25.04.2023 Aufrufe

RhPfalz_Mai_2023

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

6 Zeitung <strong>Mai</strong> <strong>2023</strong> Pflege<br />

Ein Dschungel ohne Qualitätsstandards<br />

VdK-Pflegestudie: In mindestens 225 000 Haushalten in Deutschland werden sogenannte 24-Stunden-Kräfte beschäftigt<br />

„Wir brauchen dringend gute Rahmenbedingungen<br />

für die 24-Stunden-Pflege.<br />

Sie darf nicht weiter in<br />

einer Grauzone stattfinden“, sagt<br />

VdK-Präsidentin Verena Bentele.<br />

Sie fordert eine Legalisierung von<br />

Betreuungskräften, die Pflegebedürftige<br />

in deren eigenen vier<br />

Wänden betreuen. „Die Betroffenen<br />

und ihre Familien, aber auch<br />

die Betreuungskräfte benötigen<br />

endlich Rechtssicherheit und gute<br />

Regelungen für eine zuverlässige<br />

Betreuung zuhause.“<br />

Die Hochschule Osnabrück hat<br />

im Auftrag des VdK Deutschland<br />

54 000 VdK-Mitglieder zum Thema<br />

der häuslichen Pflege befragt. Die<br />

Ergebnisse zeigen, dass hochgerechnet<br />

mindestens in 225 000<br />

Haushalten in Deutschland Pflege<br />

durch zumeist osteuropäische Betreuungskräfte<br />

geleistet wird. Um<br />

eine solche Betreuerin bei sich zu<br />

beschäftigen, müssen die Familien<br />

meistens Kost und Logis stellen<br />

und die Kraft bezahlen.<br />

Laut VdK-Studie geben knapp 30<br />

Prozent der Haushalte mehr als<br />

3000 Euro pro Monat für diese Art<br />

der Pflege aus. Die Pflegebedürftigen<br />

und ihre Familien eint alle der<br />

Wunsch, zu Hause und nicht im<br />

Heim gepflegt zu werden.<br />

Hohe Pflegegrade<br />

Die Nächstenpflege steht im Mittelpunkt der großen VdK-Kampagne.<br />

Knapp die Hälfte aller Haushalte,<br />

die eine 24-Stunden-Betreuerin<br />

beschäftigen, nutzen laut Studienergebnissen<br />

zusätzlich einen<br />

ambulanten Pflegedienst. Die<br />

Einsatzzeiten der ambulanten<br />

Pflegedienste in Haushalten mit<br />

oder ohne 24-Stunden-Betreuung<br />

unterscheiden sich kaum. Die klassischen<br />

Aufgaben der ambulanten<br />

Pflegedienste sind beispielsweise<br />

das Bereitstellen der Medikamente<br />

oder das Anlegen der Kompressionsstrümpfe<br />

sowie Aufgaben der<br />

körperlichen Pflege. Die Studie<br />

zeigt, dass die 24-Stunden-Betreuung<br />

und professionelle ambulante<br />

Pflege nicht in Konkurrenz stehen.<br />

Vielmehr wird deutlich, dass sich<br />

diese beiden Pflegeformen ergänzen<br />

und gegenseitig stützen. Die<br />

pflegenden Angehörigen in Haushalten<br />

mit einer 24-Stunden-Betreuung<br />

sind häufiger erwerbstätig<br />

als in Haushalten ohne eine solche<br />

Betreuung. Vielmehr zeigen die<br />

Ergebnisse, dass sie genauso eingebunden<br />

sind.<br />

Mareike B.*, VdK-Mitglied aus<br />

Brandenburg, beschäftigt für die<br />

Betreuung ihrer demenzkranken<br />

Mutter Frauen aus Osteuropa, vor<br />

allem aus Polen. Sie ergänzt, dass<br />

„die Betreuung durch eine<br />

24-Stunden-Kraft ohne Angehörige<br />

vor Ort nicht möglich ist. Zuviel<br />

liegt an, um das man sich kümmern<br />

muss, und die täglichen Einsatzzeiten<br />

der Frauen sind begrenzt.“<br />

Die Studie zeigt: Die Betreuungskräfte<br />

werden vor allem<br />

dann eingesetzt, wenn höhere<br />

Pflegegrade wie 4 oder 5 vorliegen.<br />

Der nächtliche Unterstützungsbedarf<br />

und eine starke Desorientierung<br />

bei den Pflegebedürftigen<br />

sind dann besonders hoch.<br />

Häufig werden die Betreuerinnen<br />

über Vermittlungsagenturen<br />

an die interessierten Familien vermittelt.<br />

Die Beschäftigungsverhältnisse<br />

sind sehr unterschiedlich<br />

geregelt, aber Branchenkenner<br />

sind der Auffassung, dass ein<br />

Großteil dieser Vereinbarungen<br />

wegen der tatsächlichen Arbeitsbedingungen<br />

nicht mit deutschem<br />

Recht vereinbar ist. In jedem Fall<br />

überfordern diese vertraglichen<br />

Regelungen häufig die Pflegehaushalte.<br />

Rechtssicherheit<br />

Welche Aufgaben übernimmt die 24-Stunden-Kraft?<br />

Aufgaben beim Essen und<br />

Trinken oder Anziehen<br />

Hilfe imHaushalt<br />

(Einkaufen, Kochen,<br />

Wäsche waschen, Putzen)<br />

Körperpflege<br />

Hilfe beimToilettengang/<br />

Unterstützung bei der<br />

Inkontinenzversorgung<br />

Hilfe bei der Beschäftigung<br />

und Alltagsgestaltung<br />

Foto: Rheinhardt & Sommer<br />

Deswegen fordert der Sozialverband<br />

VdK die verpflichtende Registrierung<br />

aller Vermittlungsagenturen<br />

und die Einführung von<br />

Qualitätsstandards für deren Arbeit,<br />

um Transparenz und Verlässlichkeit<br />

für Pflegehaushalte und<br />

Betreuungspersonen zu gewährleisten.<br />

Darüber hinaus fordert er<br />

verlässliche Regelungen, um<br />

Rechtssicherheit sowohl für die<br />

Pflegehaushalte als auch für die<br />

Betreuungskräfte zu schaffen. Die<br />

Studienergebnisse zeigen, dass<br />

sich die betroffenen Haushalte dies<br />

wünschen, auch um die 24-Stunden-Betreuung<br />

zu legalisieren. Der<br />

VdK-Vorschlag ist, dass arbeitsrechtliche<br />

Regelungen, die für<br />

SOS-Kinderdorfmütter gelten, auf<br />

die 24-Stunden-Kräfte ausgedehnt<br />

werden.<br />

Gottfried Schugens, ehrenamtlich<br />

engagiert im VdK Hessen-Thüringen,<br />

hat über mehrere Jahre die<br />

Pflege seiner Frau mit Betreuerinnen<br />

organisiert. Er berichtet von<br />

einem „wirklichen Dschungel“<br />

unter den Vermittlungsagenturen<br />

– ohne Hilfen und Qualitätsstandards,<br />

an denen sich Familien<br />

orientieren können. Er weiß, wie<br />

wichtig die Betreuungskräfte sind:<br />

„Ohne die Helferinnen aus Polen<br />

hätte ich die Pflege meiner Frau<br />

nicht geschafft. Ohne sie würde in<br />

Deutschland die Pflege zusammenbrechen.“<br />

Auffällig ist, dass die Leistung<br />

der Familien, diese Betreuungskräfte<br />

in den eigenen Haushalt zu<br />

integrieren, enorm ist. Neben der<br />

Pflegeorganisation sind die pflegenden<br />

Anhörige mit Alltagsproblemen<br />

der Frauen konfrontiert.<br />

Frauke H.* aus der Eifel pflegte<br />

ihre Schwiegermutter mit zwei<br />

Frauen aus der Ukraine. Als eine<br />

über starke Zahnschmerzen klagte,<br />

machte Frau H. kurzerhand<br />

einen russischsprechenden Zahnarzt<br />

ausfindig.<br />

*Namen sind der Redaktion<br />

bekannt Julia Frediani<br />

56,7%<br />

90,2%<br />

87,3%<br />

84,5%<br />

83,0%<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

Quelle:VdK-Studie,Hochschule Osnabrück<br />

Kräfteschonend pflegen<br />

Hilfsmittel zum Umsetzen und Umlagern erleichtern den Pflegealltag<br />

Viele pflegende Angehörige wissen<br />

nicht, dass es Hilfsmittel gibt,<br />

die das Umsetzen und Umlagern<br />

erleichtern. Gleitmatte, Rutschbrett<br />

und andere Transferhilfen<br />

schonen Rücken und Gelenke.<br />

Manche gibt es sogar auf Rezept.<br />

Umsetz- und Umlagerungshilfen<br />

sollen den Pflegenden helfen, die<br />

pflegebedürftige Person mit geringem<br />

Kraftaufwand von einer Position<br />

in eine andere zu bringen. Die<br />

gängigsten Hilfsmittel:<br />

• Gleitlaken oder Rutschtücher<br />

sind doppelseitige, besonders gleitfähige<br />

Laken mit seitlichen Griffen,<br />

mit denen die oder der Pflegebedürftige<br />

bequem im Bett umgelagert<br />

oder in Sitzposition gebracht<br />

werden kann. Sie schonen die<br />

Haut und verringern so die Gefahr<br />

von Verletzungen.<br />

• Rutsch- oder Gleitbretter bestehen<br />

aus stabilem Kunststoff mit<br />

glatter Oberfläche. Die handlichen<br />

und leichten Hilfsmittel gibt es in<br />

verschiedenen Ausführungen, etwa<br />

für das Umsetzen vom Rollstuhl<br />

ins Auto oder vom Bett in<br />

den Rollstuhl.<br />

• Gleitmatten erleichtern es, in<br />

die richtige Sitz- oder Liegeposition<br />

zu kommen. Sie sind auch für<br />

schwergewichtige Menschen und<br />

Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer<br />

geeignet.<br />

• Für Pflegebedürftige, die noch<br />

Kraft in Armen und Beinen haben,<br />

kommen auch Drehscheiben in<br />

Frage. Sie können auf dem Boden,<br />

Gleitmatten erleichtern die Arbeit<br />

in der Pflege. Grafik: Sozialverband VdK<br />

auf dem Stuhl oder im Bett eingesetzt<br />

werden.<br />

Einige dieser Transferhilfen sind<br />

auch im Hilfsmittelverzeichnis<br />

aufgeführt und können vom Arzt<br />

oder von der Ärztin verordnet werden.<br />

In der Regel bezahlen Kranken-<br />

und Pflegekassen ein Standardmodell.<br />

Wer ein anderes beantragen<br />

möchte, muss seiner Kasse<br />

die Gründe dafür erläutern. Lehnt<br />

die Kasse die Kostenübernahme<br />

ab, besteht die Möglichkeit, Widerspruch<br />

einzulegen.<br />

Tipps: Lassen Sie sich die Hilfsmittel<br />

vor dem Kauf von einer Pflegekraft<br />

oder im Sanitätshaus zeigen.<br />

Probieren Sie aus, welches am besten<br />

für Sie geeignet ist. Bei einem<br />

Fehlkauf oder falscher Anwendung<br />

kann es sonst zu Stürzen kommen.<br />

Hilfreich ist es zudem, einen Pflegekurs<br />

zu machen, in dem kinästhetische<br />

Mobilisation vermittelt wird.<br />

Dabei erfährt man, wie man ohne<br />

Hilfsmittel rückenschonend pflegen<br />

kann. Annette Liebmann

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!