VISION.salzburg 2021_2
Das StadtSalzburgMagazin Ausgabe 2021_2
Das StadtSalzburgMagazin
Ausgabe 2021_2
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» Wenn wir schon beim Tod sind: Eine<br />
der zentralen Fragen im Jedermann ist:<br />
Wie verhalten wir uns, wenn der Tod in<br />
unser Leben tritt? Wie demütig, wie ehrlich<br />
sind wir? Wie halten Sie es mit dem<br />
Tod? Welche Rolle spielt er in Ihrem Leben?<br />
Memento Mori oder Carpe Diem?<br />
Prozentuell ist es wohl mehr Carpe Diem.<br />
Aber der Tod holt sich schon seine Momente.<br />
Zur Hauptprobe des ersten Jedermann<br />
starb damals mein Vater. Dadurch<br />
war in meinem ersten Jahr hier in<br />
Salzburg der Tod ständig anwesend. Das<br />
Faszinosum des Stücks entsteht ja durch<br />
die Konfrontation mit dem Tod. Wir weichen<br />
dieser Frage ja immer aus, konzentrieren<br />
uns zu Recht auf das Leben. Aber<br />
das ritualisierte sich einmal im Jahr dem<br />
Tod stellen ist eine gute Sache, weil man<br />
auch merkt, wie sich diese Konfrontation<br />
verändert, dass sie manchmal wichtiger<br />
ist als sonst. Man merkt, wie man den<br />
Tod vergessen hat und das Leben unter<br />
der Prämisse der Endlichkeit neu durchdenken<br />
müsste. Als kritische Instanz ist<br />
das eine wichtige Konfrontation.<br />
» In Ihren »Giacomo Variations« bzw.<br />
»Casanova Variations« mimte der charismatische<br />
John Malkovich den brüchigen<br />
Lebemann Casanova. Sehen<br />
Sie Parallelen?<br />
Gerade am Beginn der Proben mit Lars<br />
habe ich daran zurückdenken müssen.<br />
Diese Neugier und die Freude dran, etwas<br />
zu probieren, was man noch nicht<br />
probiert hat, etwas zu suchen, was man<br />
noch nicht gefunden hat, das hat mich<br />
sehr an John Malkowich erinnert. In<br />
der Charaktereigenschaft, keine festen<br />
Urteile zuzulassen, sind sich die beiden<br />
wohl sehr ähnlich.<br />
» Die Bereitschaft, sich auf eine gemeinsame<br />
Forschungsreise einzulassen?<br />
Genau. Und wer da zu große Angst hat<br />
sich zu verrennen, kann auch kein neues<br />
Territorium entdecken. Malkovich hat in<br />
einer Doku mal gemeint, er glaubt, ich<br />
hätte die gleiche Freude wie er daran,<br />
dass das Theater lebt, und dass man es<br />
deshalb jedes einzelne Mal besser machen,<br />
neu denken kann.<br />
» Gehen wir zur Tosca, einer Wiederaufnahme.<br />
Vieles spricht trotzdem<br />
dafür, dass es anders wird als 2018.<br />
Armiliato statt Thielemann. Netrebko<br />
statt Harteros...<br />
Anders ja, aber viel weniger anders als<br />
der Jedermann. Die Oper ist, was die<br />
Inszenierung betrifft, ein schwerfälligerer<br />
Apparat. Da sind wir gar nicht<br />
in der Lage, so viel in Frage zu stellen<br />
wie beim Jedermann. Aber Sie haben<br />
Recht: Schon durch die Schauspielerinnen<br />
wird sich das unterscheiden.<br />
Allerdings sorgt Ludovic Tessier, der<br />
eine der eindrucksvollsten Bühnenpersönlichkeiten<br />
ist, mit denen ich jemals<br />
arbeiten durfte und wieder Scarpia sein<br />
wird, für eine starke Kontinuität.<br />
» Thematisch könnte die Oper aktueller<br />
nicht sein. Es geht um Machtmissbrauch,<br />
der uns letztlich alle ins Verderben führt.<br />
Die Dramaturgie dieser Oper ist unglaublich,<br />
weil sie einen in so kurzer Zeit<br />
mit Eifersucht, Mord, Folter und politischer<br />
Hinrichtung konfrontiert. Niemand<br />
bleibt ganz unschuldig in dieser<br />
Geschichte. Niemand ist frei, alle sind<br />
unter Druck und getrieben. Aber die<br />
Brutalität des Systems, das Scarpia repräsentiert,<br />
ist kaum fassbar.<br />
Als Puccini die Oper schrieb, gab es<br />
noch den Kirchenstaat. Die Oper war<br />
die heftigste Kirchenkritik, die man sich<br />
vorstellen kann. Überall, wo sich Macht<br />
konzentriert, wo Menschen andere zu<br />
etwas zwingen können, auch auf und<br />
hinter der Bühne, gibt es diese Probleme.<br />
Aber bei Puccini ist das die schwärzeste<br />
Version, die man sich denken<br />
kann. Gegen Scarpia ist selbst Harvey<br />
Weinstein ein Lercherl.<br />
» Lässt sich die Oper auch als Plädoyer<br />
für die Überwindung gesellschaftlicher<br />
Gräben lesen?<br />
Unbedingt. Sie ist ein Plädoyer gegen die<br />
Anhäufung unkontrollierter Macht und für<br />
Ausgewogenheit und Kontrolle. Kurz bevor<br />
die Tosca uraufgeführt wurde, wurde<br />
in Rom auf Demonstranten geschossen.<br />
Zu Puccinis Zeiten musste man nicht<br />
nach China oder Russland gehen, um<br />
einen Staat zu finden, der mit Gewalt<br />
gegen seine eigenen Bürger vorgeht. Das<br />
gab es damals auch in Europa. Die Oper<br />
ist ein Plädoyer für Menschen wie die<br />
jungen Leute in Weißrussland, die sich<br />
einer Übermacht in den Weg stellen, weil<br />
sie sich nicht mehr ducken wollen. Genau<br />
deshalb muss es in der Tosca auch<br />
Momente geben, die dem Publikum unangenehm<br />
sind. Ein reizender Abend mit<br />
toller Diva wäre ein Betrug an Puccini.<br />
» Wie kamen Sie auf die Idee, die Oper<br />
als Mischung aus Film Noir und Mafiadrama<br />
zu inszenieren?<br />
Wir wollten die Geschichte in Rom lassen<br />
und uns anschauen, wie die Geschichte<br />
weitergegangen ist. In der<br />
jüngeren Vergangenheit gab es da<br />
durchaus Zeiten, in denen Politik, Mafia<br />
und Kirche recht eng miteinander verwoben<br />
waren, wo Menschen, die nicht<br />
mitspielen wollten, aus dem Weg geräumt<br />
wurden. Ich musste dafür aber<br />
auch Kritik einstecken. Es hieß, ich<br />
könne doch keine Kinder morden lassen.<br />
Aber es gibt nun einmal Dokus, in<br />
denen 13-jährige Buben erzählen, dass<br />
Mord das Einstiegsritual zur Mafia ist. Ab<br />
diesem Zeitpunkt gehört man jemand<br />
anderen. Auch bei einem Opernbesuch<br />
kann man sich diese Realität kurz vor<br />
Augen führen.<br />
» Sie haben an so unterschiedlichen<br />
Orten wie dem Mariinsky Theater in<br />
St. Petersburg und dem Stadttheater<br />
Klagenfurt gearbeitet. Was ist besonders<br />
an den Salzburger Festspielen?<br />
Die Intensität und Dichte an Kreativität.<br />
Plötzlich sitzt man neben Currentzis oder<br />
Castellucci oder man verfolgt über einen<br />
Bildschirm in einem der Büros mit, wie<br />
Sokolov probt. Als mein Vater starb, saß<br />
ich am nächsten Morgen um 10 Uhr in der<br />
Probe von Currentzis’ Mozarts-Requiem.<br />
Fast allein in einer Bank und unbemerkt<br />
bekam ich ein Requiem für meinen Vater.<br />
Solche Zufälle gibt es hier. Das werde ich<br />
mein ganzes Leben lang nicht vergessen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
© teresaztl<br />
Michael Sturminger (* 8. Jänner 1963 in Wien) studierte<br />
Regie sowie Drehbuch und Dramaturgie. Seit<br />
1990 arbeitet er als freier Autor und Regisseur für<br />
Film, Schauspiel und Oper. Darüber hinaus ist er Intendant<br />
der Sommerfestspiele Perchtoldsdorf und<br />
Professor für musikdramatische Darstellung am Institut<br />
für Gesang und Musiktheater der mdw.<br />
interview_michael_sturminger<br />
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