VISION.salzburg 2021_2

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15.05.2023 Aufrufe

© wildbild Ein reizender Abend wäre Betrug TEXT MARKUS DEISENBERGER Regisseur Michael Sturminger verantwortet heuer gleich zwei Aufführungen bei den Salzburger Festspielen: Den Jedermann und die Tosca. vision.salzburg verriet er, was Lars Eidinger und John Malkovich verbindet und wie man von Puccini auf die Mafia kommt. » Als ich hörte, dass Lars Eidinger der neue Jedermann wird, konnte ich mir das zunächst nicht wirklich vorstellen. Der zweite Gedanke war dann aber gleich: »Was für eine Chance«. Denken sie ähnlich? Ich denke, das ist die bei Weitem interessante Wahl, die man derzeit treffen kann. Ein großes Glück, dass er das auch machen will. Auch wenn man ihn in Österreich mehr vom Film her kennt: Lars ist ein echter Bühnenschauspieler, der immer wieder zeigt, wie toll er mit Sprache, mit historischen Texten umgehen kann und was für eine große Freude er daran hat. Eine glückliche und ideale Besetzung. Ich kann mir gar nichts anderes vorstellen. » Sie sagten einmal, dass man bei jedem neuen Jedermann das Stück neu denken müsse, weil die Schauspielerpersönlichkeit das Stück so stark prägt. Ofczarek, Simonischek, Moretti – das waren schon sehr unterschiedliche Typen. In welche Richtung wird es mit Lars Eidinger gehen? Ist seine Hintergründigkeit, die Fähigkeit, ambivalente, gebrochene Charaktere darzustellen, der größte Trumpf? Das ist eine völlig neue Inszenierung mit einem neuen Ensemble, neuer Bühne, neuen Kostümen und neuer Musik. Nichts wird so bleiben wie es war. Man besetzt einen Jedermann so, wie die Figur am besten zur Geltung kommen und funkeln, all ihre Farben zeigen kann. Man baut um den Schauspieler herum eine Welt, damit sich die Zuseher optimal mit ihm identifizieren können, was bei dem Charakter nicht leicht ist. Der ist ja nicht nur Sympathieträger. Man muss ihn in all seinen Facetten wahrnehmen und Anteil nehmen. Bei Moretti war das ein Kapitalist, der mit beiden Beinen in unserer Welt steht. Das wäre für Lars kein Ansatz. Lars ist jemand, der sich zwischen allen Stühlen aufhält, sich nicht nur durch Hochkultur definiert, sondern auch mal als DJ auflegt und sich mit Mode und zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Das hat uns befeuert, eine ganz neue Welt auf die Bühne zu zaubern: Zeitloser und abstrakter. Weniger Spiegelung unserer Realität als märchenhaft, assoziativ und schwer einzuordnen. » »Mein Theater verlangt Überraschung, weil Überraschung uns öffnet« haben Sie einmal gesagt. Wird der Jedermann überraschen? Sehr sogar, aber nicht weil einzelne Luftballone abgebrannt werden. Die Inszenierung ist so besetzt, dass es schon allein deshalb unmöglich ist, den Jedermann der letzten Jahre zu wiederholen. Die Wiederholung ist ja auch das Uninteressanteste, was man sich im Theater nur vorstellen kann. Wozu dann noch spielen? Wir spielen ja, um zu entdecken, zu erfinden. Damit es erscheint. Und nicht, um das zu realisieren, was wir schon kennen. Das käme mir geradezu absurd vor. Schon die Besetzung verrät also einiges: Edith Clever als Tod. Das ist ein Geschenk, ein großes Zeichen. Weiter weg vom wunderbaren Peter Lohmeyer könnte es nicht sein. 10 interview_michael_sturminger

» Wenn wir schon beim Tod sind: Eine der zentralen Fragen im Jedermann ist: Wie verhalten wir uns, wenn der Tod in unser Leben tritt? Wie demütig, wie ehrlich sind wir? Wie halten Sie es mit dem Tod? Welche Rolle spielt er in Ihrem Leben? Memento Mori oder Carpe Diem? Prozentuell ist es wohl mehr Carpe Diem. Aber der Tod holt sich schon seine Momente. Zur Hauptprobe des ersten Jedermann starb damals mein Vater. Dadurch war in meinem ersten Jahr hier in Salzburg der Tod ständig anwesend. Das Faszinosum des Stücks entsteht ja durch die Konfrontation mit dem Tod. Wir weichen dieser Frage ja immer aus, konzentrieren uns zu Recht auf das Leben. Aber das ritualisierte sich einmal im Jahr dem Tod stellen ist eine gute Sache, weil man auch merkt, wie sich diese Konfrontation verändert, dass sie manchmal wichtiger ist als sonst. Man merkt, wie man den Tod vergessen hat und das Leben unter der Prämisse der Endlichkeit neu durchdenken müsste. Als kritische Instanz ist das eine wichtige Konfrontation. » In Ihren »Giacomo Variations« bzw. »Casanova Variations« mimte der charismatische John Malkovich den brüchigen Lebemann Casanova. Sehen Sie Parallelen? Gerade am Beginn der Proben mit Lars habe ich daran zurückdenken müssen. Diese Neugier und die Freude dran, etwas zu probieren, was man noch nicht probiert hat, etwas zu suchen, was man noch nicht gefunden hat, das hat mich sehr an John Malkowich erinnert. In der Charaktereigenschaft, keine festen Urteile zuzulassen, sind sich die beiden wohl sehr ähnlich. » Die Bereitschaft, sich auf eine gemeinsame Forschungsreise einzulassen? Genau. Und wer da zu große Angst hat sich zu verrennen, kann auch kein neues Territorium entdecken. Malkovich hat in einer Doku mal gemeint, er glaubt, ich hätte die gleiche Freude wie er daran, dass das Theater lebt, und dass man es deshalb jedes einzelne Mal besser machen, neu denken kann. » Gehen wir zur Tosca, einer Wiederaufnahme. Vieles spricht trotzdem dafür, dass es anders wird als 2018. Armiliato statt Thielemann. Netrebko statt Harteros... Anders ja, aber viel weniger anders als der Jedermann. Die Oper ist, was die Inszenierung betrifft, ein schwerfälligerer Apparat. Da sind wir gar nicht in der Lage, so viel in Frage zu stellen wie beim Jedermann. Aber Sie haben Recht: Schon durch die Schauspielerinnen wird sich das unterscheiden. Allerdings sorgt Ludovic Tessier, der eine der eindrucksvollsten Bühnenpersönlichkeiten ist, mit denen ich jemals arbeiten durfte und wieder Scarpia sein wird, für eine starke Kontinuität. » Thematisch könnte die Oper aktueller nicht sein. Es geht um Machtmissbrauch, der uns letztlich alle ins Verderben führt. Die Dramaturgie dieser Oper ist unglaublich, weil sie einen in so kurzer Zeit mit Eifersucht, Mord, Folter und politischer Hinrichtung konfrontiert. Niemand bleibt ganz unschuldig in dieser Geschichte. Niemand ist frei, alle sind unter Druck und getrieben. Aber die Brutalität des Systems, das Scarpia repräsentiert, ist kaum fassbar. Als Puccini die Oper schrieb, gab es noch den Kirchenstaat. Die Oper war die heftigste Kirchenkritik, die man sich vorstellen kann. Überall, wo sich Macht konzentriert, wo Menschen andere zu etwas zwingen können, auch auf und hinter der Bühne, gibt es diese Probleme. Aber bei Puccini ist das die schwärzeste Version, die man sich denken kann. Gegen Scarpia ist selbst Harvey Weinstein ein Lercherl. » Lässt sich die Oper auch als Plädoyer für die Überwindung gesellschaftlicher Gräben lesen? Unbedingt. Sie ist ein Plädoyer gegen die Anhäufung unkontrollierter Macht und für Ausgewogenheit und Kontrolle. Kurz bevor die Tosca uraufgeführt wurde, wurde in Rom auf Demonstranten geschossen. Zu Puccinis Zeiten musste man nicht nach China oder Russland gehen, um einen Staat zu finden, der mit Gewalt gegen seine eigenen Bürger vorgeht. Das gab es damals auch in Europa. Die Oper ist ein Plädoyer für Menschen wie die jungen Leute in Weißrussland, die sich einer Übermacht in den Weg stellen, weil sie sich nicht mehr ducken wollen. Genau deshalb muss es in der Tosca auch Momente geben, die dem Publikum unangenehm sind. Ein reizender Abend mit toller Diva wäre ein Betrug an Puccini. » Wie kamen Sie auf die Idee, die Oper als Mischung aus Film Noir und Mafiadrama zu inszenieren? Wir wollten die Geschichte in Rom lassen und uns anschauen, wie die Geschichte weitergegangen ist. In der jüngeren Vergangenheit gab es da durchaus Zeiten, in denen Politik, Mafia und Kirche recht eng miteinander verwoben waren, wo Menschen, die nicht mitspielen wollten, aus dem Weg geräumt wurden. Ich musste dafür aber auch Kritik einstecken. Es hieß, ich könne doch keine Kinder morden lassen. Aber es gibt nun einmal Dokus, in denen 13-jährige Buben erzählen, dass Mord das Einstiegsritual zur Mafia ist. Ab diesem Zeitpunkt gehört man jemand anderen. Auch bei einem Opernbesuch kann man sich diese Realität kurz vor Augen führen. » Sie haben an so unterschiedlichen Orten wie dem Mariinsky Theater in St. Petersburg und dem Stadttheater Klagenfurt gearbeitet. Was ist besonders an den Salzburger Festspielen? Die Intensität und Dichte an Kreativität. Plötzlich sitzt man neben Currentzis oder Castellucci oder man verfolgt über einen Bildschirm in einem der Büros mit, wie Sokolov probt. Als mein Vater starb, saß ich am nächsten Morgen um 10 Uhr in der Probe von Currentzis’ Mozarts-Requiem. Fast allein in einer Bank und unbemerkt bekam ich ein Requiem für meinen Vater. Solche Zufälle gibt es hier. Das werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Vielen Dank für das Gespräch. © teresaztl Michael Sturminger (* 8. Jänner 1963 in Wien) studierte Regie sowie Drehbuch und Dramaturgie. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor und Regisseur für Film, Schauspiel und Oper. Darüber hinaus ist er Intendant der Sommerfestspiele Perchtoldsdorf und Professor für musikdramatische Darstellung am Institut für Gesang und Musiktheater der mdw. interview_michael_sturminger 11

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Ein reizender<br />

Abend wäre<br />

Betrug<br />

TEXT MARKUS DEISENBERGER<br />

Regisseur Michael<br />

Sturminger verantwortet<br />

heuer gleich zwei<br />

Aufführungen bei den<br />

Salzburger Festspielen:<br />

Den Jedermann und die<br />

Tosca. vision.<strong>salzburg</strong><br />

verriet er, was Lars<br />

Eidinger und John<br />

Malkovich verbindet und<br />

wie man von Puccini<br />

auf die Mafia kommt.<br />

» Als ich hörte, dass Lars Eidinger der<br />

neue Jedermann wird, konnte ich mir<br />

das zunächst nicht wirklich vorstellen.<br />

Der zweite Gedanke war dann aber<br />

gleich: »Was für eine Chance«. Denken<br />

sie ähnlich?<br />

Ich denke, das ist die bei Weitem interessante<br />

Wahl, die man derzeit treffen<br />

kann. Ein großes Glück, dass er das<br />

auch machen will. Auch wenn man ihn<br />

in Österreich mehr vom Film her kennt:<br />

Lars ist ein echter Bühnenschauspieler,<br />

der immer wieder zeigt, wie toll er mit<br />

Sprache, mit historischen Texten umgehen<br />

kann und was für eine große Freude<br />

er daran hat. Eine glückliche und ideale<br />

Besetzung. Ich kann mir gar nichts anderes<br />

vorstellen.<br />

» Sie sagten einmal, dass man bei jedem<br />

neuen Jedermann das Stück neu<br />

denken müsse, weil die Schauspielerpersönlichkeit<br />

das Stück so stark<br />

prägt. Ofczarek, Simonischek, Moretti<br />

– das waren schon sehr unterschiedliche<br />

Typen. In welche Richtung wird es<br />

mit Lars Eidinger gehen? Ist seine Hintergründigkeit,<br />

die Fähigkeit, ambivalente,<br />

gebrochene Charaktere darzustellen,<br />

der größte Trumpf?<br />

Das ist eine völlig neue Inszenierung<br />

mit einem neuen Ensemble, neuer Bühne,<br />

neuen Kostümen und neuer Musik.<br />

Nichts wird so bleiben wie es war. Man<br />

besetzt einen Jedermann so, wie die Figur<br />

am besten zur Geltung kommen und<br />

funkeln, all ihre Farben zeigen kann. Man<br />

baut um den Schauspieler herum eine<br />

Welt, damit sich die Zuseher optimal mit<br />

ihm identifizieren können, was bei dem<br />

Charakter nicht leicht ist. Der ist ja nicht<br />

nur Sympathieträger. Man muss ihn in all<br />

seinen Facetten wahrnehmen und Anteil<br />

nehmen. Bei Moretti war das ein Kapitalist,<br />

der mit beiden Beinen in unserer<br />

Welt steht. Das wäre für Lars kein Ansatz.<br />

Lars ist jemand, der sich zwischen allen<br />

Stühlen aufhält, sich nicht nur durch<br />

Hochkultur definiert, sondern auch mal<br />

als DJ auflegt und sich mit Mode und<br />

zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Das<br />

hat uns befeuert, eine ganz neue Welt<br />

auf die Bühne zu zaubern: Zeitloser und<br />

abstrakter. Weniger Spiegelung unserer<br />

Realität als märchenhaft, assoziativ und<br />

schwer einzuordnen.<br />

» »Mein Theater verlangt Überraschung,<br />

weil Überraschung uns öffnet«<br />

haben Sie einmal gesagt. Wird der<br />

Jedermann überraschen?<br />

Sehr sogar, aber nicht weil einzelne<br />

Luftballone abgebrannt werden. Die Inszenierung<br />

ist so besetzt, dass es schon<br />

allein deshalb unmöglich ist, den Jedermann<br />

der letzten Jahre zu wiederholen.<br />

Die Wiederholung ist ja auch das Uninteressanteste,<br />

was man sich im Theater<br />

nur vorstellen kann. Wozu dann noch<br />

spielen? Wir spielen ja, um zu entdecken,<br />

zu erfinden. Damit es erscheint.<br />

Und nicht, um das zu realisieren, was wir<br />

schon kennen. Das käme mir geradezu<br />

absurd vor. Schon die Besetzung verrät<br />

also einiges: Edith Clever als Tod. Das ist<br />

ein Geschenk, ein großes Zeichen. Weiter<br />

weg vom wunderbaren Peter Lohmeyer<br />

könnte es nicht sein.<br />

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