tätigkeit der Landkreisorgane<br />
in den letzten <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
maßgeblich mitgeprägt hat, wird<br />
vermutlich auch künftig weiter voranschreiten.<br />
Naturgemäß haben<br />
sich neue Schwerpunkte entwickelt.<br />
Die Herausforderungen, vor die uns<br />
der Klimawandel und der Verlust<br />
der Artenvielfalt stellen, werden<br />
neue Maßnahmen und Methoden<br />
erfordern, um bewältigt werden zu<br />
können. Nachdem die gesetzlichen<br />
Vorgaben geändert wurden, können<br />
auch die Landkreisgrundstücke verstärkt<br />
zur Erzeugung erneuerbarer<br />
Energien genutzt werden. Eine der<br />
zentralen Aufgaben des Landkreises<br />
wird somit sein, seine Liegenschaften<br />
so zu gestalten und zu<br />
bewirtschaften, dass das Ziel eines<br />
klimaneutralen Landkreises möglichst<br />
bald erreicht wird.<br />
um dem Artensterben entgegenzuwirken.<br />
Fraglich erscheint, ob der laufende<br />
Aufgabenzuwachs auch – wie in der<br />
Vergangenheit üblich – stets neue<br />
Erweiterungsmaßnahmen an Verwaltungs-<br />
oder anderen Gebäuden<br />
nach sich ziehen wird. Angesichts<br />
der Flexibilisierung in der Arbeitswelt<br />
und der damit verbundenen<br />
neuen Möglichkeiten, seine Arbeitsleistung<br />
zu erbringen und Verwaltungsleistungen<br />
anzubieten, gibt es<br />
alternative, ressourcenschonende<br />
Möglichkeiten, eine leistungsstarke<br />
Landkreisverwaltung vorzuhalten.<br />
109<br />
Ebenso müssen die Anstrengungen<br />
des Landkreises, die Lebensräume<br />
für bedrohte Tier- und Pflanzenarten<br />
weiter zu schützen und zu<br />
optimieren, noch verstärkt werden,
DER WANDEL IN DER STATIONÄREN<br />
GESUNDHEITSVERSORGUNG IM<br />
LANDKREIS RHÖN-GRABFELD<br />
STEFAN HELFRICH<br />
112<br />
„EIN GROSSES<br />
WERK IST<br />
GLÜCKLICH<br />
VOLLENDET.“<br />
Das Thema beschäftigte in der<br />
<strong>50</strong>-jährigen Geschichte des Landkreises<br />
Rhön-Grabfeld nicht nur<br />
die Menschen und die Medien,<br />
sondern auch die zuständigen Gremien<br />
und Gerichte zeitweise intensiv:<br />
Dieser Beitrag unternimmt den<br />
Versuch, die wesentlichen strukturellen<br />
Veränderungen in der stationären<br />
Gesundheitsversorgung des<br />
Landkreises streiflichtartig zu beleuchten.<br />
Die Ausgangslage und die <strong>Jahre</strong><br />
bis zur deutschen Wiedervereinigung<br />
Der bayerische Gesetzgeber hat den<br />
Landkreisen die Pflichtaufgabe auferlegt,<br />
unbeschadet bestehender<br />
Verbindlichkeiten Dritter – in den<br />
Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit –<br />
die erforderlichen Krankenhäuser zu
errichten und zu unterhalten 23 . Dieser<br />
Aufgabe hatten sich schon vor der<br />
Gebietsreform die heutigen Altlandkreise<br />
Bad Neustadt, Bad Königshofen<br />
und Mellrichstadt gestellt und<br />
entsprechende Krankenhausbauten<br />
errichtet. Anlässlich der Einweihung<br />
des Krankenhauses in Königshofen<br />
im Grabfeld erschien am 16. Dezember<br />
1966 sogar ein Sonderdruck des<br />
Boten vom Grabfeld mit der Überschrift:<br />
„Ein großes Werk ist glücklich<br />
vollendet“ 24 . Im gleichen Jahr begann<br />
man auch in Mellrichstadt mit dem<br />
Bau eines neuen Krankenhauses, das<br />
nach dreijähriger Bauzeit 1969 in Betrieb<br />
genommen werden konnte.<br />
Der hiesige Landkreis hat mit seiner<br />
Entstehung 1972 die Verantwortung<br />
für die drei bestehenden Kreiskrankenhäuser<br />
in Bad Neustadt,<br />
Königshofen und Mellrichstadt<br />
übernommen. Alle Häuser konnten<br />
seinerzeit als leistungsfähig bezeichnet<br />
werden. Es gab zu der Zeit<br />
in Bayern <strong>50</strong>9 Akutkrankenhäuser,<br />
23 vgl. Art. 51 Abs. 3 Nr. 1, 1. Halbsatz Landkreisordnung<br />
- <strong>LK</strong>rO<br />
24 Friedrich, Hanns, Altes Krankenhaus: Die Bagger<br />
greifen unaufhaltsam durch, in: Main-Post vom<br />
18.07.2020<br />
wozu auch die vorgenannten drei<br />
gehörten. Die durchschnittliche<br />
Verweildauer lag bei – für heutige<br />
Verhältnisse durchaus erstaunlichen<br />
– 17,7 Tagen 25 .<br />
Abgesehen von größeren Investitionen<br />
Mitte der 80er <strong>Jahre</strong> in das<br />
Kreiskrankenhaus Bad Neustadt,<br />
Standort Goethestraße, in Höhe von<br />
stolzen 91 Millionen D-Mark – mit<br />
Unterstützung durch Fördermittel<br />
des Freistaates Bayern 26 – verliefen<br />
die <strong>Jahre</strong> bis zur deutschen Wiedervereinigung<br />
1990 relativ unspektakulär.<br />
Im Ergebnis wurde zwar für<br />
die drei Kreiskrankenhäuser bis einschließlich<br />
1989 bezogen auf die<br />
Personal- sowie Sachkosten jährlich<br />
ein Defizit eingefahren, doch<br />
lag dieses bei einer Schwankungsbreite<br />
von 362.000 bis 1,178 Mio.<br />
DM 27 und bereitete den politisch<br />
Verantwortlichen kein größeres<br />
Kopfzerbrechen.<br />
25 Böhm, Thomas, Krankenhausplanung in Deutschland,<br />
2. <strong>Auflage</strong>, Berlin, 2022, Seite 57<br />
26 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 30.06.2005,<br />
zu TOP 1<br />
27 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 28.07.2004,<br />
Anlage zu TOP 1<br />
113
114<br />
Die Zeit der Herausforderungen<br />
Nach Öffnung der innerdeutschen<br />
Grenze war die Bevölkerung im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld von 78.756<br />
(Stand 30.09.1989) auf 86.269 Personen<br />
(Stand 31.12.1995) angewachsen<br />
28 . Im jährlichen Gesamtergebnis<br />
erzielte man mit den drei<br />
Kreiskrankenhäusern ab dem Jahr<br />
1993 bis 1999 Gewinne, wobei<br />
allerdings das Kreiskrankenhaus<br />
Mellrichstadt auch in dieser Zeit nie<br />
aus der Verlustzone herauskam 29 .<br />
Neben diesen grundsätzlich positiven<br />
Tendenzen gab es jedoch<br />
auch Anzeichen dafür, dass die<br />
Zeiten für kleinere Krankenhäuser<br />
schwieriger werden würden. So<br />
hatte seit der Gebietsreform die<br />
Zahl der Krankenhäuser in Bayern<br />
bis 1987 um 135 abgenommen,<br />
während die Zahl der Krankenhausbetten<br />
nahezu gleichblieb und die<br />
Anzahl der Patienten sogar um ca.<br />
28 Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung,<br />
Datenbank, Tabelle 1241 -012r:<br />
Bevölkerung: Kreise, Geschlecht, Nationalität,<br />
Quartale, Jahr sowie Tabelle 12411-005-r: Bevölkerung:<br />
Kreise, Geschlecht, Nationalität, Stichtag<br />
31.12.1995<br />
29 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 28.07.2004,<br />
Anlage zu TOP 1<br />
ein Drittel stieg 30 . Eine grundlegende<br />
Modernisierung und Sanierung<br />
der in der Zwischenzeit in die <strong>Jahre</strong><br />
gekommenen Krankenhäuser in<br />
Mellrichstadt und Bad Königshofen<br />
war bisher nicht erfolgt. Neben den<br />
Fachkliniken des Rhön-Klinikums in<br />
Bad Neustadt kam im benachbarten<br />
Thüringen mit dem 1995 neu erbauten<br />
Klinikum Meiningen 31 , einem<br />
Krankenhaus mit überregionalem<br />
Versorgungsauftrag und über 400<br />
Planbetten, ein ernstzunehmender<br />
Wettbewerber hinzu.<br />
Auf Bundesebene reagierte der Gesetzgeber<br />
mit dem Fallpauschalengesetz<br />
vom 23. April 2002 auf die<br />
ständigen Kostensteigerungen in<br />
der stationären Gesundheitsversorgung,<br />
um die Krankenkassen<br />
zu entlasten. Die Einführung des<br />
Fallpauschalensystems löste einen<br />
tiefgreifenden Strukturwandel bei<br />
den Krankenhäusern aus und hatte<br />
gravierende Auswirkungen auf das<br />
Vergütungssystem 32 .<br />
30 Böhm (wie Anm. 3)<br />
31 Online unter https://de.wikipedia.org/wiki/meiningen<br />
(14.01.2023)<br />
32 Bayerischer Staatsanzeiger, Sonderdruck: 31. Fortschreibung<br />
des Krankenhausplanes des Freistaates<br />
Bayern, Stand: 01.01.2006, Bekanntmachung
Krankenhausträger waren nun stärker<br />
als bisher gehalten, auf eine<br />
angemessene Verweildauer der<br />
Patienten zu achten, weil ansonsten<br />
reduzierte Kostenerstattungen<br />
durch die Krankenkassen drohten.<br />
Vor diesem Hintergrund war eine<br />
deutliche wirtschaftliche Verschlechterung<br />
für die Kreiskrankenhäuser<br />
im Jahr 2002 eingetreten;<br />
das Jahr endete nicht nur mit einem<br />
Verlust von ca. 2,8 Millionen Euro,<br />
sondern auch mit der Schließung<br />
der chirurgischen Abteilung in Bad<br />
Königshofen 33 .<br />
Im darauffolgenden Jahr schied<br />
Landrat Dr. Steigerwald nach 27<br />
Dienstjahren als Landrat aus Altersgründen<br />
aus und Landrat Habermann<br />
übernahm im Juli 2003 die<br />
Amtsführung. In der ersten Kreisausschusssitzung<br />
nach seinem<br />
Amtsantritt wurde das beauftragte<br />
Organisationsgutachten für die<br />
Krankenhäuser des Landkreises<br />
vorgestellt, das in Bezug auf das<br />
des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit<br />
und Sozialordnung, Familie und Frauen vom<br />
02.02.2006 Nummer II 3/91231/1/06, Seite 2<br />
33 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 17.10.2003,<br />
Anlage zu TOP 4<br />
Haus in Bad Königshofen die Schließung<br />
zum <strong>Jahre</strong>sende empfahl.<br />
Bezüglich der dort vorhandenen 90<br />
Betten wurde eine Auslastung von<br />
nur 47 Prozent festgestellt. Ferner<br />
hatten die Kostenträger bereits im<br />
April des <strong>Jahre</strong>s angekündigt, den<br />
Versorgungsvertrag für das Krankenhaus<br />
zu kündigen, so dass bei<br />
ungebremstem Verlauf der Dinge<br />
und ohne grundlegende strukturelle<br />
Veränderungen im Jahr 2004 ein<br />
Krankenhausdefizit zu Lasten des<br />
Kreishaushaltes in Höhe von 7,4<br />
Millionen Euro prognostiziert wurde.<br />
Die Gutachter machten deutlich,<br />
dass eine Fixkostendegression mit<br />
der Schließung von Kapazitäten<br />
einhergehen muss 34 .<br />
Der Kreistag beschloss daher am<br />
17. Oktober 2003 mit großer Mehrheit<br />
die Schließung des Kreiskrankenhauses<br />
in Bad Königshofen<br />
zum 31. Dezember 2003, auf der<br />
Grundlage eines Strukturgutachtens<br />
den Ausbau des Krankenhauses<br />
Bad Neustadt zur Schwerpunktklinik<br />
mit 230 Betten (bisher 196)<br />
34 Protokoll zur Kreisausschusssitzung vom<br />
23.07.2003, zu TOP 1<br />
115
116<br />
und des Krankenhauses Mellrichstadt<br />
zu einer Teleportalklinik mit<br />
70 Betten (bisher 105) 35 . Mit dieser<br />
Entscheidung sollte einerseits eine<br />
wirtschaftlich überlebensfähige<br />
Struktur geschaffen und andererseits<br />
eine angemessene Gesundheitsversorgung<br />
im Landkreis künftig<br />
sichergestellt werden.<br />
Im Dezember 2003 legte die Rhön-<br />
Klinikum AG dem Landkreis ein Angebot<br />
zum Erwerb der Krankenhäuser<br />
Bad Neustadt und Mellrichstadt<br />
vor, das die Inhalte des Kreistagsbeschlusses<br />
vom Oktober des gleichen<br />
<strong>Jahre</strong>s aufgriff 36 . Nach mehrmonatigen<br />
Verhandlungen konnte<br />
der Kreistag in seiner Sitzung vom<br />
28. Juli 2004 der Veräußerung der<br />
beiden Krankenhäuser im Grundsatz<br />
zustimmen 37 und mit Beschluss<br />
vom 04. Oktober 2004 den<br />
35 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 17.10.2003, zu<br />
TOP 4. Ergänzender Hinweis: Ab 2005 betrieb ein<br />
niedergelassener Arzt mehrere <strong>Jahre</strong> eine Notfallambulanz<br />
in den Räumlichkeiten des ehemaligen<br />
Krankenhauses Bad Königshofen. Nach dem<br />
Erwerb des Krankenhausgrundstückes durch<br />
die Stadt Bad Königshofen wurden die dortigen<br />
Gebäude im Jahr 2020 abgebrochen.<br />
36 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 05.12.2003,<br />
zu TOP 3<br />
37 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 28.07.2004,<br />
zu TOP 1<br />
entsprechenden Unternehmenskaufvertrag<br />
genehmigen 38 .<br />
Wer jetzt glaubte, man sei endlich in<br />
ruhigeres Fahrwasser geraten, sah<br />
sich getäuscht. Die Rhön-Klinikum<br />
AG hatte folgerichtig 2004 das Vorhaben<br />
beim Bundeskartellamt angemeldet,<br />
durch ihre Tochtergesellschaft<br />
die Aktiva und Passiva sowie<br />
den Geschäftsbetrieb der beiden<br />
Kreiskrankenhäuser Bad Neustadt<br />
und Mellrichstadt zu erwerben.<br />
Doch mit Beschluss vom 10. März<br />
2005 untersagte das Bundeskartellamt<br />
erstmals eine Krankenhausfusion<br />
und schrieb damit ein Stück<br />
Rechtsgeschichte. Begründet wurde<br />
die Entscheidung damit, dass<br />
das Zusammenschlussvorhaben<br />
zur Verstärkung der bereits bestehenden<br />
marktbeherrschenden Stellung<br />
der Rhön-Klinikum AG auf den<br />
relevanten Märkten Bad Neustadt/<br />
Bad Kissingen und Meiningen geführt<br />
hätte. Im erstgenannten Bereich<br />
hätten sich die Marktanteile<br />
um ca. 25 Prozent auf 65 Prozent<br />
erhöht und in Meiningen auf ca.<br />
38 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 04.10.2004,<br />
zu TOP 1
60 Prozent verfestigt. Die Voraussetzung<br />
für eine genehmigungsfähige<br />
Sanierungsfusion sah das<br />
Bundeskartellamt in diesem Fall<br />
als nicht gegeben an, weil der Landkreis<br />
die Unverkäuflichkeit nicht<br />
belegen konnte, zumal ein weiterer<br />
potenzieller Erwerber für die beiden<br />
Krankenhäuser vorhanden sei, bei<br />
dem es nicht zu Wettbewerbsbeeinträchtigung<br />
kommen würde 39 .<br />
Gegen die Entscheidung des Bundeskartellamtes<br />
legten sowohl die<br />
Rhön-Klinikum AG als auch der<br />
Landkreis Beschwerde am für Kartellangelegenheiten<br />
zuständigen<br />
Oberlandesgericht Düsseldorf ein.<br />
Insbesondere wurde im Rahmen<br />
der Begründung vorgetragen, dass<br />
die sachliche und räumliche Marktabgrenzung,<br />
die das Kartellamt vorgenommen<br />
habe, zu beanstanden<br />
sei, weil sie nicht nach fachspezifischen<br />
medizinischen Dienstleistungen<br />
differenzierte und die<br />
räumliche Abgrenzung zu eng vor-<br />
39 Bundeskartellamt, Pressemitteilung vom<br />
11.03.2005, Online: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2005/11_03_2005_Rhön-Klinikum.hmtl<br />
(18.01.2023)<br />
genommen wurde 40 . Der Landkreis<br />
befand sich nun in einer unbefriedigenden<br />
Situation. Am gewünschten<br />
Vollzug des Unternehmensverkaufs<br />
war man einstweilen gehindert. Die<br />
Entscheidung des Oberlandesgerichts<br />
würde auf sich warten lassen,<br />
aber in Bezug auf das Krankenhaus<br />
Mellrichstadt hatte sich inzwischen<br />
dringender Handlungsbedarf ergeben.<br />
Deshalb wurde in der Kreistagssitzung<br />
vom 09. Mai 2005 über das<br />
Für und Wider einer Fortführung des<br />
Krankenhauses in Mellrichstadt beraten,<br />
einem mittlerweile veralteten<br />
Haus mit einem für 70 Planbetten<br />
viel zu großen Baukörper, der eine<br />
Generalsanierung unwirtschaftlich<br />
machte. Die Rhön-Klinikum AG hätte<br />
laut Kaufvertrag bei einer Fallzahl<br />
von durchschnittlich 2<strong>50</strong> im<br />
Monat eine neue Teleportalklinik in<br />
Mellrichstadt gebaut. Die Fallzahl<br />
in Mellrichstadt lag zu diesem Zeitpunkt<br />
bei 175 monatlich mit abnehmender<br />
Tendenz. Die Organisation<br />
der Dienste in zwei Häusern war in<br />
40 Beck RS 2007, 8366, OLG Düsseldorf, Beschluss<br />
vom 11.04.2007 – Kart6/05<br />
117
118<br />
Folge des deutschlandweiten Mangels<br />
an qualifizierten Krankenhausärzten<br />
schwierig geworden und die<br />
Krankenhausdefizite gingen in immer<br />
größerer Höhe weiter 41 .<br />
In der darauffolgenden Kreistagssitzung<br />
wurde die Patientenwanderung<br />
im Landkreis vorgestellt.<br />
Die Zahlen für Mellrichstadt waren<br />
ernüchternd. Nur 40 Prozent der Patienten<br />
in Mellrichstadt gingen auch<br />
in das dortige Krankenhaus, aus<br />
dem Besengau waren es gar nur 30<br />
Prozent. Angesichts der Gesamtumstände<br />
sah sich der Kreistag in<br />
der Pflicht, mit einem Grundsatzbeschluss<br />
zu reagieren. Es wurde<br />
die Reduzierung der Planbettenzahl<br />
auf maximal 225 für den Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld beschlossen, unter<br />
der Voraussetzung der fachlichen<br />
Genehmigung der notwendigen<br />
Baumaßnahmen am Standort Bad<br />
Neustadt und der Übertragung der<br />
Fördergelder, die für einen Ersatzneubau<br />
in Mellrichstadt vorgesehen<br />
waren, auf die baulichen Maßnahmen<br />
in Bad Neustadt. Das bedeute-<br />
41 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 09.05.2005,<br />
zu TOP 1<br />
te, dass bei Eintritt der beiden Voraussetzungen<br />
das Krankenhaus in<br />
Mellrichstadt geschlossen würde 42 .<br />
Im Januar 2006 beantragte Landrat<br />
Habermann für den Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld bei Bundeswirtschaftsminister<br />
Glos die Ministererlaubnis<br />
für die beabsichtigte<br />
Krankenhausübernahme durch die<br />
Rhön-Klinikum AG. Diese Erlaubnis<br />
hätte es ermöglicht, im Rahmen<br />
einer Ausnahme jenseits des rein<br />
wettbewerbsrechtlichen Entscheidungsprozesses<br />
des Bundeskartellamtes<br />
unter den Voraussetzungen<br />
von § 42 Abs. 1 GWB den Unternehmenszusammenschluss<br />
zu realisieren.<br />
Der damalige Bundeswirtschaftsminister<br />
Glos delegierte die<br />
beantragte Entscheidung an seinen<br />
Staatssekretär Pfaffenbach, weil er<br />
die Besorgnis der Befangenheit in<br />
Bezug auf Landrat Habermann, der<br />
ein Parteifreund aus der unterfränkischen<br />
CSU sei, nicht ausschließen<br />
konnte 43 .<br />
42 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 30.06.2005,<br />
zu TOP 1<br />
43 Online: https://www.presseportal.de/<br />
pm/9377/812212 (11.01.2023)
Das Bundeswirtschaftsministerium<br />
versagte schließlich mit Schreiben<br />
vom 22. Mai 2006 die Ministererlaubnis<br />
44 . Es schloss sich der<br />
Meinung der Monopolkommission<br />
an, die als fünfköpfiger Expertenrat<br />
ein Sondergutachten in diesem Verfahren<br />
erstellte und sich gegen die<br />
Erteilung der Ministererlaubnis aussprach.<br />
Die Kommission vertrat die<br />
Auffassung, dass der beabsichtigte<br />
Zusammenschluss nicht erforderlich<br />
sei, um den Haushalt des Landkreises<br />
zu entlasten und die Krankenhauskosten<br />
zu senken. Durch<br />
den Verkauf an einen alternativen<br />
Bewerber könnten die vorgebrachten<br />
Gemeinwohlvorteile verwirklicht<br />
werden, ohne dass Wettbewerbsbeschränkungen<br />
zu befürchten seien 45 .<br />
Für das Kreiskrankenhaus in Mellrichstadt<br />
hatte diese Entscheidung<br />
aus dem Bundeswirtschaftsministerium<br />
keine Bedeutung, denn am<br />
26. September 2006 bestätigte<br />
der Kreistag seinen Grundsatzbe-<br />
44 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 26.09.2006,<br />
zu TOP 5<br />
45 Sondergutachten der Monopolkommission gem.<br />
§ 42 Abs. 4 Satz 2 GWB, Zusammenschlussvorhaben<br />
der Rhön-Klinikum AG mit dem Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld, April 2006, Seite 53<br />
schluss zur Schließung des Kreiskrankenhauses<br />
Mellrichstadt und<br />
legte dessen Ende auf den 31.<br />
Dezember 2006 fest 46 . Bis dahin<br />
wurden die Kreiskrankenhäuser im<br />
Regiebetrieb geführt. Ab 01. Januar<br />
2007 erfolgte der Betrieb des verbliebenen<br />
Kreiskrankenhauses Bad<br />
Neustadt in der Rechtsform einer<br />
Gesellschaft mit beschränkter Haftung<br />
unter der Bezeichnung „Rhön-<br />
Saale Klinik GmbH Bad Neustadt an<br />
der Saale“ 47 .<br />
Nach nur zehnmonatiger Bauzeit<br />
konnte im März 2007 an der Kreisklink<br />
in Bad Neustadt der Ergänzungsneubau<br />
der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt werden, der notwendig<br />
geworden war, um die Klinik auf<br />
die vorgesehenen 225 Planbetten<br />
zu erweitern. Für die Baumaßnahme<br />
stellte der Freistaat Bayern eine<br />
Förderung in Höhe von ca. 2,8 Millionen<br />
Euro zur Verfügung 48 .<br />
46 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 26.09.2006,<br />
zu TOP 6. Ergänzender Hinweis: Das ehemalige<br />
Kreiskrankenhaus am Hainberg ließ die<br />
Stadt Mellrichstadt 2009 abbrechen, damit die<br />
Lebenshilfe Rhön-Grabfeld auf dem Gelände eine<br />
Seniorenwohnstätte errichten konnte.<br />
47 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 11.12.2006,<br />
zu TOP 1<br />
48 Protokoll zur Kreisausschusssitzung vom<br />
15.10.2007, zu TOP 10.3<br />
119
120<br />
Erst im April 2007 entschied der<br />
Kartellsenat des Oberlandesgerichtes<br />
Düsseldorf, dass die Beschwerden<br />
der Beteiligten – und<br />
damit auch die Beschwerde des<br />
Landkreises – gegen den ablehnenden<br />
Beschluss des Bundeskartellamtes<br />
zurückgewiesen werden.<br />
Das Gericht führte aus, dass auch<br />
Krankenhäuser trotz öffentlichrechtlicher<br />
Krankenhausplanung<br />
an einem Wettbewerb teilnehmen<br />
und die räumliche Marktabgrenzung,<br />
die das Bundeskartellamt im<br />
vorliegenden Fall vorgenommen<br />
hatte, zutreffend war. Ebenso hatte<br />
sich aufgrund der Nachermittlungen<br />
des Bundeskartellamtes während<br />
des gerichtlichen Verfahrens<br />
hinsichtlich der Marktabgrenzung<br />
nach medizinischen Fachbereichen<br />
ergeben, dass der beabsichtigte<br />
Zusammenschluss zu einer marktbeherrschenden<br />
Stellung der Rhön-<br />
Klinikum AG in der Region führen<br />
würde 49 . Die Rechtsbeschwerde<br />
gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes<br />
Düsseldorf wies der<br />
Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung<br />
vom 16. Januar 2008<br />
49 Beck RS 2007, 8366 (wie Anmerkung 18)<br />
relativ zeitnah zurück. Er führte aus,<br />
dass die Untersagungsverfügung<br />
des Bundeskartellamtes durch die<br />
Vorinstanz zutreffend bestätigt<br />
wurde <strong>50</strong> . Aufgrund dieser höchstrichterlichen<br />
Entscheidung hatte<br />
der Landkreis nun die Gewissheit,<br />
dass der Krankenhausverkauf an<br />
die Rhön-Klinikum AG gescheitert<br />
war.<br />
Gleichwohl hatte der Landkreis die<br />
Zeit bis dahin sinnvoll und effektiv<br />
genutzt. Die schwierige Aufgabe,<br />
die Krankenhauslandschaft im Bereich<br />
der medizinischen Grund- und<br />
Regelversorgung entsprechend<br />
den Anforderungen neu aufzustellen,<br />
wurde innerhalb weniger <strong>Jahre</strong><br />
erfolgreich gemeistert. Mit der Errichtung<br />
einer Palliativstation mit<br />
sechs Betten im Jahr 2010 wurde<br />
der Ausbau der Kreisklinik Bad Neustadt<br />
komplettiert. Das Haus wies<br />
nun neben der stationären Palliativ-<br />
Versorgung eine Abteilung Innere<br />
Medizin mit 85 Planbetten, eine chirurgische<br />
Abteilung mit 106 Planbetten,<br />
eine Station für Geburtshilfe<br />
<strong>50</strong> openJur 2011, 119245, BGH Beschluss vom<br />
16.01.2008 – KVR 26/07
und Gynäkologie mit 23 Planbetten<br />
und eine HNO-Station mit elf Planbetten<br />
sowie acht Plätze für Hämodialyse<br />
auf 51 .<br />
Die zweite Chance und der Umzug<br />
in den Rhön-Klinikum-Campus<br />
Mit dem Verkauf zahlreicher Krankenhäuser<br />
im Jahr 2014 traf die<br />
Rhön-Klinikum AG die strategische<br />
Entscheidung, sich auf wenige<br />
Standorte zu fokussieren. Die Absicht,<br />
am Standort Bad Neustadt<br />
einen neuen Klinikkomplex zu bauen,<br />
brachte den Anstoß zu der Überlegung,<br />
ob man bei einem Neubau<br />
Fachkliniken der Rhön-Klinikum AG<br />
und die Kreisklinik zusammenführen<br />
könnte. Die Rhön-Klinikum AG<br />
unterbreitete deshalb dem Landkreis<br />
ein indikatives Angebot zur<br />
Übernahme der noch verbliebenen<br />
Kreisklinik und deren Mitarbeiter.<br />
Landrat Habermann informierte hierüber<br />
den Kreistag in seiner Sitzung<br />
vom 14. Oktober 2014 und wurde<br />
ermächtigt, mit der Rhön-Klinikum<br />
51 Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und<br />
Gesundheit, Krankenhausplan des Freistaates<br />
Bayern, Stand: 01.01.2011, (36. Fortschreibung),<br />
Anhang 5. Betten/Plätze nach Fachrichtungen in<br />
Plankrankenhäusern<br />
AG ergebnisoffene Verhandlungen<br />
zu führen 52 . In der nächsten Kreistagssitzung<br />
am 10. Dezember 2014<br />
fasste man den einstimmigen Beschluss,<br />
einen Experten mit einem<br />
Gutachten zu beauftragen, das die<br />
Auswirkungen der Krankenhaussituation<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
durch den Neubau einer Klinik auf<br />
dem Gelände der Rhön-Klinikum<br />
AG im Zusammenhang mit dem geplanten<br />
Gesundheitscampus untersuchen<br />
sollte. Es sollte auch auf<br />
alternative Maßnahmen zur langfristigen<br />
Sicherung der Kreisklinik<br />
sowie auf perspektivische Auswirkungen<br />
einer Zusammenlegung der<br />
Kliniken mit der Kreisklinik eingehen<br />
53 . Das vorgenannte Gutachten<br />
wurde dem Kreistag in der Sitzung<br />
vom 18. Februar 2015 vorgestellt.<br />
Ebenso erfolgte eine Präsentation<br />
der Baupläne der Rhön-Klinikum<br />
AG, wobei der Vorstandsvorsitzende<br />
Dr. Dr. Siebert darauf hinwies,<br />
dass das Vorhaben mit oder ohne<br />
Kreisklinik realisiert werde, da die<br />
Investitionsentscheidung bereits<br />
52 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 14.10.2014, zu<br />
TOP 3.1 und TOP 4<br />
53 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 10.12.2014,<br />
zu TOP 5<br />
121
122<br />
Das Eingangsportal des Klinik-Campus der Rhön Klinikum AG<br />
Foto: ©Gerhard Fischer<br />
getroffen sei. Eine Änderung der<br />
Planung sei allenfalls bis 31. Dezember<br />
2015 möglich 54 .<br />
Nach ausgiebigen Diskussionen in<br />
den vorangegangenen Kreistagssitzungen<br />
konnte Landrat Habermann<br />
dem Kreistag am 27. Juli<br />
2015 das Vertragswerk über den<br />
54 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 18.02.2015, zu<br />
TOP 3 und TOP 4<br />
Kauf und die Übernahme der Kreisklinik<br />
nebst Anlagen vorstellen. Die<br />
Kreistagsmehrheit sah letztlich<br />
die Integration der Kreisklinik in<br />
den Klinikum-Campus unter unternehmerischen<br />
und medizinischen<br />
Aspekten für sinnvoll und notwendig<br />
an. Der Landrat wurde deshalb<br />
ermächtigt, den Landkreis bei Abschluss<br />
des Vertrages bezüglich<br />
des Kaufs und der Übernahme
der Kreisklinik sowie weiterer Vereinbarungen,<br />
insbesondere eines<br />
Mietvertrages, uneingeschränkt zu<br />
vertreten 55 . Damit war der Verkauf<br />
der Kreisklinik Bad Neustadt eingeläutet<br />
und die entsprechenden<br />
Verträge zu deren Übernahme zum<br />
1. Januar 2016 wurden im Sommer<br />
2015 geschlossen. Die Mitarbeiter<br />
der Kreisklinik waren vertraglich vor<br />
betriebsbedingten Kündigungen<br />
bis 2018 geschützt und die Grundstücke<br />
der Kreisklinik verblieben im<br />
Eigentum des Landkreises bzw. der<br />
Kreisklinik gGmbH. Um die künftige<br />
Entwicklung der stationären Grundund<br />
Regelversorgung im Landkreis<br />
konstruktiv begleiten zu können,<br />
wurde ein Krankenhausbeirat vereinbart<br />
– ein Gremium bestehend<br />
aus Vertretern der Rhön-Klinikum<br />
AG und des Kreistages 56 . Das erneut<br />
mit der Angelegenheit befasste<br />
Bundeskartellamt gab diesmal<br />
für das Erwerbsvorhaben der Rhön-<br />
Klinikum AG grünes Licht und stellte<br />
fest, dass keine erhebliche Beeinträchtigung<br />
des Wettbewerbes<br />
55 Protokoll zur Kreistagssitzung vom 27.07.2015, zu<br />
TOP 1 und TOP 7<br />
56 Online: https://www.management-krankenhaus.<br />
de/news/rhoen-kliniken-und-kreisklinik-badneustdt-besiegeln-integration<br />
(21.01.2023)<br />
in Folge der Fusion vorläge. Im Jahr<br />
zuvor war nämlich eine gravierende<br />
Veränderung in der Wettbewerbssituation<br />
in der Region eingetreten,<br />
da die Rhön-Klinikum AG das St. Elisabeth-Krankenhaus<br />
in Bad Kissingen<br />
und das Klinikum Meiningen an<br />
die Helios-Kliniken verkauft hatte 57 .<br />
Ab dem Jahr 2016 hatte der Landkreis<br />
nun kein Krankenhaus mehr<br />
in eigener Trägerschaft. Die Rhön-<br />
Klinikum AG führte das Haus als<br />
Rhön-Kreisklinik in der Goethestraße<br />
bis zur Fertigstellung des neuen<br />
Rhön-Klinikum-Campus.<br />
Am 6. Dezember 2018 feierte die<br />
Rhön-Klinikum AG die Einweihung<br />
des Klinikum-Campus als Versorgungsmodell<br />
der Zukunft für den<br />
ländlichen Raum in Gegenwart des<br />
bayerischen Ministerpräsidenten<br />
Dr. Markus Söder. Für das Mammut-Projekt<br />
waren vom Spatenstich<br />
bis zur Einweihung gerade<br />
einmal drei <strong>Jahre</strong> vergangen und<br />
die Rhön-Klinikum AG investierte<br />
hierfür 2<strong>50</strong> Millionen Euro aus<br />
57 Bundeskartellamt, Pressemitteilung vom<br />
15.09.2015, Online: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2015/15_09_15_Kranken<br />
haus.html<br />
(18.01.2023)<br />
123
124<br />
Bad Königshofen<br />
Bad neustadt<br />
Eigenmitteln. Neben dem Zentrum<br />
für klinische Medizin (ZkM) mit 385<br />
Patientenzimmern auf 20 Stationen<br />
entstand auch ein neues Zentrum<br />
für ambulante Medizin (ZaM), das<br />
eine Vielzahl von Facharztpraxen<br />
sowie weitere Gesundheits- und<br />
Servicedienstleister beherbergt. Es<br />
entstand ferner ein neues Parkhaus<br />
mit über 800 Stellplätzen, das einen<br />
direkten Zugang über das umgebaute<br />
Atrium in die Klinikbereiche<br />
bietet 58 . Der Umzug der Rhön-Kreis-<br />
58 Online: https://www.campus-nes.de/fileadmin/<br />
FILES/RKA/Download/reden_und_praesentatio-<br />
klinik in das neue Zentrum für klinische<br />
Medizin fand im Dezember<br />
2018 statt. Das moderne Gebäude<br />
vereint die Herz- und Gefäßklinik, die<br />
Klinik für Handchirurgie, die neurologische<br />
Klinik und die Rhön-Kreisklinik<br />
unter einem Dach. Wesentliches<br />
Element des Campus-Konzeptes ist<br />
auch die neue, zentrale Notaufnahme,<br />
die die bestehenden Notfallambulanzen<br />
der Fachkliniken und der<br />
Rhön-Kreisklinik zentral zusammenfasst<br />
und damit für die Patientinnen<br />
nen/Campus_FactSheet.pdf (28.01.2023)
mellrichstadt<br />
und Patienten zur ersten Anlaufstelle<br />
wird 59 .<br />
Der Landkreis Rhön-Grabfeld hat<br />
seit 2016 die gesetzliche Pflichtaufgabe,<br />
Krankenhäuser zu errichten<br />
und zu unterhalten, delegiert 60 .<br />
Sichergestellt wird diese stationäre<br />
Grund- und Regelversorgung derzeit<br />
vom Rhön-Klinikum-Campus,<br />
der von den 7<strong>50</strong> Planbetten 190 für<br />
Chirurgie, 15 für Gynäkologie und<br />
Geburtshilfe, 10 für HNO und 195<br />
für innere Medizin vorhält. Daneben<br />
gibt es weitere Planbetten für Palliativmedizin,<br />
Herzchirurgie, Neurochirurgie<br />
und Neurologie. Berücksichtigt<br />
man noch die psychosomatische<br />
Klinik mit 200 Planbetten, so weist<br />
der Landkreis mit 9<strong>50</strong> Planbetten<br />
gemessen an seiner Einwohnerzahl<br />
eine weit überdurchschnittlich hohe<br />
Bettenkapazität auf, die mit der<br />
überregional anerkannten klinischen<br />
Spezialversorgung in unmittelbarem<br />
Zusammenhang steht 61 .<br />
Auch wenn der Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld keine eigenen Krankenhäuser<br />
mehr betreibt, ist die medizinische<br />
Versorgung der Menschen<br />
im stationären Bereich durch den<br />
Rhön-Klinikum-Campus Bad Neustadt<br />
gewährleistet, der für moderne<br />
Spitzenmedizin steht und<br />
Maßstäbe für eine ausgezeichnete<br />
Gesundheitsversorgung setzt.<br />
125<br />
59 Online: https://www.rhoen-gesundheitsblog.de/<br />
campus-bad-neustadt-umzug/ (06.12.2022)<br />
60 vgl. Praxis der Kommunalverwaltung, Band B2,<br />
Kommentar zur Landkreisordnung, zu Art. 51,<br />
Ziffer 4.1.1, Stand: Mai 2021<br />
61 Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit<br />
und Pflege, Krankenhausplan des Freistaates<br />
Bayern, Stand: 01.01.2022, 47. Fortschreibung,<br />
Seiten 128-129, 259
DER LANDKREIS ALS REGION<br />
URSULA SCHNEIDER<br />
126<br />
REGIONALENTWICKLUNG<br />
MIT DEM REGIONAL<br />
MANAGEMENT SEIT 2003<br />
Betrachtet man den Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld als Region im Dreiländereck<br />
Bayern-Hessen-Thüringen,<br />
wird schnell klar, dass in der<br />
Entwicklung dieser Region zu einer<br />
krisenfesten und lebenswerten Heimat<br />
für Bevölkerung, Betriebe, Natur<br />
und Landschaft große Potenziale<br />
stecken – wenn man die vielfältigen<br />
Herausforderungen gemeinsam in<br />
Kooperationen und Netzwerken angeht.<br />
Dies erkannte der Landkreis<br />
mit seinen Kommunen gerade nach<br />
der Wiedervereinigung im Jahr<br />
1990 sehr frühzeitig. Bereits seit<br />
Jahrzehnten werden gemeinsam<br />
mit den regionalen und überregionalen<br />
Initiativen der Gesamtregion<br />
im Dreiländereck, unterstützt durch<br />
ein eigenes Regionalmanagement,<br />
die sogenannten endogenen Potentiale<br />
genutzt, um den Landkreis als
Region positiv weiterzuentwickeln.<br />
Einen großen Nutzen bringen dabei<br />
verschiedene Förderinstrumente,<br />
allen voran LEADER, Städtebauförderung<br />
und Dorferneuerung, die<br />
auf EU-, Bundes- und Landesebene<br />
zur Verfügung stehen. Da gerade<br />
LEADER zusammen mit dem Regionalmanagement<br />
eine typische<br />
Methode für eine erfolgreiche Regionalentwicklung<br />
ist, sei im Folgenden<br />
vor allem auf die Kombination<br />
dieser beiden Bausteine im Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld eingegangen.<br />
Kleiner Exkurs zur Entwicklung der<br />
Europäischen Union und des europäischen<br />
LEADER-Ansatzes mit<br />
seiner Verknüpfung zur Regionalentwicklung<br />
in Rhön-Grabfeld<br />
Kleiner Exkurs zur Entwicklung<br />
der Europäischen Union und des<br />
europäischen LEADER-Ansatzes<br />
mit seiner Verknüpfung zur Regionalentwicklung<br />
in Rhön-Grabfeld<br />
Da Deutschland nach der Wiedervereinigung<br />
seitens der Europäischen<br />
Union (damals noch Europäische<br />
Gemeinschaft) als besonders mit<br />
Strukturproblemen belastet eingestuft<br />
worden war, wurden verschiedene<br />
„Strukturinterventionen der<br />
Gemeinschaft in den in Deutschland<br />
unter Ziel-2 fallenden Gebieten“<br />
(Gleiches wurde parallel für<br />
andere Mitgliedstaaten aufgestellt)<br />
entwickelt, die in Rhön-Grabfeld<br />
als sog. „Ziel-2-Gebiet“ und „5b-Gebiet“<br />
mit regionalen Akteuren für<br />
gezielte Maßnahmen und Projekte<br />
erfolgreich genutzt wurden. Unter<br />
das Ziel 5b der europäischen Strukturförderung<br />
fielen strukturschwache,<br />
ländliche Regionen, so auch in<br />
Deutschland. Sie erhielten für ihre<br />
Entwicklung und die Strukturanpassung<br />
bis 1999 europäische Strukturhilfen<br />
in Höhe von 1,229 Mrd.<br />
ECU (damalige europäische Währungseinheit).<br />
Die damalige Entscheidung<br />
der EU-Kommission zur<br />
Förderung der strukturschwachen<br />
Regionen gilt heute noch<br />
als ein be-<br />
127
128<br />
sonderer Akt europäischer Solidarität<br />
mit den benachteiligten Regionen.<br />
Hier wurden die Grundlagen<br />
für die europaweite Strukturentwicklungspolitik<br />
gelegt, die heute<br />
allen ländlichen Regionen zugutekommt<br />
und übrigens weit über landwirtschaftliche<br />
Belange hinausgeht<br />
– auch wenn LEADER heute<br />
noch immer im ELER (Europäischer<br />
Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung<br />
des Ländlichen Raums) in der<br />
sog. 2. Säule angesiedelt ist.<br />
Die Entwicklung der Förderlandschaft<br />
in Rhön-Grabfeld und damit<br />
einhergehend die Möglichkeiten<br />
einer effizienten Regionalentwicklung<br />
sind also eng verknüpft mit<br />
der Entwicklung der EU und ihrer<br />
Finanzierungsbestimmungen. Parallel<br />
zur 5b-Förderung (1989-1993<br />
und 1994-1999) wurde zunächst<br />
in einer Erprobungsphase ab 1991<br />
LEADER I ins Leben gerufen, das<br />
nur wenigen benachteiligten Gebieten<br />
zugutekam. Rhön-Grabfeld<br />
war als 5b-Region von Anfang an<br />
bei den Strukturentwicklungsmaßnahmen<br />
dabei. Nach LEADER II<br />
(1994-1999) etablierte sich ab<br />
2000 mit LEADER+ der Förderansatz<br />
nach dem Bottom-up-Prinzip<br />
(von unten nach oben), nachdem<br />
Top-down-Programme (von oben<br />
nach unten) gescheitert waren.<br />
Seit dieser 3. Förderphase (LEA-<br />
DER+) steht das Programm allen<br />
ländlichen Regionen in der EU zur<br />
Verfügung. Aufgrund des erfolgreich<br />
verlaufenen Einsatzes als<br />
sogenannte Gemeinschaftsinitiative<br />
zwischen 1991 und 2005<br />
ist der LEADER-Ansatz seit 2006<br />
als eigenständiger Schwerpunkt<br />
in die Mainstream-Förderung<br />
aufgenommen worden. LEADER<br />
(englischsprachiges Akronym von<br />
französisch „Liaison entre actions<br />
de développement de l‘économie<br />
rurale“, deutsch „Verbindung zwischen<br />
Aktionen zur Entwicklung<br />
der ländlichen Wirtschaft“) versteht<br />
sich als ein Maßnahmenprogramm<br />
der Europäischen Union,<br />
mit dem seit 1991 modellhaft innovative<br />
Aktionen im ländlichen<br />
Raum gefördert werden. Es wird in<br />
Bayern mit derzeit <strong>50</strong> Prozent der<br />
zur Verfügung gestellten Mittel<br />
aus dem Landeshaushalt kofinanziert.<br />
Jeder europäische Euro wird
also mit einem bayerischen Euro<br />
verdoppelt. Lokale Aktionsgruppen<br />
(LAGen) erarbeiten vor Ort<br />
Entwicklungskonzepte, mit deren<br />
Umsetzung sie den LEADER-Ansatz<br />
nachhaltig, innovativ und in<br />
regionaler und überregionaler Zusammenarbeit<br />
mit Leben erfüllen<br />
und die eigene Region voranbringen.<br />
Ziel der EU ist es, die ländlichen<br />
Regionen Europas auf dem<br />
Weg zu einer eigenständigen Entwicklung<br />
zu unterstützen.<br />
Entwicklung von LEADER im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
Etwa ab dem Jahr 1999 begann seitens<br />
der Landkreisverantwortlichen<br />
eine verstärkte Fokussierung auf<br />
die Nutzung von Strukturentwicklungsprogrammen,<br />
v. a. aufgestellt<br />
von der Europäischen Union, der<br />
Bundesrepublik Deutschland, dem<br />
Freistaat Bayern – ausgereicht<br />
über die Regierung von Unterfranken<br />
bzw. über das Amt für Ländliche<br />
Entwicklung (ALE) und das<br />
Amt für Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Forsten (AELF). Mit Hilfe der<br />
damit nutzbaren öffentlichen Fördermittel<br />
konnten über die letzten<br />
Jahrzehnte viele Entwicklungen<br />
angestoßen und nachhaltige Projekte<br />
umgesetzt werden. Dabei dienen<br />
die Programme des ALE und<br />
der Städtebauförderung vor allem<br />
direkt den Kommunen und ihren<br />
Bürgern. Für die Landkreisentwicklung<br />
kam LEADER, nutzbar heute<br />
über das AELF, dem Landkreis als<br />
Ganzes mit allen hier aktiven Initiativen,<br />
Personen, Unternehmen und<br />
sonstigen Gruppierungen zugute.<br />
Waren bei 5b und LEADER anfangs<br />
lose Zusammenschlüsse verschiedener<br />
Interessengruppen aktiv, so<br />
stellte sich mit zunehmend erfolgreichen<br />
Projekten heraus, dass sich<br />
auf Landkreisebene besser zusammenarbeiten<br />
lässt, wenn sich eine<br />
feste Arbeitsgemeinschaft gründet.<br />
Da gleichzeitig mit dem neuen Programm<br />
LEADER+ ab 2000 eine feste<br />
Struktur gefordert wurde, die die<br />
regionalen Akteure bündelt, wurde<br />
1999 die Lokale Aktionsgruppe<br />
(LAG) gegründet. Sie firmierte anfangs<br />
unter dem Titel „Aufwind<br />
Rhön-Saale“, später wurde daraus<br />
die LAG Rhön-Grabfeld als Arbeitsgemeinschaft<br />
nach KommZG, aus<br />
der heraus sich 2014 die LAG Rhön-<br />
129
Grabfeld e.V. als eingetragener Verein<br />
gründete.<br />
130<br />
Mit der Förderperiode 2000-2006<br />
vollzog sich ein größerer Wandel in<br />
der Strukturentwicklungspolitik. So<br />
verstand sich LEADER+ in diesem<br />
Zeitraum nicht nur als Fortsetzung<br />
der vorherigen Initiativen LEADER<br />
I und II, sondern zielte auf ambitionierte,<br />
gebietsspezifische Strategien<br />
für die Entwicklung des ländlichen<br />
Raums ab. Dabei kam der<br />
Kooperation und der Vernetzung<br />
der ländlichen Gebiete und dem gezielten<br />
Aufbau eines Regionalmanagements<br />
besondere Bedeutung<br />
zu. Erstmals konnten nun auch<br />
sämtliche ländliche Gebiete der EU<br />
im Rahmen von LEADER+ gefördert<br />
werden – ein großer Erfolg der Probephasen<br />
LEADER I und II. Seither<br />
hat sich LEADER in den weiteren,<br />
jeweils etwa siebenjährigen Förderperioden<br />
mit zum wichtigsten<br />
Förderprogramm des ländlichen<br />
Raums entwickelt. Aktuell befinden<br />
wir uns in der auslaufenden Förderperiode<br />
2014-2022/2025.<br />
Offizieller Förderhinweis in der aktuellen<br />
Förderperiode 2014-2022/2025<br />
LEADER mit der LAG Rhön-<br />
Grabfeld als Instrument für die<br />
Regionalentwicklung<br />
Für jede LEADER-Förderperiode<br />
müssen sich seit LEADER+ die Regionen<br />
mit Entwicklungskonzepten<br />
(REK; heute Lokale Entwicklungsstrategie<br />
LES) bewerben. Für die<br />
LAG Rhön-Grabfeld wie für alle<br />
Regionen bildeten und bilden diese<br />
Konzepte für jeweils fünf bis<br />
sieben <strong>Jahre</strong> Handlungsleitfäden,<br />
die gemeinsam von den regionalen<br />
Akteuren entwickelt und mit Projekten<br />
und Veranstaltungen umgesetzt<br />
werden. Grundsätzlich haben<br />
sich die Ziele für Rhön-Grabfeld<br />
über die gesamten Förderperioden<br />
kaum geändert, erhielten aber in<br />
der Bearbeitung unterschiedliche<br />
Schwerpunkte. Dabei spielten nicht<br />
nur die lokalen Fortschritte bei der
Zielerreichung, sondern auch die<br />
gesellschaftlichen Entwicklungen<br />
in internationalen bis kleinregionalen<br />
Zusammenhängen wesentliche<br />
Rollen.<br />
So kam es anfangs vor allem auf<br />
die Bildung von Netzwerken und<br />
Kooperationen an, um die identifizierten<br />
Herausforderungen gemeinschaftlich<br />
zu bewältigen.<br />
Später gewann zunehmend der<br />
demografische Wandel hin zu einer<br />
älterwerdenden und zahlenmäßig<br />
abnehmenden Bevölkerung an Bedeutung.<br />
Mit Fokussierung auf weiche<br />
Standortfaktoren und Maßnahmen<br />
zur gezielten Innenentwicklung<br />
der Ortschaften versuchte man,<br />
diesen Trends entgegenzuwirken –<br />
mit Erfolg, der heute u. a. an wieder<br />
steigenden Bevölkerungszahlen<br />
sowie einer quasi Vollbeschäftigung<br />
ablesbar ist. Seit den letzten<br />
beiden Förderperioden geraten zunehmend<br />
Klimaveränderungen und<br />
Verlust der Biodiversität in den Fokus,<br />
damit zusammenhängend die<br />
verstärkte Konkurrenz um Flächen.<br />
Um hier notwendige Balancen zu<br />
finden, wurden in den Lokalen Entwicklungsstrategien<br />
Schwerpunkte<br />
auf den Schutz natürlicher Ressourcen<br />
gelegt.<br />
Regionalmanagement des<br />
Landkreises ab 2003<br />
Mit der Entscheidung für die Teilnahme<br />
am neuen LEADER-Förderprogramm<br />
und damit für die Umsetzung<br />
des ersten Regionalen<br />
Entwicklungskonzepts (REK) ab<br />
2002 erwuchs die Notwendigkeit<br />
einer professionellen Begleitung<br />
der Regionalentwicklung und der<br />
LAG Rhön-Grabfeld. Damit wurde<br />
das Regionalmanagement ins Leben<br />
gerufen, das erste Vorläufer<br />
bereits in den zwei <strong>Jahre</strong>n vor der<br />
LEADER-Anerkennung hatte. Mit<br />
der Arbeitsgemeinschaft Bott-Kuhlmann-Schneider<br />
ab 2003, dann<br />
Kuhlmann-Schiller-Schneider, später<br />
Kuhlmann & Schneider, wurden<br />
die Regionalentwicklung und das<br />
LAG-Management von 2003 bis<br />
131
132<br />
2012 landkreisübergreifend für<br />
Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld<br />
betrieben. Gefördert wurde es zunächst<br />
über das bayerische Wirtschaftsministerium,<br />
in den <strong>Jahre</strong>n<br />
2007 bis 2008 über LEADER, danach<br />
wieder über das bayerische<br />
Wirtschaftsministerium. Seit 2013<br />
führen die beiden Landkreise Bad<br />
Kissingen und Rhön-Grabfeld ihr<br />
Regionalmanagement in getrennten,<br />
jeweils eigenen Strukturen. Das<br />
Regionalmanagement Rhön-Grabfeld<br />
wurde mit einer festen Stelle<br />
verstetigt und in der Stabsstelle<br />
Kreisentwicklung angesiedelt. Inzwischen<br />
entwickelte es sich weiter<br />
zum Sachgebiet Nachhaltige Regionalentwicklung,<br />
gegründet im April<br />
2021. Heute sind hier weitere Fachbereiche<br />
der Nachhaltigkeit, wie die<br />
staatlich anerkannte bayerische<br />
Öko-Modellregion, Gartenkultur und<br />
Landespflege sowie Arten- und Klimaschutz,<br />
integriert.<br />
Wichtige Partner im Regionalmanagement<br />
sind der Verein Naturpark<br />
& Biosphärenreservat Bayerische<br />
Rhön e.V. und die Rhön<br />
GmbH als landkreisübergreifende<br />
Projektträgerstrukturen sowie das<br />
UNESCO-Biosphärenreservat Rhön<br />
mit der Bayerischen Verwaltungsstelle<br />
und zahlreiche regionale und<br />
landkreisübergreifend wirkende Akteure<br />
und Initiativen auf kommunaler<br />
oder bürgerschaftlicher Ebene.<br />
Da sich inzwischen alle Kommunen<br />
des Landkreises in insgesamt vier<br />
kommunalen Allianzen zusammengefunden<br />
haben, findet ein kontinuierlicher<br />
Austausch auch über die<br />
Lenkungsgruppen der Allianzen mit<br />
dem Regionalmanagement statt.<br />
Damit geht die Regionalentwicklung<br />
im Landkreis stets in enger Abstimmung<br />
mit den kleinräumigeren<br />
Entwicklungen auf Allianz- oder einzelkommunaler<br />
Ebene einher.<br />
Aufgaben und Tätigkeiten des Regionalmanagements<br />
sind bis heute<br />
im Wesentlichen:<br />
• Beratung von Projektträgern<br />
bzw. Projektbetreuung von der<br />
ersten Idee über die Entwicklung<br />
einer passgenauen Umsetzungs-<br />
und ggf. Förderantragsreife<br />
bis zur nachhaltigen<br />
Umsetzung und Fortführung;
dies ggf. unter Einbeziehung<br />
von Fördermitteln (v. a. LEA-<br />
DER, aber auch weitere) mit<br />
förderkonformer Abwicklung<br />
sowie Beteiligung von Fachstellen<br />
• Netzwerkberatung zur Integration<br />
verschiedener Projekte in<br />
die Regionalentwicklung<br />
• Öffentlichkeitsarbeit und<br />
Bewusstseinsbildung für<br />
regionale Themen (Regionalkonferenzen,<br />
Workshops,<br />
Projektbereisungen, Projektausstellungen,<br />
Pressearbeit)<br />
• Netzwerkarbeit mit regionalen<br />
und überregionalen Initiativen<br />
(z. B. LAGen deutschland- und<br />
EU-weit, kommunale Allianzen,<br />
Öko-Modellregion, Rhön GmbH,<br />
UNESCO-Biosphärenreservat<br />
Rhön, Naturpark & Biosphärenreservat<br />
Bayer. Rhön, Fachbehörden,<br />
Universitäten u.v.m.)<br />
• Evaluierung und Erfolgskontrolle<br />
Die Erfolge und Ergebnisse der<br />
Regionalentwicklung über Regional-<br />
und LAG-Management lassen<br />
sich am besten an den vielfältigen<br />
Projekten ablesen, die während der<br />
bisher vier LEADER-Förderperioden<br />
von 2003 bis 2022 entstanden sind<br />
(Beispiele siehe unten). In Summe<br />
handelt es sich dabei für das Gebiet<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld um<br />
über 130 Einzel- und Kooperationsprojekte<br />
(überwiegend, aber nicht<br />
nur LEADER-Projekte) mit einem<br />
Gesamtprojektvolumen von über<br />
26 Mio. Euro bei einem Fördermitteleinsatz<br />
allein über LEADER von<br />
ca. 6,5 Mio. Euro. Oftmals konnten<br />
mehrere Förderprogramme in Kombination<br />
genutzt werden, so dass<br />
aus einer z. B. <strong>50</strong>-Prozent-Förderung<br />
der EU- eine bis zu 90-prozentige<br />
Förderung für den Projektträger<br />
erreicht werden konnte. Im Durchschnitt<br />
führte 1 „LEADER-Euro“ zu<br />
etwa 2 Euro aus weiteren Fördermitteln<br />
und insgesamt ca. 6 Euro<br />
Gesamtinvest pro Projekt.<br />
Ein überregionaler Erfolg war die<br />
Auszeichnung des gemeinsamen<br />
Regionalmanagements Bad Kissingen/Rhön-Grabfeld<br />
als „Bayerns<br />
Regionalmanagement des <strong>Jahre</strong>s<br />
2010“ durch das bayerische Wirtschaftsministerium.<br />
Das Wettbe-<br />
133
134<br />
werbsthema lautete „Innovation“.<br />
Gründe für die Auszeichnung waren<br />
unter anderem die Entwicklung<br />
neuer Bürgerbeteiligungsformate,<br />
wie Projektbereisung und Regionalkonferenzen,<br />
aber auch die erstmalige<br />
Entwicklung von Antragshilfen<br />
für LEADER-Antragsteller, die in<br />
der Folge seitens des zuständigen<br />
Landwirtschaftsministeriums übernommen<br />
wurden. Als Preis konnte<br />
nicht nur eine Urkunde in Empfang<br />
genommen werden: Im Jahr 2011<br />
konnte eine Regionalkonferenz unter<br />
Finanzierung des Wirtschaftsministeriums<br />
unter dem Titel<br />
„Standortfaktoren für erfolgreiche<br />
Regionen – Impulse für den ländlichen<br />
Raum“ durchgeführt werden.<br />
Schirmherr und Teilnehmer war<br />
Martin Zeil, damaliger Staatsminister<br />
für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr<br />
und Technologie.<br />
LEADER+ (Förderperiode<br />
2002-<br />
2006/2008)<br />
Die Region Rhön-<br />
Grabfeld befasste sich zunächst<br />
vor allem mit der Verbesserung<br />
der Lebensqualität und der Steigerung<br />
der Bekanntheit von Rhön und<br />
Grabfeld auch im überregionalen<br />
Kontext. Hierzu wurde vor allem die<br />
länderübergreifende Zusammenarbeit<br />
mit den Rhöner Landkreisen<br />
in Bayern, Hessen und Thüringen intensiviert.<br />
Es entstanden die Regionale<br />
Arbeitsgemeinschaft (ARGE)<br />
Rhön und in der Folge die länderübergreifende<br />
Dachmarke Rhön.<br />
Wegweisende LEADER-Projekte<br />
aus dieser Zeit:<br />
Etablierung eines länderübergreifenden<br />
Dachmarken-Qualitätssystems<br />
für die Gastronomie (sichtbar<br />
hier an den max. 3 erreichbaren Silberdisteln<br />
für Regionalität).
Entwicklung des Premiumwanderwegs<br />
DER HOCHRHÖNER® mit<br />
seinen ersten Extratouren.<br />
135<br />
Auf Landkreisebene entstanden die<br />
Kulturagentur Rhön-Grabfeld sowie<br />
das Kreiskulturzentrum Kunst<br />
und Kultur – Kloster Wechterswinkel.<br />
Die Kulturagentur managt seit<br />
2008 den Betrieb des Kreiskulturzentrums<br />
sowie der Kreisgalerie<br />
in Mellrichstadt. Sie ist ein weithin<br />
einmaliges Beispiel für eine derartige<br />
Einrichtung eines Landkreises in<br />
Deutschland.<br />
Am Schullandheim und Jugendhaus<br />
Thüringer Hütte errichtete das<br />
Bischöfliche Ordinariat Würzburg<br />
mit seiner Außenstelle Diözesanbüro<br />
Bad Neustadt den Franziskusweg.<br />
Gestaltet wurde er von<br />
Schülern der Holzbildhauerschule<br />
Bischofsheim und engagierten regionalen<br />
Akteuren über das Diözesanbüro<br />
Bad Neustadt. Der Weg<br />
wurde zum einen als spirituelle Ergänzung<br />
zum Angebot des Schullandheims<br />
entwickelt, zum anderen<br />
als Lebens- und Besinnungsweg für<br />
Einheimische und Gäste der Rhön.<br />
(Foto: Hanns Friedrich)
136<br />
Die genannten Beispiele stehen für<br />
zahlreiche weitere kulturelle und<br />
touristische Projekte aus dieser<br />
Zeit, die heute noch Bestand haben.<br />
Erwähnt seien hier außerdem z. B.<br />
verschiedene Themenmuseen (u. a.<br />
Neuausrichtung Orgelbaumuseum<br />
und neues Kirchenburgmuseum<br />
Ostheim, Museum für Grenzgänger<br />
Bad Königshofen), das Marketingkonzept<br />
Bäderland Bayerische<br />
Rhön und das Radwanderwegekonzept<br />
Rhön-Grabfeld.<br />
Sämtliche Einzel- und Kooperationsprojekte<br />
aus dieser Förderperiode<br />
sind in einer gemeinsamen Broschüre<br />
mit dem Regionalmanagement<br />
des Landkreises Bad Kissingen erläutert,<br />
downloadbar auf der Homepage<br />
der LAG Rhön-Grabfeld unter<br />
www.lag-rhoen-grabfeld.de.<br />
Ein gelungenes<br />
Netzwerkprojekt<br />
ist der Zusammenschluss<br />
der<br />
meisten regionalen Brauereien<br />
zur Initiative „Wir sind Rhöner Bier“<br />
– inzwischen bereits länderübergreifend<br />
ein Qualitäts- und Herkunftsversprechen<br />
der Region.<br />
LEADER in ELER<br />
(2007-2013/2015)<br />
In dieser Förderperiode<br />
entwickelten sich<br />
die Schwerpunkte<br />
weiter. So wurden die regionalen<br />
Produkte und Angebote weiter verfeinert<br />
und besser vermarktet, also<br />
touristisch in Wert gesetzt.<br />
Die Geschichte der Landnutzung<br />
im Neustädter Becken wurde über<br />
Ausgrabungen der Universität Jena<br />
untersucht, aus der das anschauliche<br />
Bildungs- und Tourismusprojekt<br />
„Pfalzgebiet Salz und Veitsberg“<br />
entstand. Es ist ein Beispiel<br />
eines sich stetig weiterentwickelnden<br />
Projektes, das nun schon über<br />
mehrere Förderperioden läuft und<br />
zu neuen Projekten, wie dem „Lebendigen<br />
Geschichtsmodell Pfalz“
(Förderperiode 2014-2023), und<br />
möglicherweise zu einer musealen<br />
Ausstellung in der neuen Förderperiode<br />
2023-2027 führt. (Foto: Michael<br />
Weiß)<br />
men in Bayern ist der Verein Naturpark<br />
& Biosphärenreservat Bayer.<br />
Rhön e.V. Ein Highlight war die Errichtung<br />
eines Schaustollens am<br />
Bauersberg (finanziert mit anderen<br />
Mitteln), an den sich ein Naturlehrpfad<br />
mit Hilfe von LEADER in ELER<br />
angliedert. Das Foto zeigt den Eingang<br />
zum Schaustollen mit einer<br />
Infotafel des Lehrpfads.<br />
137<br />
Im länder- bzw. landkreisübergreifenden<br />
Kooperationsprojekt<br />
„Rhöner Geologie erleben“ mit<br />
Hessen und dem Landkreis Bad<br />
Kissingen wurden die Besonderheiten<br />
der Rhöner Geologie mit Basalt,<br />
Muschelkalk, Buntsandstein etc.<br />
mit Hilfe von Lehrpfaden, Internetinformationen,<br />
Ausstellungen und<br />
Broschüren den Gästen der Rhön<br />
nahegebracht. Das länderübergreifende<br />
Konzept wurde federführend<br />
über den hessischen Verein Natur-<br />
und Lebensraum Rhön e.V. entwickelt.<br />
Träger und noch heutiger<br />
Betreiber der Umsetzungsmaßnah-<br />
Die Holzschnitzkunst wird landkreisübergreifend<br />
mit Bad Kissingen in<br />
mehreren Projekten unter dem Titel<br />
SCHNITZ|STAND|ORT|Rhön gewürdigt,<br />
visualisiert z. B. im neu angelegten<br />
Kunstanger in Langenleiten.<br />
Träger sind jeweils die Kommunen,
138<br />
hier also die Gemeinde Sandberg.<br />
Wichtige Partner sind v. a. die regionalen<br />
Bildhauer und Holzschnitzer.<br />
Neben der Entwicklung der Region<br />
zur touristischen und kulturellen<br />
Qualitätsregion gelangten aber in<br />
den Ortskernen die zunehmenden<br />
Leerstände von Gebäuden ins Bewusstsein<br />
von Kommunen und<br />
Bevölkerung. Auch der Landkreis<br />
nahm sich des Themas als Herausforderung<br />
an und wurde zur Unterstützung<br />
der Kommunen ebenfalls<br />
tätig, indem er ein Innenentwicklungsmanagement<br />
zu deren Beratung<br />
einführte. Mit der zunehmenden<br />
Erstarkung der kommunalen<br />
Allianzen wurde dieses Thema nach<br />
Anfangserfolgen zurückverlagert in<br />
die kommunale Hauptzuständigkeit.<br />
In Erinnerung ist bis heute die<br />
erfolgreiche Baumesse „So wird saniert!“<br />
in Rödles, bei der Sanierungsberatung<br />
und eine Leistungsschau<br />
regionaler Betriebe im Sanierungsbereich<br />
im Vordergrund standen.<br />
Ein weiterer Ansatz, um die Lebensqualität<br />
der Region zu steigern<br />
und für Ansiedlung bzw. Dableiben<br />
von Menschen weitere Anreize zu<br />
schaffen, sind besondere Angebote<br />
im Bildungsbereich. Nachdem<br />
das „Rhöniversum“ als Dreiklang<br />
der Bildungsträger Schullandheim<br />
und Jugendhaus Thüringer Hütte,<br />
Umweltbildungsstätte Oberelsbach<br />
und Schullandheim Bauersberg gegründet<br />
war, investierte die Diözese<br />
in ihr Schullandheim an der Thüringer<br />
Hütte mit Hilfe von LEADER<br />
und baute ein Energiehaus und ein<br />
Erdhaus auf dem dortigen Gelände.<br />
Damit wurde die Einrichtung ihrer
Vorreiterrolle in der technischen<br />
Umweltbildung gerecht und konnte<br />
in vielen Modulen das Ausprobieren<br />
nachhaltiger Energienutzungsformen<br />
sowie eine „erdverbundene“<br />
neue Übernachtungsmöglichkeit<br />
anbieten. Leider ist heute die Zukunft<br />
dieser Einrichtung ungewiss,<br />
da sich der damalige Träger (Diözese<br />
Würzburg) jüngst aus dem Weiterbetrieb<br />
zurückzog. Das Bild zeigt<br />
das Erdhaus kurz vor der Fertigstellung<br />
2012.<br />
Auch die Projekte dieser Förderperiode<br />
sind in einer gemeinsamen<br />
Broschüre mit dem Regionalmanagement<br />
des Landkreises Bad<br />
Kissingen erläutert. Wie die erste<br />
Broschüre ist auch sie downloadbar<br />
über die Homepage der LAG<br />
Rhön-Grabfeld unter www.lag-rhoen-grabfeld.de.<br />
LEADER<br />
2014-2022/25<br />
Aktuell befinden wir<br />
uns in der auslaufenden<br />
Förderperiode<br />
2014 bis 2022. War sie ursprünglich<br />
wie üblich auf sieben <strong>Jahre</strong>, also<br />
bis 2020, ausgerichtet, so wurde<br />
sie aufgrund der Corona-Pandemie<br />
und der daraus folgenden Umsetzungsschwierigkeiten<br />
zweimal um<br />
ein Jahr, also letztlich bis 2022, verlängert.<br />
Die folgende Förderperiode<br />
ab 2023 wird entsprechend verkürzt,<br />
um wieder in den Sieben-<strong>Jahre</strong>s-Rhythmus<br />
zu kommen. Sie wird<br />
daher nur bis 2027 reichen. Die Förderung<br />
2022 in der alten Förderperiode<br />
geschieht bereits im Vorgriff<br />
auf die Mittel der neuen Förderperiode.<br />
Blickt man auf die bisher angelaufenen<br />
und abgeschlossenen<br />
Projekte der aktuell<br />
139
140 noch laufenden Förderperiode<br />
zurück, so lassen sich neben den<br />
klassischen Themen wie Tourismus<br />
und Kultur neue Schwerpunkte<br />
erkennen. So wurde verstärkt auf<br />
die Teilhabe aller Menschen geachtet<br />
– mehrere inklusive Projekte<br />
sowie Jugendprojekte wurden umgesetzt.<br />
Auffällig war außerdem die<br />
hohe Beteiligung von Vereinen, also<br />
Menschen im Ehrenamt, unter den<br />
Projektträgern. Damit wird deutlich,<br />
dass sich die Menschen in Zeiten<br />
von Nöten wieder mehr auf das lokale<br />
Miteinander besinnen und sich<br />
aufeinander verlassen. Das stimmt<br />
optimistisch für die Zukunft.<br />
Herauszuheben ist z. B. das Kooperationsprojekt<br />
„Inklusion durch<br />
Sport in Strahlungen“ zwischen<br />
dem Fußballverein FC Strahlungen<br />
und den Einrichtungen der Lebenshilfe<br />
Rhön-Grabfeld und des<br />
Dominikus-Ringeisen-Werkes<br />
in Maria<br />
Bildhausen. Das Eröffnungsspiel<br />
auf<br />
dem neuen Kunstrasen<br />
bestritten<br />
„Prominente“ gemeinsam mit Menschen<br />
mit Handicap.<br />
Ein weiteres Projekt widmet sich<br />
der Teilhabe beeinträchtigter Menschen,<br />
nämlich der neue „Inklusive<br />
Pavillon der Bienenkunde“ des<br />
Imkervereins Bad Königshofen und<br />
Umgebung. Dieser Verein hatte<br />
schon zu Beginn dieser Förderperiode<br />
ein hochinnovatives Projekt<br />
umgesetzt, das „Apiair-Therapiezentrum<br />
Rhön-Grabfeld“ mit der gesundheitsfördernden<br />
Nutzung der<br />
Bienenstockluft. Der TSV Großbardorf<br />
spricht gezielt den jugendlichen<br />
Nachwuchs mit seinem<br />
Projekt „Fußball-Förderzentrum<br />
Rhön-Grabfeld“ an.<br />
Aufwertung der Infrastruktur und<br />
nachhaltige Entwicklung des Umfelds<br />
am Badesee Irmelshausen:<br />
Unter anderem wurde der Kiosk<br />
umgebaut und saniert und das Um-
feld am See mit Wasserspielplatz<br />
und einem neuen Badesteg ausgestattet<br />
(Bild). Projektträger ist die<br />
Gemeinde Höchheim.<br />
Auffällig ist in dieser Förderperiode,<br />
dass die Menschen Treffpunkte<br />
zum Zusammenkommen suchen.<br />
So entstand in Langenleiten, in einem<br />
Gemeinschaftsprojekt der lokalen<br />
Bevölkerung, das „Dorfhaus<br />
Langenleiten – Ein Haus für Alle“<br />
und in Strahlungen wurde aus der<br />
ehemaligen Mehrzweckhalle ein<br />
neues „Seniorengerechtes Bürgerzentrum“.<br />
In Rappershausen<br />
wird zudem das ehemalige Pfarrhaus<br />
umgenutzt zu einem neuen<br />
Übernachtungshaus des Schullandheims,<br />
das auch den örtlichen<br />
Vereinen zur Verfügung steht. In<br />
beiden letztgenannten Projekten<br />
wird zudem das Thema Innenentwicklung<br />
durch die Nachnutzung<br />
bestehender Gebäude vorbildlich<br />
bespielt.<br />
Alle Projekte der aktuellen Förderperiode<br />
sind auf der Homepage<br />
der LAG Rhön-Grabfeld unter www.<br />
lag-rhoen-grabfeld.de mit Projektsteckbriefen<br />
hinterlegt.<br />
Fazit<br />
Mit den aktuellen globalen und lokalen<br />
Herausforderungen unserer<br />
Zeit sind innovative Strategien und<br />
Maßnahmen gefordert, die zu ihrer<br />
Umsetzung neben engagierten Akteuren<br />
nach wie vor ausreichend<br />
(öffentliche) Finanzmittel benötigen.<br />
Zunehmend finden sich auch<br />
außerhalb von LEADER Finanzierungsinstrumente,<br />
die hier effizient<br />
angewendet werden können. Die<br />
Stabsstelle Kreisentwicklung mit u.<br />
a. Regionalmanagement und LAG-<br />
Management hilft Antragstellern<br />
durch den immer dichter werdenden<br />
Förderdschungel. Mit den neuen<br />
globalen Themen verflechten sich<br />
seit einigen <strong>Jahre</strong>n dabei LAG- und<br />
141
142<br />
Regionalmanagement-Tätigkeiten<br />
auch im Energie-, Klima- und Naturschutzbereich<br />
zunehmend mit weitergehenden<br />
Aktivitäten regionaler<br />
Akteure. Die Fachmanagements<br />
des Landkreises werden somit immer<br />
mehr zum Netzwerkpartner<br />
auf verschiedenen regionalen und<br />
überregionalen Ebenen. Bereits für<br />
die nahe Zukunft wird es spannend<br />
sein, in der Arbeit mit neuen Akteuren,<br />
wie den Energieagenturen und<br />
-beratern, dem Biodiversitätszentrum<br />
des Landesamts für Umwelt<br />
oder der sich gerade neu profilierenden<br />
Bayerischen Verwaltungsstelle<br />
des UNESCO-Biosphärenreservats<br />
Rhön, zukunftsweisende<br />
Strategien und Maßnahmen zu finden,<br />
um den Landkreis und die Region<br />
Rhön-Grabfeld als lebens- und<br />
liebenswerte Heimat für Mensch<br />
und Natur zu erhalten und nachhaltig<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Verwendete Quellen<br />
Fotos, soweit nicht anders angegeben: ©Ursula<br />
Schneider<br />
Copyright der Logos und Grafiken bei den jeweiligen<br />
Trägern.<br />
Regionales Entwicklungskonzept LEADER+ Lokale<br />
Aktionsgruppe Rhön-Grabfeld (2002-2006)<br />
Regionales Entwicklungskonzept LEADER+ Lokale<br />
Aktionsgruppe Rhön-Grabfeld (2007-2013)<br />
Lokale Entwicklungsstrategie (LES) mit Integrierten<br />
räumlichen Entwicklungsmaßnahmen (IRE) Lokale<br />
Aktionsgruppe Rhön-Grabfeld e.V. (2014-2020)<br />
Lokale Entwicklungsstrategie (LES) LAG Rhön-Grabfeld<br />
e.V. (2023-2027)<br />
https://enrd.ec.europa.eu/leader-clld/leader-resources/leader-historical-resources_de<br />
European<br />
Network for Rural Development (ENRD) Historische<br />
Quellen von LEADER<br />
https://de.wikipedia.org/wiki/LEADER Geschichte von<br />
LEADER 1991-2027<br />
https://dserver.bundestag.de/brd/1997/D143+97.<br />
pdf Entschließung über die Entwicklungsprobleme<br />
und Strukturinterventionen in Deutschland 1994-1999<br />
(Unterrichtung der Europäischen Union, <strong>Druck</strong>sache<br />
143/94 des Deutschen Bunderats am 03.03.1997)<br />
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/<br />
de/IP_93_1228 Ziel 5b im Zeitraum 1994-1999 –<br />
Grundsatzentscheidung der Kommission zur Liste der<br />
Förderfähigen Gebiete (IP/93/1228)
143
144<br />
STARKE KULTUR. NEUE WEGE DER<br />
KULTURARBEIT IM LÄNDLICH<br />
GEPRÄGTEN RAUM AM BEISPIEL<br />
DER KULTURAGENTUR DES LAND-<br />
KREISES RHÖN-GRABFELD<br />
DR. ASTRID HEDRICH-SCHERPF &<br />
SOPHIA MOHR<br />
„KULTURELLE VIELFALT<br />
UND DIE KÜNSTE IN ALLEN<br />
IHREN AUSDRUCKSFOR<br />
MEN SIND UNVERZICHT<br />
BAR FÜR EINE LEBENDIGE<br />
DEMOKRATIE“, 1<br />
1 Christoph Thoma, Julia Bitsche: „Kulturverwaltung<br />
im Wandel“, in: Handbuch Kulturmanagement,<br />
Ausgabe 80 | 2022, S. 27<br />
für unser Zusammenleben und unser<br />
Wohlbefinden. Kultur als Wert<br />
zu formulieren, diesen gemeinsam<br />
zu bewahren und zu vermitteln sowie<br />
jedermann zugänglich zu machen,<br />
ist dem Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
ein wichtiges Anliegen.<br />
Daher geht man seit vielen <strong>Jahre</strong>n<br />
in Sachen Kulturarbeit und Kulturförderung<br />
eigene, neue Wege. Was als<br />
Pilotprojekt für eine ländlich strukturierte<br />
Region im Jahr 2006 mit<br />
Hilfe von LEADER gestartet wurde,<br />
ist heute, nach 17 <strong>Jahre</strong>n, ein fester<br />
Bestandteil der Kulturarbeit im Landkreis:<br />
die Kulturagentur. Darunter ist<br />
ein umfassendes wie flächende-
ckendes Kulturmanagement zu verstehen,<br />
das nicht nur für ein Projekt,<br />
für eine Kultureinrichtung oder für<br />
eine Kultursparte zuständig ist, sondern<br />
die Rahmenbedingungen für<br />
kulturelle Aktivitäten auf breiter Basis<br />
im gesamten Landkreis geschaffen<br />
hat, schafft und ausbaut.<br />
Seit einigen <strong>Jahre</strong>n steht die „Kultur<br />
in ländlichen Regionen“ auch<br />
bundesweit im Fokus. Die Kulturstiftung<br />
des Bundes hat 2015 mit<br />
dem Förderprogramm „TRAFO –<br />
Modelle für Kultur im Wandel“ ein<br />
Strukturprogramm gestartet, bei<br />
dem in Modellregionen u. a. die<br />
gesellschaftliche Wirkung von projektunabhängiger<br />
Kulturförderung<br />
erforscht wird. 2 Der Deutsche Kulturrat<br />
veröffentlichte 2022 das Dossier<br />
„Land-Art(?) – Kultur in ländlichen<br />
Räumen“ 3 und betont u. a. die<br />
Bedeutung von Vernetzung und Mitgestaltung<br />
in der Kulturarbeit. Die<br />
kulturpolitische Gesellschaft griff<br />
die Förderung der Kultur in länd-<br />
lichen Räumen 2022 als Schwerpunkt<br />
in ihren kulturpolitischen Mitteilungen<br />
4 auf.<br />
„Der ländliche Raum“ wird in den<br />
Veröffentlichungen als Oberbegriff<br />
für sehr unterschiedliche Regionen<br />
genutzt, die aber meist eines vereint:<br />
eine ausbaufähige kulturelle<br />
Infrastruktur und eine oftmals von<br />
Ehrenamtlichen getragene Kulturarbeit.<br />
Klar scheint für alle zu sein,<br />
dass eine breit gefächerte Kulturlandschaft<br />
das Potenzial hat, die<br />
Lebensqualität und die Attraktivität<br />
einer Region zu steigern 5 .<br />
Dass die Diskussion über und die<br />
Ideenentwicklung für die Kulturarbeit<br />
außerhalb der großen Städte<br />
zunimmt, bestätigt die Gründungsidee<br />
der Kulturagentur Rhön-Grabfeld.<br />
Sie ist in diesem Zusammenhang<br />
nicht nur ein weiteres, sondern<br />
aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung<br />
ein außerordentliches Beispiel<br />
für die Kulturförderung in ländlich<br />
strukturierten Räumen.<br />
145<br />
2 https://www.trafo-programm.de/2415_programm/2558_ber-trafo<br />
3 Olaf Zimmermann und Theo Geisler (Hrsg.): Politik<br />
& Kultur Dossier – „Land-Art(?) – Kultur in ländlichen<br />
Räumen“<br />
4 Kulturpolitische Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Kulturpolitische<br />
Mitteilungen, Nr. 179, IV/2022<br />
5 Georg Lunemann: „Lebensqualität und Attraktivität“,<br />
in: Dossier „Land-Art(?) – Kultur in ländlichen<br />
Räumen“, S. 9
146<br />
Gleichzeitig kann sich die Kulturagentur<br />
an den aktuellen Erkenntnissen<br />
aus den Bundesprogrammen<br />
und der begleitenden<br />
Forschung orientieren und sich<br />
weiterentwickeln. Gemeinsam mit<br />
den Kulturakteuren im Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld können immer wieder<br />
neue Wege geebnet werden, um<br />
den immer wieder neuen Herausforderungen<br />
mit kreativen Ideen begegnen<br />
zu können.<br />
Die Aufgaben der Kulturagentur<br />
Der Landkreis Rhön-Grabfeld stellt<br />
flächenmäßig einen relativ großen<br />
Landkreis dar, mit zahlreichen kulturell<br />
aktiven Kommunen. Dazu<br />
verfügt der Landkreis über ein vielfältiges<br />
und facettenreiches Kulturangebot.<br />
In allen 37 Gemeinden<br />
ist eine rege Vereinstätigkeit (Musik-<br />
und Gesangsvereine, Chöre,<br />
Tanz- und Theatergruppen, Mundart<br />
u.a.) und damit eine aktive, bürgerorientierte<br />
Kulturarbeit gegeben.<br />
Es gibt eine Berufsfachschule für<br />
Musik, eine Kreismusikschule, eine<br />
Kreisgemäldegalerie und 25 museale<br />
Einrichtungen, zwei tatkräftige<br />
Volkshochschulen, einen ehrenamtlichen<br />
Kulturreferenten, eine engagierte<br />
und geschäftige Kreisheimatpflege,<br />
sowie einen Kunstverein.<br />
Dazu kommen die älteste Holzbildhauerschule<br />
in Deutschland sowie<br />
zahlreiche namhafte Bildhauerinnen<br />
und Bildhauer, Künstlerinnen<br />
und Künstler sowie viele engagierte<br />
Kulturschaffende. Es waren und<br />
sind vielfältige kulturelle Aktivitäten<br />
in der Region vorhanden, aber erst<br />
mit der Einrichtung der Kulturagentur,<br />
die im Landratsamt angesiedelt<br />
ist, steht eine übergeordnete Koordinierungsstelle<br />
und ein kompetenter<br />
Ansprechpartner zur Verfügung.<br />
Die Kulturagentur ist der Stabsstelle<br />
Kreisentwicklung zugeordnet<br />
und gehört damit zu dem Bereich<br />
Wirtschaft, Verkehr, Tourismus und<br />
Kultur. Schon die Ressortzuordnung<br />
zeigt ihren Stellenwert, denn<br />
die Kultur ist nicht, wie in vielen<br />
Landkreisen üblich, dem Ressort<br />
Schulen und Sport eingegliedert.<br />
Durch die Zugehörigkeit zur Stabsstelle<br />
Kreisentwicklung haben sich
für die Bedeutung der Kulturagentur<br />
in ihrer Entwicklung immer deutliche<br />
Vorteile ergeben. Mit konstruktiver<br />
Teamarbeit, schlanker Verwaltung,<br />
kurzen Dienstwegen und<br />
großer Handlungsfreiheit setzt sie<br />
die Grundlagen eines erfolgreichen<br />
Kulturmanagements um.<br />
Die Kulturagentur hat vielfältige<br />
Tätigkeitsfelder und Projekte, die<br />
sie bearbeitet, initiiert, organisiert,<br />
betreut, berät, plant und durchführt.<br />
Sie sieht ihre Aufgaben in den<br />
Bereichen Beratung, Vernetzung,<br />
Vermittlung und Kontaktpflege zu<br />
Kultureinrichtungen und Künstlern.<br />
Kernaufgabe der Kulturagentur ist<br />
es, regionale Strukturen zukunftsfähig<br />
zu gestalten, indem die kulturelle<br />
Infrastruktur verbessert,<br />
Kulturschaffende unterstützt, die<br />
sparten- und ortsübergreifenden<br />
Kooperationen verstärkt, junge<br />
Menschen zu kulturellem Engagement<br />
ermutigt und kulturelle Werte<br />
vermittelt werden. Zur Stärkung und<br />
Entwicklung der Region im kulturellen<br />
und kulturtouristischen Sektor<br />
tragen u. a. der Kulturkalender für<br />
die Region Rhön-Grabfeld, die Projektbeteiligungen<br />
an Kooperationen<br />
mit anderen kulturellen Einrichtungen,<br />
die eigenen Reihen „Kulturzeit<br />
Rhön-Grabfeld“ (ehemals Fränkische<br />
Woche) und „Rhöner Krippenweg“<br />
sowie die Bespielung des<br />
Kreiskulturzentrums Kloster Wechterswinkel<br />
wesentlich bei. Durch<br />
richtungsweisende Impulse und die<br />
Schaffung dauerhafter Strukturen<br />
werden weiche Standortfaktoren<br />
etabliert.<br />
Als eine „Institution, die jemanden,<br />
etwas vertritt, jemanden, etwas vermittelt“<br />
6 vertritt die Kulturagentur<br />
alle Kulturschaffenden im Landkreis.<br />
So ist die Beratung und Betreuung<br />
von Künstlerinnen und<br />
Künstlern, Kulturschaffenden, kulturellen<br />
Einrichtungen, Vereinen,<br />
Schulen und Museen und deren<br />
Projekten eine zentrale Aufgabe.<br />
Dazu gehören z.B. das Bruder Franz<br />
Haus am Kreuzberg und das Rhönmuseum<br />
in Fladungen, denen die<br />
Kulturagentur bei Ausstellungen<br />
und Konzeption sowie Förderung<br />
beratend zur Seite steht.<br />
6 www.duden.de/Agentur<br />
147
148<br />
KulturKalender<br />
KULTURAGENTUR<br />
Rhön-Grabfeld<br />
Rhön-Grabfeld<br />
Frühling 2023 März | April | Mai<br />
Unterstützung<br />
bietet die Kulturagentur unter anderem<br />
im Bereich Kommunikation.<br />
Der Kulturkalender ist der kulturelle<br />
Veranstaltungskalender der Region<br />
Rhön-Grabfeld. Die Printversion<br />
erscheint vierteljährlich in einer<br />
<strong>Auflage</strong> von 10.000 Stück. Die Veranstaltungsmeldungen<br />
liegen inzwischen<br />
bei rund <strong>50</strong>0 Datensätzen<br />
(Online-Anmeldung) und können<br />
von Städten und Gemeinden, kulturellen<br />
Einrichtungen, Vereinen und<br />
Privatpersonen aus dem Landkreis<br />
kostenfrei eingestellt werden. Bei<br />
der Verteilung des Kulturkalenders<br />
wird gezielt an Städte, Gemeinden,<br />
Banken, Tourismus-Informationen<br />
und Gastgeber der Region sowie<br />
auch an kulturelle Einrichtungen,<br />
Kulturschaffende und Kulturinteressierte<br />
regional und überregional<br />
herangetreten. Die Kulturagentur<br />
konzentriert sich dabei auf einen<br />
Aktionsradius bis zu 1<strong>50</strong> km. Mit<br />
dem Kulturkalender bietet die Kulturagentur<br />
eine bewährte und beliebte<br />
Publikation und unterstützt<br />
die Öffentlichkeitsarbeit der Kulturschaffenden<br />
und Kulturveranstalter<br />
in der Region. Hinzu kommen die digitalen<br />
Kommunikationskanäle der<br />
Kulturagentur, wie der Online-Kulturkalender,<br />
die Social-Media-Kanäle<br />
und ein Newsletter, die das Kulturangebot<br />
im gesamten Landkreis<br />
vorstellen. So werden Ressourcen<br />
gebündelt und der Landkreis tritt als<br />
gemeinsame Kulturregion auf. Alle<br />
einzelnen Beteiligten profitieren dabei<br />
von einer durch den Zusammenschluss<br />
potenzierten Sichtbarkeit<br />
und Aufmerksamkeit.<br />
Die Kulturagentur tritt zudem als<br />
Vermittler, Moderator und Koordinator<br />
auf und setzt sich für eine<br />
landkreisweite und -übergreifende<br />
Vernetzung ein. Ein langfristiges<br />
Ziel ist es, eine anpassungsfähige<br />
regionale Plattform zu institutionalisieren,<br />
„die im Dialog mit den kulturellen<br />
Akteur*innen […] Zielperspektiven<br />
entwickelt und kulturelle<br />
Entwicklung gestaltet“ 7 .<br />
7 Friederike Ankele, Dr. Johannes Crückeberg, Dr. Elke<br />
Flake, Georg Halupczok, Dr. Gabriele Heinen-
Ein erster Schritt war die Einrichtung<br />
des „Kulturstammtisches“. Mit<br />
der Pandemie 2020 stellten sich<br />
neue Herausforderungen für die<br />
Kulturagentur. Um in der Krisenzeit<br />
im regen Austausch mit den Kulturschaffenden<br />
stehen zu können, initiierte<br />
die Kulturagentur regelmäßige<br />
virtuelle Treffen, die „Kulturstammtische“.<br />
Damit wurde ein Raum geschaffen,<br />
in dem sich die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer über die<br />
aktuellen Probleme und Herausforderungen<br />
für den Kulturbereich<br />
austauschen können. Gleichzeitig<br />
werden auch neue Ideen und Formate<br />
vorgestellt und gemeinsame<br />
landkreisweite Lösungen ange-<br />
Kljajić, Olaf Martin, Dr. Henning Mohr, Sina-Mareike<br />
Schulte: „Plädoyer für eine transformative<br />
Kulturpolitik“, in: Kulturpolitische Mitteilungen,<br />
II/2022, Nr. 177, S. 63<br />
strebt. Eingeladen sind alle Kulturschaffenden<br />
aus dem Landkreis,<br />
Museen, Konzertveranstalter sowie<br />
kulturtouristische Anbieter, die Berufsfachschule<br />
für Musik und die<br />
Kreismusikschule.<br />
Eine zusätzliche Aufgabenstellung<br />
während der LEADER-Förderphase<br />
der Kulturagentur (2006 bis 2008)<br />
war die modellhafte Entwicklung<br />
von Kulturevents. Daraus haben<br />
sich zwei bedeutende Veranstaltungsreihen<br />
entwickelt. Sie sind<br />
inzwischen zu festen, wiederkehrenden<br />
Kulturereignissen geworden.<br />
Die „Kulturzeit Rhön-Grabfeld“<br />
(ehemals „Fränkische Woche“) findet<br />
alle zwei <strong>Jahre</strong> landkreisweit<br />
statt und dient dazu, das kulturelle<br />
Selbstverständnis, die lebendigen<br />
Traditionen und Eigenheiten der<br />
Region herauszustellen und zu stärken.<br />
Zu den bisher stattgefundenen<br />
Themenwochen gehören unter anderem<br />
Volksmusik, mundartliches<br />
Theater, Sagen und Mythen, Burgen<br />
und Schlösser, Trachten in Rhön-<br />
Grabfeld und das Projekt „Wir sind<br />
Rhöner Bier“.<br />
149
1<strong>50</strong><br />
Die zweite Veranstaltungsreihe ist<br />
der „Rhöner Krippenweg“. Auch er<br />
findet alle zwei <strong>Jahre</strong> statt und erstreckt<br />
sich vom ersten Adventswochenende<br />
bis zu Dreikönig. Im<br />
Mittelpunkt stehen hier besonders<br />
die Holzbilderhauerinnen und Holzbildhauer<br />
sowie Schnitzerinnen und<br />
Schnitzer der Region mit ihren regionalen<br />
Produkten, vor allem der<br />
Rhöner Krippe. Umrahmt wird der<br />
Rhöner Krippenweg durch ein mehrwöchiges<br />
Veranstaltungsprogramm<br />
mit Konzerten, Wanderungen, Vorträgen,<br />
Offenem Singen sowie adventlichem<br />
Basteln und Backen verteilt<br />
auf die jeweils teilnehmenden<br />
Orte im gesamten Landkreis.<br />
Um für beide Veranstaltungsreihen<br />
die Programme zu generieren, ruft<br />
die Kulturagentur zur Teilnahme<br />
auf und sammelt über den Kulturkalender<br />
alle infrage kommenden<br />
Veranstaltungsmeldungen der Kulturschaffenden<br />
und der Kommunen<br />
im Landkreis. Daraus entwickelt<br />
die Kulturagentur dann mit den Akteuren<br />
vor Ort die Programme für<br />
die Reihen „Rhöner Krippenweg“<br />
und „Kulturzeit Rhön-Grabfeld“. Im<br />
Rahmen der Veranstaltungsreihen<br />
treten die unterschiedlichen Kulturakteure<br />
gemeinsam auf, werden<br />
vernetzt und die Kulturlandschaft<br />
der Region wird als Einheit begreifbar.<br />
Für die Bürgerinnen und Bürger<br />
wird die Region kulturell wahrnehmbar<br />
und den Kulturschaffenden wird<br />
ein Orientierungspunkt angeboten. 8<br />
Ein weiteres langfristiges Ziel ist<br />
es, dieses in den Veranstaltungsreihen<br />
definierte regionale Kulturprofil<br />
zeitraumunabhängig zu positionieren<br />
und bei Bürgern, Besuchern und<br />
Kulturschaffenden gleichermaßen<br />
zu verankern.<br />
Im Laufe ihrer Tätigkeit wurde die<br />
Kulturagentur immer häufiger als<br />
Partner für Kooperationsprojekte<br />
herangezogen, vor allem bei großen<br />
Projekten mit überregionaler Bedeutung.<br />
Kooperationsprojekte waren<br />
in der ursprünglichen Konzeptionierung<br />
von 2006 nicht vorgesehen.<br />
Sie haben sich erst im Verlauf ergeben<br />
und als Glücksfall für alle<br />
Beteiligten erwiesen. Denn durch<br />
die Nutzung von Synergien anderer<br />
Kulturpartner konnten Events<br />
8 Christoph Thoma, Julia Bitsche: „Kulturverwaltung<br />
im Wandel“, in: Handbuch Kulturmanagement,<br />
Ausgabe 80 | 2022, S. 25
151<br />
realisiert werden, die alleine nicht<br />
hätten verwirklicht werden können.<br />
Nur durch Partner wurde eine Realisierung<br />
möglich. Zu den Kooperationsprojekten<br />
gehören u.a. zwei<br />
große Open-Air-Veranstaltungen,<br />
der „Salzburg Klassiker“ und die<br />
„Mellrichstädter Musiknacht“, sowie<br />
kulturelle Bildungsprojekte wie<br />
„Kultur macht stark“-Angebote oder<br />
die „SchulTheaterTage“.<br />
Schon bei den Kooperationsprojekten<br />
wird deutlich, dass die Kulturagentur<br />
nicht nur beratend und<br />
vermittelnd, sondern auch aktiv<br />
unterstützend tätig ist. Die Kulturagentur<br />
agiert als eigene Kultureinrichtung<br />
im regionalen Gefüge.<br />
Sie betreut die landkreiseigenen<br />
Kultureinrichtungen und stellt so<br />
Fix- und Knotenpunkte der kulturellen<br />
Infrastruktur der Region zur<br />
Verfügung. Mit dieser Doppelrolle,<br />
als Vermittler einerseits und Vertreter<br />
der eigenen Kultureinrichtungen<br />
andererseits, geht durchaus ein<br />
Konfliktpotenzial einher. Gleichzeitig<br />
wird die enge Vernetzung und<br />
eine Begegnung auf Augenhöhe<br />
erleichtert. Die Kulturagentur kann<br />
das Denken und Handeln „weg von<br />
den Belangen einzelner Kulturinstitutionen,<br />
hin zu den Belangen der<br />
Region“ 9 vorleben.<br />
9 Samo Darian und Julia Diringer: „Regionale Kulturarbeit<br />
als kooperativer und kokreativer Prozess“,<br />
https://www.trafo-programm.de/1988_themen/3537_regionale-kulturarbeit/3538_regionale-kulturarbeit-als-kooperativer-und-kokreativerprozess
152<br />
Kultur- und Begegnungsorte:<br />
Kreiskulturzentrum und Kreisgalerie<br />
Das Kloster Wechterswinkel ist<br />
eines der ältesten Frauenklöster<br />
im deutschsprachigen Raum und<br />
wurde um 1140 gegründet. Es war<br />
das drittreichste Kloster im Bistum<br />
Würzburg. Zudem ist es das älteste<br />
Gebäude im Landkreis Rhön-Grabfeld.<br />
Nach seiner Blütezeit diente<br />
das Kloster ab dem 17. Jahrhundert<br />
als Getreidespeicher. Heute<br />
wird das ehemalige Kloster auf drei<br />
Ebenen mit Kunst und Kultur bespielt.<br />
In der Galerie wird zeitgenössische<br />
Kunst ausgestellt. Einen<br />
Schwerpunkt bildet die Bildhauerei.<br />
Denn der Landkreis ist nicht nur<br />
zuständig für die älteste Holzbildhauerschule<br />
in Deutschland 10 , es leben<br />
auch zahlreiche Bildhauer und<br />
Schnitzer in der Region.<br />
Es finden Konzerte, Vorträge, literarische<br />
Abende und Theater<br />
statt. Das historische Ensemble<br />
mit Innenhof ist darüber hinaus<br />
Kulisse für kunsthandwerkliche<br />
Märkte, kulinarische Events und<br />
Open-Air-Veranstaltungen. Die Kulturagentur<br />
ist verantwortlich für<br />
das <strong>Jahre</strong>sprogramm des Klosters<br />
Wechterswinkel. Sie gestaltet über<br />
die verschiedenen Sparten hinweg<br />
ein hochwertiges Programm:<br />
Künstler aus der Region werden<br />
vorgestellt; Aufstrebenden jungen<br />
Künstlern, die aus Rhön-Grabfeld<br />
stammen, wird in ihrer Heimat eine<br />
Bühne geboten; Dem Publikum wird<br />
10 Heute: Staatliche Berufsfachschule für Holzbildhauer<br />
in Bischofsheim in der Rhön. Die<br />
Bayerischen Holzschnitzschulen wurden im April<br />
2022 in die Liste des immateriellen Kulturerbes<br />
aufgenommen.
153<br />
ein Programm zugänglich gemacht,<br />
das es andernorts im Landkreis<br />
nicht gibt, sodass auch für den<br />
„Kulturkonsum“ Nischen geschlossen<br />
werden. Vermittlungsangebote<br />
wie Workshops, Führungen oder<br />
Mitmachkonzerte für Jung und<br />
Alt machen das Kloster nicht nur<br />
zu einem Kultur-, sondern auch zu<br />
einem Begegnungsort. Hierzu trägt<br />
ebenso das Klostercafé bei, das<br />
als Treffpunkt und Ausgangspunkt<br />
für gemeinschaftliche Aktivitäten<br />
genutzt wird. Auch die Leitung der<br />
Kreisgalerie obliegt der Kulturagentur.<br />
Die Kreisgalerie im Alten Spital<br />
in Mellrichstadt beherbergt die<br />
kreiseigene Gemälde- und Skulpturensammlung<br />
vom Barock bis heute<br />
mit regionalem Bezug zur Rhön<br />
und Grabfeld. Eine landkreiseigene<br />
Sammlung ist im Vergleich mit<br />
anderen Landkreisen Bayerns eine<br />
Ausnahme. Vier Wechselausstellungen<br />
mit aktueller zeitgenössischer<br />
Kunst aus der Region werden<br />
jährlich im Museumscafé und in<br />
den daran anschließenden Räumen<br />
der Kreisgalerie gezeigt.
154<br />
Das Tätigkeitsfeld „Bewahren“<br />
stellt eigentlich kein ursprüngliches<br />
Aufgabengebiet eines Kulturmanagements<br />
bzw. einer Kulturagentur<br />
dar. Dies gehört primär zu den<br />
Aufgaben von musealen Einrichtungen.<br />
Da aber die Kulturagentur auch<br />
die landkreiseigenen Sammlungen<br />
betreut, ist sie mit der Inventarisierung<br />
und Archivierung betraut. Dies<br />
erfolgt mit dem Ziel, die Bestände<br />
zu bewahren. Zurzeit koordiniert die<br />
Kulturagentur die Einrichtung eines<br />
Zentraldepots für den Landkreis auf<br />
dem Gelände der ehemaligen Hainberg-Kaserne<br />
in Mellrichstadt.<br />
Seit 2008 ist die Kulturagentur<br />
auch Herausgeberin von verschiedenen<br />
Publikationen. Am Beginn<br />
der ersten eigenen Publikationen<br />
stehen die Ausstellungskataloge<br />
des Klosters Wechterswinkel. Bis<br />
heute erscheinen ein bis drei Kataloge<br />
pro Jahr, begleitend zu ausgewählten<br />
Kunstausstellungen.<br />
2010 erschien der erste Band des<br />
Kunst- und Kulturführers des Landkreises<br />
Rhön-Grabfeld. In dieser<br />
Reihe sind bis heute veröffentlicht:<br />
„Kirchen im Landkreis Rhön-Grabfeld“<br />
11 , „Schlösser und Burgen“ 12<br />
und „Bräuche in alter und neuer<br />
Zeit in Rhön und Grabfeld“ 13 . Seit<br />
2015 gibt die Kulturagentur auch<br />
eine eigene Schriftenreihe heraus.<br />
Hier sind folgende Themen bisher<br />
publiziert: „Jüdische Friedhöfe im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld“ 14 , „Aufstieg<br />
und Niedergang des Tuchmachergewerbes<br />
in Bischofsheim<br />
und Umgebung“ 15 , „Zur Geschichte<br />
Wechterswinkels“ 16 und zuletzt erschienen<br />
„Der Weinbau in der Rhön<br />
und im Grabfeld“ 17 .<br />
11 Altrichter, Roswitha, Faber, Annette, Albert, Reinhold,<br />
Friedrich, Hanns, Kritzer, Stefan, Kulturagentur<br />
(Hrsg.), Kirchen im Landkreis Rhön-Grabfeld,<br />
2010<br />
12 Albert, Reinhold, Kulturagentur (Hrsg.), Schlösser<br />
und Burgen im Landkreis Rhön-Grabfeld, 2014<br />
13 Albert, Reinhold, Kulturagentur (Hrsg.), Silberstrauß<br />
und Ringelein, silbern ist das Mägdelein!<br />
Bräuche in alter und neuer Zeit in Rhön und<br />
Grabfeld, 2018<br />
14 Albert, Reinhold, Kulturagentur (Hrsg.), Jüdische<br />
Friedhöfe im Landkreis Rhön-Grabfeld, Schriftenreihe<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld, Ausgabe<br />
01, 2015<br />
15 Albert, Reinhold, Kulturagentur (Hrsg.), Aufstieg<br />
und Niedergang des Tuchmachergewerbes in<br />
Bischofsheim und Umgebung, Schriftenreihe des<br />
Landkreises Rhön-Grabfeld, Ausgabe 02, 2016<br />
16 Odenwald, Herbert, Kulturagentur (Hrsg.), Zur<br />
Geschichte Wechterswinkels, Schriftenreihe des<br />
Landkreises Rhön-Grabfeld, Ausgabe 03, 2018<br />
17 Albert, Reinhold, Kulturagentur (Hrsg.), Der Weinbau<br />
in der Rhön und im Grabfeld, Schriftenreihe<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld, Ausgabe 04,<br />
2020
Zur Entwicklung der Kulturagentur<br />
Als die Kulturagentur 2006 als LEA-<br />
DER Projekt startete, waren zwei<br />
Fachkräfte (halbtags) vorgesehen.<br />
Kersten Keller-Pallor übernahm<br />
als Kulturmanagerin den Fachbereich<br />
„Musik-Konzerte-Darstellende<br />
Kunst“. Den Fachbereich „Kunst-<br />
Museen-Ausstellungen“ erhielt<br />
Dr. Astrid Hedrich-Scherpf. Beide<br />
stammten aus der Region und verfügten<br />
über ein außerordentliches<br />
Netzwerk, das sie in die Einrichtung<br />
einbrachten und das beim Aufbau<br />
der Kulturagentur von großem Nutzen<br />
war. Nach Ablauf der LEADER-<br />
Förderphase im Dezember 2008<br />
wurden die Kulturagentur 2009 eine<br />
feste Einrichtung des Landkreises<br />
Rhön-Grabfeld. Sie war in dieser<br />
kurzen Zeit bereits ein unverzichtbarer<br />
Teil der Kulturarbeit im Landkreis<br />
geworden. Im Dezember 2008<br />
wurde zudem das Kreiskulturzentrum<br />
Kloster Wechterswinkel und<br />
das Bruder Franz Haus eröffnet.<br />
Der kontinuierliche Wachstumsprozess<br />
der Kulturagentur hält bis heute<br />
an. Kompetenzen, Zuständigkeiten,<br />
Projekte und Aufgaben haben<br />
sich fortlaufend erweitert. Heute<br />
besteht das Team der Kulturagentur<br />
aus drei Kulturmanagerinnen,<br />
davon zwei in Teilzeit, einem Sachbearbeiter<br />
und zwei wissenschaftlichen<br />
Volontärinnen. Weiter gehören<br />
zur Kulturagentur die sieben<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
des Klosters Wechterswinkel und<br />
eine Mitarbeiterin der Kreisgalerie.<br />
Von ehemals zwei Kulturmanagerinnen<br />
2006 ist die Einrichtung auf<br />
14 Mitarbeitende angewachsen.<br />
Dazu kommen noch neun ehrenamtlich<br />
Tätige im Museumsdienst<br />
des Klosters Wechterswinkel.<br />
Die Entwicklungsgeschichte der<br />
Kulturagentur stellt sich heute als<br />
eine „Erfolgsstory“ für den Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld dar. Aus der<br />
anfänglichen Skepsis dieser Einrichtung<br />
gegenüber ist schnell<br />
eine große Akzeptanz erwachsen.<br />
Die Kulturagentur ist inzwischen<br />
eine feste Größe im kulturellen<br />
Leben des Landkreises und Unterfrankens.<br />
Gerade die Bereiche<br />
Vernetzung, Beratung und Betreuung,<br />
Koordination und Servicestelle<br />
zeichnen die Kulturagentur als<br />
155
156<br />
kompetenten Ansprechpartner aus.<br />
Vom Pilotprojekt hat sie sich zum<br />
Vorzeigemodell mit Vorbildfunktion<br />
entwickelt. Denn mit der Schaffung<br />
der Kulturagentur in ihrer bestehenden<br />
Konzeption ist eine Struktur<br />
entwickelt worden, die sich gerade<br />
in ländlich geprägten Räumen<br />
mit relativer Flächenausdehnung<br />
und zahlreichen kulturell aktiven<br />
Zentren als erfolgreiches Modell<br />
erwiesen hat. Die Arbeit der Kulturagentur<br />
bestätigt, dass „die Provinz<br />
lebt“ 18 und Kultur überall erfolgreich<br />
stattfinden kann – gerade in ländlich<br />
strukturierten Räumen 19 .<br />
18 Zimmermann, Olaf, Geißler, Theo (Hrsg.), Kulturlandschaft<br />
Deutschland, Die Provinz lebt, Schriften<br />
des Deutschen Kulturrates, 2010.<br />
19 Bätzing, Werner, das Landleben. Geschichte und<br />
Zukunft einer gefährdeten Lebensform, München<br />
2020.
Foto: Rudolf Weinert<br />
157
AUSNAHMEZUSTAND<br />
IN RHÖN-GRABFELD<br />
HANNS FRIEDRICH<br />
158<br />
„DAS TRITT NACH<br />
MEINER KENNTNIS…<br />
IST DAS SOFORT,<br />
UNVERZÜGLICH.“<br />
Ein mehr als drei Meter hoher Metallgitterzaun hinderte die Menschen, wie hier bei<br />
Melpers nahe Fladungen, daran in den Westen zu flüchten oder Kontakt mit Bürgern<br />
in der Bundesrepublik aufzunehmen. Foto: ©Wolfgang Schramm
Als am 10. November 1989 gegen 4<br />
Uhr morgens die ersten DDR-Bürger<br />
problemlos den Grenzübergang Eußenhausen-Henneberg<br />
passierten,<br />
konnte man es noch nicht so richtig<br />
glauben. Bereits am Abend zuvor<br />
war dies in Berlin geschehen. Auslöser<br />
war eine Aussage von Günther<br />
Schabowski. Auf die Frage eines<br />
Journalisten bei einer Pressekonferenz,<br />
ab wann die gerade angekündigten<br />
neuen Reiseregelungen für<br />
DDR-Bürger in Kraft treten, sagte er:<br />
„Das tritt nach meiner Kenntnis… ist<br />
das sofort, unverzüglich.“ Zu diesem<br />
Zeitpunkt konnte man noch nicht ahnen,<br />
was nun folgen sollte. An eine<br />
Wiedervereinigung Deutschlands<br />
dachte damals noch niemand. Man<br />
verfolgte staunend den wachsenden<br />
Aufstand der Menschen in der<br />
damaligen DDR und konnte es nicht<br />
fassen, als sich die Grenzübergänge<br />
tatsächlich öffneten.<br />
Der Landkreis Rhön-Grabfeld hatte<br />
mit Thüringen eine gemeinsame<br />
Grenze von rund 110 Kilometern<br />
und den 1973 eingerichteten<br />
Grenzübergang Eußenhausen-Henneberg.<br />
Von dort strömten am 10.<br />
November Fahrzeugschlangen in<br />
den Landkreis, der regelrecht überrannt<br />
wurde. Deshalb war eine zentrale<br />
Aufgabe, die Menschenmassen<br />
aus dem Osten zu versorgen. Damit<br />
rollte in Rhön-Grabfeld eine spontane<br />
und außergewöhnliche Hilfswelle<br />
an. Neben den Essensstationen<br />
von BRK, Maltesern und Kommunen<br />
waren vor allem die Banken und örtlichen<br />
Verwaltungen Anlaufpunkte.<br />
Hier wurde das „Begrüßungsgeld“<br />
von 100 D-Mark ausgezahlt. Der Ansturm<br />
war entsprechend groß, ebenso<br />
wie in den Geschäften. Nichts<br />
ging mehr seinen normalen Gang.<br />
Das unterfränkische Grenzland war<br />
für Tage im Ausnahmezustand.<br />
159
160<br />
Der einstige Grenzübergang Eußenhausen-Henneberg wurde im Jahr 1973 eröffnet<br />
und gehörte zu den wenigen offiziellen Grenzübergängen zwischen der DDR und der<br />
Bundesrepublik Deutschland. Foto: Archiv- Hanns Friedrich<br />
In den folgenden Wochen liefen bereits<br />
erste Gespräche über die neue<br />
Grenzsituation an. Der damalige<br />
unterfränkische Regierungspräsident<br />
Dr. Franz Vogt und der Vorsitzende<br />
der Arbeitsgemeinschaft<br />
unterfränkisches Grenzland, MdB<br />
Eduard Lintner aus Münnerstadt,<br />
dachten über eine schnelle Öffnung<br />
des Übergangs Eußenhausen-Meiningen<br />
auch für den gewerblichen<br />
Regionalverkehr nach. Die Zeitungen<br />
berichteten von einer Begehung<br />
des Grenzübergangs Anfang<br />
Februar 1990, zu dem Finanzstaatssekretär<br />
Albert Meyer eingeladen<br />
hatte. Danach war der Schlagbaum<br />
auch für den Lastverkehr offen,<br />
allerdings war dieser wegen des<br />
Straßenzustands auf DDR-Seite
auf 15 Tonnen beschränkt. Bereits<br />
zu diesem Zeitpunkt brachte Dr.<br />
Horst Weigelt, Präsident der Bundesbahndirektion<br />
Nürnberg, einen<br />
schnellstmöglichen Lückenschluss<br />
im Schienenverkehr zur Wiederinbetriebnahme<br />
der Bahnlinie Würzburg-Erfurt<br />
ins Gespräch. Selbst die<br />
Kosten hatte man schon mit rund<br />
zwölf Millionen D-Mark auf bundesrepublikanischer<br />
Seite und der<br />
gleichen Summe in „Ost-Mark“ auf<br />
DDR-Seite geschätzt. Die Schiene<br />
sei mit Blick auf den zunehmenden<br />
Verkehr auf der B 19 dringend<br />
notwendig, hieß es. Nach einem regionalen<br />
Lückenschluss wollte man<br />
überlegen, die alte Magistrale Stuttgart-Berlin<br />
wieder zu beleben. Regierungspräsident<br />
Dr. Vogt nannte<br />
als weiteren wichtigen Punkt einen<br />
autobahnähnlichen Ausbau von der<br />
A 70 bei Schweinfurt bis zur Grenze.<br />
Ein zentrales Anliegen waren für<br />
161<br />
Lange umstritten war der Bau einer Autobahn zwischen Schweinfurt und der Grenze<br />
zu Thüringen. Während auf Thüringer Seite bereits begonnen wurde, fanden im<br />
Landkreis Rhön-Grabfeld noch Demonstrationen statt. Foto: Hanns Friedrich
162<br />
ihn dabei Ortsumgehungen. Doch<br />
bis dahin sollten noch 15 <strong>Jahre</strong> ins<br />
Land gehen.<br />
In den Wochen und Monaten nach<br />
dem 9. November 1989 wurden<br />
Stück für Stück die Grenzübergänge<br />
geöffnet, der Weg in die Freiheit wurde<br />
geebnet. Unter anderem am Beispiel<br />
Frankenheim zeigt sich, dass<br />
dies nicht immer so einfach war. Unterschriften<br />
für eine Grenzöffnung<br />
wurden in den Betrieben gesammelt<br />
und der Bürgermeisterin vorgelegt:<br />
„Wir bitten dich um eine Intervention<br />
bei der Grenzkompanie Frankenheim,<br />
damit uns auch hier oben die<br />
Möglichkeit zu einem zumindest<br />
befristeten Besuch in Leubach gegeben<br />
wird.“ Genehmigt wurde ein<br />
geöffnetes Grenztor zwischen 7.00<br />
und 24.00 Uhr. Auf westlicher Seite<br />
war der damalige Bürgermeister<br />
Raimund Goldbach (Fladungen) von<br />
Noch im November und Dezember 1989 öffneten sich Grenztore, wie hier zwischen<br />
Mendhausen und Irmelshausen. Sie waren meist nur zwischen 7 Uhr und 20 Uhr<br />
geöffnet. Foto: Hanns Friedrich
dieser Situation völlig überrascht<br />
und richtete spontan einen Pendelverkehr<br />
ein, der die Frankenheimer<br />
zu mitternächtlicher Stunde zum<br />
Grenzübergang brachte.<br />
Von der Rhön ins Grabfeld: Hier<br />
hatten Arbeiter der DDR bereits den<br />
Wald bei Trappstadt in Richtung<br />
Eicha gerodet, so dass die frühere<br />
Verbindungsstraße wieder frei wurde.<br />
Für den Vorsitzenden des Kreisrates<br />
Hildburghausen, Hans Müller,<br />
der mit einem Mitarbeiter und Major<br />
Leopold von den DDR-Grenztruppen<br />
auf östlicher Seite an einer<br />
Besprechung mit Rhön-Grabfelds<br />
Landrat Dr. Fritz Steigerwald teilnahm,<br />
war klar, dass, sollte es einen<br />
Übergang geben, dieser keinesfalls<br />
für den Schwerlastverkehr geöffnet<br />
sein wird. Der Übergang Eußenhausen-Meiningen<br />
sei in dieser Region<br />
dafür ausreichend. Die DDR-Behör-<br />
163<br />
Der Abbau des Grenzzaunes, wie hier zwischen Eicha und Milz in Thüringen.<br />
Foto: Hanns Friedrich
164<br />
den sprachen damals von Grenzübergangsstellen<br />
in Maroldsweisach-Hellingen,<br />
Trappstadt-Eicha,<br />
Eußenhausen-Meiningen und Fladungen-Melpers.<br />
Hinzu könnten<br />
Grenzöffnungen ausschließlich für<br />
Fußgänger möglich sein, so wie<br />
bei Breitensee, Hendungen oder<br />
Irmelshausen. Bei den notwendigen<br />
Ausbauarbeiten hoffe man<br />
auf finanzielle Unterstützung der<br />
Bundesrepublik Deutschland, hieß<br />
es damals. Kurz vor Weihnachten<br />
1989 war der Grenzübergang<br />
Trappstadt-Eicha fertiggestellt und<br />
wurde in einem großen Festakt offiziell<br />
eröffnet. Dass die DDR nicht<br />
einmal ein Jahr später der Vergangenheit<br />
angehören sollte, daran<br />
dachte damals noch kaum jemand.<br />
Die Grenze öffnete sich zwischen<br />
Herbstadt und Hindfeld im Grabfeld<br />
und auch zwischen Mendhausen<br />
und Irmelshausen. Hier kündigte<br />
ein Hornsignal auf östlicher<br />
Seite kurz vor 8 Uhr morgens die<br />
Grenzöffnung an. Der damalige<br />
Höchheimer Bürgermeister Werner<br />
Steinschauer sprach von einer historischen<br />
Stunde und Landtagsabgeordneter<br />
Johann Böhm betonte,<br />
dass heute das „Eis einer sehr kalten<br />
Nachbarschaft“ breche. Bürgermeisterin<br />
Gisela Klebenow aus<br />
Mendhausen meinte, dass es sich<br />
auf oberster Ebene entscheide, ob<br />
der provisorische Grenzübergang<br />
durchgehend geöffnet sein werde.<br />
An einem Dankgottesdienst nahmen<br />
unzählige Menschen teil. Nach<br />
und nach wurden in der folgenden<br />
Zeit die Grenzanlagen abgebaut<br />
und der Ausbau der Verbindungsstraßen<br />
ging voran. Immer wieder<br />
war der Landkreis Rhön-Grabfeld<br />
dabei Vorreiter.<br />
Vorangetrieben wurde auch der Ausbau<br />
der Schienenverbindung, so dass<br />
am 28. September 1991 der erste<br />
Zug auf der grundlegend instandgesetzten<br />
Strecke von Schweinfurt<br />
über Bad Neustadt nach Meiningen<br />
fahren konnte. Hier fand am Bahnhof<br />
die große Feierstunde statt, u. a.<br />
mit Rhön-Grabfeld-Landrat Dr. Fritz<br />
Steigerwald, dem Leiter der Bayerischen<br />
Staatskanzlei Johann Böhm,<br />
dem Parlamentarischen Staatssekretär<br />
Eduard Lintner und weiteren<br />
hochrangigen Vertretern aus Ost
165<br />
Dezember 1990: Der Grenzübergang Trappstadt-Eicha wurde offiziell mit einem<br />
großen Fest eröffnet. Bereits ein Jahr später war die Wiedervereinigung vollzogen.<br />
Foto: Hanns Friedrich<br />
und West. Ein Tag der Freude war<br />
bereits ein Jahr zuvor die Wiedervereinigung<br />
Deutschlands, die auch<br />
auf der „Schanz“ (Grenzübergang Eußenhausen-Henneberg)<br />
mit mehr als<br />
20.000 Besuchern aus Ost und West<br />
gefeiert wurde. Nach und nach wurden<br />
die Grenzanlagen auf beiden Seiten<br />
zurückgebaut, so dass nur noch<br />
Überreste wie ein Grenzturm und ein<br />
Wärterhäuschen als „Mahnmale“ übrig<br />
blieben. Im Jahr 1996 ist hier als<br />
Kunstobjekt die „Goldene Brücke der<br />
Einheit“ entstanden. Heute erinnern<br />
ein Skulpturenpark, unter anderem<br />
mit Werken des aus Niederlauer<br />
stammenden Aktionskünstlers Herbert<br />
Fell, ein kleines Grenzmuseum<br />
mit originalen Bestandteilen der hiesigen<br />
Grenzanlage sowie die bereits<br />
erwähnten Gebäude-Überreste an die<br />
einstige Teilung Deutschlands.
166<br />
Fast 15 <strong>Jahre</strong> nach der Öffnung der Innerdeutschen Grenze fuhr der erste Zug zwischen<br />
Schweinfurt-Bad Neustadt nach Meiningen. Foto: Hanns Friedrich<br />
Es sollten noch einmal fast zehn<br />
<strong>Jahre</strong> ins Land gehen, bis ein weiteres<br />
symbolträchtiges Großprojekt<br />
fertiggestellt war: die länderübergreifende<br />
Autobahn A 71, die am<br />
18. Dezember 2005 eröffnet wurde.<br />
Rund 1,6 Milliarden Euro investierte<br />
der Bund in die neue Strecke. Gemeinsam<br />
mit den damaligen Ministerpräsidenten<br />
Bayerns und Thüringens,<br />
Edmund Stoiber und Dieter<br />
Althaus, durchschnitt Bundesverkehrsminister<br />
Wolfgang Tiefensee<br />
an der thüringisch-fränkischen Landesgrenze<br />
in Sichtweite eines ehemaligen<br />
DDR-Grenzturms das Band.<br />
Die Autobahn A 71 gilt bis heute<br />
als wichtige Spange zwischen den<br />
West-Ost-Trassen A 70 (Schweinfurt-Bayreuth)<br />
und A 4 (Bad Hersfeld-Dresden).<br />
Grenzöffnung und<br />
Wiedervereinigung spiegeln sich<br />
aber auch in vielen anderen Bereichen<br />
des Landkreises Rhön-Grabfeld<br />
wider. Profitiert hat vor allem<br />
die Kreisstadt Bad Neustadt, aber
167<br />
Der Skulpturenpark Deutsche Einheit erinnert heute am einstigen Grenzübergang<br />
Eußenhausen-Henneberg an die 40-Jährige Teilung Deutschlands.<br />
Foto: Hanns Friedrich<br />
auch Mellrichstadt mit den hier ansässigen<br />
Firmen. Die Erwartungen<br />
von Bad Königshofen dagegen erfüllten<br />
sich leider nicht. Im Gegenteil:<br />
Hier kam es zur Abwanderung<br />
eines großen Unternehmens nach<br />
Thüringen. Allerdings ist Bad Königshofen<br />
nach wie vor als Kur- und<br />
Schulstadt auch im Thüringer Land<br />
gefragt. Als ein besonderes christliches<br />
Zeichen der Wiedervereinigung<br />
kann ganz sicher die „Kirche<br />
der Einheit – Herbst ‘89“ bezeichnet<br />
werden. Sie steht an der Autobahn<br />
A 71 und wurde ohne Zuschüsse,<br />
rein aus Spendengeldern, finanziert.<br />
Auch hier war es der damalige<br />
Rhön-Grabfelder Landrat Dr.<br />
Fritz Steigerwald, der gemeinsam<br />
mit dem Landrat des Landkreises<br />
Schmalkalden-Meinigen, Ralf Luther,<br />
die Idee zusammen mit Künstlern<br />
und Geistlichen umsetzte. Man<br />
wollte ein Zeichen für die friedliche
168<br />
Die „Kirche der Einheit – Herbst ´89“ ist ein besonders aussagekräftiges Symbol der<br />
Wiedervereinigung Deutschlands. Es ist an der A 71 die einzige Autobahnkirche.<br />
Gebaut wurde sie vorwiegend aus Spendengeldern. Foto: Hanns Friedrich<br />
Wiedervereinigung setzen. Die Autobahnkirche<br />
wird als „Tankstelle<br />
für die Seele“ bezeichnet. Viermal<br />
im Jahr finden hier ökumenische<br />
Gottesdienste statt.<br />
Die Wiedervereinigung Deutschlands<br />
ist ein historisch einmaliges<br />
Ereignis, das – ganz ohne Blutvergießen<br />
– den Freiheitswunsch der<br />
Menschen in der DDR nach vier<br />
Jahrzehnten in Erfüllung gehen<br />
ließ. Sowohl der Landkreis Rhön-<br />
Grabfeld mit Landrat Thomas Habermann<br />
als auch die Nachbarlandkreise<br />
Schmalkalden-Meiningen mit
Landrätin Peggy Greiser und Hildburghausen<br />
mit Landrat Thomas<br />
Müller sind die besten Beispiele für<br />
ein gelungenes Zusammenwachsen<br />
des einst geteilten Deutschlands.<br />
Es bleibt aber ebenso eine<br />
wichtige Aufgabe, die Zeit des kalten<br />
Krieges und der deutschen Teilung<br />
mit Sperranlagen, Minen und<br />
Stacheldraht nicht in Vergessenheit<br />
geraten zu lassen. Dazu dienen teils<br />
noch vorhandene Relikte am einstigen<br />
„Todesstreifen“ ebenso wie das<br />
Grenzmuseum Bad Königshofen<br />
mit dem Außenmuseum Eußenhausen<br />
und dem „Skulpturenpark Deutsche<br />
und Europäische Einheit“ am<br />
ehemaligen Grenzübergang Eußenhausen-Henneberg.<br />
169<br />
Die „Goldene Brücke“ steht genau auf der Grenze zwischen Thüringen und Bayern<br />
und soll das Symbol des Zusammenwachsens symbolisieren. Foto: Hanns Friedrich
170
171
MENSCH, NATUR, EINKLANG:<br />
DAS UNESCO-BIOSPHÄRENRESERVAT<br />
RHÖN<br />
JULIA RÖSCH & DR. DORIS POKORNY<br />
172<br />
DIE RHÖN MACHT’S<br />
VOR – GEMEINSAM<br />
GEHT’S BESSER!<br />
Sie ist schon etwas ganz Besonderes,<br />
die Landschaft der Rhön:<br />
das Schwarze Moor im Nebel, die<br />
mächtigen Hutebuchen an der<br />
Weisbacher Jungviehweide, die<br />
„gestreifte“ Flur zwischen Bischofsheim<br />
und Weisbach, der Weitblick<br />
von der Thüringer Hütte, das Basaltblockmeer<br />
am Stengerts, der<br />
Wildbach Brend, die Salzwiesen im<br />
Saaletal, die Tiefgründigkeit des<br />
Frickenhäuser Sees und so vieles<br />
mehr. Kein Wunder, dass all diese<br />
einzigartigen Lebensräume unter<br />
besonderem Schutz stehen.<br />
Im Grenzgebiet zwischen Hessen,<br />
Bayern und Thüringen, bis 1989 geprägt<br />
durch die innerdeutsche Grenze,<br />
ergab sich am 12. September<br />
1990 eine historische Chance: In<br />
der letzten Sitzung des DDR-Minis-
terrats vor dessen Auflösung, sozusagen<br />
in den letzten Minuten der<br />
DDR vor dem Beitritt zur Bundesrepublik,<br />
wurde ein großes Schutzgebietsprogramm<br />
(genannt „Nationalparkprogramm“)<br />
verabschiedet,<br />
das Geschichte machte: Nationalparke<br />
und Naturparke wurden ausgewiesen<br />
– und neben weiteren<br />
Gebieten wurde auch der Thüringer<br />
Teil der Rhön zum Biosphärenreservat.<br />
Naturschützer in Hessen, Bayern<br />
und Thüringen waren da schon<br />
längst miteinander in Kontakt. Unmittelbar<br />
nach der Grenzöffnung<br />
hatten sie sich besucht. Mit der<br />
Wiedervereinigung ging es dann<br />
schnell. Im November 1990 ging<br />
ein gemeinsamer Antrag der drei<br />
Länder an die UNESCO in Paris. Im<br />
März 1991 wurde die Rhön offiziell<br />
als länderübergreifendes UNESCO-<br />
Biosphärenreservat anerkannt –<br />
auf bayerischer Seite mit Anteilen<br />
im Landkreis Rhön-Grabfeld und im<br />
Landkreis Bad Kissingen, auf hessischer<br />
Seite im Landkreis Fulda und<br />
in Thüringen im heutigen Wartburgkreis<br />
und dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen.<br />
Die Rhön macht’s vor – gemeinsam<br />
geht’s besser!<br />
Mit dem Schutz der Kulturlandschaft<br />
und der Vielfalt des Lebens<br />
hier ist ein wichtiger Auftrag in der<br />
Biosphäre Rhön verbunden: Die<br />
Rhöner sollen Ideen für ein gutes<br />
gemeinsames Leben von Mensch<br />
und Natur entwickeln und in Modellprojekten<br />
umsetzen. Menschen<br />
sollen zeigen, dass und wie man<br />
auf eine Art und Weise leben und<br />
wirtschaften kann, die auch den<br />
nachfolgenden Generationen eine<br />
intakte Umwelt, Biodiversität und<br />
ausreichend Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten<br />
lässt. Und<br />
das in allen Bereichen menschlichen<br />
Schaffens: in Land- und Forstwirtschaft,<br />
Tourismus, Handwerk,<br />
Gewerbe und Industrie, im Energiesektor,<br />
in der kommunalen Entwicklung<br />
u.v.m. Die Rhön ist dafür<br />
eine Modellregion im Netzwerk der<br />
UNESCO-Biosphärenreservate, von<br />
denen es weltweit 738 Gebiete in<br />
134 Staaten gibt. Mit den Partner-<br />
Biosphärenreservaten „Kruger to<br />
Canyons“ in Südafrika und „Oxapampa-Ashanika-Yanesha“<br />
(BIOAY)<br />
in Peru gibt es einen lebendigen<br />
173
174<br />
Austausch, zum Beispiel über einen<br />
Freiwilligendienst oder den Partnerkaffee<br />
„Biosphäre²“, der in Peru<br />
angebaut und in der Rhön geröstet<br />
und verkauft wird.<br />
Vieles wird seit über 30 <strong>Jahre</strong>n gemeinsam<br />
angepackt: Bereits 1995<br />
gründeten Menschen mit Weitblick<br />
die Rhöner Apfelinitiative, ein<br />
Verein zur Förderung und Weiterentwicklung<br />
der Rhöner Streuobstbestände.<br />
Obstwiesen werden von<br />
den rund 2.000 Mitgliedern gepflegt,<br />
die Sortenvielfalt bleibt erhalten.<br />
Und das in Bioqualität: Die<br />
Apfelinitiative ist Deutschlands<br />
größte Bio-Streuobstinitiative und<br />
organisiert Obst-Sammelstellen<br />
und die Vermarktung der leckeren<br />
Apfelprodukte. Lebensmittel aus<br />
der Rhön sind sehr gefragt. Leicht<br />
zu erkennen ist die „Qualität des<br />
Biosphärenreservats“ am Qualitätssiegel,<br />
das seit 2005 Produkte<br />
der Dachmarke Rhön auszeichnet<br />
und von der Rhön GmbH vermarktet<br />
wird. Eine Rhöner Adresse reicht<br />
dabei übrigens nicht: Für neun Lebensmittelbranchen<br />
sind Qualitätskriterien<br />
definiert, die regelmäßig<br />
überprüft werden.<br />
Es geht um‘s Ganze: Nachhaltigkeit<br />
lernen und erleben<br />
Seit 2001 hat das UNESCO-Biosphärenreservat<br />
Rhön im Landkreis<br />
Rhön-Grabfeld eine feste Adresse<br />
für Besucherinnen und Besucher:<br />
Das „Haus der Langen Rhön“ in<br />
Oberelsbach ist als Biosphärenzentrum<br />
für Entdecker und Entdeckerinnen<br />
geöffnet. Die interaktive<br />
Ausstellung zeigt, wie die Rhön entstanden<br />
ist und wie Mensch und<br />
Natur im Einklang leben können.<br />
Gleich nebenan arbeiten die Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter der<br />
Bayerischen Biosphärenreservatsverwaltung<br />
und des Naturparks<br />
Bayerische Rhön im 1999 fertiggestellten<br />
Bürogebäude mit den<br />
leuchtend blauen Fenstern. Seit<br />
2012 können Schulklassen und<br />
Besuchergruppen in der Umweltbildungsstätte<br />
Oberelsbach übernachten<br />
und dort Spannendes über<br />
das Leben im UNESCO-Biosphärenreservat<br />
lernen und neue Impulse<br />
für ein nachhaltiges Leben mitnehmen.<br />
Aktiv sein gegen den Klimawandel<br />
und Einsatz für das, was<br />
kreucht und fleucht – der Erhalt der<br />
Biodiversität vor der Haustür und<br />
global –, sind dabei die großen Her-
ausforderungen der Zeit für Alt und<br />
Jung. Innovative Ideen für einen<br />
bewussteren Lifestyle sind gefragt.<br />
Das bringt Generationen miteinander<br />
ins Gespräch.<br />
Der Landkreis Rhön-Grabfeld ist<br />
dabei enger Partner in der Bildungsarbeit<br />
für nachhaltige Entwicklung.<br />
Zusammen mit dem Nachbarlandkreis<br />
Bad Kissingen sowie 40 Städten<br />
und Gemeinden und vier Naturschutzverbänden<br />
wurde 1997 aus<br />
dem ehemaligen Zweckverband<br />
der gemeinsame Verein „Naturpark<br />
und Biosphärenreservat Bayerische<br />
Rhön e.V.“ (NBR). Zum Aufbau und<br />
zur Pflege von Wanderwegen und<br />
Loipen sowie Infotafeln und der<br />
touristischen Infrastruktur kam<br />
der Auftrag zur Umweltbildung/Bildung<br />
für Nachhaltigkeit dazu. Mit<br />
dem Umweltbildungsteam gehen<br />
die Schulen und Kitas im Landkreis<br />
gerne „ab durch die Hecke“ oder auf<br />
Spurensuche nach Tieren im Winter.<br />
Seit 2019 gibt es das beständig<br />
wachsende länderübergreifende<br />
Netzwerk der Biosphären-Kitas und<br />
-Schulen, die sich in besonderem<br />
Maße dafür einsetzen, Kindern und<br />
Jugendlichen auf vielfältige Weise<br />
den Nachhaltigkeitsgedanken<br />
zu vermitteln und ihn aktiv umzusetzen.<br />
Eine naturnahe Gestaltung<br />
des Außengeländes, gemeinsames<br />
Kochen und Essen von regionalen<br />
Lebensmitteln oder regelmäßige<br />
Aktionen wie Tauschbörsen sind<br />
Beispiele dafür.<br />
Premium-Wandern und<br />
Sterne-Niveau<br />
Die Natur kennt keine Grenzen.<br />
Auch den Menschen gelingen viele<br />
Dinge am besten gemeinsam. Im<br />
Jahr 2000 wurde von den sechs<br />
Rhön-Landkreisen dazu die regionale<br />
Arbeitsgemeinschaft ARGE Rhön<br />
gegründet. Ziel war es, gemeinsam<br />
mit den Biosphärenreservatsverwaltungen<br />
die länderübergreifende<br />
Zusammenarbeit zur nachhaltigen<br />
Entwicklung und Gestaltung der<br />
Rhön als Wirtschafts-, Kultur- und<br />
Lebensraum intensiver zu vernetzen.<br />
2017 wurde – ebenfalls von<br />
den Rhöner Landkreisen – dann ein<br />
gemeinsames touristisches Unternehmen<br />
gegründet: die Rhön GmbH<br />
– Gesellschaft für Tourismus und<br />
Markenmanagement, zu der auch<br />
die Dachmarke Rhön gehört.<br />
Bekanntestes Gemeinschaftspro-<br />
175
176<br />
jekt der Rhön GmbH ist wohl der<br />
Premiumwanderweg „Der Hochrhöner“.<br />
Auf zwei Routenvarianten<br />
durch die Kuppenrhön (136 km<br />
lang) oder über die Lange Rhön<br />
(122 km) können Wanderer seit<br />
2006 einmal von Norden nach Süden<br />
wandern. Dazu kommen noch<br />
mehr als 30 zertifizierte Tagesetappen,<br />
die als „Extratouren“ markiert<br />
sind. Nachhaltig Kraft schöpfen<br />
bei einem nachhaltigen Natur- und<br />
Landschaftserlebnis!<br />
Ein weiteres Gemeinschaftsprojekt<br />
der Landkreise und der Verwaltungsstellen<br />
des Biosphärenreservats ist<br />
der Sternenpark Rhön. Seit 2014 ist<br />
die Rhön offiziell von der International<br />
Dark Sky Association (IDA) als<br />
Sternenpark anerkannt. Hier kann<br />
man einen besonders sternenreichen<br />
Himmel erleben. Damit das so<br />
bleibt, haben sich bereits <strong>50</strong> Städte<br />
und Gemeinden in der Rhön und im<br />
Umfeld dazu verpflichtet, auf den<br />
Schutz der Nacht – etwa durch sparsame,<br />
zielgerichtete Beleuchtung<br />
– zu achten und so Lichtverschmutzung<br />
zu vermeiden. Der Griff nach<br />
den Sternen als Gewinn für Mensch<br />
und (Nacht-)Natur!<br />
Gemeinsam gehen den Rhönerinnen<br />
und Rhönern die Ideen nicht<br />
aus. 2014 schlossen sich auf eigenen<br />
Wunsch 22 weitere Gemeinden<br />
aus den Landkreisen Rhön-Grabfeld<br />
und Bad Kissingen dem UNESCO-<br />
Biosphärenreservat an. Für einen<br />
länderübergreifenden Plan, wie die<br />
Rhön sich enkeltauglich weiterentwickeln<br />
soll, wurde drei <strong>Jahre</strong><br />
lang in vielen Workshops ein Rahmenkonzept<br />
erarbeitet. Schritt für<br />
Schritt wird es von zahlreichen<br />
Akteuren in Landkreis, Kommunen,<br />
Fachverwaltungen, Betrieben,<br />
Vereinen und Verbänden in die Tat<br />
umgesetzt. Für eine gemeinsame,<br />
lebenswerte Zukunft in unserer Biosphäre<br />
Rhön und ganz gemäß dem<br />
gemeinsamen Motto: „Mensch.<br />
Natur.Einklang.“<br />
Kontakt:<br />
brrhoen@reg-ufr.bayern.de<br />
www.brrhoen.de
177
BLICK IN DIE ZUKUNFT –<br />
EINE FRAGE AN CHATGPT!<br />
DR. JÖRG GEIER<br />
178<br />
„DIE ZUKUNFT KANN MAN<br />
AM BESTEN VORAUS<br />
SAGEN, WENN MAN SIE<br />
SELBST GESTALTET.“ 1<br />
In den letzten <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n hat sich<br />
Rhön-Grabfeld stetig und dynamisch<br />
weiterentwickeln können.<br />
Trotz vermeintlich peripherer Lage<br />
und unter der Last des demografischen<br />
Wandels blickt man auf fünf<br />
positiv dynamische Dekaden zurück,<br />
die den Landkreis zu einer Zukunftsregion<br />
gemacht haben. Das<br />
positive Credo „Zukunft“ ist daher<br />
auch Inhalt des Landkreislogos.<br />
Ein konkretes Bild dieser Zukunft<br />
existiert noch nicht. Wir wissen<br />
nicht, wie Rhön-Grabfeld im Jahr<br />
2073 aussehen wird. Dank der modernen<br />
Technik existiert im übertragenen<br />
Sinne jedoch die Möglichkeit,<br />
die Zukunft selbst zu fragen,<br />
was die Zukunft bringt.<br />
1 Alan Kay
Seit dem 30. November 2022 ist mit<br />
ChatGPT eine Software im Internet<br />
frei verfügbar, die in der Lage ist,<br />
konkrete Fragen automatisiert, also<br />
auf Basis einer künstlichen Intelligenz,<br />
zu beantworten. Sie formuliert<br />
Texte oder, wenn man möchte,<br />
sogar ganze Aufsätze. 2<br />
In einer Art Selbstversuch präsentierte<br />
ChatGPT folgende Antwort<br />
auf die kurze Frage „Wie sieht Rhön-<br />
Grabfeld künftig aus?“:<br />
„Als künstliche Intelligenz kann ich<br />
keine Vorhersagen treffen, aber es<br />
ist möglich, dass die Region Rhön-<br />
Grabfeld in der Zukunft durch einige<br />
Veränderungen gekennzeichnet<br />
sein wird:<br />
Technologischer Fortschritt: Mit<br />
dem Fortschritt der Technologie<br />
kann es sein, dass die Landwirtschaft<br />
und die Wirtschaft insgesamt<br />
effizienter und nachhaltiger<br />
werden.<br />
2 Jahn, Thomas (2023): So funktioniert der Chatbot<br />
von OpenAI. Artikel im Handelsblatt vom 02.<br />
Februar 2023. URL: https://www.handelsblatt.<br />
com/technik/it-internet/chatgpt-so-funktioniertder-chatbot-von-openai-/28941524.html<br />
Bevölkerungsentwicklung: Die Bevölkerungsentwicklung<br />
kann auch<br />
eine Rolle spielen. Es ist möglich,<br />
dass es in der Region einen Zuwachs<br />
an Einwohnern gibt, was die<br />
Nachfrage nach Wohnraum und anderen<br />
Ressourcen erhöhen kann.<br />
Klimaveränderung: Die Klimaveränderung<br />
ist ein weiterer Faktor, der<br />
die Region beeinflussen kann. Es<br />
kann zu häufigeren Naturkatastrophen<br />
und Veränderungen im Klima<br />
kommen, was Auswirkungen auf<br />
Landwirtschaft, Natur und Wirtschaft<br />
haben kann.<br />
Nachhaltige Entwicklung: Es ist<br />
möglich, dass die Region sich auf<br />
eine nachhaltige Entwicklung ausrichtet,<br />
bei der sowohl die Umwelt<br />
als auch die Wirtschaft geschützt<br />
und gestärkt werden.<br />
Letztendlich hängt die Zukunft von<br />
vielen Faktoren ab und es ist unmöglich,<br />
genau vorherzusagen, wie<br />
Rhön-Grabfeld in der Zukunft aussehen<br />
wird. 3 “<br />
3 ChatbotGPT, Aufruf am 06. Februar 2023. URL:<br />
https://chat.openai.com/chat<br />
179
180<br />
Letztlich wissen auch weder das<br />
Internet noch darauf aufbauende<br />
Metasuchmaschinen eine konkrete<br />
Antwort auf die Frage, wie das<br />
zukünftige Bild des Landkreises<br />
Rhön-Grabfeld aussehen mag. Aber<br />
schon jetzt zeigt sich, dass sich die<br />
viergeteilte Antwort von ChatGPT<br />
an unseren eigenen Überlegungen<br />
orientiert. In der Region befasst<br />
man sich bereits intensiv mit den<br />
angesprochenen Aspekten und bemüht<br />
sich, für die 100-Jahr-Feier im<br />
Jahr 2073 gewappnet zu sein.
181
182<br />
LANDKREIS RHÖN-GRABFELD<br />
Spörleinstraße 11<br />
97616 Bad Neustadt<br />
www.rhoen-grabfeld.de