Hausgemachter Fachkräftemangel
Die ICT-Welt war eine der ersten Branchen, die vor rund zehn Jahren begann, auf den sich abzeichnenden Fachkräftemangel hinzuweisen. Inzwischen wird dieser mit 120‘000 zusätzlichen ICT-Fachkräften beziffert, die bis zum Jahr 2030 benötigt werden.
Die ICT-Welt war eine der ersten Branchen, die vor rund zehn Jahren begann, auf den sich abzeichnenden Fachkräftemangel hinzuweisen. Inzwischen wird dieser mit 120‘000 zusätzlichen ICT-Fachkräften beziffert, die bis zum Jahr 2030 benötigt werden.
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Know-how topsoft Fachmagazin 23-1<br />
<strong>Hausgemachter</strong> <strong>Fachkräftemangel</strong><br />
Die ICT-Welt war eine der ersten Branchen, die vor rund zehn Jahren begann, auf den sich abzeichnenden <strong>Fachkräftemangel</strong><br />
hinzuweisen. Inzwischen wird dieser mit 120‘000 zusätzlichen ICT-Fachkräften beziffert, die bis<br />
zum Jahr 2030 benötigt werden. Mittlerweile gibt es kaum eine Branche, die sich nicht stark vom <strong>Fachkräftemangel</strong><br />
betroffen zeigt. Wo liegen die Ursachen und die Lösungsansätze? Was kann die Wirtschaftsinformatik<br />
beitragen?<br />
>> Reto De Martin | Force4project GmbH<br />
<strong>Fachkräftemangel</strong>: ein Begriff boomt. Was<br />
bedeutet er? Ein Mangel ist das Fehlen von<br />
etwas, das man braucht. Das Wort steht für<br />
fehlendes Personal mit erforderlichen Qualifikationen<br />
(Fach) in ausreichender Menge<br />
(Kraft), um den Bedarf der Wirtschaft abzudecken.<br />
Inflationär und zunehmend undifferenziert<br />
wird der <strong>Fachkräftemangel</strong> in den Medien<br />
als Sündenbock für stockendes Wachstum<br />
und leider zunehmend durch Führungskräfte<br />
als Ausrede für ausbleibende Innovation und<br />
Leistungsfähigkeit des eigenen Unternehmens<br />
eingesetzt.<br />
Juristisch definiert bedeutet ein Mangel, dass<br />
eine Abweichung der IST- von der SOLL-Situation<br />
vorliegt. Im Fall der Fachkräfte wird das<br />
SOLL von den Branchenorganisationen regelmässig<br />
erhoben. Die Trends und Prognosen<br />
sind bekannt. Jedes gut geführte Unternehmen<br />
betreibt eine strategische Personalplanung, in<br />
der zukünftige Qualifikationen und Mengen<br />
an benötigten Fachkräften mittel- und langfristig<br />
erhoben werden. Sowohl volkswirtschaftlich<br />
als auch im eigenen Betrieb sollten<br />
Massnahmen darauf ausgerichtet sein, auf die<br />
Erreichung des bekannten SOLL hinzuwirken.<br />
Hier wurde und wird in den Unternehmen<br />
gesündigt, insbesondere in den KMU,<br />
die in der Schweiz das Rückgrat der Wertschöpfung<br />
bilden. Unternehmen sind in einer<br />
liberalen Wirtschaftsordnung die Quelle der<br />
Entwicklung und des Wohlstands. Wer in<br />
Der Autor<br />
Reto De Martin ist Inhaber<br />
und Geschäftsleiter des<br />
Beratungsunternehmens<br />
Force4project GmbH und<br />
Geschäftsleiter von VIW<br />
Wirtschaftsinformatik. Das Engagement<br />
für unternehmerische Nutzung von ICT<br />
und die Ausbildung entsprechender<br />
Fachkräfte bildet den Schwerpunkt seines<br />
Wirkens.<br />
www.force4project.ch<br />
seinem Unternehmen die strategische Personalentwicklung<br />
vernachlässigt und damit<br />
den <strong>Fachkräftemangel</strong> befeuert, macht sich<br />
im juristischen Sinn nicht strafbar, trägt aber<br />
unternehmerische Verantwortung für eine<br />
IST-Situation, die weit vom SOLL entfernt ist.<br />
Rahmenbedingungen<br />
Unternehmen stehen unter Einfluss der Rahmenbedingungen,<br />
welche Gesellschaft, Staat,<br />
Technologieentwicklungen und Trends definieren.<br />
Eine Auswahl von Entwicklungen, die<br />
sich negativ auf die Verfügbarkeit von Fachkräften<br />
in der wertschöpfenden Wirtschaft<br />
auswirken, sind:<br />
▪ Die Zahl der Erwerbstätigen in der Schweiz<br />
stieg in den letzten 20 Jahren um 24,5 %.<br />
Gleichzeitig hat sich die gearbeitete Arbeitszeit<br />
um fast 10 % verringert. Obwohl eine<br />
Wochenarbeitszeit von 42 Stunden nur<br />
einem Viertel der wöchentlich zur Verfügung<br />
stehenden Zeit entspricht, wollen und<br />
können sich immer mehr Menschen eine<br />
Teilzeittätigkeit leisten.<br />
▪ Als die AHV 1948 installiert wurde, hatten<br />
65-jährige Männer noch eine verbleibende<br />
durchschnittliche Lebenserwartung von<br />
12,4 Jahren. Heute sind es 20,8 Jahre.<br />
Trotz dieser Entwicklung fehlen attraktive<br />
Modelle für ein stufenweises Zurückfahren<br />
der Arbeitstätigkeit unter gleichzeitiger Verlängerung<br />
der beruflichen Tätigkeit. Falsche<br />
Anreize fördern sogar einen frühzeitigen<br />
Übertritt in die Pension. Obwohl 80 % der<br />
Erwerbstätigen der Schweiz im Dienstleistungssektor<br />
(tertiär, quartär) arbeiten, wird<br />
für die Argumentation das Baugewerbe<br />
herangezogen, wo die körperliche Belastung<br />
unvergleichbar höher ist, und berechtigterweise<br />
andere Regelungen gelten. Diese hat<br />
die Sozialpartnerschaft bereits geregelt. Eine<br />
veränderte Handhabung im Dienstleistungssektor<br />
tut Not.<br />
▪ Der Staat saugt ab. Die Verwaltungen<br />
wachsen stärker als die Gesamtwirtschaft,<br />
was die Beschäftigungszahlen angeht.<br />
Fachkräfte werden dadurch aus den wertschöpfenden<br />
Bereichen abgezogen. Wie<br />
Erhebungen zeigen, liegen die staatlichen<br />
Löhne deutlich höher als jene, die die Privatwirtschaft<br />
entrichten kann.<br />
▪ Die Berufsbildung hat einen schweren<br />
Stand. Der akademische Weg wird von<br />
vielen als erfolgsversprechender für ein<br />
Leben in Wohlstand eingeschätzt. Der Weg<br />
ist bequem und günstig. Studierende treten<br />
rund acht Jahre später in den Arbeitsmarkt<br />
ein als Absolvierende einer Berufslehre.<br />
Unternehmertum gefragt<br />
Rahmenbedingungen können nur bedingt<br />
durch einzelne Unternehmen beeinflusst werden.<br />
Engagement in der Politik und auf Verbandsebene<br />
kostet Zeit, Zeit die zunehmend<br />
lieber in das Unternehmen oder in die Freizeit<br />
investiert wird. Wirkungsvolle Erfolgsfaktoren,<br />
um dem <strong>Fachkräftemangel</strong> entgegenzuwirken,<br />
gibt es durchaus im eigenen Betrieb.<br />
▪ Schaffung von attraktiven Lehrstellen. Wer<br />
heute sät, wird morgen ernten. Das Potenzial<br />
der Digital Natives muss als Chance<br />
gesehen und genutzt werden.<br />
▪ Innovative Entschädigungsmodelle gestalten.<br />
Wer in eine Berufslehre eintritt, freut<br />
sich über die Entwicklung der monetären<br />
Situation. Dem gegenüber steht der Verlust<br />
von vielen Ferienwochen. Während Freude,<br />
die den gymnasialen Weg wählen, weiterhin<br />
von bis zu 14 Ferienwochen profitieren,<br />
müssen sich 16-jährige Lernende mit<br />
deren sechs abfinden. Warum nicht einen<br />
etwas tieferen Einstiegslohn, dafür 8 oder 9<br />
Wochen Ferien im ersten Lehrjahr? Warum<br />
nicht flexiblere Modelle auch für Ausgelernte?<br />
▪ Bewährte Mitarbeitende konsequent in<br />
der Digitalen Transformation fördern. Das<br />
Gegenteil von Digital Natives sind Digital<br />
Immigrants, die noch ohne den Einfluss<br />
digitaler Medien und Instrumente aufgewachsen<br />
sind. Wer diesen Mitarbeitenden<br />
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Know-how<br />
oder Digital Collaboration Specialist FA stärken<br />
die erforderlichen Kompetenzen bei den<br />
Mitarbeitenden, ohne diese aus dem Betrieb<br />
wegzulocken.<br />
Stabile Work-Life-Balance<br />
dank Weiterbildung<br />
Die Bedeutung der Work-Life-Balance ist vieldiskutiert.<br />
Meist wird zur Visualisierung eine<br />
Pendelwaage gezeigt. In der einen Waagschale<br />
liegt die Last der beruflichen Tätigkeit, in der<br />
anderen Waagschale gleichen Elemente wie<br />
private Angelegenheiten und Erholungsphasen<br />
aus. Diese Darstellung suggeriert, dass WORK<br />
immer Last und LIFE immer Ausgleich ist. In<br />
der Auseinandersetzung geht es darum, berufliches<br />
und privates Leben in Balance zu bringen.<br />
Viele Fachbeiträge erwähnen vier Säulen<br />
der Work-Life-Balance:<br />
▪ Das berufliche Leben – Karriere, Erfolg<br />
und Geld<br />
▪ Alles, was Ihre Sinne anspricht – Liebe,<br />
Kunst und Selbstverwirklichung<br />
▪ Gesundheit und Körper –<br />
bewusste Ernährung, Entspannung und<br />
regelmässiger Sport<br />
▪ Die soziale Komponente – Familie,<br />
Freunde, Anerkennung<br />
die Chance gibt, die bisherigen Erfahrungen<br />
durch neue digitale Handlungskompetenzen<br />
zu ergänzen, fördert nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit<br />
und -verbundenheit.<br />
Es wird primär auch die Voraussetzung<br />
geschaffen, die Möglichkeiten der digitalen<br />
Entwicklungen im Betrieb nutzenbringend<br />
zur Erhaltung und Steigerung von Produktivität<br />
und Wertschöpfung zu nutzen.<br />
Effizienzsteigerung IN<br />
der Digitalisierung<br />
Als Gegenmittel gegen den <strong>Fachkräftemangel</strong><br />
wird die Effizienzsteigerung DURCH<br />
Digitalisierung propagiert. Um dieses erfolgsversprechende<br />
Mittel erschliessen zu können,<br />
benötigen wir zuerst eine Steigerung von Effektivität<br />
und Effizienz IN der Digitalisierung.<br />
Digitalisierung steht für das Einbringen von<br />
Elementen der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
in die Arbeitsabläufe. Um<br />
die dadurch entstehenden Potenziale auch<br />
nachhaltig nutzen zu können, ist eine Veränderung<br />
der Kultur, das Entstehen eines neuen<br />
Selbstverständnisses, aller Beteiligten erforderlich.<br />
Dieser Change zum neuen Selbstverständnis<br />
wird als digitale Transformation<br />
bezeichnet. Gelungene Transformation setzt<br />
die Motivation und Vertrautheit aller Beteiligten<br />
voraus. Deshalb ist die Ausbildung der<br />
Mitarbeitenden unverzichtbar, die Höhere<br />
Berufsbildung stellt hervorragende Angebote<br />
bereit.<br />
Wirtschaftsinformatik verbindet das Business<br />
mit den Möglichkeiten der ICT. Ausbildungsmöglichkeiten<br />
wie Wirtschaftsinformatik HF<br />
Berufliche Aus- und Weiterbildung hilft, im<br />
Beruf Aufgaben zu übernehmen, die Freude<br />
bereiten. Damit mehren sich auch die Möglichkeiten,<br />
selbstbestimmt eine Aufgabe wählen<br />
zu können, die persönlichen Sinn stiftet<br />
und die Basis für Selbstverwirklichung,<br />
Erfolg und angemessenes Einkommen schafft.<br />
Handlungsorientierte Kompetenzerweiterung<br />
durch Bildung fördert zusätzlich die Effizienz,<br />
mit der die gewählte Aufgabe bewältigt werden<br />
kann. Trotz erfüllender beruflicher Tätigkeit<br />
bleibt mehr Zeit für Entspannung, Sport,<br />
Familie und Freunde.<br />
Unternehmen, die die Weiterbildung der Mitarbeitenden<br />
nutzen, beeinflussen nicht nur<br />
deren persönliche Work-Life-Balance positiv.<br />
Die Win-Win-Situation ist ebenso geprägt<br />
durch Nutzen für das Unternehmen. Mehr<br />
Fachkompetenz, Mitarbeiterzufriedenheit und<br />
Identifikation mit dem modernen Arbeitgeber<br />
reduzieren die Fluktuation, verbessern das<br />
Image und mindern den <strong>Fachkräftemangel</strong> im<br />
Betrieb. Das Gute beginnt im Kleinen.