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MeinPferd_04_2019

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ABENTEUER & REPORTAGE<br />

Fotos: slawik.com (3), IMAGO/ Frank Sorge (1)<br />

oder Unsicherheit auch von Stress, Schmerzen,<br />

Überforderung, Bewegungsmangel<br />

oder schlechten Erfahrungen herrühren.<br />

Der Begriff allein führt schnell in die Irre,<br />

denn würden Sie ein Pferd wirklich als<br />

unge horsam bezeichnen, wenn es aufgrund<br />

starker Rückenschmerzen Abwehrreaktionen<br />

zeigt? In diesem Artikel wollen wir uns<br />

vor allem mit der Angst näher beschäftigen,<br />

die ein häufiger Auslöser für unerwünschtes<br />

Verhalten ist. Doch viele Reiter haben Probleme,<br />

Angst und Furcht richtig zu interpretieren.<br />

Werfen wir deshalb zunächst<br />

einen genaueren Blick auf die Biologie und<br />

das Gehirn des Pferdes.<br />

Lebensnotwendiges Alarmsystem<br />

Es gibt furchtlose Menschen, die sich in gefährliche<br />

Situationen begeben, ohne dabei<br />

wirklich Angst zu verspüren. Pferde, vor allem<br />

in freier Wildbahn, wären ohne Angst<br />

schnell dem Tode geweiht. Sie ist ein Wunder<br />

der Evolution und ein komplizierter Mechanismus,<br />

der über Jahrtausende erprobt ist.<br />

Ohne Angst würden sich Pferde Abhänge<br />

hinunterstürzen, bei Gefahr nicht fliehen,<br />

möglicherweise in fahrende Autos oder<br />

durch Zäune rennen. Sie erfüllt also durchaus<br />

wichtige Aufgaben. Dabei ist Angst auch<br />

wegweisend für die Entwicklung und das<br />

Lernen des Pferdes. Sozusagen als Alarmanlage<br />

entscheidet sie mit über Flucht oder<br />

Angriff. In bedrohlichen Situationen bleibt<br />

keine Zeit, neue Strategien zu entwickeln.<br />

Dann sind Mensch und Tier auf Empfindungen<br />

wie Angst, Furcht, aber auch Stress<br />

angewiesen. Im Gegensatz zum Pferd kann<br />

der Mensch lernen, dieses Alarmsystem zu<br />

umgehen und das Gefühl einfach zu verdrängen.<br />

Ist es jedoch einmal angesprungen,<br />

dann nehmen eine ganze Reihe chemischer<br />

Vorgänge ihren Lauf. So werden zum Beispiel<br />

Botenstoffe wie Adrenalin ausgeschüttet.<br />

Angst löst also eine Stressreaktion aus,<br />

die im Normalfall mit einer bewältigenden<br />

Handlung endet. Stresssymptome bauen<br />

sich ab, und die Angst verfliegt. Kommt es<br />

jedoch zu chronischem Stress oder gerät das<br />

ausgewogene Verhältnis von Wohlbefinden,<br />

Alarmbereitschaft und Stressreaktion aus<br />

dem Gleichgewicht, dann beginnt ein Kreislauf,<br />

aus dem das Pferd nicht mehr selbstständig<br />

ausbrechen kann.<br />

Von Geräuschen und Gerüchen<br />

In unbekannten oder potenziell gefährlichen<br />

Situationen ist Flucht die bevorzugte<br />

Strategie des Pferdes. Dazu erhöhen<br />

Stressreaktionen die Aufmerksamkeit und<br />

mobilisieren alle vorhandenen Kräfte. Der<br />

Körper des Pferdes ist für diese Überlebensstrategie<br />

optimal ausgestattet. Neben dem<br />

Herz-Kreislauf-System und der Atmung<br />

helfen auch die Sinnesorgane dem Vierbeiner,<br />

schnell auf Bedrohungen zu reagieren.<br />

50 www.mein-pferd.de <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

STRESS BEEINFLUSST DAS LERNEN<br />

Akuter Stress vermindert die Lernleistung,<br />

schränkt die Wahrnehmung ein<br />

und verringert das Schmerzempfinden.<br />

Jedoch kann sich ein gewisser positiver,<br />

moderater Stress auch förderlich auf das<br />

Lernen auswirken. Sinnvoll aufgebautes<br />

Training über positive Verstärkung ist als<br />

Als Reiter sollten Sie wissen, dass nicht nur<br />

visuelle Reize, sondern auch ungewohnte<br />

Gerüche oder andere unbekannte Sinneseindrücke<br />

eine plötzliche Flucht auslösen<br />

können. Oftmals nehmen wir selbst diese<br />

Reize gar nicht wahr. Zudem hat jedes Pferd<br />

eine gewisse Individualdistanz. Während<br />

manche Vierbeiner schon in die Luft gehen,<br />

wenn sie aus weiter Ferne ein Geräusch<br />

hören oder ein Flatterband sehen, wittern<br />

andere die Gefahr erst, wenn sie direkt vor<br />

ihr stehen. Einige Pferde stellen ihre Besitzer<br />

hingegen immer wieder vor neue Fragen<br />

und Herausforderungen. Sie erschrecken<br />

sich mal vor Pfützen, mal vor den Artgenossen<br />

auf der Weide neben dem Reitplatz.<br />

In vielen Fällen kann gar kein Auslöser<br />

ausgemacht werden.<br />

Angst niemals bestrafen<br />

Eine entspannte Trainingsatmosphäre<br />

erleichtert<br />

dem Pferd das Lernen und<br />

fördert die Losgelassenheit<br />

solch moderater Stress anzusehen, durch<br />

den die Lernleistung gesteigert wird.<br />

Bei dauerhaftem oder zu starkem Stress<br />

treten hingegen die meisten Probleme<br />

auf. Erlebnisse können sich regelrecht in<br />

das Gehirn einbrennen, beispielsweise<br />

bei einem Trauma.<br />

Verhaltensweisen wie Drohen, Schlagen,<br />

Beißen oder Steigen werden meist erst mal<br />

nicht mit Angst in Verbindung gebracht.<br />

Dann steigt die Frustration des Besitzers<br />

und auch der Leidensdruck. Schnell kann<br />

es zu unangenehmen Folgen für beide Seiten<br />

kommen: Das Pferd versucht innerhalb<br />

seiner Möglichkeiten, auf die beängstigende<br />

Situ ation zu reagieren, und für den Reiter<br />

wird es gefährlich. Wer sich allerdings eingehender<br />

mit der Angst und den Strategien<br />

des Fluchttieres beschäftigt, der wird ein<br />

neues Verständnis, einen besseren Blick und<br />

ein besseres Einfühlungsvermögen entwickeln.<br />

Dabei gibt es zwei wichtige Regeln,<br />

die Sie sich merken sollten: Zum einen hat<br />

ein Pferd im Fluchtmodus immer Angst.<br />

Zum anderen darf diese unter keinen Umständen<br />

bestraft werden. Strafe verstärkt die<br />

Angst und bricht das Vertrauen zum Menschen.<br />

Sie kann bis hin zu einer erlernten<br />

Hilflosigkeit führen. Und noch etwas Wichtiges:<br />

Nur weil ein Pferd in einer bestimmten<br />

Situation nicht sofort flieht, bedeutet das<br />

noch nicht, dass Angst als zugrundeliegende<br />

Emotion ausgeschlossen werden kann. So<br />

können beispielsweise gewisse Haltungsbedingungen<br />

das Pferd daran hindern, das<br />

arteigene Fluchtverhalten auszuleben. Häufig<br />

kommt es dann zu Ersatzhandlungen,<br />

die auf den ersten Blick nicht zur Kategorie<br />

Fluchtverhalten gezählt werden.<br />

Stimmungsübertragung aufs Pferd<br />

Denken Sie noch einmal an die Anfangssituation<br />

in der Reithalle: Das Pferd scheut, die<br />

Reiterin reagiert angespannt, und die Lage<br />

eskaliert. Durch ihre Muskelspannung und<br />

die eigene Unruhe schlagen die Alarmglocken<br />

des Wallachs noch lauter. Für ihn ist<br />

klar: Es droht Gefahr. Gleichzeitig verstärkt<br />

sich seine Angst durch die harte Hilfengebung,<br />

die er als Strafe einordnet. Der Trainer<br />

reagiert richtig, indem er versucht, Ruhe in<br />

die Situation zu bringen. Pferde sind Herdentiere<br />

und darauf angewiesen, die Stimmung<br />

ihrer Artgenossen, aber auch die des<br />

Sozialpartners Mensch zu deuten. In diesem<br />

Zusammenhang wird klar, warum manche<br />

Pferde scheuen oder durchgehen, wenn ihre<br />

Kumpels auf der Weide mit erhobenem Kopf,<br />

angespannter Halsmuskulatur und entsprechender<br />

Mimik Fluchtbereitschaft signalisieren<br />

oder losstürmen. Die Stimmungsübertragung<br />

kann sich der Mensch aber in<br />

der Ausbildung auch zunutze machen, zum

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