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HALTUNG & GESUNDHEIT<br />
Anfang des Jahres hatte Paul<br />
Schockemöhle die Nase voll.<br />
Nachdem monatelang Horrormeldungen<br />
zur Erkrankung<br />
„Warmblood Fragile<br />
Foal Syndrome“ (WFFS)<br />
durch die Medien geisterten, verkündete<br />
er, künftig jedem Züchter, „der ein in einer<br />
Tierärztlichen Hochschule wissenschaftlich<br />
nachweisbar an WFFS gestorbenes<br />
Fohlen zu beklagen hat“, die stattliche<br />
Summe von 10.000 Euro als „Ausgleichszahlung“<br />
auszuhändigen. Er wolle damit<br />
zeigen, wie verschwindend gering die<br />
Wahrscheinlichkeit sei, dass ein Fohlen<br />
von dem Gendefekt betroffen sei. Bei ihm<br />
seien schon über 10.000 Fohlen geboren<br />
worden – „und keines dieser Fohlen hatte<br />
WFFS“. Vorausgegangen war die Frist,<br />
nach der Zuchtverbände ab dem 1. Januar<br />
<strong>2019</strong> veröffentlichen sollten, welche ihrer<br />
Deckhengste Träger des berüchtigten<br />
Gendefekts sind, der wiederum die tödliche<br />
Erkrankung auslösen soll. Schockemöhle<br />
will<br />
nun Züchter<br />
ermutigen,<br />
auch mit<br />
jenen<br />
Hengsten<br />
weiter<br />
zu züchten,<br />
deren<br />
Test positiv<br />
a u s g e f a l l e n<br />
ist. Auch andere<br />
Experten, darunter<br />
die amerikanische Forscherin<br />
Nena Wienand, die<br />
die Genmutation 2012 mit ihrer Arbeitsgruppe<br />
an der Cornell University<br />
entdeckte, raten davon ab, Trägertiere aus<br />
der Zucht zu nehmen. So würden im Gegenzug<br />
auch viele sehr gute Eigenschaften<br />
verloren gehen. Wienand wies in einem<br />
Interview letztes Jahr darauf hin, dass<br />
dies „das Leistungsniveau verändern“<br />
Der Saugreflex<br />
ist trotz<br />
Erkrankung<br />
vorhanden<br />
und „die<br />
besten Springund<br />
Dressurpferde treffen“ würde. Was<br />
nun? Die Verunsicherung ist groß. Deswegen<br />
haben wir Zuchtexperten vom<br />
Westfälischen Pferdestammbuch und<br />
dem Oldenburger Pferdezuchtverband<br />
nach ihrer Einschätzung befragt und die<br />
wichtigsten Fakten zusammengetragen.<br />
INFO<br />
Erbkrankheiten sind<br />
auf ein erkranktes<br />
Gen zurückzuführen<br />
Autosomal-rezessive Vererbung<br />
Nicht-Träger zu Nicht-Träger<br />
Träger zu Träger<br />
N N N N<br />
N FFS N FFS<br />
25% Nicht-<br />
25%<br />
Träger<br />
tödlich<br />
Nicht-Träger zu Träger<br />
N N N FFS N N<br />
N FFS N FFS FFS FFS<br />
50% Nicht-<br />
Träger<br />
50%<br />
Träger<br />
50%<br />
Träger<br />
N N N FFS<br />
Foto: slawik-com (4), Getty Images (1), IMAGO/ Frank Sorge (1), Privat (1), LABOKLIN (3)<br />
Erbkrankheiten bei Pferden<br />
Es gibt nicht nur WFFS, sondern auch andere<br />
genetisch bedingte Erkrankungen, die Pferde und<br />
Ponys treffen können und in Zuchtbuchordnungen<br />
aufgeführt werden:<br />
CA: Cerebelläre Abiotrophie kommt v.a.<br />
bei arabischen Rassen vor und muss<br />
im Zuchtbuch vermerkt werden. Seit<br />
<strong>2019</strong> muss CA ebenfalls bei Deutschen<br />
Reit ponys im Zuchtbuch per Gentest<br />
eingetragen werden. Dabei sterben<br />
Nervenzellen im Kleinhirn ab.<br />
EDM: Equine Degenerative Myeloencephalopathie<br />
kommt bei allen Rassen<br />
vor. Die neurologische Erkrankung wird<br />
durch Vitamin-E-Mangel ausgelöst.<br />
44 www.mein-pferd.de <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />
OLWS: Overo Lethal White Syndrom kann<br />
bereits seit 1998 per Gentest identifiziert<br />
werden und betrifft Paint Horses und<br />
Overoschecken. Kann bereits für den<br />
Embryo tödlich sein.<br />
PSSM: Polysaccharid-Speicher-Myopathie<br />
Typ 1 kommt bei allen Rassen vor und<br />
muss im Zuchtbuch mit Gentest-Hinweis<br />
vermerkt werden. Es handelt sich um eine<br />
Muskelerkrankung mit einer Störung des<br />
Kohlehydratstoffwechsels.<br />
Die Krankheit WFFS<br />
Beim Warmblood Fragile Foal Syndrome<br />
gibt bereits der Name Auskunft über die<br />
schwere Symptomatik. Es handelt sich<br />
dabei um eine erbliche unheilbare Bindegewebsstörung,<br />
die ausschließlich die<br />
Warmblutpopulation trifft. Sie wird unmittelbar<br />
nach der Geburt sichtbar: Das<br />
Fohlen zeigt zwar meist einen Saugreflex,<br />
ist aber auffallend schwach und kann in<br />
der Regel gar nicht erst aufstehen. Die<br />
verantwortliche Genmutation im LH1-<br />
Gen führt zu einer dünnen und brüchigen<br />
Oberhaut, die nicht mit dem Unterhautgewebe<br />
verbunden ist. In der Folge<br />
reißt die Haut bereits bei minimalen Berührungen<br />
und Belastungen ein – auch<br />
bei Aufstehversuchen. Es entstehen binnen<br />
kürzester Zeit zahlreiche irreparable<br />
Verletzungen am ganzen Körper sowie an<br />
den Schleimhäuten; zudem sind die Gelenke<br />
in den Beinen instabil, häufig geschwollen<br />
und leicht überdehnbar. Es gibt<br />
keinerlei Chance auf Heilung und das<br />
Fohlen überlebt in der Regel nicht mehr<br />
als die ersten Stunden nach der Geburt.<br />
In den meisten Fällen wird es der Tierarzt<br />
zügig einschläfern.